Claudia Thurner Moor, 31.10.2008 PDF - Oekotoxzentrum
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Eröffnung des Ökotoxzentrums:<br />
Angewandte, unabhängige Toxikologie-Forschung startet durch<br />
Risiken von Chemikalien sollen in der Schweiz besser erforscht werden. Mit dem gestern neu<br />
eröffneten Zentrum für angewandte Ökotoxikologie in Dübendorf wird der vom Parlament<br />
geforderten unabhängigen Toxikologieforschung in der Schweiz Rechnung getragen. Weitere<br />
Schwerpunkte im Bereich Toxikologie bilden die Beratung, Ausbildung und Vernetzung. Das<br />
Zentrum, welches vom Wasserforschungsinstitut EAWAG und der Eidgenössisch Technischen<br />
Hochschule Lausanne EPFL getragen und in den kommenden vier Jahren vom Bund finanziert<br />
wird, widmete sich am Eröffnungsanlass dem Fachthema der Nanopartikel.<br />
Text: <strong>Claudia</strong> <strong>Thurner</strong> <strong>Moor</strong><br />
Umweltkatastrophen – wie jene von Seveso oder Bhopal – verursacht durch unsachgemässe<br />
Handhabung von Chemikalien lassen uns beim Erinnern noch immer erschauern. Doch wie steht es<br />
mit den unzähligen synthetischen Substanzen, wie beispielsweise Fungizide, Düngemittel, Altlasten<br />
aus Deponien, synthetisch hergestellten Nanopartikeln oder auch Medikamenten, die täglich, teilweise<br />
in kleinsten Mengen, freigesetzt werden und damit unsere Umwelt und somit auch unsere Gesundheit<br />
beeinflussen? Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD schätzt,<br />
dass die Produktionszunahme der chemischen Industrie von 400 Millionen Tonnen im Jahr 2002 bis<br />
zum Jahre 2020 um 85 Prozent zunimmt. Es sollen rund 80'000 bis 100'000 Substanzen in der<br />
Umwelt zirkulieren, deren Toxizität bezüglich neu erkannter Wirkungen nachuntersucht werden<br />
müssen – durch unabhängige Instanzen wohlgemerkt, so dass objektive Resultate erhalten werden<br />
können.<br />
Eröffnung des neuen Ökotoxzentrums in Dübendorf<br />
Dass ein Zentrum mit „unabhängiger Kompetenz, Quelle für Forschung, Beratung und Weiterbildung<br />
in Ökotoxikologie“ innerhalb von sechs Jahren neu gegründet werden konnte, schreibt Georg<br />
Karlaganis vom Bundesamt für Umwelt BAFU einer ganzen Reihe von Zufällen zu. Er wünscht dem<br />
neueröffneten Ökotoxzentrum – nach einer wechselvollen Geschichte der Toxikologieforschung in der<br />
Schweiz – einen schwungvollen Start und langes Bestehen: „Was lange währt wird endlich gut!“<br />
Mit ihrer Motion „unabhängige Toxikologieforschung in der Schweiz“ im Jahr 2002 hat Nationalrätin<br />
Maya Graf wesentlich zum Gelingen der Zentrumsgründung beigetragen. Ihr Hinweis auf die Lücken<br />
in der Toxikologieforschung und –ausbildung gab den politischen Anstoss zur Gründung: “Das neue<br />
Zentrum ist enorm wichtig und kommt in Anbetracht der heutigen Situation keinen Tag zu früh”, ist sie<br />
überzeugt. Eine unabhängige Forschungsstelle sei von ausserordentlicher Wichtigkeit, nicht zuletzt für<br />
den Vollzug durch den Bund und die Kantonsbehörden – ist doch das „Vorsorgeprinzip Umwelt und<br />
Gesundheit“ in der Bundesverfassung verankert.<br />
Das Ökotoxikologiezentrum, welches von der Eidgenössisch Technischen Hochschule Lausanne<br />
EPFL und dem Wasserforschungsinstitut des Bundes EAWAG in Dübendorf getragen und in letzterem<br />
angesiedelt ist, wird in den kommenden vier Jahren mit acht Millionen Franken vom Bund finanziert.<br />
Die seit Juni dieses Jahres amtierende Geschäftsführerin Almut Gerhardt ist zuversichtlich, dass das<br />
Zentrum seinem Ziel, eine „Antennen- und Adlerfunktion“ einzunehmen, gerecht werden wird: „Durch<br />
Kooperationen zur Früherkennung und der Lösung praktischer Probleme, wollen wir Risiken mit<br />
Chemikalien in der Umwelt früh erkennen, beurteilen und dazu beitragen, diese zu minimieren.“<br />
Neben dem Wissenstransfer und der Aus- und Weiterbildung von Fachleuten nimmt die Forschung<br />
und Entwicklung in angewandter Ökotoxikologie einen wichtigen Platz ein. Bereits in den ersten<br />
Monaten des Zentrums wurden Forschungsprojekte initiiert, wie etwa die toxische Abklärung von<br />
Epoxidharzen, welche heute zur Innenbeschichtung von undichten Wasserleitungen eingesetzt<br />
werden. Ein ebenfalls bereits laufendes Projekt hat die Erfassung toxischer Effekte von Silber-<br />
Nanopartikeln zum Ziel, welche in Fassadenfarben und Wäschereiabwässern in Einsatz kommen. „Mit<br />
einer multimetrischen und modular aufgebauten Sensorplattform wollen wir eine einfach zu<br />
handhabende Ausrüstung zur chemischen, biologischen und ökotoxikologischen Bewertung der<br />
Wasserqualität mit Kooperationspartnern entwickeln“, beschreibt sie ein weiteres Projekt.
Nanopartikel in der Umwelt: Potente Zwerge oder Giftzwerge?<br />
Die Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie, der Wissenschaft, welche sich mit kleinsten<br />
Strukturen beschäftigt, sind vielversprechend. Sie reichen von schlagfesten Beschichtungen,<br />
selbstreinigenden Fenstergläsern, transparenten Sonnencremes, energieeffizienten, da leichten<br />
Materialien bis hin zu modernen Textilien. Bereits sind einige dieser „Nanotech-Produkte“ auf dem<br />
Markt erhältlich. Viele befinden sich noch in der Entwicklungsphase. Mit der zunehmenden<br />
Verbreitung von Nanopartikeln und Berichten über entsprechende Zukunftsvisionen wachsen<br />
allerdings auch die Bedenken über mögliche negative Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt.<br />
Fluch oder Segen? „Einerseits eröffnen Nanopartikel Möglichkeiten für umweltschonende<br />
Alternativen“, führt Almut Gerhardt im zweiten Teil des Eröffnungsanlasses aus. Andererseits gäbe es<br />
auch zahlreiche Hinweise auf mögliche Risiken, welche einer toxikologischen Untersuchung<br />
bedürften. Obwohl bereits einige Fakten bekannt sind – „Nanopartikel interagieren mit biologischen<br />
Molekülen, überwinden biologische Barrieren und können die Toxizität erhöhen”, wie Kristin Schirmer<br />
von der EAWAG ausführte – sind noch ausführliche Abklärungen und Untersuchungen nötig. „Nicht<br />
zuletzt deshalb wurde ein neues nationales Forschungsprojekt „Chancen und Risiken synthetischer<br />
Nanomaterialien“ NFP 64 ins Leben gerufen“, wie Christof Studer vom BAFU betonte. In<br />
Zusammenarbeit mit anderen Bundesämtern und Industrievertretern arbeitet er am Aktionsplan<br />
„Synthetische Nanomaterialien“. Dieser soll aufzeigen, wie in den nächsten Jahren eine<br />
verantwortungsbewusste Entwicklung im Bereich der synthetischen Nanomaterialien sichergestellt<br />
werden kann.<br />
Grundlage dieser Abschätzungen werden die Ergebnisse von Forschungsanstrengungen sein. „Es ist<br />
ausgesprochen schwierig, natürliche von synthetischen Nanopartikeln zu unterscheiden und in der<br />
Umwelt nachzuweisen“, führte Ralf Kägi von der EAWAG aus. In Kooperation mit der EMPA und dem<br />
neu gegründeten Ökotoxzentrum untersucht er den Weg, welche die Silbernanopartikel nach der<br />
Auswaschung aus Häuserfassaden bis hin zum Eintritt in ein Gewässer nehmen. Mit Modellierungen<br />
und Stoffflussanalysen trägt Bernd Nowack von der EMPA ebenfalls in diesem Bereich zur<br />
Risikoabschätzung bei. Zudem wies er auf die enorme Wichtigkeit der Technologiefolgenabschätzung<br />
und der Risikokommunikation hin. Dem pflichtet auch Richard Gamma Vizedirektor der<br />
Schweizerischen Gesellschaft der Chemischen Industrie SGCI bei:“ Die neuen Eigenschaften und<br />
noch vorhandene Wissenslücken sind Ursache dafür, dass in der Diskussion auf mögliche Risiken und<br />
Gefahren aufmerksam gemacht wird, wobei Fragen zu Umwelt- und Gesundheitsschutz, aber auch<br />
gesellschaftliche und ethische Fragen aufgeworfen werden.“ Die Eröffnung des<br />
Ökotoxikologiezentrums schient in der Tat keine Minute zu früh zu kommen. „Das Zentrum übernimmt<br />
die Rolle der Informationsdrehscheibe und unterstützt die Industrie bei freiwilligen Massnahmen. Es<br />
berät die Behörden bei der Entwicklung von Testvorschriften und ist aktiv in der Aufklärung der<br />
Öffentlichkeit“, schliesst Almut Gerhardt den Eröffnungsanlass.