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Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013<br />
M i g r a t i o n u n d I n t e g r a t i o n – I n f o<br />
M i g r a t i o n u n d I n t e g r a t i o n – I n f o<br />
Editorial<br />
Integration: Das „Wir und die<br />
anderen“ überwinden<br />
Blickpunkt<br />
Welchen Sinn machen<br />
Integrationsvereinbarungen?<br />
Praxis<br />
Integrationsvereinbarungen<br />
verbindlicher machen<br />
Nachgedacht<br />
Kooperationen, die allen<br />
nützen<br />
LIEBE LESERINNEN UND LESER,<br />
Integrationsvereinbarungen sollen helfen,<br />
Menschen mit Migrationshintergrund, die<br />
bisher noch nicht „integriert (worden) sind“,<br />
echte Teilhabe an unserer Gesellschaft zu<br />
ermöglichen. Schon zu Beginn des neuen<br />
Jahrtausends wurden dazu Modellprojekte<br />
realisiert. In ihrem Koalitionsvertrag hat sich<br />
die derzeitige Bundesregierung vorgenommen,<br />
mit Integrationsverträgen zu experimentieren,<br />
um deren Tauglichkeit für Integrationsprozesse<br />
zu prüfen. Beeinflusst<br />
durch den öffentlichen Diskurs über „Integrationsverweigerer“<br />
wird dabei von einem<br />
Defizitansatz ausgegangen, der die Integrationspolitik<br />
und -diskussion seit Jahren<br />
begleitet: „Die integrationspolitischen Defizite<br />
der letzten Jahrzehnte wollen wir konsequent<br />
beheben. (…) Um die Verbindlichkeit<br />
der individuellen Integrationsförderung<br />
zu erhöhen, werden wir das Instrument eines<br />
Integrationsvertrages schaffen (…)“, heißt<br />
es im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU<br />
und FDP vom 26. Oktober 2009.<br />
Die Gedanken aus dem Koalitionsvertrag<br />
mündeten in ein Projekt der Integrationsbeauftragten<br />
des Bundes, Integrationsvereinbarungen<br />
zu erproben. Die <strong>Caritas</strong> hat sich<br />
an zwölf der 18 Standorte mit ihren Beratungsstellen<br />
für erwachsene Zuwanderer<br />
(MBE) und ihren Jugendmigrationsdiensten<br />
(JMD) daran beteiligt. Für die <strong>Caritas</strong> sind<br />
Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013 1
lickpunkt<br />
drei Aspekte des Modellprojekts und der Fachdiskussion zentral:<br />
Allein die Existenz einer Integrationsvereinbarung, das Aufschreiben<br />
von Zielen und die Verteilung der Aufgaben genügen<br />
erstens nicht, um der vielen Probleme Herr zu werden, mit denen<br />
sich Menschen mit Migrationshintergrund konfrontiert sehen.<br />
Integrationsvereinbarungen können sich nur entfalten, wenn die<br />
Vernetzung und die Kooperationen zwischen den in der Vereinbarung<br />
benannten Institutionen vor Ort verbessert werden.<br />
Ansonsten läuft eine Vereinbarung ins Leere. Hier gilt es, die<br />
positiven Entwicklungen und Erkenntnisse des Modellprojekts<br />
für alle Kommunen nutzbar zu machen, damit diese ihren Teil<br />
der Aufgaben umsetzen können. Die darin implizierte Zusammenarbeit<br />
zwischen den Migrationsdiensten der freien Wohlfahrtspflege<br />
und den staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren<br />
auf der kommunalen Ebene müssen dabei auf Augenhöhe stattfinden.<br />
Vergessen werden darf nicht, dass eine stärkere Vernetzung<br />
den Migrationsdiensten mit der bisherigen personellen<br />
Ausstattung viel zusätzliche Zeit abverlangt, die diese angesichts<br />
voller Wartezimmer nicht haben.<br />
Durch die Vereinbarung und die (freiwillig) zu leistende<br />
Unterschrift wird zweitens versucht, eine Verbindlichkeit in der<br />
Beratung zu schaffen. Die Klientel soll „dranbleiben“, bis sie<br />
integriert ist. Verbindlichkeit entsteht jedoch aus Sicht der <strong>Caritas</strong><br />
allein schon durch das Aufsuchen einer Beratungsstelle, das<br />
meist intrinsisch motiviert ist. Diese Motivation wird gespeist<br />
durch die Anliegen und Notwendigkeiten der Lebenssituationen<br />
der Klient(inn)en selbst. Die Verbindlichkeit wird durch das im<br />
Beratungsprozess entstehende Vertrauen gestärkt, so dass vereinbarte<br />
Schritte eingehalten und beachtet werden.<br />
Die sogenannten (Integrations-)Förderpläne, mit denen in<br />
den <strong>Caritas</strong>migrationsdiensten seit vielen Jahren gearbeitet<br />
wird, sind drittens mit der nun vorgelegten Muster-Integrationsvereinbarung<br />
in wesentlichen Punkten identisch. Sie enthalten<br />
Vereinbarungen zu ausgewählten Problembereichen, die zu<br />
bearbeiten sind, und Verabredungen<br />
zu deren möglichen<br />
Lösungen. Welches Instrument<br />
auch immer zum Einsatz<br />
kommt, im Mittelpunkt steht<br />
die Klientel, die mit ihren Fragen<br />
Hilfe und Unterstützung<br />
erfahren muss. Zudem: So, wie<br />
das Case-Management nur<br />
eine Methode in der Beratungsarbeit<br />
sein kann, gilt auch Amin Salim<br />
für die Integrationsvereinbarung<br />
der Vorbehalt der Integration beim DCV, Freiburg<br />
Referent Migration und<br />
Anwendbarkeit im konkreten E-Mail: amin.salim@caritas.de<br />
Fall. Die Entscheidung zum<br />
Einsatz liegt bei den Bera -<br />
ter(inne)n, die im Einzelfall<br />
aus ihrer professionellen Sicht agieren.<br />
Wie immer sich die Diskussion um Integrationsvereinbarungen<br />
weiterentwickelt, eine Prämisse bei allem staatlichen und<br />
gesellschaftlichen Handeln muss die Erkenntnis sein, dass Integration<br />
nicht als ein Prozess gesehen werden kann, in dem sich<br />
ein Individuum in eine Mehrheits-/Aufnahmegesellschaft integriert.<br />
Integration bedeutet vielmehr, dass sich durch das alleinige<br />
Vorhandensein von Menschen, die aus anderen Ländern<br />
nach Deutschland kommen oder mit anderen kulturellen Wurzeln<br />
in Deutschland geboren werden und aufwachsen, unsere<br />
Gesellschaft weiterentwickelt. So entsteht täglich eine neue<br />
Gesellschaft, in der das trennende „Wir und die anderen“ immer<br />
mehr überwunden wird. Eine Anerkennungs- und Willkommenskultur<br />
in diesem Sinne bedeutet, dass sich Menschen und<br />
Haltungen verändern müssen.<br />
Eine spannende Lektüre wünscht<br />
Amin Salim<br />
Politik<br />
3 Machen Integrationsvereinbarungen<br />
Sinn? – Beispiel Schweiz<br />
Die Frage, ob Integrationsvereinbarungen (IV) Sinn machen,<br />
scheint auf den ersten Blick auf der semantischen Ebene nicht<br />
nachvollziehbar. Sowohl „Integration“ als auch „Vereinbarung“<br />
sind für sich genommen positiv besetzt und stellen stimmige<br />
Begrifflichkeiten einer liberalen, demokratischen Gesellschaft<br />
dar. Ein zweiter, konkretisierender Blick auf die Begriffe im<br />
Kontext von Politik und Verwaltung lässt dagegen Verständnis<br />
aufkommen für die unterschiedlichen Positionen, die in der Diskussion<br />
um Einführung und Ausgestaltung des Instruments der<br />
IV anzutreffen sind.<br />
Dies lässt sich am Beispiel der Schweiz zeigen: Seit dem neuen<br />
Ausländergesetz (AuG) vom 1. Januar 2008 wird hier das Element<br />
der Integration als wirtschaftliche, soziale und kulturelle<br />
Teilhabe betont und rechtlich verankert. Neuerdings kann damit<br />
die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung<br />
mit der Bedingung verknüpft werden,<br />
Sprach- und/oder Integrationskurse zu besuchen. Außerdem<br />
wird der Grad der Integration bei der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung,<br />
bei Weg- und Ausweisungen sowie Einrei-<br />
2 Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013
lickpunkt<br />
severboten berücksichtigt. Die Verpflichtung zum Kursbesuch<br />
kann durch die Kantone in einer Integrationsvereinbarung zwischen<br />
Ausländer(inne)n und der kantonalen Behörde festgehalten<br />
werden. 1 Der Anspruch, Integrationsleistungen einzufordern,<br />
ist im Zusammenhang mit der zentralen Leitidee des<br />
„Förderns und Forderns“, welche seit den 1990er Jahren als ein<br />
„Prinzip des Gebens und Nehmens“ propagiert wird, zu sehen. 2<br />
Als Kriterien für Integration gelten der Respekt gegenüber den<br />
Grundwerten der Bundesverfassung, die Einhaltung der öffentlichen<br />
Sicherheit und Ordnung, der Wille zur Teilnahme am Wirtschaftsleben<br />
und zum Erwerb von Bildung sowie Kenntnisse<br />
einer Landessprache. Während die ersten beiden Kriterien abgesehen<br />
vom Strafregisterauszug schwer überprüfbar sind, bieten<br />
sich die Arbeitstätigkeit und insbesondere die Sprachkenntnisse<br />
als Messlatte der erfolgten Integrationsbemühungen an. 3<br />
In der Schweiz können dabei nur Ausländer(innen) aus Drittstaaten<br />
mit IV in die Pflicht genommen werden, Angehörige der<br />
Europäischen Union (EU) beziehungsweise der Europäischen<br />
Freihandelsassoziation (EFTA) sind davon aufgrund ihres<br />
Rechtsstatus ausgenommen. Hier ist bereits auf der gesetzlichen<br />
Ebene eine Ungleichbehandlung festgeschrieben.<br />
Um die Frage nach der Sinnhaftigkeit von IV auf einer fundierten<br />
Basis näher beantworten zu können, sollen nun stichpunktmäßig<br />
Vor- und Nachteile von IV vor dem Hintergrund der<br />
Ergebnisse einer Evaluationsstudie aus fünf Kantonen der<br />
Deutschschweiz diskutiert werden. 4<br />
Vorteile und Nachteile von Integrationsvereinbarungen<br />
Integrationsvereinbarungen sind demnach im Kontext des amtlichen<br />
Verfahrens zu betrachten. So wurden sie von den betroffenen<br />
Ausländer(inne)n der Studie nur dann als hilfreich und<br />
sinnvoll erlebt, wenn die zuständige Amtsperson als unterstützend<br />
und zugewandt wahrgenommen wurde. In einem eher<br />
repressiven Kontext stehen dagegen die Nachteile im Zentrum.<br />
Die Vorteile:<br />
n Botschaft, dass Integration seitens des Staates erwartet und<br />
Sprache als Grundlage angesehen wird;<br />
n Signale zur Hilfestellung bei der Lösung von Problemen im<br />
Integrationsprozess;<br />
n Schaffung von extrinsischen Anreizen (verkürzte Wartezeit<br />
bis zum Erhalt eines gesicherten Aufenthaltsstatus);<br />
n Anknüpfung an und Förderung der intrinsischen Motivation<br />
zur Integration;<br />
n Bewusstseinsprozess bei den Verantwortlichen, dass Integration<br />
ein Lernprozess ist, der individuelle Aspekte beinhaltet<br />
und bestimmte Rahmenbedingungen erfordert.<br />
Die Nachteile:<br />
n Die Botschaft, dass der Staat steuernd und kontrollierend,<br />
notfalls auch sanktionierend eingreift, kann Reaktanz<br />
(Abwehrreaktion) auslösen und eine natürliche intrinsische<br />
Motivation dämpfen;<br />
n potenzielles Misstrauen gegenüber intrinsischer Bereitschaft<br />
und selbstständiger und selbstverantwortlicher Fähigkeit zur<br />
Integration;<br />
n Konzentration auf Integrationsdefizite;<br />
n Individualisierung struktureller Probleme: neoliberale<br />
Grundhaltung;<br />
n scheinbare Objektivierung der Integration – Integrationswilligkeit<br />
wird mit Fähigkeit zur Integration, mit Sprachelernen<br />
gleichgesetzt;<br />
n Vermittlung doppelbödiger Botschaften: Vereinbarung suggeriert<br />
Freiwilligkeit und Partnerschaftlichkeit, bei Verweigerung<br />
drohen aber Sanktionen;<br />
n Fortschreibung der gesetzesmäßigen Ungleichbehandlung<br />
(zielgruppenspezifisch, kantonal, geschlechtsbezogen) unter<br />
dem Deckmantel der Chancengleichheit;<br />
n heterogene Vollzugspraxis als Risiko für Ungleichbehandlung<br />
und Willkür durch mangelhafte Standardisierung des<br />
Verfahrens;<br />
n Aufwand und Kosten des Verfahrens;<br />
n Wirkungen der Vereinbarungen sind vollkommen unerforscht:<br />
Integrationsvereinbarungen als „zahnloser Tiger?“<br />
Integrationsvereinbarungen sind kein Allheilmittel<br />
Die Frage, ob IV Sinn machen, ist also nicht mit einem einfachen<br />
Ja oder Nein zu beantworten. Vielmehr ist die Antwort sehr stark<br />
an das Ziel, das damit erreicht werden soll, gebunden. IV sind<br />
kein Allheilmittel. Sie vermögen sicher nicht, Probleme von<br />
Arbeitslosigkeit, Armut oder Verschuldung dadurch zu bewältigen,<br />
dass deren Lösung terminlich vereinbart wird. Andererseits<br />
können sie verdeutlichen, dass es gesellschaftliche Ansprüche<br />
zur Integration gibt, zu denen beispielsweise das Erlernen der<br />
Landessprache gehört. Hilfe beim Finden und Finanzieren eines<br />
geeigneten Sprachkurses, bei alltäglichen Problemen und das<br />
Berücksichtigen individueller Stärken dürften sich positiv auf<br />
den Integrationsprozess auswirken. Die Tatsache, durch das<br />
Erreichen bestimmter definierter Ziele in einer verkürzten Zeitspanne<br />
einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu erlangen, wirkt als<br />
starker extrinsischer Anreiz.<br />
Je nach Zielrichtung und -gruppe sollten ein geeignetes Setting<br />
und ein entsprechender Verfahrensablauf gewählt werden.<br />
Zentrale Klärungen beziehen sich auf Prozesse und Instrumente<br />
zur Feststellung des Integrationsgrades und Sprachniveaus,<br />
auf die Definition der Ziele, die Auswahl von Maßnahmen,<br />
Aspekte und Zeitpunkte des Controllings, Festlegung von Konsequenzen.<br />
Von fundamentaler Bedeutung ist das Sicherstellen<br />
einer professionellen transkulturellen Übersetzung. Der Aufund<br />
Ausbau von Netzwerken mit anderen am Integrationsprozess<br />
beteiligten Stellen kann schließlich dem Ziel der best- und<br />
schnellstmöglichen Integration ebenfalls sehr dienlich sein.<br />
Prof. Dr. Eva Tov<br />
Fachhochschule Nordwestschweiz<br />
Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013 3
thema<br />
Anmerkungen<br />
1. Art. 54 AuG.<br />
2. PIÑEIRO, Esteban; BOPP, Isabelle; KREIS, Georg (Hrsg.): Fördern und<br />
Fordern im Fokus. Leerstellen des schweizerischen Integrationsdiskurses.<br />
Zürich : Seismo, 2009.<br />
3. Obwohl die Sprachkenntnisse zweifelsohne eine wichtige Grundlage<br />
von Integration darstellen, was sowohl von Behördenvertretungen<br />
als auch von Migrant(inn)en anerkannt wird, ist der in der Praxis von<br />
IV nahezu ausschließliche Fokus darauf zu problematisieren. Die<br />
Rechtfertigung des dafür betriebenen Aufwands im Vergleich zu<br />
einem nachweislichen Nutzen steht derzeit noch aus.<br />
4. TOV, Eva; PIÑEIRO, Esteban; ESER DAVOLIO, Miryam; SCHNORR, Valentin:<br />
Evaluation Pilotprojekt zur Einführung der Integrationsvereinbarung<br />
in den fünf Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Solothurn<br />
und Zürich. Schlussbericht, 2010, online unter:<br />
www.fhnw.ch/ppt/content/pub/intv/schlussbericht<br />
Modellprojekt<br />
3 Wie Integration verbindlicher wird –<br />
Erfahrungen aus dem Modellprojekt<br />
In Deutschland gibt es vielfältige Integrationsangebote. Doch oft<br />
haben Migrant(inn)en Schwierigkeiten, die für sie passenden<br />
Angebote zu finden. Notwendig ist daher eine von allen gelebte<br />
Willkommenskultur: Migrant(inn)en müssen frühzeitig und<br />
umfassend informiert werden, und es müssen möglichst passgenaue<br />
Angebote zur Verfügung stehen. Dies war das Ziel des<br />
Modellprojekts „Integration verbindlicher machen – Integrationsvereinbarungen<br />
erproben“ von April 2011 bis Ende 2012. Die<br />
bundesgeförderte Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer<br />
(MBE) sowie die Jugendmigrationsdienste (JMD) sollten<br />
gemeinsam mit Migrant(inn)en Integrationsprozesse planen,<br />
Schritte festlegen und darüber eine Vereinbarung treffen.<br />
An 18 Modellstandorten in Deutschland wurde der Einsatz<br />
von Integrationsvereinbarungen erprobt. Die individuellen Ziele<br />
und Integrationsbedürfnisse der Migrant(inn)en waren dafür<br />
der Ausgangspunkt. Die Integrationsvereinbarung ist ein sinnvolles<br />
Instrument im Handlungskonzept Case-Management, da<br />
sie den Ratsuchenden bestimmte Schritte in ihrem Integrationsprozess<br />
aufzeigt und eine strukturierte Integrationsplanung<br />
ermöglicht. Insgesamt wurden während des Projektes in 87 Beratungsstellen<br />
in Deutschland über 4000 Integrationsvereinbarungen<br />
mit Migrant(inn)en abgeschlossen. Im Rahmen der wissenschaftlichen<br />
Begleitung des Projektes wurden neben den<br />
Berater(inne)n erstmals die Ratsuchenden zu ihrer Zufriedenheit<br />
mit der Beratungsarbeit befragt.<br />
Das Instrument der Integrationsvereinbarung hat sich in der<br />
Erprobung als wirkungsvoll bei der Planung und Steuerung von<br />
Integrationsprozessen erwiesen. Die Vereinbarungen basieren<br />
auf einem gemeinsamen Verständnis von den Zielen, die zusammen<br />
von der Fachkraft der Beratungsstelle und dem/der Ratsuchenden<br />
erarbeitet und akzeptiert werden. Von entscheidender<br />
Bedeutung sind daneben die zielgerichtete Ausgestaltung und<br />
eine Ausgewogenheit der gegenseitigen Verabredungen. Alle IV<br />
werden auf freiwilliger, selbstbestimmter Basis zwischen Berater(in)<br />
und Ratsuchendem/r abgeschlossen. Da nicht Sanktionen<br />
der Ausgangspunkt für den Abschluss einer Integrationsvereinbarung<br />
sind, sondern der Wunsch nach besserer Integration, war<br />
– so die Ergebnisse der Befragung – die Motivation der Beratenen<br />
hoch, die vereinbarten Ziele zu erreichen.<br />
Weitere wichtige Erkenntnisse aus dem Modellprojekt sind:<br />
n Die Arbeit der Beratungsdienste wird von den Ratsuchenden<br />
als sehr positiv und hilfreich eingeschätzt.<br />
n Die im Beratungsprozess vereinbarten Ziele wurden in einem<br />
hohen Maße erreicht.<br />
n Die Rolle der Migrationsberatungsstellen im Netzwerk der<br />
kommunalen Integrationsarbeit wurde gestärkt.<br />
n Die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren vor Ort, insbesondere<br />
mit Ausländerbehörden und Jobcentern, konnte entscheidend<br />
verbessert werden.<br />
Das Modellprojekt hat gezeigt, dass die Integrationsvereinbarung<br />
mit Unterschrift von Ratsuchenden und Berater(inne)n ein<br />
Zeichen der Verbindlichkeit für beide Seiten ist. Das sagten auch<br />
die im Rahmen des Projektes befragten Ratsuchenden. Auf die<br />
Frage „Wie fanden Sie es, dass die Vereinbarung unterschrieben<br />
wurde?“, antwortete die Mehrheit der Befragten, dies hätte<br />
ihnen sehr geholfen. Dabei steht außer Frage, dass die Unterschrift<br />
der Ratsuchenden nur freiwillig sein kann. Die<br />
Berater(innen) merkten kritisch an, dass den Ratsuchenden der<br />
Abschluss von Integrationsvereinbarungen erklärt und zusätzlich<br />
zur sonstigen Arbeit dokumentiert werden müsse und somit<br />
Mehrarbeit verursache. Dazu sei darauf hingewiesen, dass der<br />
Einsatz von Integrationsvereinbarung nur in Fällen empfehlenswert<br />
ist, die einen längerfristigen Beratungsprozess erfordern.<br />
Als wichtig herausgestellt hat sich zudem, dass den Ratsuchenden<br />
die individuelle Integrationsvereinbarung ausgehändigt<br />
wird. Damit wird die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zum<br />
Ausdruck gebracht und Transparenz hergestellt.<br />
Das Modellprojekt hat darüber hinaus verdeutlicht, welch<br />
hohen Stellenwert eine effiziente Netzwerkarbeit und Kooperation<br />
der lokalen Akteure für eine gute Beratungsarbeit haben. Eine<br />
gute Vernetzung und Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure<br />
in der kommunalen Integrationsarbeit ist entscheidend dafür, dass<br />
Ratsuchende rasch und zielgenau an Angebote gelangen.<br />
Die Beratungsstellen sind bei der Ausführung ihrer Arbeit<br />
und dem Einsatz von Integrationsvereinbarungen auf die<br />
Zusammenarbeit mit verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen<br />
Akteuren der Integrationsarbeit angewiesen, zum Beispiel<br />
mit Ausländerbehörden, Jobcentern und Bildungsträgern.<br />
Die Integrationsvereinbarung ist hierbei nicht nur Zielvereinbarung<br />
zwischen Beratungsstelle und Migran t(in n)en, sondern<br />
4 Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013
thema<br />
auch Auftrag zur<br />
Zusammenarbeit für<br />
alle Beteiligten. Im<br />
Rahmen des Projekts<br />
wurden viele neue Formen<br />
der Kooperation<br />
und des Informationsaustauschs<br />
entwickelt.<br />
An vielen Orten wurden<br />
erfolgreich Reibungspunkte<br />
zwischen<br />
Institutionen erkannt,<br />
diskutiert und eine verbesserte<br />
Zusammenarbeit<br />
im Interesse einer<br />
zielführenden Integrationsarbeit<br />
organisiert.<br />
Ganz konkret hat<br />
das Modellprojekt<br />
etwa die Verbreitung<br />
und den Einsatz von<br />
Kooperationsvereinbarungen<br />
auf institutioneller Ebene vorangebracht. Dabei wurden<br />
nicht nur allgemeine Aussagen getroffen, sondern schriftlich<br />
fixiert, wie genau die Zusammenarbeit einzelner Institutionen<br />
mit den Beratungsdiensten mit Leben gefüllt werden soll. Die<br />
Zusammenarbeit der Integrationsakteure konnte dadurch vielfach<br />
auf eine verbindliche und verlässliche Basis gestellt werden.<br />
Dies wiederum hat die Rolle der Beratungsdienste in der Zusammenarbeit<br />
mit kommunalen Stellen gestärkt. Den Akteuren vor<br />
Ort wurden daneben Kenntnisse und Fertigkeiten für die Gründung,<br />
den Aufbau und die Pflege von gut funktionierenden<br />
Kooperationsstrukturen vor Ort vermittelt, um das kommunale<br />
Integrations- und Kooperationsmanagement zu verbessern und<br />
zu professionalisieren.<br />
Alle Ergebnisse des Modellprojektes wurden in einem Handlungsleitfaden<br />
(siehe abgebildetes Cover) zusammengefasst. Er<br />
soll sowohl Beratungsdiensten als auch der kommunalen Verwaltung<br />
den Nutzen von Integrationsvereinbarungen und die<br />
Bedeutung kommunaler Netzwerke verdeutlichen und durch<br />
Beispiele guter Praxis bei der Etablierung dieser Instrumente<br />
unterstützen. Besonderer Dank gilt den Berater(inne)n für ihr<br />
Engagement an den jeweiligen Modellstandorten sowie der<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege für die<br />
konstruktive Begleitung des Projektes. Der Handlungsleitfaden<br />
ist auf der Internetseite der Beauftragten der Bundesregierung<br />
für Migration, Flüchtlinge und Integration abrufbar unter<br />
www.integrationsbeauftragte.de<br />
Dr. Doris Dickel/Stefan Hank<br />
Arbeitsstab der Beauftragten der Bundesregierung für<br />
Migration, Flüchtlinge und Integration<br />
3 Wiesbaden erprobt das Projekt<br />
„Integration verbindlicher machen“<br />
Bei der Umsetzung des Modellprojektes in Wiesbaden hat die<br />
Kommune von Beginn an die Federführung in Form der Einbindung<br />
aller zu beteiligenden Akteure und der Steuerung des<br />
Prozesses übernommen. Dies mag auf den ersten Blick verwundern,<br />
denn die zentralen Akteure bei der Erprobung des Instrumentes<br />
der Integrationsvereinbarungen (IV) sind die Migra -<br />
tionsberater(innen) der freien Träger. Das Engagement der<br />
Kommune steht in engem Zusammenhang mit den institutionellen<br />
und konzeptionellen Ausgangs- und Rahmenbedingungen<br />
in Wiesbaden. Aus Sicht der an diesem Projekt beteiligten<br />
Akteure ist die Bewertung des Modellprojektes für Wiesbaden<br />
nicht unabhängig von den Startbedingungen vor Ort möglich.<br />
Institutionelle Rahmenbedingungen auf kommunaler<br />
Ebene sind Erfolgsfaktor für Kooperation auf Augenhöhe<br />
Die Landeshauptstadt Wiesbaden hat Zuwanderung und Integration<br />
sehr früh als wichtige kommunale Herausforderung und<br />
Steuerungsaufgabe verstanden und bereits 2001 Strukturen in<br />
Form eines neu organisierten Amtes – heute Amt für Zuwanderung<br />
und Integration – geschaffen.<br />
Konzeptioneller Grundgedanke des Amtes als „one-stopagency“<br />
ist die räumliche und inhaltliche Zusammenführung der<br />
wesentlichen Akteure im Hinblick auf die kommunale Umsetzung<br />
des Zuwanderungsgesetzes. Darüber hinaus gehören der<br />
Aufbau von Netzwerken und die Steuerung von kommunalen<br />
Integrationsmaßnahmen zum Aufgabenspektrum des Amtes.<br />
Von Beginn an wurde die Ausländerbehörde als die Fachabteilung,<br />
die mit der Erteilung von Aufenthaltstiteln eine Grundvoraussetzung<br />
für weitere Integrationsschritte schafft, als konstituierender<br />
Teil dieser neuen Verwaltungseinheit eingebunden. So<br />
wurde die Ausländerbehörde als gleichrangige Abteilung mit<br />
einer neu geschaffenen Integrationsabteilung, die mit der Steuerung<br />
der Umsetzung der integrationspolitischen Zielvorgaben<br />
betraut ist, unter dem Dach eines städtischen Amtes zusammengefasst.<br />
Der Integrationsabteilung zugeordnet sind darüber<br />
hinaus die Geschäftsstelle des Ausländerbeirates und die Einbürgerungsstelle.<br />
Die Berater(innen) der Migrationsberatung<br />
für erwachsene Zuwanderer (MBE) und des Jugendmigrationsdienstes<br />
(JMD) der <strong>Caritas</strong>, der Arbeiterwohlfahrt und des Internationalen<br />
Bundes wurden von Beginn an räumlich und organisatorisch<br />
in dieses Amt integriert und in konzeptionelle<br />
Überlegungen systematisch eingebunden.<br />
Darüber hinaus wurde ebenfalls unter Geschäftsführung der<br />
Kommune ein Netzwerk aller Sprachkursträger zur Koordination<br />
eines bedarfsgerechten Angebotes an Sprachkursen etabliert.<br />
In dieses Netzwerk, das mittlerweile seit zehn Jahren die Umsetzung<br />
der Integrationskursverordnung bewältigt, sind neben Vertreter(inne)n<br />
des Jobcenters, der Ausländerbehörde und des<br />
Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013 5
praxis<br />
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auch<br />
die Berater(innen) der MEB und JMD eingebunden. Neben<br />
räumlich kurzen Wegen waren damit bereits vor Projektbeginn<br />
Kommunikations- und Kooperationsstrukturen der Migrationsberatungsdienste<br />
mit der Integrationsabteilung, der Ausländerbehörde<br />
und den Sprachkursträgern etabliert.<br />
Von situativer Zusammenarbeit zu verbindlichen Regeln<br />
der Kooperation<br />
Unter Federführung der Amtsleitung wurde das Modellvorhaben<br />
in einer Steuerungsrunde mit Vertreter(inne)n der Migrationsdienste,<br />
der Ausländerbehörde, der Integrationsabteilung<br />
sowie des Jobcenters kommuniziert und die einzelnen Umsetzungsschritte<br />
koordiniert. Das Bundesprojekt war ein wichtiger<br />
Motor, mit dem Instrument der IV die aktuellen Formen der einzelfallübergreifenden<br />
Zusammenarbeit zwischen den Akteuren<br />
erneut zu hinterfragen, sie weiterzuentwickeln und zu optimieren.<br />
Im Ergebnis hat dieser Prozess dazu geführt, dass sich die<br />
Akteure mit ihren jeweiligen Rollen und Kompetenzen intensiver<br />
kennen- und wertschätzen gelernt haben, diese gegenseitig<br />
nutzen und Synergieeffekte deutlich wurden. Darüber hinaus<br />
wurden teilweise sehr konkrete Regeln der Zusammenarbeit<br />
festgelegt. Beispielsweise wurde vereinbart, dass die Ausländerbehörde<br />
nach jeder abgeschlossenen IV eine Nachricht in Form<br />
eines standardisierten Vermerkes, jedoch ohne die konkreten<br />
Inhalte der Vereinbarung, erhält. Ziel ist die systematische Information<br />
darüber, dass eine Person aktiv an ihrer Integration mitwirkt.<br />
Derartige Nachweise sind für aufenthaltsrechtliche Entscheidungen<br />
oft sehr wichtig.<br />
Umgekehrt kann der Abschluss einer IV zur weiteren Gestaltung<br />
des Aufenthaltes auch durch die Ausländerbehörde angeregt<br />
werden. Dieses Zusammenspiel ist ein Lernprozess. Die<br />
beteiligten Akteure treffen mit sehr unterschiedlichen Kompetenzen,<br />
Sanktionsmöglichkeiten und gesetzlichen Aufträgen<br />
oder einfach divergierenden Sichtweisen und Selbstverständnissen<br />
aufeinander. Die IV selbst soll die Wechselseitigkeit und<br />
Gleichberechtigung der Beteiligten in der Migrationsberatung<br />
zum Ausdruck bringen. Dies ist jedoch auch für die beteiligten<br />
Institutionen anzustreben.<br />
Hier kann die Kommune ihren Beitrag leisten, indem sie klare<br />
Signale setzt und Kommunikationsstrukturen initiiert, die ein<br />
möglichst wertschätzendes und ergebnisorientiertes Zusammenwirken<br />
der unterschiedlichen Fachverwaltungen untereinander<br />
und mit den Beratungsdiensten befördert.<br />
Ob und in welchen Fällen das Instrument der IV in der Beratung<br />
erfolgreich und sinnhaft zum Einsatz kommt, bleibt die Entscheidung<br />
der Berater(innen). Sicher scheint jedoch, dass ohne<br />
die beschriebene gute Kooperation und verlässliche Vernetzung<br />
auf Augenhöhe mit den anderen Institutionen die IV nicht zielführend<br />
wäre.<br />
Das Modellvorhaben hat die vorhandenen Kooperationsstrukturen<br />
intensiviert und verbessert sowie neue Koopera -<br />
tionswege zu Institutionen wie dem Jobcenter oder der<br />
Aus bildungsagentur erschlossen. Dies wird als großer Erfolg<br />
des Projektes bewertet sowie gleichermaßen als seine Bedingung.<br />
Aus diesem Grund hat sich die Stadt Wiesbaden gerne an dem<br />
Projekt beteiligt und die positiven Effekte genutzt, um die<br />
bereits etablierten Strukturen weiterzuentwickeln. Die Erfahrungen<br />
lassen jedoch auch folgende Entwicklung erkennen: Je<br />
erfolgreicher das Instrument auf dieser Basis zum Einsatz<br />
kommt, das heißt, je mehr der Wert der Integrationsvereinbarung<br />
und der Kooperation von den anderen Institutionen<br />
erkannt und wahrgenommen wird, umso mehr steigt die Zahl der<br />
Fälle in der Beratung und die Erwartung an die Arbeit der Beratungsdienste.<br />
Hinzu kommt, dass eine Vielzahl an Akteuren auf der Seite<br />
der Behörden wie Jobcenter, Ausbildungsagentur oder Ausländerbehörde<br />
einer wesentlich kleineren Zahl an Berater(inne)n<br />
auf der Seite der freien Träger gegenübersteht. Dies birgt die<br />
Gefahr, dass auf Basis der aktuellen Bemessung des Personals,<br />
dessen Kapazitätsgrenze bereits überschritten ist, die geweckten<br />
Erwartungen von den Beratungsdiensten nicht erfüllt werden<br />
können.<br />
Jeanine Rudolph<br />
Leiterin des Amtes für Zuwanderung und Integration Wiesbaden<br />
Praxis<br />
3 Die Integrationsvereinbarung als<br />
Instrument im Case-Management<br />
Erfahrungen aus der Praxis der Migrationsberatung<br />
Als Wiesbaden 2011 für das Bundesprojekt „Integration verbindlicher<br />
machen – Integrationsvereinbarungen erproben“ als<br />
einer von 18 Modellstandorten ausgesucht wurde, war den<br />
Migrationsberater(inne)n von <strong>Caritas</strong>verband (CV), Arbeiterwohlfahrt<br />
(AWO) und Internationalem Bund (IB) klar, dass mit<br />
dem Projekt keine zusätzlichen Mittel verbunden waren, wohl<br />
aber mehr Arbeitsaufwand. Trotzdem beteiligten sich alle engagiert<br />
an der Projektarbeit und stellten erfreut fest, dass diese<br />
positive Folgen für Wahrnehmung und Stellenwert ihrer Arbeit<br />
hatte.<br />
In Wiesbaden wurde das Projekt in eine gewachsene Struktur<br />
eingebettet, bei der Vernetzung und Kooperation schon seit vielen<br />
Jahren gezielt gefördert wurden. In der Landeshauptstadt<br />
wurde und wird Integration als Querschnittsaufgabe begriffen –<br />
daher auch die Schaffung eines eigenständigen Integrationsamtes<br />
der Stadt mit Integrationskonzept und -monitoring. Vom<br />
Zeitpunkt der Amtsgründung an waren die freien Träger in den<br />
Amtsräumen angesiedelt. Dies unterstützte die Entwicklung<br />
6 Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013
praxis<br />
einer engen, wertschätzenden, kooperativen Zusammenarbeit,<br />
die die Migrationsdienste der freien Träger bis heute miteinander<br />
und mit den Akteur(inn)en aus dem Amt für Zuwanderung<br />
und Integration praktizieren.<br />
Durch das Modellprojekt stieg das Interesse von außen an<br />
Inhalten und Methoden der Beratungsarbeit. Die unterschiedlichen<br />
und immer komplexeren Lebenssituationen der Ratsuchenden<br />
sowie die daraus resultierenden vielfältigen Bedarfslagen<br />
erfordern den Einsatz der Methode des Case-Managements<br />
(CM). Bevor jedoch der gewünschte Integrationsprozess (insbesondere<br />
hinsichtlich Spracherwerb und Arbeitsmarktzugang)<br />
eingeleitet werden kann, müssen bei vielen Klient(inn)en erst die<br />
Voraussetzungen dafür hergestellt werden – ob es nun um die<br />
Klärung aufenthaltsrechtlicher Angelegenheiten, dringenden<br />
Wohnungsbedarf oder andere existenzielle Fragen geht. Erst<br />
wenn die betroffenen Migrant(inn)en – mit Unterstützung der<br />
Berater(innen) – auch in Deutschland angemessen mit diesen<br />
Fragen umgehen können, sind sie in der Lage, sich auf den Integrationsprozess<br />
überhaupt einzulassen.<br />
Praktische Erfahrungen mit der Integrationsvereinbarung<br />
Während der Modellphase wurde die Integrationsvereinbarung<br />
(IV) ebenso wie der Förderplan im Rahmen des CM eingesetzt<br />
und in geeigneten Einzelfällen mit dem Ratsuchenden gemeinsam<br />
unterzeichnet. Bei der praktischen Arbeit fiel als wesentlichster<br />
Unterschied zum Förderplan auf, dass die IV nicht fortgeschrieben<br />
wird. Daraus ergab sich ein Diskurs über den<br />
angemessenen Umfang und die Komplexität der Integrationsvereinbarung:<br />
Während des Beratungsprozesses treten kontinuierlich<br />
neue Situationen und Vereinbarungsbedarfe auf beiden<br />
Seiten auf. Oft kommen durch die Zusammenarbeit mit anderen<br />
Stellen und Institutionen neue Teilziele und Aufgaben zustande.<br />
Die individuelle Unterstützung im Integrationsprozess kann<br />
nicht wie eine Checkliste abgearbeitet werden, sondern muss<br />
prozessorientiert erfolgen.<br />
Neben der Diskussion um die Integrationsvereinbarung als<br />
Handwerkszeug der Beratung wurde debattiert, welche Voraussetzungen<br />
die Klient(inn)en mitbringen müssen, damit sie erfolgreich<br />
eingesetzt werden kann. Ratsuchende reagieren höchst<br />
unterschiedlich auf eine Verschriftlichung ihrer Problemlagen<br />
und der Strategien für deren Bewältigung. Viele haben bereits<br />
Erfahrungen mit schriftlichen Vereinbarungen/Kontrakten in<br />
ihren Heimatländern oder in Deutschland gemacht. Während<br />
einige Ratsuchende die IV als hilfreich erachten, um strukturiert<br />
mit den eigenen Bedarfslagen umzugehen, wurden bei anderen<br />
bereits sämtliche Hilfesysteme und -strukturen durchdekliniert,<br />
ohne dass sie nennenswerte persönliche Erfolge verbuchen<br />
konnten.<br />
Wer schon einmal das Scheitern einer Vereinbarung (zum<br />
Beispiel Eingliederungsvereinbarung mit dem Jobcenter, Aufnahme<br />
von Erwerbstätigkeit, Wohnungssuche) erlebt hat, wird<br />
beim Unterschreiben einer Integrationsvereinbarung eher<br />
zögern. Andererseits gibt es Lebenssituationen, in denen Ratsuchende<br />
so unter Druck stehen, dass sie alles unterschreiben würden,<br />
wenn sie sich davon Erleichterung versprechen. Angesichts<br />
dieser Unterschiede muss der/die Berater(in) gemäß dem Einzelfall<br />
agieren, wobei es das wichtigste Ziel bleibt, die Ratsuchenden<br />
im Rahmen des CM-Prozesses zur eigenverantwortlichen<br />
Partizipation anzuleiten. Nur dann kann eine IV oder ein<br />
Förderplan erfolgreich eingesetzt werden.<br />
Dafür müssen die Mitarbeiter(innen) der Migrationsberatung<br />
für erwachsene Zuwanderer (MBE) und des Jugendmigrationsdienstes<br />
(JMD) pädagogisch professionell handeln, hohes<br />
empathisches Einfühlungsvermögen mitbringen, ebenso wie<br />
Kreativität, um die IV aus dem theoretischen Ansatz in die Beratungspraxis<br />
zu übersetzen. Dies kann im Idealfall heißen, dass<br />
für eine(n) Ratsuchende(n) die Vereinbarung zum Beispiel auf<br />
nur ein Ziel und die zugehörigen Teilziele reduziert wird, damit<br />
er/sie in kürzeren Zeitabständen nachweisliche Erfolge erfährt<br />
und motiviert bleibt.<br />
Viel diskutiert wurde auch über die Verbindlichkeit der Integrationsvereinbarung,<br />
die allein mit einer Unterschrift nicht herzustellen<br />
ist. Obwohl die IV freiwillig getroffen wird und keine<br />
Sanktionsmöglichkeiten vorsieht, ergibt sich ihre Verbindlichkeit<br />
aus der Lebenssituation der/des Ratsuchenden ebenso wie<br />
aus der Qualität des Verhältnisses zwischen Berater(in) und<br />
Klient(in). Dabei kann der Klientin oder dem Klienten kein tatsächlicher<br />
Erfolg zugesagt, sondern nur aufgezeigt werden, wel-<br />
Impressum<br />
neue caritas Migration und Integration – Info<br />
PO LI TIK PRA XIS FOR SCHUNG<br />
Re dak ti on: Roberto Alborino (ver ant wort lich), Stefan Peetz, Manuela Blum,<br />
Karls tra ße 40, 79104 Frei burg<br />
Re dak ti ons sek re ta ri at: Catia Mazzocchi, Tel. 0761/200-511, Fax: 200-211<br />
E-Mail: migration.integration@ca ri tas.de<br />
Ver trieb: Ru pert We ber, Tel. 0761/200-420, Fax: 200-509,<br />
E-Mail: zeitschriftenvertrieb@ca ri tas.de<br />
Ti tel fo to: Rido/fotolia.com<br />
Nach druck und elekt ro ni sche Ver wen dung nur mit schrift li cher Ge neh mi gung.<br />
He raus ge ge ben vom Referat Migration und Integration,<br />
Deutscher <strong>Caritas</strong>verband e.V. in Frei burg<br />
Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013 7
praxis<br />
che Perspektiven ihm oder ihr der Beratungsprozess eröffnen<br />
könnte.<br />
Durch das Projekt wurden in Wiesbaden bestehende Strukturen<br />
und Formen der Zusammenarbeit auf eine neue qualitative<br />
Ebene gebracht und die MBE/JMD als kompetente Schnittstelle<br />
im Integrationsprozess wahrgenommen und etabliert.<br />
Besonders deutlich wird die Anerkennung der Berater(innen)<br />
und ihres professionellen Handelns dadurch, dass die Ausländerbehörde<br />
in Einzelfällen den Abschluss von IV berücksichtigt<br />
oder sogar anregt.<br />
Erfolg hängt von Rahmenbedingungen der Beratung ab<br />
Insgesamt zeigten die Erfahrungen mit dem Einsatz der Integrationsvereinbarung,<br />
dass ihre Erfolgsaussichten – ebenso wie<br />
bei Förderplänen und anderen Instrumenten im Prozess der<br />
Integrationsberatung – entscheidend von den Rahmenbedingungen<br />
der Beratung abhängen. Voraussetzung für das Gelingen<br />
ist eine gute Kooperation mit allen auf kommunaler Ebene am<br />
Integrationsprozess Beteiligten. Neben der allgemeinen Vernetzung<br />
ist wichtig, dass die Migrationsberatung (MBE) beziehungsweise<br />
der Jugendmigrationsdienst (JMD) in ihrer Schnittstellenfunktion<br />
zwischen Klient(inn)en und verschiedenen<br />
Institutionen oder Personen anerkannt ist. Damit sie ihre Aufgaben<br />
professionell und qualifiziert erfüllen kann, bedarf es<br />
einer entsprechenden personellen und materiellen Ausstattung.<br />
Nur wenn die Migrationsberatung gleichberechtigter Partner im<br />
gemeinsamen Bemühen um einen erfolgreichen Integrationsprozess<br />
ist, kann sie ihrer Vermittlungsaufgabe zwischen Ratsuchenden<br />
und Aufnahmegesellschaft gerecht werden – unter<br />
Zuhilfenahme der Integrationsvereinbarung oder anderer Beratungsinstrumente.<br />
Janine Molitor-Kasonde<br />
CV Wiesbaden-Rheingau-Taunus<br />
Einrichtungsleiterin Migrationsdienst<br />
NACHGEDACHT<br />
Verbindlichkeit für alle!<br />
Bernward<br />
Hellmanns<br />
Referent für Migra - Das Projekt „Integration<br />
tion und Integration,<br />
verbindlicher machen – Integrationsvereinbarungen<br />
DiCV Speyer<br />
E-Mail: bernward.<br />
hellmanns@caritasspeyer.de<br />
erproben“ wurde zu Projektbeginn<br />
von den Fachdiensten<br />
der Verbände aufgrund<br />
seiner erwarteten Schwerpunktsetzung auf dem Abschluss<br />
von Vereinbarungen zwischen Ratsuchenden und<br />
Beratenden kritisch gesehen. Dies war mein Eindruck in der<br />
Projektbegleitung am Standort Ludwigshafen.<br />
Diese Sichtweise hat sich im Projektverlauf gewandelt. Nur indem<br />
die Projektinhalte gleich gewichtet werden – einerseits die<br />
Erprobung von Integrationsvereinbarungen, andererseits die<br />
Initiierung beziehungsweise der Ausbau von Kooperationen<br />
der in der Integrationsarbeit tätigen Institutionen vor Ort –, bestehen<br />
Chancen für einen nachhaltigen Veränderungsprozess<br />
der regionalen Integrationslandschaft zum Nutzen der Migrant(inn)en.<br />
Dies hatten die Projektverantwortlichen des Büros<br />
der Integrationsbeauftragten des Bundes sehr schnell erkannt.<br />
Was bleibt? Der mit hohem personellem und zeitlichem Aufwand<br />
durchgeführte Prozess hat zu verbindlichen Kooperationsvereinbarungen<br />
der teilnehmenden Institutionen geführt,<br />
die nun auch kontinuierlich mit Leben gefüllt werden müssen.<br />
In Ludwigshafen (und hoffentlich auch an anderen Standorten)<br />
haben wir in den Vereinbarungen eine Unterscheidung zwischen<br />
Migrant(inn)en erster und zweiter Klasse verhindern können.<br />
Die Kooperationsabsprachen der beteiligten Institutionen<br />
beziehen sich auf alle Ratsuchenden.<br />
Die Notwendigkeit, mit den Musterintegrationsvereinbarungen<br />
Erfahrungen zu sammeln und auszutauschen, hat zwischen<br />
den beteiligten Fachdiensten der Verbände zu einer intensiven<br />
inhaltlichen Diskussion über die Art und Weise der geleisteten<br />
Einzelfallarbeit geführt. Diesen produktiven Prozess lohnt es<br />
sich weiterzuverfolgen.<br />
Ohne eine intensive Absprache der Verbände untereinander<br />
wären unsere Vorstellungen gegenüber den weiteren Beteiligten<br />
nicht umzusetzen gewesen. Als Liga der Wohlfahrtsverbände<br />
in der Stadt Ludwigshafen haben wir an Durchsetzungsfähigkeit<br />
in der kommunalpolitischen Landschaft gewonnen.<br />
Diese Erfahrung gilt es zu pflegen.<br />
Ohne passgenaue Instrumente der Integrationsförderung wird<br />
es für viele Migrant(inn)en keine oder nur geringe Fortschritte<br />
geben, ob mit oder ohne Integrationsvereinbarung, ob mit oder<br />
ohne Unterschrift. Vor Ort müssen solche Instrumentarien vor<br />
dem Hintergrund der Projekterfahrungen von den beteiligten<br />
Fachdiensten, Behörden, den Migrantenorganisationen und<br />
den weiteren Beteiligten erstritten werden. Die Bundesregierung<br />
sollte ihren Teil dazu beitragen, indem sie den entsprechenden<br />
gesetzgeberischen und administrativen Rahmen<br />
schafft.<br />
Ihr Bernward Hellmanns<br />
8 Migration und Integration – Info 2 • Mai 2013