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September 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...

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KULTUR • ISRAELISCHE AUTOREN<br />

ERZÄHLEN<br />

GEGEN DEN TOD<br />

David Grossmans großer neuer<br />

Roman „Eine Frau flieht vor einer<br />

Nachricht<br />

VON ANITA POLLAK<br />

© Olivier Fitoussi/Flash90<br />

„Zum Überbringen einer Botschaft<br />

braucht es immer zwei, einen, der sie<br />

überbringt, und einen, der sie entgegennimmt“.<br />

Wenn sie nicht da ist, nicht zu Hause,<br />

unterwegs ohne Handy, keine Zei -<br />

tung liest, kein Radio hört, nicht er -<br />

reichbar ist, kann auch die nachricht<br />

sie nicht erreichen. Die schreckliche<br />

nachricht, die alle bedroht, die in<br />

israel ein Kind bei der Armee haben.<br />

Ora, die mutter zweier Söhne, flieht<br />

vor dieser Hiobsbotschaft.<br />

David Grossman hat sie erreicht. Am<br />

12. August 2006. Da ist sein jüngerer<br />

Sohn Uri in den letzten Stunden des<br />

zweiten Libanon-Krieges in seinem<br />

Panzer tödlich getroffen worden,<br />

beim Versuch, die Besatzung eines an -<br />

deren getroffenen Panzers zu retten.<br />

mit Uri kamen alle Kameraden in seinem<br />

Panzer ums Leben. Das schreibt<br />

David Grossman im nachwort seines<br />

jüngsten Romans.<br />

Und der Leser kann nicht anders, <strong>als</strong><br />

diese Tragödie mitzudenken, mitzufühlen.<br />

Obwohl Grossman diesen Roman<br />

schon 2003 begonnen hatte, knapp be -<br />

vor sein älterer Sohn seinen militär -<br />

dienst beendete und sein jüngerer<br />

ein berufen wurde, wirft die Wirklich -<br />

keit ihren Schatten zurück auf dieses<br />

Buch. Und so ist es letztlich eine Art<br />

Kaddisch auf den getöteten Sohn<br />

geworden.<br />

Auch Ora hat zwei Söhne. Adam hat<br />

das militär bereits verlassen, Ofer ist<br />

dabei, abzurüsten. Ora hat ihm eine<br />

Wanderung durch Galiläa versprochen.<br />

nur sie beide, mutter und Sohn,<br />

ein bisschen auch, um nach den Jah -<br />

ren der Distanz die alte nähe wiederherzustellen.<br />

Die Rucksäcke sind<br />

schon gepackt. Da bricht der Liba -<br />

non krieg aus und Ofer meldet sich<br />

freiwillig zurück zu seiner Pan zer ein -<br />

heit. Ora bringt ihn zu seinem Ein -<br />

satzort, wie andere Eltern auch, in je -<br />

dem Auto sitzt ein junger mann, die<br />

Erstgeborenen gleichen Erst lings früch -<br />

ten, Frühlingskarneval mit men schen -<br />

opfern am Schluss.<br />

Und Ora hat zwei männer. Seit sie<br />

sech zehn ist. Da hat sie Avram und<br />

ilan kennen gelernt. Alle drei waren<br />

sie Patienten auf einer isolierstation,<br />

während draußen der Sechstage-Krieg<br />

tobte. Eine Lebensfreundschaft be -<br />

gann, eine Schicks<strong>als</strong>gemeinschaft,<br />

eine männerfreundschaft und eine<br />

Dreiecksbeziehung. Ora liebt beide<br />

und beide lieben Ora. Sie werfen ihre<br />

namen in einen Hut und lassen das<br />

Los entscheiden. Ora heiratet ilan,<br />

Av ram gerät im Jom Kippur-Krieg in<br />

ägyptische Gefangenschaft und kehrt<br />

verändert, schwer verwundet an Leib<br />

und Seele zurück.<br />

Von beiden männern hat Ora einen<br />

Sohn. ilan, Adams Vater, wird auch<br />

Ofer, Avrams Sohn, erziehen, denn<br />

Avram lehnt sein Kind ab. „Ilan hat<br />

gut auf dein Kind aufgepasst. Ilan war<br />

eine gute Wahl, für uns beide.“ Wird<br />

Ora ihm später erzählen.<br />

Denn all das erschließt sich erst nach<br />

und nach. Wie ein mosaik fügt Gross -<br />

man einen Teil an den anderen, lässt<br />

Stellen offen, kehrt zurück zu einem<br />

Er zählstrang, führt einen anderen<br />

parallel, ergänzt, vollendet da oder<br />

dort ein Stück und geht weiter. Schließ -<br />

lich ist der gesamte Roman eine<br />

Wanderung, ein Durchschreiten von<br />

Zeiten und Orten. Die Wanderung,<br />

die Ora mit ihrem Sohn geplant hat,<br />

wird zur Flucht, auf die sie auch Av -<br />

ram mitschleppt. ilan hat sie vor einigen<br />

monaten verlassen und trampt<br />

mit Adam durch Südamerika. Und<br />

während sie tagelang zu Fuß das Land<br />

durchstreifen - über Berge, durch<br />

Täler, Flussläufe und Wadis, vom See<br />

Genezareth, durchs Jesreel-Tal, sich<br />

Haifa und Jerusalem nähern, erzählt<br />

Ora ihrem Avram unendlich viel vom<br />

Leben seines unbekannten Sohnes.<br />

Damit er es weiß, damit er es erinnert,<br />

damit es nicht zu ende ist. in einer Art<br />

magischem Denken glaubt sie da durch<br />

die Lebensgefahr zu bannen, in der<br />

sich ihr Sohn befindet.<br />

Dem magischen Denken, Gefahren<br />

durch Worte, durch Erzählen, durch<br />

Schreiben abwenden zu können, verdanken<br />

wir letztlich auch diesen<br />

Roman. ich hatte dam<strong>als</strong> das Gefühl –<br />

oder genauer gesagt, die Hoffnung -,<br />

dass das Buch, das ich schreibe, ihn<br />

(seinen Sohn) schützen wird. Bekennt<br />

Grossman in seinem nachwort.<br />

in Oras Rückblenden auf die eigene<br />

Jugend, die Kindheit ihrer Söhne, ihr<br />

Familienleben und ihren Alltag entsteht<br />

ein Porträt israels und seiner<br />

Gesellschaft in den letzten Jahr -<br />

zehnten. Die Geschichte einer Liebe,<br />

einer Familie und eines Landes durchdringen<br />

einander, bedingen einander,<br />

wie das eben in israel und nur in is -<br />

rael der Fall ist, wo die Bedrohung<br />

all gegenwärtig ist<br />

„Gibt es noch Israel?“, fragen sich die<br />

jungen Leute auf der isolierstation<br />

wäh rend des Sechstage-Krieges, fragt<br />

sich Avram nach der Rückkehr aus<br />

den ägyptischen Folterkammern.<br />

Klingt ja ganz schön, mit Herzl zu<br />

sagen: „Wenn ihr wollt, ist es kein Mär -<br />

chen“, aber was, wenn einer nicht<br />

mehr will. Oder wenn einer zum Wol -<br />

len keine Kraft mehr hat? Wenn einer<br />

nicht länger kein märchen sein will.<br />

(…) in solchen momenten denke ich<br />

immer, sagt Ora, das ist mein Land,<br />

und ich kann wirklich nirgendwo an -<br />

ders hin. (…) Aber im selben mo -<br />

ment weiß ich auch, dass das Land im<br />

Grunde keine Chance hat, wirklich<br />

keine Chance. Vielleicht ist es auch<br />

eine Art magisches Denken, dem wir<br />

die schönsten Beschreibungen die ses<br />

umkämpften Stückchen Erde verdanken.<br />

Die Farben und Düfte der zahllosen<br />

Blumen und Blüten, der Bäume<br />

und Früchte, eine idylle, die Gross -<br />

man nicht müde wird vor uns auszubreiten,<br />

damit wir sie kennen und lie-<br />

50 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770

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