Residentenkurier Nr. 9, Juli/August 2009
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S e i t e 1 6<br />
W a s w i r v o n d e n A n d a l u s i e r n l e r n e n k ö n n e n<br />
Die Crux mit dem Horario de verano<br />
Jetzt kann man sie wieder<br />
allerorten lesen, die Aushänge<br />
der spanischen Unternehmen:<br />
„ W i r m a c h e n u n s e r e<br />
geschätzten Kunden darauf<br />
aufmerksam, dass ab 1. 7. – 30.<br />
9. unser Horario de verano<br />
( auch „horario intensivo“<br />
genannt) gilt: Geöffnet von<br />
07.30 Uhr bis 14.00 Uhr.“<br />
Klingt alles ganz harmlos,<br />
wenn man hier nur „Urlauber“<br />
ist, aber nicht, wenn man selbst<br />
ein kleines mittelständisches<br />
Unternehmen führt! Die<br />
spanische Siesta normalerweise<br />
– also „tote“ Geschäftszeit<br />
zwischen 14.oo und 17.00 Uhr<br />
- finde ich ja persönlich<br />
wunderbar, einen echten<br />
Auswanderungsgrund und<br />
erwiesenermassen laut neuen<br />
Untersuchungen auch noch<br />
gesund! Ausser, dass mein<br />
Mann und ich leider nie zur<br />
Siesta kommen, weil dann<br />
nämlich wieder nach 14.00h<br />
unsere deutschen Qualitätsmaterial-Zulieferer<br />
frisch<br />
gestärkt von der Kantine<br />
zurück kommen und uns mit<br />
Telefonaten bombardieren.<br />
Aber diese spanische Halbtags-<br />
Sommerzeit, die hasse ich ! Die<br />
lässt mich mit heraushängender<br />
Zunge arbeiten und anlaufen<br />
gegen die tickende Uhr! Und<br />
wenn wir mit unserem Gärtner<br />
Miguel Zoff kriegen, dann<br />
jedes Jahr wegen des Horarios<br />
intensivos/ veranos! In den<br />
ersten Jahren sahen wir auch<br />
ein, dass Miguels normale<br />
Fincaarbeitszeit, die gemäss<br />
den Tier-Futterzeiten von 9-14<br />
h und 17- 20 Uhr lautete, auf<br />
ein durchgehendes Arbeiten<br />
umzuändern wäre, weil<br />
nämlich der Autobahn- und<br />
Carreterra-Ausbau zu Staus in<br />
sein Heim von je 1 ½ Stunden<br />
führte. Nichtsahnend wollten<br />
wir ja auch den partnerschaft-<br />
lichen Führungsstil in<br />
Spanien einführen und nicht<br />
so unmenschlich erscheinen,<br />
ihn 2mal pro Tag bei den<br />
Staus hin und her fahren zu<br />
lassen. Aber drehen Sie mal<br />
wieder etwas zurück bei<br />
einem sturen Hombre del<br />
C a m p o , w e n n m a n<br />
andererseits zuverlässsiges<br />
und eingearbeitetes Personal<br />
nicht verlieren will!<br />
So feilschen wir jedes Jahr<br />
um halbe Stunden, also ich<br />
handle ihn von 7 Uhr<br />
Anfangszeit dann auf 8 Uhr<br />
herauf, und führe in meiner<br />
Verzweiflung an, dass wir<br />
hier eigentlich so westlich<br />
l ä g e n , d a s s n a c h<br />
Sonnenstand und biologisch<br />
gesehen für uns die<br />
sinnvollerere portugiesische<br />
und damit Greenwich-Zeit zu<br />
gelten habe, die ja um eine<br />
Stunde zurückläge, was ihm<br />
dann ja entgegen käme.<br />
Und dass mir keiner an der<br />
Küste- im Landinneren ist<br />
das ja was anderes – mit der<br />
übergroßen Hitze käme, wo<br />
wir fast immer eine frische<br />
Brise vom Meer hätten!<br />
Aber Tatsache ist: Miguel<br />
der Gärnter arbeitet im<br />
Sommer eigentlich 6 ½<br />
Stunden für den selben Lohn<br />
von acht Stunden.<br />
Übrigens, als wahrscheinlich<br />
immer noch viel zu logisch<br />
denkender Mensch deutscher<br />
Herkunft (mit immerhin Kant<br />
in der Volks-Ahnentafel)<br />
fragt man sich schon<br />
misstrauisch: Wenn die<br />
Spanier angeblich die gleiche<br />
Arbeit im Sommer in 6 ½<br />
Stunden schaffen, wozu<br />
brauchen sie dann im Winter<br />
noch dazu bei angenehmeren<br />
Temperaturen dafür pro Tag<br />
1 ½ Stunden länger ?<br />
D a s l a utest e Volk<br />
E uropas<br />
Die Spanier sind das lauteste<br />
Volk Europas und das<br />
zweitlauteste der Welt –<br />
nach den Japanern. Das sind<br />
keine Vorurteile oder gar<br />
üble Nachrede, diese Erkenntnis<br />
beruht tatsächlich<br />
auf Dezibelmessungen bei<br />
Festivitäten mit der immer<br />
selben Anzahl von Personen.<br />
Dass es bei den berühmten<br />
Ferias mit der beliebten<br />
Latino-Pop-Musik laut zugeht,<br />
fällt auch dem letzten<br />
Urlauber auf, er wird aber<br />
auch feststellen, dass es<br />
noch eine Besonderheit gibt:<br />
Alle, aber auch wirklich alle<br />
um einen Tisch versammelten<br />
Personen reden zur<br />
selben Zeit und miteinander<br />
– und es funktioniert. Da<br />
regt sich keiner auf und<br />
lässt etwa so Sätze hören<br />
wie: „Würden Sie mich bitte<br />
ausreden lassen!“<br />
Verkneifen Sie sich als<br />
Deutscher mit vielleicht<br />
ganz ordentlichen spanischen<br />
Sprachkenntnissen<br />
unbedingt eine solche<br />
Bemerkung mit unsichtbarem<br />
erhobenen Zeigefinger.<br />
Fragen Sie lieber diskret<br />
ihren Nachbarn, um was es<br />
ging. Wenn er ehrlich ist,<br />
gibt er zu, er hätte es auch<br />
nicht mitbekommen.<br />
Verlegene Gesprächspausen<br />
kennt der Spanier nicht. Das<br />
hat seinen Vorteil zum<br />
Beispiel bei Vorträgen,<br />
wenn der Referent um<br />
Wortmeldungen bittet. Das<br />
muss er nicht zweimal tun,<br />
die Finger schnellen in die<br />
Höhe, nach kurzer Zeit<br />
entwickeln sich mehrere<br />
Dialoge- unter Umständen<br />
eben parallel. Ein kommunikatives<br />
Volk eben.