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Ein Blick in's Buch - Michael Imhof Verlag

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IV | Kronenkreuz, Gesamtansicht des Querbalkens


60 | DAS KRONENKREUZ: EIN KREUZ AUS ZWEI KRONEN<br />

Die beiden Kronen an der Kreuzfront: Beschaffenheit, Struktur, Format, künstlerisches Programm, handwerkliche Ausführung | 61<br />

8 | Erec-Krone, Segmente 1–2 von rechts<br />

Punkt. Die beiden unteren gehören dem Basisteil des Dreiblatts<br />

an, die oberen dem konvexen Bogenabschnitt. An die Außenränder<br />

der letzteren schließt sich in der exakten Linienführung<br />

eines Eselsrückens eine konkave Krümmung als unmittelbares<br />

Gerüst für die den Raum zur Spitze hin füllende Adlerfigur an<br />

. Der Adlerhals ist mit der Spitze dieses Rankenwerkgerüstes<br />

jeweils über zwei ziselierte Stützen verlötet, der<br />

Kopf ragt aus einer solchen Verankerung weit nach vorne. Die<br />

beidseitigen Ausbuchtungen und <strong>Ein</strong>schnitte des Giebels treten<br />

in einer durchdachten Korrespondenz zwischen dem geschweiften<br />

Kontursteg und den zierlichen Schenkeln der Rankenwerkkonstruktion<br />

als doppelte Formwiederholung in Erscheinung:<br />

Der Kontursteg grenzt den Giebelbereich ein, die sich eng daran<br />

schmiegenden Figurenkreise zeichnen aber seinen geschwungenen<br />

Verlauf nicht einfach nach, sondern bestimmen ihn – im<br />

Sinne einer Korrelation – mit. Die auf einem System von gekrümmten<br />

Häkchen beruhende Verbindung der filigranen, oben<br />

gipfelnden Umrisslinie der figürlichen Dekoration im Rankenwerk<br />

mit dem Kontursteg schafft gegenüber der noch zu besprechenden<br />

Rechteckpartie ein zusätzliches Höhenniveau und<br />

erzeugt somit eine gesteigerte Tiefenwirkung . Auf der Höhe der <strong>Ein</strong>schnitte weitet sich die äußere<br />

Kante des Konturstegs links und rechts laschenförmig zu<br />

Ösen zur Befestigung des nach außen ragenden Perlenschmucks<br />

aus . Zusammen mit<br />

9 | Erec-Krone, Giebelfeld des 2. Segments von links 10 | Erec-Krone, Kästchen des 3. Segments von links<br />

11 | Kronenkreuz, mittlere Zone um das Giebelfeld des 6. Segments<br />

der Erec-Krone<br />

den durchbohrten Spitzen – ebenfalls zur Befestigung des Perlenschmucks<br />

– stellten sie einst die Verbindung des Giebels mit<br />

der ursprünglichen Goldblechunterlage her, über die jedes Segment<br />

einzeln verfügte und die als glatter, glänzender Hintergrund<br />

des Ajour-Teils diente.<br />

Am zweiten Segment ist an den für die Ösen vorgesehenen Stellen der<br />

Goldsteg beidseitig ausgebrochen , am vierten – dem<br />

Zerstörungsgrad seines Giebelfeldes entsprechend – fehlt er nahezu<br />

gänzlich; übrig blieb lediglich ein Stumpf über dem linken Eckstein,<br />

rechts besteht noch ein entlang der Rankenwerkschlaufe der hier einzigen<br />

erhaltenen Figur (4D) verlaufendes Fragment mit dem Relikt<br />

der hinzugehörigen laschenförmigen Ausbuchtung .<br />

Das sechste Segment verfügt heute über nur eine Lasche links, symmetrisch<br />

rechts fehlt sie samt einem Stück des Goldstegs . Am achten Segment hat sich der Goldsteg, einschließlich der<br />

beiden Ausbuchtungen, komplett erhalten . Am<br />

zehnten Segment präsentiert sich nur die linke Lasche intakt, diejenige<br />

auf der gegenüberliegenden Seite ist beschädigt . Ursprünglich waren wohl alle Giebelspitzen so hoch und halbrund<br />

abgeschlossen wie diejenige des sechsten Gliedes in der Kreuzmitte<br />

. Vermutlich<br />

machte die Montage der Krone am Querarm deren Angleichen<br />

an die Zackenumrisse erforderlich, so dass die darüber hinausragenden<br />

Stellen (siehe zweites, achtes und zehntes Segment) zurückgenommen<br />

werden mussten . An jedem erhaltenen<br />

Scheitel eines größeren Segments ist aber immer noch deutlich<br />

eine Lochung zu erkennen.<br />

Von den vier Kreisen führen einzelne Golddrahtfäden zu einem<br />

durchbohrten Plättchen. Ihre Höhe nimmt von der starken Wölbung<br />

zur Mitte hin ab. Auf diesem Plättchen sind die steil emporragenden<br />

Kastenkelchfassungen der Edelsteine befestigt . Ursprünglich war dieses Gefüge mit<br />

der Segmentunterlage vernietet. Von unten kommen daran zwei<br />

stängelartige Rankenwüchse heran, die aus der Schnittstelle zwischen<br />

den unteren Kreisen und dem die Trennlinie von Giebel<br />

12 | Kronenkreuz, mittlere Zone um das Giebelfeld des 6. Segments<br />

der Erec-Krone, <strong>Blick</strong> von der Seite<br />

zu Rechteck bildenden Kontursteg 'sprießen'. Die oberen Teile<br />

der Stiele beschreiben dabei eine Schlaufe (sie fällt größtenteils<br />

mit dem jeweiligen Rankenwerkkreis zusammen) und enden in<br />

einem größeren Blatt, die unteren richten sich zur Seite und<br />

verbinden ihre winzigen, beidseitig ausladenden Blättchen vorne<br />

(auf der Stufe der Wölbung) mit dem Rankenwerkgebilde des<br />

oberen Rechteckteils, hinten (in der Tiefe der Grundkonstruktion<br />

der Segmente) dagegen mit dem Kontursteg. Aus dessen<br />

Mitte steigt ein senkrechter Draht als Verstärkung dieses Komplexes<br />

bis zum Plättchen hinauf. Um das Kästchen herum ist<br />

die Rankenwerkdekoration wie eine Bordüre umlaufend angelegt;<br />

sechs weitere Figuren sind darin paarweise aufeinander bezogen<br />

. In allen vier Ecken weitet sich<br />

der Innenrand des Konturstegs ebenfalls zu durchbohrten Plättchen<br />

aus. Oben sind daran zwei in Kastenkelchfassungen montierte<br />

Steine befestigt, unten stehen sie meist leer oder wurden,<br />

wohl nachträglich, mit Perlen versehen. Zusammen mit den<br />

Scharnieren und dem Kästchen bildete auch dieser ursprünglich<br />

an der Goldblechunterlage des Segments aufgenietete Besatz einen<br />

festen Verbindungspunkt zwischen der Ajour-Dekoration<br />

13 | Erec-Krone, Gesamtansicht des 6. Segments von oben


84 | DAS KRONENKREUZ: EIN KREUZ AUS ZWEI KRONEN<br />

massiven und dadurch wuchtig wirkenden Krönungsinsignien,<br />

den Helmkronen und Herrschaftszeichen, die man den Regenten<br />

bei der Grablegung mitgab, oder den in sakralen Räumen<br />

als Abbilder des Himmlischen Jerusalems dienenden Hängekronen,<br />

fungierten solche subtilen, ausgewogen proportionierten,<br />

aber nicht minder kostbaren Kleinode als Distinktorien. 158<br />

Man bediente sich ihrer im demonstrativen und ostentativen<br />

Sinne, also immer dann, wenn der gehobenen Position, der Nobilität<br />

und Dignität durch angemessene Kleidung und Attribute<br />

Nachdruck verliehen werden sollte: bei vornehmen Auftritten<br />

im Alltag, festlichen Anlässen von politisch-rechtlichem Charakter<br />

(<strong>Ein</strong>zügen, Audienzen, Empfängen von Gesandtschaften<br />

und Huldigungen, Banketten, Turnieren) sowie Hochzeits- und<br />

Thronbesteigungszeremonien. 159 Sie zeichneten ihre Träger in<br />

ihrem herausragenden hierarchischen Rang aus – gemeint ist<br />

die Führungsschicht auf den obersten Stufen der Regierungsgewalt:<br />

der Kaiser, der König und die Fürsten als hochadelige<br />

Amtsinhaber im Grad zwischen Herzog und Graf – ohne zum<br />

majestätischen Ernst zu verpflichten, sublimierten also in einer<br />

gewissen Weise den zur Würde gehörenden Splendor. Dem<br />

höchsten Stellenwert innerhalb des Ornats entsprechend, gebührte<br />

ihnen auch die größte Aufmerksamkeit. 160 Sie leisteten,<br />

was die von einem Herrscher auf den anderen übergehenden,<br />

Achtung gebietenden Regalien als Kleinode des Reiches nicht<br />

vermochten: bei aller zelebrierten Magnifizenz die einzigartige<br />

Persönlichkeit ihres Trägers zu betonen, ihn nicht nur vorteilhaft,<br />

ja überwältigend, sondern zugleich noch unverkennbar aussehen<br />

zu lassen. In dieser Akzentverschiebung vom Nachweis der<br />

Rechtmäßigkeit der Herrschaft, von der Glorie der Macht auf<br />

den raffinierten Ausdruck von deren legitimer Ausübung konstituierte<br />

sich eine unauflösbare Bindung solchen – wohl treffend<br />

als Privatkrone zu benennenden – Kopfschmucks an seinen Besitzer<br />

bzw. Auftraggeber.<br />

Anders als im Falle der großformatigen bis monumentalen ikonographischen<br />

Programme, die sowohl durch ihre Ausmaße als<br />

auch durch die Bindung an Räume von meist offiziellem Charakter<br />

(mit breiterer Zugänglichkeit) dazu prädestiniert waren,<br />

Bildung, literarischen Geschmack sowie individuelle Ansprüche<br />

effektvoll zur Geltung zu bringen, waren die vorwiegend winzigen<br />

figürlichen Darstellungen auf beweglichen Erzeugnissen<br />

der Goldschmiedekunst – zu denen die Diademe zählen – für<br />

ein größeres Publikum unerreichbar. Ihre durch den konkreten<br />

Verwendungszweck vorbestimmte Form wirkte sich als äußere<br />

Rahmenbedingung entscheidend auf die Organisation der darin<br />

eingegliederten Bilder aus. Sie rechtfertigt so manche strukturelle<br />

Eigenheit ihres räumlichen bzw. erzähltechnischen Arrangements.<br />

Der dem Künstler auf ohnehin kleinen Projektionsflächen<br />

des monochromen Werkstoffs zur Verfügung stehende<br />

Platz musste minuziös genutzt werden; so blieb häufig kein Freiraum<br />

mehr für eine zusätzliche Ausstattung (Ambiente, Landschaft<br />

oder Innenraumeinrichtung) übrig. Die Umsetzung komplexerer<br />

Themen in eine szenische Folge ging nach einem klar<br />

umrissenen System von Zeichen, Konfigurationen und Anordnungsregeln<br />

vor sich, lesbar allein für diejenigen, die diesen<br />

Code bis in die <strong>Ein</strong>zelheiten zu entschlüsseln wussten (mit dem<br />

betreffenden Konzept vertraut waren, seine 'Sprache' beherrschten<br />

oder durch den Zugriff auf ähnliche Vermittlungsmodelle<br />

eine adäquate Erschließungsleistung erbringen konnten). Daher<br />

zerfällt die Wirkung der solche Zyklen integrierenden Kleinode<br />

in zwei strikt auseinanderzuhaltende Bereiche: den repräsentativ-perzeptiven<br />

und den exklusiv-rezeptiven. Der erste erschöpft<br />

sich in der visuellen Aufnahme ihrer äußeren, von weitem sichtbaren<br />

Erscheinung, im allgemeinen Erkennen ihrer Form und<br />

Farbigkeit, in der Bewunderung der verwendeten Materialien<br />

und allenfalls in der Kunde vom narrativen Charakter ihrer Dekoration.<br />

161 Im Vordergrund der Wahrnehmung steht hier der<br />

Gegenstand als Ganzes, sein Reichtum an Edelsteinen und die<br />

Pracht des Goldes. Der zweite Schritt verschließt sich dem beliebigen<br />

Betrachter. Es geht dabei um einen vertieften, über die<br />

Schmuckfunktion hinausgehenden <strong>Ein</strong>blick in die inneren<br />

Strukturen, das bewusste Erfassen inhaltlicher Dimensionen.<br />

Erst diese verstehende Stufe erlaubt Reflexionen über alle in der<br />

kompositorischen <strong>Ein</strong>heit des Kleinods angebotenen Sinnebenen<br />

sowie einen Austausch bzw. ein Werturteil über seine ästhetische,<br />

stilistische und technische Qualität. Nur sie machen ein Kunstwerk<br />

wie die Erec-Krone in seiner Gesamtheit begreifbar. Die<br />

volle Teilhabe daran war Privileg einer begrenzten Gruppe aus<br />

dem unmittelbaren Umfeld des hier in Frage kommenden Be-<br />

158 Zum Gebrauchszusammenhang derartiger<br />

Kleinode vor dem Hintergrund der Vielfalt<br />

der dafür verwendeten Bezeichnungen (Krone,<br />

Diadem, Kranz, chapel bzw. chappel, bandeau,<br />

cercle) und selten evidenter Bedeutungsunterscheidung<br />

zwischen ihnen siehe: L’inventaire<br />

du trésor du dauphin futur Charles V 1363.<br />

Les débuts d’un grand collectionneur, hg. von<br />

Danielle Gaborit-Chopin, Nogent-le-Roi<br />

1996, S. 31f. (Anm. 7). Siehe auch Ott, Krone<br />

und Krönung, S. 179–210.<br />

159 Insbesondere die Verlobungs- und Hochzeitszeremonien,<br />

an denen man die Brautpaare<br />

prachtvoll geschmückt erwartete, sowie Thronbesteigungsfeiern<br />

boten die besten und wohl<br />

häufigsten Anlässe zur Schenkung von Kleinoden.<br />

Die Kreationen, die diese Ereignisse hervorgebracht<br />

hatten, waren nicht nur Ausdruck<br />

höfischen Brauchtums, sondern resultierten<br />

mitunter aus Eheverträgen. In der Komposition<br />

der Brautkronen berücksichtigte man oft<br />

Erkennungszeichen dynastischer Abstammung<br />

der involvierten Persönlichkeiten. Vgl. Klejnoty<br />

monarsze, S. 23f., 34–37; Lightbown, Mediaeval,<br />

S. 60, 66–72; Horst Wenzel, Repräsentation<br />

und schöner Schein am Hof und in<br />

der höfischen Literatur, in: Höfische Repräsentation.<br />

Das Zeremoniell und die Zeichen,<br />

hg. von Hedda Ragotzky und Horst Wenzel,<br />

Tübingen 1990, S. 171–208; Ulrich Engelen,<br />

Die Edelsteine in der deutschen Dichtung des<br />

12. und 13. Jahrhunderts (Münstersche Mittelalter-Schriften<br />

27), München 1978, S. 125–<br />

133. Siehe auch theoretische Überlegungen<br />

zur Kultur des Schenkens im sozialen System<br />

des Hofs und im Medium der höfischen Kommunikation<br />

von Jan Hirschbiegel, Étrennes.<br />

Untersuchungen zum höfischen Geschenkverkehr<br />

im spätmittelalterlichen Frankreich der<br />

Zeit König Karls VI. (1380–1422), München<br />

2003, S. 111ff.<br />

160 Joachim Ott unterstreicht die Erhabenheit des<br />

für den vornehmsten Körperteil des Menschen<br />

geschaffenen Schmucks und die Beachtung,<br />

die ihm alleine aufgrund dieser Eminenz zukommt.<br />

Vgl. Die Frühgeschichte von Krone<br />

und Krönung, S. 122.<br />

161 Władysław Stroner erörtert in seinem Beitrag<br />

zum Kronenkreuz (Złoty krzyż, Sp. LXXV–<br />

VI) die bei der Schaffung mittelalterlicher Diademe<br />

an den Tag gelegte Bestrebung, selbst<br />

auf eine größere Entfernung berechnet einen<br />

möglichst herrlichen <strong>Ein</strong>druck hervorzurufen<br />

und alle Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen.<br />

XX | Erec-Krone, Gesamtansicht des 2. Segments


Die Erzeugnisse der spätromanischen Goldschmiedekunst – ein Nachklang | 209<br />

28b | Krone der Sigismundherme im Płocker Domschatz, front- und rückseitige Gesamtansicht<br />

28a | Büstenreliquiar des hl. Sigismund im Płocker Domschatz


242 | DIE KRAKAUER KRONEN IN IHREM KUNSTHISTORISCHEN UMFELD<br />

Die Erzeugnisse der spätromanischen Goldschmiedekunst – ein Nachklang | 243<br />

Die rheinländische Fibel<br />

Dieses in Mainz gefundene, 1875 aus dem Frankfurter Kunsthandel<br />

vom Mittelrheinischen Landesmuseum erworbene, goldene<br />

Schmuckstück wurde 1962 restauriert, was Ergänzungen<br />

im Filigran und Steinschmuck nach sich zog. 881 Dietrich<br />

Kötzsche datiert es in das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts<br />

und sieht in seiner Form, der durchbrochenen Scheibe,<br />

eine Fortführung des lokal nachweisbaren ottonischen Typus<br />

der Adlerfibeln aus dem Schatz der Kaiserin Agnes. Zur Verbreitung<br />

der hier vorkommenden Filigranart im Rheinland (gelegentlich<br />

auch im Maasgebiet) räumt er relativierend ein, dass<br />

diese nur selten in Gold anzutreffen sei. 882<br />

Das Zentrum der auf einer runden Unterlageplatte applizierten<br />

Dekoration bildet ein großer, vierkrallig umklammerter, durchbohrter<br />

Cabochon, von dem sechs spitzovale Blätter – wie auf<br />

der Motala-Brosche – sternförmig ausgehen. Sie reichen bis<br />

zur inneren Begrenzung der kreisförmigen Umrandung, die<br />

41 | Sog. rheinländische Fibel im Mittelrheinischen Landesmuseum<br />

Mainz<br />

von einem dünnen, sich schneckenförmig einrollenden und<br />

in die Höhe wölbenden Filigran (aus gezogenem Draht) überzogen<br />

ist, mit eingestreutem, einfach gefasstem Steinschmuck.<br />

883 Seine vom Grund gelöste Anlage sowie die Schlaufenführung<br />

kommen dem Rankenwerk der Krakauer Kronen<br />

nahe.<br />

Das Vortragekreuz aus der Zisterzienserabtei Tennenbach<br />

Das um 1260/70 entstandene, 56,3 cm hohe Kreuz aus vergoldetem<br />

Silber ist für die beidseitige Beschauung konzipiert . Es hat seit 1631 eine Reihe von Ortswechseln erfahren.<br />

Seine vorletzte Aufenthaltsstation vor der heutigen Aufbewahrung<br />

im Kloster Wettingen-Mehrerau bei Bregenz (ab 1964)<br />

war das Museo Cristiano des Vatikans. „Seinem Stilcharakter<br />

nach ist es schon ganz der Frühgotik zuzurechnen, wenn auch<br />

in der Form oder beim Filigran Zusammenhänge mit spätstaufischer<br />

Kunst deutlich werden.“ 884 Auf der Vorderseite umspielt,<br />

dem Typus des verklärten Kreuzes (crux gemmata) folgend, ein<br />

dichtes, getriebenes Wein- und Eichenlaub die entlang den Rändern<br />

der Kreuzarme in einer Reihe angeordneten Edelsteine<br />

und Gemmen. 885 In der Mittelrippe wechseln einander Adler<br />

und Löwen ab . Dieselben, allerdings größer gestalteten<br />

Tiere sind den halbrunden Feldern der Vierpässe eingefügt<br />

. Ihre Anbringung in einer ringförmigen Vorrichtung<br />

entspricht der Befestigung analoger Plastiken an dem<br />

wohl gleichzeitig entstandenen Kreuz aus Pistoia und indirekt<br />

auch der Anlage des Erec-Zyklus in den Erzählsequenzen der<br />

Giebelfelder.<br />

Die Nähe dieser reliefartig angelegten, mit Tierreihen belebten<br />

Rankenwerkdekoration zur künstlerischen Ausgestaltung der<br />

Krakauer Kronen ist schon früh erkannt worden. Die publizierten<br />

Abbildungen genügten allerdings lange nicht, um diesen<br />

Befund im <strong>Ein</strong>zelnen zu überprüfen. Deutlich zeigte sich immerhin,<br />

dass das Rankengerüst hier zwar auch über dem Grund<br />

schwebt, jedoch keine eigentliche Tiefenstaffelung erreicht. Es<br />

fehlen die die Höhenabstufung der Wölbung regulierenden Ausladungen<br />

und Stützen. Auch wirkt die Zeichnung der Tiere<br />

schematisch und vergleichsweise nachlässig. 886<br />

Johann <strong>Michael</strong> Fritz bekräftigt die Richtigkeit dieser Wahrnehmung<br />

anhand von Detailaufnahmen aus seinem privaten Fotoarchiv, die<br />

881 <strong>Ein</strong>e Abbildung bei Steingräber (Alter<br />

Schmuck, Abb. 22) dokumentiert seinen Zustand<br />

vor der Instandsetzung. Es ist unter der<br />

Nummer N 2633 inventarisiert.<br />

882 Vgl. Die Zeit der Staufer, Kat. 606. Ähnliche<br />

Filigrandekoration ist an zwei Armreliquiaren<br />

aus Köln (nach 1222, vergoldetes Kupfer, Grubenschmelz,<br />

Steinbesatz), an einer ebenfalls<br />

rheinländischen Fibel aus dem Museo Nazionale<br />

del Bargello in Florenz (um 1220–1240,<br />

vergoldetes Silber, Steinbesatz), am Aachener<br />

Reliquienkreuz (um 1230/40, vergoldetes Silber,<br />

Edelsteine, Perlen, Nielli) sowie am Aachener<br />

Marienschrein (um 1220–1239, Eichenholz,<br />

vergoldetes Silber, Email, Edelsteine)<br />

vorzufinden. Siehe in dieser Reihenfolge: Ornamenta<br />

Ecclesiae, Bd. 2, S. 261ff. (Kat. E 52–<br />

53); Die Zeit der Staufer, Bd. 1, Kat. 569 und<br />

605; Ornamenta Ecclesiae, Bd. 3, S. 113–115<br />

(Kat. H 31); Krönungen, Bd. 1, Kat. 5.43.<br />

883 Das spiralig gedrehte Filigran innerhalb der<br />

sechs Blätter ist flächig montiert.<br />

884 Vgl. Fritz, Goldschmiedekunst, Kat. 62–63.<br />

885 Seine Nähe zum Blattfiligran der sog. Heinrichskrone<br />

aus der Schatzkammer der Residenz<br />

München ist unverkennbar. Vgl. Thoma/<br />

Brunner, Schatzkammer, Kat. 13.<br />

886 Vgl. Kohlhaussen, Oberrheinische Kunst, S.<br />

60f. (Abb. 7); Heuser, Oberrheinische Goldschmiedekunst,<br />

Abb. 725–726. Erst Markus<br />

Tretter lieferte für den Ausstellungskatalog<br />

'Gold. Schatzkunst zwischen Bodensee und<br />

Chur' (hg. von Tobias G. Natter, Ostfildern<br />

2008, S. 123–127) Ansichten des Objekts, an<br />

die weiterführende Untersuchungen anknüpfen<br />

können. Ich bin auf diese Veröffentlichung<br />

dank dem Hinweis von Pater Kassian Lauterer<br />

aus der Abtei Wettingen-Mehrerau gestoßen,<br />

allerdings schon nach abgeschlossener Überarbeitung<br />

meines Manuskripts (während der<br />

Komplettierung der Abbildungsvorlagen), erhielt<br />

aber von Markus Tretter das Nutzungsrecht<br />

der fünf Sujets des Prunkkreuzes zur einmaligen<br />

Verwendung in der vorliegenden Publikation<br />

(vgl. S. 333).<br />

42a | Vortragekreuz aus Tennenbach in der<br />

Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau bei<br />

Bregenz, frontseitige Gesamtansicht

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