September 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...
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GEMEINDE<br />
DVR 0112305 € 2.-<br />
nr. 653 september <strong>2009</strong><br />
elul/tischri 5770<br />
Erscheinungsort Wien<br />
Verlagspostamt 1010 P.b.b<br />
e 2.-<br />
GZ 03Z034854 W<br />
Die Die<br />
offizielles organ der israelitischen Kultusgemeinde wien<br />
magazin
INHALT<br />
&<br />
AUS DEM BÜRO<br />
DES PRÄSIDENTEN<br />
Einladung 3<br />
IN EIGENER SACHE<br />
AKFT-NEU Ausblicke 4<br />
Schalom Bait 5<br />
ALEXIA WEISS<br />
Serie: Hinter den Kulissen der IKG<br />
Teil 13: Fundraising 6<br />
POLITIK<br />
INLAND<br />
Vorarlberg: Mit Antisemitismus<br />
zum Wahlerfolg 9<br />
ALEXIA WEISS<br />
Der Exiljude 10<br />
DORI MUCH<br />
Antisemitismus - ein<br />
unausrottbares Phänomen 11<br />
Störenfriede derErinnerung 13<br />
Salzburg arbeitet NS-Zeit auf 14<br />
ALEXIA WEISS<br />
Vor dem Urnengang gestoppt<br />
- die NVP 15<br />
Israels Botschafter über Mangel<br />
an Nah-Ost-Information 18<br />
AUSLAND<br />
Holocaust-Leugner<br />
Ahmadinedjad 19<br />
Antisemitisches 20<br />
Rechte Botschaften<br />
im Internet 21<br />
ISRAEL<br />
Israels Reaktion auf den<br />
Goldstone-Bericht 22<br />
ULRICH W. Sahm<br />
Kommentar zu Goldstone 24<br />
ULRICH W. Sahm<br />
Israel erklärt Menschenrechtsorganisationen<br />
den Krieg 24<br />
ULRICH W. Sahm<br />
Der Dreiergipfel 29<br />
WIRTSCHAFT<br />
REINHARD ENGEL<br />
Schnee bei Sonnenschein 28<br />
Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Global intelligence<br />
centre, Walla, Y-net, israelnetz (inn), nahostfocus (NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, ILI u.v.a.<br />
GEmEinDE<br />
Wirtschaft-News 31<br />
WISSENSCHAFT<br />
LifeBond 32<br />
Wissenschaftler können<br />
DNA fälschen 33<br />
JÜDISCHE WELT<br />
ALEXIA WEISS<br />
Schächtregelung in der EU 34<br />
Panorama 38<br />
Das war 5769 40<br />
Neue Synagoge für<br />
Petach Tikva 41<br />
KULTUR<br />
ALEXIA WEISS<br />
Fühlbar machen 42<br />
ALEXIA WEISS<br />
Heldenverehrung im Bunker 45<br />
Hohe Auszeichnung für<br />
Künstlerin Soshana 47<br />
MARTA S. HALPERT<br />
Orsolya Korcsolán -Mit der<br />
Violine auf Spurensuche 48<br />
ANITA POLLAK<br />
Erzählen gegen den Tod 50<br />
ROBERT STREIBEL<br />
Partisanen der Erinnerung 51<br />
ANITA POLLAK<br />
Versteckte Spuren des<br />
Rassenwahns 53<br />
JUDENTUM<br />
RABB. SCHLOMO HOFMEISTER<br />
Schailes & Tschuwos 54<br />
Titelbild: © L. Foeger/Reuters<br />
Kundgebung vor der Wiener<br />
Staatsoper gegen Ahmadinejad<br />
Organisiert vom Bündnis "Stop<br />
the Bomb" mit zahlreichen Unter -<br />
stüt zern; unter den Rednern u.a.<br />
IKG-Präsi dent Muzi cant, Grüne-<br />
Klub ob frau Petr ovic, Gruß bot -<br />
schaf ten von Bez.Vst. Sten zel, van<br />
der Bellen und R. Schindel.<br />
Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> Kultusgemeinde Wien.<br />
Zweck: Information der Mitglieder der IKG Wien in kulturellen, politischen<br />
und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />
Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 Wien, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />
Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />
Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 Wien<br />
Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />
Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />
Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak -<br />
tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />
NEU<br />
AB OKTOBER<br />
„DIE GEMEINDE” ONLINE-BLÄTTERN<br />
"ASK THE RABBI"<br />
AUF DER WEBSITE DER IKG WIEN<br />
LESEN SIE MEHR DARÜBER<br />
IM OKTOBER-INSIDER<br />
PLENARSITZUNGEN <strong>2009</strong>:<br />
13. Oktober - 05. November - 01.Dezember<br />
Wünsche? Probleme? Anregungen?<br />
Wenden Sie sich vertrauensvoll an unsere IKG-Ombudsleute<br />
Gustav Adler Tel: 0676 636 5118,<br />
Heinrich Ehlers Tel: 0676 421 3670<br />
DI Hans Gelbard Tel: 0699 11058 606<br />
Dr. Slawik Jakubow Tel: 0664 103 2349<br />
Prof. Dr. Franziska Smolka Tel: 531 04 -105<br />
fsmolka@chello.at<br />
Letzte Meldung<br />
NEU<br />
Österreichs Delegation blieb bei<br />
Ahmadinejad-Rede sitzen<br />
Vertreter der USA, Deutschlands, Ungarns und<br />
einer Reihe weiterer Staaten verließen den Saal<br />
Im Gegensatz zu einer Reihe westlicher Delegationen sind die<br />
Vertreter Österreichs bei der UN-Vollversammlung in New<br />
York während der Rede des iranischen Präsidenten Mahmoud<br />
Ahmadinejad im Sitzungssaal geblieben. Das be richtete das<br />
Frühjournal des Ö1-Radios am 24. Septem ber.<br />
Neben den USA verließen von europäischer Seite nach An ga -<br />
ben aus Diplomatenkreisen Deutsch land, Groß bri tan nien,<br />
Frank reich, Italien, Dänemark und Ungarn den Saal. Auch die<br />
Delegationen aus Argentinien, Costa Rica, Australien und Neu -<br />
seeland zogen sich zurück. Die israelische Delegation hatte die<br />
Rede Ahmadinejads von vornherein boykottiert.<br />
„Es ist enttäuschend, dass Herr Ahmadinejad einmal mehr hasserfüllte,<br />
beleidigende und antisemitische Rhetorik gewählt hat”, er -<br />
klärte der Sprecher der US-Vertretung bei den Vereinten Na tio -<br />
nen, Mark Kornblau. Ahmadinejad griff in seiner Rede Israel<br />
scharf an, wobei er das Land nie beim Namen nannte, sondern<br />
nur vom „zionistischen Regime” sprach. Er warf Israel unter<br />
anderem „unmenschliche Politik” gegenüber den Palästinen -<br />
sern vor. Diese seien Opfer von „Völkermord”. Den Juden warf<br />
der umstrittene iranische Präsident vor, „eine neue Form der<br />
Sklaverei” aufbauen zu wollen. Dabei würden sie versuchen,<br />
die USA und die Europäer für ihre Zwecke einzuspannen.<br />
Der iranische Präsident hatte erst in der vergangenen Woche für<br />
weltweite Empörung gesorgt, <strong>als</strong> er in einer Rede in Tehe ran<br />
erneut den Holocaust leugnete.<br />
2 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />
Tage der offenen Tür<br />
in der Simon-Wiesenthalgasse<br />
Halle - Aufzugsvorplatz<br />
© Arch. Thomas Feiger<br />
18. Oktober <strong>2009</strong> – 11.00 - 13.00 Uhr<br />
Schwerpunkt MZ mit Tagesstätte<br />
15. November <strong>2009</strong> – 11.00 - 13.00 Uhr<br />
Schwerpunkt MZ, Seniorenresidenz, Wohnheim<br />
Abschied von der Bauernfeldgasse<br />
Verein Freunde des Elternheimes<br />
15. November <strong>2009</strong> - ab 15.00 Uhr<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770<br />
3
IN EIGENER SACHE • ANNI KOHN-FEUERMANN-TAGESSTÄTTE<br />
Die neue „Anne Kohn-Feuermann“- Tagesstätte<br />
im Sanatorium Maimonides-Zentrum<br />
Bald wird der große moment gekommen<br />
sein und die „Anne Kohn-Feuer -<br />
mann“- Tagesstätte wird ihre neuen<br />
Räumlichkeiten in der Simon Wiesen -<br />
thal Gasse beziehen können. Der neue<br />
Standort bringt eine Reihe von internen<br />
infrastrukturellen Verbesserun gen<br />
mit sich, eröffnet aber auch ungeahnte<br />
möglichkeiten an der nutzung lokaler<br />
Angebote: So können unsere Besu che -<br />
r innen in Zukunft aufgrund der Pra -<br />
ter nähe die dortigen Freizeitbeschäf -<br />
ti gun gen nutzen oder einfach nur<br />
lust wandeln in der Praterallee wie zur<br />
Zeit des Biedermeiers, exklusives Flair<br />
geniessen bei einer Tasse Kaffee oder<br />
einem Lunch im nahegelegenen Yacht -<br />
hafen von Wien oder gemeinsam<br />
Aus flüge auf die Donauinsel unternehmen.<br />
Wir bieten weiterhin für unsere Besu -<br />
cherinnen ein Fahrtendienst-Service<br />
zum und retour vom Tageszentrum.<br />
mit den neuen Räumlichkeiten der<br />
„An ne Kohn-Feuermann“- Tagesstät te<br />
in der Simon Wiesenthal Gasse löst<br />
sich das durch die in den letzten Jah ren<br />
kontinuierlich steigende Besu cherin -<br />
nen zahl entstandene Platzproblem.<br />
im neuen Haus werden wir endlich<br />
über einen eigenen Therapie- und Be -<br />
wegungsraum, der modernst ausgestattet<br />
sein wird, verfügen und können<br />
somit die Physiotherapie- und<br />
Re mobilisierungsmöglichkeiten für<br />
un sere Gäste ausbauen. Besonders<br />
stolz sind wir auf das geräumige, nach<br />
den neuesten Pflegestandards eingerichtete<br />
Badezimmer, das unsere Se -<br />
niorinnen selbständig oder mit Un -<br />
ter stützung von diplomiertem Pflege -<br />
per sonal zur Körperpflege (für ein<br />
genüssliches Bad oder eine erfrischende<br />
Dusche) verwenden können. Auch<br />
haben wir eine eigene Schneiderecke<br />
vorgesehen für das für uns unersetzbare<br />
Schneiderservice von Herrn<br />
Schnei dermeister manfred Wonsch,<br />
der seit mehreren Jahren ehrenamtlich<br />
für die Tagesstättenbesu cherin nen<br />
und Heimbewohnerinnen Änderungsarbeiten<br />
vornimmt.<br />
Die neue räumliche Struktur bringt in<br />
Zukunft auch ein erweitertes Akti vi -<br />
tä tenangebot für unsere Gäste mit sich:<br />
Da wir mehrere Funktionsräume <strong>als</strong><br />
bisher zur gleichzeitigen nutzung<br />
ha ben werden, können verschiedene<br />
Grup penaktivitäten bzw. Therapien<br />
pa rallel durchgeführt werden. So wer -<br />
den wir zusätzlich zu unserem bis -<br />
herigen Programmpunkten (Ge dächt -<br />
nis training, Kunsttherapie, Physiothe -<br />
rapie, Tanztherapie, Tiergestützte<br />
The rapie, Sturzprophylaxe, Tanz stun -<br />
de, Sing- und musikgruppe, musi ka -<br />
lische matinee) 1x wöchentlich - in Zu -<br />
sammenarbeit mit dem JBBZ – ei nen<br />
Computerkurs für die Seniorinnen<br />
anbieten. Ab Feburar 2010 startet der<br />
„English Conversation Club“ mit ei -<br />
ner Amerikanerin, die u.a. 7 Jahre lang<br />
stellvertretende Leiterin des Bureau<br />
for Survivor Affairs am Holocaust me -<br />
morial museum in Washington D.C.<br />
war. Weiters wird auf Wunsch unserer<br />
Seniorinnen ein Tischfußball-Set<br />
an geschafft, um in Zukunft Turniere<br />
(u.a. gegen das maimonides-Zen trum!)<br />
veranstalten zu können.<br />
im neuen Haus setzen wir noch mehr<br />
auf sinnvolle Synergieeffekte mit den<br />
Strukturen des Eltern- und Pflege -<br />
heims des Sanatoriums maimonides-<br />
Zentrum.<br />
Die ausschließlich den Besucher in nen<br />
und mitarbeiterinnen der „Anne<br />
Kohn-Feuermann“-Tagesstätte zur<br />
Ver fügung stehende netto-Fläche des<br />
Tageszentrums beträgt rund 378 m².<br />
Synergieeffekte ergeben sich durch die<br />
mögliche mitbenützung der an das Ta -<br />
geszentrum unmittelbar angrenzenden<br />
Elektrotherapie-Räume des mai mo ni -<br />
des-Zentrums, des gesamten Thera -<br />
pie pavillons und seiner Geräte so wie<br />
des Therapiegartens im Rah men der<br />
physiotherapeutischen Einzelbe hand -<br />
lungen durch die für die Tages stät te<br />
tätige diplomierte Physio- und Sporttherapeutin.<br />
Ein weiterer Syner gie ef -<br />
fekt wird ermöglicht durch die Abtren -<br />
nung des Speisesa<strong>als</strong> der Ta ges stätte<br />
vom Person<strong>als</strong>peiseraum des mai mo -<br />
nides-Zentrums mittels einer mo bilen<br />
Trennwand, die bei mittelgroßen<br />
Veranstaltungen der Tages stät te durch<br />
die Haustechniker entfernt werden<br />
kann. Eine weitere mobile Wand trennt<br />
den Personal spei seraum vom Spei se -<br />
raum der Heim be woh ner innen. Bei<br />
Der Eingangsbereich ins neue MZ<br />
Großver an stal tungen (z.B. der Tag der<br />
offenen Tür) kann auch diese Wand<br />
entfernt werden.<br />
Von Vorteil für unsere Tagesstättenbe -<br />
sucherinnen wird es auch sein, dass<br />
die Tagesstätte ebenerdig gelegen ist<br />
und drei Ausgänge direkt in den Gar -<br />
ten führen. im Außenbereich hinter<br />
dem Salon der Tagesstätte wird eine<br />
kleine Terrasse eigens für die Tages -<br />
stät ten besucherinnen zur Verfügung<br />
stehen und ein mehrere m² großes Beet<br />
sowie mehrere Hochbeete für die Wei -<br />
terführung des Projektes „Unser klei -<br />
ner Kibbuz“. So hat die Tages stät te ne -<br />
ben der nutzungsmög lichkeit des<br />
gesamten mZ-Gartens auch einen<br />
eigenen kleinen Grünbereich.<br />
Weitere Dienstleistungen, die im Haus<br />
geboten und durch die Besucher in nen<br />
der Tagesstätte in Anspruch ge nom -<br />
men werden können, sind Pedi küre,<br />
maniküre, der Friseursalon und das<br />
hauseigene Bistrot.<br />
Unsere Seniorinnen dürfen sich auf<br />
eine farblich ansprechende, lichtdurchflutete,<br />
mit stilvollen möbeln<br />
eingerichtete Tagesstätte, die weiterhin<br />
ein wohliges Flair von Zuhause<br />
vermitteln wird, freuen!<br />
Dr. Susanne Ogris<br />
Leiterin der Tagesstätte<br />
© Arch. Thomas Feiger<br />
4 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
IN EIGENER SACHE • SCHALOM BAIT<br />
PLATTFORM GEGEN GEWALT IN DER FAMILIE<br />
Die Frauen- und Familienkommission der iKG startet ge mein sam mit ESRA und Ver tre terinnen<br />
und Vertretern un serer Gemeinde ein Projekt gegen Gewalt in der Familie.<br />
Wir wollen über Ursachen familiärer Gewalt informieren, wir wollen aufklären und Hilfe anbieten.<br />
Betroffene sind hauptsächlich Kinder und Frauen. Aber auch den Männern, die aufgrund von Überfor -<br />
derung ge walttätig werden, möchten wir mit unserer Kampagne hel fen.<br />
Frauen, die von Gewalt betroffen sind, fühlen sich oft allein gelassen und schämen sich für das,<br />
was ihnen angetan wird. Zu der Angst vor dem gewalttätigen Partner und der Sorge über die<br />
Reaktionen des Umfeldes kommt häufig noch das Gefühl von Schuld und Ohnmacht.<br />
Zur Unterstützung betroffener Frauen und Kinder wird durch ESRA eine „Anonyme Telefon be ra -<br />
tung“ <strong>als</strong> Pilot pro jekt (ab Dezember <strong>2009</strong>) angeboten werden. Betroffene werden die mög lich keit<br />
haben, sich telefonisch anonym und vertraulich beraten zu lassen und sich Unterstützung zu<br />
ho len. Die Beratung wird sensibel und mit Rücksicht auf traditionelle und religiöse Gepflo gen hei -<br />
ten geführt.<br />
Wir arbeiten eng mit Vertreterinnen aller jüdischen Grup pierungen zusammen. Zunächst werden<br />
wir verschiedene Artikel zu diesem The ma in den jüdischen medien publizieren. Am 18.<br />
no vem ber <strong>2009</strong> wird im Gemeinde zen trum eine Veran staltung mit Expertinnen stattfinden.<br />
Wir wollen durch Aufklärungsmaßnahmen, Infor ma tion und Unterstützungsmöglichkeiten helfen, dass<br />
das Thema „Ge walt in der Familie“ in unserer Ge mein de möglichst kein (Tabu)-Thema mehr ist!<br />
Berta Pixner<br />
Vorsitzende der Frauen- und Familienkommission<br />
Personenkomitee (in alphabetischer Reihenfolge ohne Titel): Judith Adler, Edla Biderman, Jacob Biderman, Agnes<br />
Buch egger, Rita Dauber, Oskar Deutsch, Anette Eisen berg, Paul Chaim Ei sen berg, Yvonne Feiger, Lydia Fisch man,<br />
Yasmin Freyer, Rosa Gil karov, Uri Gilkarov, Schlomo Hofmeister, Lili Kolisch, Arlette Leupold-Löwenthal, Ariel<br />
mu zicant, irma Pani, Joseph Pardess, Berta Pixner, Tamir Pixner, nina Schamunov, Susi Shaked, Kon stanze Thau,<br />
naomi Vorhand.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 5
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
SERIE<br />
Hinter den Kulissen –<br />
Die IKG Wien stellt sich vor<br />
Teil 13: Abteilung für Fundraising<br />
und Sponsoring<br />
serVice<br />
erreichbarkeit der abteilung für<br />
fundraising und sponsoring<br />
Die mitarbeiterinnen der Abtei lung<br />
für Fundraising und Sponso ring<br />
sind montag bis Freitag zwischen<br />
9.00 Uhr und 18.00 Uhr telefonisch<br />
erreichbar.<br />
Pia angel: 01 - 531 01 – DW 174<br />
p.angel@ikg-wien.at<br />
hanni haber: 0676 844 512 600<br />
hannihaber@a1.net<br />
miriam tenner: 0676 844 512 601<br />
m.tenner@ikg-wien.at<br />
Helfen macht<br />
Freu(n)de<br />
Mit der Abschaffung der Kultussteuer<br />
und der Einführung des Kultusbeitrags<br />
im Jahr 2001 wurde in der IKG das<br />
Fundraising auf eine professionelle<br />
Basis gestellt. Fundraiserin der ersten<br />
Stunde ist Hanni Haber, die sich bis<br />
heute vor allem um den Kontakt zu den<br />
Mitgliedern bemüht. Im Lauf der Zeit<br />
wurde daraus ein Zweier-Team mit Pia<br />
Angel, das gemeinsam Spender und<br />
Sponsoren in jüdischen und nichtjüdischen<br />
Kreisen finden konnte. Aus dem<br />
Duo wurde mit Miriam Tenner ein Trio.<br />
Alle drei sind mit ganzem Einsatz<br />
dabei, denn: im Bereich Fundraising<br />
gilt, nur wer stetig das Feld beackert,<br />
wird auch ernten. Immer konkreter werden<br />
vor allem die Sozialprojekte der<br />
IKG.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Hanni Haber hält Kontakt zu vielen<br />
mitgliedern, besucht regelmäßig das<br />
maimonides Zentrum, sieht sich nicht<br />
nur <strong>als</strong> „Schnorrerin“, sondern auch<br />
„<strong>als</strong> soziale Institution, <strong>als</strong> Klagemau er für<br />
Beschwerden und <strong>als</strong> Vermittlerin für<br />
soziale Bedürfnisse“. Pia Angel, selbst<br />
mutter dreier kleiner Kinder, wirbt um<br />
Spenden im Unterneh mens be reich,<br />
haupt sächlich für Stipendien für Schü -<br />
ler der Zwi Perez Chajes-Schule. Und<br />
Miriam Tenner hat sich zur zentralen<br />
Aufga be gemacht, fi nan zielle mittel<br />
für neue konkrete Pro jekte aufzutreiben.<br />
Alle drei betonen, „selbstständig –<br />
und gleichzeitig Hand in Hand zu arbeiten“:<br />
sie sind ein Team, in dem jede ei -<br />
genverantwortlich an de re potenzielle<br />
Spender betreut.<br />
mit der Umstellung von der sich am<br />
Einkommen orientierenden und da mit<br />
individuell verschieden hoch ausfallenden<br />
Kultussteuer auf den einheitlichen,<br />
im Vergleich dazu relativ niedrigen<br />
Kultusbeitrag, entgingen der<br />
iKG beträchtliche Einnahmen. Um<br />
hier entgegenzuwirken, begann Han ni<br />
Haber, mitglieder anzusprechen, um<br />
sie gleichzeitig mit der Einzahlung des<br />
Kultusbeitrags um eine Spende zu bit -<br />
ten. Bei ihrer Arbeit hilft ihr die De vi se,<br />
„dass es schön ist, geben zu können“, er -<br />
zählt Haber. Und: „Da ich so wohl mei -<br />
ne Aufgabe, <strong>als</strong> auch die IKG positiv sehe,<br />
konnte und kann ich meine Einstellung<br />
leicht vermitteln und glaubwürdig vertreten“.<br />
6 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
Pia Angel kam 2002 in die iKG um das<br />
„Externe Fundraising“ aufzubauen,<br />
sprich: mehr Kontakte zu nichtjüdischen<br />
Spendern zu knüpfen. Zu Beginn<br />
galt es dabei aus dem „Spen den<br />
brauchen wir an allen Ecken und Enden“<br />
etwas Konkretes herauszufiltern, „das<br />
Menschen, die spenden wollen, auch wirk -<br />
lich anspricht“, erin nert sich Angel.<br />
„Nach einiger Zeit war das gelungen und<br />
das Stipen dienprojekt hatte innen und<br />
außen Form an ge nommen. Das schönste<br />
war, <strong>als</strong> dieses Projekt bei den Geschäfts -<br />
füh rern wirklich Anklang fand – meist<br />
natürlich im persönlichen Gespräch“, so<br />
Angel. Und sie erzählt weiter: „Einer<br />
war so angetan, dass er im Hochsommer<br />
2003 unbedingt einen Termin in der IKG<br />
wollte. Gesagt, getan. Dieser Vorstands di -<br />
rektor blieb mir bis zu seinem Ausschei den<br />
aus dem Unternehmen fünf Jahre lang<br />
treu.“<br />
Zwei Zielgruppen hat Angel im Vi sier:<br />
einerseits Firmen und Unternehmen,<br />
die Stipendien für die Zwi Perez Cha -<br />
jes-Schule (ZPC) übernehmen. Ein<br />
Stipendium für ein Schuljahr beträgt<br />
rund 3.300 Euro. Zur Zeit sind zwischen<br />
70 und 80 Prozent der ZPC-<br />
Schü lerinnen und Schüler Stipen di en -<br />
empfänger. Andererseits spricht Angel<br />
Stiftungen an, „was eine sehr gründliche<br />
und zeitintensive Vorberei tung erfordert.<br />
Transparenz und Offenheit sind immer<br />
noch das, was die Spenden be reitschaft<br />
aus löst, vorausgesetzt dem Spender ist das<br />
Projekt wirklich sympathisch“.<br />
Dritte im Bunde wurde Hannah Kneu -<br />
cker, die von 2005 bis 2008 das Team<br />
verstärkte und dabei viele wichtige<br />
im pulse setzte. inzwischen hat Miri am<br />
Tenner ihre Agenden übernommen.<br />
Sie kümmert sich einerseits um jene<br />
mitglieder, die bisher nicht erreicht<br />
werden konnten. „Das sind vor allem<br />
bucharische und georgische Familien. Hier<br />
versuche ich, einen persönlichen Kontakt<br />
herzustellen. Es geht darum, das Bewusst -<br />
sein zu schaffen, dass die Gemeinde auch<br />
ihre Gemeinde ist. Das ‚Wir‘ ist hier noch<br />
nicht entstanden. Dabei sind gerade die<br />
bucharischen Fami lien kinderreich und<br />
damit große Nutznießer der Stipendien<br />
für die ZPC-Schule.“<br />
Andererseits kreiert Tenner bestimmte<br />
Projekte, die für den Spender die Ver -<br />
wendung seines Geldes transparenter<br />
werden lassen. Zu Purim veranstaltete<br />
Tenner erstm<strong>als</strong> einen mischloach<br />
manot-markt, bei dem Körbe für be -<br />
dürftige Familien gefüllt werden<br />
konnten, und war von dem Echo<br />
über wältigt. „Es waren schließlich über<br />
300 Körbe – mit diesem Zulauf habe ich<br />
nicht gerechnet.“<br />
Alle drei Fundraiserinnen haben sich<br />
natürlich dafür eingesetzt, im Rah men<br />
der Capital Campaign für den neu bau<br />
der Zwi Perez Chajes-Schule so wie<br />
den neubau des Elternheims mittel<br />
aufzutreiben. Der iKG-Campus habe<br />
allerdings eine Größenordnung, „die<br />
viele nicht nachvollziehen können – das<br />
ist dann teilweise ein Überforderung der<br />
Mitglieder und auch derjenigen, die nicht<br />
Mitglieder sind, aber helfen wollen“, so<br />
Tenner. nicht jeder könne viel geben,<br />
viele aber ein bisschen etwas, sind<br />
sich die drei Fundraiserinnen einig.<br />
nun gibt es daher ein neues Sozial -<br />
pro jekt, um jene Personen anzusprechen,<br />
die weniger geben können oder<br />
möchten: die sozialpatenschaft. Aus -<br />
gangs punkt war die neue gesetzliche<br />
Regelung der Absetzbarkeit von Spen -<br />
den für karitative Zwecke, die rückwirkend<br />
mit Jahresbeginn <strong>2009</strong> in<br />
Kraft getreten ist. Unternehmen, aber<br />
auch unselbstständige Arbeitnehmer<br />
können nun Spenden an bestimmte<br />
Hilfs organisationen im Ausmaß von<br />
bis zu zehn Prozent ihres Gewinns be -<br />
ziehungsweise Einkommens steuerlich<br />
geltend machen. Vorausset zung ist,<br />
dass die bedachte Organisa tion auf ei -<br />
ner vom Finanzminis teri um veröffentlichten<br />
und laufend ak tu a li sierten<br />
Liste vertreten ist (siehe auch: www.<br />
bmf.gv.at/service/allg/spen den).<br />
Auf dieser Liste ist auch „Tmicha –<br />
Verein zur Unterstützung Hilfsbe dürf -<br />
tiger“ angeführt. Dieser Verein wurde<br />
von der iKG mit dem Ziel gegründet,<br />
sozial Bedürftige zu un terstützen und<br />
den Spendern die steuerliche Absetz -<br />
bar keit ihrer Zuwendungen zu er mög -<br />
lichen. Das ist die eine Seite der medail<br />
le. Die andere: derzeit erhalten<br />
rund 2.500 Gemeindemitglieder in<br />
der einen oder anderen Form soziale<br />
Un terstützung. Das neue Projekt, die<br />
Sozialpatenschaft, springt genau hier<br />
ein: iKG-mitglieder und alle Freunde<br />
der iKG können mit einem überschau -<br />
baren Beitrag pro monat helfen, soziales<br />
Leid zu mindern. „Wer ein bisschen<br />
geben kann, übernimmt eine Pa ten schaft.<br />
Wer mehr geben kann, übernimmt mehrere<br />
Patenschaften“, erklärt Tenner. (nä -<br />
heres zur Sozialpaten schaft, siehe<br />
Kasten und Beilage.)<br />
Das Auftreiben von mitteln ist für alle<br />
drei Fundraiserinnen das tägliche<br />
Bohren von dicken Brettern. Auch an<br />
ihnen geht die für viele finanziell<br />
schwierige Zeit nicht spurlos vorüber,<br />
Spender und Sponsoren sind dieser<br />
Tage dünner gesät. Dennoch gibt es<br />
auch „die anderen Geschichten“, wie<br />
alle drei berichten können.<br />
So erzählt miriam Tenner: „Vor etwa<br />
einem halben Jahr hat ein nichtjüdischer<br />
Österreicher angerufen und gesagt, er<br />
wol le der IKG etwas spenden, das aber<br />
persönlich machen.“ Gesagt, getan:<br />
schließlich stand ein Steirer in Tracht<br />
mit dazugehörigem Hut vor Tenner,<br />
ein Kuvert in der Hand, in dem sich<br />
ein größerer Betrag befand. Bei einer<br />
Tasse Kaffee erzählte er dann über<br />
seine Beweggründe.<br />
„Seine Mutter war vor dem Krieg Kin der -<br />
mädchen oder Haushälterin bei einer<br />
jüdischen Familie in Wien und ist dann<br />
mit der Familie nach Holland gegangen.<br />
Als die Familie in die USA emigrierte,<br />
kehrte die Frau in die Steiermark zurück,<br />
heiratete, brachte zwei Buben auf die Welt.<br />
Mit der jüdischen Familie blieb sie in Kon -<br />
takt und nach dem Krieg wurde sie von<br />
dieser unterstützt. Er erzählte, dass er und<br />
sein Bruder in dem Ort dam<strong>als</strong> die einzigen<br />
waren, die Schokolade und Jeans aus<br />
Amerika hatten“, so Tenner. Der mann<br />
ist nicht verheiratet und hat keine<br />
Kinder, und nun bei Pensionsantritt,<br />
wo er etwas Geld ausbezahlt erhalten<br />
habe, sah er eine möglichkeit, der iKG<br />
etwas zu spenden. „Eine jüdische<br />
Familie hat seine Familie nach dem Krieg<br />
unterstützt, das ist nun sein Beitrag, der<br />
Gemeinde etwas Gutes zurückzugeben.“<br />
Und Hanni Haber erinnert sich: „Eine<br />
ältere nicht-jüdische Dame hatte eine<br />
klei ne Erbschaft gemacht und aus dieser<br />
Erbschaft der IKG eine Spende gewidmet.<br />
Der Hintergrund dazu: die Mutter hatte<br />
vor dem Krieg bei einem jüdischen Koh -<br />
lenhändler im Haushalt gearbeitet. Er hat<br />
ihre Mutter und auch sie selbst immer gut<br />
behandelt und ihnen im Winter, wenn<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 7
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
das Geld knapp war, mit Kohlen ausgeholfen.<br />
Sie war entsetzt und geschockt,<br />
<strong>als</strong> sie miterleben musste, wie ihr Wohl -<br />
täter 1938 zum Straßenwaschen gezwungen<br />
wurde, ein Erlebnis, das sie nicht<br />
mehr vergessen konnte. Nunmehr, nach<br />
vielen Jahren, hat sie Gelegenheit wahrgenommen,<br />
das Andenken an diese Familie<br />
durch die Spende an die IKG zu ehren.“<br />
Die Sozialpatenschaft<br />
Helfen kann man mit der Übernahme einer Sozialpatenschaft im Rahmen<br />
von zwei Projekten:<br />
Das „Projekt Zedaka“ (Hebräisch für Wohltätigkeit) unterstützt menschen,<br />
die durch Arbeitslosigkeit und/oder Krankheit in finanzielle Schwierigkei -<br />
ten geraten. Sie können im Winter ihre Wohnung nicht heizen oder Repa ra -<br />
turen nicht durchführen lassen. Sie erhalten einmalige Zuschüsse. Wer eine<br />
Sozialpatenschaft für dieses Projekt übernimmt, zahlt 100 Euro im Monat.<br />
Das „Projekt Chessed“ (Hebräisch für barmherziges Tun) hilft menschen, die<br />
monat für monat mit einem finanziellen Engpass kämpfen und es nicht<br />
schaffen, den Lebensalltag zu finanzieren, etwa Alleinerziehende, kinderreiche<br />
Familien, alte und kranke Personen. Hier kann man mit einer Sozial -<br />
pa tenschaft helfen, für die 50 Euro pro Monat zu bezahlen sind.<br />
„Es gibt viele Leute, die bedürftig sind – leider geht das ein wenig unter“, bedauert<br />
miriam Tenner. Andererseits gebe es eben eine menge menschen, die zwar<br />
nicht viel, aber doch ein wenig geben könnten. „Das ist eine Möglichkeit, wo<br />
Leute auch mit kleinen Beträgen etwas machen können.“ mit der Sozialpaten schaft<br />
sei zudem transparent, was mit dem Geld passiere.<br />
Es gibt immer wieder solche Ge schich -<br />
ten, wo Leute das Bedürfnis haben,<br />
der Kultusgemeinde etwas zu spenden,<br />
sind sich Haber, Tenner und An -<br />
gel einig . Das sei die schöne Seite dieser<br />
Aufgabe. insgesamt ist der Ar beits -<br />
alltag des Trios abwechslungsreich.<br />
„Wir Fundraiserinnen müssen alles können:<br />
vom Texten, Layouten, schnell Or ga -<br />
nisieren bis zum Durchhalten und vor<br />
allem dem raschen Eingehen auf Wün sche<br />
der Spender. Es braucht eben ein wenig<br />
Phantasie, viel Einfühlungs vermögen –<br />
und Unternehmergeist.“<br />
Wer sich nicht zu einem monatlichen Beitrag verpflichten wolle, der könne<br />
zudem jederzeit eine Spende, auch in geringerer Höhe <strong>als</strong> 50 Euro, an den<br />
Verein Tmicha überweisen, betont Tenner. Damit die Spende auch steuerlich<br />
absetzbar ist, ist es allerdings wichtig, anzugeben, ob das Geld für das<br />
„Projekt Zedaka“ oder das „Projekt Chessed“ verwendet werden soll.<br />
insgesamt gehe es in der Fundraising-Arbeit immer stärker in Richtung<br />
„zu sätzlicher nutzen“, meint Tenner. Soll heißen: es reicht längst nicht mehr,<br />
die Hand aufzuhalten,. Für den Spender muss sich entweder ein nutzen<br />
ergeben oder aber die Verwendung des gespendeten Geldes möglichst klar<br />
und definiert sein. Dafür hat Tenner Verständnis – und versucht, siehe<br />
mischloach manot-markt und Sozialpatenschaften, neue Wege zu beschreiten.<br />
Eines regt sie allerdings auf: „Gleichgültigkeit. Das kann ich nicht akzeptieren.“<br />
Wichtig ist ihr zudem zu transportieren: „Wenn ich spende, warum<br />
nicht in meinen eigenen Kreisen?“<br />
Bitte beachten Sie auch die Beilage!<br />
zur Person<br />
mag. Pia angel, geb. 1969, aufgewachsen in Wien, besuchte das Lyçée Francais, maturierte bei den Domini ka ne rin nen<br />
in Wien-Hietzing und studierte anschließend Jus. nach vier Jahren Tätigkeit <strong>als</strong> Rechtsanwaltsanwärterin wechselte<br />
sie in den Finanzbereich zu C-Quadrat AG, später in den Sponsoringbereich. Für die iKG ist Angel seit 2002 tätig. Ver -<br />
heiratet mit mag. Günter K. Angel, mBA, und stolze mutter dreier kleiner mädchen (eineinhalb, vier und sechs Jah re).<br />
hanni haber, geb. in Wien, lebte in montreal, St. Gilgen und Salzburg, wo sie rund 20 Jahre lang selbstständig tätig<br />
war. 1995 Rückkehr nach Wien, seit 2001 <strong>als</strong> Fundraiserin für die iKG Wien tätig. Sie ist mit Univ. Prof. Dr. Paul<br />
Haber vereiratet und mutter eines erwachsenen Sohnes.<br />
miriam tenner, geb. 1959 in Deutschland, aufgewachsen in Frankfurt am main, wo sie auch ihr Abitur ablegte sowie<br />
Sport und Geschichte studierte. 1981 Umzug nach Wien. Hier zunächst bis 1988 in der Presse- und Kulturabteilung<br />
der israelischen Botschaft tätig, von 1989 bis 1999 Geschäftsführerin einer israelischen Sicherheitsfirma am Flug ha fen<br />
Wien-Schwechat, danach für die Austrian Airlines tätig. Seit 2002 selbstständige Unternehmensberaterin. Für die<br />
Fundraising-Abteilung der iKG ist Tenner seit Juni 2008 tätig. Sie ist mit Dr. Wilhelm Tenner verheiratet und mutter<br />
dreier bereits erwachsener Kinder.<br />
8 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • INLAND<br />
VORARLBERG-WAHL<br />
Mit<br />
Antisemitismus<br />
zum Wahlerfolg<br />
Der Vorarlberger Nibelungenstadt Hohen ems<br />
(15.340 Einwohner) mit dem über die Gren -<br />
zen der Region hinaus bekannten jüdischen<br />
Museum war bis vor einigen Monaten ein ru -<br />
hige Ort. Im Wahlkampf kam Hohen ems<br />
plötz lich zu ungewollter Be rühmt heit, <strong>als</strong> Die -<br />
ter Egger (FPÖ), ein gebürtiger Hohen emser,<br />
den Mu seumsdirektor Loewy beim offi ziellen<br />
Wahlkampfauftakt der FPÖ <strong>als</strong> „den Exil-Juden<br />
aus Amerika in seinem hochsubventionierten<br />
Museum“ bezeichnete.<br />
Die Kommentatoren der österreichischen<br />
Zei tungen haben das starke Ab schneiden der<br />
FPÖ ins Zentrum ihrer Analysen zum Land -<br />
tags wahltag am 20. <strong>September</strong> in Vorarlberg<br />
gestellt:<br />
Kurier – „Ein dramatischer Wahl sonn tag<br />
im Wes ten war das”, konstatiert Josef<br />
Votzi. „Angesichts blei ern matter Um -<br />
fra gen (...) setzte FPÖ-Chef Dieter Egger<br />
mit Wahlkampfstart auf das Motto ‘Wer<br />
provoziert, gewinnt’. (...) Kurz fris tig ist das<br />
zynische blaue Kalkül, Pro vo zie ren um<br />
jeden Preis, am gestrigen Wahltag aufgegangen.<br />
Politisch haben sich die Blauen<br />
mit dem Verlust des Regierungssitzes ins<br />
Out manövriert.” Die Lehren auf Bun -<br />
des ebene? „Jene bis zu 30 Prozent, die sich<br />
österreichweit in Krisenzeiten vermehrt<br />
<strong>als</strong> Modernisierungsverlierer fühlen, su -<br />
chen ihr Heil einmal mehr mit einer Fahrt<br />
ins Blaue”, so Votzi weiter. „Ein klares<br />
Nein zum frivolen Spiel mit Antisemitis -<br />
mus und Fremdenhass wird aber vom<br />
großen Rest der Wähler honoriert. Wer<br />
dazwischen laviert wird gnadenlos aufgerieben.”<br />
standard – „Der FPÖ-Spitzenkandidat<br />
Dieter Egger hat mit seinen provokanten<br />
Äußerungen erst über Fremde und dann<br />
über Juden genau jene Stimmenma xi mie -<br />
rung erreicht, an der ihm gelegen war”,<br />
schreibt Conrad Seidl. „Heißt das, dass<br />
ein Viertel der Vorarlberger den An tise -<br />
mi ten oder gar Nazis zuzurechnen sind?<br />
Natürlich nicht. Aber es bedeutet, dass eine<br />
beachtliche Zahl von Wählern nicht durch<br />
entsprechende Äußerungen abgeschreckt<br />
wird.” Die SPÖ sei in einer „höchst un -<br />
be friedigenden Situation”, den Grünen<br />
attestiert Seidl, sich „gut geschlagen”<br />
zu haben. Seidls Resümee: „Für Sausgru<br />
ber hat sich die Entscheidung gegen<br />
die FPÖ ebenso gelohnt wie die Drohung,<br />
bei Verlust der absoluten Mehrheit zu<br />
gehen: Wer den bewährten Landeshaupt -<br />
mann Sausgruber haben wollte, musste<br />
ihn auch wählen - wer nicht, der konnte<br />
zum Teufel gehen (oder zur FPÖ). Das<br />
war eine klare Alternative, mit der die an -<br />
deren Parteien weitgehend an die Wand<br />
gespielt worden sind.”<br />
Presse – „(...) die Entscheidung der<br />
Viertelmillion Wahlberechtigten im westlichsten<br />
Bundesland stellt nicht nur die po -<br />
litische Landschaft im kleinen Vorarl berg<br />
auf den Kopf. Die FPÖ <strong>als</strong> locker zweitstärkste<br />
Kraft hat die SPÖ zu einer Mini -<br />
partei degradiert, und die Erschütte run gen<br />
dieses rot-blauen Verdrängungswettbe -<br />
werbs strahlen weit über den Arlberg hi -<br />
naus bis nach Wien aus. Es ist be stimmt<br />
keine ausreichende Erklärung, die massiven<br />
blauen Zuwächse auf den dummen<br />
antisemitischen Ausfall von FPÖ-Lan des -<br />
chef Egger gegen einen vermeintlichen<br />
‘Exil juden aus Amerika’ beim Wahl kampf -<br />
auftakt zurückzuführen. Die FPÖ hat vor<br />
allem mit ihrem Antiauslän der kurs ge -<br />
punktet. (...) Die SPÖ-Bundesführung ist<br />
darüber hinaus mit ihren War nungen vor<br />
den blauen Schmuddel kindern im rechten<br />
Eck nicht glaubwürdig. (...) Bei Bundes -<br />
kanzler SPÖ-Chef Werner Faymann muss<br />
spätestens nach diesem Sonntag endgültig<br />
der Angstschweiß ausbrechen. (...) Für<br />
Kurzzeit-SPÖ-Darling Faymann wird die<br />
Situation in der Regierung nach der Obe r -<br />
österreich-Wahl extrem ungemütlich<br />
wer den.”, schreibt Karl Ettinger<br />
OBERÖSTERREICH:<br />
Hetze und Nähe der FPÖ nach Rechtsaußen<br />
Am 27. <strong>September</strong> wird auch in Oberösterreich gewählt.<br />
66% der OberösterreicherInnen bestätigen laut Sora-Umfrage, dass FPÖ-Poli ti ker mit ih ren<br />
Aussagen die unterschiedlichsten Gruppen in der Gesellschaft ge gen einander aufhetzen<br />
FPÖ-Spitzenkandidat Haimbuchner hat die Vor würfe Rich tung Hetze zurückgewiesen und<br />
die Grünen aufgefordert, Beispiele zu liefern. Diese kamen der Aufforderung gerne nach:<br />
D Oberösterreichs FPÖ hat sich von der Skandalaussage ihres Vorarlberger Par tei freundes<br />
Egger bis heute nicht distanziert. Die FPÖ Oberösterreich schweigt und die Bundes-<br />
FPÖ legitimiert die beschämenden Aussagen;<br />
D ob Rechtsaußen-Aussagen von Strache oder Graf - in keinem einzigen Fall hat es eine<br />
Distanzierung durch die FPÖ Oberösterreich gegeben;<br />
D die FPÖ deckt die beschämenden Aufkleber („Zuwanderung kann tödlich sein”) ihrer<br />
Jugendorganisation RFJ, gegen die Anzeige durch den Stardirigenten Den nis Russel<br />
Davies eingebracht wurde;<br />
D mehrere Funktionäre des RFJ haben in den vergangenen Jahren auch beim rechts extremen<br />
BFJ mitgearbeitet. Über den BFJ schreibt Verfassungrechtsexperte Heinz Mayer: „Of fen -<br />
kundige und verbrämte Verherrlichung nation<strong>als</strong>ozialistischer Ideen und Maßnahmen, zynische<br />
Leugnung von nation<strong>als</strong>ozialistischen Gewaltmaßnahmen, eine hetzerische Sprache mit<br />
deutlich aggressivem Ton gegen Ausländer, Juden und ,Volksfremde’ sowie eine Darstellung<br />
‘des Deutschen’ <strong>als</strong> Opfer sind typische und stets wiederkehrende Signale".<br />
D der FP-Spitzenkandidat für die Linzer Gemeinderatswahlen, Detlef Wimmer, formulierte<br />
laut OÖN: „Wenn die Zuwanderung aus dem Ausland weiterhin so stark bleibt, besteht<br />
langfristig die Gefahr, dass unser eigenes Volk ausstirbt.”<br />
D FP-Oberösterreich-Chef Weinzinger laut OÖN: „Jede blonde, blauäugige Frau - das heißt<br />
jede Frau mit deutscher Muttersprache - braucht drei Kinder, weil sonst holen uns die<br />
Türkinnen ein”, hat FPÖ-Landesobmann Lutz Weinzinger öffentlich erklärt (‘OÖ.<br />
Nachrichten’, 19. <strong>September</strong> 2008).<br />
D Im Linzer Gemeinderat hat die FPÖ <strong>als</strong> einzige Fraktion einen Antrag abgelehnt, der<br />
„demokratie- und fremdenfeindliche sowie rechtsextreme Tendenzen” verurteilt und<br />
sich für „Pluralität, Demokratie und Weltoffenheit” ausspricht (Protokoll der Linzer<br />
Gemeinderatssitzung vom 12. März <strong>2009</strong>).<br />
D Auf der Kandidatenliste der FPÖ in Linz stehen z.B. ein ehemaliger Aktivitst der deutschen<br />
Republikaner und ein Ehemaliger der VAPO an wählbarer Stelle.<br />
D Dazu hat das oö. Netzwerk gegen Rassismus und Rechtsextremismus vor wenigen<br />
Wo chen eine Fülle von Belegen publiziert. ... uswusf.<br />
POLITIK<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 9
POLITIK • INLAND<br />
HINTERGRUND<br />
Der Exiljude<br />
Von Alexia Weiss<br />
© Foto zur Ausstellung „Joseph Roth im Exil 1933 - 1939”<br />
Den Begriff Exiljude hat der bis vor<br />
kurzem weitgehend unbekannte Chef<br />
der Vorarlberger FPÖ, Dieter Egger,<br />
nicht erfunden. Auch in jüdischen<br />
Kreisen wird von Exiljuden gesprochen,<br />
wenn man Personen meint, die<br />
vor dem nS-Terror flüchteten, zu meist<br />
in die USA, und an diesem neuen Ort<br />
ein zweites Leben begannen. in diesem<br />
Fall schwingt meist etwas nostal -<br />
gie mit, es geht oft um Anekdoten aus<br />
dem Leben mehr oder weniger be -<br />
rühmter ehemaliger österreichischer<br />
Juden, es geht darum eine Ver bin dung<br />
herzustellen zwischen Leben eins hier<br />
zu Lande und Leben zwei anderswo.<br />
Leider gibt es nicht mehr viele Le ben -<br />
de dieser Generation.<br />
Einen negativen Subton erfährt der<br />
Begriff, wenn er von israelis für nicht<br />
in israel lebende Juden verwendet<br />
wird. Das meint jedenfalls Amnon<br />
Raz-Krakotzkin, Experte für Jüdische<br />
Geschichte an der Ben Gurion Uni ver -<br />
sität in Beer Sheva. Er kritisiert immer<br />
wieder den israelischen nationalis mus<br />
und meint, die zionistische Bewe gung<br />
basiert auf einer kategorischen Ableh -<br />
nung der Diaspora. Daher sei in den<br />
ersten Jahrzehnten nach der Staats -<br />
grün dung streng zwischen Exiljuden<br />
und neuen Juden – jenen <strong>als</strong>o, die in<br />
ihr angestammtes Heimatland israel<br />
zu rückkehren – unterschieden worden.<br />
Baut Egger hier <strong>als</strong>o mit seinem Wahl -<br />
kampf-Sager, der Direktor des Jüdi -<br />
schen museums Hohenems, Hanno<br />
Loewy, sei ein „Exiljude aus Amerika in<br />
seinem hochsubventionierten Mu se um“,<br />
den die innenpolitik nichts angehe<br />
(Loewy hatte zuvor in einem Offenen<br />
Brief auf den ausländerfeindlichen<br />
Wahlkampf der FPÖ in Vorarlberg<br />
hingewiesen, wo am 20. <strong>September</strong><br />
der Landtag neu gewählt wurde), gar<br />
auf einer israelischen Konzeption auf?<br />
nur: wie sinnvoll ist es, einen Begriff<br />
aus der österreichischen Perspektive<br />
zu verwenden, der nur aus der israelischen<br />
Perspektive Sinn macht?<br />
Gar nicht, meint Martin Blumenau in<br />
seinem Blog auf fm4.at, der internet-<br />
Präsenz des ORF-Radiosenders Fm4<br />
nach. Der Begriff sei eben nur von is -<br />
ra el aus anwendbar. Der Begriff sei<br />
hier „fehl am Platz und f<strong>als</strong>ch eingesetzt“,<br />
und werde durch den von FPÖ-Bun -<br />
desobmann Heinz-Christian Stra che<br />
in diesem Zusammenhang genannten<br />
früheren SPÖ-Bundeskanzler Bruno<br />
Kreisky, der auch Exiljude gewesen sei,<br />
auch nicht richtiger. Denn, so Blu me -<br />
nau: „Bruno Kreisky war genauso wenig<br />
wie abertausende andere Österreicher, die<br />
vom Nazi-Terror enteignet und vertrieben<br />
wurden, die rechtzeitig flüchten konnten,<br />
um so ihrer flächendeckenden Ermor dung<br />
zu entgehen, ein Exiljude, sondern Exil-<br />
Österreicher.“ Außerdem: auch der<br />
Da lai Lama sei kein Exil-Buddhist,<br />
sondern ein Exil-Tibeter. Der Begriff<br />
Exil bedinge eine nation. „Selbstver -<br />
ständ lich werden immer wieder Men schen<br />
aus religiösen Gründen ins Exil vertrieben,<br />
es kann allerdings nur ein geografisches<br />
sein. Es gibt kein religiöses Exil.“<br />
Passender Begriff oder nicht: Fakt ist<br />
– Loewy befindet sich weder im Exil<br />
noch ist er Amerikaner. Die Frage wä -<br />
re allemal, befindet sich ein Deut scher,<br />
der in Österreich ein museum leitet,<br />
im Exil? Was <strong>als</strong>o schwingt hier mit –<br />
und was davon ist wiederum be wusst<br />
lanciert, um antisemitische Res sen ti -<br />
ments zu schüren und bei der bevorstehenden<br />
Landtagswahl Stimmen zu<br />
bringen? Der Wahlkampfauftritt Eg -<br />
gers wurde von jener Werbeagen tur<br />
inszeniert, die auch den Schweizer po -<br />
pulistischen Rechts-Außen-Politi ker<br />
Christoph Blocher betreut. Deutet das<br />
auf eine vorab fixierte Strategie hin?<br />
Wirkt Antisemitismus vor Wahlen<br />
stim merhöhend bei potenziellen Blau-<br />
Wählern?<br />
Es ist der Betroffene selbst, der hier<br />
eine andere Perspektive einnimmt. Es<br />
sei wohl mit Egger „durchgegangen“.<br />
Dass es mit Egger „so durchgegangen“<br />
sei, „zeigt doch, dass der Affekt ziemlich<br />
tief sitzen muss“, so Loewy in den ‘Vor -<br />
arlberger nachrichten’. in ei nem in -<br />
terview mit der „Presse“ meint er,<br />
wenn man tatsächlich „Exiljude aus<br />
Amerika“ wäre, wäre gegen die Wort -<br />
wahl Eggers nichts einzuwenden.<br />
„Aber wenn man keiner ist und der, der<br />
das sagt, das weiß, wird es interessant“.<br />
Denn, so Loewy: „Ich bin in Frankfurt<br />
geborener Jude und lebe in Vorarlberg. Ich<br />
bin nicht im Exil, sondern freiwillig und<br />
auf Einladung hier. Wenn jemand eindeutig<br />
etwas sagt, was nicht stimmt, muss er<br />
etwas damit meinen. Also zwingt er uns<br />
jetzt darüber nachzudenken, was er meint.“<br />
Was er meint, das haben die Regie -<br />
rungs parteien auf Bundesebene, SPÖ<br />
und ÖVP, das haben die Grünen, das<br />
hat auch der amtierende Vorarlberger<br />
Landeshauptmann Herbert Saus gru -<br />
ber (ÖVP) umgehend auf den Punkt<br />
gebracht: hier kommt Antisemitis mus<br />
zum Ausdruck. Das Wahljahr <strong>2009</strong><br />
lässt erahnen, womit beim Wiener<br />
Wahl kampf kommendes Jahr zu rechnen<br />
ist. Der EU-Wahlkampf zeichnete<br />
sich durch mehrere antisemitische At -<br />
tacken der FPÖ aus (inserate, die vor<br />
einem gar nicht angestrebten israel-<br />
Beitritt zur EU warnen; ein Dritter<br />
nationalratspräsident, der iKG-Präsi -<br />
dent Ariel muzicant <strong>als</strong> „Ziehvater<br />
des antifaschistischen Linksterroris -<br />
mus“ bezeichnet). in Oberösterreich<br />
wollte gar eine klar rechtsextreme<br />
Par tei, die nationale Volkspartei<br />
(nVP), zur Landtagswahl antreten.<br />
Und nun in Vorarlberg die – geplante<br />
oder ungeplante – Entgleisung<br />
Eggers. Wieder einmal wird der Wäh -<br />
ler entscheiden. Wie, das wissen wir<br />
am 20. <strong>September</strong>.<br />
10 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • INLAND<br />
Antisemitismus –<br />
ein unausrottbares Phänomen?<br />
Antisemitisches<br />
Wahlplakat 1920<br />
VON DORI MUCH<br />
Nur konsequente Aufklärung und Ächtung<br />
der Hetzer könnten den Judenhass<br />
aus der Welt schaffen.<br />
Der Antisemitismus in mitteleuropa ist<br />
ein uraltes und scheinbar unausrottbares<br />
Phänomen. Obwohl heute in<br />
Österreich, <strong>als</strong> Folge des Holocausts,<br />
nur noch wenige tausend Juden leben<br />
(fast ausschließlich in Wien), zeigen<br />
alle repräsentativen Umfragen der<br />
ver gangenen Jahrzehnte, dass sich an<br />
der negativen Grundeinstellung der<br />
Bevölkerung zum Judentum nicht viel<br />
geändert hat.<br />
Der aus dem 19. Jahrhundert stam men -<br />
de Begriff „Antisemitismus“ wird <strong>als</strong><br />
feindliche Einstellung gegenüber Ju -<br />
den <strong>als</strong> Personen oder dem Judentum<br />
<strong>als</strong> Konfession definiert.<br />
„Antisemitismus“ – ein geläufiger,<br />
aber unsinniger Ausdruck, da Juden -<br />
tum mit Rassenzugehörigkeit nichts<br />
zu tun hat und die meisten Juden<br />
außerhalb israels nicht einmal hebräisch<br />
(<strong>als</strong>o eine semitische Sprache)<br />
sprechen – ist nach all den ausgewerteten<br />
Umfrageergebnissen der vergangenen<br />
Jahren zwar „nur“ noch bei ei -<br />
nem harten antisemitischen Kern von<br />
zehn bis 15 Prozent der Österreicher<br />
deutlich ausgeprägt; Vorurteile, ohne<br />
ausgesprochene Hassgefühle gegen<br />
Juden, finden sich hingegen bei rund<br />
75 Prozent der Befragten. Das bedeutet<br />
aber auch, dass nicht jeder mensch,<br />
der bestimmte antijüdische Vorurteile<br />
hegt, automatisch <strong>als</strong> Antisemit be -<br />
zeich net werden kann, weil Vorur tei le<br />
nicht zwangsläufig zu feindlichen Ge -<br />
fühlen führen müssen. Doch, dass Vor -<br />
urteile und Hassgefühle gegen be -<br />
stimmte menschengruppen eng miteinander<br />
zusammenhängen, kann<br />
nicht geleugnet werden.<br />
Biologisch gefärbte Schlussfolgerung<br />
Bei den typischen antijüdischen Vor -<br />
ur teilen muss zwischen vielfältigen<br />
negativen und positiven Klischees<br />
unterschieden werden. Denn wenn je -<br />
mand beispielsweise meint, dass Ju -<br />
den „tüchtiger“, „schlauer“ oder „in tel li -<br />
gen ter“ <strong>als</strong> nichtjuden seien, heißt das<br />
wiederum nichts anderes, <strong>als</strong> dass „sie<br />
eben doch von Natur aus an ders sind“ –<br />
eine nicht ungefährliche, weil biologische<br />
gefärbte Schlussfol ge rung.<br />
Antijudaismus – die korrekte Be zeich -<br />
nung des Phänomens der Ablehnung<br />
des Judentums aufgrund religiöser<br />
Vorurteile – hat in christlichen Län -<br />
dern eine fast zweitausend Jahre alte<br />
Tradition. Selbst wenn die Religion<br />
heute nicht mehr die dominierende<br />
Rol le im Leben der Bevölkerung spielt<br />
wie in vergangenen Zeiten, ist dennoch<br />
unbestreitbar, dass schon die<br />
Jüngsten seit jeher mit den massiven<br />
antijüdischen Beschuldigungen und<br />
antijüdischen Klischees des neuen<br />
Testaments aufgewachsen sind. Ty pi -<br />
sche derartige Antijudaismen sind<br />
u.a.: „geldgierige Gesellen“ (mk 12,32–<br />
37); „Gottes- und Prophetenmörder und<br />
Feinde aller Menschen“ (1.Thes 2,14ff);<br />
„Kinder des Teufels“ (Joh 8,37–44); „wi-<br />
der spenstiges Volk“ (Röm 10,21); „Diebe<br />
und Heuchler“ (Röm 2,22–37); „Schlan-<br />
genbrut“ (Lk 3,7). Es kann da her nicht<br />
bestritten werden, dass der „moderne“<br />
antisemitische Judenhass eng mit dem<br />
uralten Antijudaismus der Kirche zu -<br />
sammenhängt.<br />
Doch das moderne Christentum hat<br />
längst einen neuanfang gesetzt. Schon<br />
im August 1948 haben bei der Grün -<br />
dung des Weltkirchenrates in Amster -<br />
dam 146 Kirchen den Antisemitismus<br />
<strong>als</strong> Sünde gegen Gott und die men -<br />
schen verurteilt und mit dem 2.<br />
Vatikanischen Konzil (1959) kam es<br />
auch zu einer Kehrtwende der katholischen<br />
Kirche in Bezug auf sämtliche<br />
Formen des Judenhasses. Sowohl die<br />
katholische <strong>als</strong> auch die evangelische<br />
Kirche vertreten heute die Lehre, dass<br />
es keine Kollektivschuld der Juden ge -<br />
ben kann für das, was vor 2000 Jahren<br />
mit Jesus geschehen ist, dass die Ju den<br />
nicht von Gott verstoßen wurden und<br />
der alte Bund von Gott nie aufgekün -<br />
digt wurde. Sie bekräftigen, dass Je sus,<br />
maria und alle Apostel Juden waren,<br />
dass die Aufforderung zur näch s ten -<br />
liebe ein Eckpfeiler der He bräischen<br />
Bibel („Altes Testa ment“) ist, und dass<br />
es zwischen Judentum und Chris ten -<br />
tum eine Art mutter-Toch ter- bzw.<br />
Geschwisterbeziehung gibt.<br />
Das Umdenken der Kirchen in Bezug<br />
auf das Judentum und der intensive<br />
christlich-jüdische Dialog haben si cher -<br />
lich sehr viel Positives bewirkt, doch<br />
solange viele menschen immer noch<br />
in den alten Denkschemata verharren<br />
und antijüdische Vorurteile hegen<br />
(wie der längst noch nicht überwundene<br />
Anderlkult in Tirol beweist),<br />
bleibt für alle Gutwilligen noch viel<br />
zu tun.<br />
neben dem bereits besprochenen religiösen<br />
Antijudaismus gibt es aber noch<br />
andere Formen der Judenablehnung.<br />
Bekannt sind: der soziale Antise mi tis -<br />
mus („jüdische Machenschaften im Han -<br />
del und im Geldverkehr“), der politische<br />
Antisemitismus („Beherrschung der<br />
Welt“), der Rassenantisemitismus<br />
(„Juden von Natur aus böse“) und – seit<br />
einigen Jahrzehnten – der antizionistische<br />
Antisemitismus.<br />
Kritik ist legitim<br />
Einzelmerkmale dieser neuartigen Va -<br />
riante des Antisemitismus, bei der<br />
man die „bösen“ Zionisten be schimpft<br />
und in Wirklichkeit „die Juden“ meint,<br />
sind: Ablehnung des Existenzrechts<br />
des jüdischen Staates, Verneinung des<br />
Anspruchs von Juden auf nationale<br />
Selbstbestimmung, Vergleiche von is -<br />
rael mit nazideutschland, die einseitige,<br />
meist schrille Verdammung is ra els<br />
wegen wirklicher oder vermeintli cher<br />
menschenrechtsverletzungen, ohne<br />
sich jem<strong>als</strong> um entsetzliche men schen -<br />
rechtsverletzungen in anderen Welt -<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 11
ge genden zu kümmern, negierung<br />
des Holocaust, Bezugnahme auf den<br />
„Gott der Rache“ im Alten Testament,<br />
Projektion der Politik israels auf das<br />
Ver halten aller Juden der Welt und das<br />
Gutheißen von Anschlägen gegen un -<br />
schuldige Personen jüdischer Abstam -<br />
mung in- und außerhalb von israel.<br />
Diese Art des offenen und latenten<br />
Antisemitismus ist besonders bei<br />
Rechts- und Linksextremisten zu finden,<br />
aber auch im fundamentalistischen<br />
islam.<br />
An dieser Stelle muss aber betont werden,<br />
dass eine ausgewogene Kri tik an<br />
der derzeitigen oder vergangenen<br />
Politik der israelischen Regierung<br />
nicht automatisch mit Antisemitis -<br />
mus gleichgesetzt werden kann. Eine<br />
fundierte, faire und konstruktive Kri -<br />
tik ist immer legitim und manchmal<br />
durchaus notwendig.<br />
Bis vor einigen Jahren hielten sich An -<br />
tisemiten mit offen vorgetragenen<br />
Ver leumdungen von Juden weitgehend<br />
zurück. Doch nach und nach<br />
ändert sich das Bild. Offener und versteckter<br />
Antisemitismus wird gesellschaftlich<br />
und politisch immer mehr<br />
toleriert und die Bereitschaft der Bür -<br />
ger, der Justiz und der Politiker, ge -<br />
gen antijüdische Hetzer vorzugehen,<br />
nimmt langsam, aber sicher ab.<br />
Eggers Antisemitismus<br />
in diesem Zusammenhang muss ge -<br />
fragt werden, woran man denn einen<br />
Antisemiten erkennen kann. Hier kann<br />
zwischen denjenigen Personen, die<br />
ihre Judenfeindschaft offen artikulieren,<br />
und solchen menschen, die weit<br />
POLITIK • INLAND<br />
vorsichtiger formulieren, aber mit leisen<br />
Tönen Gleiches sagen wollen, un -<br />
ter schieden werden. Letztere sprechen<br />
gerne „von den Mächten der Ostküste“<br />
oder versuchen, Juden <strong>als</strong> „übermäßig<br />
einflussreiche und heimatlose Gesellen“<br />
darzustellen. Gleiches gilt für den Um -<br />
gang mit kriminell gewordenen Per -<br />
sonen (wie etwa Bernard madoff). So -<br />
bald es sich um Juden handelt, wird<br />
ihre Religion genüsslich hervorgehoben.<br />
Ein ähnliches Denkmuster zeigt<br />
auch das Verhalten des Vorarl berger<br />
FPÖ-Politikers Dieter Egger, der im<br />
Zuge des Vorwahlkampfes der Land -<br />
tagswahl <strong>2009</strong> den Direktor des Jü di -<br />
schen museums (einen gebürtigen<br />
Deut schen) in Hohenems <strong>als</strong> „amerikanischen<br />
Exiljuden“ beschimpft hat.<br />
Selbst wenn der Vorwurf, „Exi ljude zu<br />
sein“, nicht <strong>als</strong> Straftat gewertet werden<br />
kann, ist die Absicht, die dahin -<br />
Pakistanischer Student 2003<br />
tersteckt, klar: Es kann angenommen<br />
werden, dass Dieter Egger bei der Er -<br />
wähnung von nichtjüdischen Gegnern<br />
und Kritikern nie auf die idee kommen<br />
würde, deren Religion an die<br />
große Glocke zu hängen.<br />
Der Antijudaismus/Antisemitismus<br />
ist ein schwer zu behebendes und ir ri -<br />
tierendes Uraltphänomen, das nur<br />
durch konsequente Erziehung der Ju -<br />
gend, Aufklärung und gesellschaftliche<br />
bzw. politische Ächtung der Hetzer<br />
aus der Welt geschafft werden kann.<br />
Ersterscheinung: „Die Presse”,<br />
Gastkommentar vom 05.09.09<br />
Anm. d. Redaktion: Die Staatsanwaltschaft Feld kirch<br />
ist nicht mehr gegen FPÖ-Chef Dieter Egger wegen<br />
Verdachts auf Verhetzung tätig.<br />
Trauriger Graf<br />
Der Dritte nationalratspräsident<br />
Mar tin Graf (F) ist „grundsätzlich traurig”,<br />
dass sich der Präsident der is -<br />
raelitischen Kultusgemeinde, Ariel<br />
muzicant, nun doch nicht mit ihm tref -<br />
fen will. Dies sei eine „Dialogverwei-<br />
gerung” - und eine solche sei „nicht<br />
be sonders demokratisch”, sagte Graf ge -<br />
genüber der APA. Ur sprüng lich hatte<br />
sich muzicant bereit erklärt, nach seinem<br />
Urlaub einer Einladung Grafs zu<br />
einem Gespräch nachzukommen -<br />
nach den vor dem Sommer über die<br />
me dien geführten Auseinan der set -<br />
zungen, weil Graf den iKG-Prä siden -<br />
ten „Ziehvater des antifaschistischen<br />
Linksterror” nannte. in der „Pres se”<br />
teilte muzicant aber mit, dass ein solcher<br />
Termin keinen Sinn mache und<br />
nur der PR Grafs dienen würde, weil<br />
beinahe täglich Aussagen und Pro vo -<br />
ka tionen zu hören seien. Graf meinte<br />
er werde sich dennoch weiterhin um<br />
ei nen Termin mit muzicant be mü hen,<br />
„meine Türen stehen immer offen”. Auf<br />
die Argumentation des iKG-Prä si den -<br />
ten ging er nicht näher ein. Er führte<br />
nur seine „berufliche und persönliche<br />
Erfah rung generell” an, dass man „im-<br />
mer eine Ausrede findet, wenn man einen<br />
Ter min nicht ernsthaft will”<br />
Der FPÖ sei es nicht um die Dees ka -<br />
la tion gegangen, „ihnen ging es angeblich<br />
darum, Missverständnisse aufzuklären.<br />
Ich bin aber nicht bereit, mit Graf und<br />
Co. über Missverständnisse zu verhandeln,<br />
weil es keine Missverständnisse gibt.<br />
Olym pia ist eine rechtsextreme Organi sa -<br />
tion, Mitgliedschaft dort ist für einen Prä -<br />
sidenten des Nationalrats einfach nicht<br />
tragbar", so muzicant weiter. Auch die<br />
Ar gu mentation von FPÖ-Obmann<br />
Heinz-Christian Strache nach dem<br />
„Exilju den”-Sager des freiheitlichen<br />
Spit zen kandidaten Dieter Egger lässt<br />
muzi cant nicht gelten. „Stimmt, es ist<br />
keine Beleidigung. Es ist Antisemitis mus.”<br />
Ganz klar spricht sich der iKG-Prä si -<br />
dent für eine lückenlose Re habi li tie -<br />
rung von Wehrmachts-Deser teu ren,<br />
wie sie derzeit diskutiert wird, aus.<br />
"Natürlich. Ich bin nicht nur dafür, dass<br />
man sie rehabilitiert, ich bin auch dafür,<br />
dass man eingesteht, dass die bisherige<br />
Politik f<strong>als</strong>ch war", so muzicant. „Stra -<br />
ches Äußerung dazu ist rechtsextremistisches<br />
Gedankengut in Reinkul tur und reiht<br />
12 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • INLAND<br />
sich lückenlos in die Serie der laufenden<br />
Provokationen der 'Keller-Nazis' ein.<br />
Diese FPÖ ist eine Schande für un ser<br />
Land und kein politischer Partner, weder<br />
für Koalitionen noch für eine Po litik für<br />
die Menschen in Österreich."<br />
Für „absolut abstrus” hält auch Po li -<br />
tik wis senschafter Walter Manoschek<br />
die Aussagen von FPÖ-Chef Heinz-<br />
Christian Strache, wonach „mindestens<br />
15 Prozent” der Wehrmachtsde -<br />
ser teure ihre Kameraden ermordet<br />
hätten. manoschek ist Autor einer im<br />
Jahr 2003 veröffentlichten Studie, bei<br />
der 1.300 Fälle desertierter Österreicher<br />
untersucht wurden. Dabei lag in<br />
„nur” zwei Fällen (<strong>als</strong>o ca. 0,2 Pro -<br />
zent) ein Tötungsdelikt vor.<br />
Anlässlich des 70. Jahrestages des<br />
Aus bruchs des Zweiten Weltkriegs ist<br />
die Diskussion um die lückenlose Re -<br />
habilitierung von Fahnenflüchtigen<br />
wie der entflammt. Die Grünen wollen<br />
noch heuer gemeinsam mit SPÖ<br />
und ÖVP ein entsprechendes Gesetz<br />
durch den Nationalrat bringen. Na tio -<br />
nal rats präsidentin Barbara Pram mer<br />
(S), der Zweite National rats präsident<br />
Fritz Neugebauer und der frühere Na -<br />
tio na l ratspräsident Andreas Khol (bei-<br />
de V) hatten sich zuletzt zustimmend<br />
ge äußert. In der Diskussion geht es<br />
da rum, dass Wehrmachts-Deserteure<br />
mit dem „Anerkennungsgesetz 2005”<br />
zwar sozialrechtlich den anderen Op -<br />
fergruppen gleich gestellt, aber im Ge -<br />
setz nicht explizit erwähnt wurden.<br />
Die Ergebnisse der vom Wissen -<br />
schafts ministerium in Auftrag gegebenen<br />
zweijährigen Studie „Opfer der<br />
NS-Militärjustiz” sollten die Grund la -<br />
ge für eine juristische Rehabilitierung<br />
von während der NS-Zeit verurteilten<br />
Österreichern sein.<br />
In Deutschland und Österreich gehe<br />
man von ungefähr 20.000 Personen<br />
aus, die zwischen 1939 und 1945 von<br />
der NS-Militärjustiz aufgrund von De -<br />
sertion verurteilt wurden, so der Po li -<br />
tologe Walter Manoschek. Hoch ge -<br />
rechnet wären ca. 2.000 Österreicher<br />
un ter den Verurteilten gewesen, un -<br />
gefähr 1.500 davon seien hingerichtet<br />
worden. Manoschek: „Zusam men mit<br />
den Menschen, denen die Desertion ge -<br />
glückt ist, gehen wir von einer dreistelligen<br />
Zahl aus, die heute noch lebt.”<br />
Störenfriede der Erinnerung<br />
Veranstaltung erinnert an Opfer der NS-Militärjustiz<br />
nationalratspräsidentin Barbara Pram -<br />
mer lud am 18. <strong>September</strong> zu einer<br />
Gedenkver an staltung für Verfolgte<br />
der nS-militärjustiz ins Palais Epstein.<br />
Zu Wort kamen dabei die ehemalige<br />
Widerstandskämpferin Helga Emper ger,<br />
der Präsident des Verban des der<br />
Kärntner Partisanen (Zveza Koroskih<br />
Partizanov) Peter Kuchar, der Wider -<br />
stands kämpfer und langjährige Vor -<br />
sitzende des Bundes Sozialdemo kra -<br />
tischer Freiheitskämpfer Hugo Pepper,<br />
der Komponist Friedrich Cerha sowie<br />
der ehemalige Wehrmachtsdeserteur<br />
und Obmann des „Personenkomitee<br />
Gerechtigkeit für die Opfer der nSmi<br />
li tärjustiz” Richard Wadani.<br />
Prammer begrüßte die anwesenden<br />
Gäste und bedankte sich bei den Zeit -<br />
zeugen herzlich für ihr Kommen. An<br />
dieser Stelle zeigte sie sich zufrieden<br />
darüber, dass es gelungen sei, nun<br />
auch die Kärntner Partisanen <strong>als</strong> Op -<br />
fergruppe im nationalfonds aufzunehmen,<br />
sodass diese nun ebenfalls entschädigt<br />
werden könnten. Vor 70 Jah -<br />
ren, führte Prammer weiter aus, ha be<br />
der Zweite Weltkrieg begonnen, der<br />
von Anfang an <strong>als</strong> Vernich tungs krieg<br />
geplant gewesen sei. Ein solches Da -<br />
tum sei hilfreich, sich wieder einmal<br />
mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen,<br />
so die Präsi den tin.<br />
in einer ersten Runde sprachen die<br />
Zeitzeugen von ihren ganz besonderen<br />
Erfahrungen mit dem Thema.<br />
Helga Emperger berichtete von ihren<br />
Aktivitäten im Widerstand und da von,<br />
dass sie mit ihrer mutter Wehr machts -<br />
deserteuren half, wofür sie 1944 in<br />
die Fänge der Gestapo geriet. ihre<br />
mutter wurde von den national so zi a -<br />
lis ten hingerichtet, Emperger über -<br />
lebte knapp.<br />
Peter Kuchar schilderte die Aktiv i täten<br />
der Kärntner Partisanen, die<br />
einen aktiven Beitrag zur Befreiung<br />
Österreichs leisteten. Er selbst wirkte<br />
an deren Kampf <strong>als</strong> Kurier mit. Hugo<br />
Pepper wiederum leistete innerhalb<br />
der Wehrmacht Widerstand und stand<br />
auch mit der Gruppe um Major<br />
Szokoll in Verbindung.<br />
Richard Wadani wiederum desertierte<br />
1944 aus der Wehrmacht, wobei es<br />
ihm gelang, sich nach England durchzuschlagen,<br />
wo er sich einer Gruppe<br />
der tschechoslowakischen Exilarmee<br />
an schloss. Der Komponist Cerha<br />
schließ lich war 1944 zur Wehrmacht<br />
eingezogen und in Dänemark stationiert<br />
worden, von wo aus ihm wenig<br />
später die Flucht aus der Armee<br />
gelang, wobei er sich quer durch<br />
Deutschland nach Tirol durchschlug.<br />
in einer zweiten Gesprächsrunde ging<br />
es um die Erfahrungen der Zeit zeu -<br />
gen nach 1945 und auch darum, wie<br />
sich die Einschätzung ihrer Handlun -<br />
gen im Laufe der Zeit in der Gesell -<br />
schaft geändert hat.<br />
Barbara Prammer und Richard Wadani<br />
©Carina Ott<br />
in Österreich kam es erst 2005 zur<br />
teilweisen rechtlichen Rehabili tie rung<br />
von Opfern der nS-militärjustiz durch<br />
das sogenannte Anerken nungs gesetz.<br />
Zum 70. Jahrestag des Be ginns des<br />
Zweiten Weltkriegs und vier Jah re nach<br />
Verabschiedung des Anerken nungs -<br />
gesetzes 2005 erinnert nun auch eine<br />
Ausstellung an die Ver ur teil ten der<br />
nS-Kriegsgerichte. Am 1. Sep tem ber<br />
<strong>2009</strong> wurde die Wan der ausstel lung<br />
„Was dam<strong>als</strong> Recht war ...” im Wiener<br />
nestroyhof eröffnet. Sie wurde für<br />
Deutschland entwickelt, durch den<br />
Ver ein „Personenkomitee Gerechtig -<br />
keit für die Opfer der nS-militär jus tiz”<br />
in Zusammenarbeit mit dem „Ver ein<br />
Gedenkdienst für Österreich” aktualisiert<br />
und ist noch bis zum 15. Oktober<br />
hierzulande zu sehen.<br />
Die Ausstellung erinnert an weit<br />
mehr <strong>als</strong> 20.000 Soldaten und Zivi listen<br />
aus nahezu ganz Europa, die durch<br />
Unrechtsurteile der Wehr machts ge -<br />
rich te umkamen. in diesem Zusam -<br />
men hang findet wei ters am 1. und 2.<br />
Ok tober <strong>2009</strong> ein themenspezifisches<br />
Symposion im Wie ner Justizpalast<br />
statt, an dem sich Ex pertinnen und<br />
Ex perten aus zahlreichen Ländern be -<br />
teiligen werden.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 11
POLITIK • INLAND<br />
Die internationale jüdische<br />
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Leute aus Terror-<br />
Camps stellen ein<br />
Risiko dar<br />
Peter Gridling, Leiter des Bundes am tes<br />
für Verfassungsschutz und Terroris -<br />
mus bekämpfung (BVT), zeigte sich im<br />
interview mit der ‘Presse am Sonn tag’<br />
besorgt über in Österreich lebende<br />
islamisten, die sich in ausländischen<br />
Terror-Camps ausbilden lassen. Das<br />
BVT habe bereits mehrere derartige<br />
Fälle angezeigt, aufgrund der Geset -<br />
zes lage habe man aber wenig Hand -<br />
habe gegen solche menschen. Ent -<br />
spre chende Ermittlungsergebnisse des<br />
BVT lägen aktuel bei der Justiz, so<br />
Gridling.<br />
„Diese Personen stellen einfach ein Risi ko<br />
dar, wenn sie nach Österreich zurückkommen.<br />
Die Kontakte, die sie in den Terror-<br />
Camps gewinnen, pflegen sie auch weiter”,<br />
so Gridling. Überhaupt diagnostiziert<br />
der BVT-Chef eine steigende Zahl an<br />
„radikalisierten Personen” in der isla mis -<br />
ten-Szene im Land: „Die Szene verändert<br />
sich”, auch die Anwesenheit von<br />
„Schläfern” in Österreich sei nicht<br />
aus zuschließen.<br />
im Zusammenhang mit dem sogenannten<br />
„Spitzel-Ausschuss” im Par -<br />
lament, der auch Vorwürfen kasachischer<br />
Spionageakte in Österreich<br />
nachgehen soll, kritisiert Gridling die<br />
verzerrte verharmlosende Bericht erstattung<br />
in den medien: „Ein ausländischer<br />
Nachrichtendienst hat all seine<br />
Möglichkeiten genutzt, um konsequent<br />
und mit allen Mitteln die Anliegen seines<br />
Landes umzusetzen.” in drei Fällen ha be<br />
es in dieser Causa Versuche ge geben,<br />
menschen mit Gewalt zu entführen,<br />
das BVT habe hier zahlreiche Perso -<br />
nen angezeigt.<br />
Stadt Salzburg arbeitet die Zeit des<br />
Nation<strong>als</strong>ozialismus auf<br />
Forschungsprojekt bis 2015 mit 30 bis 40 Wissenschaftern<br />
nach dem Vorbild Linz wird nun die<br />
Stadt Salzburg ihre Geschichte während<br />
der nS-Zeit aufarbeiten. Es sei<br />
zwar punktuell schon viel geforscht<br />
worden, aber nun sollen diese Jahre<br />
um fassend dargestellt und in einem<br />
Stan dardwerk zusammengefasst wer -<br />
den, kündigte Bürgermeister Heinz<br />
Schaden (S) bei einem Presse gespräch<br />
an.<br />
immer wieder gebe es heute Proble me,<br />
etwa bei Straßenbenennungen, wenn<br />
es gelte, Personen einzuordnen, er -<br />
klär te Ingrid Tröger-Gordon, „es fehlen<br />
oft die Zusammenhänge”. Und genau<br />
diese sollen mit dem bis 2015 angesetzten<br />
Projekt geschaffen werden. Un -<br />
ter Federführung des nS-Forschers<br />
Ernst Hanisch und des Hauses der<br />
Stadt geschichte werden 40 bis 50 Wis -<br />
senschafter die verschiedensten The -<br />
men bereiche aufarbeiten.<br />
Die ersten Forschungen seit dem<br />
Frühjahr betrafen die Vorgeschichte<br />
des nation<strong>als</strong>ozialismus in der mo zart -<br />
stadt. Die Ergebnisse werden jetzt in<br />
einer Vortragsreihe vorgestellt. Wei -<br />
tere Schwerpunkte sind unter anderem<br />
der Alltag in diesen Jahren, die<br />
Kultur und Bildung, der Terror und<br />
die Verfolgung oder die macht struk -<br />
tu ren in der Stadt, der Justiz und der<br />
Polizei. Die Ergebnisse werden jedes<br />
Jahr in Buchform publiziert, vieles soll<br />
auch im internet veröffentlicht werden.<br />
Auch Ausstellungen und Workshops<br />
sind geplant. 25.000 Euro stellt die<br />
Stadt jährlich dafür bereit.<br />
Die Suche nach Quellen werde über<br />
Europa hinausgehen, sagte Hanisch.<br />
Gegen Kriegsende seien viele Doku -<br />
men te vernichtet worden, so dass man<br />
heute kaum etwas über die nSDAP<br />
oder die anderen Verbände in Salz burg<br />
wisse. „Wir kennen nur die Füh rer.” Dass<br />
die Forscher bei ihrer Arbeit auf Sen -<br />
sationen stoßen werden, erwartet der<br />
Historiker nicht. Wichtig sei es aber,<br />
die Zusammenhänge herzustellen,<br />
etwa, was die menschen dam<strong>als</strong> wirk -<br />
lich gewusst, wie sie darauf reagiert<br />
und das alles wahrgenommen haben.<br />
http://www.stadt-salzburg.at/internet/<br />
nation<strong>als</strong>ozialismus/p2_296694.htm<br />
Wiener Grüne zeigen Polizei wegen „Ethnic Profiling” an<br />
Rassismus-Vorwürfe gegen die Wiener Polizei: Der Grünen Stadtrat David<br />
Ellensohn hat angekündigt, die Exekutive der Stadt anzuzeigen. Hinter -<br />
grund ist ein neuer Ermittlungsweg, den die Polizei beschreitet. Laut ei -<br />
nem Bericht in der jüngsten Ausgabe der Wiener Stadtzeitung „Falter” setzen<br />
die Ermittler im Kampf gegen Einbrecher „Ethnic Profiling” ein. Dabei<br />
werden nicht konkret verdächtige Personen aufgrund ihrer Herkunft oder<br />
Religionszugehörig keit überprüft.<br />
Es handelt sich um eine ursprünglich aus Großbritannien stammende und<br />
höchst umstrittene methode, die im Wiener Fall gegen menschen aus Geor -<br />
gi en und moldawien eingesetzt werde, wie Ellensohn erklärte. „Mit Ethnic<br />
Profiling werden Menschen aufgrund ihrer Herkunft pauschal verdächtigt. Diese<br />
Fahndungs me thode ist rechtlich nicht gedeckt und damit in Österreich nicht<br />
zulässig. Deshalb bringen wir jetzt eine Anzeige ein”, sagte der Stadtrat.<br />
Gegenüber dem ORF-Landesstudio Wien verteidigte Landespolizei kom -<br />
man dant Karl mahrer die methode. Demnach handle es sich um eine reine<br />
Befra gung, um an informationen aus der Szene zu kommen: „Es geht sehr<br />
oft um Kontaktaufnahme, Gespräche und Gefahrenerforschung. Und all das ist ge -<br />
setzlich legitimiert.” Dazu Ellensohn: „Dass der Wiener Polizeikommandant<br />
Mah rer diese Vorgangsweise <strong>als</strong> reine ‘Befragung’ darstellt, ist ein misslungener<br />
Versuch, rassistische Polizei-Praktiken zu beschönigen. Wir fordern Mahrer auf,<br />
diese Praktiken zu beenden und nicht weiter durchzuführen.”<br />
14 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • INLAND<br />
Mitlieder der NVP<br />
mit Fahnen beim<br />
Prozessbeginn gegen<br />
Josef Fritzl in St. Pölten,<br />
März <strong>2009</strong><br />
© APA/Georg Hochmuth<br />
Vor dem Urnengang<br />
gestoppt<br />
Seit 2007 gibt es sie: die Nationale Volks -<br />
partei (NVP). Wer ihre Home page be -<br />
sucht, dem wird rasch klar, welche Ge sin -<br />
nung hier vertreten wird: gefordert wird<br />
die Aufhebung des Verbotsge set zes, un -<br />
terstrichen das Volk <strong>als</strong> „Fort pflan zungs -<br />
ge meinschaft“, gehetzt gegen „Multi -<br />
kultur“ und Ausländer. Zwei Jahre später<br />
wollte die Partei nun erstm<strong>als</strong> bei einer<br />
Wahl antreten – in Ober österreich. Die<br />
Landeswahlbehörde untersagte allerdings<br />
die Teilnahme an der Landtags wahl<br />
am 27. Sep tem ber. Zudem wurde An zei -<br />
ge bei der Staatsanwaltschaft erstattet –<br />
wegen Verdachts des Verstoßes gegen<br />
das Vebotsgesetz.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Das Dokumentationsarchiv des Öster -<br />
reichischen Widerstands (DÖW) stuft<br />
die nationale Volkspartei <strong>als</strong> „zumindest<br />
rechtsextrem“ ein. Ein Teil der<br />
handelnden Personen trägt mit ihrem<br />
bisherigen Werdegang und einschlägigen<br />
Engagement ein Übriges dazu<br />
bei, die rechtsextreme Gesinnung der<br />
Fraktion außer Zweifel zu stellen und<br />
ein naheverhältnis zu nazismus be -<br />
zie hungsweise neonazismus zu vermuten.<br />
An vorderster Parteifront:<br />
Robert Faller.<br />
Faller, Bundesgener<strong>als</strong>ekretär der<br />
nVP, hatte im Frühjahr 2007, <strong>als</strong> die<br />
nationale Volkspartei gegründet wur -<br />
de, bereits Erfahrung in und mit den<br />
verschiedensten initiativen gesammelt<br />
und ist damit für Beobachter der<br />
rechts extremen Szene kein unbeschriebenes<br />
Blatt. Er war Anführer der beiden<br />
neonazistischen Gruppen „Ka me -<br />
radschaft Germania“ sowie „Natio nal -<br />
de mokratisches Aktions bü ro NDAB“.<br />
Und er steht hinter der internet-Platt -<br />
form „Stop3g“, die sich dem Kampf<br />
gegen das Verbotsgetz verschrieben<br />
hat. Der Leitspruch lässt dabei nichts<br />
an Klarheit zu wünschen übrig: „Nur<br />
wer mit der Lüge lebt, muss Meinungs -<br />
frei heit fürchten! Maulkorb und Sprech -<br />
verbot für Nationalisten in Österreich“.<br />
Unterlegt ist der Slogan mit einem<br />
Foto des Holocaust-Leugners und Ge -<br />
schichts-Revisionisten David irving.<br />
Dennoch konnte die nVP im no vem -<br />
ber 2007 ihre Satzung im innen mi nis -<br />
terium hinterlegen. Denn, so erklärt<br />
ministeriumssprecher Rudolf Gollia<br />
auf Anfrage der „Gemeinde“: „Allein<br />
durch die Hinterlegung der Satzungen ei -<br />
ner politischen Partei, was im Innen mi -<br />
nis terium erfolgt, erhält die Partei noch<br />
keine Rechtspersönlichkeit. Erst durch das<br />
beabsichtigte Antreten einer Partei wird<br />
diese zur Wahlpartei und erst dann tritt<br />
die Rechtspersönlichkeit ein. In diesem Fall<br />
war – nachdem die NVP bei den oberösterreichischen<br />
Landtagswahlen zu kandidieren<br />
beabsichtigte, die oberösterreichische<br />
Landeswahlbehörde für das Prüfver fah ren<br />
zuständig.“<br />
in Oberösterreich hatte man sich<br />
bereits frühzeitig vorbereitet. Schließ -<br />
lich fiel die nVP seit ihrer Gründung<br />
immer wieder unangenehm auf: im<br />
<strong>September</strong> 2007 nahmen laut DÖW<br />
an die 100, zum Teil amtsbekannte<br />
neo nazis an einer Demonstration ge -<br />
gen einen angeblichen moscheebau in<br />
Wien-Brigittenau teil. Unter ihnen fan -<br />
den sich Vertreter der nVP, etwa der<br />
Wiener Anführer Karl Gosche scheck.<br />
Sie brüllten Parolen wie „Ausländer<br />
raus!“ und „Hier marschiert der nationale<br />
Widerstand!“ Zu der Demon stra -<br />
tion aufgerufen hatte die FPÖ.<br />
Um die Jahreswende 2007/08 fiel die<br />
nVP durch Aussagen von Aktivisten<br />
aus den eigenen Reihen auf, wonach<br />
man gezielt versuche, muslime zu pro -<br />
vozieren. „Unbekannte“ hätten zu<br />
Silvester ihren „islamischen Freunden<br />
[…] Glückwünsche in Form echter Schwei -<br />
neköpfe direkt zum Baugrund der zu -<br />
künftigen Moschee in Linz überbracht“.<br />
Bis dato hätte man „vor allem mit verbalen<br />
Taten der Aufklärung“ gegen „ei ne<br />
weitere Großmoschee in Österreich“<br />
gekämpft, nun „haben sich mutige Bür -<br />
ger entschlossen, ihren Unmut mit einem<br />
außergewöhnlichen Neujahrsgruß kundzutun“.<br />
Am ganzen Gelände seien<br />
„über ein Dutzend Schweineköpfe“ ver-<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 15
POLITIK • INLAND<br />
teilt worden. Dieses Bekenntnis fand<br />
sich auf der Homepage der nVP-na -<br />
hen Bürgerinitiative „Keine Moschee in<br />
Linz“, die vom nVP-Aktivisten Wolf -<br />
gang Schrögendorfer angeführt wird. Er<br />
ist im internet zudem mit einer Ar -<br />
beitsgemeinschaft gegen Glo balisie -<br />
rung vertreten.<br />
Ende märz 2008 versammelten sich<br />
auf Einladung der nationalistischen<br />
Plattform „Neutralität retten: Nein zum<br />
EU-Vertrag!“ mehr <strong>als</strong> 5.000 men -<br />
schen in der Wiener City. Darunter<br />
mischten sich an die 200 neonazis, u.a.<br />
auch der bekannte neonazi Gottfried<br />
Küssel. Ein Teil dieser rechtsextremen<br />
Grupp versammelte sich bei der<br />
Kundgebung unter dem Ban ner der<br />
nVP. Hier marschierten übrigens<br />
auch Vertreter von FPÖ und BZÖ mit.<br />
Anfang Jänner dieses Jahres fand in<br />
Passau eine Demonstration statt, die<br />
sich gegen die Ermittlung und Be richt -<br />
erstattung im Zusammenhang mit<br />
dem mordanschlag auf den Passauer<br />
Polizeichef Alois Mannichl. Dieser war<br />
niedergestochen worden, die Er mitt -<br />
ler gingen nach Aussagen des Op fers<br />
von einem Täter aus dem rechtsextremen<br />
milieu aus. Der Fall ist bis heute<br />
nicht geklärt, zog aber in Deutsch land<br />
eine neuerliche Dis kus sion um ein<br />
Verbot der national de mo kratischen<br />
Partei Deutschlands (nPD) nach sich<br />
(ein früheres Verfah ren wurde 2003<br />
auf Grund eines „Verfahrenshin der -<br />
nis ses“ eingestellt). Unter den De mon -<br />
stranten am 3. Jänner <strong>2009</strong> befanden<br />
sich auch Reisekader aus dem be -<br />
nach barten Oberösterreich – und un ter<br />
ihnen nach eigenen Angaben „eine<br />
kleine Abordnung der NVP“. Die nVP-<br />
Vertreter sollen laut DÖW sogar Ord -<br />
nerfunktionen übernommen haben.<br />
Ebenfalls im Januar berichtete das<br />
DÖW von einem befremdlichen Bei -<br />
trag auf der Homepage der nVP. The -<br />
ma des Artikels: die damalige israelische<br />
Offensive gegen den dauernden<br />
Hamas-Raketenterror aus dem Gaza -<br />
strei fen. Der insgesamt hetzerische<br />
Text endet „mit einer mehr oder weniger<br />
offenen antisemitischen Vernichtungs -<br />
phan tasie“ (DÖW): „Es wird Zeit, dass<br />
man die Welt aus den Händen derjenigen<br />
befreit, die nur Macht, Geld, Mord und<br />
Totschlag säen!“<br />
Am 18. April dieses Jahres meldete<br />
die nVP einen Aufmarsch unter dem<br />
Titel „Mehr Demokratie – gegen totalitäre<br />
Systeme. Zum Gedenken der 100 Millio -<br />
nen Opfer des Kommunismus“ in Brau -<br />
nau an. Die Kundgebung, die zwei<br />
Ta ge vor dem Geburtstag Adolf Hit -<br />
lers, der am 20. April 1889 in Braunau<br />
geboren wurde, stattfinden hätte sollen,<br />
wurde behördlich verboten und<br />
im Zuge dessen zudem bekannt, dass<br />
die nVP Teile ihres Parteiprogramms<br />
aus einem „Lehrplan für die weltanschauliche<br />
Erziehung in der SS und Poli zei“<br />
fast wortident übernommen hatte.<br />
Die oberösterreichische Wahlbehörde<br />
wusste <strong>als</strong>o in etwa, womit sie sich bei<br />
einem allfälligen Antreten der nVP –<br />
formale Voraussetzung ist die Vor la ge<br />
von 400 Unterstützungsunter schrif ten<br />
für ein landesweites Antreten beziehungsweise<br />
von 80 Unterschriften zur<br />
Zulassung in einem Wahlkreis – auseinanderzusetzen<br />
hatte. Schlussend -<br />
lich schaffte es die nVP, 269 Personen<br />
dazu zu bewegen, auf einem Gemein -<br />
de amt mit ihrer Unterschrift ein An tre -<br />
ten der nVP zu unterstützen. Al ler -<br />
dings konnte nur in einem Wahlkreis<br />
– nämlich in Linz/Umgebung – die<br />
nötige Anzahl von 80 überschritten<br />
werden (87). Hier sahen sich die nVP-<br />
Verantwortlichen bereits auf dem<br />
Stimmzettel stehen.<br />
in einem schriftlich geführten inter -<br />
view mit der ‘Oberösterreichischen<br />
Rundschau’ nannten Faller und nVP-<br />
Bundesschriftführer Stephan Ruprechts -<br />
berger <strong>als</strong> Grund für ihr Antreten:<br />
„Nationale Stimmen müssen endlich zur<br />
Wirkung kommen, und das ist nur im Zug<br />
einer Partei möglich.“ insgesamt sprachen<br />
die beiden in dem interview Klar -<br />
text. Einmal mehr wird die Abschaf -<br />
fung des Verbotsgesetzes gefordert,<br />
die Einstufung <strong>als</strong> „rechtsextrem“<br />
durch das DÖW mit den Worten kommentiert,<br />
„Auf Meinungen, Ansichten<br />
oder Beleidigungen eines privaten Ver -<br />
eins gehe ich nicht ein“. Befragt, ob es<br />
nation<strong>als</strong>ozialistische Werte und An -<br />
sich ten gibt, die gut für die Gesell schaft<br />
seien, sagten Faller und Ru prechts -<br />
ber ger: „Jede positive Äußerung über den<br />
Nation<strong>als</strong>ozialismus ist in Österreich ver -<br />
boten.“ nächste Frage: „Was denken Sie<br />
über den Holocaust?“ Antwort: „Da gibt<br />
es nichts zu denken. Den Holocaust zu<br />
hinterfragen, ist per Gesetz verboten. Wir<br />
sind keine Gesetzesbrecher.“<br />
Angesprochen auf die Tatsache, dass<br />
Teile des nVP-Parteiprogramms wort -<br />
gleich mit Passagen aus einer SS-<br />
Schrift seien, meinten die nVP-Ver tre -<br />
ter, diese Teile des Programms seien<br />
bereits seitens der Staatsanwaltschaft<br />
Wien geprüft und „für nicht weiter verfolgenswert<br />
erachtet“ worden. Tatsäch -<br />
lich hatte hier die KPÖ eine entsprechende<br />
Anzeige vorgenommen. nun<br />
allerdings wird sich die Staatsanwalt -<br />
schaft intensiv mit der gesamten nVP<br />
auseinandersetzen müssen.<br />
Die oberösterreichische Wahlbehörde<br />
hat nämlich schon lange vor Vorlage<br />
der nötigen Unterschriften durch die<br />
nVP Expertisen in Auftrag gegeben,<br />
so der Leiter der Landeswahl be hör de,<br />
Michael Gugler. Bei den Sicher heits be -<br />
hörden wurden Auskünfte über die<br />
Partei, die beteiligten Personen, deren<br />
Hintergründe und Ziele eingeholt. Ex -<br />
perten des Landesarchivs wurden um<br />
eine Prüfung des nVP-Parteipro -<br />
gramms gebeten und stellten dabei<br />
fest, dass etliche Passagen eine „für<br />
NS-Ideologie charakteristische Symbolik“<br />
aufweise, so Gugler. Genau durchforstet<br />
habe man auch das internet, be -<br />
sonders hinsichtlich der Vernetzung<br />
mit anderen rechtsextremen beziehungsweise<br />
neonazistischen Organi -<br />
sa tionen. Dabei sei man auf Verbin -<br />
dun gen zur nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />
Szene in ganz Europa gestoßen.<br />
Schlussendlich entschied sich die<br />
Landeswahlbehörden für ein Verbot.<br />
UnD eben für eine Anzeige wegen des<br />
Verdachts des Verstoßes gegen das<br />
Ver botsgesetz.<br />
Sieht man sich die Homepage an, sind<br />
allerdings bereits mehrere Dinge au -<br />
gen scheinlich: zum einen prangt hier<br />
das Logo der nVP: ein Zahnrad, das<br />
eine österreichische Fahne um schließt.<br />
Laut DÖW fand das Zahnrad mit dem<br />
Hakenkreuz in der mitte bereits <strong>als</strong><br />
Sym bol der „Deutschen Arbeitsfront“<br />
Ver wendung. mit der inschrift FAP<br />
war es das Parteiabzeichen der 1995<br />
verbotenen Freiheitlichen Deutschen<br />
Arbeiterpartei, heute verwenden es<br />
auch die „Hammer-Skins“ und die nPD.<br />
Zum anderen führen „Verweise“ (so<br />
werden auf deutsch-nationalen Seiten<br />
„Links“ bezeichnet) zu Stop3g (initia-<br />
tive gegen das Verbotsgesetz), zur<br />
ini tiative „Keine Moschee in Linz“, zur<br />
Seite des Parteiorgans „Freie Stim me“,<br />
zur JnVP (Junge nationale Volks par -<br />
tei), deren Slogan „frei + sozi al + national“<br />
<strong>als</strong> Leitspruch für jene neonazistischen<br />
Gruppen dient, die sich dem<br />
16 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • INLAND<br />
Spektrum der militanten „Freien Ka -<br />
me radschaften“ zurechnen.<br />
Und schließlich ist da noch das Par -<br />
tei programm. Dieses enthält Aussa -<br />
gen wie: „Volk ist Abstammungs- und<br />
Schicks<strong>als</strong>gemeinschaft. Jedes Volk hat sei -<br />
ne völkische Eigenart, deren Wurzeln in<br />
den Erbanlagen des Volkes verankert sind.<br />
(…) Volk ist somit ein biologischer Be griff.<br />
Bedenke, dass du die Voraussetzun gen<br />
deines Daseins deinen Ahnen verdankst!“<br />
Spätestens hier werden As so ziationen<br />
zu den nürnberger Ras sen ge setzen<br />
wach. Auch andere Elemen te des Par -<br />
teiprogramms sprechen für sich: „Der<br />
Ausländer wurde zum Men schen erster<br />
Klasse – vor dem Ein hei mischen. Wir<br />
sind weder das Sozialamt der Welt, noch<br />
ein Sammelbecken für Aus länder, die mit<br />
krimineller Absicht nach Österreich einwandern.<br />
Wir werden den Zuzug ausländischer<br />
Arbeitsloser stoppen und werden<br />
ein Ausländerrückfüh rungs gesetz<br />
beschließen, das friedlich und gesetzmäßig<br />
die Ausländerpro ble ma tik in unserem<br />
Staat beendet.“<br />
Das Grausen packt angesichts solcher<br />
„ideen“ nicht nur linke Jugend orga -<br />
ni sationen, die am 30. April gemeinsam<br />
mit der katholischen Jugend<br />
Ober österreichs und dem Oberös ter -<br />
reichischen netzwerk gegen Rassis -<br />
mus und Rechtsextremismus zu ei nem<br />
„Lich terzug gegen Rechts“ in Linz<br />
auf riefen. im Zug des laufenden<br />
Wahl kampfs ließ auch der mittlerweile<br />
95-jährige Hans marsalek, Überlebender<br />
des Konzentrationslagers maut -<br />
hausen, mit einem Offenen Brief aufhorchen.<br />
„Oberösterreich gilt <strong>als</strong> derzeitige<br />
Hochburg der rechtsextremen Szene“,<br />
schrieb er darin und forderte von Lan -<br />
deshauptmann Josef Pühringer (V) ein<br />
breites demokratisches Bündnis ge gen<br />
„die erstarkte Szene“. Darauf meinte<br />
Pühringer: die Be hör den gingen konsequent<br />
und im Rah men der gesetzlichen<br />
möglich keiten vor.<br />
Tatsächlich ist ja nun in Sachen nVP<br />
die Staatsanwaltschaft am Zug. Kon -<br />
kretes wird man aller Voraussicht<br />
nach allerdings erst nach der Wahl in<br />
Oberösterreich hören. Und auch erst<br />
nach der Wahl kann die nVP ihre<br />
nichtzulassung beeinspruchen. Die<br />
Partei gibt sich jedenfalls kämpferisch.<br />
Auf ihrer Homepage schreibt die<br />
nVP: „Der Kampf hat begonnen! Jetzt<br />
erst recht!“<br />
www.nvp.at<br />
Ex-FPÖ-Abgeordneter<br />
wegen Verhetzung verurteilt<br />
Der ehemalige FPÖ-Abgeordnete Karl -<br />
heinz Klement ist am Landesge richt<br />
Klagenfurt wegen Verhetzung zu fünf<br />
monaten bedingter Freiheitsstrafe<br />
verurteilt worden. Er hat auf seiner<br />
Website von Oktober bis Dezember<br />
2008 „verhetzende Textpassagen, in de nen<br />
das jüdische Volk in einer die Men schen -<br />
würde herabsetzende Art beschimpft wird”<br />
veröffentlicht, so die Anklage. Das Ur -<br />
teil ist nicht rechtskräftig, sowohl die<br />
Staatsanwaltschaft <strong>als</strong> auch die Ver tei -<br />
digung meldeten volle Beru fung an.<br />
„Es ist absolut erschütternd, so etwas im<br />
Jahre 2008 noch lesen zu müssen”, sagte<br />
Staatsanwältin Sandra Agnoli. Kle ment<br />
sei zum „Sprachrohr eines absolut rassistischen<br />
Artikels” geworden, er habe<br />
ihn bewusst ausgesucht und so einer<br />
breiten Öffentlichkeit zugänglich ge -<br />
macht und eine inhaltliche Distanz<br />
sei auf keine Art und Weise gegeben.<br />
Sie legte Berufung gegen die Höhe<br />
des Urteils ein. Auch die Vertei di -<br />
gung - die einen Freispruch beantragt<br />
hatte.<br />
Die Wien Holding GmbH<br />
sucht für eines ihrer<br />
Tochterunternehmen im<br />
kulturellen Bereich, die<br />
Jüdisches Museum<br />
der Stadt Wien<br />
Ges.m.b.H., gemäß<br />
Stellenbesetzungsgesetz<br />
BGBL I Nr. 26/<br />
1998 eine/n künstlerische/n<br />
Geschäftsführer<br />
/in mit Dienstbeginn ab<br />
01.07.2010:<br />
Künstlerische/r Geschäftsführer/in für die<br />
Jüdisches Museum der Stadt Wien Ges.m.b.H.<br />
ab 01.07.2010<br />
Mit der nachfolgend beschriebenen Funktion ist die Gesamtverantwortung für eines der im internationalen Vergleich<br />
bedeutendsten Jüdischen Museen verbunden:<br />
Hauptaufgaben:<br />
• Künstlerisch-wissenschaftliche Leitung des Museums inklusive Mitarbeiterverantwortung<br />
• Erarbeitung strategischer Konzepte zur erfolgreichen Weiterführung des Museumsbetriebs<br />
• Organisation von Ausstellungen, Veranstaltungen und Outreach-Aktivitäten<br />
Erforderlich:<br />
• Abschluss eines einschlägigen Studiums oder langjährige einschlägige Erfahrung<br />
• Allgemeine Führungserfahrung sowie Erfahrung in der Führung von MitarbeiterInnen<br />
• Hohe soziale Kompetenz und Kontaktfreudigkeit im Innen- und Außenverhältnis<br />
• Vorlage eines Konzeptes für die weitere Arbeit des Museums<br />
Erwünscht:<br />
• Fundierte Kenntnisse in dem vom Museum betreuten Themenbereich<br />
• Kenntnisse von öffentlichen bzw. privaten Verwaltungseinheiten<br />
• Strategisches Denken in Kombination mit Umsetzungsstärke<br />
• Organisationsgeschick<br />
• Mehrsprachigkeit<br />
• Kontakte zur Jüdischen Gemeinde in Wien<br />
• Möglichkeit, den Dienst mit 1. Juli 2010 anzutreten<br />
Wenn wir Ihr Interesse geweckt haben, übermitteln Sie bitte Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen sowie ein Konzept<br />
über die Thematik des Jüdischen Museums Wien mit der von Ihnen angestrebten strategischen Ausrichtung des Hauses bis<br />
30. Oktober <strong>2009</strong> an Herrn Mag. Michael Maier, Wien Holding GmbH, Universitätsstraße 11, 1010 Wien. Die entsprechenden<br />
unterstützenden Unterlagen zur Konzepterstellung sind bei der Wien Holding abzufragen.<br />
www.wienholding.at<br />
Die Stadt Wien ist daran interessiert, den Anteil an Frauen in Leitungsfunktionen zu erhöhen. Frauen sind deshalb besonders<br />
nachdrücklich zur Bewerbung eingeladen.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 17
POLITIK • INLAND<br />
Israels Botschafter beklagt Mangel an Information über Nahost<br />
„Europa verlangt von Israel sehr viel und von den arabischen Nachbarn sehr wenig”<br />
Der scheidende israelische Botschaf ter<br />
Dan Ashbel beklagt einen mangel an<br />
information der österreichischen Öf -<br />
fentlichkeit über den nahost-Konflikt<br />
und die exponierte Lage israels. israel<br />
befinde sich in der Situation eines<br />
Staa tes, der sich 61 Jahre nach seiner<br />
Gründung immer noch verteidigen<br />
müsse, um überhaupt überleben zu<br />
können, und dem ein Teil der nach -<br />
barn bis zum heutigen Tag das Exis -<br />
tenzrecht abspreche. „Obwohl wir da mit<br />
tagtäglich leben müssen, gelingt es uns,<br />
vieles zu schaffen, was sonst nur in normalen<br />
Ländern geschaffen wird - vielleicht<br />
sogar mehr”, sagte der Botschafter in<br />
einem Gespräch mit der APA.<br />
Er habe den Eindruck, dass viele Po si -<br />
tionen gegenüber israel auf „einem<br />
Mangel an Information” beruhten, und<br />
versuche die menschen durch Vor trä -<br />
ge, interviews und Gespräche „zum<br />
Nach denken zu bringen”. in den me di -<br />
en erzeugten Schlagzeilen sehr rasch<br />
eine bestimmte Stimmung, sagte Ash -<br />
bel, „da wir in einer Zeit der schnellen In -<br />
formation leben und man wenig Geduld<br />
hat, längere Beiträge zu lesen”. Schlag -<br />
zei len könnten aber nie das ganze<br />
Bild geben, „manchmal geben sie sogar<br />
ein verzerrtes Bild.”<br />
„Ich erwarte weder von der österreichischen<br />
Regierung noch von der Öffentlichkeit,<br />
dass man automatisch jede Haltung<br />
Israels akzeptiert. Nicht einmal innerhalb<br />
der EU sind sich die Staaten über ihre<br />
Positionen immer einig.” Die Erwartun -<br />
gen an israel seien sehr hoch, die Er -<br />
wartungen an die arabischen nach -<br />
barn jedoch sehr niedrig, kritisierte<br />
Ashbel. „Es ist unfair, unsere Nach bar -<br />
staaten in einer Art und Weise zu behandeln,<br />
<strong>als</strong> wären sie nicht voll verantwortlich.<br />
Ich glaube, Europa macht es sich<br />
manch mal leicht, indem es den Staaten um<br />
Israel herum das Bewusstsein abspricht,<br />
dass sie voll ausgewachsene Spieler auf<br />
der politischen Bühne sind. Das hilft<br />
nicht der Sache.”<br />
Bei den Palästinensern müsse man<br />
zwischen dem Westjordanland und<br />
Gaza unterscheiden, betonte der Bot -<br />
schafter. „Ich glaube, dass Minister prä -<br />
sident Salam Fayyad sich echte Mühe gibt,<br />
ein System aufzubauen, das dem nahekommt,<br />
was man von einem normalen<br />
Staat erwartet, mit Sicherheitskräften, die<br />
funktionieren, mit Ministerien, die funktionieren,<br />
mit einem Budget, das durchsichtig<br />
ist.” Diese Entwicklung sei neu<br />
und gebe israel die möglichkeit zu<br />
einer Antwort, die die Lebens be din -<br />
gun gen im Westjordanland verbessere.<br />
Die Wirtschaft des Westjordanlands<br />
sei im vergangenen Jahr um sieben<br />
Prozent gewachsen.<br />
im Gazastreifen hingegen regiere eine<br />
„Terrororganisation”, die hauptsächlich<br />
vom iran unterstützt werde, dessen<br />
Führung sich der Vernichtung des<br />
Staates israel verpflichtet habe. Die je -<br />
nigen die behaupteten, die Politik der<br />
Hamas sei nicht so radikal wie deren<br />
Charta, sollten sich ansehen, wie die<br />
Hamas im Gazastreifen tagtäglich mit<br />
den Gegnern in den eigenen Reihen<br />
umgehe, sagte Ashbel. „Jede Stimme,<br />
die gegen die Hamas ist, wird nicht nur<br />
mundtot, sondern tot gemacht. Es ist nicht<br />
nur Rhetorik, es ist eine Haltung. Der Ha -<br />
mas ist ein Staat Israel auf jedem Qua -<br />
dratzentimeter des Landes ein Dorn im<br />
Auge. Da muss man alles tun, uns zu vernichten.<br />
Das wird nicht dementiert.”<br />
Die Beziehungen zwischen Österreich<br />
und israel stünden heute auf einer<br />
soliden Basis, zitierte der Botschafter<br />
Bundespräsident Heinz Fischer. Und<br />
er fügte hinzu: „Österreich und Israel<br />
sind nicht immer einer Meinung. Aber wir<br />
haben eine Atmosphäre des Dialoges und<br />
des gegenseitigen Respektes aufgebaut,<br />
die eine gute Grundlage er bilateralen Be -<br />
ziehungen darstellen.”<br />
Der Diplomat hatte 2005 seinen Vor -<br />
gän ger Avraham Toledo in Wien abgelöst,<br />
der im De zem ber 2003 zum Bot -<br />
schafter ernannt worden war und is -<br />
rael zuvor <strong>als</strong> Geschäftsträger - israel<br />
hatte die Beziehungen 2000 aus Pro test<br />
gegen die FPÖ-Regierungs be tei li gung<br />
herabgestuft - in Österreich vertreten<br />
hatte.<br />
Er habe es in den vier Jahren und acht<br />
monaten seiner Amtszeit <strong>als</strong> eine der<br />
wichtigen Aufgaben betrachtet, die is -<br />
raelische Gesellschaft, Kultur und<br />
Wissenschaft in Österreich bekannt<br />
zu machen. Er sei stolz darauf, dass in<br />
den letzten viereinhalb Jahren nicht<br />
eine Woche in Österreich vergangen<br />
sei „ohne ein kulturelles Ereignis, das von<br />
Israel kam oder mit Israel zu tun hatte”.<br />
Als diesbezügliche Höhepunkte be -<br />
zeichnete der Botschafter den Tel Aviv<br />
Beach am Wiener Donaukanal anlässlich<br />
des 100. Geburtstages von Tel<br />
Aviv und die Präsentation einer is -<br />
raelischen Schneekanone, die unabhängig<br />
von der Außentemperatur ar -<br />
beitet, in der Vorwoche im Tiroler<br />
Pitz tal. Ashbel: „Wir sind für die Österreicher<br />
Ausland, aber wir sind nur drei -<br />
einhalb Flugstunden entfernt.”<br />
Das Gespräch führte Ambros Kindel/APA<br />
Gemeindezentrum: Abschiedsfeier, herzliche Worte und ein Geschenk von IKG-Präsident<br />
Muzicant (l.) an Botschafter Dan Ashbel (r.)<br />
18 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • AUSLAND<br />
DEUTSCHLAND:<br />
Politiker zum Thema<br />
Israel befragt<br />
Christen an der Seite Israels e.V. und die<br />
Internationale Christliche Bot schaft Jeru sa -<br />
lem (ICEJ) haben in Zusammenarbeit<br />
mit dem Christlichen Forum für Israel<br />
(CFFI) die ca. 1.500 Kandidaten der<br />
Bundestagswahl zum Thema israel be -<br />
fragt. Die Antworten der Politiker sind<br />
unter www.projekt-bundestagswahl.de<br />
im internet einzusehen. Den Politi kern<br />
aus den 299 Wahlkreisen in Deutsch -<br />
land wurden fünf konkrete Fragen<br />
zum Thema deutsch-israelisches Ver -<br />
hältnis, Antisemitismus, nahost po -<br />
litik und der potenziellen Bedrohung<br />
israels durch den iran vorgelegt. Die<br />
veröffentlichten Ant worten sollen den<br />
Wählern eine Ori en tierungs- und<br />
Entscheidungshilfe bei der Bundes -<br />
tagswahl am 27. Sep tember bieten.<br />
Die Fragen an Bundes politi ker und Kan -<br />
d idaten der Bundestagswahl <strong>2009</strong>:<br />
Frage 1 - Deutsch-Israelische Beziehungen<br />
Wie bewerten Sie die Aussage: Deutsch -<br />
land hat aus der Geschichte he raus eine be -<br />
sondere Verantwor tung gegenüber Isra el?<br />
Frage 2 - Neuer Antisemitismus<br />
Deutschland hat sich aus der sogenannten<br />
„Durban II“-Konferenz im April<br />
<strong>2009</strong> in Genf zurückgezogen – aus Sorge<br />
heraus, dass diese Konfe renz zum Beispiel<br />
von Irans Präsi dent Ah madinejad zu antisemitischer<br />
Het ze missbraucht werden<br />
könnte. Wie beurteilen Sie die Entschei -<br />
dung Deutsch lands?<br />
Frage 3 - Bedrohung Israels durch Iran<br />
Welche Maßnahmen ziehen Sie in Erwä -<br />
gung angesichts der potenziellen atomaren<br />
Bedrohung Israels durch den Iran und an -<br />
gesichts der Tatsache, dass Deutschland<br />
der wichtigste west liche Handelspartner<br />
des Irans ist?<br />
Frage 4 - Rolle der Hamas im Nahost-Konflikt<br />
Die Hamas strebt laut eigener Charta nach<br />
wie vor die Zerstörung Israels an, be kennt<br />
sich zum Terrorkampf ge gen Israel und<br />
erkennt bestehende Ver träge nicht an. Was<br />
ist Ihrer Mei nung nach eine angemessene<br />
Stra tegie?<br />
Frage 5 - Beispiele regionalen Engagements<br />
Zum Anliegen der Verbesserung der<br />
deutsch-israelischen Beziehungen: Wel che<br />
Erfahrungen haben Sie persönlich ge -<br />
macht? Welche Empfehlungen haben Sie<br />
– auch für das konkrete Engagement von<br />
Bürgern in Ihrem Wahlkreis?<br />
ÄGYPTEN:<br />
Journalistin verstößt<br />
gegen „Israel-Boykott”<br />
Die prominente ägyptische Jour -<br />
nalistin Hala Mustafa hat in Kairo den<br />
israelischen Botschafter interviewt -<br />
und wird nun kritisiert, weil sie da -<br />
mit gegen einen "israel-Boykott" verstoßen<br />
hat.<br />
Das Gespräch mit dem israelischen<br />
Bot schafter in Ägypten, Schalom Co hen,<br />
fand in mustafas Büro in der Re dak -<br />
tion der Zeitung „Al-Ahram” statt. Die<br />
„Arbeitsgemeinschaft Ägyptischer<br />
Journalisten” konfrontiert mus ta fa<br />
mit dem Vorwurf, gegen einen Boy -<br />
kott der medien gegenüber isra e lis<br />
ver stoßen zu haben. Die Jour na lis tin<br />
unterhalte seit langem en ge Ver bin -<br />
dun gen zu Dschamal mu ba rak, dem<br />
Sohn des amtierenden Präsi den ten<br />
Hos ni mubarak. Dschamal mu ba rak,<br />
so der Vorwurf, habe das in ter view ini -<br />
tiiert, um mehr Unter stüt zung aus den<br />
USA und anderen west lichen Staaten<br />
zu erhalten.<br />
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Gewinnbringende Bewirtschaftung seit 1959<br />
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Der Holocaust-Leugner Mahmoud Ahmadinejad<br />
Der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat mit heftigen Attacken gegen<br />
Israel schon oft für Empörung gesorgt. Mehrfach stellte er dabei den Holocaust<br />
infrage – einige Zitate:<br />
„Mit Gottes Segen läuft der Countdown für den Zerfall Israels, und dies ist der<br />
Wunsch aller Na tio nen der Welt. Der Westen hat dieses Regime erschaffen, jetzt muss<br />
er es wieder abschaffen, damit wieder Frieden in der Welt einkehrt.”<br />
(„Holocaust-Konferenz” Teheran, Dezember 2006)<br />
„Das zionistische Regime sucht genau wie seinerzeit Hitler einen Vorwand, um militärische<br />
An griffe zu starten.”<br />
(Am Rande des Libanonkonflikts, Juli 2006)<br />
„Zionismus ist in der Tat Neofaschismus.”<br />
(Interview mit der iranischen Nach rich tenagentur ISNA, 2006)<br />
EU:<br />
Protest gegen Holocaust-<br />
Aussage von Ahmadinejad<br />
Die EU hat gegen die erneute Leug -<br />
nung des Holocaust durch den iranischen<br />
Präsident mahmoud Ah ma -<br />
dinejad protestiert. in einer Erklä rung<br />
der schwedischen EU-Rats prä si dent -<br />
schaft in Stockholm hieß es, die Uni on<br />
verurteile Ahmadinejads Re de. Dabei<br />
hatte er am „Al-Kuds-Tag” in Tehe ran<br />
auch das Existenz recht is raels abgestritten.<br />
Dies und die Holo caust-Leugnung er -<br />
mutigten zu Antisemitismus und<br />
Hass, hieß es in der EU-Stellung nah me<br />
weiter.<br />
„Wenn Gott, die Propheten und die Religion im Westen verleugnet werden, kümmert<br />
das niemanden, aber wenn jemand dieses Märchen vom Massaker an den Juden<br />
nicht glaubt, dann heult die zionistische Propagandamaschine laut auf." (Rede in<br />
Zahedan, Dezember 2005)<br />
„Wie ist es möglich, dass die Beleidigung des Propheten der Muslime weltweit mit<br />
Presse freiheit ge recht fertigt wird, nicht aber eine Untersuchung über das Märchen des<br />
Holo caust?" (Dezember 2005 zum Streit um die Veröffentlichung von Mohammed-Kari -<br />
katuren)<br />
„Manche der europäischen Staaten bestehen darauf, dass Hitler Millionen von<br />
unschuldigen Juden ermordet hat. (...) Wir erkennen diese Behauptungen nicht an,<br />
aber auch falls es wahr sein sollte, stellen wir den Europäern die folgende Frage: Ist<br />
die Ermordung von unschuldigen Juden Grund genug, um Besatzer in Jerusalem zu<br />
unterstützen? Falls die Europäer es ehrlich meinen, sollten sie den Zionisten in einigen<br />
ihrer Länder, wie zum Beispiel Deutschland oder Österreich, einen Platz geben.”<br />
(Auf einer Pressekonferenz in der saudischen Stadt Mekka, Dezember 2005)<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 19
POLITIK • ANTISEMITISMUS<br />
Palästinensische Propaganda<br />
in niederländischer Online-Community<br />
Die größte niederländische Online-<br />
Com munity, „Hyves”, wird offenbar<br />
für anti-israelische Propaganda und<br />
antisemitische Hetze missbraucht.<br />
Das berichtet die israelische Zeitung<br />
‘Ha´aretz’ unter Berufung auf eine<br />
Untersuchung der Gruppe „israel<br />
Facts monitor”.<br />
nach dem Bericht von israelischen<br />
und niederländischen Beobachtern<br />
werde neben „Hyves”, das von 9 mio.<br />
menschen genutzt wird auch das Dis -<br />
kussionsforum der Zeitung „Volks-<br />
krant” für solche Zwecke missbraucht.<br />
Unter anderem werde der Holocaust<br />
verherrlicht und dazu aufgerufen,<br />
„alle Juden zu töten”. Die modera toren<br />
der Foren würden nur sehr unzureichend<br />
gegen diese Fälle vorgehen,<br />
hier sei eine strengere Kontrolle der<br />
inhalte dringend erforderlich.<br />
Moderne Dolchstoßlegenden im Web<br />
israel wird auch zu politischen Zwe k -<br />
ken verleumdet. Eine Beispiel ist der<br />
Fall eines nutzers, der sich im Januar<br />
<strong>als</strong> palästinensisches mädchen in Je ru -<br />
salem ausgab und erzählte, der Vater<br />
sei von „Juden entführt und in Stücke<br />
gehackt” worden. Die mutter sei dann<br />
vor ihren Augen von Juden zu Tode<br />
geprügelt worden. Beobach ter vermuten,<br />
dass palästinensische Grup -<br />
pen auf diese Weise gezielt Stimmung<br />
gegen israel in westlichen Ländern<br />
schüren wollen.<br />
inn<br />
Muslimische Heiligtümer „jüdisch<br />
kontaminiert“<br />
Saudi Arabien verweigert israelischen<br />
Verkehrsflugzeugen Überflugrechte<br />
auf den Strecken nach Ostasien<br />
einzuräumen, „weil sie die Luft über den<br />
Heiligen Stätten in Mekka und Me di na<br />
verpesten würden“. Das behauptete der<br />
israelische Verkehrsminister israel<br />
Katz im israelischen Rundfunk.<br />
im Rahmen des internationalen Drucks<br />
auf israel, umgehend die Siedlungs po -<br />
litik zu stoppen, haben die Ame ri ka -<br />
ner arabische Staaten aufgefordert, <strong>als</strong><br />
Gegenleistung Schrit te in Rich tung<br />
„normalisierung“ mit israel einzuleiten.<br />
Bisher hatten die Amerikaner<br />
dabei nur mäßigen Erfolg. Aus verschiedenen<br />
arabischen Quellen war zu<br />
hören, dass die Aufnahme diplomatischer<br />
Bezie hun gen, Handel, Öffnung<br />
der Grenzen für Tourismus oder eben<br />
Überflugrechte für maschinen der<br />
israelischen Fluggesellschaft EL AL<br />
nur denkbar nach einem völligen<br />
Rückzug israels aus allen besetzten<br />
Gebieten, inklusive Jerusalems und<br />
einer Auflösung der Siedlungen denk -<br />
bar seien.<br />
Das vom israelischen Verkehrs minis -<br />
ter erwähnte saudische Argument ei -<br />
ner „jüdischen Kontaminierung der Hei li -<br />
gen Städte“, habe der minister „in einer<br />
arabischen Zeitung gelesen“, sagte auf<br />
Anfrage ein Sprecher des Ver kehrs mi -<br />
nisteriums.<br />
uws<br />
Brandanschlag auf jüdische Schule<br />
in Marseille<br />
Eine jüdische Schule im südfranzösischen<br />
marseille ist Ziel eines Brand -<br />
an schlags geworden. Laut medienbe -<br />
richten wurden am Vormit tag mehrere<br />
Brandsätze auf das Ge bäude im zehnten<br />
Stadtbezirk geworfen. Sie lösten<br />
ein Feuer aus, das eine Hecke und vier<br />
vor dem Gebäude geparkte Autos<br />
zer störte. Verletzt wurde niemand.<br />
Von den Tätern fehlt bisher jede Spur.<br />
„Das Feuer war beeindruckend, aber<br />
brannte vor der Kantine, weit entfernt<br />
von den Schulklassen mit den Kindern”,<br />
sagte Schuldirektor mau rice Cohen-<br />
Zagouri und betonte weiter, dass der<br />
Unterricht den ganzen Tag lang un -<br />
verändert fortgesetzt wurde. Die Schu -<br />
le wird von insgesamt 400 Kin dern<br />
besucht. in marseil le waren 2002 be -<br />
reits eine Synagoge und 2005 eine an -<br />
dere jüdische Schule in Brand ge steckt<br />
worden. Die Polizeiüberwachung vor<br />
der Schule wurde intensiviert. APA<br />
Angebliches Trainingslager für Neonazis<br />
nahe Györ<br />
Die ungarische Polizei hat Ermitt lun -<br />
gen zu einem Ausbildungslager eingeleitet,<br />
in dem ungarische neonazis<br />
in diesem Sommer ein militärisches<br />
Trai ning für deutsche Gesinnungs ge -<br />
nossen abgehalten haben sollen. Dies<br />
be richtete die ungarische nachrich -<br />
tenagentur mTi. Zuvor hatten ungarische<br />
medien unter Berufung auf die<br />
deutsche linke Zeitung „Junge Welt”<br />
über die Existenz eines solchen Aus -<br />
bildungslagers in einem Wald nahe<br />
Györ berichtet. Das ungarische Staats -<br />
fernsehen hatte Bilder aus dem nun<br />
menschenleeren Lager im Wald nahe<br />
dem Dorf Böny gezeigt. Zu sehen war,<br />
dass dort immer noch eine „Haus ord -<br />
nung” aushängt, wonach „Schwule, Ju -<br />
den und Zigeuner” keinen Zutritt hätten.<br />
Ein Vertreter der rechtsextremen<br />
Or ganisation „Ungarische Nationale<br />
Front” (Magyar Nemzeti Arcvonal)<br />
bestätigte im Fernsehen, in diesem Ju li<br />
in dem Lager militärische Ausbil dun -<br />
gen veranstaltet zu haben. Er be stritt<br />
jedoch, dass daran auch Deut sche<br />
teilgenommen hätten.<br />
APA<br />
Studenten feierten <strong>als</strong> Nazis verkleidet<br />
Party<br />
Studenten der Lincoln Universität in<br />
neuseeland haben nach einem Zei -<br />
tungs bericht <strong>als</strong> nazis und KZ-in -<br />
sassen verkleidet eine Oktoberfest par -<br />
ty gefeiert. Dies sagte ein Student der<br />
in Christchurch erscheinende Zeitung<br />
‘The Press’. Der Vizerektor der Uni -<br />
versität, Roger Field, sagte dem Blatt,<br />
die Hochschule prüfe die Vorwürfe.<br />
Der Präsident des Rates der Juden in<br />
neuseeland, Stephan Goodman, zeigte<br />
sich enttäuscht. Es sei nicht das erste<br />
mal und werde wohl auch nicht das<br />
letzte mal sein, dass so etwas geschehe.<br />
in den meisten Fälle geschehe es je -<br />
doch aus Unwissen und nicht in böswilliger<br />
Absicht.<br />
APA<br />
Wieder Aufregung um Hitler-Etiketten<br />
auf Weinflaschen<br />
Weinflaschen mit den Kon -<br />
terfeis von Adolf Hitler und<br />
Nazi-Parolen haben in ita -<br />
lien wieder einmal für Pro -<br />
test ge sorgt. Der französische<br />
Großhandels konzern<br />
Carrefour, der in italien die<br />
Su permarktkette GS be -<br />
treibt, nahm entsprechende<br />
Flaschen in italien aus<br />
dem Handel, nachdem eine französische<br />
Kundin jüdischer Abstammung<br />
bei einem Urlaub in italien zufällig die<br />
Flaschen mit den Etiketten von Hitler<br />
und Benito Mussolini gesehen hatte.<br />
Bei ihrer Rückkehr nach Frankreich<br />
hatte sich die Touristin an Carrefour<br />
gewandt und wegen der Wein fla schen<br />
heftig protestiert. Carrefour entschuldigte<br />
sich und machte die italienische<br />
Tochtergesellschaft für den Vertrieb der<br />
umstrittenen Flaschen verantwortlich,<br />
die jetzt aus den Regalen genommen<br />
wurden. Der Weinproduzent aus dem<br />
Piemont, der die Flaschen herstellt,<br />
zeigt sich auch durchaus vielfältig in -<br />
teressiert: Er vertreibt auch Wein mit<br />
Etiketten zu Ehren von Papst Johannes<br />
Paul II, Che Guevara und Bob Marley,<br />
die alle reißenden Absatz finden. APA<br />
20 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • ANTISEMITISMUS<br />
Hippe Auftritte mit rechter Botschaft im Internet<br />
Der Sprayer hinterlässt seine Zeichen<br />
in rasant wechselnden Bildern. Han -<br />
no ver ist seine Leinwand, seine Tags<br />
sind rechtsextrem, dahinter dröhnt<br />
harter Gitarrensound. Das Video ei ner<br />
neonazi-Gruppe aus dem deutschen<br />
Bundesland niedersachen bedient<br />
sich der Bildersprache der afroamerikanischen<br />
Ghetto-Szene, um deutsch<br />
nationale inhalte zu propagieren. Die<br />
Rechten geben sich hipp, um bei ihrer<br />
jugendlichen Zielgruppe anzukommen.<br />
Eine Untersuchung des Projekts<br />
„jugendschutz.net” kommt zu dem Er -<br />
gebnis, dass es nicht nur immer mehr<br />
rechtsextreme internetseiten gibt, son -<br />
dern dass diese auch moderner und<br />
aggressiver werden.<br />
Jugendschutz.net stellte in Berlin ak tu -<br />
elle Zahlen vor. Rund 1.800 Webseiten<br />
mit rechtsextremem inhalt stehen<br />
der zeit im netz, rund 100 mehr <strong>als</strong><br />
ver gangenes Jahr. Rechtsextreme in -<br />
hal te finden sich aber nicht nur auf<br />
eigens geschaffenen Webseiten. Die<br />
Szene benutzt Portale wie youtube,<br />
my space, schülervz - Seiten mit mas sen -<br />
verbreitung und ohne politischen An -<br />
spruch. 5.000 Videos und Profile entdeckte<br />
jugendschutz.net. „Darunter<br />
sind 1.500 unzulässige Videos”, berichtet<br />
Ste fan Glaser, Leiter des Arbeitsbe -<br />
reichs Rechtsextremismus.<br />
Das Problem der rechtsextremen in -<br />
hal te im Web gerät zunehmend auch<br />
in den Fokus der Politik. „Die Bekämp -<br />
fung von Hass im Internet ist eine Auf -<br />
gabe, der sich Staat und Gesellschaft ge -<br />
meinsam stellen müssen”, kommentierte<br />
Bundesjustizministerin Brigitte Zy pries<br />
(SPD) die Untersuchung. Die Grünen<br />
sehen akuten Handlungsbedarf: „Die<br />
An bieter von sozialen Netzwerken müssen<br />
ihre personellen Ressourcen aufstocken,<br />
um endlich volksverhetzende Inhalte zu<br />
entfernen. Sollte dies nicht geschehen, for -<br />
dern wir eine gesetzliche Regelung,” er -<br />
klärten Parteichefin Claudia Roth und<br />
Bundesvorstandsmitglied Malte Spitz.<br />
Häufig sitzen diese Anbieter aber im<br />
Ausland, was die Zugriffsmög lichk ei -<br />
ten deutscher Gerichte beschränkt. Ein<br />
anderer Weg sind harmlos wirkende<br />
Webseiten. Ein internetportal, das vermeintlich<br />
über Straßenkunst in for -<br />
miert, etwa enthält nicht nur Fotos mit<br />
Wandmalereien, sondern auch ei nen<br />
Stundenplan fürs neue Schuljahr mit<br />
VON MECHTHILD HENNEKE/AFP<br />
dem Logo des rechtsextremen „Na tio -<br />
nalen Widerstands” und Links zu anderen,<br />
härteren neonazi-Seiten.<br />
Die Szene nutzt das netz indes längst<br />
nicht mehr nur für Propaganda. Web -<br />
seiten bieten Sprühvorlagen für Graf -<br />
fi tis, T-Shirts mit radikalem Aufdruck<br />
oder Kapuzenpullis im Kamerad -<br />
schafts look. Auch vor Brecht-Zitaten<br />
scheuen sie nicht zurück: „Wer wenn<br />
nicht du, wann, wenn nicht jetzt”, fordert<br />
eine Seite ihre Besucher zum Han deln<br />
auf.<br />
Jugendschutz.net arbeitet ge gen die<br />
Verbreitung verbotener inhalte an, in<br />
dem es die Provider direkt auf Seiten<br />
anspricht. „In 80 Prozent der Fälle wa ren<br />
wir erfolgreich, und die Seiten gingen vom<br />
Netz”, berichtet Glaser. Die On line-Be -<br />
ratung gegen Rechtsextre mis mus des<br />
Vereins „Gegen Vergessen - für Demo kra -<br />
tie” hat zudem einen Chan nel auf der<br />
Videoplattform YouTube eingerichtet.<br />
„Wer jetzt die üblichen Schlag worte für<br />
rechte Seiten eingibt, bekommt auch uns<br />
<strong>als</strong> Angebot”, sagt Projektlei ter Martin<br />
Zie genhagen. „Neben dem Bera tungs an -<br />
gebot geht es außerdem da rum, der rechtextremen<br />
Szene zu signalisieren: Sie ist<br />
im Netz nicht allein und vor allem nicht<br />
unbeobachtet.”<br />
Fachleute beraten deutsche<br />
Regierung im Kampf gegen<br />
Antisemitismus<br />
Ein Arbeitskreis unabhängiger Fach -<br />
leu te wird künftig die deutsche Bun -<br />
desregierung in Fragen des Antisem i -<br />
tis mus beraten. Der Expertenkreis An -<br />
ti semitismus ist im <strong>September</strong> zu seiner<br />
konstituierenden Sitzung zu sam men -<br />
ge kommen. Er erhoffe sich von dem<br />
Gremium praxisbezogene im pul se<br />
und Empfehlungen für die Bekämp -<br />
fung des Antisemitismus, er klärte in -<br />
nenminister Wolfgang Schäub le. „Die<br />
nachhaltige Aus ein an der set zung und Be -<br />
kämpfung des An tise mi tismus in all seinen<br />
Erschei nungs for men ist eine politische<br />
Priorität der Bun desregierung.”<br />
Dem Arbeitskreis gehören Historiker,<br />
Politologen, islamwissenschaftler und<br />
Experten aus dem in- und Aus land<br />
an. Seine Gründung geht auf einen Be -<br />
schluss des Bundestages vom no -<br />
vem ber 2008 zurück. Bis Ende 2011<br />
soll ein Bericht vorliegen.<br />
APA<br />
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<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 21
POLITIK • ISRAEL<br />
Israels Reaktion auf den „Goldstone-Bericht”<br />
israel ist entrüstet und enttäuscht über<br />
den Bericht, der am 15. <strong>September</strong> von<br />
der Gaza-Untersuchungsmission veröffentlicht<br />
wurde. Der ‚Goldstone-Be-<br />
richt’ ignoriert praktisch israels Recht<br />
auf Selbstverteidigung, stellt unbegründete<br />
Behauptungen zu seinen<br />
Ab sichten auf und stellt israels demokratische<br />
Werte und Rechts staat -<br />
lichkeit infrage.<br />
Gleichzeitig ignoriert der Bericht völlig<br />
die gezielte Strategie der Hamas,<br />
innerhalb der Zivilbevölkerung zu ope -<br />
rieren und dicht bevölkerte Gebiete<br />
zum Kampfschauplatz zu machen.<br />
indem er über solche Taktiken hinwegsieht,<br />
belohnt er sie regelrecht.<br />
Der Bericht verhüllt kaum sein Ziel,<br />
zu einer politischen Kampagne gegen<br />
israel anzustacheln; mit seinen Em -<br />
pfeh lungen trachtet er danach, den<br />
Un-Sicherheitsrat, die Un-Vollver -<br />
samm lung, den internationalen Ge -<br />
richts hof, den Un-menschenrechtsrat<br />
und die gesamte internationale Ge -<br />
mein schaft in eine derartige Kampa gne<br />
hineinzuziehen.<br />
Das Mandat der Mission<br />
Das einseitige mandat der Gaza-Un -<br />
ter suchungsmission sowie der von<br />
ihr gefasste Beschluss haben Anlass zu<br />
ernster Sorge gegeben - sowohl israel<br />
<strong>als</strong> auch den vielen Staaten im Rat,<br />
die ihm die Unterstützung versagten,<br />
einschließlich der mitgliedsstaaten<br />
der Europäischen Union, der Schweiz,<br />
Kanadas, Südkoreas und Japans.<br />
Ebenso hat es zahlreiche angesehene<br />
Persönlichkeiten beunruhigt, u. a. die<br />
frühere Un-Hochkommissarin für<br />
menschenrechte, Mary Robinson, die<br />
sich weigerte, der Einladung zur Lei -<br />
tung der mission nachzukommen,<br />
und einräumte, dass diese nicht von<br />
menschenrechten, sondern von Po li tik<br />
geleitet sei.<br />
Das Vorgehen der Mission<br />
Diese Befürchtungen wurden von der<br />
Vorgehensweise der mission selbst<br />
noch verstärkt. So etwa wurde in pa läs -<br />
tinensischen medien berichtet, dass<br />
sie bei all ihren Besuchen in Gaza<br />
kontinuierlich von Hamas-Vertretern<br />
begleitet wurde. Auch weigerte sie<br />
sich, mitglieder der mission mit klaren<br />
politischen Haltungen zu den zur<br />
Untersuchung stehenden Fragen we -<br />
gen Voreingenommenheit abzulehnen.<br />
Ein missionsmitglied unterzeichnete<br />
einen Brief an die ‘Sunday Times’, in<br />
dem es hieß, israels Aktionen gegen<br />
die Hamas-Angriffe seien Akte der<br />
„Aggression, nicht der Selbstverteidi -<br />
gung“, und sprach so bereits ein Urteil<br />
über die Untersuchung aus, bevor<br />
diese überhaupt begonnen hatte.<br />
Auch das präzedenzlose Verfahren<br />
von Fernsehanhörungen hat Anlass<br />
zur schweren Sorge gegeben. Die<br />
Tatsache, dass alle Zeugen im Vorfeld<br />
gescreent und selektiert wurden, je -<br />
doch niemand Auskunft zu palästinensischen<br />
Terroraktionen oder der<br />
Lo kalisierung von Waffen und Terro -<br />
risten in Wohngebieten geben musste,<br />
verstärkt nur die Befürchtung,<br />
dass sie Teil einer fein abgestimmten<br />
politischen Kampagne waren.<br />
Ein „nichtjuristisches“ Dokument<br />
Richter Goldstone hat <strong>als</strong> Leiter der mis -<br />
sion wiederholt darauf insistiert, dass<br />
22 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • ISRAEL<br />
die mission keine juristische Un ter su -<br />
chung darstelle und so auch „kei ne<br />
juristischen Schlüsse ziehen könnte“. Auf<br />
dieser Grundlage rechtfertigte er die<br />
miteinbeziehung von parteiischen mis -<br />
sionsmitgliedern, wobei er zugab, ih re<br />
involvierung „wäre einer juristischen<br />
Un tersuchung nicht angemessen“. Der<br />
Bericht ist jedoch höchst juristischer<br />
natur; er kommt zu abschließenden<br />
juristischen Schuldzu weisun gen und<br />
schließt selbst in Abwesen heit der sensiblen<br />
Geheimdienstinforma tionen,<br />
die israel zu liefern sich nicht in der La -<br />
ge sah, „detaillierte rechtliche Befunde“<br />
ein. Diese Schuldzuweisun gen wurden<br />
gefällt, obwohl der Be richt zu gibt,<br />
er gebe nicht vor, „den in Strafpro zes sen<br />
geltenden Beweisstandard zu erreichen“.<br />
Ignorierte Aspekte<br />
Der Bericht ignoriert völlig die gezielte<br />
terroristische Strategie, im Herzen<br />
von dicht bevölkerten Wohngebieten<br />
zu operieren, die den Kampf schau -<br />
platz bestimmt hat. Selbst wenn sich<br />
die Hamas-Terroristen unter Zivi lis -<br />
ten mischten, weist der Bericht die<br />
Behauptung zurück, dass die Zivilbe -<br />
völ kerung absichtlich einem Risiko<br />
ausgesetzt wurde.<br />
Erstaunlicherweise stellt der Bericht -<br />
trotz der vielen in der internationalen<br />
Presse gemeldeten Beispiele für den<br />
missbrauch ziviler Einrichtungen<br />
durch Terrorgruppen und den Erklä -<br />
run gen von Hamas-Führern selbst,<br />
die Frauen und Kinder priesen, welche<br />
<strong>als</strong> menschliche Schutzschilde fungiert<br />
hatten - wiederholt fest, dass er keine<br />
Beweise für derartige Ak ti vi tä ten ha -<br />
be finden können. Und dies, obwohl<br />
er einräumt, dass die inter viewten<br />
„un willig waren, über die Prä senz oder<br />
das Kampfverhalten von be waff ne ten<br />
palästinensischen Gruppen zu spre chen“.<br />
Der Bericht ignoriert auch israels um -<br />
fassende Bemühungen, selbst inmitten<br />
der Kämpfe humanitäre Stan -<br />
dards aufrecht zu erhalten. Während<br />
er in zurückhaltender Weise israels<br />
„beträchtliche Bemühungen“ anerkennt,<br />
vor den Angriffen Warnungen<br />
auszusprechen, betrachtet er keine<br />
dieser Bemühungen <strong>als</strong> wirksam.<br />
Während der Bericht israel hinsichtlich<br />
beinahe aller Anschuldigungen verurteilt,<br />
sucht er die Hamas von beinahe<br />
jedem Fehlverhalten freizusprechen.<br />
Das Wort „Terrorist“ fehlt fast völlig.<br />
Der Soldat Gilad Shalit, der sich mittlerweile<br />
seit über drei Jahren von der<br />
Außenwelt abgeschnitten in Gefan gen -<br />
schaft befindet, wurde „während ei nes<br />
feindlichen Einfalls gefangen ge nom men“,<br />
und den Hamas-mitgliedern, mit de -<br />
nen sich die mission in Gaza getroffen<br />
hat, wird <strong>als</strong> ‚Behörden von Gaza’ („Ga-<br />
za authorities“) dafür gedankt, dass sie<br />
der mission ihre volle Ko o pe ration<br />
und Unterstützung gewährt ha ben.<br />
Die Tausenden von Raketenangriffen<br />
auf israelis, die die Gaza-Operation<br />
not wendig gemacht haben, erfahren<br />
nur flüchtigste Erwähnung; tatsächlich<br />
gibt der Bericht israel indirekt die<br />
Schuld für diese, indem er sie <strong>als</strong> „Ver -<br />
geltungsmaßnahmen“ bezeichnet.<br />
Zurückweisung demokratischer Werte<br />
Als ein Bericht, der sich stark auf is -<br />
raelische menschenrecht sorganisa tio -<br />
nen stützt und sich in sensiblen Si cher -<br />
heitsfragen an israels Obersten Ge -<br />
richtshof wendet, widmet der Be richt<br />
ein beträchtliches maß an Auf merk -<br />
samkeit der „Unterdrückung von Wi der -<br />
spruch in Israel“. Diese Be haup tung<br />
begründet er zum großen Teil mit der<br />
weit verbreiteten Zustim mung für die<br />
militäroperation innerhalb der israelischen<br />
Öffentlichkeit, wobei er an nimmt,<br />
dass israel ein po litisches Klima ge -<br />
schaffen habe, „in dem Wi der spruch nicht<br />
geduldet wird“. Der Ge danke, dass die<br />
mehrheit der israelis aus innerster<br />
Überzeugung ein Vor ge hen zur Been -<br />
di gung der andauernden Raketen an -<br />
griffe auf israelische Zivi lis ten unterstützte,<br />
scheint den mit glie dern der<br />
mission nicht ge kom men zu sein.<br />
Der Bericht ist auch kritisch gegenüber<br />
internen israelischen Untersu chun gen,<br />
obwohl diese im Vergleich mit Unter -<br />
su chungen von Anschuldi gun gen in<br />
mi litärischen Fragen in den meisten<br />
westlichen Ländern gut ab schneiden<br />
und oft strafrechtliche Er mittlungen<br />
und Schuldsprüche nach sich gezogen<br />
haben.<br />
Empfehlungen<br />
Die Empfehlungen des Berichts sind so<br />
einseitig wie seine Befunde. Er trach -<br />
tet danach, den menschen rechts rat,<br />
den Sicherheitsrat, die Vollver samm -<br />
lung, das Büro der Hoch kom mis sa rin<br />
für menschenrechte, den in terna tio na -<br />
len Gerichtshof und die in ternatio na le<br />
Gemeinschaft in seine feindselige po li -<br />
tische Kampagne einzuspannen.<br />
Trotz symbolischer Empfehlungen in<br />
Hinsicht auf die palästinensische Sei -<br />
te richtet sich der internationale Druck<br />
ausschließlich gegen israel.<br />
Die wahre Prüfung eines solchen Be -<br />
richts kann nur darin bestehen, ob er in<br />
zukünftigen Konflikten die Ach tung<br />
vor dem Gesetz steigern oder vermindern<br />
wird. Ein derart einseitiger Be -<br />
richt, der zudem noch den Anspruch<br />
erhebt, das internationale Recht zu re -<br />
präsentieren, kann die Stellung des<br />
Rechts in zukünftigen Konflikten leider<br />
nur schwächen. Gleichzeitig wird er<br />
den Terrororga ni sationen, wo auch im -<br />
mer sie sein mögen, die beunruhigende<br />
Botschaft übermitteln, dass sich die<br />
zynischen Taktiken der instru men ta li -<br />
sierung des Leidens von Zivilis ten für<br />
politische Zwecke in der Tat auszahlen.<br />
Außenministerium des Staates Israel, 15.09.09<br />
<br />
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<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 23
Der Goldstone-Report der UnO zum<br />
Gazakrieg vom Frühjahr unterscheidet<br />
nicht zwischen dem Aggressor<br />
und einem sich verteidigenden Staat.<br />
Deshalb „mockiert er sich über die Ge -<br />
schichte“, heißt es in einer Erklä rung<br />
des israelischen Staatspräsidenten<br />
Schimon Peres. „Krieg ist ein Verbre -<br />
chen. Der Aggressor ist ein Verbrecher.<br />
Wer jedoch Selbstverteidigung übt, hat<br />
keine Wahl“, heißt es da weiter. Der<br />
Report legitimiere de facto terroristische<br />
initiativen und ignoriere die<br />
Pflicht und das Recht eines jeden<br />
Staates, sich zu verteidigen, wie es<br />
die UnO ausdrücklich festgeschrieben<br />
habe.<br />
noam Schalit, der Vater des vor drei<br />
Jahren von der Hamas in den Ga za -<br />
strei fen entführten Soldaten Gilad<br />
Schalit und seitdem Faustpfand für<br />
ei nen erpresserischen Gefan genen -<br />
aus tausch, kritisiert die Darstellun gen<br />
der Goldstone Kommission zu seinem<br />
Sohn. Er schließt sich aber ihren<br />
Schlussfolgerungen an. in dem Re port,<br />
den die „UnO-Kommission für men -<br />
schenrechte“ in Auftrag gegeben hat -<br />
te, lasse unerwähnt, dass Schalit verschleppt<br />
worden sei. „Mein Sohn ist<br />
kein Kriegsgefangener“, sagte Schalit.<br />
Gleichwohl erklärte die Kommission<br />
den Soldaten im Gewahrsam der „faktischen<br />
Regierungsautorität im Gaza strei -<br />
fen“ zu einem „Kriegsgefan ge nen“.<br />
Wenn dem so sei, sagte Schalit weiter,<br />
stünden seinem Sohn gemäß der dritten<br />
Genfer Konvention auch Kon takt<br />
zur Außenwelt und regelmäßige Be su -<br />
che des iKRK zu. Seit drei Jahren gibt<br />
es jedoch nicht einmal ein Lebens -<br />
zeichen des 22-jährigen, der mutmaßlich<br />
irgendwo in Rafah im Süden des<br />
Gazastreifens festgehalten wird.<br />
in einer ersten offiziellen Reaktion<br />
rechtfertig das israelische Außen mi nis -<br />
terium die Verweigerung einer Koo -<br />
pe ration mit der „fact-finding“ Unter -<br />
suchung der UnO. ihr mandat sei von<br />
vornherein „deutlich einseitig“ ge we -<br />
sen und habe den Beschuss is raels<br />
mit Tausenden Raketen der Ha mas vor<br />
Beginn der Operation „Ge gos senees<br />
Blei“ ignoriert. Alle EU-Staaten, die<br />
Schweiz und Japan hätten deshalb die<br />
Einrichtung der Untersuchungs kom -<br />
mis sion abgelehnt. „Eine israelische<br />
POLITIK • ISRAEL<br />
Kommentar zum Goldstone-Report<br />
VON ULRICH W. SAHM, JERUSALEM<br />
Zusammenarbeit mit Goldstone hätte die<br />
im Voraus beschlossenen Unter su chungs -<br />
ergebnisse legitimiert und kein einziges<br />
Wort in dem 600 Seiten langen Report ge -<br />
ändert“, sagte Dani Ayalon, stellvertretender<br />
Außenminister. Die israelische<br />
Regierung wolle den Report dennoch<br />
gründlich studieren. israel wolle sich<br />
an internationales Recht halten. Bis -<br />
her seien hundert Ermittlungen ge gen<br />
Soldaten gestartet worden wegen<br />
vermeintlicher Verbrechen. Die meisten<br />
Akten seien geschlossen worden,<br />
weil sich die Vorwürfe <strong>als</strong> „grundlos“<br />
erwiesen hätten. 23 kriminelle Un -<br />
tersuchung liefen noch.<br />
Ein Bürger von Sderot nahe der Grenze<br />
zum Gazastreifen erzählte im israelischen<br />
Rundfunk, wie er auf ei ge ne initi<br />
ative nach Genf gereist sei, um Rich -<br />
ter Richard Goldstone die Auswir kun -<br />
gen des Raketenbeschusses auf seine<br />
Heimatstadt mit Bildern und Zeu gen -<br />
berichten vorzuführen: „Goldstone ist<br />
während meiner Präsentation eingeschlafen<br />
und keines der anderen Mitglieder der<br />
Kommission hat mir auch nur eine einzige<br />
Frage gestellt. Ich hatte das Gefühl, zu<br />
einer Wand zu reden.“<br />
Der UnO-Report hat einen hitzigen<br />
Widerstreit unter den nGO´s (nicht-<br />
Regierungs-Organisationen) ausgelöst.<br />
Ein gutes Dutzend israelischer men -<br />
schen rechtsorganisation, darunter Be -<br />
t zelem, Rabbiner für menschenrechte<br />
und Andere, begrüßte in einem ge -<br />
mein samen Schreiben die Veröffent li -<br />
chung des Reports und forderte die<br />
israelische Regierung auf, mögliche<br />
Kriegsverbrechen in den Reihen der<br />
Soldaten zu untersuchen. Viele dieser<br />
Organisationen haben, teilweise mit<br />
großzügiger Finanzierung ausländischer<br />
Regierungen, schon eigene Re -<br />
ports und „Zeugenaussagen“ von<br />
namentlich nicht identifizierten Sol da -<br />
ten veröffentlicht, die von Kriegs ver -<br />
brechen gehört hätten, in den meisten<br />
Fällen aber nicht selber Zeu gen wa ren.<br />
Einige dieser Behaup tun gen wurden<br />
von offiziellen Stellen geprüft und <strong>als</strong><br />
„unseriös“ oder <strong>als</strong> „f<strong>als</strong>ch“ abgetan.<br />
in einem Fall, der weltweite Schlag -<br />
zei len machte, haben die vermeintlichen<br />
„Zeugen“ eingestanden, nur<br />
Ge rüchte wiedergegeben zu haben.<br />
Eine rechtsgerichtete nGO, die sich<br />
„nGO-Watch“ (nGO-Beobachter)<br />
nennt, bezichtigt Goldstone gar,<br />
längst widerlegte, ungeprüfte und<br />
offenkundig f<strong>als</strong>che Behauptungen<br />
linksgerichteter israelischer men schen -<br />
rechtsorganisationen per „Cut und<br />
Paste“ (Ausschneiden und Einfügen)<br />
in ihren Report kopiert zu haben. Die<br />
Goldstone Kommission habe sogar<br />
Am nesty international und Human<br />
Rights Watch widersprochen und be -<br />
hauptet, dass es angeblich keinerlei<br />
Beweise für den missbrauch von mo -<br />
scheen <strong>als</strong> Waffenlager oder Stellungen<br />
der Hamas-Kämpfer gebe. nGO-<br />
Watch wirft Goldstone vor, sich selber<br />
widersprochen und internationales<br />
Recht verdreht zu haben. So heißt es<br />
im Paragrafen 493, dass die palästinensischen<br />
Kämpfer nicht gegen in -<br />
ter nationales Recht verstoßen hätten,<br />
wenn sie in ziviler Kleidung vorgegangen<br />
seien. nGO-Watch widerlegt<br />
diese und andere Behauptungen des<br />
Reports mit Videofilmen und seitenlangen<br />
Aufstellungen.<br />
Israelische Medien haben den ersten aus der Ge fan -<br />
genschaft geschriebenen Brief des vor rund drei Jah -<br />
ren verschleppten Soldaten Gilad Shalit veröffentlicht.<br />
In dem drei Monate nach seiner Geisel nah me durch<br />
radikale Palästinenser verfassten Brief wen det sich<br />
Shalit an seine Eltern und Freunde: "Ich sage euch<br />
Scha lom. Mein Gesundheitszu stand wird täglich schlech -<br />
ter, vor allem, was die Moral an geht, bin ich niedergeschlagen.<br />
Ich warte darauf, dass die ser un erträgliche<br />
Alptraum aufhört und ich aus der Zel le ge lassen werde,<br />
in der ich in Isolation gehalten werde".<br />
Der Brief war im <strong>September</strong> 2006 über das Inter na -<br />
tionale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und ägyp ti -<br />
sche Vermittler den israelischen Behörden zugespielt<br />
worden. Laut dem israelischen TV-Sender Kanal 10,<br />
wurde dieser Brief offensichtlich von seinen Kid -<br />
nappern diktiert, wie auch andere Briefe, die später<br />
veröffentlicht wurden.<br />
24 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • ISRAEL<br />
Israel erklärt Menschenrechtsorganisationen den Krieg<br />
VON ULRICH W. SAHM, JERUSALEM, 19. SEPTEMBER <strong>2009</strong><br />
internationale und israelische men -<br />
schen rechtsorganisationen veröffentlichen<br />
fast wöchentlich Reports über<br />
das militärische Vorgehen israels. Die<br />
Liste israelischer Kriegsverbrechen<br />
der Soldaten enthält „Verbrechen gegen<br />
die Menschlichkeit“, Völkermord, ethnische<br />
Säuberung, Rassismus, Schi ka ne<br />
und Kollektivstrafen. Einen Höhe -<br />
punkt setzte der Goldstone-Report (sie-<br />
he Seite 22-23) der UnO zu Kriegs -<br />
verbrechen während des Gazakriegs.<br />
Richter Richard Goldstone verglich is -<br />
rael mit Darfur, wo Hundert tau sen de<br />
ermordet und millionen zu Flücht -<br />
lingen wurden.<br />
Das offizielle israel reagierte unterschiedlich<br />
auf Reports von Amnesty<br />
international, Human Rights Watch,<br />
Betselem, Rabbiner für menschen rech -<br />
te und anderen Organisationen, die<br />
teilweise mit sechsstelligen Beträgen<br />
europäischer Regierungen finanziert<br />
werden, um israelische menschen -<br />
rechts verstöße aufzudecken, zu do ku -<br />
mentieren und weltweit zu verbreiten.<br />
Diese Kampagne ist längst zur wirksamsten<br />
Waffe gegen die Legitimität<br />
und den Bestand israels geworden.<br />
nur selten reichten jedoch die Be haup -<br />
tungen aus, um Soldaten wegen mor -<br />
des oder misshandlung von Paläs ti -<br />
nensern vor Gericht zu stellen. in vielen<br />
Fällen erweisen sich die Ermitt -<br />
lungs methoden der Organisationen <strong>als</strong><br />
„unseriös“. Oft werden nicht einmal<br />
der Ort des vermeintlichen Verbre -<br />
chens, die namen der Betroffenen<br />
oder der Zeitpunkt genannt.<br />
Die israelische Regierung will jetzt<br />
zurückschlagen und hat den men -<br />
schenrechtsorganisationen den Krieg<br />
erklärt. Die können nicht verboten<br />
werden, weil meinungsfreiheit ge -<br />
setzlich verankert ist. Aber der Staat<br />
kann sie mit legitimen mitteln einschränken<br />
und diskreditieren.<br />
Am 13. <strong>September</strong> schickte Colonel<br />
Mosche Levi, Chef des Verbin dungs -<br />
bü ros der israelischen Armee zum<br />
Ga za streifen, unter dem Akten zei chen<br />
DCO-192690, einen „aufklärenden“<br />
Brief an „Ärzte für menschenrechte“,<br />
„Gi scha – Legal-Zentrum für Bewegungs<br />
freiheit“ und „moked – Zen trum<br />
für die Verteidigung des individu ums“.<br />
„Wie Sie doch sicherlich wissen...“, gelten<br />
Verträge zwischen israel und der<br />
PLO, wonach allein offiziell anerkannte<br />
palästinensische Stellen Ansprech -<br />
part ner für israelische Verbindungs -<br />
büros seien. Ausreiseanträge von Pa -<br />
lästinensern des Gazastreifens seien<br />
zwar „provisorisch“ über andere<br />
Wege akzeptiert und abgewickelt<br />
wor den. Aber ab dem 15. <strong>September</strong><br />
<strong>2009</strong> müssten alle Anträge wieder<br />
schriftlich über das „Palästinensische<br />
Komitee für zivile Angelegenheiten“<br />
laufen.<br />
Der Hinweis, sich künftig an die Ver -<br />
träge halten zu wollen und keine<br />
Aus nahmen mehr zuzulassen, trifft die<br />
menschenrechtsorganisationen hart.<br />
Sie verlieren ihre Rolle <strong>als</strong> Vermittler<br />
und Ansprechpartner für Palästinen ser<br />
im Gazastreifen. Das genannte Ko -<br />
mitee hat seinen Sitz in Ramallah und<br />
ist Teil der Autonomiebehörde. Seit<br />
dem Putsch der Hamas im Juli 2007<br />
existiert es im Gazastreifen nicht mehr.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 25
POLITIK • ISRAEL<br />
Die „de facto Regierung“ der Hamas<br />
im Gazastreifen wird weder von is -<br />
rael noch von der Autonomiebehörde<br />
anerkannt. Jährlich wurden rund<br />
7.000 Palästinenser aus dem Gaza -<br />
strei fen dank der unbürokratischen<br />
Vermittlung nach israel zwecks medizinischer<br />
Behandlung eingelassen.<br />
Jetzt haben die kranken Palästinenser<br />
und die menschenrechtsorga nisatio -<br />
nen keinen Ansprechpartner mehr.<br />
Einen ersten Erfolg verbuchten israelische<br />
Journalisten und Vereine wie<br />
nGO-Watch (Beobachter von nicht-<br />
Regierungs-Organisationen). Unter<br />
dem Titel „Eine Büchse voller Wür -<br />
mer“ veröffentlichte Ben Dror Yemini<br />
fragwürdige Einzelheiten über Hob -<br />
bys und extremistische Aktivitäten<br />
füh render mitarbeiter von „Human<br />
Rights Watch“ (HRW). neben Am nes -<br />
ty international ist das die angesehenste<br />
internationale menschen rechts or -<br />
ga nisation. Der stellvertretende Leit er,<br />
Joe Stork, sei ein „antizionistischer Ex -<br />
tremist“, der das massa ker an israelischen<br />
Athleten bei den olympischen<br />
Spielen in münchen 1972 befürwortet<br />
und zur Vernich tung israels aufgerufen<br />
habe. „Wir sollten den Er folg der Mün -<br />
chen-Aktion anerkennen... Sie hob die Mo -<br />
ral unter Palästinensern in den Lagern“,<br />
wird Stork zitiert. Die Leiterin der nah -<br />
ost abteilung, Sarah Leah Whitson, habe<br />
zum Boykott isra els aufgerufen. Ye -<br />
mini schreibt: „Von solchen Leuten ist<br />
eine vorbehaltlose Prü fung von Men schen -<br />
rechtsverlet zungen nicht zu erwarten.“<br />
Und jetzt traf es auch noch den mili -<br />
tärexperten von HRW, Mark Garlasco.<br />
„Ob er selber ein Nazi ist, bleibt unklar“,<br />
schreibt Yemini. Doch nachgewiesen<br />
ist, dass Garlasco nazi-Abzeichen<br />
sammelt, ein 430 Seiten starkes Buch<br />
dazu veröffentlicht hat und – nach ei -<br />
genen Angaben - unter dem Alias „Flak<br />
88“ in Bloggs mitdiskutiert. Der 1970<br />
in new York geborene Sohn einer<br />
Deut schen und eines italieners habe<br />
<strong>als</strong> Kind seinen Großvater bewundert,<br />
weil der bei der Wehrmacht gedient<br />
hat te.<br />
HRW geriet in Erklärungsnot und sus -<br />
pendierte Garlasco bei vollem Ge halt<br />
vom Dienst. Einige Kritiker hätten ihm<br />
„Sympathien für den Nation<strong>als</strong>o zia lis mus<br />
unterstellt, weil dieser deutsche Kriegs -<br />
me morabilien sammelt. Diese An schul di -<br />
gungen sind nachweislich f<strong>als</strong>ch und Teil<br />
einer Kampagne, die von der detaillierten<br />
und schonungslosen Bericht erstattung von<br />
Human Rights Watch über Völkerrechtsund<br />
Menschen rechts verletzungen durch<br />
die israelische Regierung ablenken soll“,<br />
heißt es in einer offiziellen HRW-Er -<br />
klä rung.<br />
Ist Holocaust-Erziehung im Gazastreifen<br />
ein Kriegsverbrechen?<br />
Die UnO-Flüchtlingshilfe organisa ti on<br />
UnWRA ist wegen einer vermeintli -<br />
chen Weigerung, in UnO-Schulen im<br />
Gazastreifen palästinensische Kinder<br />
über den Holocaust zu unterrichten,<br />
un ter Druck geraten. Offiziell dementierte<br />
die UnO Behauptungen des Si -<br />
mon Wiesenthal Centers in Los Ange -<br />
les (SWC), wonach der UnWRA-Ge -<br />
ne ral be auf tragte im Gazastreifen, Ka -<br />
ren Abu Zayd, und UnWRA-Direktor<br />
John Ging sich geweigert hätten, den<br />
nazi-Holocaust dem Lehrplan einzufügen,<br />
weil der Holocaust keine „men-<br />
schen rechts frage” sei.<br />
Das SWC hatte vom UnO-Gener<strong>als</strong>e -<br />
kre tär gefordert, die bei den hochrangigen<br />
UnWRA-Be dien steten zu entlassen<br />
und jegliche fi nanzielle Unter -<br />
stüt zung für die UnO-Organisation<br />
zu unterbinden, so lan ge nicht der Ho -<br />
locaust auf den Lehrplan der palästinensischen<br />
Schü ler gesetzt werde.<br />
„Während die Welt sich in Polen versammelte,<br />
um des 70. Jah restages des Be ginns<br />
des Zweiten Welt kriegs zu ge den ken, bei<br />
dem 50 Millionen Menschen ihr Le ben<br />
ließen, entschlossen sich einseitig Beamte<br />
der UNWRA in Gaza, jegliche Erwäh nung<br />
des Holocaust auszuradieren.” Weiter hieß<br />
es in der Presse mit teilung des SWC,<br />
dass die UnO-Beamten nicht den Vor -<br />
ga ben der islamistischen Hamas-Or ga -<br />
nisation folgen sollten, die den Holo -<br />
caust leugnen.<br />
Darauf antwortete jetzt die UnWRA,<br />
dass die für die Versorgung palästinensischer<br />
Flüchtlinge in den besetzten<br />
Gebieten israels, im Libanon, in Sy rien<br />
und Jordanien verantwortliche Orga -<br />
ni sation, „jegliche Form der Holo caust-<br />
Leugung” verurteile. Gleich wohl verurteile<br />
die Organisation auch eine „Po-<br />
litisierung” des Holocaust. Ohne sich<br />
zu verpflichten, in UnO-Schulen den<br />
Ho locaust tatsächlich zu erwähnen,<br />
er klärte die UnWRA, dass sie ei nem<br />
„positiven Lehrplan” ver pflich tet sei,<br />
den Kindern „die Werte der Men schen -<br />
rechte beizubringen, wie sie in der univer -<br />
sa len Menschenrechts-Er klärung ver an kert<br />
sind”. in dieser „All gemeinen Er klä -<br />
rung der menschen rech te” wird frei -<br />
lich der Holocaust nicht ausdrücklich<br />
erwähnt. Dem öf fent lichen Streit zwischen<br />
dem SWC und der UnRWA ging<br />
voraus, dass Vertreter der im Ga za -<br />
strei fen herrschenden Hamas die UnO<br />
gar ei nes „Kriegsverbrechens” be -<br />
zich tigen, weil sie den Holocaust in<br />
den Lehrplan in UnO-Schulen aufgenommen<br />
habe, obgleich der Holo caust<br />
„keine wis senschaftlich nachgewiesene<br />
Wahr heit” sei und palästinensischen<br />
Kin dern so „Sympathie für die Juden”<br />
bei gebracht werden könnte.<br />
Die UnWRA versorgt nach eigenen<br />
An gaben allein im Gazastreifen etwa<br />
250.000 Kinder mit Schulerziehung,<br />
fi nanziert durch die internationale Ge -<br />
meinschaft. im nahen Osten würden<br />
etwa eine halbe million Kin der palästinensischer<br />
Flüchtlinge aus dem Jahr<br />
1948, <strong>als</strong> der Staat israel entstand,<br />
UnO-Schulen besuchen. Auf An frage<br />
erklärte der UnWRA-Spre cher Chris<br />
Gun ness, dass Lehr plan und Schul bü -<br />
cher in UnO-Schulen vom je wei ligen<br />
Gastland übernommen würden, in<br />
die sem Fall der pa läs ti nen si schen Au -<br />
tonomiebehörde in Ramal lah. Gleich -<br />
wohl entwickle die UnWRA zu sätz li -<br />
ches Lehrmaterial, um den Kin dern<br />
auch Werte wie men schenrechte zu<br />
vermitteln. „Dieser Lehrstoff wird in Dis -<br />
kus sions grup pen mit Eltern und Leh rern<br />
erarbeitet”, sagte Gunnes. Die Auf regung<br />
der Ha mas über die Erwäh nung<br />
des Holocaust in Schul büchern der<br />
UnO sei „verfrüht”. Das Thema werde<br />
zwar diskutiert, aber es gebe noch keinen<br />
Be schluss dazu. „Und so lange kei ne<br />
Beschlüsse gefasst sind, können wir die<br />
Bücher nicht der Druckerei übergeben”,<br />
sag te Gunnes. Solange <strong>als</strong>o die Un W -<br />
RA nicht be schlossen hat, den Holo caust<br />
in das Lehr material einzufügen, kann<br />
die Ha mas ihr nicht vorwerfen, ein<br />
„Kriegs verbrechen” zu be gehen. Auch<br />
kann das SWC der Or gani sa tion keine<br />
Vorwürfe ma chen, den Holo caust zu<br />
verleugnen. Doch auch die UnO kann<br />
nicht behaupten, entsprechend ih rer<br />
ei genen Vorgab en, den Ho lo caust <strong>als</strong><br />
menschen rechts fra ge in den Lehr plan<br />
aufgenommen zu ha ben, so lange das<br />
nach Angaben ihres eigenen Spre chers<br />
eine unbeschlossene Sachse sei und<br />
noch diskutiert werde. USW/APA<br />
26 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
POLITIK • ISRAEL<br />
Der Dreiergipfel<br />
von Ulrich W. Sahm<br />
Sie haben sich im Waldorf Astoria<br />
Ho tel sogar die Hand geschüttelt, der<br />
palästinensische Präsident mahmoud<br />
Abbas und israels Regierungschef<br />
Ben jamin netanjahu. Doch von ei nem<br />
„Durchbruch“ könne keine Rede sein,<br />
sagen vorsichtig die israelischen Re -<br />
porter in new York. Die konzentrierten<br />
sich vor allem auf die Analyse der<br />
Körpersprache des amerikanischen<br />
Präsidenten Barack Obama und der<br />
nahöstlichen Kontrahenten.<br />
Obama habe den Raum nachdenklich<br />
und nicht mit hüpfenden Schritten be -<br />
treten. Abbas habe erst einmal dem<br />
„ge mäßigten“ israelischen Verteidi -<br />
gungs minister Ehud Barak herzlich die<br />
Hand geschüttelt, obgleich der vor we -<br />
nigen Tagen weitere 500 Wohnungen<br />
in den „völkerrechtlich illegalen Sied lun -<br />
gen in den Palästinen sergebieten“ ge neh -<br />
migt hatte. Dann sei es Abbas ge lun -<br />
gen, israels Außenminister Avig dor<br />
Liberman zu umgehen, ohne ihm die<br />
Hand zu drücken. in den palästinensischen<br />
medien wurde das <strong>als</strong> großer<br />
Sieg von Abbas gefeiert. israelische Zei -<br />
tungen berichten hingegen, dass Ab bas<br />
Libermann mit „Herr Außen mi nister“<br />
angesprochen habe, woraufhin Liber -<br />
mann gesagt habe: „Warum eine so formale<br />
Anrede, wir sind doch Nach barn.“<br />
Ohne in Euphorie zu verfallen, sagten<br />
israelische Journalisten in new York<br />
und israel, dass netanjahu bei dieser<br />
mini-Etappe des Konflikts einen di -<br />
plo matischen Sieg errungen habe. Er<br />
überzeugte die USA, dass israel „ohne<br />
jede Vorbedingung“ zur Erneuerung der<br />
Gespräche bereit sei. Abbas je doch<br />
woll te nicht einmal zu diesem Drei er -<br />
treffen mit Obama kommen, so lange<br />
is rael keinen „völligen Bau stopp in den<br />
Siedlungen“ verkündet habe. Obama<br />
benötigte aber aus innenpolitischen<br />
Grün den einen außenpolitischen<br />
Trumpf und zwang deshalb Ab bas zu<br />
dem Treffen, auch ohne Er füllung seiner<br />
„Konditionen“. Es sei hier angemerkt,<br />
dass Abbas mehrfach ne tan -<br />
jahus Vorgänger Ehud Olmert in dessen<br />
Jerusalemer Residenz besucht hat,<br />
ohne irgend welche Bedingun gen zu<br />
stellen, während Olmert munter wei -<br />
terbauen ließ.<br />
Der schwächliche Abbas sei „eingeknickt“<br />
und habe sich „von den Ameri ka -<br />
nern an den Haaren nach New York ziehen<br />
lassen“, kritisierten palästinensische<br />
Kommentatoren. Die palästinensische<br />
Bestürzung war umso größer, <strong>als</strong> Oba -<br />
ma mit einigen wenigen Wor ten ei nen<br />
Rückzieher nach dem anderen machte.<br />
An die Stelle eines „totalen Bau stopps<br />
in den Siedlungen“ redete er jetzt nur<br />
noch von einem „zügeln“ (restain) der<br />
Bautätigkeit. Anstatt wie an gekün digt<br />
„einen neuen Friedens pro zess anzuschieben“,<br />
war nur noch die Re de von „Ge-<br />
sprä chen“. Ein straffer Ter minplan<br />
wurde überhaupt nicht mehr er wähnt.<br />
Ebenso fehlte die Er wähnung eines<br />
Bau stopps speziell in dem von den Pa -<br />
läs tinensern beanspruchten und von<br />
den israelis an nek tierten Ost-Jeru sa -<br />
lem. Aber auch die von israel geforderte<br />
„Nor malisie rung“ der Bezie hun -<br />
gen der arabischen Staa ten mit israel,<br />
wie Überflugrechte is ra elischer Zivil -<br />
flugzeuge, hatte Oba ma ausgelassen,<br />
nachdem die Sau dis er klärt hatten,<br />
dass „jüdische Flug zeu ge“ die Luft über<br />
den heiligen Städten mek ka und me -<br />
dina „verpesten“ könnten.<br />
israelische Kommentatoren meinen,<br />
dass der Dreiergipfel reichlich überflüssig<br />
und „hohl“ war. Die Ame ri ka -<br />
ner scheiterten, netanjahu zu einem<br />
Baustopp in den Siedlungen zu zwingen.<br />
Umgekehrt war es für die Pa -<br />
lästinenser nur ein Trostpflaster, dass<br />
der amerikanische nahostvermittler<br />
George mitchell später auf einer Pres -<br />
se konferenz von einer „unveränderten“<br />
Position zu den Siedlungen redete.<br />
Für Abbas war die Zustimmung zu<br />
dem Händedruck nach Ansicht israelischer<br />
Experten und palästinensischer<br />
Beobachter ein schwerer Schritt.<br />
Denn Abbas schaffe es, „andere für sich<br />
arbeiten zu lassen“. Als Arafat noch leb -<br />
te wartete er geduldig ab, während<br />
die Europäer und Amerikaner Druck<br />
auf Arafat ausübten, einen „gemäßigten“<br />
ministerpräsidenten unter sich zu -<br />
zulassen. nach dem gleichen Prinzip<br />
ließ Abbas auch jetzt die Amerikaner<br />
und die EU für sich arbeiten, ohne sel -<br />
ber aktiv werden zu müssen. Für ein<br />
Verschwinden der israelischen Sied lun -<br />
gen aus den besetzten Gebieten sorgen<br />
die Amerikaner mit erheblichem Druck<br />
auf israel und die EU-Staaten mit deut -<br />
lichen Erklärungen. Ebenso ist sich<br />
die Welt einig, dass Ost-Jeru sa lem den<br />
Palästinensern zustehe, während die<br />
gleiche Welt nicht einmal West-Jeru -<br />
sa lem den israelis zu bil ligt und deshalb<br />
alle Botschaften in Tel Aviv angesiedelt<br />
hat. Selbst ver ständ lich wird<br />
die Waffenstillstandsli nie zwi schen<br />
Jordanien und israel be han delt, <strong>als</strong><br />
wäre es die international an er kannte<br />
Staatsgrenze zu dem noch gar nicht<br />
existierenden Staat Paläs tina, ob gleich<br />
diese „grüne Linie“ eigentlich, gemäß<br />
dem Vertrag von Rhodos 1950, „kein<br />
Vor griff auf künftige diplomatische Ver -<br />
hand lungen“ sein sollte. Sogar das<br />
„Rückkehrrecht“ für palästinensische<br />
Flüchtlinge, das is ra el <strong>als</strong> mittel zur<br />
Zerstörung des jüdischen Staates mit<br />
de mografischen mit teln be trach tet,<br />
wird von ausländischen Po litikern wie<br />
eine legitime Forderung der Pa läs ti nen -<br />
ser behandelt. Bun des außen mi nister<br />
Frank-Walter Stein mei er ver wendete<br />
während seiner in deutscher Sprache<br />
ge haltenen Pres se kon ferenz in Jeru sa -<br />
lem den englischen Fach be griff „Right<br />
of Return“. Wenn <strong>als</strong>o alle Welt versucht,<br />
die pa lästinen si schen For de run -<br />
gen durch zuset zen, könne Abbas bei<br />
Ver hand lungen mit israel nur verlieren,<br />
sowie die is raelis von Ab bas Gegen lei s -<br />
tun gen und Konzes sio nen einfordern.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 27
M<br />
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
Schnee bei<br />
Sonnen<br />
Hoch in den Pitztaler<br />
Alpen beginnt die Ski -<br />
saison heuer am Gletscher<br />
so schneesicher wie schon<br />
lange nicht – dank einer<br />
neuen Technologie Made<br />
in Israel.<br />
VON REINHARD ENGEL<br />
WIRTSCHAFT<br />
Entsalzungsanlage in Ashkelon<br />
„Es ist wirklich Schnee, was da herauskommt,<br />
nicht Crash-Eis für Caipirinha,“<br />
lacht Willi Krüger. Er arbeitet <strong>als</strong> mar -<br />
ketingleiter für die Pitztaler Glet scher -<br />
bahnen, und diese haben schon im<br />
August mit dem probeweisen Schnee -<br />
machen bei Sommertemperaturen be -<br />
gonnen. Die Saison startete dann<br />
mitte <strong>September</strong>, mit einer sicheren<br />
weißen Decke, die von einer neuartigen<br />
Anlage aus israel hergestellt worden<br />
war.<br />
Die maschine, die das ermöglicht,<br />
nennt sich „All Weather Snowmaker“,<br />
und damit gleich jeder weiß, was sie<br />
kann, liest man auf ihrem Werbe -<br />
prospekt: „Wenn andere Schneekanonen<br />
versagen“. Das Unternehmen, das sie<br />
erzeugt, hat seinen Sitz in israel: iDE<br />
Technologies. Und seine ingenieure,<br />
die seit Ende 2008 auf dem 2800 me -<br />
ter hohen Tiroler Gebirgsgletscher<br />
herumgeschraubt haben, sind eigentlich<br />
Schnee in ihrer übrigen Arbeit<br />
nicht wirklich gewöhnt.<br />
28 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
schein<br />
Doch wie fand iDE nach Tirol? „Schon<br />
in den 60er Jahren haben wir zum Ent sal -<br />
zen von Meerwasser eine neue Techno lo gie<br />
entwickelt, den Einsatz von Vakuum,“ er -<br />
zählt Moshe Tessel, der für die Schnee -<br />
erzeugung verantwortliche Bereichs -<br />
di rektor. „Dabei frieren wir das Wasser<br />
ein und entfernen so das Salz.“ Diese<br />
Technologie funktionierte zwar, ließ<br />
sich aber kostengünstig nur für kleinere<br />
Anlagen nutzen, der Entwick lungs -<br />
trend ging aber Richtung große Ent -<br />
salzungswerke für urbane Regionen.<br />
Also nutzte iDE die Geräte andersherum<br />
– zur Kühlung. Vor allem in heissen,<br />
tiefen Gold- und Diamanten mi -<br />
nen in Südafrika kamen die iDE-ma -<br />
schinen zum Einsatz, man musste dank<br />
ihnen nicht mehr große mengen von<br />
Kühlwasser mehrere tausend meter<br />
in die Tiefe pumpen. Was bei diesen<br />
ma schinen herauskam, sah Schnee<br />
sehr ähnlich, und dann begannen die<br />
iDE-Techniker sich entsprechende An -<br />
wendungsmöglichkeiten zu überlegen.<br />
Benny Raich, der Blitz von Pitz,<br />
am Pitztaler Gletscher<br />
oshe Tessel, IDE Direktor, beim Test<br />
normalerweise entwerfen und konstruieren<br />
sie meerwasser-Entsalzungs -<br />
anlagen, zuletzt waren sie etwa für den<br />
Bau einer derartigen Trinkwasser-Fa -<br />
brik im israelischen Ashkelon verantwortlich,<br />
einer der größten weltweit.<br />
iDE wurde auch für diesen Zweck ge -<br />
gründet, 1965, dam<strong>als</strong> <strong>als</strong> staatliches<br />
Forschungs- und Entwicklungs in sti -<br />
tut. Jahrzehnte später wurde es privatisiert<br />
und gehört heute zwei der<br />
größ ten israelischen industriegrup pen,<br />
iCL und Delek (siehe Kasten: Konzerne<br />
in den Alpen).<br />
Braune Hänge – steinige<br />
Gletscherpisten<br />
Eine erste markstudie erarbeiteten sie<br />
im Jahr 2006, dann begannen sie systematisch,<br />
Skigebiete in den österreichischen,<br />
Schweizer und italienischen<br />
Alpen abzuklappern. Aber sie zielten<br />
ursprünglich noch nicht auf Glet scher.<br />
„Ich bin ein Marketing-Mann,“ erzählt<br />
Tessel, „ich habe viel gelesen über Skige -<br />
bie te und auch über die Probleme von solchen<br />
in tieferen Lagen mit ihren grünbraunen<br />
Hängen bei wärmeren Wintern<br />
– und diese Probleme nehmen ja zu.“<br />
mehrm<strong>als</strong> lud iDE Delegationen aus<br />
Europa ein, um ihnen die neue Tech -<br />
no logie vorzuführen.<br />
Aber es waren schließlich doch zwei<br />
Skigebiete in besonders hohen Lagen,<br />
das Pitztal in Österreich und Zermatt<br />
in der Schweiz, die sich früh konkret<br />
in teressierten, und die dann die ers ten<br />
Aufträge vergaben. Beide bieten Glet -<br />
scherskilauf an, und beide kämpf ten<br />
mit ähnlichen Problemen: „Im Spät -<br />
herbst, so Anfang Oktober, reicht die Glet -<br />
scherpiste nur bis 500 Meter vor der Berg -<br />
station,“ erzählt Christen Baumann,<br />
CEO der Zermatt Bergbahnen AG.<br />
„Die verbleibende Strecke musste zu Fuß<br />
zurückgelegt werden.“ Wenn jemand<br />
schon ordentlich Geld ausgibt für<br />
hoch alpinen Skilauf weit über 3000<br />
me tern, dann darf ihn der Liftbe treiber<br />
nicht mehr mühsam weite Strec ken<br />
zwischen Piste und Seilbahn in schwe -<br />
ren Skischuhen herumstapfen lassen.<br />
Den Tirolern ist es ähnlich ergangen.<br />
Sie fahren ihre Lifte am Gletscher zwar<br />
nicht über den Sommer, aber am Sai -<br />
sonbeginn mitte <strong>September</strong> warten<br />
schon zahlreiche internationale Ski -<br />
© Pitztaler Gletscherbahnen<br />
teams, die hier ihre Trainings abhalten<br />
– ob das die Österreicher sind, die<br />
Franzosen, italiener oder die Deut -<br />
schen, bis hin zu Alpin-Exoten aus<br />
Russland oder Bulgarien. Bald darauf<br />
folgen die Herbstferien in Deutsch -<br />
land, und Skiklubs wie Skischulen aus<br />
zahlreichen Städten und Regionen<br />
wollen dann am Gletscher die Saison<br />
eröffnen.<br />
Aber meist hat es noch nicht rechtzeitig<br />
geschneit, da sind manchmal noch<br />
Steine auf den Pisten, und für den<br />
Ein satz der fix eingebauten Schnee -<br />
ka nonen ist es oft zu warm. marke -<br />
ting-manager Krüger: „Dazu braucht<br />
man Minus-Temperaturen, eine hohe<br />
Luftfeuchtigkeit über 60 Prozent, und zu<br />
viel Wind sollte auch nicht wehen.“<br />
mit der neuen israelischen maschine<br />
3wenn es warm ist. Sie steht allerdings<br />
fix in der nähe der Bergstation<br />
der Seilbahn, der Schnee rutscht über<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 29
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
ein Rohr herunter und muss von dort<br />
mit Pistengeräten auf die Hänge<br />
geschoben werden. Für das Wasser<br />
sorgen zwei bereits bestehende<br />
Stauseen auf dem Berg. Da die<br />
Produktion mittels Vakuum etwas<br />
mehr Energie braucht <strong>als</strong> die herkömmliche,<br />
schalten die Ti roler wieder<br />
ihre alte, fix verrohrte An lage ein,<br />
sobald es kälter geworden ist. „Was<br />
ganz wichtig ist,“ so Krüger, „das<br />
Ganze läuft völlig chemiefrei ab. Sonst<br />
hätten wir von der Tiroler Landes re -<br />
gierung auch nie eine Genehmigung be -<br />
kommen. Die sind heute schon sehr restriktiv.“<br />
Die gesamte investition hat die Pitz -<br />
taler Gleterscherbahnen 1,8 mio. Euro<br />
gekostet, „und wir sind gemeinsam mit<br />
Zermatt wirklich weltweit die ersten,“<br />
freut sich Krüger. manche seiner<br />
Branchenkollegen hatten sich bis zu -<br />
letzt skeptisch gezeigt. Aber die erste<br />
Schneeproduktion sei bei 14 bis 15<br />
Grad Außentemperatur gleich 24<br />
Stun den lang gelaufen und habe gut<br />
geklappt. „Natürlich ist der Schnee bei<br />
diesen Temperaturen feucht, aber er<br />
schmilzt auch nicht gleich, wenn er dann<br />
auf die warmen Steine geschoben wird.“<br />
Die israelis haben bei ihrer markt be -<br />
arbeitung trotz technischer Vorbe halte<br />
auch in anderen Skigebieten „großes<br />
interesse“ festgestellt. Jetzt, nach den<br />
ersten beiden Referenzprojekten, sollte<br />
das Geschäft eigentlich losgehen. Vor<br />
allem die italienischen Dolomiten<br />
haben sie <strong>als</strong> nächstes im Blick.<br />
© Krüger<br />
Konzerne in den Alpen<br />
iDE Technologies im Hasharon industriepark im nordisraelischen Kadima ist nach europäischen maßstäben ein größerer<br />
mittelbetrieb, mit 250 meist hoch qualifizierten mitarbeitern und Jahresumsätzen jenseits der 200 mio. US-<br />
Dollar. Das Unternehmen hat neben der Zentrale in israel noch Aus lands-niederlassungen in den USA, in Spanien<br />
und in China. Die Firma gehört aber keiner industriellen- oder Technikerfamilie. Sie wurde in den 60er Jahren wegen<br />
der Wasserknappheit im Land vom Staat gegründet, um bessere Techniken zur Entsalzung von meerwasser zu entwickeln.<br />
in den 90ern trennte sich dann die Regierung von einer ganzen Reihe von Un ter nehmen, auch von iDE<br />
Technologies.<br />
iDE gehört heute zu jeweils 50 Prozent den beiden israelischen Konzernen iCL und Delek. Und diese haben beide<br />
jeweils unterschiedliche, weit gespannte Unternehmens-Aktivitäten, aber mit Gletscher-Schnee wohl sonst kaum zu<br />
tun. iCL (israel Chemic<strong>als</strong> Ltd.) ist eine Chemie-Gruppe mit knapp sieben mrd. Dollar Umsatz im Jahr 2008. Dieses<br />
war laut Geschäftsbericht „das beste Jahr in der Geschichte von iCL“, aber im vierten Quartal machte sich die globale<br />
Krise bereits mit Umsatz- und Gewinnrückgängen bemerkbar. Zum Halbjahr <strong>2009</strong> schrieb iCL mit seiner<br />
Kunstdünger-, industriechemie- und Feinchemie-Erzeugung (etwa für Vorprodukte zur Lebensmittel industrie,<br />
Phar mazeutik- oder Kosmetika-Herstellung) noch schwarze Zahlen, die Gewinne waren aber gegenüber dem Vor -<br />
jahr deutlich eingebrochen. iCL notiert an der Tel Aviver Börse, der größte Aktionär ist mit 53 Prozent die israel<br />
Corporation der Ofer Group.<br />
Delek ist den meisten israelis und auch vielen Touristen durch das gleichnamige Tankstellennetz bekannt. Die<br />
investment-Gruppe mit Umsätzen von 8,7 mrd. Euro im Jahr 2008 hat ihre Aktivitäten sehr breit gestreut. in 1600<br />
Tankstellen in israel, den USA wird Benzin und Diesel verkauft, weiters gehören zu Delek Tochterfirmen, die selbst<br />
nach Öl und Gas bohren – die beiden großen jüngst gefundenen Felder im mittelmeer vor der israelischen Küste<br />
gehen auf ihr Konto. Überdies betreibt Delek Kraftwerke und meerentsalzungsanlagen, verkauft Ver si-cherungen<br />
(in israel und in den USA), besitzt Kabel-TV-Firmen, Bauunternehmen sowie die israelische immo bi li en-Gruppe El-<br />
Ad und ist israels größter Automobil-importeur mit den marken mazda und Ford. Delek notiert an der Börse von Tel<br />
Aviv, der Hauptaktionär ist Yitzhak Tshuva. Delek hat 2008 wegen der Wirtschafts kri se rote Zahlen ge schrieben. Elf seiner<br />
Tochter-Unternehmen werden ebenfalls an der israelischen Börse gehandelt – von Avner Oil Exploration bis zu<br />
Delek Drilling, von Delek Energy bis zur Versicherung Phoenix Holdings.<br />
30 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
CASTRO eröffnet vier weitere Stores<br />
in Deutschland<br />
CASTRO, das urbane Fashionlabel aus<br />
israel, ist erfolgreich auf Expansions -<br />
kurs. nachdem sich die marke bereits<br />
in den Städten Köln, münster, Ober -<br />
hausen und Stuttgart einen namen<br />
gemacht hat, wurde in Köln-Weiden<br />
der fünfte CASTRO Store eröffnet.<br />
Gleichzeitig präsentiert das Label hier<br />
sein neues Store-Design.<br />
Für 2010 sind die nächsten Shops fest<br />
geplant und weitere Objekte sind be -<br />
reits in aussichtsreichen Verhandlun -<br />
gen. in der Schweiz, die vom deutschen<br />
management mit geführt wird,<br />
eröffnet zudem am 24.09. ein CAS-<br />
TRO Store im Dreiländereck Basel.<br />
CASTRO Deutschland ist eine 100% -<br />
ige Tochter der CASTRO model Lt.<br />
aus Tel Aviv. Den Kunden werden<br />
komplette Looks zusammengestellt -<br />
in dividuell auf jeden Typ abgestimmt.<br />
mit dieser Philosophie ist CASTRO in<br />
seinem Heimatland israel seit den<br />
50er Jah ren erfolgreich und hat hier<br />
die marktführerschaft übernommen.<br />
Exportzuwachs von 25%<br />
Weiterhin mehren sich die Anzeichen<br />
dafür, dass sich die israelische Wirt -<br />
schaft von den Folgen der internationalen<br />
Finanzkrise erholt. So hat das<br />
Sta tistische Zentralamt nun mitgeteilt,<br />
dass die israelischen Exporte in<br />
den monaten Juni bis August auf das<br />
Jahr umgerechnet um 25,6% angewachsen<br />
sind. Zwischen märz und<br />
mai war noch ein Rückgang von 0,4%<br />
zu verzeichnen gewesen.<br />
Auch beim import ist zwischen Juni<br />
und August ein Wachstum zu registrieren,<br />
und zwar von 10,4%. in den<br />
monaten märz bis mai hatte es einen<br />
Rückgang von 24,5% gegeben. Die po -<br />
sitive Entwicklung im Ver gleich zum<br />
Vorjahr wird anhand des Han dels de -<br />
fizits besonders augenfällig. Wäh rend<br />
sich dieses 2008 noch auf 8.9 mrd. Eu ro<br />
belief, wird es in diesem Jahr voraus -<br />
sicht lich nur 4 mrd. betragen. Yed. Ahronot<br />
Israels Bevölkerung steigt auf 7.5 Mio.<br />
Zum diesjährigen neujahrsfest be läuft<br />
sich die Bevölkerung israels auf 7.465<br />
mio. Davon sind 75,5% Juden (5.569<br />
mio.) und 20,2% Araber (1.488 mio.);<br />
die verbliebenen 4,3% lassen sich keiner<br />
der beiden Volksgruppen zurechnen<br />
(Sta tistisches Zentralamt).<br />
Die israelische Bevölkerung wächst<br />
wei ter um 1,8% pro Jahr, und sie ist<br />
nach wie vor sehr jung: 30% sind jünger<br />
<strong>als</strong> 14, in den meisten westlichen<br />
Staaten liegt der Anteil bei lediglich<br />
17%. Der Anteil der im Lande geborenen<br />
is raelis ist kontinuierlich angestiegen.<br />
Während in den Anfangsjah -<br />
ren des Staates nur 35% der jüdischen<br />
Bevöl ke rung dort geboren waren,<br />
beläuft sich die Zahl inzwischen auf<br />
über 70%. 2008 wurden 151.923 Kin -<br />
der in israel geboren, 3.5% mehr <strong>als</strong><br />
im Jahr zuvor. Eine jüdische Familie<br />
hatte durchschnittlich 2,96 Kinder, ei -<br />
ne mus limische 3,84 und eine christliche<br />
2,11.<br />
JP<br />
Saison für Medjoul-Datteln beginnt –<br />
Granatapfelexporte verdoppelt<br />
Die ersten medjoul-Datteln der neuen<br />
Ernte aus israel sind bereits in Euro pa.<br />
Für dieses Jahr geht das Unter neh men<br />
Mehadrin Tnu port Export von 1.400 t<br />
aus. Die ersten Früchte stammen aus<br />
den Anbaugebieten im Sü den des Lan -<br />
des, nahe dem Roten meer. Die hohen<br />
Temperaturen, die in der Region herrschen,<br />
sowie die Troc ken heit tragen<br />
zum frühen Reifen der Früchte bei.<br />
Die medjoul-Datteln werden unter<br />
der marke „Red Sea“ verpackt. mTEX<br />
bietet das Produkt das ganze Jahr<br />
über in zahlreichen Verpackungen an.<br />
Gleichzeitig teilte das israelische Ex -<br />
portunternehmen Agrexco mit, dass<br />
es die Ausfuhren seiner Granatäpfel<br />
der marke „Carmel“ in dieser Saison<br />
auf 6.500 t verdoppeln wird. neben<br />
den ganzen Früchten hat auch der Ex -<br />
port an verzehrfertigen Gra nat apfel-<br />
Ker nen zugenommen.<br />
Economist würdigt Israel<br />
<strong>als</strong> Innovationsland<br />
Einem aktualisierten Ranking der<br />
Intelligence Unit des britischen Wirt -<br />
schafts magazins ‘The Economist’ zu -<br />
fol ge hat israel 2008 den 9. Platz unter<br />
den innovativsten Ländern der Welt<br />
belegt. Zwischen <strong>2009</strong> und 2013 soll<br />
es ihm der Voraussage nach sogar<br />
gelingen, auf Rang acht zu gelangen.<br />
Der innovationsindex bewertet 82<br />
Staa ten hinsichtlich ihrer innova ti ons -<br />
fähigkeit und sagt ihre Leistung bis<br />
2013 voraus. Die neuen Rankings be -<br />
stä tigen größtenteils die ursprüngli -<br />
chen Forschungsergebnisse aus dem<br />
Jahr 2007.<br />
Die Prognose für die kommenden<br />
vier Jahre berücksichtigt bereits die<br />
schwerwiegenden Folgen der globalen<br />
Wirtschaftskrise, die sich langfristig<br />
negativ auf die innovationskraft von<br />
Staaten auswirken wird.<br />
Jüngste Zahlen zeigen jedoch, dass<br />
die israelische innovation weiter durch<br />
das stete Einströmen ausländischer<br />
Di rektinvestitionen angetrieben wird.<br />
Der israelische markt bleibt weiter<br />
ein hoch attraktives Zielland für die<br />
weltweit erfolgreichsten Unter neh men.<br />
http://graphics.eiu.com/upload/portal/<br />
CiscoInnoSmallFile.<strong>pdf</strong><br />
Israel High-Tech & Investment Report, Juli <strong>2009</strong><br />
Wirtschaftswachstum<br />
im Westjordanland<br />
im Westjordanland geht es wirtschaftlich<br />
weiter steil bergauf. nun hat der<br />
internationale Währungs fonds (iWF)<br />
für das laufende Jahr ein Wachstum<br />
von ganzen 7% vorhergesagt. Seit<br />
2005 ist in dem palästinensischen Au -<br />
to nomiegebiet kein Wirtschaftswachs -<br />
tum mehr zu verzeichnen gewesen.<br />
„Erstm<strong>als</strong> seit 2005 gibt es eine realistische<br />
Chance, dass der Abwärtstrend im Le bens -<br />
standard der Palästinenser im Westjor -<br />
dan land in naher Zukunft umgekehrt wer -<br />
den kann, vorausgesetzt, dass die (is ra eli -<br />
schen) Bewegungs- und Einreisebe schrän -<br />
kungen weiter gelockert werden“, sagte<br />
Oussama Kanaan, der iWF-Vertreter<br />
für das Westjordanland und Gaza.<br />
israel hat in den vergangenen mo na -<br />
ten im großen Stil maßnahmen eingeleitet,<br />
um das Leben der Zivilbevöl -<br />
ke rung im Westjordanland zu erleichtern<br />
und dadurch auch die Wirtschaft<br />
anzukurbeln. Diese Politik trägt nun<br />
Früchte.<br />
Yedioth Ahronot<br />
Siemens investiert in israelische<br />
Solarwirtschaft<br />
Die deutsche Siemens AG hat für US$<br />
15 mio. einen Anteil von 40% an dem<br />
Unternehmen Arava Power erworben<br />
und damit erstm<strong>als</strong> in die israelische<br />
Solarwirtschaft investiert.<br />
Arava Power ist ein marktführer in<br />
pho tovoltaischen Systemen zur Ener -<br />
gie erzeugung. 40% des Unterneh mens<br />
besitzt der Kibbutz Ketura, der Rest<br />
wird von einer amerikanischen inves -<br />
torengruppe gehalten. Das Geschäft<br />
mit Siemens wurde bei einem Unter -<br />
neh menswert von US$ 37.5 mio. ab -<br />
geschlossen. Die Firma wurde 2006<br />
gegründet und hat 20 mitarbeiter.<br />
informationen zu Arava Power gibt<br />
es unter dem folgenden Link:<br />
http://www.aravapower.com/<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 31
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
LifeBond: Mit innovativen<br />
Technologien Leben retten<br />
Wie können ein Veteran und ein israelischer<br />
immigrant ihre Talente kombinieren,<br />
um Leben zu retten?<br />
Während israels Krieg gegen die His -<br />
bollah im Jahr 2006 erlebten die biomedizinischen<br />
ingenieure Ishay Attar<br />
und Orahn Preiss-Bloom in ihrer Hei -<br />
matstadt Haifa, wie in nächster nähe<br />
Bomben einschlugen und jeden Tag<br />
Bilder von schwer verwundeten men -<br />
schen im TV zu sehen waren. Die bis<br />
dahin existierenden methoden er schie -<br />
nen ihnen <strong>als</strong> ungeeignet zur Be hand -<br />
lung so komplexer Schrapnell-Ver -<br />
letzungen, <strong>als</strong>o beschlossen sie, dafür<br />
eine Lösung zu finden: 2007 erblickte<br />
das Unternehmen LifeBond und sein<br />
Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />
gleichnamiges Produkt das Licht der<br />
Welt, ein innovatives mittel aus biokompatiblen<br />
Substanzen, das Blutun -<br />
gen stoppt und Wunden versiegelt,<br />
in dem es das Spätstadium der Blut ge -<br />
rinnung nachahmt.<br />
Das nun neu entwickelte LifeSeal-Pro -<br />
dukt (www.life-bond.com) bildet mit Hil -<br />
fe eines speziellen Klebers ein netz<br />
ähnlich einem Fi brin-netzwerk von<br />
Blut klümpchen, das eine höhere Sta -<br />
bi lität <strong>als</strong> auf Blut basierende Fibrin-<br />
Versiegelungen auf weist. Es wird be -<br />
reits in den USA und israel anhand<br />
von klinischen Studien getestet und<br />
kommt voraussichtlich in zwei bis<br />
drei Jahren auf den markt.<br />
Für Attar war die Entwicklung innovativer<br />
Technologien schon immer<br />
von höchstem interesse. „Für mich wa -<br />
ren die attraktivsten Herausforder un gen<br />
stets jene im medizinischen Bereich, denn<br />
die Möglichkeit Menschen zu helfen und<br />
Leben zu retten gibt dem Aufbau eines Un -<br />
ternehmens erst die entsprechende Be deu -<br />
tung.“, erklärt der 36Jährige seine<br />
motivation.<br />
Den um neun Jahre jüngeren Preiss-<br />
Bloom traf Attar erstm<strong>als</strong> in einem<br />
Wirtschaftskurs am Technion in Hai fa.<br />
Der ehemalige new Yorker hatte verschiedensten<br />
Forschungserfahrungen<br />
gesammelt und kurz davor im insti -<br />
tut für militärische Physiologie der<br />
israelischen Streitkräfte gedient.<br />
Die beiden erkannten schnell, dass die<br />
Kombination ihrer Fähigkeiten sie<br />
weit würde bringen können und für<br />
Preiss-Bloom ist ihr Erfolg auch ein<br />
Be weis dafür, dass man in israel<br />
ebenso effizient Karriere machen<br />
kann, wie in den USA, auch wenn oftm<strong>als</strong><br />
das Gegenteil behauptet wird.<br />
„Israel hat die Infrastruktur und das er -<br />
fah rene Personal“, so Attar. Außerdem<br />
würde das Geld der investoren aufgrund<br />
des sich bloß bei einem Drittel<br />
des US-Preisniveaus befindlichen Ge -<br />
haltsschemas in israel hier wesentlich<br />
zielführender eingesetzt: „Der Indus -<br />
trie zweig medizinischer Produkte ist hier<br />
wirklich herangereift.“<br />
Und an ideen für weitere revolutionäre<br />
Produkte fehlt es den Wissen -<br />
schaft lern von LifeBond keineswegs,<br />
es müssen sich nur geeignete Spon so -<br />
ren finden. Quelle: 21c;<br />
WISSENSCHAFT<br />
Auch Sumo-Ringer haben Spaß<br />
im Toten Meer<br />
Totes Meer auf dem Weg zum Weltnaturwunder<br />
Das Tote meer hat es in die Endrunde des globalen internet-Wettbewerbs der<br />
neuen sieben Weltnaturwunder geschafft, so die Organisatoren von New 7<br />
Wonders.<br />
Der berühmte Salzsee am tiefsten Punkt der Erde tritt gegen 14 andere spektakuläre<br />
naturphänomene wie den Amazonas, die Galapagos-inseln und den<br />
Grand Canyaon an. israel, Jordanien und die Palästinensische Autonomie be -<br />
hörde haben das Tote meer gemeinsam ins Rennen geschickt. Ein Kom pro -<br />
miss in der letzten minute rettete die Kandidatur, nachdem diese aufgrund<br />
politischer Spannungen beinahe verhindert worden war.<br />
Das Endergebnis wird 2011 erwartet. Die Organisatoren rechnen damit, dass bis dahin eine milliarde menschen welt -<br />
weit abgestimmt haben werden. An der Wahl zu den von menschen gemachten sieben Weltwundern, aus der im Juli<br />
2007 das jordanische Petra <strong>als</strong> Sieger hervorging, hatten mehr <strong>als</strong> 100 millionen menschen teilgenommen.<br />
Unter dem folgenden Link kann man (für das Tote meer!) abstimmen: http://www.vote7.com/n7w<br />
32 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
dem man echte DnA-Proben von ge -<br />
fälschten unterscheiden kann. Sie<br />
hof fen, diese Tests an forensische in -<br />
sti tute verkaufen zu können.<br />
Wissenschaftler<br />
können DNA fälschen<br />
israelischen Wissenschaftlern ist es<br />
gelungen, menschliche DnA künstlich<br />
zu erzeugen. Die Experimente<br />
bringen die Ansicht, DnA-Proben an<br />
Tatorten könnten den Täter eindeutig<br />
identifizieren, ins Wanken.<br />
Wie die Tageszeitung ‘new York Ti -<br />
mes’ berichtet, haben die israelis ge -<br />
zeigt, dass es möglich ist, in Kri mi -<br />
nalfällen Beweise mittels DnA selbst<br />
zu produzieren. Die Wissenschaftler<br />
konnten Blut- und Speichel-Proben<br />
produzieren, die DnA enthielten, die<br />
nicht von derselben Person stammte<br />
wie der Blut- oder Speichel-Spender.<br />
Sie konnten dabei die DnA-Fäl -<br />
schung auf zwei unterschiedliche<br />
Arten erreichen. Entweder, indem sie<br />
echte DnA der Zielperson benutzen,<br />
Israelis führend in Europäischer<br />
Debattiermeisterschaft<br />
Es ist bekannt, dass israelis gerne de -<br />
battieren, und so sollte es eigentlich<br />
keine Überaschung sein, dass zwei<br />
Stundenten der Tel Aviv Universität,<br />
Yoni Cohen-Idov und Uri Mehav, auf<br />
Platz eins und zwei der europäischen<br />
Debattier meisterschaft in newcastle,<br />
England landeten. Jetzt will das Paar<br />
sich an der Debattierwelt meister schaft<br />
versuchen, die im Dezember in der<br />
Tür kei stattfindet. Die Debatte der<br />
Eu ropäischen meisterschaft findet in<br />
zwei Kategorien statt – Englisch <strong>als</strong><br />
muttersprache und Englisch <strong>als</strong><br />
Fremd sprache. in der Endrunde treffen<br />
die besten 16 Teams aufeinander.<br />
Obwohl das israelische Team fest in<br />
die Englisch <strong>als</strong> Fremdsprache-Grup pe<br />
gehört, haben sie die Anwesenden da -<br />
mit überrascht, dass sie die englischen,<br />
©Flah90<br />
etwa durch Haare von einem Kamm<br />
oder von einer benutzten Tasse, oder<br />
indem sie sich DnA-Profilen großer<br />
Da ten ban ken bedienten. Aus den langen<br />
Rei hen von Zahlen und Buchsta -<br />
ben erstellen sie ein menschliches<br />
Genom.<br />
Die Experimente zeigen, dass auf<br />
DnA-Proben in der Kriminalistik<br />
kein Verlass mehr ist. „Man kann sehr<br />
einfach einen Kriminalfall fingieren”,<br />
sagte Dan Frumkin, Hauptautor der<br />
Studie, die online vom Journal<br />
‘Forensic Sci ence international:<br />
Genetics’ veröffentlicht wurde. „Jeder<br />
Biologie-Student kann das.”<br />
Frumkin ist der Gründer der Firma<br />
Nucleix mit Sitz in Tel Aviv. Die For -<br />
scher haben einen Test entwickelt, mit<br />
irischen, walisischen und schot ti schen<br />
Kontrahenten unter den Tisch debattierten.<br />
Es ist das zweite mal in der<br />
Ge schichte des Wettbe werbs, dass ein<br />
Fremdsprachen team die mutterspra -<br />
chen teams be sieg te. Das besiegte ka -<br />
tholisch-irische Team und das besiegte<br />
muslimisch-tür kische Team ermunterten<br />
die jüdischen Tel Aviver darin,<br />
weiter zu siegen. Cohen-idov sagte,<br />
das israelische Team bekam Kultsta tus:<br />
“Jedes Jahr kom men Teams der Oxford<br />
Universität in die Endrunde und es wird<br />
erwartet, dass sie gewinnen. Ein Fremd -<br />
spra chen-Team im Viertelfinale ist überraschend,<br />
aber in der Endrunde ein Schock.<br />
Die Iren fügten blaue und weisse Bänder<br />
und den Da vid stern auf ihre Fahnen. Die<br />
Cambridge Uni versität sang für uns. Und<br />
die Türken und Slovenier standen auch<br />
hinter uns. Es gab ein echtes Gefühl der<br />
Brü derlichkeit zwischen den Nicht-Mut -<br />
tersprachlern.”<br />
nach der neuen methode, die die<br />
israelis entdeckten, ist es möglich, die<br />
identität einer Person vorzugeben,<br />
lediglich indem man sich etwa eine<br />
Tasse oder eine Zigarette besorgt, die<br />
diese Person benutzt hat. Gail H. Javitt<br />
vom Zentrum für Genetik und öffentliche<br />
Angelegenheiten an der Johns<br />
Hopkins Universität weist auf die Ge -<br />
fahr hin, dass berühmte Personen in<br />
Zukunft „genetische Paparazzi”<br />
fürch ten müssten.<br />
Tania Simoncelli, wissenschaftliche Be -<br />
raterin bei der Amerikanischen Bürger<br />
rechtsunion (ACLU) nannte die Er -<br />
kenntnisse „unangenehm”. „Man kann<br />
DNA noch viel einfacher fälschen <strong>als</strong><br />
Fingerabdrücke. Wir schaffen ein System<br />
von Kriminalitätsaufklärung, das immer<br />
mehr auf diese Technologie aufbaut.”<br />
John M. Butler, Leiter eines Projektes<br />
zur DnA-identifizierung am natio -<br />
na len institut für Standardisierung<br />
(niST) zeigte sich beeindruckt von<br />
den Erkenntnissen der israelis. Den -<br />
noch ist er überzeugt, dass ein durchschnittlicher<br />
Krimineller nicht in der<br />
Lage sei, solche Fälschungen vorzunehmen.<br />
inn<br />
Biologisch abbaubare<br />
Plastikflaschen<br />
Log, eine israelische Plastikfirma<br />
hat, unter Anwendung von mais -<br />
stär ken po lymer, eine voll biologisch<br />
abbaubare Plastikflasche entwik -<br />
kelt. Die Entwicklung von biologisch<br />
abbaubaren Plastikflaschen ist<br />
nicht neu, aber Log ging einen<br />
Schritt weiter und stellte auch die<br />
Eti quetten der Fla schen aus mais -<br />
stärkenpolymer her. Der einzige<br />
Teil, der noch aus dem traditionellen<br />
petroliumbasierten Plas tik hergestellt<br />
wird, ist der Verschluß.<br />
Gemeinsam mit einer lo kalen Was -<br />
ser geschellschaft präsentierte Log<br />
bei der Ausstellung Plasto ispak in<br />
Tel Aviv dem Publikum zum ers ten<br />
mal 5.000 dieser Flaschen.<br />
mit dieser Ent wick lung könnte der<br />
Um welt ein großer Dienst er wie sen<br />
werden. Aller dings nur, wenn die<br />
israelis lernen, ihre Fla schen nicht<br />
einfach wegzuwerfen, sondern sie<br />
zum Kompostieren abgeben.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 33
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
Weiter keine EU-einheitliche Schächt-Regelung<br />
JÜDISCHE WELT<br />
Die Erwartungshaltung war groß, nachdem<br />
das Europäische Parlament im Mai<br />
das Schlachten ohne vorherige Betäu -<br />
bung aus religiösen Gründen ohne wenn<br />
und aber erlauben wollte. Zuvor hatte<br />
die EU-Kommission in ihrem Entwurf für<br />
eine „Verordnung über den Schutz von<br />
Tieren zum Zeitpunkt ihrer Tötung“ den<br />
Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt,<br />
hier dennoch ein Verbot auszusprechen.<br />
Nun hat der Europäische Rat endgültig<br />
entschieden: demnach ist das Schäch ten<br />
zwar EU-weit erlaubt, auf nationaler Ebe -<br />
ne dürfen aber strengere Regeln <strong>als</strong> in der<br />
Verordnung enthalten angewandt werden.<br />
Im österreichischen Gesundheits mi -<br />
nisterium wird jedoch versichert: hier zu<br />
Lande wird sich am Status quo nichts<br />
ändern.<br />
Von Alexia Weiss<br />
Sechs bis sieben Rinder, sechs bis sieben<br />
Kälber und rund 1.000 Hühner<br />
werden in Österreich jede Woche ko -<br />
scher geschlachtet, erzählt ein masch -<br />
giach (Aufseher) der „Gemeinde“. Bis<br />
vor fünf Jahren wurde in St. marx ge -<br />
schächtet. nach der Auflösung dieses<br />
Schlachthofes mussten sich die jüdischen<br />
Schlachter und ihre islamischen<br />
Kollegen nach einer Alternative um -<br />
se hen. Rinder werden nun in einem<br />
Schlachthof in niederösterreich ge -<br />
schäch tet. Das Geflügel wird in zwei<br />
steirischen Orten koscher geschlachtet.<br />
Rund 2.000 Familien essen in Wien<br />
der zeit koscher, schätzt der masch gi -<br />
ach. Tendenz steigend, denn: „Die bu -<br />
cha rischen Jugendlichen bleiben meist in<br />
Wien und sie leben oft strenger <strong>als</strong> ihre<br />
Eltern. Dadurch steigt der Bedarf an ko -<br />
scherem Fleisch stetig an.“<br />
Derzeit gibt es in Österreich keinerlei<br />
Probleme, koscher zu schlachten.<br />
Wenn Kritik am Schächten geübt wird,<br />
hat sie zwei Stoßrichtungen: die eine<br />
ist tatsächlich antisemitisch motiviert<br />
und fußt auf Jahrhunderte alten Ver -<br />
hetzungsmustern. in diesem Zusam -<br />
menhang werden dann im Deutschen<br />
auch gerne Begriffe wie „rituelles<br />
Schlachten“, „die Kehle durchschneiden“,<br />
„ausbluten“ benutzt, Begriffe, deren<br />
Hin tergrund nicht unrichtig ist, die<br />
über die Jahre aber eine deutliche ne -<br />
gative Konnotation erfahren haben.<br />
Die mehrzahl der Kritiker kommt<br />
heu te aber aus der Tierschützer-Sze ne.<br />
Und manchmal überschneiden sich<br />
die beiden Gruppen – wie 2005, <strong>als</strong> es<br />
in Österreich darum ging, im Rahmen<br />
des bundeseinheitlichen Tierschutz ge -<br />
setzes (davor war diese materie auf<br />
34 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
Länderebene unterschiedlich geregelt<br />
gewesen) auch eine Regelung fürs<br />
Schächten zu finden. Die Frei heit li -<br />
chen nutzten hier unter dem Deck -<br />
man tel des Tierschutzes einmal mehr<br />
die möglichkeit, antisemitische, aber<br />
auch islam-feindliche Ressentiments<br />
zu bedienen.<br />
Das österreichische Parlament einigte<br />
sich schließlich auf die heute in Österreich<br />
gültige Regelung, dass ohne vor -<br />
herige Betäubung koscher (jüdisch)<br />
beziehungsweise halal (muslimisch)<br />
ge schlachtet werden darf, dies aber in<br />
einem Schlachthof zu erfolgen hat und<br />
dass sofort nach dem Schächtschnitt<br />
eine Betäubung vorzunehmen ist<br />
(„post cut stunning“).<br />
An diesem Status Quo wird sich auch<br />
nach der nun in der EU geltenden<br />
„Verordnung über den Schutz von Tie -<br />
ren zum Zeitpunkt ihrer Tötung“<br />
nichts ändern, versichert Peter-Vitus<br />
Stangl, der im Gesundheitsminis te ri -<br />
um für die Lebensmittelsicherheit bei<br />
der Fleischerzeugung verantwortlich<br />
zeichnet. „Es bleibt alles wie gehabt“,<br />
betont der Beamte.<br />
Von Rabbinerseite hatte man nach der<br />
spektakulären Entscheidung des EU-<br />
Parlaments im mai, wonach das<br />
Schäch ten in der gesamten EU erlaubt<br />
sein müsse, große Hoffnungen ge habt,<br />
dass damit die Jahre langen Dis kus -<br />
sio nen um ein Schächtverbot in manchen<br />
EU-Staaten ein Ende haben. Hier<br />
machte nun allerdings der Rat einen<br />
Strich durch die Rechnung. Die EU<br />
gibt zwar den politischen Willen vor,<br />
das Schlachten ohne vorherige Be täu -<br />
bung aus religiösen Gründen zu er -<br />
lau ben, räumt aber eben auch den<br />
einzelnen mitgliedstaaten ein, sich<br />
hier für eine strengere Handhabung<br />
zu entscheiden.<br />
innerhalb der EU gibt es derzeit ein<br />
Land, in dem das Schächten verboten<br />
ist, erläutert der Religions rechtsex -<br />
per t e Wolfgang Wieshaider von der<br />
Universität Wien: Schweden. in dem<br />
skandinavischen Land ist das koschere<br />
Schlachten allerdings bereits seit 1937<br />
untersagt. Weitere europäische Staa ten,<br />
die jedoch nicht der EU angehören, in<br />
denen das Schächten verboten ist, sind<br />
norwegen und die Schweiz. Zu den<br />
Ländern, die wie Österreich auf einer<br />
sofortigen Betäubung nach dem<br />
Schächtschnitt bestehen, gehören laut<br />
Wieshaider Dänemark, Estland und<br />
Finnland.<br />
Außerhalb Europas gibt es sogar Län -<br />
der, in denen heute koscheres Fleisch<br />
auch zunehmend von nichtjuden<br />
nachgefragt wird – weil es <strong>als</strong> qualitativ<br />
hochwertig gilt, erzählt Rabbiner<br />
Schlomo Hofmeister, selbst ausgebildeter<br />
Schochet (<strong>als</strong>o Schlachter) und Bo -<br />
dek (Fleischbeschauer). Als Beispiel<br />
nennt er den nordamerikanischen<br />
Raum. Woher aber kommt die hohe<br />
Qualität?<br />
„Um <strong>als</strong> koscher zu gelten, muss ein Tier<br />
vor der Schlachtung gesund sein“, so<br />
Hofmeister. Das schließt lange Tier -<br />
trans porte aus. Wenn sich beispielsweise<br />
ein Rind in einem zu engen<br />
Transportwagen Knochenbrücke zu -<br />
zieht oder auf Grund zu langer Fahrt<br />
in einem schlechten Zustand ist,<br />
kommt es für das Schächten nicht<br />
mehr in Frage. nach der erfolgten<br />
Schlachtung wiederum gibt es eine<br />
Fleischbeschau durch einen Bodek,<br />
der sich – etwa an Hand der Lunge -<br />
ansieht, ob das Tier gesundheitliche<br />
Probleme gehabt habe. ist dies der<br />
Fall, scheidet es für die koschere<br />
Fleisch produktion aus.<br />
in der Auslegung des Bodeks, was <strong>als</strong><br />
gesund, was <strong>als</strong> krank gilt, liegt übrigens<br />
auch der Unterschied zwischen<br />
aschkenasischer und sefardischer Aus -<br />
legung, wann ein Tier <strong>als</strong> koscher gilt.<br />
Als Beispiel nennt Hofmeister „Ver-<br />
wach sungen zwischen Lungenlap pen“.<br />
Hier haben Aschkenasen in be stimm -<br />
ten Fällen ein strikteres Regel werk <strong>als</strong><br />
Sefarden, welche Verwach sung okay<br />
ist und welche nicht. Um gekehrt ist es<br />
Aschkenasen erlaubt, zu versuchen,<br />
Verwachsungen mit Was ser zu lösen,<br />
um zu sehen, ob es sich tatsächlich<br />
um Verwachsungen oder nur um<br />
unbedeutende Schleimschlie ren handelt<br />
– Sefarden dürfen dies nicht.<br />
Wer in Europa oder Amerika koscheres<br />
Fleisch kauft beziehungsweise<br />
kon sumiert, braucht allerdings nicht<br />
extra nach aschkenasischem oder se -<br />
fardischem Ritus zu fragen, denn alle<br />
Tiere müssen so bewertet werden, dass<br />
sie beiden mindeststandards entsprechen.<br />
Anders ist das in israel: Hier<br />
muss man sich genau erkundigen,<br />
nach welchem Ritus vorgegangen -<br />
wur de.<br />
Rasierscharfes Messer<br />
für den Schnitt<br />
Schechita (Schlachtung) einer Kuh:<br />
Der jüdische Schochet benutzt ein spezielles,<br />
rasierklingenscharfes Messer<br />
(genannt: Chalef), das mit einem Schnitt<br />
die Luftröhre, die Spei seröhre, sowie die<br />
Karotiden und die beiden Jugularis Venen<br />
durchtrennt. Da durch wird nicht nur die<br />
Blut- und somit die Sauer stoff zufuhr zum<br />
Hirn unterbrochen, sondern es kommt zu -<br />
sätzlich zum augenblicklichen Blut druck -<br />
abfall im Hirn, und somit zur so for tigen<br />
Bewusstlosigkeit des Tieres. D. h. das Tier<br />
wird bewusstlos, bevor Schmerz das Hirn<br />
erriechen kann.<br />
Dies ist einer anatomischen Besonderheit<br />
von koscheren Tierarten zu verdanken:<br />
Während bei allen nicht-koscheren Tieren<br />
das Hirn für einige Sekunden nach der<br />
Schechita durch die Vertebral Arterien,<br />
die nicht durchschnitten werden, noch<br />
weiterhin mit Blut und Sauerstoff versorgt<br />
werden könnte, was dazu führen<br />
würde, dass das Tier noch einige Zeit bei<br />
Bewusstsein bleibt und Schmerz empfinden<br />
kann, sind bei allen koscheren<br />
Tierarten die Vertebral Arterien mit den<br />
beiden Karotiden unterhalb des Hirns<br />
durch eine besondere Brückenver bin dung,<br />
die sogenannte Rete Mirabilis miteinander<br />
verbunden. Dies hat den Effekt, daß<br />
sich die Vertebralaterien durch die durchtrennten<br />
Karotiden entleeren, das Hirn<br />
nicht weiter versorgen können und somit<br />
die gesamte Blutzufuhr zum Hirn ohne<br />
Verzögerung vollständig unterbrochen<br />
wird. Das sich im Augenblick der Sche chi -<br />
ta noch im Hirn befindliche Blut entleert<br />
sich durch die durchtrennten Jugelaris<br />
Venen, und dieser sofortige Blutdruck ab -<br />
fall sowie der Abfall des zur Funktion des<br />
Hirnes nötigen Dru ckes der Cereospinal -<br />
flüs sigkeit führt zur sofortigen Bewusst lo -<br />
sigkeit des Tieres. Der gesamte Vor gang,<br />
vom Ansetzen des Schechita Mes sers bis<br />
zur Bewusstlosigkeit des Tieres dauert we -<br />
niger <strong>als</strong> 2 Sekunden.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 35
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
Kontrolle der Lungenlappen<br />
Bedika (Untersuchung der Lunge); auf<br />
Photo: Der Bodek bläst jede Lunge auf,<br />
um sie auf Verwachsungen und kleine<br />
Löcher zu untersuchen welche die Kuh<br />
eine Traifa, d. h. das Fleisch nicht koscher<br />
machen würde.)<br />
Wenn man höre, dass beim Schächten<br />
die Kehle durchgeschnitten werde,<br />
dann höre sich das zunächst einmal<br />
zwar archaisch an, räumt Hofmeister<br />
ein. „Weil andere mit moderneren Me -<br />
thoden schlachten, heißt das aber nicht,<br />
dass es humaner ist“, so der Rab biner.<br />
Er unterstreicht die Hand ar beit des<br />
Schächters: mit stets perfekt ge schlif -<br />
fenem Schächtmesser, das schäfer <strong>als</strong><br />
eine Rasierklinge ist, setzt er den<br />
Schächt schnitt an. Dieser durchtrennt<br />
Luft- und Speiseröhre und damit<br />
auch die meisten Blutgefäße, die zu<br />
und vom Gehirn führen.<br />
„Damit kommt es zu einem sofortigen<br />
Blut druckabfall und zu sofortiger Be -<br />
wusst losigkeit – schneller <strong>als</strong> ein Schmerz<br />
einsetzen könnte“, betont Hofmeister.<br />
Die Schechita, <strong>als</strong>o das Schächten, sei<br />
da her „an sich schmerzfrei“. Untersu -<br />
chun gen hätten auch gezeigt, dass<br />
koscher ge schlachtetes Fleisch we sent -<br />
licher niedrigere Adrenalinwerte aufweise<br />
<strong>als</strong> anders hergestelltes. Der<br />
Rabbiner und Tierarzt I. M. Levinger<br />
schreibt in seinem Buch „Schechita<br />
im Lichte des Jahres 2000“: „Das Tier<br />
leidet psychologisch vor, während und<br />
nach dem Schächt schnitt nicht.“ Des wei -<br />
teren hält Levinger fest: „Im Ver gleich<br />
zu anderen Schlachtmethoden ist das jüdische<br />
Schäch ten mindestens so gut wie<br />
jede andere Schlachtmethode.“<br />
Warum aber besteht das Judentum<br />
auf dem Schächten? natürlich gebe es<br />
auch rationale Gründe, wie das völlige<br />
Ausbluten des Fleisches oder der<br />
bewusste und schonende Umgang mit<br />
dem Tier, der wiederum für qualitativ<br />
hochwertiges und gesundes Fleisch<br />
sorge, sagt Hofmeister. Vor allem aber<br />
stehe es in der Tora. Konkret ist in der<br />
Tora (Deut. 12:21) festgehalten: „Du<br />
sollst von Deinem Großvieh und Klein -<br />
vieh schlachten, so wie ich Dir befohlen<br />
habe …“. Da die Anweisung „wie ich<br />
Dir befohlen habe“ allerdings in der<br />
schriftlichen Tora nicht weiter ausgeführt<br />
wird, muss hier auf die mündliche<br />
Lehre zurückgegriffen werden.<br />
Die spezifischen Gesetze, die das<br />
Schäch ten betreffen finden sich im<br />
Talmud (Traktat Chullin), in den<br />
Kodizes der Halacha, im Kodex von<br />
maimonides (mischne Tora) – sowie<br />
im Gesetzbuch von Josef Karo (Schul-<br />
chan Aruch, im Teil Jore De’a).<br />
Übrigens: muslimisches Schächten ist<br />
nicht mit jüdischem Schächten gleichzusetzen.<br />
Beide Religionsgruppen<br />
schächten hier zu Lande zwar in den<br />
selben Schlachthöfen und zeitlich an<br />
jeweils einem Tag der Woche hintereinander<br />
(die muslimen schlachten<br />
laut Auskunft eines rituellen Aufse hers<br />
in Österreich pro Woche an die 80<br />
Rin der), dennoch unterscheidet sich<br />
die Vorgangsweise. So wird im islam<br />
der Schnitt anders angesetzt, es geht<br />
nur darum, die H<strong>als</strong>schlagader zu<br />
durchtrennen. Aus jüdischer Sicht<br />
reicht das nicht aus – hier ist es nötig,<br />
sowohl Luft- <strong>als</strong> auch Speiseröhre zu<br />
durchschneiden. Wer <strong>als</strong>o, weil es viel -<br />
leicht billiger ist, auf muslimisch ge -<br />
schächtetes Fleisch zurückgreifen will,<br />
dem sei gesagt: es ist nicht ko scher.<br />
im Gegenzug entspricht koscher ge -<br />
schlachtetes Fleisch allerdings den<br />
muslimischen Vorgaben, betont Hof -<br />
meister, der in israel auch <strong>als</strong> Scho -<br />
chet tätig gewesen ist. Geschlachtet<br />
habe er dort Tiere von islamischen<br />
Be duinen und diese hätten jene Tiere,<br />
die von ihm nach der Fleischbeschau<br />
<strong>als</strong> trejfe, <strong>als</strong>o nicht koscher, eingestuft<br />
worden waren, gerne für den<br />
eigenen Verzehr genommen.<br />
Das EU-Recht<br />
Der EU-Rat hat sich Ende Juni auf<br />
eine „Verordnung von Tieren zum Zeit -<br />
punkt der Tötung“ geeinigt. Sie ersetzt<br />
eine Richtline aus dem Jahr 1993.<br />
Darin heißt es im Artikel 4 (in der<br />
eng lischen Fassung, die deutsche<br />
Übersetzung lag zu Redak tions -<br />
schluss noch nicht vor):<br />
„In the case of anim<strong>als</strong> subject to<br />
par ticular methods of slaughter pre -<br />
scribed by religious rites, the requirements<br />
of paragraph 1 shall not apply<br />
provides that the slaughter takes<br />
place in a slaughterhouse.“ In Para -<br />
graph 1 wird festgehalten, dass Tiere<br />
nur nach vorheriger Betäubung oder<br />
so geschlachtet werden müssen, dass<br />
sie sofort tot sind.<br />
Allerdings fügte der EU-Rat im Schluss -<br />
teil der Verordnung allgemeine For -<br />
mu lierungen über die Möglichkeit<br />
strengerer nationaler Be stimmungen<br />
ein:<br />
„(Article 22a)<br />
Stricter National rules<br />
This Regulation shall not prevent<br />
Member states from maintaining any<br />
national rules aimed at ensuring<br />
more extensive protection of anim<strong>als</strong><br />
at the time of killing in force at the<br />
time of entry into force of this<br />
Regulation.<br />
(…)<br />
Member States may adopt national<br />
rules aimed at ensuring more extensive<br />
protection of anim<strong>als</strong> at the time<br />
of killing than those contained in this<br />
Regulation in relation to the following<br />
fields:<br />
(….)<br />
(c) the slaughtering and related operations<br />
of anim<strong>als</strong> in accordance with<br />
Article 4(2).“<br />
BuchtiPP<br />
Buchtipp<br />
i. m. levinger<br />
„Schechita im Lichte des Jahres<br />
2000. Kritische Betrachtung der<br />
wissenschaftlichen Aspekte der<br />
Schlachtmethoden und des Schächtens“,<br />
herausgegeben durch den Zentralrat<br />
der Juden in Deutschland und machon<br />
mASKiL L’DAViD (Forschungsinstitut<br />
für Kaschrutfragen in Jerusalem),<br />
Jerusalem 1996<br />
36 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
Die österreichische Rechtslage<br />
Das Schächten ist in Österreich seit 1. Jänner 2005 im Tierschutzgesetz geregelt.<br />
Darin heißt es im Paragraphen 32:<br />
„(3) Das Schlachten von Tieren ohne Betäubung vor dem Blutentzug ist verboten.<br />
Ist eine Betäubung unter den gegebenen Umständen, wie etwa bei<br />
einer Not schlach tung, nicht möglich oder stehen ihr zwingende religiöse<br />
Gebote oder Verbote einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft entgegen<br />
(rituelle Schlachtung), so ist die Schlachtung so vorzunehmen, dass<br />
dem Tier nicht unnötig Schmerzen, Leiden, Schäden oder schwere Angst<br />
zugefügt werden.<br />
(4) Rituelle Schlachtungen dürfen nur in einer dafür eingerichteten und von<br />
der Be hörde dafür zugelassenen Schlachtanlage durchgeführt werden.<br />
(5) Rituelle Schlachtungen ohne vorausgehende Betäubung der Schlachttiere<br />
dür fen nur vorgenommen werden, wenn dies auf Grund zwingender religiöser<br />
Ge bo te oder Verbote einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft notwendig<br />
ist und die Behörde eine Bewilligung zur Schlachtung ohne Betäubung<br />
erteilt hat. Die Behörde hat die Bewilligung zur Durchführung der rituellen<br />
Schlachtung nur dann zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass<br />
1. die rituellen Schlachtungen von Personen vorgenommen werden, die über<br />
die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen,<br />
2. die rituellen Schlachtungen ausschließlich in Anwesenheit eines mit der<br />
Schlacht tier- und Fleischuntersuchung beauftragten Tierarztes erfolgen,<br />
3. Einrichtungen vorhanden sind, die gewährleisten, dass die für die rituelle<br />
Schlachtung vorgesehenen Tiere so rasch wie möglich in eine für die<br />
Schlachtung notwendige Position gebracht werden können,<br />
4. die Schlachtung so erfolgt, dass die großen Blutgefäße wirksam betäubt<br />
werden,<br />
5. die Tiere unmittelbar nach dem Eröffnen der Blutgefäße wirksam betäubt<br />
werden,<br />
6. sofort nach dem Schnitt die Betäubung wirksam wird und<br />
7. die zur rituellen Schlachtung bestimmten Tiere erst dann in die dafür vorgesehene<br />
Position gebracht werden, wenn der Betäuber zur Vornahme der<br />
Betäubung bereit ist.“<br />
Ergänzend gilt die Tierschutz-Schlachtverordnung.<br />
Die Grabsteinstellung<br />
für unseren lieben Chawer<br />
ludwig rosenmann<br />
romeK<br />
findet s.G.w. am<br />
sonntag, den 18. oktober <strong>2009</strong>,<br />
um 12 uhr<br />
am Zentralfriedhof iV. Tor statt.<br />
Über den<br />
Holocaust<br />
sprechen<br />
(Eine Veranstaltungsreihe des<br />
Jüdischen Museums Wien und<br />
von www.erinnern.at)<br />
Thema der Oktober-<br />
Veranstaltung:<br />
Die Gedenkstätte<br />
Mauthausen<br />
<strong>als</strong> Lernort<br />
Donnerstag, 22. Oktober <strong>2009</strong><br />
Jüdisches Museum Wien,<br />
16.00 Uhr bis 18.00 Uhr<br />
Dorotheergasse 11, 1010 Wien<br />
Vhs hietzing 100 Jahre tel aviv<br />
Aus Anlass von 100 Jahre Tel Aviv stellt der Herzelia Photography<br />
Club zum ersten mal in Östereich die Arbeiten einiger mitglieder<br />
vor. Die Foto grafinnen haben versucht, den Geist dieser pulsierenden,<br />
modernen metro pole israels einzufangen, in der sich Jung<br />
und Alt des Lebens freut und wo die verschiedenen Generationen<br />
fried- und freudvoll nebeneinander leben, arbeiten und feiern.<br />
Gezeigt werden Fotos von: Talmi Doron, Hight Shlomit, Levy<br />
Nissim, Mushkin Nira, Angel Rozi und Tsfaty Irit.<br />
Kurator der Ausstellung Eli Atias. Organisation irit Tsfaty.<br />
in Kooperation mit dem Herzelia Photography Club<br />
mit Unterstützung des Kulturvereins Hietzing<br />
ausstellungsdauer: bis 12. oktober <strong>2009</strong><br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 37
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Panorama<br />
Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />
Quelle: JTA/Guysen u.a.; Übersetzung: Karin Fasching/Foto:©JTA u.a.<br />
Proteste gegen toronto film festival<br />
mehr <strong>als</strong> 1.000 Filmemacher, Schau -<br />
spie ler und Akademiker, darunter<br />
Größen wie Jane Fonda, Harry Bela -<br />
fonte oder Julie Christie hatten im<br />
Vorfeld des im <strong>September</strong> stattfindenden<br />
internationalen Filmfestiv<strong>als</strong><br />
von Toronto aufgrund der israelischen<br />
Politik hinsichtlich der Palästinenser<br />
gegen den Festival-Fokus Tel Aviv<br />
pro testiert. Das Festival mache sich<br />
„ob nun mit Absicht oder nicht, zu einem<br />
Teil der israelischen Propaganda ma schi -<br />
ne rie“. Daraufhin veröffentlichten<br />
zahlreiche namhafte Künstler – Jerry<br />
Seinfeld, natalie Portman, Sacha Ba -<br />
ron Cohen, Lisa Kudrow u.v.a. – ein<br />
Gegenstatement, in dem sie die Stig -<br />
matisierung israelischer Künstler an -<br />
prangerten: Diese würden ein dynamisches<br />
Kino repräsentieren, israels<br />
offenen, unzensierten künstlerischen<br />
Ausdruck und gäben sich niem<strong>als</strong> für<br />
die Propaganda irgendeiner Regie rung<br />
her.<br />
assaf ramon<br />
neben seinem<br />
Vater beerdigt<br />
Der israelische Pi -<br />
lot Assaf Ramon, 20,<br />
der beim Absturz<br />
seiner F-16 in den<br />
Bergen von He bron<br />
ums Leben gekommen<br />
ist, wurde neben seinem Vater,<br />
dem As tro nau ten ilan Ramon, beerdigt.<br />
ilan Ramon war im Jahr 2003<br />
beim Unglück mit US-Spaceshuttle<br />
Columbia gestorben.<br />
Jementische jüdische Schule<br />
Shimon Peres<br />
mit Assaf Ramon<br />
© APA<br />
drei jüdische familien<br />
verlassen den Jemen<br />
nachdem im vergangenen Dezember<br />
ein jemenitischer Jude von einem<br />
mos lem getötet worden war, haben<br />
nun drei jüdische Familien den Jemen<br />
in Richtung USA verlassen. Die jemenitische<br />
jüdische Gemeinde zählt zwi -<br />
schen 200 und 300 mitglieder, einst<br />
wa ren es 60.000 gewesen.<br />
straße zum Jerusalemer tempel<br />
freigelegt<br />
Bei archäologischen Ausgrabungen in<br />
Jerusalem wurde ein Teil der Pil ger -<br />
straße, die zum Zweiten Tempel führte,<br />
freigelegt. Als die Briten Frederick Bliss<br />
und Archibald Dickey sie im Jahr 1890<br />
entdeckt hatten, war die Exis tenz der<br />
Straße schon seit mehr <strong>als</strong> 100 Jahren<br />
bekannt. Doch nach dem Ende der<br />
Aus grabungen war die Straße wieder<br />
zugeschüttet worden, ebenso weitere<br />
Teile im Jahr 1937 und von 1961 bis<br />
1967. nun wurde die Pilgerstraße in<br />
der Shiloach Ebene südlich des Tem -<br />
pelberges freigelegt.<br />
christen helfen bedürftigen Juden<br />
zu den hohen feiertagen<br />
Die internationale Freundschafts ver -<br />
einigung von Christen und Juden hat<br />
US$ 4,6 mio. zur Verfügung gestellt,<br />
um bedürftigen israelis den Erwerb<br />
des Essens für die Hohen Feiertage<br />
zu ermöglichen. 46.000 Gutscheine<br />
werden an die Betroffenen verteilt<br />
und können in den lokalen Super -<br />
märkten eingelöst werden, außerdem<br />
werden von Latet und Colel Chabad<br />
15.000 Geschenkkörbe mit Lebens -<br />
mit teln verteilt.<br />
die meisten israelischen Juden<br />
positiv gegenüber deutschland<br />
Eine am 10. <strong>September</strong> von der He -<br />
brä ischen Universität in Jerusalem<br />
und der deutschen Friedrich Ebert<br />
Stiftung veröffentlichte Umfrage hat<br />
gezeigt, dass ein Großteil der israelischen<br />
Juden Deutschland positiv<br />
gegenüber steht. Bei der Befragung der<br />
1.200 jüdischen und 500 arabischen<br />
israelis gaben 95% an, sie würden<br />
deutsche Produkte kaufen. 52% der<br />
israelischen Juden sind zufrieden mit<br />
Deutschlands nahostpolitik, bei den<br />
Arabern sind es 27%. Weiters ergab<br />
die Umfrage, dass 83% der säkularen<br />
israelis die Beziehungen ihres Staates<br />
zu Deutschland <strong>als</strong> normal ansehen,<br />
während bei den streng Orthodoxen<br />
lediglich 48% eine positive Angabe<br />
machten.<br />
Projekt zur untersuchung von<br />
holocaust-massengräbern<br />
Ein neues Projekt soll massengräber<br />
und jüdische Friedhöfe in den Balti -<br />
schen Staaten, wo die jüdischen<br />
Gemein den während des Zweiten<br />
Welt krieges großteils zerstört wurden,<br />
un tersuchen, um so die letzten Erin -<br />
ne run gen an das einst blühende jüdische<br />
Leben zu erhalten und die Holo -<br />
caust-Gedenkstätten vor dem Verfall<br />
zu bewahren. Das Projekt Lo Tishkach<br />
– Niem<strong>als</strong> Vergessen wird koordiniert<br />
von der Europäischen Rabbinerkon -<br />
ferenz. Jugendgruppen aus Litauen,<br />
Lettland und Estland werden daran<br />
mitarbeiten.<br />
israel arbeitet mit westafrikanischer<br />
wirtschaftsvereinigung zusammen<br />
israels Außenminister Avigdor Lie -<br />
ber man unterzeichnete im Zuge eines<br />
offiziellen Aufenthalts in nigeria ein<br />
Abkommen zur Zusammenarbeit mit<br />
15 westafrikanischen Staaten. Drei<br />
von ihnen – Guinea, mali und niger -<br />
haben bislang keine diplomatischen<br />
Ver bindungen zu israel. Die Koope ra -<br />
tion soll die Bereiche Bildung, Land -<br />
wirtschaft, Kultur und Wirtschaft<br />
umfassen und kann auch auf weitere<br />
Bereiche ausgedehnt werden.<br />
geheimdienst: ron arad starb<br />
mitte der 1990er<br />
Ein Bericht des israelischen militär ge -<br />
heimdienstes hat bestätigt, dass der<br />
vermisste israelische Pilot Ron Arad<br />
bereits mitte der 1990er gestorben ist,<br />
so die Tageszeitung Yediot Achronot.<br />
Arad sei wahrscheinlich neun Jahre<br />
lang am Leben und in libanesischer<br />
und iranischer Gefangenschaft gewesen,<br />
nachdem sein Flugzeug 1986 im<br />
Libanon abgestürzt war. Dennoch<br />
würde israel auf jeden Fall weiterhin<br />
nach ihm suchen, verlautbarte das<br />
Büro des Premierministers <strong>als</strong> Ant -<br />
wort auf den Bericht. Denn „so lange<br />
wir keine schlüssigen Beweise für das Ge -<br />
genteil haben, nehmen wir an, dass Ron<br />
Arad am Leben ist“.<br />
38 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
madonna begeistert von<br />
israelischer energie<br />
Für madonna sei israel die „Ene r gie -<br />
hauptstadt der Welt“, meinte die Sän -<br />
gerin, die sich seit Jahren mit der<br />
Kabbalah-Lehre beschäftigt, bei einem<br />
Auftritt in Tel Aviv. „Wenn wir hier in<br />
Frieden zusammen leben können, können<br />
wir auf der ganzen Welt in Frieden le ben“,<br />
rief sie den 50.000 menschen zu, die<br />
gekommen waren, um sie zu sehen.<br />
Es war ihr erstes Konzert in israel seit<br />
16 Jahren.<br />
große synagoge in Budapest<br />
ist 150 Jahre alt<br />
Die Synagoge in der Dohány utca in<br />
Budapest feierte am 6. <strong>September</strong> ih ren<br />
150. Geburtstag. Sie gilt <strong>als</strong> die zweitgrößte<br />
Synagoge Europas und bietet<br />
bis zu 6.000 menschen Platz und hat<br />
2.840 Sitz plätze. Das neo-romanischeklektizistische<br />
Bauwerk, dass zu den<br />
berühmten Se henswürdigkeiten der<br />
ungarischen Hautpstadt gehört, wur -<br />
de am 6. Sep tember 1859 eröffnet.<br />
Oberrabbiner Robert Frolich kommentiert<br />
den Jahrestag mit den Worten:<br />
„Trotz zweier Weltkriege und dem Schre k -<br />
ken des Holocausts hat diese Synagoge nie<br />
aufgehört <strong>als</strong> ein religöses Zentrum für<br />
die Jü dische Gemeinschaft in Budapest zu<br />
wirken.” Aus Anlass des Jubiläums<br />
ge staltete die Gemeinde eine Ausstel -<br />
lung zur Geschichte der Synagoge, die<br />
nationalbank brachte eine Erinne -<br />
rungsmünze heraus.<br />
Vandalen im jüdischen Viertel<br />
von Budapest<br />
Eine menge von 500 Demonstranten,<br />
darunter neonazis und Skinheads<br />
hat in Budapests jüdischem Viertel<br />
randaliert und mehrere Personen tätlich<br />
angegriffen, um die jährige<br />
Homosexuellenparade zu stören. Die<br />
ungarische Polizei musste Tränengas<br />
und Schlagstöcke gegen die Vandalen<br />
einsetzen, mehr <strong>als</strong> 30 Personen wurden<br />
verhaftet.<br />
stiftung übernimmt sh´ma magazin<br />
Die Lippman Kanfer Familienstiftung<br />
wird mit Hilfe einer nGO das ma ga -<br />
zin Sh´ma: A Journal of Jewish Respon si -<br />
bility vom Verlag Jewish Familie and Life<br />
übernehmen, der in finanzielle Schwie -<br />
rigkeiten geraten war. Herausgeber<br />
wird Josh Rolnick von der Lippman<br />
Kanfer Stiftung, Susan Berrin wird<br />
auch weiterhin <strong>als</strong> Chefredakteurin<br />
fungieren. Eine umfassende Aus wei -<br />
tung von Angebot und Auflage ist in<br />
Planung.<br />
religionsfreiheit<br />
Die in Tel Aviv neu gegründete Or -<br />
ganisation Hiddush (Hebräisch für<br />
innovation, Erneuerung) tritt für vol -<br />
le Religionsfreiheit und Vielfalt ein.<br />
Diese würde im israelischen Staat fehlen,<br />
so Hiddush in einem State ment.<br />
israelische umweltorganisationen<br />
bekommen us$ 1,5 mio. zuschuss<br />
Dreizehn israelische Umweltorga ni -<br />
sationen werden insgesamt US$ 1,5<br />
mio. an Zuschüssen vom Jewish Fun -<br />
ders network und dem Richard und<br />
Rhoda Goldman Fund erhalten, unter<br />
ihnen Bustan, Derech Hateva, Eco -<br />
Ocean, israel Green Building Council<br />
und Sviva israel.<br />
Kooperation im weltraum<br />
Die israelische und die italienische<br />
Welt raumagentur haben bei der Paris<br />
Air Show ein bilaterales Abkommen<br />
zur friedlichen Erforschung des Welt -<br />
raumes unterzeichnet.<br />
Das Fünfjahresabkommen beinhaltet<br />
fünf Schlüsselbereiche für Koopera -<br />
tion: Weltraumforschung, inklusive<br />
dem Austausch von Professoren und<br />
Forschern; Weltraumwissenschaft und<br />
Forschung; Erdbeobachtungsfor -<br />
schung und angewandte Forschung;<br />
Weltraumkommunikation und die<br />
An wendung von Bodeneinrichtun -<br />
gen und Bodensegmentsinfrastruk tur.<br />
danone-namensgeber gestorben<br />
Der namenspatron und Ehren vor sit -<br />
zende des Joghurt-Unternehmens<br />
Dan non (in Europa bekannt unter<br />
dem namen Danone), Daniel Carasso,<br />
verstarb am 17. mai 103jährig in Pa -<br />
ris. Der Sohn sephardischer Juden,<br />
de ren Vorfahren 1492 aus Spanien<br />
ver trieben worden waren, wurde im<br />
griechischen Thessaloniki geboren.<br />
Carassos Vater isaac hatte, laut An ga -<br />
ben der new York Times, den Joghurt<br />
im Jahr 1919 in Barcelona entwickelt<br />
und nach seinem Sohn, dessen katalanischer<br />
Kosename „Danon“ war, be -<br />
nannt. Dieser trat in seine Fuß stapfen,<br />
studierte Bakteriologie am Pasteur in -<br />
stitut und erwarb 1923 ei nen Di plom -<br />
kaufmannstitel in mar seille.<br />
1929 expandierte das Unternehmen<br />
nach Frankreich, doch schon 1941<br />
musste Carasso vor den nazis in die<br />
USA fliehen. Dort vergrößerte er sein<br />
Joghurt-imperium enorm, indem er<br />
dem Joghurt Erdbeermarmelade hinzufügte.<br />
1959 wurde es von Beatrice<br />
Foods übernommen. Carasso kehrte<br />
nach Europa zurück und belebte Da -<br />
none in Spanien und Frankreich neu,<br />
erweiterte die Pro dukt palette, bis er<br />
sein ehemaliges Unternehmen 1981<br />
von den Ameri ka nern zurückkaufte<br />
und das Konglo me rat in Groupe Da -<br />
none umbenannte.<br />
auf der Jagd nach der meerjungfrau<br />
in den letzten monaten häufen sich<br />
Berichte, nach denen menschen in<br />
Ki riat Jam eine Art meerjungfrau be -<br />
obachtet haben sollen. natürlich<br />
glauben die meisten nicht an solche<br />
Geschichten, trotzdem zieht es immer<br />
mehr israelis mit Kamera am be sag -<br />
ten Strand. Auch die Stadt verwaltung<br />
ist auf den meerjungfrau-Zug aufgesprungen<br />
und hat angekündigt, demjenigen<br />
eine Belohnung von US$ 1<br />
mio. zu zahlen, der einen Beweis für<br />
die Existenz des meerwesens bringen<br />
kann – Foto genügt.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 39
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Oktober<br />
Die im <strong>September</strong> nach Ehud Olmerts Ab -<br />
gang zur Kadima-Vorsitzenden gewählte<br />
Tzipi Livni schafft es nicht, eine Koalitions -<br />
regierung aufzustellen und Premier ministe -<br />
rin zu werden. Israels Präsident Shimon<br />
Peres ruft daraufhin Neuwahlen aus.<br />
Ein Säureanschlag auf das Jüdische Theater<br />
in Budapest kurz vor Rosch Ha schanah verstärkt<br />
die Besorgnis über einen wachsenden<br />
Antise mitis mus in Ungarn.<br />
Die Rabbinerin Julie Schonfeld wird <strong>als</strong> erste<br />
Frau zur neuen Exekutiv-Vize prä sidentin der<br />
Rabbinatsver samm lung der konservativen<br />
Bewegung in den USA ernannt.<br />
November<br />
Der Demokrat Barack Obama wird mit 78%<br />
der jüdischen Stimmen zum ersten afroamerikanischen<br />
Präsiden ten der USA gewählt.<br />
Der amerikanische Koscher fleisch pro duzent<br />
„Agriprocessors“ muss Konkurs anmelden<br />
und wird an ein kanadisches Unternehmen<br />
verkauft.<br />
Rahm Emanuel wird zum Stabschef des<br />
Weißen Hauses ernannt und hält da mit eine<br />
Schlüsselposition im Ver wal tungsteam von<br />
US-Präsident Obama inne, vor allem auch<br />
was israelbezogene Themen betrifft.<br />
Der säkulare Geschäftsmann Nir Bar kat wird<br />
Bürgermeister von Jeru sa lem.<br />
Bei einem Terroranschlag auf das Chabad Haus<br />
in Mubai, Indien, werden dessen Di rektoren<br />
Gavriel und Riv ka Holtzberg, und vier weitere<br />
Personen getötet.<br />
Dezember<br />
Israelische Sicherheitskräfte entfernen jüdische<br />
Siedler aus einem be setz ten Haus in<br />
He bron. Eine Welle der Gewalt zwischen<br />
jüdischen Extremis ten und Palästinensern<br />
im Westjor dan land ist die Folge.<br />
Der Kollaps des Madoff-Imperiums reißt auch<br />
zwei jüdische Organisat io nen mit in den Ruin<br />
und zieht die ge samte jüdisch-philantrope<br />
Welt in Mitleidenschaft.<br />
Die auslaufende Bush-Adminis tra tion ermutigt<br />
den neuen US-Präsi den ten Barack Oba ma<br />
zur Weiterführung des Weges in Richtung ei -<br />
nes eigenständigen palästinensischen Staa tes.<br />
Beim tödlichsten Verkehrsunfall in der israelischen<br />
Geschichte kommen 24 russische Rei -<br />
seleiter ums Leben. Dies bedeutet auch einen<br />
Rückschlag für die Bemühungen um eine<br />
ver mehrte touristische Erschließung der<br />
südisraelischen Stadt Eilat.<br />
Im Zuge der „Operation Gegossenes Blei“<br />
mar schieren israelische Trup pen in den Ga -<br />
zastreifen ein, um den Beschuss israelischer<br />
Städte durch Hamas-Raketen zu unterbinden.<br />
Januar<br />
Als Antwort auf massiv-antisemitische und<br />
anti-israelische Demonstrationen in Europa<br />
aufgrund des Gazakrieges organisieren die<br />
jüdischen Ge mein den Gegenkundgebungen,<br />
Das war 5769<br />
um ihre Soli da rität mit Israel und dessen<br />
Kampf ge gen die Hamas zu betonen.<br />
Die aufgrund der scharfen anti-israelischen<br />
Rhe torik von Venezuelas Präsi dent Hugo<br />
Cha vez ohnehin bereits ge schwächte jüdische<br />
Gemeinde des Lan des erleidet einen erneuten<br />
Rück schlag, <strong>als</strong> eine Synagoge in der Haupt -<br />
stadt Caracas verwüstet wird.<br />
Der Animationsfilm „Waltz with Bashir“ von Ari<br />
Folman über den Libanon-Krieg erhält den<br />
Gol den Globe für den besten fremdsprachigen<br />
Film.<br />
Nach dreieinhalb Wochen wird „Ope ra tion<br />
Gegossenes Blei“ beendet – 1.300 Palästi -<br />
nen ser und 13 Israelis sind bei den Kämpfen<br />
ums Leben gekommen. Die Raketen der Ha -<br />
mas reichten bis zu den israelischen Städten<br />
Yav neh, Beersheva und Kiryat Gat.<br />
Als Papst Benedict XVI. die Exkom mu ni zie -<br />
rung eines den Holocaust leugnenden Bi -<br />
schofs aufhebt ist das ein Rückschlag für die<br />
katholisch-jüdischen Beziehungen.<br />
Februar<br />
Die Kadima-Partei von Tzipi Livni kann sich bei<br />
den Wahlen in Israel zwar <strong>als</strong> stärkste Ein zel -<br />
partei behaupten, doch der rechte Block, an -<br />
ge führt von Ben ja min Netanyahu vom Likud,<br />
hält die Mehrheit der Knessetsitze.<br />
Avigdor Liebermans Partei „Yisrael Bei teinu”<br />
überholt die Arbeiterpartei und ist nun mit 15<br />
Knessetsitzen die drittstärkste Kraft im israelischen<br />
Par lament. Einen Monat später ge hen<br />
Li kud und Yisrael Beiteinu eine Regie rungs-<br />
Koalition ein und der umstrittene Lieberman<br />
übernimmt den Pos ten des Außenministers.<br />
März<br />
Die Regierung unter US-Präsident Obama<br />
hält den ersten Seder in der Geschichte des<br />
Weißen Hauses ab.<br />
Die vorsichtigen Formulierungen in Benja min<br />
Netanyahus Antrittsrede lassen seine Posi tion<br />
in Bezug auf wich tige Themen in Israel und ver -<br />
schiedene Übersee-Regierungen be tref fend<br />
of fen.<br />
April<br />
Israelische und amerikanische Juden versammeln<br />
sich, um Birkat Hacha mah zu sagen,<br />
ein Segensspruch für die Sonne, der nur alle<br />
28 Jahre rezitiert wird, wenn die Sonne dieselbe<br />
Position am Firmament wie bei ihrer<br />
Erschaffung einnimmt.<br />
Die Entdeckung eines Terrornetz werks der<br />
His bollah in Ägypten verschärft die Konflikte<br />
zwischen den prowestlichen Gemäßigten im<br />
Nahen Osten und den vom Iran beeinfluss -<br />
ten Radikalen, ebenso wie bei den regionalen<br />
Interessen Israels und Ägyptens.<br />
Eine große Zahl jüdischer und israelischer Ak -<br />
tivisten nimmt von der UN-An tirassis mus -<br />
kon ferenz „Durban II“ in Genf Abstand.<br />
Europäische Dele gier te verlassen <strong>als</strong> Protest<br />
gegen die aufwiegelnde antiisraelische Rede<br />
des iranischen Präsidenten Ahma di ne jad den<br />
Konferenzsaal.<br />
Der Republikaner Arlen Specter läuft zu den<br />
De mokraten über, was dazu führt dass es<br />
zum ersten Mal seit Jahr zehnten keinen jüdischen<br />
Republi ka ner im US-Senat gibt.<br />
In Tel Aviv beginnen die Feier lich kei ten zum<br />
100jährigen Jubiläum.<br />
Mai<br />
In ihren Reden während der jährli chen AIPAC-<br />
Konferenz in Washington plädieren US-Vize -<br />
präsident Joe Biden und Senator John Kerry<br />
dafür, zum Schutze Israels gegen den Iran<br />
vorzugehen, doch gleichzeitig rufen sie auch<br />
Israel zur Einstellung seiner Siedlungsaktivi -<br />
tä ten auf. In den darauf folgenden Wochen<br />
bleibt das amerikanisch-israelische Verhält nis<br />
angespannt, denn auch Präsident Oba ma<br />
und andere Regierungsmit ar beiter verlangen<br />
einen Stopp der israelischen Siedlungen.<br />
Papst Benedict XVI besucht Israel und das<br />
Westjordanland. In Bethle hem fordert er ei nen<br />
palästinensischen Staat. Als ein palästinensischer<br />
Kleri ker bei einer interkonfessionellen<br />
Konferenz in Jerusalem Israel des Mor des an<br />
Frauen und Kindern sowie der Zerstörung<br />
von Moscheen beschuldigt, verlässt der<br />
Papst bald darauf das Gebäude. Außerdem<br />
sehen manche Israelis die Stellungnahmen<br />
von Benedict XVI zum Thema Holocaust <strong>als</strong><br />
unzureichend an.<br />
Präsident Obama und Israels Premier Ne tan -<br />
yahu treffen sich erstm<strong>als</strong> im Weißen Haus.<br />
Der US-Präsident spricht von einem Zeitplan<br />
für das Vorgehen der USA gegen die iranischen<br />
Atompläne, betont aber auch, dass Is -<br />
rael „schwierige Schritte“ wie den Stopp seiner<br />
Siedlungen machen muss. Netanyahu<br />
bestätigt sein Inter es se an einem dauerhaften<br />
Frieden, lässt sich aber nicht auf eine<br />
Zwei staa tenlösung festlegen.<br />
Juni<br />
Bei seiner Rede in Kairo in Richtung der<br />
mos lemischen Weltgemeinde be schreibt US-<br />
Präsident Obama Israel und die USA <strong>als</strong> eine<br />
durch ein unzerstörbares Band verbundene<br />
Gemein schaft, kritisiert die Holocaust leug -<br />
nung in der arabischen Welt und die Ver -<br />
wendung palästinensischer Anlie gen zur<br />
Ablenkung der arabischen Bevölkerung von<br />
anderen Proble men. Dennoch wird er von<br />
manchen Mit gliedern der jüdischen Gemein -<br />
schaft für sein Beharren auf einem israelischen<br />
Siedlungsstopp kritisiert. Auch der Iran<br />
würde zu sanft behandelt.<br />
Alysa Stanton wird <strong>als</strong> erste afroamerikanische<br />
Rabbinerin vom Jüdisch-reformierten<br />
In stitut für Religion am Hebrew Union<br />
College ordiniert.<br />
Die Vereinigten Jüdischen Gemein den än -<br />
dern ihren Namen in Jüdische Fö de rationen<br />
von Nordamerika und ma chen Jerry Silver -<br />
40 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
JÜDISCHE WELT • ISRAEL<br />
man zu ihrem Präsidenten.<br />
Ein Sicherheitsmann wird getötet, <strong>als</strong> ein für<br />
seine antisemitische Einstel lung bekannter<br />
Schütze im US Holo caust Memorial Mu -<br />
seum in Washing ton das Feuer eröffnet.<br />
Bei seiner Rede an der Bar-Ilan Uni versität<br />
drückt Israels Premier Ben jamin Netanyahu<br />
seine vorbehaltliche Unterstützung für die<br />
mögliche Grün dung eines demilitarisierten<br />
palästinensischen Staat aus. Die Oba ma-Ad -<br />
ministration wertet dies <strong>als</strong> „positiven<br />
Schritt“, während die Paläs ti nen serbehörde<br />
ihr Missfallen kund tut.<br />
Der ehemalige Sowjet-Dissident Na tan Sha -<br />
ransky wird zum Präsiden ten der Jewish<br />
Agency for Israel gewählt.<br />
Am Ende der „Holocaust Era Assets Con fe ren -<br />
ce“ in Prag unterzeichnen 46 Staa ten die<br />
Terezin Deklaration, eine unverbindliche<br />
Liste von Leitsätzen, die eine schnellere,<br />
offenere und trans parentere Restitution von<br />
Kunst ge gen ständen und privatem Eigen tum<br />
ermöglichen sollen.<br />
Aufgrund der Unruhen nach den iranischen<br />
Wahlen verlangen jüdische US-Organisa tio nen<br />
von der Regie rung mehr Unterstützung für<br />
die Demon s tran ten und schärfere internationale<br />
Aktionen zum Stopp des Nuklear pro -<br />
gramms der islamischen Republik.<br />
Als sich die Debatte um die Reform des US-<br />
Ge sundheitssystems zuspitzt, stellen sich<br />
die jüdischen Organisa tio nen bei verschiedenen<br />
Schlüssel stel len hinter Präsident Oba ma,<br />
da dies auch der rapide alternden jüdischen<br />
Ge meinschaft zugute kommen würde.<br />
Juli<br />
Der Anführer der Bande, die für die Ent füh -<br />
rung, Folterung und Ermor dung des französischen<br />
Juden Ilan Ha limi im Jahr 2006 verantwortlich<br />
ist wird zu lebenslanger Haft verurteilt.<br />
US-Präsident Obama trifft sich erstm<strong>als</strong> im<br />
Weißen Haus mit den Vor sit zenden von 14<br />
jüdischen Organisatio nen. Diese äußern kei -<br />
ne direkte Kritik an Obamas Ruf nach einem<br />
is rae lischen Siedlungsstopp, geben jedoch<br />
zu bedenken, dass der Eindruck entstehe, er<br />
wür de mehr Druck auf Israel <strong>als</strong> auf die<br />
Palästinenser und arabische Staaten ausüben.<br />
Etwa 8.000 Athleten aus aller Welt neh men<br />
an den 18. Maccabiah-Spie len teil, darunter<br />
auch der US-Olympia-Schwimmer Jason<br />
Lezak. Er kann vier Goldmedaillen für sich<br />
beanspruchen, doch Israel erringt mit<br />
Abstand die meisten Medaillen bei den diesjährigen<br />
Spielen.<br />
August<br />
Ein maskierter Schütze überfällt ein Homo -<br />
sexuellenzentrum in Tel Aviv und tötet zwei<br />
Menschen. Dutzende werden verwundet. In<br />
ganz Israel werden daraufhin Solidaritäts -<br />
kundge bungen mit den Opfern und der ho -<br />
mo sexuellen Gemeinschaft des Landes<br />
abgehalten.<br />
Synagoge in Petach Tikva<br />
zum Gedenken an Chajim Weisz s.A.<br />
Der Rohbau des zentralen Bet Knesset „nigune Chajim“ - benannt nach<br />
Chajim Amos Weisz s.A., der im Alter von 18 Jahren einer schweren Krankheit<br />
erlegen ist - ist vollendet.<br />
Die Familie von Chajim Amos Weisz s.A. stammt aus Wien und den berühmten<br />
sieben burgenländischen Gemeinden („Schewa Kehillot“). Seine Eltern<br />
Gabi und Kochava Weisz und seine Großeltern Alfred und Schulamit Weisz haben<br />
dieses Projekt im Andenken an ihren viel zu früh verstorbenen Sohn bzw. En -<br />
kel sohn ins Leben gerufen.<br />
Der Bau der Synagoge ist für die expandierende religiöse infrastruktur von<br />
Petach Tikva von großer Bedeutung, und so hat die Stadtverwaltung ein<br />
Grunstück an einem der schönsten Plätze für den für den Bau zur Verfügung<br />
gestellt.. Die <strong>als</strong> Bauträger und Betreiber ins Leben gerufene Organisation „ni-<br />
gu ne Chajim“ wurde <strong>als</strong> gemeinnützige „non profit“- Organisation staatlich<br />
anerkannt.<br />
Am Festakt zur Fertigstellung des Rohbaues nahmen unter anderem der Bür -<br />
germeister von Petach Tikva, Izik Ochion, dessen Stellvertreter Motti Sefet, der<br />
Generaldirektor der Stadtverwaltung sowie Architekten und ingenieure teil.<br />
in den Ansprachen des Bürgermeisters sowie von Gabi Weisz wurde hervorgehoben,<br />
dass dieses Zentrum nicht nur <strong>als</strong> Bet Knesset und Bet midrasch<br />
zum täglichen Lernen dienen wird, sondern auch <strong>als</strong> Gemeindezentrum mit<br />
Küche und Festsaal für Festlichkeiten, wie Kidduschim, Britot, Bar mizwa und<br />
Hochzeiten – insbesondere für finanziell schwächere Schichten. Das Gemein -<br />
dezentrum „Ulam hachessed“ wird bis zu 600 Per sonen Platz bieten.<br />
Weitere informationen: gabriel_weisz@yahoo.com<br />
T: 00 972 43-1-2148011<br />
F: 00 972 43-1-2148010<br />
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Sponsoren für die<br />
innenausstattung<br />
sind willkommen!<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 41
KULTUR • INLAND<br />
Die 23-jährige Wienerin Clara Trischler<br />
absolviert zur Zeit einen Freiwilligen -<br />
dienst in Yad Vashem und bloggt dabei<br />
aus Israel für fm4.at, den Internet-Auf -<br />
tritt des ORF-Radiosenders FM4. „Die<br />
Gemeinde“ sprach mit ihr über ihre Mo -<br />
ti vation, <strong>als</strong> Nichtjüdin ein Jahr in Israel<br />
zu verbringen, und ihre Beiträge für FM4:<br />
wie eine junge Österreicherin das Leben,<br />
die Menschen und die Politik in Israel<br />
erlebt.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Wie kamen Sie auf die Idee, einen einjährigen<br />
Freiwilligendienst in Yad Vashem<br />
zu absolvieren?<br />
in einem moment von Zukunfts verlorenheit<br />
habe ich einen Alternativplan<br />
gesucht, im außereuropäischen, weniger<br />
planiert-globalisierten Ausland.<br />
in früheren, politischeren Tagen gab<br />
es schon einmal diese idee, aber noch<br />
keine Gelegenheit, <strong>als</strong> Frau einen<br />
Gedenkdienst zu machen. Dam<strong>als</strong> gab<br />
es für mädchen nur sehr unattraktive<br />
Stellen in Auschwitz und Westerbork.<br />
Erst war nur die idee is ra el interessant<br />
und, so ohne eingehauchtem Le -<br />
ben, abstrakt, festgemacht in Bil dern<br />
von sandfarbenen Städten und süßem<br />
minztee.<br />
ich schreibe, und zwar Drehbücher<br />
und Geschichten. Für mich stand auch<br />
im Vordergrund, dass ich in meiner<br />
Arbeit mit vielen menschlichen Leben<br />
konfrontiert bin. in einer Akte über<br />
Rassenschande findet man etwa Lie -<br />
besbriefe zwischen Juden und nicht -<br />
jü dinnen, Abschiedsbriefe von Eltern<br />
aus Deportationszügen, die über das<br />
Rote Kreuz vermittelt worden sind.<br />
„Fühlbarer<br />
machen,<br />
wie sich ein<br />
junger Mensch<br />
in Israel fühlen<br />
kann“<br />
Und dann die andere Ebene: die Ge -<br />
schichten der menschen, die im aktu -<br />
ellen israel leben und wie jeder eine<br />
andere Sicht auf dieses Leben, diesen<br />
Konflikt, diese Geschichte haben.<br />
Dies ist Ihr erster Israel-Aufenthalt. Wie<br />
kommen Sie mit der Sprache zurecht?<br />
ich bin nicht jüdisch und versuche hier<br />
ein wenig Hebräisch zu lernen, an -<br />
fangs auch in einem Kurs, jetzt im<br />
freieren Sprechen, mit Kinder bü -<br />
chern. ich scheitere und verständige<br />
mich. Die Schriftsprache zu lernen war<br />
wie einen Code zu knacken und das<br />
Gefühl, langsam die bezeichnete Welt<br />
um einen herum verstehen zu können.<br />
Und ich mag den Klang der Spra -<br />
che. Das Sprechen zu lernen ist wie<br />
sich gerade erfundene Worte merken<br />
zu wollen.<br />
Wie lange haben Sie vor, in Israel zu bleiben?<br />
insgesamt ein Jahr, bis <strong>September</strong>. ich<br />
kann mir aber durchaus vorstellen,<br />
später für eine Weile wiederzukommen.<br />
Dieses Land lässt wenige los,<br />
die so lange hier leben.<br />
Sie nutzen Ihren Jerusalem-Aufenthalt<br />
auch, um auf FM4 zu bloggen. In Ihrem<br />
ersten Beitrag diesen Januar schrieben Sie<br />
unter dem Titel „Der Alltag in Jerusa -<br />
lem” u.a. Folgendes: „Gleichzeitig frage<br />
ich mich, warum die Demonstrationen in<br />
Wien aus der Ferne mehr wie Anti-Israel<strong>als</strong><br />
Anti-Kriegsdemos aussehen. Das hal te<br />
ich für gefährlich.” Warum ist dies ge -<br />
fährlich?<br />
Das ist interessant, weil ich diesen<br />
Satz in meiner letzten Fassung eigentlich<br />
gestrichen habe, er wurde dann<br />
aber doch veröffentlicht. ich versuche<br />
oft, nicht wertend zu schreiben, ich<br />
möchte menschen nicht eine mei -<br />
nung vordenken.<br />
Aber nun zur konkreten Frage: Ge -<br />
nausowenig wie israels Politik zu kritisieren<br />
nicht antisemitisch ist, muss<br />
man hier zwischen dem Staat israel -<br />
oder der idee eines Staates israel -<br />
und einem Kriegsinteresse in Gaza<br />
differenzieren. Weil ich mit menschen<br />
in israel gesprochen habe, konnte ich<br />
zumindest ansatzweise nachvollziehen,<br />
was Beweggründe für eine Un -<br />
ter stützung des Krieges sein können.<br />
inhaltsleere Friedens demonstratio nen<br />
in Europa halte ich mittlerweile für<br />
naiv: natürlich wollen die meisten in<br />
israel Frieden, aber auf das wie? ge -<br />
ben die Protestantinnen auch keine<br />
Antwort.<br />
ich halte die Vereinheitlichung des<br />
Staa tes israel mit einem Kriegs in ter -<br />
es se in Gaza für gefährlich, weil mir<br />
nicht immer ganz klar ist, warum dieser<br />
Konflikt soviel mehr Aufmerk sam -<br />
keit bekommt, <strong>als</strong> etwa Darfur. Weil<br />
viele israelis europäische Exilantin nen<br />
sind? Weil israel ein recht „westli-<br />
cher” Staat ist, umgeben von Staaten<br />
mit arabischer Kultur und Tradition?<br />
natürlich spielt unsere Rolle in der<br />
Shoa mit hinein. ich muss jedesmal<br />
schlucken, wenn menschen nach is -<br />
rael reisen, um dann über ihre vorgefertigten<br />
Positionen gegenüber „den<br />
Juden” zu sprechen.<br />
ich fühle mich da zerrissen, die Presse<br />
in Europa scheint mir sehr solidarisch<br />
mit dem palästinensischem Under dog,<br />
in israel meint das Fernsehen recht<br />
offen, dass Gaza das israelische Pu -<br />
blikum außerhalb des Krieges nie<br />
wirklich interessiert hat.<br />
Es ist ein natürlicher Reflex, auf Seite<br />
der Palästinenser zu stehen, wenn man<br />
hört, was man hört. Aber man hört<br />
eben oft nur, was man hören möchte.<br />
Die informationen sehen in den verschiedenen<br />
Staaten sehr unterschiedlich<br />
aus und ich finde es unreflektiert,<br />
medien im Krieg leichtfertig zu glauben.<br />
Schließen Sie hier israelische Medien mit<br />
ein?<br />
Definitiv. Das ist bemerkenswert<br />
spannend, wie medial in israel gegenüber<br />
dem Krieg – natürlich - eine ganz<br />
andere Haltung eingenommen wurde<br />
42 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
KULTUR • INLAND<br />
<strong>als</strong> im Rest der Welt. Hier finde ich<br />
äh nelt israel ein wenig den Vereinig ten<br />
Staaten: wenn sie eine meinung ha -<br />
ben, dann lassen sie sich nicht davon<br />
beirren, dass sie oder darauffolgende<br />
Taten weltweit Aufsehen erregen, im<br />
Gegenteil, sie fühlen sich dann geradezu<br />
erst recht im Recht, <strong>als</strong> Außen -<br />
seiter, <strong>als</strong> Unverstandene, <strong>als</strong> „maverick”,<br />
wie Sarah Palin das in ihrem<br />
Wahlkampf immer sehr amüsant ausdrückte.<br />
Das mediale missverständ nis<br />
des Krieges, die misswahrneh mung -<br />
nicht erleichtert worden durch das<br />
Feh len von internationalen Journa -<br />
list innen in Gaza - kann ja nur auf<br />
unterschiedlichen Positionen beruhen.<br />
Als „naiv” bezeichnen Sie die Sicht, dass<br />
„die Hamas den Waffenstillstand mit<br />
Quassam-Raketen brach, woraufhin Isra -<br />
el hunderte Menschen auf einen Schlag<br />
tötete”. Woraus resultiert diese Naivität?<br />
Was ist Ihrer Meinung nach die richtige<br />
Sicht?<br />
man macht es sich einfach zu leicht,<br />
ein Leben zu leben, auf das der Kon -<br />
flikt keinen Einfluss hat, sich, sobald<br />
etwas passiert, darüber zu informieren.<br />
Und dann zu sagen: in der Zei -<br />
tung beginnt die Zeitleiste bei 27. De -<br />
zember. Der Konflikt ist nicht vergangenheitslos,<br />
es geht nicht mehr da -<br />
rum, wer diesmal angefangen hat. in<br />
Wahrheit werden doch keine Kriege<br />
begonnen, weil überraschend attackiert<br />
wurde, Kriege sind geplant.<br />
Die naivität entspringt <strong>als</strong>o Unin for -<br />
miertheit. natürlich muss sich nicht<br />
jeder mit dem Konflikt im nahen Os -<br />
ten auseinandersetzen, menschen le -<br />
ben woanders ja ganz andere Leben.<br />
Aber viele - gerade außerhalb israels<br />
- haben so extreme, vorgefertigte mei -<br />
nungen, die einfach irgendwo abgelesen<br />
oder zurechtgelegt, übernommen<br />
worden sind.<br />
Sie beschreiben in Ihrem Blog auch eine<br />
Anti-Kriegs-Demo, bei der Demonstranten<br />
von einem Polizisten am Telefon <strong>als</strong><br />
„trash of the country” bezeichnet werden.<br />
In einem anderen Beitrag geht es um<br />
Wehrdienstverweigerer, die in Israel mit<br />
Gefängnis bestraft werden. Zivildienst gibt<br />
es keinen. Wie empfinden Sie <strong>als</strong> Ös ter -<br />
reicherin das Standing der Armee in der<br />
israelischen Gesellschaft?<br />
ich kann nachempfinden, dass ein ver -<br />
letzlicher, junger Staat, der zu einem<br />
großen Teil aus lange Verfolgten be -<br />
steht, sich verteidigen können möchte.<br />
ich finde es aber traurig, dass 18-,19-<br />
jährige menschen nicht nur mehrere<br />
Jahre unfrei gemacht werden, sondern<br />
sie in ihrer formbaren Jugendlichkeit<br />
oft Befehlen folgen, deren Bedeutung<br />
ihnen erst später klar wird. Viele<br />
junge Erwachsene sind nach diesen<br />
Jahren traumatisiert.<br />
man soll sich durch die omnipräsenten<br />
bewaffneten jungen Soldaten sicherer<br />
fühlen. Aber das Bild der Armee <strong>als</strong><br />
moralische instanz würde ich jetzt<br />
ein mal in Frage stellen. Also so<br />
bezeichnet sich die Armee selbst, weil<br />
sie oft Flugblätter abwirft, bevor sie<br />
Häuser bombardiert, damit Zivilist in -<br />
nen in Gaza - wohin? - fliehen können.<br />
Eine Armee zu haben ist ja völlig in<br />
Ord nung, aber ihre Wertigkeit im is ra -<br />
elischen Lebenslauf, ihren politischen<br />
Einfluss im öffentlichen Leben finde<br />
ich problematisch. Dass sie nämlich<br />
Einfluss auf die Kunst nimmt, auf<br />
mu sikerkarrieren. Aber auch einfache<br />
private Leben, Berufsbewerbungen<br />
vom Armeedienst abhängen können.<br />
Dass vorausgesetzt wird, dass man<br />
damit einverstanden ist, sich militärisch<br />
zu beteiligen und zwar nach den<br />
Regeln eines politischen System oder<br />
einer Regierung, die menschenrechte<br />
nicht besonders genau nimmt, die<br />
Wer te und Grenzen vertritt, an die<br />
man möglicherweise nicht glaubt.<br />
Sie meinen, mit den Menschenrechten<br />
wer de es seitens Israels nicht so genau<br />
genommen. Beruht diese Einschätzung<br />
auf persönlichen Beobachtungen, aus Ge -<br />
sprächen mit Israelis oder aus Medien -<br />
berichten? Können Sie Beispiele nennen?<br />
ich bin in Kontakt mit einem Paläs ti -<br />
nenser aus Gaza, der nach einer israelischen<br />
Bombe an den Checkpoint<br />
Rich tung israel gebracht, dort acht<br />
Stunden blutend liegen gelassen wur -<br />
de und dann später deshalb in israel<br />
sein Bein amputiert bekam. ich bin in<br />
Kontakt mit menschen, die versuchen,<br />
menschen in der Westbank beim Er -<br />
langen von Baugenehmigungen zu<br />
unterstützen, was ein relativ aussichtsloses<br />
Unterfangen scheint, so wie<br />
mit Familien, die nächte lang wach<br />
bleiben, weil gerichtlich genehmigt<br />
wird, ihre Häuser zu räumen, weil sie<br />
wissentlich oder unwissentlich - weil<br />
nur gemietet - in Gebäuden ohne Bau -<br />
genehmigung leben.<br />
im medial zirkulierenden Protokoll<br />
ha be ich die Stellungnahmen der<br />
Soldaten gelesen, die von bewussten<br />
Vergehen gegen Zivilistinnen sprechen,<br />
von menschenrechtsver letzun -<br />
gen und unnötiger Gewalt, ich habe<br />
mit Soldaten aus dem Libanon-Krieg<br />
gesprochen und aus der Zeit der letzten<br />
intifada. mit einem Palästinenser,<br />
der im Gefängnis war, weil er zur Zeit<br />
der intifada neben jemandem stand,<br />
der einen Stein geworfen hatte. Aus -<br />
ser dem sieht jeder, der einmal an ei -<br />
nem Checkpoint vorbeifährt, wie lange<br />
Palästinenser aufgehalten und wie sie<br />
behandelt werden, wie aufgrund der<br />
Hautfarbe oder des Ausse hens der<br />
Ein reiseprozess verlängert wird.<br />
Immer wieder werden in Ihrem Blog jun -<br />
ge Erwachsene zitiert. Wie finden Sie Ihre<br />
Gesprächspartner, wie finden Sie Ihre<br />
Themen?<br />
ich unterhalte mich viel mit men schen,<br />
ich gehe offen durch die Welt, ich rei se<br />
in besetzte Gebiete und durch is ra el,<br />
rede mit israelis und Palästinen sern,<br />
lese viel, sehe mir Filme an. im inter -<br />
net gibt es Videos von men schen, die<br />
hier in extremen Bedingungen, in<br />
Sde rot oder Gaza, leben. Die Themen<br />
kommen durch das tägliche Leben zu<br />
mir, akuter war das aber natürlich<br />
während des Krieges, <strong>als</strong> ich das Be -<br />
dürfnis hatte, zu erzählen, wie es ei -<br />
nem israelischem Soldaten vor Gaza<br />
geht, oder einem Österreicher, der<br />
israel wegen gefallener Raketen verlassen<br />
möchte.<br />
meine Berichte sind persönlich, ich lie -<br />
fere keine politischen Analysen, sondern<br />
will fühlbarer machen, wie sich<br />
ein junger mensch in israel (vergleichbar<br />
mit einem jungen menschen in<br />
Österreich) fühlen kann. Welche<br />
motivationen und Gedanken in der<br />
Luft liegen oder nicht ausgesprochen<br />
werden, welchen Ausdruck Streetar -<br />
tists dafür finden. Es schadet ja nicht,<br />
sich die Frage zu stellen: Was würde<br />
ich tun, wenn ich drei Jahre militär -<br />
dienst leisten müsste oder sonst nicht<br />
mehr nach israel einreisen könnte,<br />
wo meine Großeltern leben?<br />
Ihr Beitrag über Wehrdienstverweigerer<br />
ver anlasste einen fm4.at-poster, folgenden<br />
Kommentar zu verfassen. „jaja, schon<br />
ganz einfühlsam geschrieben. mein mitgefühl<br />
mit den isralis hält sich aber angesichts<br />
deren genozid- und völkerrechtsverbrechen<br />
in grenzen. da ist es nur fair<br />
und billig in deren militärapparat mitma-<br />
KULTUR<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 43
KULTUR • INLAND<br />
chen zu müssen. ansonsten könnten sie ja<br />
auch nicht die palästinenser massakrieren.”<br />
Was dachten Sie, <strong>als</strong> Sie das gelesen<br />
haben?<br />
mich besorgt immer, wie verbittert<br />
men schen anonym schreiben können,<br />
und wie wunderbar es wäre, wenn sie<br />
ihre Energie oder Empathie in einen<br />
Zweck investieren würden, anstatt<br />
sich konsequenzfrei in Foren zu er -<br />
leich tern. ich verstehe die Wut über<br />
die Art, in der dieser Krieg geführt<br />
wurde, über den Krieg selbst. Aber<br />
wenn man menschen nicht <strong>als</strong> individuelle,<br />
dreidimensionale menschen<br />
mit verborgenen Talenten und ge -<br />
schei ter ten Träumen betrachtet, sondern<br />
national oder religiös schubladisiert,<br />
dann macht man es sich unqualifiziert<br />
einfach und hat etwas mit den<br />
Beteiligten am Konflikt gemein: es ist<br />
immer leichter Fremdes, Unbe kann tes<br />
zu hassen.<br />
Welche Erfahrungen werden Sie aus<br />
Israel nach Österreich mitnehmen?<br />
Die mentalität. Es ist spannend, in<br />
einem Land zu leben, dass sich viele<br />
<strong>als</strong> Lebensmittelpunkt aussu chen.<br />
nicht wie in Österreich sind men -<br />
schen hier einfach hineingeboren,<br />
sondern treffen an einer besonderen<br />
Stelle in ihrem Leben die Entschei -<br />
dung, dass sie hier sein möchten. Weil<br />
die menschen hier miteinander re -<br />
den, etwa, wenn sie im Bus nebeneinandersitzen.<br />
Weil sie sich in die Au -<br />
gen schauen, weil sie direkt sind. man<br />
kann von Fremden, in der Bank, im<br />
Bus, einfach angeschrien werden,<br />
gleichzeitig passiert es auch, dass ei -<br />
nen fremde menschen aus dem<br />
nichts auf einen Tee oder ein Schab -<br />
batessen einladen.<br />
Die Erinnerung an die Schönheit des<br />
Landes (<strong>als</strong>o auch: Palmen und<br />
Kakteen und Wüste).<br />
Die Angespanntheit des Kriegszu stan -<br />
zur Person<br />
des, weil es in einem israelischen Le -<br />
ben um anderes geht <strong>als</strong> in einem ös -<br />
terreichischen. Weil menschen auch<br />
viel existenziellere Erfahrungen ma -<br />
chen, Tod nicht so abstrakt ist.<br />
Dann das Blicken hinter den medialen<br />
Filter, ein politisches Scharfstellen<br />
in einem Land, das weder nur ein Ga -<br />
za-Streifen ist, noch eines, in dem man<br />
sich vor Cafébesuch und Busfahrten<br />
fürchten muss, aber eben auch. Über<br />
das Leben wird hier ganz anders<br />
gesprochen.<br />
clara trischler, geb. 1986 in Kor neuburg, aufgewachsen in Wien, so sie am<br />
„Schulschiff“ auch die matura ablegte.<br />
2004/05 Europäi scher Freiwilli gen dienst in einem Holiday Retreat für<br />
menschen mit multipler Skle rose in Schott land, 2005 bis 2007 Studium der<br />
Theater-, Film- und medienwissen schaft, der Verglei chen den Literatur wis -<br />
senschaft und der Philosophie an der Universität Wien.<br />
2006 bis 2007 Studium am Euro pe an Film College in Ebel toft (Däne mark).<br />
2008 Filmproduktions prak ti kum in Berlin. Teilnahme an Kurzfilmfestiv<strong>als</strong>,<br />
Tätigkeit <strong>als</strong> Ra diosprecherin für ein österreichisch-slo wa ki sches Jugend pro -<br />
gramm.<br />
Derzeit im Rahmen des Gedenk dienstes Freiwilligendienst im Do kumen ta -<br />
tionsarchiv von Yad Va shem in Jerusalem. Dort sichtet sie letzte Zeugnisse<br />
von Shoa-Opfern wie Postkarten, Liebesbriefe, Ge burts urkunden, um Ster -<br />
bedaten, geglückte Fluchten und illegale Be ziehungen zu rekonstruieren.<br />
Trischler bloggt zudem für den ORF-Radiosender Fm4 aus israel.<br />
http://fm4.orf.at/claratrischler<br />
50 Jahre Dachverband PaN - Im Juni wurden zusammen mit dem Bot schafter<br />
des Staates Israel in Österreich Dan Ashbel in den Räumlichkeiten seiner<br />
Residenz rot-weiß-rote PaN-Ehrenzeichen verliehen an: den 1. Präsi den ten der<br />
Ös terreichisch-Israelischen Gesell schaft, Vizebürgermeister a.D. Dr. Sepp Rieder,<br />
den 2. Präsidenten der Österreichisch-Israelischen Gesell schaft, Bezirksvor ste her<br />
a.D. Dr. Richard Schmitz, das Vorstands mitglied der Österreichisch-Israe li schen<br />
Gesellschaft, Generaldirektor a.D. Komm.-Rat Erik Hanke sowie den Initia tor von<br />
Alpine Peace Crossing, Direktor Dr. Ernst Löschner<br />
© Heinz Husslik<br />
Gesellschaft für politische Aufklärung<br />
und die BHW-Akademie für Bildung<br />
und Regionalkultur<br />
ermordung von Behinderten<br />
und unerwünschten in der<br />
ns-zeit<br />
Dreitägiges Seminar in Verbin dung<br />
mit einer Studienexkursion Wien-<br />
Steinhof und zum einstigen "mord-<br />
schloss" Hartheim (OÖ) gibt einen<br />
differenzierten Einblick in dieses<br />
Kapitel unserer Geschichte und er -<br />
möglicht eine intensive Auseinan -<br />
der setzung mit der Thematik, vor<br />
al lem aber auch mit aktuellen Be -<br />
zü gen.<br />
23. bis 25. oktober <strong>2009</strong><br />
Wien und Hartheim/OÖ<br />
Kosten: € 200,-- (für Bus, Unterkunft<br />
DZ, Essen), für Studentinnen: € 180,--<br />
info unter: http://www.bhw-n.eu<br />
44 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
„Heldenverehrung<br />
im Bunker“<br />
Im Klagenfurter Bergbaumuseum öffnet<br />
am 10. Oktober eine Ausstellung über<br />
Jörg Haider ihre Pforten. Das Datum ist<br />
doppelt bedeutsam: 1920 fand an diesem<br />
Tag jene Volksabstimmung statt, bei der<br />
sich die Südkärntner für den Verbleib bei<br />
Österreich aussprachen. 2008 sollte es<br />
der letzte Lebenstag des amtierenden<br />
Lan deshauptmanns von Kärnten werden.<br />
In den Morgenstunden des 11. Oktober<br />
fuhr der langjährige FPÖ-Politiker und<br />
Gründer des BZÖ stark alkoholisiert mit<br />
seinem Dienstwagen mit überhöhter<br />
Ge schwindigkeit in den Tod. Genau ein<br />
Jahr nach seinem Ableben will nun eine<br />
Schau über den Menschen Jörg Haider<br />
informieren. Der frühe Zeitpunkt irritiert<br />
ebenso wie der Ort der Ausstellung –<br />
ein ehemaliger NS-Bunker. Entsteht hier<br />
eine Pilgerstätte für das rechte Lager?<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Wenn man nach schriftlichen infor -<br />
ma tionen zu der Ausstellung über Jörg<br />
Haider sucht, ist man auf verlorenem<br />
Posten. Pressetext? Fehlanzeige. in for -<br />
mationen auf der Homepage des mu -<br />
seums? Rudimentär. Auf www.bergbaumuseum.at<br />
erfährt man (jedenfalls<br />
bis Redaktionsschluss Anfang Sep -<br />
tember) schlicht: „In Vorbereitung: Dr.<br />
Jörg Haider, 1950 – 2008. Biografische<br />
Ausstellung über den verstorbenen Kärnt -<br />
ner Landeshauptmann Dr. Jörg Hai der.<br />
Seite in Arbeit … Weitere Informationen<br />
folgen …“<br />
Der Blätterwald rauschte dennoch<br />
bereits kräftig diesen Sommer, vor<br />
allem deutsche medien hielten mit<br />
Hä me und Spott nicht hinter dem<br />
Berg. „Jetzt kehrt das tote Idol zurück in<br />
den Bunker, der heute ein wenig besuchtes<br />
Bergbaumuseum ist“, schrieb etwa<br />
Joachim Riedl auf Zeit online. „Haider<br />
sells. Daran hat sich in den zehn<br />
Monaten, die seit seinem Tod vergangen<br />
sind, wenig geändert“, formulierte Eli -<br />
salex Henckel in „Die Welt“. „Ver klä -<br />
rung in Klagenfurt“, titelte der Tages -<br />
spiegel, „Unterirdische Huldigung“ die<br />
Süddeutsche Zeitung.<br />
KULTUR • INLAND<br />
Was aber wird den Besucher konkret<br />
erwarten? „Persönlich nehme ich nun<br />
einmal an, dass es eine hagiographische<br />
Ausstellung zum verstorbenen<br />
Landeshauptmann werden wird, die<br />
jede kritische Auseinandersetzung<br />
mit seiner ideologie, seiner von et -<br />
lichen Wendungen gekennzeichneten<br />
Politik und seiner instrumentalisie -<br />
rung von unverdauter nS-Vergan gen -<br />
heit, Rassismus, Antisemitismus und<br />
Fremdenfeindlichkeit ebenso wird<br />
vermissen lassen wie die durch ihn in<br />
Bewegung gesetzte Verschleierung<br />
der Grenze zwischen demokratischer<br />
Politik und rechtspopulistischer De -<br />
ma gogie“, sagt Brigitte Bailer-Galanda,<br />
wissenschaftliche Leiterin des Do ku -<br />
mentationsarchivs des Österreichischen<br />
Widerstands (DÖW), von der<br />
„Gemeinde“ nach ihrer Einschätzung<br />
befragt.<br />
Bailer-Galanda weiter: „Die Ausstel lung<br />
wird wohl am Haider-Kult weiterbauen<br />
sollen, worauf ja auch der Eröffnungs -<br />
termin (10.10.) sowie die Ankündigung,<br />
das Haider-Gedenken zu einem fixen Be -<br />
standteil künftiger Oktoberfeiern machen<br />
zu wollen, schließen lassen.“ Die His to -<br />
rikerin weist zudem darauf hin, dass<br />
Haider bei Rechtsextremen zuletzt<br />
nicht mehr unumstritten gewesen sei,<br />
„wieweit er <strong>als</strong> Kultfigur auch dieses La ger<br />
bedienen wird, kann ich derzeit nicht<br />
abschätzen“.<br />
noch schärfere Worte findet Eva<br />
Blimlinger, frühere Forschungskoordi -<br />
na torin der Historikerkommission der<br />
Republik, heute Projektkoordinatorin<br />
für Kunst- und Forschungsförderung<br />
an der Universität für Angewandte<br />
Kunst: „Am 10. Oktober <strong>2009</strong> wird die<br />
Schau „Jörg Haider, 1950 – 2008“ im<br />
Bergbaumuseum Klagenfurt eröffnet.<br />
Au sstellung ist wohl unpassend, ein Sam -<br />
melsurium wird es werden, das Berg -<br />
baumuseum wird zum Schrein, in den<br />
allerlei Versatzstücke aus dem Leben des<br />
betrunken in den Tod gefahrenen Landes -<br />
haupt mannes gepackt werden. Es wird<br />
eine Heldenverehrung im Bunker werden,<br />
nichts da mit wissenschaftlicher Bear bei -<br />
tung, mit kritischer Darstellung, gar mit<br />
Reflexion, nein, nein, nur Schaukelpferd<br />
und Laufschuhe des Alkolenkers. Viel leicht<br />
kann dann auch darüber gelesen werden,<br />
dass er ja gar nicht schuld sei, sondern<br />
irgendein ausländischer Geheimdienst.<br />
Mossad? CIA?“<br />
Blimlinger ergänzt: „Zwar ist er schon<br />
ein Held, aber eigentlich doch ein Opfer,<br />
ein Opfer der Linken, der Antifaschisten,<br />
der ‚Ostküste‘ und so weiter. Kärnten<br />
braucht ihn, und wenn er nicht mehr lebt,<br />
dann eben <strong>als</strong> Toten, und so wird flugs<br />
eine Wallfahrtsstätte errichtet und das mit<br />
öffentlichen Geldern. 85.000 Euro sollen<br />
dafür von der Stadt Klagenfurt aus dem<br />
Kul tur bud get zur Verfügung ge stellt werden,<br />
das ist der eigentliche Skan dal. Und<br />
vielleicht springt das Land Kärnten ein,<br />
wenn es doch nichts wird mit der Sub ven -<br />
tion oder gar die Republik? Keinen Euro<br />
und Cent aus öffentlichen Mitteln darf es<br />
für dieses obskure Unternehmen geben.<br />
Eine Jörg-Haider-Schau ist schlicht weg kein<br />
öffentliches Anlie gen, vor allem dann,<br />
wenn es nur da rum geht unreflektiert eine<br />
Art hagiographisches Potpourri zu zeigen.“<br />
Gerhard Finding, Direktor des Berg -<br />
baumuseums sowie Kurator der Aus -<br />
stellung versteht nach Lektüre der<br />
durch die Bank kritischen medien be -<br />
richte die Welt nicht mehr. „Aus Kärn -<br />
ten kommt Zustimmung, aber außerhalb<br />
schwappen hier die Emotionen schon<br />
hoch.“ Dabei gehe es bei der Ausstel -<br />
lung we der um Helden vereh rung<br />
noch um eine Werbeaktion des BZÖ,<br />
versichert Finding. Denn: die idee,<br />
eine Haider-Schau zu machen, stamme<br />
von ihm. Er sei Haider zu Leb zeiten<br />
übrigens nie begegnet. Und: „Hier Hel -<br />
den verehrung zu betreiben, das wäre zu<br />
billig. Es auf diesem Nivea zu machen,<br />
das wäre in Kärnten sehr einfach.“<br />
„Meine Frau und ich sind am Samstag<br />
um sieben Uhr beim Kaffee gesessen und<br />
da haben wir im Radio gehört, dass er ge -<br />
storben ist“, erzählt der museums di rek -<br />
tor im Gespräch mit der „Ge mein de“.<br />
„Und wir sind ja ein öffentliches Mu se -<br />
um, da müssen wir eine Fahne aufziehen.<br />
Ich wohne etwas außerhalb von Klagen -<br />
furt und <strong>als</strong> ich dann im Auto saß, um in<br />
die Stadt zu fahren, da habe ich eine Frau<br />
gesehen mit einer Kerze, die kniete vor<br />
einem Wahlplakat Haiders. Und da habe<br />
ich mir gedacht – da ist et was passiert.<br />
Das war der Anfang der Ausstellung. Das<br />
war ein paar Stunden nach seinem Tod.“<br />
Seitdem werkt Finding an der Schau,<br />
deren Texte er gänzlich selbst verfasst.<br />
inhaltlich will die Ausstellung<br />
nicht den Politiker, sondern den men -<br />
schen Jörg Haider zeigen, und wird<br />
dabei in vier Themenblöcke gegliedert<br />
sein: Erstens die nS-Vergangenheit<br />
der Familie Haider, zweitens das Le -<br />
ben des menschen Jörg Haider, drittens<br />
der Landeshauptmann und<br />
schließlich viertens „sein Tod“.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 45
KULTUR • INLAND<br />
Thema eins lässt aufhorchen: ist hier<br />
tatsächlich eine kritische Aus ein an -<br />
dersetzung mit dem Thema „Haider<br />
und sein Umgang mit der nS-Zeit“<br />
zu erwarten? nein, Finding beschränkt<br />
sich hier auf die Familiengeschichte<br />
und will das zeigen, „was belegbar ist“.<br />
Das sei übrigens auch mit Witwe<br />
Claudia Haider abgesprochen. „Es<br />
wird objektiv sein.“ mit „hätte, könnte“<br />
wie in einer Titelgeschichte über Jörg<br />
Haiders Vater diesen Sommer im<br />
nachrichtenmagazin profil, in dem das<br />
Blatt vor allem versuchte, die Rolle<br />
von Robert Haider in der nS-Zeit<br />
nach zuvollziehen, werde er nicht ope -<br />
rieren, betont Finding. Es werde Be le -<br />
ge zu sehen geben. Aber keine inter -<br />
pre tationen.<br />
insgesamt soll es eine sehr textlastige<br />
Ausstellung werden, auf einer Fläche<br />
von insgesamt 1.000 Quadratmeter.<br />
Jede Station wird lediglich mit wenigen<br />
Objekten illustriert werden. Für<br />
die Kindheit Jörg Haiders steht dessen<br />
Schaukelpferd. Dass dieses bereits<br />
medial durch den Kakao gezogen wur -<br />
de, schmerzt Finding. Es sei schlicht<br />
das einzige Stück, das aus Haiders<br />
Kindheit erhalten geblieben sein,<br />
erklärt er. Die Darstellung des Lebens<br />
Jörg Haiders soll übrigens den politischen<br />
Aspekt, Haiders Wirken auf<br />
Bun desebene, in der FPÖ, im BZÖ<br />
nahezu ausklammern. „Es geht um den<br />
Menschen Jörg Haider.“ Sym bo lisch<br />
sind hier Haiders Lauf schu he zu sehen.<br />
Den Landeshauptmann Haider will<br />
Finding an Hand von dessen Visio nen<br />
porträtieren. „Soziales und Gesundheit,<br />
Bildung und Ausbildung, Wirtschaft,<br />
Kul tur und Kunst, Medien und Journa -<br />
lis mus: wir bringen seine Visionen und<br />
der Besucher muss dann selbst entscheiden,<br />
was war gut, was gelungen, was war<br />
f<strong>als</strong>ch.“ Die illustration hier: Haiders<br />
Schreibtisch. nicht zu sehen sein wird<br />
der zu Schrott gefahrene VW Phaeton,<br />
in dem Haider in den Tod raste. „In<br />
meinem Konzept wäre das Wrack drinnen,<br />
Frau Haider möchte es nicht und<br />
wir fügen uns, ich frage sie kein zweites<br />
Mal“, so der Ausstellungsmacher.<br />
So weit zu dem, was inhaltlich zu er -<br />
warten ist. Der Ort der Ausstellung<br />
lässt jeden politisch interessierten<br />
menschen sofort Assoziationen an -<br />
stel len: das Bergbaumuseum befindet<br />
sich in einem früheren nS-Stollen, der<br />
der Bevölkerung <strong>als</strong> Luftschutz bun -<br />
ker diente. Hier habe sich der damalige<br />
Gauleiter Friedrich Rainer via<br />
Radio mit den Worten „Passt mir auf<br />
mein Kärnten auf“ im mai 1945 von<br />
der Kärntner Bevölkerung verabschiedet.<br />
Ähnliche Worte benutzte<br />
Haider 1991, nachdem er wegen seines<br />
Ausspruchs über die „ordentliche<br />
Beschäftigungspolitik“ im Dritten<br />
Reich abgewählt worden war. Das<br />
BZÖ plakatierte nach Haiders Tod<br />
„Wir passen auf dein Kärnten auf“ –<br />
und siegte bei der Kärntner Land tags -<br />
wahl. Finding ärgert, dass in jedem<br />
medienbericht dieser Aufruf, auf<br />
Kärnten aufzupassen, zu lesen ist. Rai -<br />
ner habe es nämlich anders for muliert:<br />
„Nation<strong>als</strong>ozialisten und Natio n<strong>als</strong>ozia -<br />
lis tinnen, tretet jetzt alle mit allen Kräf ten<br />
ein für das freie und ungeteilte Kärnten.“<br />
in der Tat klingen die Worte anders,<br />
der Sinn bleibt freilich gleich, und<br />
damit die Optik schief.<br />
Die Kritik, dass eine Ausstellung über<br />
Jörg Haider in einem nS-Stollen<br />
gezeigt wird, kann der museumsdi -<br />
rek tor nicht nachvollziehen. 1986 ha be<br />
man die Halle im Stollen vergrößert,<br />
seit dam<strong>als</strong> „hat es an die 1.000 Ver -<br />
anstaltungen hier gegeben mit einer halben<br />
Million Besuchern. Und jetzt wird da<br />
so ein Theater gemacht. Auch die ‘Klei ne<br />
Zeitung’ hat hier schon einmal eine<br />
Weihnachtsfeier abgehalten. Bei der Er -<br />
tellung meines Kon zepts habe ich jedenfalls<br />
gar nicht daran gedacht.“<br />
Ähnlich argumentiert der für das<br />
mu seum zuständige Klagenfurter<br />
Kulturstadtrat Albert Gunzer (BZÖ).<br />
mit der historischen Belastung des<br />
Ortes (nahe dem nS-Stollen befand<br />
sich auch eine nS-Hinrichtungs stät te)<br />
habe man kein Problem: „Seit Jahr -<br />
zehn ten gibt es Ausstellungen dort, jetzt<br />
bei Haider eine NS-Diskussion anzufangen<br />
wäre Heuchelei.“ Und für Kärn tens<br />
Landeshauptmann Ger hard Dör ler<br />
(BZÖ) ist die Empörung nichts anderes<br />
<strong>als</strong> „die ewig gleiche braune Suppe,<br />
die auf Kärnten ausgekippt wird“. Er<br />
betont: „Es geht darum, den Leuten<br />
einen Ort zu geben, wo sie ihre Trauer<br />
und ihr Gedenken hintragen können.“<br />
Diese Trauer – sie erscheint außerhalb<br />
Kärntens bizarr, doch sie existiert.<br />
noch immer legen menschen an der<br />
Unfallstelle Blumen nieder, zünden<br />
Kerzen an. „Ich bin noch nicht draufgekommen,<br />
warum Kärnten so trauert“,<br />
sagt Finding. Als vorrangiges Ziel -<br />
publikum nennt er denn auch „Kärnt-<br />
ner“. Bis 26.01.2010 soll die Schau ge -<br />
öffnet haben – an diesem Tag wäre<br />
Haider 60 Jahre alt geworden. Fin ding<br />
erwartet bis dahin 20.000 bis 30.000<br />
Besucher, sei das in teresse höher,<br />
dann werde verlängert.<br />
Das Kärntner BZÖ geht indessen be -<br />
reits von 50.000 bis 80.000 Be suchern<br />
aus, was die Grüne Gemeinderätin<br />
Evelyn Schmid-Tarmann mutmaßen<br />
lässt, dass hier über die Laufzeit der<br />
Ausstellung hinaus ein Haider-mu -<br />
seum eingerichtet werden soll. „Dass<br />
die Gedächtnisschau ein Erfolg wird,<br />
daran gibt es keinen Zweifel. Ich denke,<br />
das Haider-Museum wird den Pilgertou<br />
rismus richtig ankurbeln, es wird zum<br />
Wallfahrtsort werden.“<br />
Als Skandal empfindet Schmid-Tar -<br />
mann vor allem die Vorgänge rund um<br />
die Genehmigung der für die Schau<br />
benötigten mittel in Höhe von 85.000<br />
Euro durch den Stadtsenat. Hier habe<br />
das BZÖ nämlich getrickst. „Zu Be ginn<br />
der Stadtsenatssitzung nahm Gun zer den<br />
Punkt 61 – Haider-Museum – von der<br />
Tagesordnung. In einem in mehrere Pos -<br />
ten aufgeteilten Nachtrag aber ließ er die<br />
85.000 Euro für das Berg baumuseum<br />
beschließen!“, erzählt Grün-Stadträtin<br />
Andrea Wulz. BZÖ-Chef Josef Bucher<br />
erwartet indessen „ein tolles Geschäft<br />
für die Stadt Klagenfurt“. Der Eintritts -<br />
preis liegt bei fünf Euro. Alles nur,<br />
damit der Rubel rollt?<br />
Der Historiker Stefan Karner, Leiter<br />
des Boltzmann-instituts für Kriegs fol -<br />
genforschung, kann sich wie Bai ler-<br />
Galanda und Blimlinger nicht des<br />
Eindrucks erwehren, dass es hier um<br />
Heldenverehrung geht. in einem in -<br />
terview meinte Karner, die Ausstel -<br />
lung erinnere ihn, trotz aller Beteu e -<br />
rungen der Ausstellungsmacher, im<br />
Vorgehen an den märtyrer-Kult um<br />
den im Jahr 1934 von den nazis er -<br />
mordeten österreichischen Bundes -<br />
kanz ler Engelbert Dollfuß, der zuvor<br />
in Österreich die Demokratie ausgeschaltet<br />
habe. Karner hält eine Aus -<br />
stellung über Haider übrigens zwar<br />
generell für be grüßenswert, aus wissenschaftlicher<br />
Sicht aber für völlig<br />
verfrüht. Die Ver or tung des Politikers<br />
in der Ge schich te und eine objektivere<br />
Sicht seien ein Jahr nach seinem<br />
Tod noch nicht möglich. „Haider war<br />
eine vielschichtige Persönlichkeit, die<br />
man breit und differenziert aufarbeiten<br />
muss. Erst dann kann man an die Ver -<br />
mitt lung in einer Ausstellung gehen.“<br />
www.bergbaumuseum.at<br />
46 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
KULTUR • INLAND<br />
Goldenes Verdienstzeichen des Landes Wien<br />
für Künstlerin Soshana<br />
1927 in Wien geboren, bereiste die<br />
Künstlerin Soshana Afroyim viele<br />
Länder der Welt und erlangte bald in -<br />
ternationales Ansehen und Anner -<br />
ken nung für ihr vielfältiges und um -<br />
fassendes Werk. Am 2. <strong>September</strong><br />
<strong>2009</strong> nahm sie, im Alter von 82 Jah -<br />
ren, das Goldene Verdienstzeichen des<br />
Landes Wien im Wiener Rathaus entgegen.<br />
Soshana Afroyim war 1938 gezwungen<br />
Österreich zu verlassen und floh<br />
mit ihrer Familie über Frankreich<br />
zunächst nach England und später in<br />
die Vereinigten Staaten. Von 1952 bis<br />
1972 lebte die Künstlerin in Paris und,<br />
nach einem zweijährigen Aufenthalt<br />
in israel, zog es sie wieder nach new<br />
York, wo sie viele Jahre lebte. Bis 1985<br />
kehrte Soshana nicht mehr nach Wien<br />
zurück und bereiste zwischenzeitlich<br />
beinahe die ganze Welt, stellte vieler -<br />
orts ihre Werke aus und erlangte in -<br />
ternational ein entsprechendes Anse -<br />
hen. Durch die Verleihung des Golde -<br />
nen Verdienstzeichens wird Soshanas<br />
Lebenswerk nun auch in Österreich<br />
offiziell anerkannt und gewürdigt.<br />
in new York begann Soshana 1941<br />
un ter der Anleitung des Künstlers<br />
Beys Afroyim zu malen. Bei dem Leh -<br />
rer und Künstler fand sie die nötige<br />
Aufmerksamkeit und es entwickelte<br />
sich eine besondere Freundschaft und<br />
Shoshana Afroyim<br />
mit Sohn Amos<br />
Schüler und StR<br />
Dr. Andreas<br />
Mailath-Pokorny<br />
in weiterer Folge heirateten sie 1945.<br />
im Zuge gemeinsamer Reisen portraitierte<br />
das Künstlerpaar namhafte<br />
Persönlichkeiten, vor allem in Los<br />
An geles lebende Emigranten, wie<br />
etwa Bruno Walter, Franz Werfel, Ar -<br />
nold Schönberg und Thomas mann<br />
und viele andere.<br />
Soshana entwickelte ihre Kunst in<br />
verschiedene Richtungen. Während<br />
ihr Frühwerk geprägt ist von klassischen,<br />
naturalistischen Darstellungen<br />
in Form von Landschaften und Por -<br />
traits, ist für ihr späteres Werk die Ab -<br />
straktion, geprägt von der chinesischen<br />
Kalligraphie, von wichtiger<br />
Bedeutung.<br />
Während ihrer Zeit in Paris schafft<br />
Soshana sich in der damaligen Kunst -<br />
me tropole <strong>als</strong> Künstlerin zu etablieren.<br />
Wie besonders diese von ihr erbrachte<br />
Leistung ist, formulierte die Kunst his -<br />
torikerin Ulli Sturm 2005 mit folgenden<br />
Worten: „Sich in einer männerdominierten<br />
Kunstwelt am Aufbruch in die<br />
Avantgarde einen Platz zu si chern, den<br />
be deutendsten Künstlerper sönlichkeiten<br />
(Picasso, Giacometti) und Kultur schaf -<br />
fenden der Zeit zu begegnen und auch noch<br />
in vielen persönlichen Künstler freund -<br />
schaf ten die Gelegenheit zur Weiterent -<br />
wicklung zu finden, war ein besonderer<br />
Verdienst Soshanas.“<br />
© media wien<br />
in der Tat lernte Soshana neben<br />
Picasso und Giacometti, nicht nur in<br />
Paris, viele bedeutende Persönlich -<br />
kei ten kennen. Kupka, Herbin, César,<br />
max Ernst, Jean Paul Sartre, Affandi,<br />
Albert Schweitzer, Adolph Gottlieb,<br />
mathias Goeritz und Joseph Hirsh -<br />
horn sind nur einige unter ihnen.<br />
neben Paris und new York war auch<br />
mexiko von wichtiger Bedeutung für<br />
die Künstlerin. Hier fühlte sie sich<br />
wohl und verbrachte vor allem in den<br />
60er Jahren viel Zeit in Cuernavaca.<br />
Als sie später im Rahmen eines in -<br />
terviews zu dem Land befragt wird,<br />
sagt sie: „Mexiko hat eine Eigenart, die<br />
den Menschen immer wieder zurückkehren<br />
lässt.“ ihre tiefe Beziehung zu diesem<br />
Land spiegelte sich auch in ihren<br />
Werken wieder.<br />
Soshanas hatte in der Tat ein vielfältiges,<br />
bewegtes und bewegendes Le ben.<br />
Sie widmete ihr Leben voll und ganz<br />
der Kunst und schuf sich ein internationales<br />
Ansehen <strong>als</strong> Wiener Künst -<br />
lerin, welches nun Österreich <strong>als</strong> ganzes<br />
zu Gute kommt. Österreich dankt<br />
es ihr durch die Übernahme ihres ge -<br />
samten schriftlichen Vorlasses (ma-<br />
nus kripte, Photos, Journale etc.) von<br />
der Österreichischen nationalbi blio -<br />
thek und das Land Wien dankt es ihr<br />
gebührend durch die Verleihung des<br />
Goldenen Verdienstzeichens.<br />
Die Website der Künstlerin, mit um -<br />
fassenden informationen zu ihrem<br />
Leben und Werk, ist unter http://<br />
www.soshana.com aufzurufen.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 47
Die wallende Lockenmähne, die<br />
man auf dem Titelbild der CD<br />
„mosaic“ sieht, ist gezähmt, das rotbraune<br />
Haar straff nach hinten ge -<br />
bunden. Weniger gezähmt ist die funkelnde<br />
Freude in den Augen der jungen<br />
Violinkünstlerin Orsolya Korcsolán:<br />
„Es war ein überwältigendes Erlebnis, in<br />
der renovierten Rumbach-Synagoge das<br />
Eröffnungskonzert des Jüdischen Som mer -<br />
festiv<strong>als</strong> Budapest spielen zu dürfen“, er -<br />
zählt die 32-Jährige noch ganz be seelt.<br />
Obwohl Korcsolán bereits zahlreiche<br />
Konzerte in Jerusalem, Sapporo, new<br />
York, Kuala Lumpur und mexiko<br />
City gegeben hat, bedeutet ihr das<br />
En gagement in ihrer Geburtsstadt<br />
beim diesjährigen jüdischen Kultur -<br />
fest etwas Besonderes. „Erstens wur de<br />
ich wegen meiner Einspielung jüdischer<br />
klassischer Musik eingeladen, und zweitens<br />
hat die Rumbach-Synagoge eine sentimentale<br />
Bedeutung für mich.“<br />
in der zwischen 1868 und 1872 von<br />
Otto Wagner im maurischen Stil er -<br />
bauten Synagoge, sind seit 1959 keine<br />
Gottesdienste mehr abgehalten worden.<br />
Das Gebäude war in der kommunistischen<br />
Zeit dem Verfall preisgegeben.<br />
Erst nach der Rückstellung<br />
an die jüdische Gemeinde von Buda -<br />
pest fand man vor kurzem investo ren,<br />
die das architektonische Juwel renovierten<br />
und es wieder in altem Glanz<br />
erstrahlen lassen. „Als ich Gergely, mei -<br />
nen Mann, im Gymnasium kennen lernte,<br />
gingen wir viel im jüdischen Viertel<br />
spazieren. Immer wieder standen wir vor<br />
den Eisengittern des Rumbach-Tempels<br />
und versuchten einen Blick ins Innere des<br />
Gebäudes zu werfen. Dam<strong>als</strong> hätte ich<br />
mir nie erträumt, dass ich da drinnen<br />
einmal auf meiner Geige spielen würde.“<br />
Doch auch das Lied, das zum motto<br />
des Festiv<strong>als</strong> gewählt wurde, und das<br />
Orsolya gleichsam <strong>als</strong> die Eröff -<br />
nungsfanfare spielte, hat große Tradi -<br />
tion: Szol a kakas már (Wenn der Hahn<br />
schon kräht) ist eine ungarisch-jüdische<br />
Weise, die der chassidische Rebbe<br />
von Kalov, Jitzhak isaak Taub, komponierte<br />
und die die Sehnsucht nach der<br />
Ankunft des messias zum Thema hat.<br />
„Das war wie eine heimliche Hymne in<br />
der Zeit, <strong>als</strong> das jüdisch-religiöse Leben<br />
weitgehend eingeschränkt war.“<br />
Entdecker und Förderer: Sir Georg Solti<br />
Die spezifisch jüdische note war aber<br />
bei Orsolyas Karriere nicht wirklich<br />
eingeplant. Sie erinnert sich zwar, dass<br />
KULTUR • INLAND<br />
sie schon <strong>als</strong> kleines mädchen zuhause<br />
viele jüdische melodien gehört<br />
hatte. „Meine Mutter musizierte auf der<br />
Violine, und mein Großvater spielte Cel lo<br />
und andere Instrumente. Aber das mach -<br />
ten sie großteils zu ihrem Vergnügen, ob -<br />
wohl mein Opa auch bei jüdischen<br />
Hochzeiten gerne aufspielte.“ Bei dieser<br />
musikalischen Vorbelastung ist es<br />
nicht überraschend, dass Orsolya<br />
bereits mit 12 Jahren an die Ferenc<br />
Liszt-musikakademie in Budapest<br />
aufgenommen wurde - in die Klasse<br />
für „außergewöhnliche Talente“. Das<br />
Studium bei berühmten ungarischen<br />
musikpädagogen absolvierte sie mit<br />
summa cum laude und erhielt dort ihr<br />
Master of Arts Diplom.<br />
Der große Einschnitt in ihrem künstlerischen<br />
Leben erfolgte mit 16 Jah -<br />
ren, <strong>als</strong> sie der weltberühmte ungarisch-jüdische<br />
Dirigent, Sir Georg<br />
Solti spielen hörte. „Das war 1993 im<br />
Rahmen des Schleswig-Holstein Musik<br />
Fes tiv<strong>als</strong>. Dort spielte ich das G-Moll-<br />
Violinkonzert von Wolfgang Amadeus<br />
Mozart und Sir Solti hat mich daraufhin<br />
eingeladen in seinem New Yorker Car ne -<br />
gie Hall Orchester zu spielen“, erinnert<br />
sich die junge Künstlerin in Dank -<br />
barkeit, denn damit war es noch nicht<br />
getan: „Er hat mir auch geraten, an die<br />
weltweit prestigeträchtigste Musikaka de -<br />
mie, die Juilliard School in New York,<br />
zur weiteren Ausbildung zu gehen.“<br />
Dort bekam Orsolya Korcsolán nicht<br />
nur die Gelegenheit noch <strong>als</strong> letzte<br />
Studentin von der legendären Päda -<br />
gogin Dorothy DeLay unterrichtet zu<br />
werden, sondern auch Größen wie<br />
Yitzhak Perlman und masao Kawa sa ki<br />
zählten zu ihren Lehrern. Als erste<br />
un garische Geigerin schloss sie ihre<br />
Ausbildung an der Juilliard School in<br />
new York mit dem Master of Music<br />
Degree im Violinfach ab. mit diesen<br />
Referenzen ausgestattet, erhielt die<br />
junge Künstlerin Engagements in der<br />
ganzen Welt, und ihre Auftritt führten<br />
sie bereits vor Jahren nach Österreich,<br />
England, Frankreich, Kanada, Japan,<br />
malaysia, mexiko und natürlich in<br />
die USA und nach Ungarn. Auch un -<br />
ter den Dirigenten fehlte kaum ein<br />
berühmter name: Korcsolán spielte<br />
sowohl mit ihrem Entdecker und För -<br />
derer Sir Georg Solti <strong>als</strong> auch mit<br />
Lorin maazel, Zubin mehta, André<br />
Previn, michael Tilson Thomas und<br />
Valery Gergiev.<br />
Jüdische Klassikfunde sogar in Kuala<br />
Lumpur<br />
Ungeachtet ihrer internationalen Auf -<br />
tritte mit großen Orchestern und im<br />
Bereich der Kammermusik mit traditionellem<br />
Klassik-Repertoire, entwikkelte<br />
Orsolya Korcsolán ein besonderes<br />
Faible für vergessene klassische<br />
Komponisten, die zum Großteil jü -<br />
disch waren.<br />
Wie konnte sich das im Ungarn der<br />
post kommunistischen Ära bei einer<br />
jungen musikerin entwickeln? „Es hat<br />
damit begonnen, dass ich meine Fähig kei -<br />
ten auch an der Klassik des 20. Jahr hun -<br />
dert erprobte, zum Beispiel an der Baal<br />
Shem Suite von Ernest Bloch, die dieser<br />
1923 zuerst für Violine und Klavier komponiert<br />
hatte. Ich fühlte mich dieser Mu -<br />
sik so nah, und die jüdischen Volksweisen<br />
schimmerten immer irgendwie durch.“<br />
Die intensive Befassung der interpretierenden<br />
Künstlerin mit verschütteten<br />
Kompositionen stammt aus den<br />
Jahren 1990 bis 1992.<br />
„Es gab viele niveauvolle Kantoren kon -<br />
zer te im Dohány Templom in Budapest,<br />
aber auch in ganz Ungarn. Ich wurde<br />
eingeladen, die Intermezzi zwischen den<br />
vokalen Auftritten zu spielen. Da habe<br />
ich begonnen, nach Noten diverser jüdischer<br />
Musiker zu suchen und diese auch<br />
zu sammeln.“ new York hatte auf die-<br />
48 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
KULTUR • INLAND<br />
Orsolya Korcsolán: Mit<br />
der Violine auf den Spuren<br />
klassischer jüdischer Musik<br />
VON MARTA S. HALPERT<br />
sem Gebiet viel zu bieten, zahlreiche<br />
jüdische Komponisten zwar aus mit -<br />
telosteuropa stammten, aber in den<br />
USA Karriere machten und auch dort<br />
starben.<br />
Zu diesen Künstlern zählten Abra ham<br />
Goldfaden (1840-1908), Julius Chajes<br />
(1910-1985), Josef Bonime (1891-1959)<br />
oder Lazare Saminsky (1882-1959).<br />
ihre Werke interpretiert Orsolya Kor -<br />
csolán auf ihrer neuen CD „mosaic“,<br />
wo auch Ernest Blochs Baal Shem<br />
Suite und viele andere Gustos -<br />
tückerln auf höchstem niveau zu<br />
hören und zu genießen sind.<br />
Und obwohl die eifrige Sammlerin in<br />
diversen new Yorker musikarchiven<br />
schon viele der gesuchten noten finden<br />
konnte, reichte das material noch<br />
nicht für die Produktion einer kompletten<br />
CD. Daher glaubte sie eine<br />
Pause bei der Suche nach verschollener<br />
musik einlegen zu müssen, <strong>als</strong> sie<br />
mit ihrem mann, dem Hornisten<br />
Gergely Sugar, die Einladung erhielt,<br />
in malaysia mit dem Philharmonic<br />
Orchestra von Kuala Lumpur zu mu -<br />
sizieren. Aus dem Gastspiel wurden<br />
sechs aufregende und erfüllte Jahre.<br />
„Wir haben dort einen großen Hunger<br />
nach klassischer Musik vorgefunden und<br />
sogar ein Kammerorchester gegründet,<br />
näm lich die Malaysian Philharmonic<br />
Chamber Players,“ lacht Orsolya.<br />
Gergely Sugar, der jetzt am Kon ser va -<br />
torium Wien auf der Abteilung für<br />
Blasinstrumente und Schlagwerk un -<br />
terrichtet und bei den Wiener Sym -<br />
pho nikern spielt, fungierte in Kuala<br />
Lumpur <strong>als</strong> Dirigent und musiker -<br />
zieher. „Wir haben nicht nur für die Ju -<br />
gend lichen musiziert, sondern ihnen Mu -<br />
sik von Mozart, Dvorak, Beethoven, und<br />
Haydn näher gebracht,“ erzählt Sugar.<br />
Aber das jüdische „mosaic“ Pro gramm<br />
von Orsolya ruhte nicht: So gar in Kua -<br />
la Lumpur stöberte sie nach mu sik no -<br />
ten und wurde fündig. „Wahr schein -<br />
lich waren das geflohene Musiker, die die<br />
Noten mitgenommen hatten, und hier<br />
wusste man nicht viel damit anzufangen.“<br />
Kaddisch für Georg Solti alias<br />
György Stern<br />
Zwei Jahre vor dem Aufenthalt in<br />
Kua la Lumpur hatte das musikerehe -<br />
paar schon in Wien gelebt, weil Ger -<br />
gely bei den Wiener Symphonikern ein<br />
Engagement hatte. „Unser Sohn Natan<br />
ist 2006 in Malaysia geboren, und ir gend -<br />
wie hat es uns dann wieder nach Eu ro pa<br />
zurückgezogen. Ich habe jetzt das Glück<br />
meine Musikrecherche hier weiterführen<br />
zu können, weil Gergely am Wie ner<br />
Konservatorium beschäftigt ist,“ freut<br />
sich die Violinkünstlerin, die be reits<br />
material für eine zweite CD mit jüdischem<br />
Schwerpunkt gesammelt hat.<br />
Obwohl Orsolya Korcsolán sich im mer<br />
wieder über interessante Angebote<br />
freut auch reguläres Konzertre per toi -<br />
re sowie anspruchsvolle Kammer mu -<br />
sik zu spielen, träumt sie trotzdem<br />
von zukünftigen Projekten: „Es interessiert<br />
mich sowohl die spanisch-jüdische<br />
Musik <strong>als</strong> auch die zeitgenössische. Am<br />
liebsten möchte ich jüdische Komponisten<br />
finden und diese zur Uraufführung bringen.“<br />
Einmal ist das schon gelungen:<br />
Der israelische Komponist Jonatan<br />
Keren, den sie aus der Zeit an der Juil -<br />
liard School in new York kennt, hat ein<br />
musikstück mit dem namen „Cracksando“<br />
für sie komponiert. Beim<br />
Jüdischen Sommerfestival in Budapest<br />
<strong>2009</strong> spielte Orsolya diese Komposi -<br />
tion zum ersten mal und dann in Wien<br />
am 15. <strong>September</strong> bei ihrem Konzert<br />
im Jüdischen museum.<br />
Doch was die jungen Frau mit der Vi o -<br />
line ganz selten auslässt, ist maurice<br />
Ravels „Kaddisch“, denn das war das<br />
musikstück mit dem sie ihren För de -<br />
rer Sir Ge org Sol ti begeis terte.<br />
Und in Erin ne -<br />
rung an sei ne<br />
wun der ba re Un -<br />
ter stüt zung wid -<br />
met sie es ihm<br />
je des mal von<br />
neu em.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 49
KULTUR • ISRAELISCHE AUTOREN<br />
ERZÄHLEN<br />
GEGEN DEN TOD<br />
David Grossmans großer neuer<br />
Roman „Eine Frau flieht vor einer<br />
Nachricht<br />
VON ANITA POLLAK<br />
© Olivier Fitoussi/Flash90<br />
„Zum Überbringen einer Botschaft<br />
braucht es immer zwei, einen, der sie<br />
überbringt, und einen, der sie entgegennimmt“.<br />
Wenn sie nicht da ist, nicht zu Hause,<br />
unterwegs ohne Handy, keine Zei -<br />
tung liest, kein Radio hört, nicht er -<br />
reichbar ist, kann auch die nachricht<br />
sie nicht erreichen. Die schreckliche<br />
nachricht, die alle bedroht, die in<br />
israel ein Kind bei der Armee haben.<br />
Ora, die mutter zweier Söhne, flieht<br />
vor dieser Hiobsbotschaft.<br />
David Grossman hat sie erreicht. Am<br />
12. August 2006. Da ist sein jüngerer<br />
Sohn Uri in den letzten Stunden des<br />
zweiten Libanon-Krieges in seinem<br />
Panzer tödlich getroffen worden,<br />
beim Versuch, die Besatzung eines an -<br />
deren getroffenen Panzers zu retten.<br />
mit Uri kamen alle Kameraden in seinem<br />
Panzer ums Leben. Das schreibt<br />
David Grossman im nachwort seines<br />
jüngsten Romans.<br />
Und der Leser kann nicht anders, <strong>als</strong><br />
diese Tragödie mitzudenken, mitzufühlen.<br />
Obwohl Grossman diesen Roman<br />
schon 2003 begonnen hatte, knapp be -<br />
vor sein älterer Sohn seinen militär -<br />
dienst beendete und sein jüngerer<br />
ein berufen wurde, wirft die Wirklich -<br />
keit ihren Schatten zurück auf dieses<br />
Buch. Und so ist es letztlich eine Art<br />
Kaddisch auf den getöteten Sohn<br />
geworden.<br />
Auch Ora hat zwei Söhne. Adam hat<br />
das militär bereits verlassen, Ofer ist<br />
dabei, abzurüsten. Ora hat ihm eine<br />
Wanderung durch Galiläa versprochen.<br />
nur sie beide, mutter und Sohn,<br />
ein bisschen auch, um nach den Jah -<br />
ren der Distanz die alte nähe wiederherzustellen.<br />
Die Rucksäcke sind<br />
schon gepackt. Da bricht der Liba -<br />
non krieg aus und Ofer meldet sich<br />
freiwillig zurück zu seiner Pan zer ein -<br />
heit. Ora bringt ihn zu seinem Ein -<br />
satzort, wie andere Eltern auch, in je -<br />
dem Auto sitzt ein junger mann, die<br />
Erstgeborenen gleichen Erst lings früch -<br />
ten, Frühlingskarneval mit men schen -<br />
opfern am Schluss.<br />
Und Ora hat zwei männer. Seit sie<br />
sech zehn ist. Da hat sie Avram und<br />
ilan kennen gelernt. Alle drei waren<br />
sie Patienten auf einer isolierstation,<br />
während draußen der Sechstage-Krieg<br />
tobte. Eine Lebensfreundschaft be -<br />
gann, eine Schicks<strong>als</strong>gemeinschaft,<br />
eine männerfreundschaft und eine<br />
Dreiecksbeziehung. Ora liebt beide<br />
und beide lieben Ora. Sie werfen ihre<br />
namen in einen Hut und lassen das<br />
Los entscheiden. Ora heiratet ilan,<br />
Av ram gerät im Jom Kippur-Krieg in<br />
ägyptische Gefangenschaft und kehrt<br />
verändert, schwer verwundet an Leib<br />
und Seele zurück.<br />
Von beiden männern hat Ora einen<br />
Sohn. ilan, Adams Vater, wird auch<br />
Ofer, Avrams Sohn, erziehen, denn<br />
Avram lehnt sein Kind ab. „Ilan hat<br />
gut auf dein Kind aufgepasst. Ilan war<br />
eine gute Wahl, für uns beide.“ Wird<br />
Ora ihm später erzählen.<br />
Denn all das erschließt sich erst nach<br />
und nach. Wie ein mosaik fügt Gross -<br />
man einen Teil an den anderen, lässt<br />
Stellen offen, kehrt zurück zu einem<br />
Er zählstrang, führt einen anderen<br />
parallel, ergänzt, vollendet da oder<br />
dort ein Stück und geht weiter. Schließ -<br />
lich ist der gesamte Roman eine<br />
Wanderung, ein Durchschreiten von<br />
Zeiten und Orten. Die Wanderung,<br />
die Ora mit ihrem Sohn geplant hat,<br />
wird zur Flucht, auf die sie auch Av -<br />
ram mitschleppt. ilan hat sie vor einigen<br />
monaten verlassen und trampt<br />
mit Adam durch Südamerika. Und<br />
während sie tagelang zu Fuß das Land<br />
durchstreifen - über Berge, durch<br />
Täler, Flussläufe und Wadis, vom See<br />
Genezareth, durchs Jesreel-Tal, sich<br />
Haifa und Jerusalem nähern, erzählt<br />
Ora ihrem Avram unendlich viel vom<br />
Leben seines unbekannten Sohnes.<br />
Damit er es weiß, damit er es erinnert,<br />
damit es nicht zu ende ist. in einer Art<br />
magischem Denken glaubt sie da durch<br />
die Lebensgefahr zu bannen, in der<br />
sich ihr Sohn befindet.<br />
Dem magischen Denken, Gefahren<br />
durch Worte, durch Erzählen, durch<br />
Schreiben abwenden zu können, verdanken<br />
wir letztlich auch diesen<br />
Roman. ich hatte dam<strong>als</strong> das Gefühl –<br />
oder genauer gesagt, die Hoffnung -,<br />
dass das Buch, das ich schreibe, ihn<br />
(seinen Sohn) schützen wird. Bekennt<br />
Grossman in seinem nachwort.<br />
in Oras Rückblenden auf die eigene<br />
Jugend, die Kindheit ihrer Söhne, ihr<br />
Familienleben und ihren Alltag entsteht<br />
ein Porträt israels und seiner<br />
Gesellschaft in den letzten Jahr -<br />
zehnten. Die Geschichte einer Liebe,<br />
einer Familie und eines Landes durchdringen<br />
einander, bedingen einander,<br />
wie das eben in israel und nur in is -<br />
rael der Fall ist, wo die Bedrohung<br />
all gegenwärtig ist<br />
„Gibt es noch Israel?“, fragen sich die<br />
jungen Leute auf der isolierstation<br />
wäh rend des Sechstage-Krieges, fragt<br />
sich Avram nach der Rückkehr aus<br />
den ägyptischen Folterkammern.<br />
Klingt ja ganz schön, mit Herzl zu<br />
sagen: „Wenn ihr wollt, ist es kein Mär -<br />
chen“, aber was, wenn einer nicht<br />
mehr will. Oder wenn einer zum Wol -<br />
len keine Kraft mehr hat? Wenn einer<br />
nicht länger kein märchen sein will.<br />
(…) in solchen momenten denke ich<br />
immer, sagt Ora, das ist mein Land,<br />
und ich kann wirklich nirgendwo an -<br />
ders hin. (…) Aber im selben mo -<br />
ment weiß ich auch, dass das Land im<br />
Grunde keine Chance hat, wirklich<br />
keine Chance. Vielleicht ist es auch<br />
eine Art magisches Denken, dem wir<br />
die schönsten Beschreibungen die ses<br />
umkämpften Stückchen Erde verdanken.<br />
Die Farben und Düfte der zahllosen<br />
Blumen und Blüten, der Bäume<br />
und Früchte, eine idylle, die Gross -<br />
man nicht müde wird vor uns auszubreiten,<br />
damit wir sie kennen und lie-<br />
50 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
KULTUR • INLAND<br />
ben lernen, damit wir sie erinnern?<br />
Und er porträtiert die menschen dieses<br />
Landes, stellt die Frage nach ihren<br />
Sehnsüchten und ihren Fehlern, be -<br />
schreibt ihre Lebensläufe. Wir hatten<br />
zwanzig gute Jahre; das ist in unserem<br />
Land schon fast eine Frechheit,<br />
oder?<br />
Doch auch Grossman, der Friedens -<br />
ak tivist, versteckt sich nicht zwischen<br />
den Zeilen. Sein politisches Credo,<br />
für das er auch auf die Straße geht –<br />
eine Woche vor dem Tod seines Soh -<br />
nes demonstrierte er für ein Ende des<br />
Libanonkrieges - wird immer wieder<br />
spürbar, nicht zuletzt im Verständnis<br />
für die arabische Perspektive und das<br />
moralische Dilemma, das sich aus<br />
ebendiesem Verständnis ergibt.<br />
Sich eindenken, sich einfühlen können<br />
in Andere, das gehört zu Grossmans<br />
größten künstlerischen Qualitäten.<br />
So ist letztlich der ganze Roman aus<br />
der weiblichen Sicht erzählt, eine in -<br />
nenschau und eine Schau aus dem<br />
inne-ren einer Frau, die bis in die<br />
intimsten, erotischen Details überzeugen.<br />
Ora, die Geliebte, die Ehe frau,<br />
die Leidenschaftliche und Ver zwei -<br />
felte, sie ist ein sehr weibliches, sehr<br />
sinnliches Wesen. Und sie ist eine<br />
mutter, deren Angst um ihren Sohn,<br />
deren Panik vor einer nachricht, die<br />
kein mensch je vernehmen will,<br />
schmerzlich nachvollziehbar wird.<br />
Ob er diesen breit angelegten Roman,<br />
der seinen Sohn hätte schützen sollen,<br />
je würde vollenden können, daran<br />
hatte David Grossman Zweifel. „Ich<br />
bin mir nicht sicher, ob ich das Buch retten<br />
kann“, habe er zu seinem Freund<br />
Amos Oz, der ihn in der Trauerwoche<br />
besuchte, gesagt, erzählt er in einem<br />
„ZEiT“- interview. Oz antwortete:<br />
„Das Buch wird dich retten“.<br />
David Grossman:<br />
„Eine Frau flieht vor einer Nachricht“<br />
Aus dem Hebr. von Anne Birkenhauer<br />
Hanser Verlag,<br />
ZUM AUTOR - Der 1954 <strong>als</strong> Sohn eines Bus-Chauf -<br />
feurs in Jerusalem geborene David Grossman zählt mit<br />
seinen Romanen, Kinderbüchern und Essays zur Auto -<br />
ren-Elite Israels. Er studierte in Jerusa lem und arbeitete<br />
<strong>als</strong> Korrespondent und Moderator beim Sender Kol<br />
Israel. Dort war er jahrelang für eine Kindersendung<br />
verantwortlich und schrieb auch Hörspiele.<br />
Grossman gilt <strong>als</strong> linksgerichteter Friedensaktivist und<br />
hat sich in vielen Schriften und Reden kritisch zur<br />
Politik Israels geäußert. Zu seinen bekanntesten Wer -<br />
ken zählen „Stichwort Liebe“, „Der Kindheitse r fin -<br />
der“, „Das Gedächtnis der Haut“ und „Diesen Krieg<br />
kann keiner gewinnen“. Grossman ist verheiratet, Vater<br />
dreier Kinder und lebt in einem Vorort von Jerusalem.<br />
Partisanen der Erinnerung<br />
oder diplomatische Pendelmissionen<br />
Zum Ende des europäischen Erinnerungsprojektes JETE <strong>2009</strong><br />
Diplomaten und Partisanen haben<br />
eines gemeinsam, beide erreichen ihr<br />
Ziel nicht unbedingt auf dem direkten<br />
Weg. Die Unterschiede sind nicht<br />
nur in der Einstellung zur Ge walt<br />
festzumachen, sondern auch in der De -<br />
finition von Erfolgen. Die einen arbeiten<br />
im Hintergrund und dürfen ihre<br />
Siege oft nicht feiern, die anderen le -<br />
ben von kurzfristigen Siegen, weil die<br />
langfristigen meist unerreichbar sind.<br />
Erinnerungsarbeit an die Shoa, an die<br />
Verbrechen des nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
hat die möglichkeit, im Pendelschlag<br />
zwischen Partisanen und Diplomaten<br />
Ta ge der Erinnerung einläuten zu lassen.<br />
Partisanen der Erinnerung. Das lässt<br />
aufmerken und diese Feststellung<br />
scheint aus einem anderen Land zu<br />
kommen. Sicherlich ist dies ein Tribut<br />
an den letzten Ort des europäischen<br />
Erinnerungsprojektes JETE Jüdische<br />
Bildungstraditionen in Europa, das<br />
nach drei Jahren mit einem Partner -<br />
treffen in Auvillar in Südfrankreich<br />
zu Ende gegangen ist. Und Frank -<br />
reich ist unbestritten das Land der<br />
Restistance und der genius loci ist<br />
vielleicht anregend, ansteckend, doch<br />
anders <strong>als</strong> auf den ersten Blick angenommen<br />
werden könnte.<br />
Wie kämpfen Partisanen? Sie arbeiten<br />
im Untergrund, sie schlagen überraschend<br />
zu, sie haben angesichts ihrer<br />
Schwäche einen Hang zu spektakulären<br />
Aktionen, die ihre zahlenmäßige<br />
Schwäche vergessen lassen. Wer heu -<br />
te noch von Partisanen spricht, der<br />
zeigt seine verganenheitsverliebten<br />
Wurzeln, fühlt sich auf der richtigen<br />
Seite der Geschichte, <strong>als</strong>o <strong>als</strong> minder -<br />
heit, denn für die mehrheit dam<strong>als</strong><br />
und wohl auch heute, waren Partisa -<br />
nen schon immer Verbrecher, denn<br />
die mehrheit stand unter Uniform.<br />
Für den einen Teil sind die Partisanen<br />
mit der Gloriole der Vergangenheit<br />
geadelt, doch nur mehr ganz Un ver -<br />
besserliche glauben, dass die Rettung<br />
der Welt in bolivianischen Urwäldern<br />
verraten worden sei, guter alter Che<br />
hilf uns nicht nachdenken lassen zu<br />
müssen. Partisanenkampf firmiert<br />
VON ROBERT STREIBEL<br />
heu te unter Terrorismus und damit<br />
ist kein Staat zu machen, so ändern<br />
sich die Zeiten. Erinnerungsarbeit hat<br />
in vielen Teilen Europas noch immer<br />
mit Auseinandersetzungen zu tun,<br />
Kampf wäre vielleicht übertrieben,<br />
aber die zahlenmäßige Schwäche und<br />
das Agieren in einer feindlichen Um -<br />
ge bung erinnern an den Partisanen -<br />
kampf. natürlich gibt es in einer Um -<br />
gebung, die den Anliegen ablehnend,<br />
abwartend und gleichgültig gegenübersteht<br />
auch Sympatisanten und<br />
Unterstützer, das Licht der Öffentlichkeit<br />
müssen sie jedoch meist scheuen.<br />
Patisanen sind in ländlichen Gebieten<br />
und mit dieser geographischen Fixie -<br />
rung ist ein weiterer Berührungs -<br />
punkt mit Erinnerungsarbeit gefunden,<br />
wenn es auch weiße Flecken in<br />
städtischen Gebieten gibt, auf dem<br />
Land, in der Provinz kann die Aus ein -<br />
andersetzung zuweilen bittere Züge<br />
annehmen, wenn sie überhaupt ge -<br />
führt wird. Partisanen gewinnen kei -<br />
ne Kriege und haben nicht die Wahl<br />
der mittel, Erinnerungs arbeiter innen<br />
haben diese Wahl und da heute zum<br />
überwiegenden Teil dem Lager der<br />
Pa zifisten zuzuordnen sind, auch<br />
wenn Hitler durch ebensolche nicht<br />
besiegt hätte werden können, soll die<br />
zweite notwendige Existenz form<br />
beschrieben werden. Wenn schon<br />
nicht Partisanenkampf, dann doch<br />
diplomatische Pendelmission. Wie<br />
man/frau es auch dreht, wenn die<br />
Pendeluhr der Aufmerksamkeit<br />
schlägt und wer hellhörig ist, muss<br />
ein gestehen, Erinnerung ist keine<br />
Selbstverständlichkeit wie der Tages -<br />
an bruch. Damit Erinnerung auf dem<br />
Plan kommender Tage erscheint,<br />
braucht es Fingerspützengefühlt. Es<br />
ist keine leichte Sache. Und ohne Um -<br />
wege ist das Ziel oft nicht zu erreichen.<br />
Auvillar ist der Ort, von dem Adele<br />
Kurzweil und ihre Familie aus Graz<br />
geflohen, 1942 deportiert wurden<br />
und wo 1990 die gepackten Koffer ge -<br />
funden wurden. Ein geschichts träch -<br />
tiger Ort und der Zufall des Ver kaufs<br />
des Bürgermeisteramtes hatte die<br />
Koffer zweier jüdischer Familien in<br />
die Erinnerung des Ortes zu rück ge -<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 51
KULTUR • LITERATUR<br />
bracht. Die Aktivitäten rund um die<br />
Öffnung des Koffers, das Projekt mit<br />
der ehemaligen Schule von Adele in<br />
montauban, mit einer Ausstellung und<br />
einer Kooperation mit einer Grazer<br />
Schule trügen vielleicht. Das Vor -<br />
schnel le: Es wird doch erinnert, alles<br />
in Ordnung, muss mit der Realität des<br />
Jahres <strong>2009</strong> konfrontiert und so schnell<br />
revidiert werden. Adele ist präsent in<br />
Auvillar, eine Ausstellung von marlis<br />
Glaser „Und Abraham pflanzte einen<br />
Tmarisken baum”, ein Jugendbuch,<br />
das soeben in Deutsch erschienen ist.<br />
Warum sollten dies Beispiele für eine<br />
kritische Sicht sein?<br />
Die Präsenz des Themas täuscht nur<br />
scheinbar Selbstverständlichkeit vor,<br />
denn der Grund dafür sind die Akti -<br />
vitäten von Gerhard und marie Jo<br />
Schneider, die das betreiben und im<br />
Rahmen des Pro jek tes JETE, der lokalen<br />
Erinnerungs kultur in ihrem Ort in<br />
Südfrankreich neue impulse gegeben<br />
haben. Die Präsenz von Adele darf<br />
jedoch keineswegs täuschen. Sie ist<br />
keine Selbstverständlichkeit auch im<br />
Jahr <strong>2009</strong> nicht. Denn wer fragt, wo<br />
die Koffer von Adele Kurzweil heute<br />
sind, nachdem sie geöffnet und vorbildhaft<br />
ausgewertet vom Historiker<br />
Pascal wurden, der wird sich wundern<br />
zu hören, dass sie sicher auf Dach -<br />
boden in einem Privathaus la gern,<br />
weil sie dort sicher sind. nachdem sich<br />
die politischen mehrheitsver hältnisse<br />
in montaubaun verändert haben, ist<br />
von einem Raum für die de portierte<br />
Fa milie Kurzweil keine Rede mehr.<br />
Und der Historiker Pascal hat es auch<br />
nicht unbedingt leicht. Die Koffer<br />
wurden gefunden, um versteckt zu<br />
wer den.<br />
Das Land der Resistance hat sich mit<br />
dem Eingeständnis der Kollaboration<br />
reichlich schwer getan, bis heute.<br />
Aber es sind doch nun schon mehr <strong>als</strong><br />
60 Jahre nach dem Kriegsende vergangen<br />
und jetzt sollten wir doch Zeit<br />
für die aktuellen Verbrechen finden.<br />
Alleine viele der “alten” Verbrechen<br />
sind bis heute nicht geklärt und wenn<br />
sie geklärt sind, gibt es auch noch<br />
einen Unterschied zwischen der His -<br />
torie, den veröffentlichten Studien<br />
von Historikerinnen und der öffentlichen<br />
meinung und ist da ist dann<br />
noch das Leben in einer Kleinstadt<br />
wie auch Auvillar. Entweder Partisan<br />
oder diplomatische Pendelmission.<br />
Und Partisanen leben nicht wohlgelitten<br />
in Dörfern, <strong>als</strong>o Diplomatie der<br />
kleinen Schritte auch nach 60 Jahren.<br />
meine Frage, warum nicht am Ort des<br />
Geschehens, die Koffer gezeigt würden<br />
entlockt allen, denen ich diese<br />
Frage gestellt habe ein ungläubiges<br />
La chen, das sei ne unversiegbare<br />
Quel le im Unvor stellbaren hat. Un -<br />
denkbar. Auch wenn dies auch <strong>als</strong><br />
touristischer Anreiz gesehen werden<br />
könnte. Doch an Pilgern auf dem<br />
Jakobsweg ist kein mangel und was<br />
will man mehr. Auch die Lehrerin<br />
Lagrande, die mit ihren Schülerinnen<br />
die Geschichte von Adele Kurzweil<br />
aufgearbeitet hat, erinnert nicht an<br />
jemanden, der sich im Widerstand be -<br />
findet. Selbst für die Geschichte jener<br />
Französinnen und Franzosen, die<br />
Jüdinnen und Juden gerettet haben,<br />
ist jetzt erst, in den letzten zehn<br />
Jahren der Tag der Offenbarung angebrochen.<br />
Adele hat den Anstoß gegeben.<br />
Soviel wird über die Deportier -<br />
ten gesprochen, wobei es doch viele<br />
gegeben hat, die geholfen haben. Von<br />
einer historischen Weißwaschung ist<br />
Frau La grande weit entfernt, verwunderlich<br />
muss es doch erscheinen, wa -<br />
rum selbst die positiven Geschich ten<br />
bis heute nicht aufgearbeitet und<br />
nicht im Alltagsgedächtnis verankert<br />
sind. ist vielleicht auch mit geretteten<br />
Ju den kein Staat zu machen in Süd -<br />
frank reich des Jahres <strong>2009</strong>? nicht nur<br />
die Geschichte der Kollaboration,<br />
sondern auch jene des Widerstandes<br />
ist offenbar noch immer noch nicht<br />
lük kenlos geschrieben und wird nur<br />
dem Vergessen entrissen, wenn es<br />
Aktivis tin nen gibt, die eine mischung<br />
aus Partisan und Diplomat sind.<br />
Für die Lehrerinnen und Erwach se -<br />
nenbildnerinnen aus dem kleinen<br />
litauischen Ort Telsiai war das Projekt<br />
JETE ein Beginnen bei null. Während<br />
Projektepartnerinnen aus Polen, in sti -<br />
tut for Tolerance (Lodz), aus Österreich,<br />
Volkshochschule Hietzing (Wien)<br />
oder die Gesellschaft für Kunst und<br />
Heiterkeit über eine lange Tradition<br />
von Erinnerungsarbeit verfügen und<br />
diese in vielfältigen Pro jekten mitgestaltet<br />
haben, meint Ausra Vilkaite sie<br />
hätten so gut wie nichts über die Ge -<br />
schichte der Juden ihres Or tes ge wusst.<br />
Unglaublich wenn man weiß, dass die<br />
Geschichte der Juden in Telsiai bereits<br />
auf das 17. Jahrhundert zurückgeht<br />
und am Be ginn des 18. Jahrhunderts<br />
Juden die mehrheit im Ort stellten.<br />
Die Jeschiwa von Telsiai besaß Welt -<br />
ruf, im Jahr 1937 studierten dort Rab -<br />
biner aus Ame ri ka, England, Deutsch -<br />
land und Frank reich. Jeden Sommer<br />
ist Telsiai bis heute ein Pilgerort für<br />
Rabbiner aus vielen Ländern. Be -<br />
stärkt durch das Projekt hat sich die<br />
Gruppe rund um Ausra vorgenommen,<br />
aktive Erinne rungs arbeit zu leisten.<br />
im Rat haus von Auvillar in Frank -<br />
reich präsentieren sie das Ergebnis<br />
ihrer drei Jahre. Ein kleiner Folder<br />
liegt auf den Plätzen vor den Teil -<br />
nehmerinnen, ein Folder, eine erste<br />
Geschichte der jüdischen Gemeinde,<br />
eine Topographie jüdischer Gelehr -<br />
sam keit. “Where the Je wish Culture<br />
flourished” Für einen Tag haben sie die<br />
Jeschiwa wieder ge öffnet, haben die<br />
Geschichte des Hau ses und die Er -<br />
gebnisse ihrer Reisen im Rahmen des<br />
EU Projektes JETE prä sentiert und<br />
Steine mit jüdischen Sym bolen be -<br />
malt. Für Telsiai war es das erste mal,<br />
dass sich Bewoh ner in nen mit der jü -<br />
dischen Geschichte auseinandergesetzt<br />
haben. „Leider wa ren bei der Er öff -<br />
nung unserer Aus stel lungen keine Po li -<br />
tiker des Ortes an we send”, umreißt sie<br />
die Situation diplomatisch. Dass es<br />
jedoch keine Quer schüsse ge geben<br />
hat, dass ist doch schon ein halber Sieg<br />
und immerhin rund 50 Per sonen sind<br />
gekommen, mehrheitlich Frauen. na -<br />
türlich wollen sie weitermachen. Die<br />
Gemeinde, die im Besitz des desolaten<br />
Gebäudes der Jeschiwa ist, soll<br />
überzeugt werden dies in ein Kultur -<br />
zentrum umzuwandeln.<br />
Partisanen der Erinnerung sind Ein -<br />
zel kämpferinnen, die sich wenn die<br />
Umstände günstig sind, vielleicht zu<br />
kleineren Verbänden zusammenschließen<br />
und ihre größten Erfolge<br />
erreichen sie dann, wenn sie mit di -<br />
plomatischen Geschick Bildungs- und<br />
informationsnngebote machen, Erin -<br />
nerung an die Shoa mehrheitsfä hig zu<br />
machen, dass sie nicht nur toleriert,<br />
sondern <strong>als</strong> notwendiger Bestandteil<br />
des alltäglichen Lebens er lebt werden<br />
kann, ist ein hohes Ziel. Dies er fordert<br />
langfristiges Planen und einen langen<br />
Atem und dass die ses Ziel nicht erreicht,<br />
sondern immer wieder neu er -<br />
rungen werden muss, ist wohl der<br />
ein deutige Hinweis da für, dass dies<br />
dann möglich ist, wenn Diplo matie im<br />
Spiel ist und erst dann wenn durch<br />
Diplomatie die Erinne rung an die<br />
Opfer der Shoa so allgemein ge halten<br />
wird, dass plötzlich alle Opfer der<br />
Gewalt werden ohne die näheren<br />
Umstände zu definieren, dann sind<br />
na delstiche und Partisa nen kurzfris -<br />
tig von nöten bis ein neuer diplomatischer<br />
Anlauf genommen werden muss.<br />
52 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
KULTUR • LITERATUR<br />
©Konrad Holzer<br />
Als mitten in der hochsommerlichen<br />
Augusthitze „Die Stadt“ erscheint,<br />
sitzt Gerhard Roth am Land. idy l li -<br />
scher <strong>als</strong> sein Wohnsitz in einem al ten<br />
Bauernhaus am Hügel, wo der Blick<br />
frei über Weinberge und Kürbisfelder<br />
der Südsteiermark schweift, kann<br />
Landleben kaum sein. Da, bei einem<br />
Glas Wein oder zwei, redet er gern über<br />
die Abgründe von Wien. Es ist ein<br />
dunkles, ein abseitiges, ein vielfach<br />
verdrängtes Wien, das Roth da in fast<br />
obsessiver jahrelanger Recher che ar beit<br />
ans Tageslicht bzw. in literarische<br />
Form gebracht hat.<br />
Ein vielfach Vielseitiger ist Gerhard<br />
Roth. Als gebürtiger Grazer hat er eine<br />
offene, steirische Sommersonnensei te,<br />
<strong>als</strong> zugewanderter Wiener eine kühlere,<br />
hintergründige Winterseite.<br />
„Der Fremde sieht mehr <strong>als</strong> der Ein hei -<br />
mische. Ich schätze Wien, aber es kann<br />
mir nicht den Nussbaum und den Jung -<br />
brunnen des Landlebens bieten“, sagt<br />
der braungebrannte 67-Jährige unter<br />
besagtem nussbaum.<br />
Vor zwanzig Jahren ist sein Essay band<br />
„Eine Reise in das Innere von Wien“<br />
erschienen. Die literarische Ernte seiner<br />
weiteren Vorstöße in die bizarren<br />
urbanen Eingeweide liegt jetzt in<br />
„Die Stadt“ vor. An scheinbar harmlosen<br />
Orten wie dem naturhistori -<br />
schen- oder dem Uhrenmuseum, der<br />
nationalbibliothek oder dem Ge richts -<br />
medizinischen museum entdeckt der<br />
fanatische Rechercheur das Verbor ge -<br />
ne, das Verräumte, das Verdrängte<br />
einer Vergangenheit, über die man<br />
hier zulande nicht ungefragt spricht.<br />
„VERSTECKTE<br />
SPUREN DES<br />
RASSENWAHNS“<br />
Ein Gespräch mit dem<br />
Schriftsteller Gerhard Roth<br />
über seinen neuen Essayband<br />
„Die Stadt“.<br />
VON ANITA POLLAK<br />
„Im Naturhistorischen Museum sind die<br />
Spuren des Rassenwahns in Gipskam mern<br />
versteckt, man weiß, es ist historisches<br />
Material, aber es schlummert. Und was ist<br />
z.B. in den Jahren 1938-1945 im Uh ren -<br />
museum geschehen? Ich versuche auch<br />
an Hand von Gebäuden Geisteshaltun gen<br />
zu ermitteln. Warum schaut ein Gebäude<br />
so aus, welche Spuren sind vorhanden und<br />
welche sind getilgt. Man hat ja auch versucht,<br />
nachträglich Idyllen zu schaffen“.<br />
Die Beschäftigung mit dem natio nal -<br />
so zialismus ist eines der Lebensthe -<br />
men Roths. immer wieder umkreist<br />
er es, ergründet es - biografisch und<br />
literarisch, <strong>als</strong> Kommentator, Essa yist,<br />
Homo politicus und Schriftsteller.<br />
„Der Nation<strong>als</strong>ozialismus, der Holocaust<br />
und seine Wurzeln haben mich subjektiv<br />
so beschäftigt, dass ich davon nicht losgekommen<br />
bin. Mit den Mitteln des Schrift -<br />
stellers richte ich den Blick auf Opfer und<br />
Vergessene. Was immer wieder neu ist, ist<br />
die Tragödie des Einzelnen. Die Frage, was<br />
hat jemand, der jüdische oder kommunistische<br />
Eltern hatte, in dem Regime ge -<br />
macht. Man kann das in einem Lehrbuch<br />
nicht so darstellen, wie in einem künstlerischen<br />
Werk.“<br />
ins Blindeninstitut und ins Bundes-<br />
Gehörloseninstitut hat Roth die Frage<br />
des Außenseitertums getrieben. „Im<br />
Nation<strong>als</strong>ozialismus wurde ja alles Außen -<br />
seitertum ausradiert. Die Normopathen<br />
wollten unter sich sein. Diese Fixierung<br />
auf die Normalität hat ja auch etwas<br />
Pathologisches. Im Holocaust wurden<br />
diese Außenseiter, die in den Augen der<br />
Nation<strong>als</strong>ozialisten biologisch nicht vollwertig<br />
waren, zum Teil unfruchtbar ge -<br />
macht oder es ist noch mörderischer zugegangen.<br />
Mich hat aber <strong>als</strong> Schriftsteller<br />
darüber hinaus auch die Metasprache in -<br />
teressiert, Gebärdensprache und Braille-<br />
Schrift.“<br />
im Epilog des Bandes lässt sich Roth<br />
die Geschichte des alten jüdischen<br />
Friedhofs, dem Tor 1 am Wiener Zen -<br />
tral friedhof, von Herrn Westermayr<br />
erzählen, einem Pensionisten, der vor<br />
einigen Jahren einen Verein für Fried -<br />
hofskunde und Persönlichkeitsforschung<br />
gegründet hat. Also ein idealer<br />
Gesprächspartner für den leidenschaftlichen<br />
Vergangenheitsforscher<br />
Roth. Beim Spaziergang zwischen<br />
den Gräbern von jüdischen Künstlern<br />
wie Schnitzler und Goldmark berichtet<br />
Herr Westermayer von Grab- und Lei -<br />
chenschändungen, von Schädel samm -<br />
lungen und vom mikrokosmos des<br />
Friedhofs, „ein Totenbuch, in dem wir le -<br />
sen können, solange es noch eine Zeit gibt“.<br />
Ein bisschen was von einem Toten buch<br />
hat auch Roths literarischer Reise füh -<br />
rer durch das abgründige Wien. Eine<br />
mystery-Tour durch einen „Orkus“.<br />
So heißt schließlich auch sein Zyklus,<br />
der mit Band Sieben, „Die Stadt“, nun<br />
fast geschlossen ist. Aber eben nur<br />
fast. Denn bei Gerhard Roth wohnt<br />
jedem Ende schon wieder ein Anfang<br />
inne. Unterm nussbaum reift bereits,<br />
quasi <strong>als</strong> nachtrag, nummer Sechs he -<br />
ran. Eine normale, chronologi sche<br />
Zahlenfolge, das wäre ja wohl was<br />
für „normopathen“.<br />
Gerhard Roth: „Die Stadt“.<br />
Entdeckungen im Inneren von Wien.<br />
S. Fischer Verlag<br />
Zur Person - 1942 <strong>als</strong> Sohn eines Arztes in Graz ge -<br />
bo ren, studierte Gerhard Roth anfänglich Medizin und<br />
arbeitete dann in einem Re chen zentrum, bevor er 1976<br />
freier Schriftsteller wurde. Sein Hauptwerk, der Ro -<br />
manzyklus „Die Archive des Schweigens“, kreist um<br />
die Aufarbeitung der österreichischen Vergangen heit<br />
in der politischen und gesellschaftlichen Gegen wart.<br />
Sein Kriminalroman „Der See“, in dem sein Protago -<br />
nist bei einem Attentat auf eine Figur scheitert, in der<br />
un schwer Jörg Haider zu erkennen war, hatte 1995<br />
ein politischen Skandal ausgelöst.<br />
Seine eigene nation<strong>als</strong>ozialistisch belastete Familien -<br />
ge schichte thematisierte Roth in seinem autobiographischen<br />
Band „Das Alphabet der Zeit“. Roths Werk<br />
- Romane, Erzählungen und Essays - beruht auf peniblen<br />
Recherchen, wobei er seine schriftlichen Notizen<br />
fotografisch unterstützt. Sein Fotoband „Im unsichtbaren<br />
Wien“, quasi die Illustration zum jüngsten Band<br />
„Die Stadt“, soll im Jänner im Brandstätter-Verlag<br />
erscheinen. Gerhard Roth lebt mit seiner Frau Senta<br />
in Wien und in der Südsteiermark. Der Filmregisseur<br />
Thomas Roth ist sein Sohn.<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 53
JUDENTUM<br />
Tischri 5770<br />
(19. <strong>September</strong> - 18. Oktober <strong>2009</strong>)<br />
Historische Ereignisse & wichtige Tage<br />
Bitte beachten, dass alle jüdischen Tage mit dem<br />
Sonnenuntergang des Vortages beginnen!<br />
1. Tischri (19. <strong>September</strong>)<br />
• 1. Tag Rosch HaSchono (Rosch Ha Scha nah/<br />
Neujahrsfest)<br />
• Erschaffung der ersten Menschen, Odom<br />
und Chawa (Adam und Eva), und die Story<br />
mit dem Apfel vor 5770 Jahren<br />
• Akejdas Jitzchok (Darbringung Isaaks, des<br />
Sohnes Abrahams, <strong>als</strong> Opfer) vor 3686<br />
Jahren<br />
• Jahrzeit von Sarah Imenu, ebenfalls vor<br />
3686 Jahren<br />
2. Tischri (20. <strong>September</strong>)<br />
• 2. Tag Rosch HaSchono (Neu jahrs fest)<br />
3. Tischri (21. <strong>September</strong>)<br />
• Zom Gedalja, ein Tanis Zibur (allgemeiner<br />
Fasttag) in der Erinne rung an die Ermor -<br />
dung von Gedalja<br />
4. Tischri (22. <strong>September</strong>)<br />
• Jahrzeit von Rabbiner Seckel Löb Mat tes<br />
Wormser, der Baal Schem von Michel stadt,<br />
vor 162 Jahren<br />
5. Tischri (23. <strong>September</strong>)<br />
• Jahrzeit von Rabbi Akiva, vor 1875 Jahren<br />
8. Tischri (26. <strong>September</strong>)<br />
• Einweihung des Ersten Beis HaMik dosch, des<br />
Salomonischen Tempels in Jeru sa lem vor<br />
2835 Jahren<br />
10. Tischri (28. <strong>September</strong>)<br />
• Jom HaKippurim (Versöhnungstag)<br />
• Vor 3322 Jahren brachte Mosche Rabbenu<br />
die zweiten Steintafeln mit den 10 Ge bo -<br />
ten vom Berg Sinai, nachdem er die ers ten<br />
zerbrochen hatte, und Haschem ver gab<br />
an diesem Versöhnungstag (Jom Kip pur)<br />
Benei Jisroel für das Goldene Kalb.<br />
• 10. Tischri 5734 (6.10.1973) Ausbruch<br />
Jom Kippur-Krieg<br />
13. Tischri<br />
• Jahrzeit von Rabbiner Akiva Eger,<br />
vor 172 Jah ren<br />
15. bis 21. Tischri (3. bis 9. Oktober)<br />
• Sukkos (Laubhüttenfest)<br />
22. Tischri (10. Oktober)<br />
• Schemini Atzeres (8. Tag der Ver samm lung)<br />
23. Tischri (11. Oktober)<br />
• Simchas Torah (Fest der Torah Freude)<br />
25. Tischri (13. Oktober)<br />
• Jahrzeit des chassidischen Rebbes R’ Lewi<br />
Jitzchok Berditchew, vor 199 Jahren<br />
• Jahrzeit von Morenu v’Rabbenu Mo sche<br />
So fer aus Frankfurt a. M., genannt der<br />
„Chas sam Sofer”, vor 170 Jahren<br />
29. Tischri (17. Oktober)<br />
• Jahrzeit von Rabbiner Don Jitzchok<br />
Abravanel, vor 501 Jahren<br />
Tischri ist der 1. Monat nach dem „bürger li chen“<br />
jüdischen Kalender und der 7. Monat nach dem<br />
„religiösen“ Kalender. Der Monat Tischri ist im -<br />
mer ein voller Monat, d.h. er dauert 30 Tage.<br />
Schailos &<br />
Tschuwos<br />
ausgewählte halachische<br />
Fragen, beantwortet<br />
von Gemeinderabbiner<br />
Schlomo Hofmeister<br />
AskTheRabbi@ikg-wien.at<br />
FRAGE: „Wenn ich 6 Stunden nachdem<br />
ich Fleisch gegessen habe, noch Fleisch -<br />
reste zwischen den Zähnen finde, muss ich<br />
dann noch einmal von vorne anfangen 6<br />
Stunden zu warten, oder darf ich schon<br />
milchig essen?”<br />
hintergrund: nachdem wir Spei -<br />
sen gegessen haben, die Geflügel<br />
oder Fleisch beinhalten, warten<br />
wir eine bestimmte Zeit, bevor<br />
wir milch oder milchprodukte zu<br />
uns nehmen dürfen. Bezüglich<br />
der einzuhaltenden Wartezeit<br />
gibt es prinzipiell drei verschiedene<br />
Traditionen und jeder sollte<br />
sich unbedingt, der Herkunft seiner<br />
väterlichen Familie entsprechend,<br />
an den jeweiligen Zeitrah -<br />
men halten: Juden sefardischen,<br />
orientalischen und ost-europäischen<br />
Ursprungs warten allgemein<br />
6 Stunden, deutsche Asch -<br />
ke nasim 3 Stunden und holländische<br />
1 Stunde.)<br />
AnTWORT: Diesbezüglich gibt es<br />
eine meinungsverschiedenheit unter<br />
den Autoritäten. Raw Josef Karo<br />
(1488-1575) schreibt im Schulchan<br />
Oruch man solle in einem solchen Fall<br />
einfach die Fleischreste zwischen den<br />
Zähnen entfernen und dürfe dann so -<br />
gleich milch trinken. Der Remo (Raw<br />
mosche isserles, 1525-1572) stimmt<br />
dem zu, fügt jedoch hinzu, man solle<br />
sich auch noch den mund spülen. Der<br />
Tas (Raw Dovid HaLewi Sigel, 1586-<br />
1667) erklärt jedoch, dass wir sowohl<br />
die meinung von Raschi (1040-1105)<br />
nämlich, dass diese Fleisch reste auch<br />
nach 6 Stunden noch <strong>als</strong> Fleisch zu<br />
betrachten sind, <strong>als</strong> auch die mei nung<br />
des Rambam (1135-1204) be rück sich -<br />
tigen müssen, wonach wir nach dem<br />
Verzehr von Fleisch 6 Stunden warten<br />
müssen, und daher in einem solchen<br />
Fall noch einmal die gesamte Zeit -<br />
spanne zwischen Fleisch und milch<br />
warten müssen. Unser großer Rab bi -<br />
ner, der Chassam Sofer (1762-1839)<br />
schreibt allerdings, dass wir uns in ei -<br />
nem solchen Fall allein auf die mei -<br />
nung des Rambam verlassen können,<br />
wonach jene Fleischreste zwischen<br />
den Zähnen durch den Speichel im<br />
mund nach 6 Stunden bereits soweit<br />
verdaut wurden, dass sie nicht mehr<br />
<strong>als</strong> Fleisch zu betrachten sind. Wir<br />
dürfen <strong>als</strong>o, nachdem wir uns die<br />
Zäh ne gereinigt und den mund ausgespült<br />
haben milchig essen, ohne<br />
weiter warten zu müssen.<br />
FRAGE: „In einem Monat werde ich 12<br />
Jahre alt. Darf ich dann meine eigenen<br />
Schabbos Kerzen anzünden?”<br />
AnTWORT: Als prinzipielle Regel<br />
gilt, dass alle mitglieder eines Haus -<br />
haltes, egal welchen Alters, durch die<br />
Kerzen der jüdischen mutter (oder<br />
des Vaters), von ihrer Pflicht entbunden<br />
sind eigene Kerzen am Schabbos<br />
und Jomtow zu zünden. in vielen Fa -<br />
milien gibt es jedoch den Brauch, dass<br />
mädchen, sobald sie alt genug sind es<br />
zu können, zusammen mit ihrer mut -<br />
ter, eigene Kerzen anzünden - dies<br />
darf, muss aber nicht gemacht werden.<br />
Allerdings wenn gesetzespflichtige<br />
Kinder, egal ob mädchen (ab 12 Jah -<br />
ren) oder Buben (ab 13 Jahren), den<br />
Schabbos oder Jomtow nicht zu<br />
Hause verbringen, können sie durch<br />
die Kerzen der mutter zu Hause nicht<br />
mehr von ihrer Pflicht entbunden wer -<br />
den und müssen ihre eigenen Schab -<br />
bos oder Jomtow Kerzen anzünden<br />
(Oruch HaSchulchan 263:5). Wenn man<br />
bei Bekannten oder Freunden übernachtet,<br />
gilt man für jenen Tag <strong>als</strong><br />
mitglied dieses Haushalts und erfüllt<br />
die eigene Pflicht durch die Kerzen der<br />
Gastgeber (Raschal, Mogen Awrohom,<br />
R’ Mosche Feinstein). in einer<br />
Jeschiwa, im Seminar oder auf einer<br />
Schulfahrt wo viele Kinder zusammen<br />
sind, wird einem der Kinder die<br />
Ehre gegeben die beiden Schabbos<br />
oder Jom tow Kerzen im Speisesaal<br />
anzuzünden, den Segensspruch zu<br />
sagen und damit die Verpflichtung<br />
aller anderen zu erfüllen (so rät mein<br />
Lehrer R’ Chaim Pinchas Scheinberg).<br />
54 <strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770
JUDENTUM<br />
Das<br />
Laubhüttenfest<br />
- Sukkos<br />
im Talmud und in unseren Gebeten<br />
nennen wir Sukkos auch „Sman Sim -<br />
cho senu” - die Zeit unserer Freude. Es ist<br />
neben Pessach und Schwuos eines<br />
der „Scholosch Regolim” - der drei Wall -<br />
fahrtsfeste, an denen zur Zeit des<br />
Tempels alle männer nach Jeruscho la -<br />
jim kamen, um dort Opfer und Ab ga -<br />
ben darzubringen.<br />
Während ihrer 40-jährigen Wande -<br />
rung durch die Wüste wohnten Benei<br />
Jisroel, unsere Vorfahren, im Ver trau en<br />
auf G-ttes beschützende Hand, in einfachen,<br />
provisorischen Hausun gen.<br />
Und die Torah gebietet auch uns jährlich,<br />
und zwar während des sieben<br />
Tage dauernden Laubhüttenfestes, in<br />
einem provisorischen Haus, der sogenannten<br />
Sukkah, zu leben. Darin zu le -<br />
ben, so erklären unsere Weisen, be deu -<br />
tet eigentlich, dass wir, zumindest die<br />
männer, tatsächlich Tag und nacht in<br />
der Laubhütte verbringen und sie<br />
wäh rend dieser Festwoche, wie unsere<br />
Vorfahren in der Wüste, zu unserer<br />
Wohnung machen sollen. Da es sich<br />
beim wohnen in der Sukkah um eine<br />
mizwo handelt, die an eine bestimmte<br />
Zeit gebunden ist, nämlich die Tage<br />
vom 15. bis 21. Tischri, sind Frauen<br />
nicht dazu verpflichtet - können aber<br />
selbstverständlich in die Sukkah<br />
kommen wenn sie es möchten.<br />
Aus Sicherheitsgründen sowie aufgrund<br />
der klimatischen Verhältnisse in<br />
unseren Breiten dürfen wir zwar auch<br />
in unseren regulären Wohnungen<br />
schla fen, es wäre allerdings gut wenn<br />
wir in der Laubhütte zumindest essen<br />
und trinken. mahlzeiten mit Brot und<br />
Gebäck dürfen wir in jedem Fall,<br />
solange es nicht regnet, ausschließlich<br />
in der Sukkah zu uns nehmen, dann<br />
sprechen wir auch die Brocho „L’-<br />
Schejw BaSukko” - den Segensspruch<br />
„Gepriesen seist Du ... der uns aufgetragen<br />
hat in der Sukkah zu sitzen”. Der<br />
voll ständige Wortlaut ist in jedem Sid -<br />
dur (Gebetbuch) zu finden. Außer -<br />
dem sollten wir jeden Tag etwas Zeit<br />
in der Sukkah verbringen um Torah<br />
zu lernen. Bezüglich der genauen<br />
technischen Details und Regelungen<br />
sollte jeder bitte seinen Rabbiner konsultieren.<br />
Gemäß minhag Aschkenas, isst und<br />
schläft man auch noch am 22. Tischri,<br />
dem Feiertag Schemini Azeres, in der<br />
Sukkah, jedoch ohne den Segens -<br />
spruch „L’Schejw BaSukko” zu sagen.<br />
Auch im innenhof der Kultusge -<br />
meinde in der Seitenstettengasse ha -<br />
ben wir eine große Sukkah, die vor<br />
allem all jenen offen steht, die keine<br />
ei gene Sukkah zu Hause bauen können.<br />
* Die hier benutzte Transliteration der hebräischen<br />
Wörter entspricht nicht der sefardischen,<br />
sondern der aschkenasischen Aussprache und<br />
Schreibweise, so wie es traditionell in der<br />
deutsch-jüdischen Rechtschreibung üblich ist.<br />
Dinge, die sie für den Bau<br />
einer Sukkah brauchen ...<br />
Während der Droscho des Rabbiners<br />
war es ungewöhnlich ruhig in der<br />
Synagoge. Alle Kinder waren still und<br />
saßen brav auf ihren Plätzen. „Wie<br />
habt ihr das gemacht??, fragt der<br />
erstaunte Schames einen der Väter.<br />
„Ganz einfach?, antwortet dieser,<br />
„wir haben unseren Kindern einfach<br />
erklärt, dass sie nicht stören dürfen<br />
wenn der Rabbiner spricht, weil er<br />
sonst den Faden verlieren könnte<br />
und dann seine ganze Droscho noch<br />
einmal von vorne anfängt!”<br />
Vor einigen Tagen kam ein Jude in das Rabbinat und sagte, er habe im neuen Machsor<br />
(Gebetbuch) gelesen, dass Zedaka (wohltätige Spenden) ein gutes Mit tel seien, um<br />
Barm her z igkeit von G´tt zu erlangen. Er fragte mich <strong>als</strong> Rabbi ner, an wen und wie viel<br />
Zedaka man geben solle.<br />
Natürlich gibt man Spenden nicht nur um vor dem Ewigen gut dazustehen, sondern<br />
auch, weil man ein hilfreicher und großzügiger Mensch sein möchte. Es kommt nicht<br />
selten vor, dass dieselben Juden, die großzügig an Institutionen und soziale Zwecke in<br />
Israel spenden, für die Bedürfnisse der eigenen Stadt nichts hergeben wollen.<br />
In der Tora werden die Prioritäten aber ein wenig anders dargestellt. Dort heißt es:<br />
Sofort nach der Versorgung der eigenen Familie soll man für Bedürftige und soziale<br />
Institutionen der eigenen Stadt spenden. Da können wir uns selbst über die Not unserer<br />
Mitmenschen ein Bild machen.<br />
Man soll danach natürlich auch für Institutionen und Einzelne in Israel spenden. Das<br />
Aus maß der Spenden sollte nach jüdischer Vorschrift zwischen 10% und 20% der<br />
Einkünfte ausmachen. Unsere Weisen nehmen aber auch Rück sicht auf unsere Taschen<br />
und meinen, mehr <strong>als</strong> 20% kann „gefährlich“ werden.<br />
Häufiger <strong>als</strong> die Spender kommen die Bedürftigen zum Rabbiner, sodass er sie miteinander<br />
bekannt machen kann.<br />
Einmal sah ein Rabbiner, wie ein Jude einen Zettel in die Kotel (Klagemauer) steck te. Als<br />
dieser herausfiel, las der Rabbiner, dass der Mann vom lieben G´tt US$ 1.000,- für die<br />
Verheiratung seiner Tochter erbat. Da auf dem Zettel auch eine Adresse stand, machte<br />
der Rabbiner eine Sammlung und brachte dem Bittsteller 800 Dollar ohne zu sagen,<br />
dass er die Summe gesammelt hatte.<br />
Der Rabbiner sah den Mann ein zweites Mal bei der Kotel, wieder fiel der Zettel aus<br />
der Wand und der Rabbiner las verblüfft. „Lieber G´tt, vielen Dank für das Geld, aber<br />
schicke es nächstes Mal nicht mit dem Rabbiner, denn der hat sich US$ 200,- Pro vision<br />
behalten.“<br />
Wir werden Ihnen gerne - ganz ohne Provision - unsere Hilfe anbieten.<br />
Wir wünschen Ihnen Schana Towa!<br />
Oberrabbiner Chaim Eisenberg und Gemeinderabbiner Shlomo Hofmeister<br />
J<br />
<strong>September</strong> <strong>2009</strong> - Elul/Tischri 5770 55
„Die Bedürftigen deiner Stadt<br />
haben Vorrang vor den Bedürftigen<br />
einer anderen Stadt.<br />
Talmud