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April 2010 als pdf herunterladen - Israelitische Kultusgemeinde Wien

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GEMEINDE<br />

DVR 0112305 € 2.- offIzIelles orgAN der IsrAelItIscheN KultusgemeINde wIeN<br />

Nr. 667 <strong>April</strong> <strong>2010</strong><br />

Nissan/Ijar 5770<br />

Erscheinungsort <strong>Wien</strong><br />

Verlagspostamt 1010 P.b.b<br />

e 2.-<br />

GZ 03Z034854 W<br />

Die Die<br />

magazin


INHALT<br />

&<br />

IN EIGENER SACHE<br />

ALEXIA WEISS<br />

Serie: Hinter den Kulissen der IKG<br />

Teil 20: Maimonides-Zetrum 4<br />

POLITIK<br />

INLAND<br />

ALEXIA WEISS<br />

Rechte Gesellschaft 7<br />

Lichtertanz 9<br />

AUSLAND<br />

Ein Führer des Wandels 10<br />

Zahl antisemitischer<br />

Straftaten im Aufwind 11<br />

ANTISEMITISMUS<br />

Rechtsextreme auf Facebook 12<br />

Arbeitsdefinition<br />

„Antisemitismus“ 13<br />

NS-ZEIT<br />

Die meistgesuchten<br />

Nazi-Kriegsverbrecher 14<br />

Dokumentenfund über<br />

SS-Mitglieder 16<br />

<strong>Wien</strong>er Akademikerbund 17<br />

Kritik für österreichische<br />

Nazi-Verfolgung 17<br />

ISRAEL<br />

ULRICH W. SAHM<br />

Netanyahu ein Jahr im Amt 18<br />

Wirtschaftslage in der<br />

Westbank 19<br />

Israelis wollen andere<br />

Regierung 20<br />

ULRICH W. SAHM<br />

Ethnische Säuberung<br />

im Westjordanland? 21<br />

Der Friedensprozess 22<br />

WIRTSCHAFT<br />

REINHARD ENGEL<br />

Israelische Pillen 24<br />

Ein-Blick 27<br />

WISSENSCHAFT<br />

Wie Datteln das Herz<br />

schützen 28<br />

JÜDISCHE WELT<br />

Reflexionen zu Jom Hashoah,<br />

Jom Hazikaron und<br />

Jom Ha’azmauth 29<br />

MARTA S. HALPERT<br />

Ungarn nach der Wahl 37<br />

Die Liebe zu Israel<br />

steckt im Detail 39<br />

Panorama 40<br />

KULTUR<br />

ANITA POLLAK<br />

Für die, die lauschen wollen 42<br />

ANITA POLLAK<br />

Neni - oder alles isst möglich 43<br />

PETER WEINBERGER<br />

Überall & Nirgendwo 45<br />

JUDENTUM<br />

Der Sagadoraer Rebbe<br />

kommt nach <strong>Wien</strong> 44<br />

RABB. SCHLOMO HOFMEISTER<br />

Schailes & Tschuwos 46<br />

Titelbild:© Israelimages/<br />

Noam Armonn<br />

Israel Foreign Ministry<br />

Diplomatic Seminar for<br />

Young Jewish Leaders<br />

July 4-15, <strong>2010</strong><br />

Applications to be submitted by <strong>April</strong> 30<br />

The Diplomatic Seminar is a study<br />

pro gram conducted annually by the<br />

Israel Ministry of Foreign Affairs for<br />

young Jewish men and women of<br />

out standing leadership potential.<br />

Open for participants aged 26-37<br />

from Jewish communities around<br />

the world.<br />

http://www.mfa.gov.il/MFA/About+the<br />

+Ministry/Structure+and+departments/Diplomatic_Seminar_for_You<br />

ng_Jewish_Leaders_July_2009.htm<br />

Wir bedauern ... Im Artikel „Jedem<br />

das Seine“ wurde beim Foto grafen<br />

ein f<strong>als</strong>ches Copyright angegeben.<br />

Das Foto Turrini/Hassler ist von<br />

Herbert Neubauer.<br />

PLENARSITZUNGEN <strong>2010</strong><br />

11. Mai • 8. Juni • 6. Juli • 10. Au -<br />

gust • 7. September • 5. Ok to ber<br />

11. November • 9. Dezember<br />

offenlegung gem. §25 medg:<br />

die gemeinde.Offizielles Organ der <strong>Israelitische</strong>n<br />

<strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong><br />

Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong><br />

<strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>.<br />

Sitz: 1010 <strong>Wien</strong>, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />

Unternehmesgegenstand: Information der Mitglieder<br />

der IKG <strong>Wien</strong> in kulturellen, politischen und organi sa -<br />

tori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />

Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung.<br />

Defiant Requiem - Rebellisches Requiem<br />

Ilona Béres<br />

Dezső Garas<br />

Eintritt frei. Registrierung erforderlich. Das Konzert wird vom Duna<br />

Fernsehen, dem Hauptsponsor der Veranstaltung live übertragen!<br />

Registrierung unter: www.jewinform.hu/terezin<br />

Konzertveranstaltung: Verband der Ungarischen Jüdischen Gemeinden sowie das Fremdenverkehrs und Kulturzentrum<br />

der Budapester Jüdischen <strong>Kultusgemeinde</strong>. Die Organisation behält sich das Recht zur Programmänderung vor. Weitere<br />

In formationen: Jewinform,<br />

1075 Budapest, Síp u . 12. Telefon:<br />

413-5531, Fax:<br />

462-0478, E-mail: info@jewinform.hu.<br />

Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Y-net, israelnetz<br />

(inn), nahostfocus (NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, ILI u.v.a.; © Wikimedia Commons<br />

GEMEInDE<br />

Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>.<br />

Zweck: Information der Mitglieder der IKG <strong>Wien</strong> in kulturellen, politischen<br />

und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />

Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 <strong>Wien</strong>, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />

Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />

Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 <strong>Wien</strong><br />

Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />

Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />

Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak -<br />

tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />

2 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />

S<br />

O<br />

N<br />

DERPOSTA<br />

M<br />

T<br />

SONDERSTEMPEL<br />

Theodor Herzl<br />

3. Mai <strong>2010</strong><br />

9.00 – 13.00 Uhr<br />

IKG-Gemeindezentrum<br />

1010 <strong>Wien</strong>, Seitenstettengasse 2<br />

DIE ISRAELITISCHE RELIGIONSGEMEINSCHAFT ÖSTERREICHS UND<br />

DER BUND JÜDISCHER VERFOLGTER DES NAZIREGIMES<br />

veranstalten gemeinsam am<br />

Sonntag, 9. Mai <strong>2010</strong>,<br />

pünktlich um 10.00 Uhr<br />

im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen vor dem jüdischen Mahnmal eine<br />

GEDENKSTUNDE<br />

anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung des Lagers.<br />

Der Botschafter des Staates Israel, S.E. Aviv Shir-On, Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg und der Vize-<br />

Präsident der <strong>Israelitische</strong>n <strong>Kultusgemeinde</strong>,Oskar Deutsch, werden der Bedeutung des Tages gedenken.<br />

Mit dem El-Male-Rachamim-Gebet, vorgetragen von Oberkantor Shmuel Barzilai, dem Kaddischgebet und der<br />

von allen gemeinsam gesungenen Hymne des Staates Israel „Hatikwa“ endet die Gedenkstunde.<br />

Bitte beachten Sie: Nach der Gedenkfeier – ca. 11.00 Uhr – begeben sich alle Teilnehmer gemeinsam mit den<br />

übrigen Delegationen auf den Appellplatz, um der offiziellen Gedenkkundgebung der Lagergemeinschaft<br />

Mauthausen beizuwohnen.<br />

Die <strong>Israelitische</strong> <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong> stellt auch heuer wieder für die Fahrt nach Mauthausen unentgeltlich<br />

Auto bus se zur Verfügung. Die Abfahrt der Busse erfolgt am 9. Mai <strong>2010</strong>, um 6.15 Uhr vor dem Café Landtmann,<br />

1010 <strong>Wien</strong>, Dr. Karl Lueger-Ring 4. Anmeldungen für die Fahrt nach Mauthausen bis 30. <strong>April</strong> <strong>2010</strong> an b.gilkarov@ikg-wien.at,<br />

per Post an: Benny Gilkarov, IKG <strong>Wien</strong>, 1010 <strong>Wien</strong>, Seitenstettengasse 4 oder telefonisch unter<br />

der Nummer 01/531-04 207<br />

Alle Juden Österreichs sind aufgerufen, möglichst zahlreich an dieser Kundgebung teilzunehmen, um gemeinsam der<br />

Opfer der Schoah zu gedenken!<br />

We sichram lo jassuf misar´am!<br />

Niem<strong>als</strong> vergessen!<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />

SERIE<br />

Hinter den Kulissen –<br />

Die IKG <strong>Wien</strong> stellt sich vor<br />

Teil 20: Das Maimonides Zentrum<br />

– MZ<br />

serVIce<br />

erreichbarkeit des mz<br />

Das Maimonides Zentrum<br />

erreichen Sie telefonisch unter<br />

01/72 575 - 0.<br />

Informationen im Internet finden<br />

Sie auf www.maimonides.at. Dort ist<br />

in der Rubrik „Kontakt“ auch ein<br />

Mailformular zu finden.<br />

Postanschrift: Simon Wiesenthal-<br />

Gasse 5, 1020 <strong>Wien</strong>.<br />

Ambulanzbetrieb im MZ<br />

„Wir sehen<br />

den Menschen<br />

<strong>als</strong> Ganzes“<br />

204 Frauen und Männer, teils<br />

bettlägerig, teils dement, teils durch<br />

die Verfolgung im NS-Regime schwer<br />

traumatisiert werden im Maimonides<br />

Zentrum rund um die Uhr gepflegt<br />

beziehungsweise betreut. Doch das<br />

Team bemüht sich nicht nur um das<br />

physische und psychische Wohl:<br />

geschaffen wird auch eine jüdische<br />

und eine wohlige Atmosphäre, um<br />

den alten Menschen ihren letzten<br />

Lebensabschnitt so angenehm <strong>als</strong><br />

möglich zu machen.<br />

VON ALEXIA WEISS<br />

Ende des vergangenen Jahres wurde<br />

für die Bewohner des Maimonides<br />

Zen trum alles anders: sie übersiedelten<br />

von der Bauernfeldgasse in <strong>Wien</strong>-<br />

Döbling in das neue Haus im Prater.<br />

Das von Architekt Thomas Feiger entworfene<br />

Haus bietet nicht nur mehr<br />

Platz und komfortablere Zimmer (ausschließlich<br />

Einzel- oder Zweierbele -<br />

gung), sondern vor allem durch den<br />

groß zügigen Einsatz von Glas viel<br />

Licht. Das freundliche Farbkonzept<br />

von Patricia Kahane verstärkt diesen<br />

Eindruck noch.<br />

Heinrich Schmidt, Internist und ärztli -<br />

cher Leiter des MZ, hat den Ein druck,<br />

dass dieses Mehr an Licht den Heim -<br />

bewohnern gut tut. An den ersten wär -<br />

meren Frühlingstagen haben jene, die<br />

nicht bettlägerig sind, sich im Gar ten,<br />

auf den Balkonen in die Sonne ge-<br />

setzt und dieses erste Sonnenbad<br />

sichtlich genossen.<br />

Die Heimbewohner sollen sich im MZ<br />

wohlfühlen: das ist nicht nur Schmidt<br />

ein Anliegen, sondern auch Thea Ca -<br />

pilleri, Leiterin des Pflegediensts, und<br />

Hansjörg Mißbichler, Geschäftsführer<br />

des MZ. Zum herzlichen und familiären<br />

Ambiente tragen aber auch noch<br />

andere bei: Eti Schulz etwa, zuständig<br />

fürs „Heimbewohnerservice“, von<br />

vielen einfach „die Seele des Hauses“<br />

genannt.<br />

Wünsche, Beschwerden, Anregun gen,<br />

aber auch Streitigkeiten – all das landet<br />

bei ihr. Und sie bemüht sich dann,<br />

für alle befriedigende Lösungen zu<br />

finden. Gemeinsam mit dem religiösen<br />

Leiter, Jakov Indik, gestaltet sie zu dem<br />

die jüdischen Feste. Sie richtet die Ge -<br />

burtstagsfeste aus, organisiert ein<br />

Sonn tag-nachmittags-Programm. Die<br />

schönsten Momente sind für sie, „wenn<br />

ich zu einem traurigen Menschen gekommen<br />

bin und er lächelt, wenn ich gehe“.<br />

Traurige Erinnerungen haben viele<br />

Heim bewohner. Das Durchschnitts al -<br />

ter beträgt 84 Jahre, die älteste Dame<br />

ist 101 Jahre alt. Fast alle sind vor<br />

oder während der nS-Zeit geboren,<br />

ha ben <strong>als</strong>o den Holocaust selbst er -<br />

lebt. Gleichzeitig sind zwei Drittel der<br />

Bewohner in unterschiedlicher In ten -<br />

sität dement. Je mehr die Gegenwart<br />

nicht mehr begriffen wird, desto stärker<br />

tritt die Vergangenheit in den Vor -<br />

dergrund. Viele MZ-Bewohner kämp -<br />

fen bis heute mit den Traumata, die<br />

ihnen die nation<strong>als</strong>ozialisten zugefügt<br />

haben.<br />

Im MZ werden die Menschen mit<br />

ihren Ängsten allerdings nicht allein<br />

ge lassen. „Es ist eine alte jüdische Tra di -<br />

tion, dass wir die Menschen <strong>als</strong> Ganzes<br />

4 y


IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />

sehen“, betont Schmidt. „Wir kümmern<br />

uns nicht nur um das körperliche Wohl,<br />

sondern auch um das geistige.“<br />

Vor zehn Jahren hat man gemeinsam<br />

mit dem psychosozialen Zentrum<br />

ESRA zu diesem Zweck einen Vier-<br />

Stufen-Plan entwickelt. Step one: die<br />

engmaschige Versorgung der Bewoh -<br />

ner durch einen Facharzt für Psy chi a -<br />

trie und neurologie bei gleichzeitiger<br />

Schulung des Pflegeperson<strong>als</strong> im Um -<br />

gang mit durch die Shoah Trau ma ti -<br />

sierten. Stufe zwei: Betreuung im<br />

Rahmen des „Böhmer-Laufer Psycho -<br />

so zialen Praktikums“ (BLPP). Dabei<br />

kümmern sich angehende Psychothe -<br />

ra peuten um die Bewohner. Dritter<br />

Schritt: Psychotherapie auf Kranken -<br />

schein, für jene, die es brauchen, und<br />

die auch noch in der Lage sind, Ge -<br />

spräche zu führen. Und nun geplanter<br />

vierter: Etablierung einer Memo -<br />

ry klinik im Sinn von Diagnostik und<br />

Prävention.<br />

Leider sind nicht mehr alle Frauen<br />

und Männer fähig, ihre Ängste und<br />

Gefühle auszudrücken. Im MZ werden<br />

auch Wachkomapatienten be -<br />

treut, ebenso wie psychiatrische Fälle.<br />

„Wir belassen diese Patienten aber bei<br />

uns in der jüdischen Gasse, sie kommen<br />

nicht auf eine Psychiatrie“, sagt Schmidt.<br />

Insgesamt sind mehr <strong>als</strong> 85 Pro zent<br />

der MZ-Bewohner Pflegefälle.<br />

Dem ärztlichen Leiter sind die fünf<br />

Hausärzte unterstellt, die täglich auf<br />

den insgesamt sieben Stationen – zwei<br />

davon Demenzstationen mit einer<br />

Alzheimerschleife für jene Patienten,<br />

die einen starken Bewegungsdrang<br />

ha ben und hier auf einer Etage viele<br />

Kilometer am Tag zu Fuß zurücklegen<br />

– Visite machen. nachts macht der<br />

Chef selbst Telefonbereitschaft, reicht<br />

der fernmündliche Rat nicht aus, muss<br />

der notarzt gerufen werden. Das ist<br />

etwa einmal in der Woche notwendig.<br />

Grundsätzlich versucht man im MZ<br />

allerdings, die Bewohner so wenig<br />

wie möglich mit Ambulanzen an Kran -<br />

kenhäuser zu verschicken. Insgesamt<br />

sieben Fachärzte ordinieren in der<br />

Ambulanz des MZ: ein Augenarzt, ein<br />

Zahnarzt, ein HnO, ein Urologe, ein<br />

Gynäkologe, ein Orthopäde sowie ein<br />

Dermatologe. Ebenfalls im Haus be -<br />

findet sich ein Therapiezentrum, in<br />

dem von Physio- über Ergo- bis zur<br />

Kunst- und Tiertherapie ein breites<br />

Spektrum an therapeutischen Maß nah -<br />

men zur Verfügung steht. Ebenfalls<br />

im Angebot: Validation nach naomi<br />

Feil, darunter versteht man den richtigen<br />

Umgang mit schwerst dementen<br />

Patienten. Die Diätologin Isabella Rosol<br />

stellt in Absprache mit Ärzten, Küche<br />

und Kaschrut für jene, die Diätkost<br />

be nötigen, entsprechende Menüs zu -<br />

sammen.<br />

Für das leibliche Wohl der Heimbe -<br />

woh ner sorgt das Küchen-Team. Im<br />

neuen Haus sind der milchige und der<br />

fleischige Teil der Küche durch ein<br />

Stock werk voneinander getrennt. Vier<br />

Maschgiachim überprüfen die Ein hal -<br />

tung der jüdischen Speisegesetze. Ge -<br />

kocht wird hier unter der Woche mittags<br />

für 800 Personen, denn versorgt<br />

werden nicht nur die MZ-Be woh ner,<br />

sondern auch die Personen, die in der<br />

Tagesstätte betreut werden, die Schü -<br />

ler der benachbarten Zwi Perez Cha -<br />

jes-Schule, die Empfänger von „Essen<br />

auf Rädern“.<br />

Probleme gibt es manchmal beim Ein -<br />

kauf und der Alltag wäre leichter,<br />

könn ten mehr Convenience-Pro duk te,<br />

<strong>als</strong>o vorgefertigte Lebensmittel eingesetzt<br />

werden. Als Beispiel nennt einer<br />

der Köche Kartoffelspeisen. Hier kön -<br />

ne man auf nichts Vorge schnittenes<br />

zu rückgreifen. So müssen die Mitar -<br />

beiter der Küche jede Woche 1.000 Ki lo<br />

Kartoffeln schälen.<br />

Jakov Indik kümmert sich um die Jü -<br />

disch keit im Haus. Er kam <strong>als</strong> Maschgiach<br />

ans MZ, heute hat er alle religiösen<br />

Belange über. Am Schabbes ist er<br />

Vorbeter in der Synagoge, er gibt Schi -<br />

urium, er gestaltet die jüdischen Feste<br />

– wobei es hier eine starke Koopera ti -<br />

on mit der ZPC-Schule gibt. Zu Pu rim<br />

brachten Schüler Mischloach Manot<br />

zu den Heimbewohnern, Kindergar -<br />

ten kinder machten einen Umzug<br />

durchs Haus. nichtjüdischen Mitar -<br />

bei tern fasst er vor jeden Feiertagen<br />

die Geschichte hinter den Festen per<br />

Mail zusammen. Schöne Momente<br />

sind für ihn, wenn sich die alten Da -<br />

men und Herren freuen, weil seine<br />

Kinder mitgekommen sind und mit<br />

ih rem Lachen die betagten Heim be -<br />

wohner anstecken. „Traurig ist es, wenn<br />

jemand von uns weggeht, das ist dann<br />

schon sehr schwer.“<br />

Oft hinterlassen die Verstorbenen keinerlei<br />

Angehörige, erzählt Schmidt,<br />

Verlassenschaften-Ankauf,<br />

Gemälde, Möbel, Silber, Porzellan,<br />

Spiegelgasse 19, 1010 <strong>Wien</strong>, Österreich<br />

Tel. 01/512 72 67 www.kulcsar.at<br />

manchmal wiederum leben Famili en -<br />

mit glieder im weit entfernten Aus land<br />

und sind selbst zu betagt und ge brech -<br />

lich, um ein Flugzeug besteigen und<br />

dem Begräbnis beiwohnen zu können.<br />

„Ich kümmere mich dann und bin bei<br />

jedem Begräbnis dabei.“ Meist hält der<br />

Arzt auch die Ansprache in der Auf -<br />

bahrungshalle. Er ist der, der die Men -<br />

schen am besten kannte. Dabei hilft<br />

ihm auch, dass er Jiddisch spricht, das<br />

er von seinem Vater gelernt hat. Vie le<br />

Heimbewohner fühlen sich in dieser<br />

Sprache heimisch, sie ruft die Kind -<br />

heit, die Jugend wieder in Erinne rung,<br />

vermittelt Geborgenheit.<br />

Ebenso wie das Beten, das Feiern der<br />

Feste, auch wenn viele inzwischen ein<br />

weitgehend säkulares Leben ge führt<br />

haben. niemand werde zu etwas ge -<br />

zwun gen, betont Schmidt, wer beispielsweise<br />

keinen Seder feiern wolle,<br />

müsse dies nicht tun. Die meisten wür -<br />

den diese Aktivitäten aber schätzen,<br />

vor allem aus einer Erinnerung an<br />

früher heraus.<br />

Stark ausgeprägt ist das Sicherheits -<br />

be dürfnis der Heimbewohner, erzählt<br />

der ärztliche Leiter. Was für manchen<br />

wie ein Ghetto aussehe, gebe den Be -<br />

wohner im MZ Sicherheit. Sie fühlen<br />

sich durch die ständige Bewachung<br />

des Gebäudes, durch die neuen Si cher -<br />

heitsschleusen gut aufgehoben.<br />

Für die Instandhaltung des Gebäudes<br />

aber auch für die kleinen technischen<br />

Wünsche der Bewohner wie etwa an -<br />

dere Einstellungen beim Telefon oder<br />

am Fernseher ist Adiel Fuks, der Leiter<br />

der Haustechnik, mit seinem Team<br />

zuständig. Auch er freut sich, wenn die<br />

Frauen und Männer zufrieden sind.<br />

Für eine andere Art der Zufriedenheit<br />

sorgt Sabine Schwitz, die für das Kul -<br />

turprogramm am Haus verantwortlich<br />

zeichnet.<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 5


IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />

Den Löwenanteil der Betreuung der<br />

Heimbewohner übernehmen allerdings<br />

die Pflegekräfte, die von Ca pil -<br />

leri koordiniert und geleitet werden.<br />

Sie organisiert den gesamten Pflege -<br />

dienst. Auch in der Pflege sei der Ho -<br />

lo caust allgegenwärtig. Und gerade<br />

auf Grund der Shoah hätten die Be -<br />

woh ner des MZ „ein Anrecht darauf,<br />

individuell betreut zu werden“, betont<br />

Capilleri. Hier seien in Kooperation<br />

mit ESRA alle sehr bemüht, den Men -<br />

schen die Unterstützung zu geben,<br />

die sie brauchen.<br />

Problemen anderer Art begegnet die<br />

Ombudschaft, derzeit ausgeübt von<br />

Patricia Kahane und Arlette Leupold-<br />

Löwenthal. Alle 14 Tagen halten sie ei ne<br />

Hausversammlung ab, bei der alles<br />

zur Sprache gebracht werden kann,<br />

womit die Bewohner nicht zufrieden<br />

sind. „Das ist auch eine Art Qualitäts -<br />

kon trolle“, so Schmidt. Dabei bekomme<br />

die Leitung des MZ gutes Feed back.<br />

Die häufigsten Anliegen: Unzufrie den -<br />

heit mit dem Essen, Probleme mit Pfle -<br />

gepersonen, Probleme mit nach barn.<br />

Die Übersiedlung ist im Vorfeld na tür -<br />

lich auch ein angstbesetztes The ma ge -<br />

wesen, schließlich habe man den Um -<br />

zug aber gemeinsam gut gemeistert.<br />

Insgesamt kümmern sich 180 Mit ar bei -<br />

ter um das Wohl der 204 MZ-Be woh -<br />

ner, sagt Mißbichler. Jene Personen,<br />

die in einer der 37 Seniorenresi den -<br />

zen, das sind Apartments mit ein bis<br />

drei Zimmern, wohnen, können auf<br />

Wunsch ebenfalls mit Essen versorgt<br />

werden oder die medizinischen Leis -<br />

tungen in der Ambulanz in Anspruch<br />

nehmen.<br />

Mißbichler muss nicht nur darauf<br />

schau en, dass das Haus keine roten<br />

Zahlen schreibt, ihm ist auch die Zu -<br />

friedenheit der Mitarbeiter, der Be woh -<br />

ner und der Angehörigen der Bewoh -<br />

ner ein Anliegen. Stolz ist er, dass die<br />

Fluktuation bei den Be schäf tigten<br />

nied rig sei, das zeige, dass das Ar beits -<br />

klima stimme. Am neuen Haus schätzt<br />

er, dass „alles größer, großzügiger, mo -<br />

der ner ist“. So gebe es auch An nehm -<br />

lichkeiten wie Gartenanlagen (inklusive<br />

Therapiegarten) und vier Zim mer,<br />

die Angehörigen aus dem Ausland<br />

of fen stehen, wenn diese zu Besuch<br />

nach <strong>Wien</strong> kommen.<br />

Für mehr Besuch sorgt aber auch der<br />

neu geschaffene IKG-Campus, auf<br />

dem sich neben dem MZ die ZPC-<br />

Schule befindet. So können Enkeln<br />

ihre Großeltern besuchen, Kinder das<br />

Abholen ihrer eigenen Kinder mit ei -<br />

nem Besuch bei den Eltern verbinden.<br />

In seltenen Fällen kommt es sogar zum<br />

Aufeinandertreffen von vier Ge ne ra -<br />

tionen. Das Urenkerl einer Heim be -<br />

wohnerin besucht den ZPC-Kin der -<br />

zur PersoN<br />

gar ten, erzählt Schmidt.<br />

Ab Oktober <strong>2010</strong> wird es übrigens<br />

noch leichter werden, das MZ mit<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.<br />

Dann wird die U2 direkt bis vor<br />

die Haustüre führen. Wer lieber mit<br />

dem Auto kommt, kann einen der insgesamt<br />

136 Garagen-Plätze nutzen.<br />

thea Kerstin capilleri, msc, Pflegedienstleitung,<br />

geb. 1963 in norddeutschland, Ausbildung zur Diplomkranken schwes -<br />

ter, später auch im Bereich Pflegedienstmanagement. Seit neun Jahren in<br />

Ös terreich, zunächst <strong>als</strong> Krankenschwester bei der Caritas tätig, anschließend<br />

Stationsleitung an einem anderen Haus, seit März 2007 Pflegedienst -<br />

lei tung im Maimonides Zentrum.<br />

dipl. Kh-Bw hansjörg mißbichler, direktor und geschäftsführer,<br />

geb. in Graz, HAK-Matura, Ausbildung zum diplomierten Kranken -<br />

haus ma na ger an der Wirtschaftsuniversität <strong>Wien</strong>. Zunächst in der Eisenund<br />

Stahlindustrie <strong>als</strong> Kosten- und Finanzbuchhalter tätig. 1985 Wechsel<br />

zur Steiermärkischen KrankenanstaltengesmbH, die dam<strong>als</strong> mehrere<br />

Spitä-ler in einer Holding zusammenfasst. Mißbichler richtete hier<br />

Kostenrech nung und Finanzbuchhaltung ein. Ab 1991 zwei Jahre in Steyr<br />

(OÖ) Verwal tungs direktor in einem 440-Bettenhaus der Stadt. Von 1993<br />

bis 1999 Geschäfts füh rer der Merkur Privatklinik in Graz. Seit Juni 1999<br />

Geschäftsführer im Maimonides Zentrum.<br />

Primarius dr. heinrich schmidt, Ärztliche leitung,<br />

geb. 1961 in <strong>Wien</strong>, Matura an einem humanistischen Gymnasium, an -<br />

schließend Medizinstudium an der Uni <strong>Wien</strong>, währenddessen Tätigkeit<br />

<strong>als</strong> OP-Techniker in der neurochirurgie des AKH. nach Studienab schluss<br />

Facharztausbildung zum Internisten, Onkologen, Hämatologen.<br />

Anschließend Ausbildung zum notarzt, Diplom der Österreichischen<br />

Ärz tekammer (ÖAK) in Palliativmedizin sowie Geriatrie. Seit 1999 ärztli -<br />

cher Leiter des Maimonides Zentrum. Schmidt ist zudem stellvertretender<br />

ärztlicher Leiter des Pensionistenheims „Millenium“ in <strong>Wien</strong>-Döbling<br />

und übernimmt immer wieder Urlaubsvertretungen an anderen Pflege -<br />

ein richtungen. Privat ordiniert der Internist in der Confraternität.<br />

6 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


POLITIK • INLAND<br />

Rechte Gesellschaft<br />

Burschenschafter sind in Österreich<br />

nach wie vor salonfähig. Die schwarzblaue<br />

Wenderegierung verhalf<br />

deutschnational korporierten Männern<br />

zu einer Vielzahl an einflussreichen<br />

Posten, die sie bis heute innehaben.<br />

„Völkische Verbindungen“ nennt sich<br />

eine Publikation der Hochschüler-<br />

Innen schaft an der Universität <strong>Wien</strong>,<br />

die den Einfluss der Burschenschaften,<br />

aber auch Querverbindungen zwischen<br />

FPÖ und Korporierten aufzeigt. Ein<br />

Überblick.<br />

Von Alexia Weiss<br />

Was sich hinter den verschlossenen<br />

Türen auf Österreichs Buden abspielt,<br />

das erfährt die breite Öffentlichkeit<br />

nur häppchenweise – dann etwa,<br />

wenn die Burschenschaft Olympia den<br />

Holocaust-Leugner David Irving zu<br />

einem Vortrag einlädt und Medien<br />

da von Wind bekommen, dann, wenn<br />

rechtsextreme Liedermacher, wie etwa<br />

der inzwischen verstorbene Michael<br />

Müller, auftreten.<br />

Offensichtlicher sind die Seilschaften,<br />

die sich im korporierten Milieu bilden.<br />

Auch heute reicht ein Verbin dungs -<br />

bru der dem anderen die Hand. Die so<br />

entstehenden netzwerke sorgen für<br />

Ein fluss, reichen sie doch bis in die<br />

Politik. Denn die Burschenschaften<br />

fungieren auch <strong>als</strong> Kaderschmiede –<br />

und Personalreserve - der freiheitli -<br />

chen Partei. Durch die Regierungs be -<br />

teiligung der Freiheitlichen ab 2000<br />

wurden einflussreiche Posten mit Bur -<br />

schenschaftern besetzt. Und: da die<br />

Burschenschaften auch Verbin dun gen<br />

zum neonazi-Milieu pflegen, wird<br />

hier über dieses Bindeglied immer<br />

wie der eine Brücke zwischen FPÖ und<br />

Rechtsextremen geschlagen.<br />

Dass der Dritte nationalratspräsident<br />

Martin Graf (FPÖ) Mitglied der Olym -<br />

pia ist, ist inzwischen weithin be kannt.<br />

Doch er ist nicht der einzige Bur schen -<br />

schafter im Hohen Haus. Dem FPÖ-<br />

Klub gehören derzeit elf weitere<br />

deutsch nationale Korporierte an: Lutz<br />

Weinzinger, Wolfgang Zanger, Werner Kö -<br />

nigshofer, Heinz-Christian Strache, Pe ter<br />

Fichtenbauer, Werner Neubauer, Ha rald<br />

Stefan, Walter Rosenkranz, Chris ti an Hö -<br />

bart, Roman Haider und Alois Gra dau er.<br />

Zwei weitere Parlamen ta rier sind eben -<br />

falls Burschenschafter: Ewald Stad ler<br />

(BZÖ) sowie Martin Bar ten stein (ÖVP).<br />

Der freiheitliche Parlamentsklub weist<br />

derzeit zudem auch jenseits der korporierten<br />

Mitglieder Vertreter des<br />

Rechts-außen-Spektrums auf: Susan ne<br />

Winter, wegen Verhetzung angeklagt,<br />

sowie Johannes Hübner, ehemaliger Ar -<br />

beitgeber des bekannten neonazis Cle -<br />

mens Otten, Anwalt der Olympia und<br />

Sprecher des Personenkomitees für An -<br />

dreas Mölzer bei der Europa wahl 2004.<br />

Letzterer ist Alter Herr der Verbin dung<br />

Corps Vandalia, Heraus ge ber und Chef -<br />

redakteur der deutschnationalen Wo -<br />

chen zeitung „Zur Zeit“ und sitzt auch<br />

heute noch für die Freiheitlichen im<br />

EU-Parlament. Und schließlich gehört<br />

Norbert Ne meth, Direktor des freiheitli -<br />

chen Parla ments klubs, der Olympia an.<br />

Auch die <strong>Wien</strong>er FPÖ-Spitze ist fest<br />

in korporierter Hand. Landespar tei ob -<br />

mann Strache gehört der schlagenden<br />

Mittelschülerverbindung Vandalia an.<br />

Seine drei Stellvertreter sind ebenfalls<br />

korporiert: Harald Stefan (Olympia), Jo -<br />

hann Herzog und Eduard Schock (bei de<br />

Aldania). Landesparteisekretär Hans-<br />

Jörg Jenewein (Silesia) und Landes ge -<br />

schäftsführer Andreas Guggenberger<br />

(Aldania) sind auch Burschen schaf ter.<br />

Als Mitarbeiter holen sich die Kor po -<br />

rierten erwartungsgemäß gerne Ver -<br />

bindungsbrüder ins Parlament oder<br />

den Gemeinderat. In den vergangenen<br />

Jahren waren beispielsweise Arne Ro -<br />

sen kranz (der Sohn von FPÖ-Poli ti ke -<br />

rin und Bundespräsident schafts kan -<br />

didatin Barbara Rosenkranz, Go thia),<br />

Gernot Schandl (früherer Ob mann des<br />

Rings Freiheitlicher Studenten, ebenfalls<br />

Gothia), Gert Bachmann (Corps<br />

Sa xonia), Karl Eggl (Silesia), Jan Acker -<br />

meier (Teutonia) und Volker Knes tel<br />

(stellvertretender Vor sit zen der des<br />

Österreichischen Pennäler rings) in<br />

den Büros der freiheitlichen Abge ord -<br />

ne ten im Hohen Haus. Für Graf sind<br />

beziehungsweise waren u.a. Hu bert<br />

Keyl (Albia) und Michael Siedler (Olym-<br />

pia), Sebastian Ploner (Olympia) und<br />

Marcus Vetter (Funktionär des Rings<br />

Freiheitlicher Jugend) tätig. Ploner und<br />

Vetter machten durch Be stel lun gen<br />

beim rechtsextremen Ver sand „Auf-<br />

ruhr“ von sich reden und brachten da -<br />

mit ihren Chef einmal mehr ins Ge re de.<br />

Der Ring Freiheitlicher Jugend, der laut<br />

Dokumentationsarchiv des Ös ter rei -<br />

chischen Widerstands (DÖW) auch<br />

weit reichende Kontakte zum neo na -<br />

zis mus unterhält, wird ebenfalls von<br />

Korporierten geführt. Bundesob mann<br />

Dominik Nepp gehört der Aldania an,<br />

Ehrenobmann Johann Gudenus der<br />

Van dalia. Im Bundesvorstand vertreten<br />

war vor einigen Jahren auch noch<br />

Detlev Wimmer (Arminia Czerno -<br />

witz), der inzwischen Stadtrat in Linz<br />

ist. Ihm werden auf dem rechtsextremen<br />

Internetportal alpen-donau.info<br />

immer wieder äußerst wohlwollende<br />

Beiträge gewidmet.<br />

Ministerien - Besonders viele politisch<br />

motivierte Besetzungen gibt es tra di -<br />

tio nellerweise in den Ministerien. Auch<br />

hier nutzten die Freiheitlichen während<br />

ih rer Regierungsbeteiligung jede<br />

Chan ce, die sich bot, um Parteigänger<br />

unterzubringen – die meisten von ih -<br />

nen allerdings eben nicht nur FPÖ-ler,<br />

sondern auch Burschenschafter. Im<br />

Infrastrukturministerium wurden drei<br />

Korporierte zu Sektionschefs er nannt:<br />

Andreas Reichhardt (Cimbria, führt bis<br />

heute die Sektion Innovation und Te -<br />

le kommunikation), Arnold Schie fer<br />

(Teu tonia, wechselte 2005 zu den ÖBB)<br />

und Peter Franzmayer (keine nähere<br />

Angabe zum namen der Ver bin dung,<br />

Anm., steht immer noch der Sektion<br />

Straße und Luft vor).<br />

Ein weiteres Beispiel: das For schungs -<br />

center Seibersdorf, zwischenzeitlich<br />

von Martin Graf geführt. Mit ihm hielt<br />

eine ganze Schar an Korporierten Ein -<br />

zug in die Forschungseinrichtung.<br />

POLITIK<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 7


POLITIK • INLAND<br />

Zeitgleich mit der Entsendung Grafs<br />

nach Seibersdorf gelangte ein weiterer<br />

Burschenschafter in einer hohe Po si ti -<br />

on: Wolfgang Jung (Akademi sche Tafel -<br />

runde Wiking <strong>Wien</strong>er neu stadt) wur -<br />

de unter dem früheren Ver tei di gungs -<br />

minister Herbst Scheib ner (heute BZÖ)<br />

zum obersten Militär attaché. Heu te<br />

sitzt er <strong>als</strong> Abgeordne ter der FPÖ im<br />

<strong>Wien</strong>er Landtag.<br />

Medien - Burschenschafter profitierten<br />

aber auch im Medienbereich von<br />

Schwarz-blau. Andreas Mölzers „Zur<br />

Zeit“, an der auch Sohn Wendelin<br />

(ebenfalls Vandalia) und Joachim Kap -<br />

pel (Suevia) beteiligt sind, bekam 2001<br />

erstm<strong>als</strong> Presseförderung, und zwar<br />

in Höhe von knapp 63.000 Euro. Im<br />

Folgejahr gab es 78.000 Euro. Zeit -<br />

gleich wurde die Förderung für die jü -<br />

dische Publi kation „Illustrierte neue<br />

Welt“ ge kürzt und jene für die „Liga<br />

der Men schenrechte“ überhaupt eingestellt.<br />

Und auch sonst wurde einiges durch<br />

den zunehmenden Einfluss von Kor -<br />

porierten geändert. Sehr auffällig war,<br />

dass ab 2002 kein Jahreslagebericht<br />

mehr zum Rechtsextremismus in Ös -<br />

ter reich erschien. In der Tat gibt es<br />

nicht nur viele Verbindungen zwischen<br />

Burschenschaften und FPÖ,<br />

son dern auch zwischen Burschen -<br />

schaf ten und rechtsextremen Orga ni -<br />

sa tionen beziehungsweise neonazis.<br />

Prominent ist in diesem Zusam men -<br />

hang vor allem Gottfried Küssel, der<br />

der Danubo-Markomannia angehört.<br />

Er startete seine neonazistische Lauf -<br />

bahn bei der 1973 gegründeten „Ak -<br />

tion neue Rechte“ (AnR). Er war in<br />

der Folge u.a. Mitglied der „Kame rad -<br />

schaft Babenberg“, der „Volksbe we -<br />

Martin Graf beim Kommers 2009 in Innsbruck<br />

gung“, der „nationalen Front“, der<br />

„Volkssozialistischen Partei“. 1986<br />

gründete er die „Volkstreue Außer -<br />

par lamentarische Opposition“ (VA-<br />

PO), die <strong>als</strong> Zielsetzung die „neu-<br />

gründung der nSDAP“ formulierte.<br />

Dazu wurden von der VAPO „Ka me -<br />

radschaften“ in <strong>Wien</strong>, Oberösterreich,<br />

Salzburg und niederösterreich ge -<br />

grün det und Wehrsportübungen or -<br />

ganisiert. In diese Zeit fallen laut der<br />

Publikation der ÖH an der Uni <strong>Wien</strong><br />

auch die „Paintball-Spiele“ von FPÖ-<br />

Chef Strache (Vandalia), an der u.a.<br />

auch Andreas Thierry (Cheruskia Straß -<br />

burg) teilnahm, der bis heute Kon takte<br />

zur rechtsextremen Szene unterhält.<br />

Der name VAPO fiel unlängst aber<br />

auch in Zusammenhang mit dem Por -<br />

tal alpen-donau.info. So war Mitte<br />

März im nachrichtenmagazin „profil“<br />

zu lesen: „Experten vermuten, dass versprengte<br />

Rechtsradikale aus der ehemaligen<br />

VAPO-Szene und der Jugendorga ni sa tion<br />

der AFP, des BFJ, dahinterstehen, möglicherweise<br />

auch der Rechtsex tre me Gott fried<br />

Küssel, dessen Reden gelegentlich vollständig<br />

wiedergegeben werden. Auffällig ist<br />

das Lob für einzelne FPÖ-Politiker wie<br />

et wa den Linzer Stadtrat Det lev Wimmer<br />

und Veröffentlichungen von Informa tio -<br />

nen und Unterlagen aus dem FPÖ-Klub.“<br />

nicht nur Küssel und Thierry, auch<br />

an dere Rechtsextreme wie Franz Radl<br />

und Gerd Honsik sind korporiert. Bur -<br />

schenschafter sind auch in Gremien<br />

der „nationaldemokratischen Partei<br />

Deutschlands“ (nPD) zu finden, et wa<br />

der <strong>Wien</strong>er FPÖ-Stadtrat Johann Her zog<br />

(Aldania), Karl Katary (Bruna Su de tia),<br />

Manfred Platschka (Germania Libera)<br />

und Lothar Böhm (Silesia).<br />

Und auch in diesem Kontext fällt der<br />

name Martin Graf: der FPÖ-Politiker<br />

wurde 2003 Vorsitzender des Österreich-Arbeitskreises<br />

des „Witikobun-<br />

des“, laut DÖW die „am weitesten rechts<br />

außen angesiedelte Gruppierung im Mi -<br />

li eu der so genannten Vertriebenen“. Im<br />

Verfassungsschutzbericht von 2001<br />

wurde auf deren rechtsextremistische<br />

und antisemitische Züge hingewiesen.<br />

Selten, aber doch, gibt es auch Ver an -<br />

stal tungen oder Ereignisse, bei denen<br />

Korporierte öffentlich mit Vertreter der<br />

naziskinheadszene auftreten. Rechte<br />

Glatzköpfe demonstrierten beispielsweise<br />

2002 gemeinsam mit Bur schen -<br />

schaftern am Heldenplatz in <strong>Wien</strong> ge -<br />

gen die so genannte Wehrmachts ausstellung,<br />

während Vertreter des neonazistischen<br />

„Deutschen Kollegs“ und<br />

der rechtsextremen „Arbeitsge mein -<br />

schaft für demokratische Poli tik“ (AfP)<br />

Flugblätter verteilten. Am Re de pult<br />

waren u.a. Clemens Otten (Cim bri a),<br />

der auch die Kundgebung an gemel det<br />

hatte, Wilhelm Ehemayer (Ta felrunde<br />

zu <strong>Wien</strong>) und Sascha Gast hu ber von der<br />

neonazistischen „Kame rad schaft Ger -<br />

ma nia“ zu hören.<br />

Weitere Treffpunkte der rechtsextremen<br />

Szene, an denen immer wieder<br />

FPÖ-Politiker, Burschenschafter, aber<br />

eben auch neonazis teilnehmen, sind<br />

die vom <strong>Wien</strong>er Korporationsring<br />

(WKR) und Österreichischer Lands -<br />

mann schaft (ÖLM) organisierte Sonn -<br />

wend feier am 21. Juni (in Zusammen -<br />

hang mit ähnlichen Feiern wird auch<br />

immer wieder die Familie Rosen kranz<br />

genannt), das WKR-„Totenge den ken“<br />

am 8. Mai, die Gedenkveranstaltung<br />

am Grab des nazi-Piloten Walter no -<br />

wot ny in <strong>Wien</strong> und das Ulrichs berg -<br />

treffen in Kärnten, von dem sich zu -<br />

letzt die offizielle Landespolitik in<br />

dem südlichen Bundesland allerdings<br />

zunehmend distanzierte.<br />

Alles in allem wurde die Salon fä hig -<br />

keit gewisser rechter Organisationen<br />

in den vergangenen Jahren allerdings<br />

gestärkt. Wenn der <strong>Wien</strong>er FPÖ-Lan -<br />

©Reuters<br />

8 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


POLITIK • INLAND<br />

desparteisekretär Hans-Jörg Jenewein<br />

(Silesia) für die „Arbeitsgemeinschaft<br />

für demokratische Politik“ (AfP) referiert<br />

oder der Olympe Walter Sucher<br />

„Grußworte“ an das neonazistische<br />

„Deutsches Kulturwerk europäischen<br />

Geistes“ (DKEG), verschafft das rechts -<br />

extremen Gruppen Aufschwung.<br />

Und diese danken es im Gegenzug.<br />

An dreas Mölzer konnte beim EU-Wahl -<br />

kampf 2004 auf die gesamte Rechte<br />

zäh len, in seinem Wahlko mi tee versammelte<br />

er nicht nur AfP-Re fe ren ten,<br />

sondern auch Gerhard Zeihsel, den Bun -<br />

desobmann der „Su deten deut schen<br />

Landsmannschaft“, Fritz Schretter, Vor -<br />

sitzender des Kärntner Ab wehr käm p -<br />

ferbundes und Rudolf Nowotny, der<br />

dem 1999 behördlich auf gelösten „Ver -<br />

ein Dichterstein Offen hausen“ vorgestanden<br />

war.<br />

Fazit: man hält zusammen. Die Bur -<br />

schenschaften stellen ein gut funktionierendes<br />

Bindeglied zwischen Frei -<br />

heit lichen und neonazis beziehungsweise<br />

Rechtsextremen dar. Und so<br />

wundert es kaum, dass seitens freiheitlicher<br />

Funktionäre bis hinauf zu<br />

Parteichef Strache immer wieder Er -<br />

klä rungsbedarf zu Themen rund um<br />

die nS-Zeit und die Shoah herrscht,<br />

wie sich zuletzt auch im Bundes prä -<br />

sidentschaftswahlkampf mit der freiheitlichen<br />

Kandidatin Barbara Rosen -<br />

kranz gezeigt hat. So lange hier keine<br />

klaren Trennlinien gezogen werden,<br />

wird sich das wohl auch nicht än dern.<br />

„Völkische Verbindungen. Beiträge zum<br />

deutschnationalen Korpora tionsunwesen<br />

in Österreich“,<br />

herausgegeben von der Hochschü lerIn -<br />

nen schaft an der Universität <strong>Wien</strong>,<br />

<strong>Wien</strong> 2009, ISBN 978 3 200 01522 7<br />

Auch <strong>als</strong> PDF downloadbar unter:<br />

http://www.oeh.univie.ac.at/uploads/<br />

media/voelk._verbindungen.<strong>pdf</strong><br />

Lichtertanz gegen Rosenkranz<br />

Das Organisationsteam und Bündnis<br />

der Veranstaltung „lichtertanz ge gen<br />

rosenkranz“, die am 25. März mit<br />

9.000 BesucherInnen ein starkes Zei -<br />

chen für Vielfalt, So lidarität und Zi -<br />

vil courage setzte, verurteilt die offenen<br />

Gewaltaufrufe auf der neonazi<br />

In ter net plattform alpen-donau.info<br />

scharf.<br />

In einem Homepageeintrag vom 24.<br />

März mit dem Titel „Antifaschisten vor<br />

den Vorhang“ werden einzelne Propo -<br />

nen tIn nen des Bündnisses mit Fotos<br />

ab gebildet und in ei ner einzigen<br />

Schimpf orgie <strong>als</strong> „geisteskrank“, „Stän-<br />

ker jude“, „Wichtig ma cher“ oder<br />

„Schwuch teln“ attackiert. Mit dem Ab -<br />

schluss satz "Hoffentlich bläst ihnen bald<br />

jemand das Licht aus. Wir hoffen auf<br />

Sturm und Regen.", findet sich auch<br />

ein klarer Aufruf zur Gewalt auf der<br />

Ho me pa ge. Die Wahlempfeh lun gen<br />

für Rosen kranz auf der Homepa ge<br />

ma chen zu dem klar, auf welchen<br />

Kreis sich die Fangemeinde der FPÖ-<br />

Kandidatin mitt lerweile reduziert hat:<br />

auf rechts extreme Internet-Hooligans<br />

und ge waltbe rei te neonazis. Eine<br />

kla re Dis tan zierung Rosenkranz' von<br />

den Ge waltauf ru fen und dem Inter -<br />

net netz werk ist längst überfällig!<br />

Als Bündnis wollen wir festhalten,<br />

dass diese skandalösen Einschüch te -<br />

rungsversuche zeigen, wie notwendig<br />

es war, im Zuge des „Lichtertanzes“<br />

ein Zeichen gegen Rechts ex tre mis -<br />

mus zu setzen. Die mit hasserfüllten<br />

Ein trä gen über häufte neonazi-Home -<br />

pa ge zeigt auf, wie weit die Ver -<br />

netzung der rechtsextremen Szene<br />

vorangeschritten ist.<br />

Die AkteurIn nen des Bündnisses werden<br />

sich davon nicht einschüchtern<br />

oder von ihrem Einsatz gegen Rechts -<br />

ex tre mis mus abbringen lassen.<br />

©APA<br />

Mölzer: Keine Pauschalurteile<br />

gegen ungarische Jobbik<br />

Die erste Runde der ungarischen Par -<br />

la mentswahlen hätten er neut bewiesen,<br />

dass Europa nach rechts rückt,<br />

sag te der freiheitliche De le gati ons lei -<br />

ter im Europäischen Par lament, An -<br />

dre as Mölzer. „Die Sozi a listen wurden<br />

von den Wählern abgestraft, während<br />

die rechtskonservative Fidesz von Viktor<br />

Orban eine komfortable absolute Mehr -<br />

heit erreicht hat und Jobbik mit nahezu<br />

17 Prozent ins Buda pes ter Parlament<br />

einziehen wird“, be tonte Mölzer.<br />

Für die politisch korrekten Kräfte in<br />

Eu ropa gelte es nun, so der freiheitliche<br />

EU-Mandatar, das ungarische<br />

Wahl ergebnis ohne Wenn und Aber<br />

an zuerkennen. "Fidesz und auch Job bik<br />

sind demokratisch legitimiert, und zwar<br />

von einer stattlichen Anzahl von ungarischen<br />

Wählern. Die Ungarn ha ben ges -<br />

tern den Patriotismus, das National be -<br />

wusstsein und die Erhaltung der eigenen<br />

Kultur gewählt und damit dem linken<br />

Zeitgeist eine schallende Ohrfeige gegeben.<br />

Aber das darf kein Grund sein, um<br />

gegen Ungarn eine Diffamierungs kam -<br />

pagne zu starten", unterstrich Mölzer.<br />

Weiters erklärte der freiheitliche Eu ro -<br />

pa-Abgeordnete, dass es einer Über -<br />

prü fung bedürfe, ob Jobbik wirklich<br />

so extrem, so antisemitisch und wirklich<br />

so militant gegen jene Minder heit<br />

eingestellt sei, die auch <strong>als</strong> Zigeuner be -<br />

zeichnet wird. „Die zeitgeistigen Me -<br />

dien sind schnell bei der Hand, wenn es<br />

darum geht, politisch missliebige Kräfte<br />

mit Pauschalurteilen zu diskreditieren.<br />

Daher lösen sich die Vorwürfe bei näherer<br />

Überprüfung in der Regel in Luft auf",<br />

schloß Mölzer.<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 9


POLITIK • AUSLAND<br />

Russland verbietet Hitlers<br />

„Mein Kampf“<br />

Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“<br />

wird 65 Jahre nach dem Selbstmord<br />

des nazi-Diktators nun auch in Russ -<br />

land <strong>als</strong> „extremistisch“ eingestuft<br />

und verboten. Das Werk enthalte<br />

Ideen, die den Mord und die Diskri -<br />

mi nierung von Rassen propagierten,<br />

begründete der Gener<strong>als</strong>taatsanwalt<br />

in Moskau nach Angaben der Agen tur<br />

Interfax die Entscheidung. Russische<br />

Medien kritisierten, das Verbot kom -<br />

me 84 Jahre zu spät - Hitler hatte<br />

„Mein Kampf“ Mitte der 1920er Jahre<br />

geschrieben. Darin forderte er „Le-<br />

bens raum“ für Deutschland auf Kos -<br />

ten der Sowjetunion und bezeichnete<br />

Slawen <strong>als</strong> „Untermenschen“. Bür ger -<br />

rechtler beklagen seit langem eine ho -<br />

he Zahl rechtsradikaler Übergriffe in<br />

Russland. Allein im vergangenen Jahr<br />

wurden 74 Menschen aus Rassen hass<br />

getötet. Der Historiker Jan Rat schinski<br />

von der Organisation Memo rial, die<br />

den Sowjetterror aufarbeitet, verglich<br />

„Mein Kampf“ mit den Wer ken des<br />

russischen Revolutions füh rers Lenin<br />

und von Sowjetdiktator Josef Stalin.<br />

Beide hätten in ihren Schriften zu Mas -<br />

senterror aufgerufen, sagte er. APA/dpa<br />

Niederländische Regierung<br />

ehrt Sobibor-Überlebende<br />

Die einzige niederländische Überlebende<br />

des nazideutschen Vernich -<br />

tungs lagers Sobibor in Ostpolen ist<br />

von der Haager Regierung geehrt<br />

worden. Es sei Königin Beatrix eine<br />

„Freude“, die 87-jährige Selma Engel-<br />

Wijnberg zur Ritterin des Ordens von<br />

Oranien-nassau zu ernennen, sagte<br />

Ge sundheitsminister Ab Klink bei ei ner<br />

Zeremonie anlässlich der 65. Jah res -<br />

tages der Befreiung des Durchgangs -<br />

la gers Westerbork. Zugleich entschuldigte<br />

sich die niederländische<br />

Regie rung für die Behandlung Engel-<br />

Wijn bergs nach dem Ende des Zwei -<br />

ten Weltkriegs.<br />

Engel-Wijnberg gehörte zu rund<br />

107.000 Juden, die unter der nazideutschen<br />

Okkupation über das Durch -<br />

gangslager Westerbork in nS-Ver nich -<br />

tungslager nach Osteuropa gebracht<br />

wurden. nur 5000 von ihnen überlebten.<br />

Präsident Lech Kaczynski<br />

und seine Frau besuchten<br />

zweimal Yad Vashem.<br />

Ein Führer des Wandels<br />

- auch Israel trauert um einen treuen Freund<br />

nach dem Tod von Polens Prä si dent Lech Kaczynski bei einem Flugzeugabsturz -<br />

ein Regierungsflugzeug war mit 97 Menschen an Bord bei der Landung im russischen<br />

Smolensk abgestürzt - haben führende israelische Po litiker dem polnischen<br />

Volk ihr Beileid bekundet. Sie würdigten die Ver dien s te des Staatsober haup tes um<br />

die Beziehungen zwischen Polen und Israel. „Der Staat Israel ist schockiert über die<br />

große Tragödie und teilt den Schmerz des polnischen Volkes und der freien Welt“, heißt es<br />

in einer Erklärung des is ra e lischen Staatsprä si den ten Schimon Peres, der 1923 in Po -<br />

len geboren wurde. „Wir haben die Nachricht vom Verlust mei nes Freundes, Präsi dent<br />

Lech Kaczynski, seiner Ehefrau Maria und ranghoher Mit glieder der polnischen Füh rung<br />

und des Parlaments mit Schmerz und Schock aufgenommen. Die Tragödie ist ein furcht barer<br />

Schlag für das polnische Volk und für die gesamte Welt. Mein Freund Präsident<br />

Kaczynski war einer der Führer des Wan dels in seinem Land. Er vertrat ein unabhängiges,<br />

demokratisches und modernes Polen. In mein en vielen Begegnungen mit ihm traf ich ei nen<br />

Führer von Format, der ent schlossen war, sein Land nach vorne zu bewegen, der eine<br />

demokratische und progressive Welt anschauung vertrat.<br />

Präsident Kaczynski und seine Ehefrau haben dafür gearbeitet, das polnische und das jü di -<br />

sche Volk einander näher zu bringen, Wunden der Vergangenheit zu heilen und eine bessere<br />

gemeinsame Zukunft zu bauen. Während seiner Präsidentschaft haben sich die bilateralen<br />

Be ziehungen zwischen unseren beiden Ländern vertieft - gekennzeichnet durch Freund -<br />

schaft und Wärme. Der Staat Israel neigt sein Haupt und schließt sich dem polnischen<br />

Volk in seiner tiefen Trauer an."<br />

Beileidsbekundungen kamen auch aus Yad Vashem. Ka zcyns ki hatte das Doku -<br />

men ta tions zentrum in Jerusalem zweimal besucht und Vertreter lobten den Präsi -<br />

denten dafür, dass er der Bewahrung der Er innerung an die Schoah verpflichtet<br />

ge wesen sei. Kaczynski hatte 2008 <strong>als</strong> erster polnischer Präsident an einem Got -<br />

tesdienst in einer Synagoge teilgenommen. Vor der polnischen Botschaft in Tel<br />

Aviv legten israelische Bürger Kerzen und Blumen nieder.<br />

10 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


POLITIK • ANTISEMITISMUS<br />

Zahl antisemitischer Straftaten weltweit verdoppelt<br />

1.400 Palästinenser getötet und etwa<br />

5.500 weitere verletzt wurden. „Die<br />

politischen Ziele sind durchtränkt mit An -<br />

tisemitismus und der Gleichsetzung von<br />

Juden und Nazis“, sagte Dina Po rat,<br />

Herausge be rin der Studie.<br />

Weltweite Übersicht<br />

antisemitischer Vorfälle<br />

1989-2009<br />

„Die Intensität und die Art der Welle, die<br />

im Januar 2009 begann, weist auf eine<br />

ge plante Mobilisierung von radikalen Lin -<br />

ken und muslimischen Einwande rer ge -<br />

meinden hin“, hieß es in der Studie.<br />

Dabei seien eine „Reihe antisemitischer<br />

Instrumente verwendet worden, darun ter<br />

die Gleichstellung von Juden und Isra e -<br />

lis“. Dies diene dazu, „den Staat Israel<br />

und das jüdische Volk <strong>als</strong> eine Einheit zu<br />

delegitimieren“.<br />

Die Zahl gewaltsamer antisemitischer<br />

Vorfälle hat sich - laut einer Studie<br />

der Universität von Tel Aviv - 2009<br />

welt weit mehr <strong>als</strong> verdoppelt. Im<br />

Verlauf des Jahres 2009 seien insgesamt<br />

1.129 antisemitische Gewaltta -<br />

ten, von Van da lismus und Brand an -<br />

schlägen bis hin zum Zusammen schla -<br />

gen von Ju den registriert worden,<br />

hieß es in einer Mitteilung. Dies seien<br />

mehr <strong>als</strong> doppelt so viele wie im Vor -<br />

jahr (- 559).<br />

Erstm<strong>als</strong> überstieg bei den ermittelten<br />

Tätern auch die Zahl der Mus li me<br />

die der Rechtsextremisten.<br />

ne der Mitarbeiterinnen der Studie,<br />

Sarah Rembiszewski. Die Delegitimie -<br />

rung des Staates Israel sei inzwischen<br />

salonfähig geworden. „Es ist das Ge -<br />

fühl der Unsicherheit, es ist unange nehm,<br />

wenn man es wagt, für Israel auch nur<br />

Par tei zu ergreifen.“<br />

Als Erklärung für den Anstieg führte<br />

die Studie den Gaza-Krieg zur Jah res -<br />

wende 2008/2009 an, bei dem et wa<br />

©Roth Institute<br />

Zu den Gewaltakten kämen Hun der te<br />

von Drohungen, Beleidigungen, feind -<br />

liche Graffiti-Aufschriften und Spruch -<br />

bänder bei Demonstrationen hin zu.<br />

Man gehe von einer noch hö he ren<br />

Dun kelziffer aus. Insgesamt sei es das<br />

schlimmste Jahr antisemitischer Ge walt<br />

seit Beginn der Beobachtung solcher<br />

Übergriffe vor zwei Jahr zehnten.<br />

Die Studie wird alljährlich am Vor -<br />

abend des Holocaust-Gedenktages in<br />

Israel veröffentlicht.<br />

http://www1.tau.ac.il/pressoffice/english/<br />

index.php/press-releases<br />

(s. auch Beitrag auf Seite 37)<br />

Die größte Zahl gewaltsamer antisemitischer<br />

Akte wurde mit 374<br />

(2008: 112) in Großbritannien verzeichnet.<br />

In Frankreich waren es 195, fast<br />

viermal so viele wie im Vorjahr (50).<br />

Bezüglich Österreich heißt es, es habe<br />

einen Anstieg von 0 auf 22 Vorfälle<br />

gegeben. In der Studie wird auch da -<br />

rauf hingewiesen, dass in Österreich<br />

die „extreme Recht beeindruckende Wahl -<br />

erfolge erzielt“ habe. In Deutschland ist<br />

die Zahl der Straftaten nach der Sta -<br />

tistik der Universität im vergangenen<br />

Jahr zwar auf 33 gefallen (2008: 82).<br />

Allgemein sei die Verunsicherung in<br />

den jüdischen Gemeinden in Deutschland<br />

jedoch stark gestiegen, sagte ei -<br />

ANTISEMITISCHE SCHMIEREREIEN IN VÖCKLAMARKT<br />

Antisemitische Schmierereien auf einem Skaterplatz in Vöcklamarkt, aufgenommen am<br />

06.Mai 2009.<br />

© APA/Richard Schachinger<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 11


POLITIK • ANTISEMITISMUS<br />

Rechtsextreme<br />

fühlen sich auf<br />

Facebook wohl<br />

Hakenkreuze, SS-Runen, Hitlerporträts:<br />

im sozialen Netzwerk Facebook ist all das<br />

zu finden, und nicht zu knapp.<br />

Inzwi schen versuchen User das virtuelle<br />

Vernetzungsinstrument von rassistischen<br />

und antisemitischen Gruppen zu säubern,<br />

in dem sie solche Profile melden. Mit<br />

mäßigem Erfolg. Facebook selbst verurteilt<br />

zwar Hetze dieser Art und sperrt<br />

auch immer wieder einschlägige User,<br />

hält aber an der automatischen Frei schal -<br />

tung von Beiträgen fest. Das gehöre zur<br />

Meinungsfreiheit.<br />

VON ALEXIA WEISS<br />

Das Profil von Userin „Julia Kristina“<br />

fällt auf: anstatt eines Porträtfotos hat<br />

sie ein Piktogramm gewählt. Dieses<br />

zeigt einen Menschen, der einen Da -<br />

vidstern in den Mistkübel wirft. Das<br />

war jedenfalls im Januar so. Im März<br />

hat sie das Bild ausgetauscht. nun ist<br />

da zu lesen: „For Gaza we stand“.<br />

Julia Kristina ist Mitglied in Gruppen<br />

wie „Death to Israel“ oder „Stg 44“.<br />

Das „Sturmgewehr 44“ wurde 1943<br />

von der deutschen Wehrmacht eingeführt.<br />

Als Wohnort hat sie „Calgary,<br />

AB“ angegeben.<br />

Liviu Reinhardts Profil ziert derzeit ein<br />

Foto, das ihn beim Eishockey-Spielen<br />

zeigt. Vor ein paar Wochen waren al -<br />

lerdings noch SS-Runen zu sehen. Er<br />

ist Mitglied in 220 Gruppen, viele da -<br />

von befassen sich mit speziellen Waf -<br />

fen (darunter auch das „Sturmge wehr<br />

44“ und die „Maschinenpistole 44 –<br />

MP 44“), einige mit Paintball, andere<br />

zeigen seine politische Einstellung<br />

(„AN TI Zionism“, „Only good commie is<br />

a dead commie!“, „It’s called Palestine, not<br />

Israel!!!“). Er spielt Games wie „Batt-<br />

lefield Franchise“, „Company of He ro -<br />

es“ oder „Call of Duty: World of War“.<br />

Bei „Wotan Klan“ handelt es sich we -<br />

der um einen einzelnen User noch um<br />

eine Gruppe. Dies ist der Face book-<br />

Auftritt eines Labels, das im Internet<br />

auch unter www.wotanklan.net zu finden<br />

ist. Hier gibt es vor allem T-Shirts<br />

und Postkarten mit einschlägigen Mo -<br />

tiven, ein Banner führt zu Thor Stein ar,<br />

einer auch unter neonazis in Österreich<br />

beliebten Modelinie. Auf Face -<br />

book beschreibt sich Wotan Klan<br />

selbst so: „Wotan Klan is a wide range<br />

fa shion and lifestyle company. It’s the<br />

spi rit of a new yet old era. It’s not about<br />

pretty pride, it’s not about standing out –<br />

it’s about actually being who you are and<br />

showing it.“<br />

Offener zeigen, worum es geht, geht<br />

nicht mehr: Die Gruppe „National-<br />

Socialism“ hatte <strong>als</strong> Profilfoto das Ha -<br />

kenkreuz gewählt. Hier war auch Li -<br />

vi u Reinhardt schon Mitglied. In zwi -<br />

schen scheint diese Seite bei Facebook<br />

nicht mehr auf. So wie auch jene, die<br />

sich „Hitler Appreciation Club“ nann te.<br />

Hier war zu lesen gewesen: „We believe<br />

that Hitler is our saviour, and his 1.000<br />

year rule is only just getting started.“<br />

Etwas über 1.300 Mitglieder hatten<br />

sich in kurzer Zeit der Gruppe angeschlossen.<br />

Hannah Lessing, die Leiterin des na ti o -<br />

nalfonds der Republik Österreich, ist<br />

über das Posting eines ihrer Face book-<br />

Freunde auf dieses Profil aufmerksam<br />

geworden. Er bat seine Friends, die<br />

Seite zu melden. Und Les sing rief ihre<br />

Freunde ebenfalls auf, den Melde-But -<br />

ton zu aktivieren. Die se Funktion bietet<br />

Facebook an. Und in diesem Fall hat<br />

es auch geklappt. „National-Socia lism“<br />

ist aus Face book verschwunden. „Es<br />

zeigt sich <strong>als</strong>o, dass man auch etwas erreichen<br />

kann – nämlich die Löschung“, freut<br />

sich Lessing. Ihr Fazit: „Nicht immer<br />

stimmt der Satz, ‚nicht einmal ignorieren‘“.<br />

Und sie ruft dazu auf, „Seiten, die<br />

solchen Inhalt haben, unbedingt reporten“.<br />

Jemand, der fleißig Seiten meldet, ist<br />

Katharina Nenning. Sie kritisiert allerdings:<br />

„Facebook reagiert sehr langsam.<br />

Wenn man eine Seite meldet, wird man<br />

da nach, wenn diese Seite geschlossen<br />

wird, nicht verständigt. Es scheint mir, es<br />

herrscht völlige Willkür, ob Seiten ge -<br />

schlos sen werden oder nicht. Es kann ei -<br />

nige Tage dauern oder einige Wochen. Ich<br />

denke, die Administration ist hier vollkommen<br />

überfordert. Einige Seiten, wo es<br />

extrem viele Proteste gab, zum Beispiel<br />

die Seite „Wiedereinführung der Todes -<br />

stra f e und Gaskammer“ wurde sehr, sehr<br />

rasch gelöscht. Als Profilbild wurde ein<br />

Nazi in Uniform verwendet, der auf Lei -<br />

chen berge mit Stiefel tritt.“<br />

Diese Gruppe hatte innerhalb kurzer<br />

Zeit 500 Mitglieder. Zu einer anderen<br />

bekannten sich sogar 13.000 „Fans“:<br />

sie trug den Titel „Kinderschänder, für<br />

12 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


POLITIK • ANTISEMITISMUS<br />

Euch eröffnen wir wieder Mauthau sen!!“.<br />

Die Pinnwand, auf der auf Facebook<br />

jedes Gruppenmitglied beziehungsweise<br />

jeder Fan posten kann, wonach<br />

ihm oder ihr ist, sprach eine deutliche<br />

Sprache. „I drah sogar höchstpersönlich<br />

As Gas auf“, war da zu lesen. Oder: „Und<br />

nebenbei haum ma a boa Drogen dieler,<br />

Mör der und Sozi<strong>als</strong>chmarotzer no da zua!“.<br />

Ein „Fan“ ist übrigens einschlägig be -<br />

kannt: Robert Faller engagiert sich in<br />

der rechtsextremen nVP, die jüngst zu<br />

Wahlen in Oberöster reich nicht zugelassen<br />

wurde. Die Kinder schän dernach-Mauthausen-Seite<br />

wur de inzwischen<br />

ebenfalls geschlossen. Hier hat -<br />

te es Anfang März auch eine brei te<br />

mediale Berichterstattung ge ge ben.<br />

nenning, die viele Jahre Mitarbeiterin<br />

verschiedener SPÖ-Abgeordneter im<br />

Parlament sowie Umweltaktivistin bei<br />

Global 2000 war und heute <strong>als</strong> freiberufliche<br />

Journalistin tätig ist, ist seit<br />

circa Oktober 2009 Mitglied von Face -<br />

book. Durch das Freundesnetzwerk,<br />

das sich auf Facebook für sie aus alten<br />

Bekannten und neuen Kontakten rasch<br />

gebildet hat, wurde nenning auf nazis<br />

tische und rassistische Aktivitäten<br />

auf dieser Plattform aufmerksam.<br />

„Am Anfang haben einige Leute das auf<br />

ihren Pinnwänden bei Facebook gepostet<br />

mit der Bitte, diese neonazistischen oder<br />

rassistischen Seiten zu melden“, erzählt<br />

sie der „Gemeinde“. „Es wurden im mer<br />

mehr Menschen auf diese krassen Miss -<br />

stände bei Facebook aufmerksam und es ist<br />

eindeutig zu erkennen, dass immer mehr<br />

Neonazis Facebook <strong>als</strong> Plattform benutzen,<br />

um dort ihre Propaganda zu verbreiten.“<br />

Denn, so nennings Befund: „Facebook<br />

eignet sich hervorragend zur Verbreitung<br />

von Inhalten und zum Schließen von<br />

Freund schaften. Daher gibt es hier dringendst<br />

Handlungsbedarf. Es kann nicht<br />

sein, dass das Internet der Zukunft einfach<br />

ein rechtsfreier Raum bleibt und hier<br />

Gesetze außer Kraft gesetzt werden. Es<br />

existieren leider unzählige grenzwertige<br />

Gruppen und es kann auch nicht Sinn<br />

sein, dass zukünftig laufend ein Katz-<br />

Maus-Spiel gespielt wird und wir immer<br />

den Seiten nachlaufen müssen, diese melden<br />

und dann werden vier neue Seiten<br />

eröffnet. Es hat kaum jemand die Zeit<br />

und Lust täglich fünf bis zehn Seiten zu<br />

melden. Die Frage stellt sich auch: wa rum<br />

sollen die User die ‚Drecksarbeit‘ für Fa ce -<br />

book machen?‘“<br />

Tatsächlich ist hier folgendes Problem<br />

zu orten: in Österreich gibt es das Ver -<br />

botsgesetz, das rechtsextreme Inhalte<br />

auf heimischen Servern nicht zulässt.<br />

In den USA fallen neonazistische<br />

Äußerungen dagegen unter Mei nungs -<br />

freiheit. „Es wäre für Facebook jedoch<br />

kein Problem, die terms of trade, die Si cher -<br />

heitsrichtlinien dahingehend zu verändern,<br />

sodass Neonazismus und Rassis mus und<br />

Hetz-Hass-Seiten verboten werden. Face -<br />

book könnte hier eine Vorreiterrolle übernehmen,<br />

sich eine Art Status im Sinne ei -<br />

nes Gütesiegels schaffen und für das Image<br />

wäre es auch sicherlich förderlich, wenn<br />

Facebook von sich behaupten kann, auf<br />

seiner Sozialplattform gibt es keinerlei neo -<br />

nazistische, rassistische und menschenrechtsverletzende<br />

Facebook-Seiten.“<br />

Ähnlich ist auch der name einer Face -<br />

book-Gruppe, die nenning am 17. Fe -<br />

bruar <strong>2010</strong> gegründet hat: „Kei ne ➭<br />

ARBEITSDEFINITION „ANTISEMITISMUS“<br />

Arbeitsdefinition: Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich <strong>als</strong> Hass<br />

gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat ge gen jüdis che oder<br />

nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemein deinsti tu tio nen<br />

oder religiöse Einrichtungen.<br />

Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei <strong>als</strong> jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel<br />

solcher Angriffe sein. Oft enthalten antisemitische Äußerungen die Anschuldigung, die Ju den be -<br />

trieben eine gegen die Menschheit gerichtete Verschwörung und seien dafür verantwortlich, dass<br />

„die Dinge nicht richtig laufen“. Der Antisemitismus manifestiert sich in Wort, Schrift und Bild so wie in<br />

anderen Handlungsformen, er benutzt negative Ster e o type und un ter stellt negative Charak ter zü ge.<br />

Aktuelle Beispiele von Antisemitismus im öffentlichen Leben, in den Medien, Schulen, am Ar -<br />

beitsplatz und in der religiösen Sphäre können unter Berücksichtigung des Gesamt kon textes<br />

folgende Verhaltensformen einschließen, ohne auf diese beschränkt zu sein:<br />

* Der Aufruf zur Tötung oder Schädigung von Juden im Namen einer radikalen Ideologie oder<br />

einer extremistischen Religionsanschauung sowie die Beihilfe zu solchen Taten oder ihre<br />

Rechtfertigung.<br />

* F<strong>als</strong>che, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Ju den<br />

oder die Macht der Juden <strong>als</strong> Kollektiv – insbesondere die Mythen über eine jüdische Welt -<br />

ver schwörung oder über die Kontrolle der Medien, Wirtschaft, Regierung oder an de rer gesell -<br />

schaftlicher Institutionen durch die Juden.<br />

* Das Verantwortlichmachen der Juden <strong>als</strong> Volk für das (tatsächliche oder unterstellte) Fehl -<br />

verhalten einzelner Juden, einzelner jüdischer Gruppen oder sogar von Nicht-Juden.<br />

* Das Bestreiten der historischen Tatsache, des Ausmaßes, der Mechanismen (z.B. der Gas -<br />

kam mern) sowie der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Juden durch das natio n<strong>als</strong>o zi -<br />

alistische Deutschland und seine Unterstützer und Komplizen während des Zwei ten Welt krie -<br />

ges (Holocaust).<br />

* Der Vorwurf gegenüber dem jüdischen Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust übertrieben<br />

darzustellen oder erfunden zu haben.<br />

* Der Vorwurf gegenüber Juden, sie fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden<br />

weltweiten jüdischen Interessen stärker verpflichtet <strong>als</strong> den Interessen ihrer jeweili gen Hei mat -<br />

länder.<br />

Beispiele von Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Staat Israel und unter Berück sich ti -<br />

gung des Gesamtkontextes können folgende Verhaltensformen einschließen, ohne auf diese<br />

be schränkt zu sein:<br />

* Das Abstreiten des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Be -<br />

hauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.<br />

* Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von<br />

keinem anderen demokratischen Staat erwartet und verlangt wird.<br />

* Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Ver -<br />

bindung stehen (z.B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Israel<br />

oder die Israelis zu beschreiben.<br />

* Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nation<strong>als</strong>ozialisten.<br />

* Das Bestreben, alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu ma -<br />

chen. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht<br />

<strong>als</strong> antisemitisch betrachtet werden.<br />

Antisemitische Taten sind Straftaten, wenn sie <strong>als</strong> solche vom Gesetz bestimmt sind (z.B. die<br />

Leugnung des Holocausts oder die Verbreitung antisemitischer Materialien in einigen Län dern).<br />

Straftaten sind antisemitisch, wenn die Angriffsobjekte, seien es Personen oder Sachen - wie Ge -<br />

bäude, Schulen, Gebetsräume und Friedhöfe – deshalb ausgewählt werden, weil sie jüdisch<br />

sind, <strong>als</strong> solche wahrgenommen oder mit Juden in Verbindung gebracht werden.<br />

Antisemitische Diskriminierung besteht darin, dass Juden Möglichkeiten oder Leistungen vorenthalten<br />

werden, die anderen Menschen zur Verfügung stehen. Diese Diskriminierung ist in<br />

vielen Ländern verboten.<br />

(Original: EUMC) © Translation by EUROPEAN FORUM ON ANTISEMITISM<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 11


POLITIK • ANTISEMITISMUS<br />

neonazistischen, rassistischen, menschenrechtsverletzenden<br />

FB-Grup pen“. Hier<br />

versammelten sich bis Ende März<br />

über 3.600 Mitglieder. Und hier postet<br />

nun jeder, der eine rechtsextreme<br />

Gruppe findet, den namen dieser, und<br />

fordert die anderen Mitglieder zum<br />

Melden der Seite auf.<br />

Wenn man Facebook auf seinen Um -<br />

gang mit rechtsextremen Einträgen<br />

anspricht, gewinnt man den Ein druck,<br />

dass sich wohl nicht viel an der ak tu -<br />

ellen Praxis ändern wird. User sollen<br />

melden – aber jeder bekommt weiterhin<br />

die Möglichkeit, jederzeit Profile<br />

und Gruppen mit bedenklichen In -<br />

hal ten online zu stellen.<br />

Konkret antwortete Facebook auf die<br />

Anfrage der „Gemeinde“: „Bei der Re -<br />

gis trierung auf Facebook stimmen die<br />

Nut zer den Nutzungsbestimmungen und<br />

der Erklärung der Rechte und Pflichten zu.<br />

Facebook reagiert schnellstmöglich auf<br />

Be schwerden und sucht auch selbst, mit<br />

Hilfe von entsprechenden technischen<br />

Hilfsmitteln, aktiv nach unangemessenen<br />

Inhalten und Aktivitäten, aber es gelingt<br />

leider nicht immer alles rechtzeitig aufzuspüren.“<br />

Und weiter: „Es ist Facebooks<br />

Ziel eine Balance zu schaffen, zwischen<br />

dem Recht auf freie Meinungsäußerung<br />

und dem Anspruch, gewährleisten zu kön -<br />

nen, dass sich Individuen oder Gruppen<br />

auf der Plattform nicht bedroht oder ge -<br />

fährdet fühlen.“<br />

Die Frage, wie man den kontroversen<br />

Austausch von Ideen und Meinungen<br />

auf der Webseite handhaben soll, sei<br />

eine der schwierigsten Fragen, mit dem<br />

das Unternehmen seit seiner Grün -<br />

dung zu kämpfen habe, betont der<br />

Fa cebook-Sprecher. „Wir haben in der<br />

Er klärung der Rechte und Pflichten be -<br />

stimmte Regeln eingeführt, um sicherzustellen,<br />

dass die Inhalte und Meinungen,<br />

die unsere Nutzer erstellen, nicht völlig<br />

un kontrolliert bleiben. Wenn das Äußern<br />

einer Meinung zu direkten Hass- oder<br />

Drohbekundungen führt, <strong>als</strong>o zum Bei -<br />

spiel wenn Nutzer pornographische oder<br />

andere anstößige Fotos oder Videos hochladen,<br />

setzen wir alles daran auf Mel dun -<br />

gen zu reagieren, den Inhalt zu entfernen<br />

und die Konten der Verantwortlichen zu<br />

sperren oder abzumahnen.“<br />

Allerdings ist man bei Facebook der<br />

Ansicht, dass es zwischen dem Befür -<br />

wor ten von Gewalt gegen eine Grup pe<br />

und dem Ausdruck einer Meinung<br />

oder einer Überzeugung, selbst wenn<br />

diese Stellungnahme sachlich f<strong>als</strong>ch ist<br />

oder für die meisten Menschen ein<br />

Skan dal oder anstößig, einen Unterschied<br />

gibt. „Während einige Arten von<br />

Kommentaren und Inhalte sehr verstörend<br />

sein können – Kritik an einer bestimmten<br />

Kultur, Land, Religion, Lebensstil oder po -<br />

litischen Ideologie – ist dies allein kein<br />

Grund, die Diskussion zu entfernen. Die<br />

traurige Realität zeigt, dass Ignoranz im -<br />

mer noch existiert, sowohl in <strong>als</strong> auch<br />

außerhalb von Facebook. Wir glauben, dass<br />

diese Ignoranz leider allein durch das<br />

Ver decken der Tatsache, dass es sie gibt,<br />

nicht besiegt werden kann, sondern lediglich<br />

durch eine frontale Konfrontation.“<br />

nenning hat auf die Gründung ihrer<br />

Gruppe viel positives Echo erhalten.<br />

Manche Kommentare lauteten allerdings<br />

ähnlich wie die Argumentation<br />

Fa cebooks. So hätten Gruppen mit glie -<br />

der gemeint, dass sie Angst vor Zen -<br />

sur haben und deshalb eine Ein schrän -<br />

kung dieser Gruppen ablehnen, da<br />

sie meinen, eine Demokratie müsse<br />

das aushalten und die Meinungs frei -<br />

heit stehe an oberster Stelle. „Diese<br />

Meinung teile ich nicht“, so die Journa -<br />

lis tin. „Ich bin strikt dagegen, dass man<br />

Neonazis gratis via Facebook eine Werbe -<br />

platt form zur Verfügung stellt und diese<br />

werben dann aktiv Mitglie der an, vor al lem<br />

junge Menschen. Diesen Trend sehe ich<br />

<strong>als</strong> sehr gefährlich und die Auswir kun gen<br />

können verheerend sein. Ich bin für ein<br />

striktes Verbot von neonazistischen Ak ti -<br />

vi täten bei der Sozialplattform Face book.“<br />

Auch Rudolf Kleinschmidt spricht sich<br />

klar für eine Änderung der Facebook-<br />

Linie aus. Der deutsche Journalist hat<br />

gemeinsam mit Freunden 2004 ein<br />

Do kumentationsarchiv zum Thema<br />

Rechtsextremismus und Grauzone<br />

gegründet (http://dokmz.wordpress.com).<br />

Inzwischen ist die Initiative auch auf<br />

diversen Web2.0-Plattformen präsent.<br />

Facebook ist seit zwei Jahren in diesem<br />

virtuellen Portfolio. Kleinschmidt be -<br />

tont, „gerade bei Facebook haben wir tolle<br />

Erfahrungen gemacht – die gegenseitige<br />

Unterstützung, Nachfragen, Informa tio -<br />

nen, die oft per Mail kommen, sind toll.<br />

Dazu gehören auch Einladungen und<br />

Über nachtungsangebote bei Veranstal tun -<br />

gen und Gegendemonstrationen, ge mein -<br />

sam geplante Online-Aktivitäten über<br />

Ländergrenzen hinweg etc. Wir nutzen<br />

Facebook <strong>als</strong> eine Mischung aus Com mu -<br />

ni ty und Informationsplattform.“<br />

Allerdings: Facebook werde auch von<br />

neonazis genutzt, „und je nachdem,<br />

wie ich dort einsteige, erscheint es manch -<br />

mal wie ein Hort von Neonazis, Ras sis -<br />

ten und Antisemiten“, so Klein schmidt.<br />

„Wenn ich <strong>als</strong> Neueinsteiger der passenden<br />

rechten Gruppe beitrete, bekomme ich<br />

dank der Community funk tionen Vor schlä -<br />

ge für Freunde, die je nach Gruppe bis ins<br />

Hardcore-Neonazispek trum reichen und<br />

die mich gerne und sofort ad den. Der Kon -<br />

takt zu Neonazis, der über das In ter-net<br />

ohnehin schon so einfach wie nie zuvor<br />

ist, wird hier nochm<strong>als</strong> einfacher ge macht.“<br />

Facebook scheine „vieles Unsägliche zu<br />

tolerieren und zu akzeptieren“. „Anders<br />

formuliert: wenn es um Geld geht, <strong>als</strong>o<br />

eine Firma ihre Interessen verletzt sieht,<br />

scheint das Facebook wichtig genug, um<br />

Gruppen und Profile zu löschen. Aufrufe<br />

zu Gewalt, menschenverachtende Hassti -<br />

ra den und Holocaustleugnung, übelste<br />

ein gebundene Youtube-Videos und die<br />

Mo bilisierung und Anwerbung für die<br />

rechte Szene scheinen dagegen für Face -<br />

book weitaus eher ‚verschmerzbar‘ und<br />

tolerierbar zu sein. Hier gehört nachgebessert<br />

– und hier sind wir <strong>als</strong> Commu ni ty-<br />

Mitglieder auch gefordert, immer wieder<br />

und massiv auf menschenverachtende In -<br />

halte hinzuweisen und dafür einzutreten,<br />

dass diese in unserer Community keinen<br />

Platz haben.“<br />

Rechtsextreme werben Jugendliche über Internet-Foren an<br />

Rechtsextreme Organisationen nutzen nach Angaben von Verfassungs schüt zern in<br />

Deutschland verstärkt soziale Netzwerke im Internet wie Facebook oder Studi VZ, um<br />

Jugendliche anzuwerben. Die NPD und andere rechtsextreme Gruppen würden Foren wie<br />

Facebook, SchülerVZ, Stu diVZ, MeinVZ, Wer-kennt-wen oder StayFriends für ihre Zwecke<br />

missbrauchen, sagte Nie der sachsens Verfassungs schutz präsident Hans Wargel der<br />

Zeitung „Die Welt“.<br />

„Jugendliche werden über den Austausch in den Foren vermehrt an die rechtsextremistische<br />

Szene herangeführt und auch angeworben.“ Die jungen Leute könn ten Pro paganda,<br />

Indoktrination und Anwerbeversuche häufig auf den ers ten Blick gar nicht <strong>als</strong> rechtsextrem<br />

erkennen, sagte Wargel. Statt Haken kreu zen würden Graf fiti oder Symbole aus der Ju gend -<br />

szene verwendet. „Die Rechtsextremisten tauchen in den sozialen Netzwerken im Internet <strong>als</strong><br />

Wolf im Schafspelz auf“, erläuterte der Experte. Er sprach von einer „neuen Stra te gie“.<br />

14 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


POLITIK • NS-ZEIT<br />

©Reuters/L. Balogh<br />

Sandor Kepiro<br />

Adolf<br />

Storms<br />

Søren Kam<br />

Michail<br />

Gorschkow<br />

Milivoj Asner<br />

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in<br />

Jerusalem hat am Montag eine neue<br />

Liste der zehn meistgesuchten nazi-<br />

Kriegsverbrecher veröffentlicht:<br />

1) Erstm<strong>als</strong> steht der ehemalige ungarische<br />

Polizeioffizier sandor Kepiro<br />

an erster Stelle. Der heute 95-Jährige<br />

wird beschuldigt, im Januar 1942 im<br />

serbischen novi Sad an der Ermor -<br />

dung von mehr <strong>als</strong> 1.200 Zivilisten<br />

teilgenommen zu haben.<br />

2) milivoj Asner (Österreich) - Der<br />

heu te 96 Jahre alte ehemalige Polizei -<br />

chef in Kroatien soll aktiv an der Ver -<br />

folgung und Deportation hunderter<br />

Serben, Juden sowie Sinti und Roma<br />

beteiligt gewesen sein. Österreich liefert<br />

den in Kärnten lebenden Asner<br />

nicht an Kroatien aus, weil ihm mehrere<br />

Gutachten Vernehmungsun fä -<br />

hig keit wegen Demenz attestieren.<br />

3) samuel Kunz (Deutschland) - Kunz<br />

wird der Teilnahme am Massenmord<br />

Klaas Carl<br />

Faber<br />

Peter<br />

Egner<br />

Alois Brunner<br />

Samuel<br />

Kunz<br />

Charles Zentai<br />

Algimantas<br />

Dalide<br />

Aribert Heim<br />

Die zehn meistgesuchten<br />

Nazi-Kriegsverbrecher<br />

an Juden im ehemaligen deutschen<br />

Vernichtungslager Belzec im dam<strong>als</strong><br />

besetzten Polen beschuldigt.<br />

4) Adolf storms (Deutschland) - Der<br />

ehemalige SS-Unteroffizier soll im<br />

März 1945 am Mord an 58 jüdischen<br />

Zwangsarbeitern im Dorf Deutsch<br />

Schüt zen in Österreich beteiligt ge -<br />

we sen zu sein.<br />

5) Klaas carl faber (Deutschland) -<br />

In den niederlanden für den Tod von<br />

Gefangenen im Transitlager Wester -<br />

bork und dem Gefängnis von Gronin -<br />

gen 1944 zum Tode verurteilt. Das Ur -<br />

teil wurde 1948 in eine lebenslange<br />

Haftstrafe umgewandelt. Flucht aus<br />

dem Gefängnis 1952.<br />

6) Karoly (charles) zentai (Aus tra -<br />

lien) - nahm 1944 an der Verfolgung<br />

und dem Mord an Juden in Budapest<br />

teil. Ungarn hat 2005 die Ausliefe -<br />

rung beantragt. Zentais letzter Ein -<br />

spruch wird derzeit vor Gericht in<br />

Perth verhandelt.<br />

7) soeren Kam (Deutschland) - Ehe -<br />

maliges SS-Mitglied, wird beschuldigt,<br />

für den Tod eines dänischen Jour na -<br />

listen verantwortlich zu sein. Kam soll<br />

das Einwohnerverzeichnis der jüdischen<br />

Gemeinde in Dänemark ge stoh -<br />

len und damit die Deportation von<br />

dä nischen Juden in deutsche Konzen -<br />

trationslager ermöglicht haben. Dä ne -<br />

mark hat 1999 die Ausweisung beantragt.<br />

8) Peter egner (USA) - Ehemaliges<br />

Mitglied der von den nazis kontrollierten<br />

Sicherheitspolizei im serbischen<br />

Belgrad. Von <strong>April</strong> 1941 bis Septem -<br />

ber 1943 soll er an der Tötung von<br />

17.444 Juden, Kommunisten sowie<br />

Sinti und Roma beteiligt gewesen<br />

sein. Serbien hat die Ausweisung<br />

Egners beantragt.<br />

9) Algimantas dalide (Deutschland)<br />

- nahm Juden fest, die später von den<br />

nation<strong>als</strong>ozialisten und litauischen<br />

Kollaborateuren getötet wurden. Von<br />

den USA ausgeliefert und in Litauen<br />

ver urteilt. Musste aber seine Haft stra fe<br />

aus „Alters- und Gesundheits -<br />

gründen“ nicht antreten.<br />

10) michail gorschkow (Estland) -<br />

Arbeitete <strong>als</strong> Dolmetscher für die Ge -<br />

sta po in Weißrussland und soll an der<br />

Ermordung von Juden in Slutzk be tei -<br />

ligt gewesen sein.<br />

In einer Sonder ka tegorie sucht das<br />

Wiesenthal-Zentrum weiterhin nach<br />

zwei nazi-Kriegsverbrechern:<br />

Alois Brunner (Syrien) - Der wichtigste<br />

bisher strafrechtlich nicht verfolgte<br />

na zi-Kriegsverbrecher, der noch<br />

am Le ben sein könnte. Der heute 98<br />

Jahre alte ehemalige SS-Hauptsturm -<br />

füh rer gilt <strong>als</strong> „rechte Hand“ Adolf<br />

Eich manns. Als „Ingenieur der Endlö -<br />

sung“ soll der Österreicher für den<br />

Tod von etwa 130.000 Juden aus mehreren<br />

Län dern verantwortlich sein.<br />

Zum letzten Mal 2001 gesehen.<br />

Aribert heim - nach Presseberichten<br />

soll der <strong>als</strong> „Dr. Tod“ berüchtigte frühere<br />

KZ-Arzt bereits 1992 im Alter<br />

von 78 Jahren in Kairo gestorben sein.<br />

Das Wiesenthal-Zentrum bezweifelt<br />

die Angaben, weil weder der Tod be -<br />

stätigt noch die sterblichen Überreste<br />

gefunden worden sind.<br />

APA<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 15


POLITIK • NS-ZEIT<br />

Die internationale jüdische<br />

EHE-PARTNER-VERMITTLUNG<br />

Weber José<br />

PF 180182<br />

D-60082 Frankfurt a.M.<br />

Telefon +49/69-597 34 57<br />

+49/17/267 14940<br />

Fax +49/69-55 75 95<br />

eMail: weber@simantov.de<br />

www.simantov.de<br />

Forschungspreis<br />

zur Rolle der Ärzte im<br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />

© EPA/Auschwitz Museum<br />

Die Rolle der Ärzte im nation<strong>als</strong>o zia -<br />

lis mus soll mit Hilfe eines neu aufgelegten<br />

Forschungspreises wissenschaftlich<br />

weiter untersucht werden.<br />

Auch wenn die Mitschuld der Ärzte<br />

an Verbrechen der nazis bereits in<br />

ver schiedenen Forschungsprojekten<br />

be handelt wurde, sei das Thema<br />

doch bei weitem nicht ausreichend<br />

aufgearbeitet, teilte das Bundesge -<br />

sund heits ministerium in Berlin mit.<br />

Deshalb hätten das Ministerium, die<br />

Bundesärztekammer und die Kassen -<br />

ärzt liche Bundesvereinigung nunmehr<br />

zum dritten Mal einen For schungs -<br />

preis für wissenschaftliche Arbeiten<br />

zur Geschichte der Ärzte während<br />

der nS-Diktatur ausgeschrieben. Der<br />

Preis ist mit 10.000 Euro dotiert.<br />

Ärzte wirkten in der Zeit des natio -<br />

nal sozialismus an der systematischen<br />

Ermordung von Kranken mit. Außer -<br />

dem beteiligten sich führende Vertre -<br />

ter der Ärzteschaft an der Vertrei -<br />

bung ihrer jüdischen Kollegen.<br />

An der Ausschreibung teilnehmen<br />

dür fen Ärzte und Psychothera peu ten,<br />

Studenten der Humanmedizin sowie<br />

Forscher an humanmedizinischen<br />

und medizinhistorischen In sti tuten.<br />

Ar bei ten müssen in deutscher Spra -<br />

che verfasst sein. Es werden nur Ar -<br />

bei ten be rücksichtigt, die ab dem<br />

01.01.2005 er stellt oder veröffentlicht<br />

wurden.<br />

Bewerbungsschluss ist der 30. No -<br />

vem ber <strong>2010</strong>. Anfang 2011 werden die<br />

Preisträger bekanntgeben.<br />

(ddp)<br />

Dokumente über SS-Mitglieder auf<br />

Dachboden in Auschwitz entdeckt<br />

Mehr <strong>als</strong> 65 Jahre nach der Befreiung<br />

des Konzentrationslagers Auschwitz<br />

sind in dem Ort im Süden Polens<br />

Dokumente über mitunter führende<br />

nation<strong>als</strong>ozialisten entdeckt worden.<br />

Wie die polnische nachrichten agen -<br />

tur PAP unter Berufung auf das Mu -<br />

seum Auschwitz-Birkenau berichtete,<br />

wurden die mehr <strong>als</strong> 200 Dokumente<br />

bei einer Renovierung auf dem Dach -<br />

boden eines Hauses in Oswiecim<br />

(Auschwitz) entdeckt. Gefunden wur -<br />

den demnach unter anderem ein To -<br />

tenschein und Berechtigungsscheine<br />

vom Ernährungsamt der beiden KZ-<br />

Apotheker Victor Capesius und Adolf<br />

Krömer. Capesius war der letzte Lei -<br />

ter der KZ-Apotheke und missbrauchte<br />

Gefangene des Lagers für medizinische<br />

Experimente. Er wurde nach<br />

dem Krieg zu neun Jahren Gefängnis<br />

verurteilt. Krömer starb laut der nun<br />

entdeckten Todesakte im Februar 1944.<br />

Im Januar 1945 wurde das La ger be -<br />

freit. Im Konzentrations- und Ver nich -<br />

tungs lager Auschwitz-Birkenau ka men<br />

fast eine Million Juden ums Leben.<br />

Auch bis zu 75.000 nichtjüdische Po -<br />

len sowie tausende Roma und sowjetische<br />

Kriegsgefangene wurden hier von<br />

den nation<strong>als</strong>ozialisten er mor det. APA<br />

16 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


POLITIK • NS-ZEIT<br />

Lebenslange Haft<br />

für ehemaligen<br />

SS-Mann Boere<br />

In einem der wohl allerletzten großen<br />

nS-Prozesse in Deutschland ist der<br />

frü here SS-Mann Heinrich Boere zu le -<br />

benslanger Haft verurteilt worden. Das<br />

Aachener Landgericht sprach den 88-<br />

Jährigen des dreifachen Mordes für<br />

schul dig. Der Vorsitzende Richter Gerd<br />

Nohl sagte zu der Erschießung der nie -<br />

derländischen Zivilpersonen im Jahr<br />

1944 in Breda, Voorschoten und Wasse -<br />

naar bei Den Haag: „Es wa ren Mor de,<br />

die an Niederträchtigkeit und Feig heit<br />

kaum zu überbieten waren - außerhalb der<br />

Anständigkeit eines jeden Soldaten.“<br />

Das Gericht folgte mit seinem Urteil<br />

der Forderung der Staatsanwalt schaft.<br />

Die Anklagebehörde hatte die Taten<br />

<strong>als</strong> heimtückische und meuchlerische<br />

Morde bewertet. Boere, Sohn einer<br />

Deut schen und eines Hollän ders, sei<br />

ein überzeugter nazi gewesen und ha -<br />

be <strong>als</strong> Spion im Widerstand Lands leu -<br />

te ans Messer geliefert. Boere hatte die<br />

19 Prozesstage im Rollstuhl sitzend ver -<br />

folgt – er hatte so gut wie nichts selbst<br />

gesagt. Boere hatte vor Gericht die Tö -<br />

tungen zugegeben. In einer von seinem<br />

Ver tei diger verlesenen Erklä rung be -<br />

teu erte der Angeklagte allerdings, <strong>als</strong><br />

Mit glied des SS-Killerkommandos<br />

„Feld mei jer“ der „Germanischen SS in<br />

den Nie der landen“ in Befehlsnot stand<br />

ge handelt zu haben. Er habe dam<strong>als</strong><br />

nicht im Be wusstsein ge handelt, ein<br />

Ver brechen zu begehen. „Als einfacher<br />

Soldat habe ich gelernt, Befehle aus zuf üh -<br />

ren, und wuss te, dass ich bei Nicht be fol gen<br />

eines Be fehls meinen Eid brechen und<br />

selbst er schossen werden würde“, ar gu -<br />

men tier te er.<br />

Boeres Verteidiger hatten die Einstel -<br />

lung des Verfahrens verlangt - oder im<br />

Falle einer Verurteilung eine Höchst -<br />

strafe von sieben Jahren. Ihr Man dant<br />

sei für seine Taten bereits nach Kriegs -<br />

en de in den niederlan den verurteilt<br />

worden. Der Prozess verstoße da mit ge -<br />

gen des Verbot der Dop pel ver fol gung.<br />

Boere hat die da m<strong>als</strong> verhängte Strafe<br />

allerdings nie verbüßt. Trotz dem dürfe<br />

er nicht noch einmal ver urteilt werden,<br />

hatten die Ver tei di ger mit Hin weis<br />

auf die neue Grundrechte-Charta der<br />

EU argumentiert. Bei ei nem Schuld -<br />

spruch müssten Mediziner zu dem<br />

Boere erst für haftfähig erklären. APA<br />

Wiesenthal-<br />

Zentrum kritisiert<br />

Österreich<br />

wegen laxer<br />

Nazi-Verfolgung<br />

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum hat in<br />

seinem neuen Jahresbericht Österreich<br />

im Zusammenhang mit der strafrecht -<br />

liche Verfolgung von nS-Verbrechern<br />

kritisiert. Wegen „minimaler Anstren -<br />

gun gen bei der Untersuchung von Nazi-<br />

Kriegsverbrechen“ bekam Österreich<br />

vom Leiter des Jerusalemer Zen trums,<br />

Efraim Zuroff, nur die note „ausreichend“.<br />

Bereits im Vorjahr hatte Zu -<br />

roff die österreichische Haltung be -<br />

män gelt: „Während in Deutschland vie le<br />

Ermittlungen geführt und immerhin ei -<br />

nige Verurteilungen erreicht werden, hat<br />

es in Österreich seit über 30 Jahren keine<br />

einzige Verurteilung eines NS-Verbre chers<br />

gegeben“, hatte es im Bericht des Jah -<br />

res 2009 geheißen.<br />

Deutschland erhielt heuer erstm<strong>als</strong> die<br />

note „sehr gut“. „Es gibt eine monumentale<br />

und höchst bedeutsame Verände -<br />

rung in der deutschen Anklagepolitik“,<br />

sagte Zuroff. Mit Deutschland habe<br />

erstm<strong>als</strong> ein zweites Land gemeinsam<br />

mit den Vereinigten Staaten die Best -<br />

no te erhalten. „Deutschland ist nicht per -<br />

Der <strong>Wien</strong>er Akademikerbund hat von<br />

der Debatte um das nS-Verbotsgesetz<br />

noch nicht genug. Bei einer Pressekon -<br />

fe renz am 15. <strong>April</strong> legte der mittler -<br />

wei le abgesetzte Vorstand noch nach.<br />

Landesobmann Josef Müller forderte<br />

neuerlich die Aufhebung des Ver bots -<br />

ge setzes und untermauerte seine An -<br />

sich ten mit teils eigenwilligen Ver glei -<br />

chen und sprach sogar von „Schan de“.<br />

Überhaupt ist Mül ler der Mei nung,<br />

dass es nach 70 Jahren genug sei mit der<br />

Rolle Österreichs <strong>als</strong> „Mitschul di gen<br />

und Verursacher“ der nS-Ver bre chen.<br />

Am Arbeitspro gramm stehen <strong>als</strong> näch -<br />

stes islamische „Gefahren“, „Pa rallel -<br />

ge sellschaften“, EU-Kritisches und<br />

an deres, das an Themen der FPÖ er -<br />

innert.<br />

Efraim Zuroff<br />

fekt, ab es tut viel mehr <strong>als</strong> es im vergangenen<br />

Jahrzehnt getan hat“, sagte der<br />

na zi-Jäger. „(John) Demjanjuk wurde in<br />

München vor Gericht gestellt. Deutsch -<br />

land ist jetzt auch bereit, Nicht-Deutsche<br />

strafrechtlich zu verfolgen, was in der Ver -<br />

gangenheit nicht der Fall war. Es besteht<br />

auch die Bereitschaft, Personen unterhalb<br />

des Offiziers-Dienstgrades anzuklagen.<br />

Das eröffnet ein gewaltiges Potenzial für<br />

neue Gerichtsfälle.“<br />

Das Wiesenthal-Zentrum sucht weltweit<br />

nach untergetauchten nazi-Ver -<br />

brechern und Kollabora teu ren. Die<br />

1977 ge gründete Menschenrechtsor ga -<br />

nisa ti on hat ihren Hauptsitz in Los<br />

Ange les.<br />

APA<br />

<strong>Wien</strong>er Akademikerbund rüttelt weiter am Verbotsgesetz<br />

Im Mittelpunkt der langen Ansprache<br />

Müllers stand aber das Ver bots ge setz.<br />

Die Zuhörerschaft bestand aus app -<br />

lau dierenden Sympathisanten im fort -<br />

geschrittenen Alter, das Medien in te res -<br />

se war hingegen minimal. Müller verglich<br />

das Ver botsgesetz mit dem „tra gen -<br />

den Element“ des nS-Regimes, dem Ver -<br />

bot der frei en Meinungsäuße rung. Mit<br />

dem Verbotsgesetz bediene man sich<br />

der „gleichen Waf fen“ wie die nazis,<br />

mein te er und sprach von „einer<br />

Schan de“.<br />

Für VP-Landesgeschäftsführer Nor bert<br />

Walter sind die heutigen Aussagen<br />

eine Bestätigung für die Distan zie rung<br />

der Volkspartei von dieser Gruppe. In<br />

der ÖVP gebe es keinen Millimeter<br />

Platz für „homophobe, islamophobe NS-<br />

Diktion“, sagte er zur APA. APA<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 17


POLITIK • ISRAEL<br />

Netanyahu<br />

ein Jahr<br />

im Amt<br />

VON ULRICH W. SAHM<br />

© Kobi Gideon/Flash90.<br />

Die Welt stöhnte laut, <strong>als</strong> vor einem<br />

Jahr Benjamin netanyahu zum zweiten<br />

Mal in Israel die Zügel in die<br />

Hand nahm. Mit seinem Rechts-<br />

Links-Bünd nis mit Orthodoxen, der<br />

ul trarechten Partei seines Außen mi nis -<br />

ters Avigdor Lieberman und der linkskonservativen<br />

Arbeitspartei unter Ver -<br />

teidi gungs mi nis ter Ehud Barak verfügt<br />

netanyahu über eine fast unstürzbare<br />

Koa lition.<br />

Um die Oppositionspartei Kadima<br />

unter Zipi Livni ist es still geworden.<br />

Mehrere Abgeordnete dieses von Mi -<br />

nis terpräsident Ariel Scharon 2005 ge -<br />

schaffenen Sammelbeckens von rechts<br />

und links sehnen sich gar zu rück in<br />

den Likudblock.<br />

netanyahu war nach seiner ersten<br />

Ka denz ab 1996 in schlechter Erinnerung<br />

geblieben. Mit dem Argument,<br />

„dazugelernt“ zu haben, gewann er<br />

das Vertrauen der Israelis, während<br />

die Amerikaner dem aalglatten Rhe -<br />

to riker misstrauten. Die Palästinenser<br />

verweigerten eine Fortsetzung der un -<br />

ter Ehud Olmert noch intensiv ge führ -<br />

ten „Friedensgespräche“. Sie konfrontierten<br />

netanyahu mit der Bedingung<br />

eines völligen Baustopps in den Sied -<br />

lungen und in Ost-Jerusalem. Die Eu -<br />

ropäer empörten sich über die Ernen -<br />

nung des rassistisch-rechtsextremen<br />

Außenministers Liebermann.<br />

netanyahu übernahm die Regierung,<br />

<strong>als</strong> das Land wegen dem Gazakrieg<br />

in ternational fast alle Sympathien<br />

ver spielt hatte. Seine Wahl verschlimmerte<br />

Israels Ruf.<br />

„Obgleich ich von Netanyahu <strong>als</strong> Politi -<br />

ker gar nichts halte, muss ich ihn loben“,<br />

sagt der angesehene Wirtschaftsex -<br />

perte Se ver Plotzker. Denn netanyahu<br />

hat Is ra el souverän durch die welt -<br />

wei te Fi nanzkrise gesteuert. Dank ei -<br />

nem Zwei-Jahres-Haushalt schuf er<br />

Stabi li tät. Das gibt es in keinem anderen<br />

Land der Welt. Er nahm langfristige<br />

Infrastrukturprojekte in Angriff,<br />

den Aufbau der sträflich vernachlässigten<br />

Wasserentsalzungslagen und<br />

den Aus bau des kümmerlichen Eisen -<br />

bahn net zes.<br />

Um politischen Konzessionen an die<br />

Palästinenser auszuweichen, entwarf<br />

er die Idee eines „Wirtschafts frie dens“.<br />

Tatsächlich ließ er im besetzten Ge biet<br />

fast alle Straßensperren öff nen oder<br />

wegräumen. netanyahu bescherte so<br />

den Palästinensern ein Wirtschafts -<br />

wachs tum von „acht bis elf Prozent“,<br />

wie Premierminister Salam Fayad sagt.<br />

„Ich kann heute ungehindert mit meinem<br />

Auto von Ostjerusalem zur Börse in Na b -<br />

lus fahren, während ich mich früher mit<br />

dem Esel auf Schleich we gen an den Sper ren<br />

vorbei zur Börse durchschlagen musste“,<br />

erzählt der Chef der boomenden Bör se<br />

in nablus.<br />

Doch politisch läuft nichts, zumal der<br />

fast zeitgleich ins Amt gewählte amerikanische<br />

Präsident Barack Obama<br />

neue Töne der Annäherung an die ara -<br />

bische Welt auf Kosten Israels angeschlagen<br />

hat.<br />

Obamas Forderung nach einer Zu -<br />

stimmung zur „Zwei-Staaten-Lö sung“<br />

akzeptierte netanyahu mit Beschrän -<br />

kun gen der palästinensischen Souve -<br />

rä nität und einer Entmilitarisierung.<br />

Die Palästinenser wiesen netanyahus<br />

Vision empört zurück. Die zweite For -<br />

derung, nach einem Baustopp in den<br />

Siedlungen, akzeptierte netanyahu<br />

ebenfalls, aber auf zehn Monate be fris -<br />

tet und mit Ausnahme Ost-Jeru sa lems.<br />

Mit dem Gefühl, von netanyahu über<br />

den Tisch gezogen worden zu sein, ließ<br />

Obama den israelischen Premier spü-<br />

18 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


POLITIK • ISRAEL<br />

ren, was er über ihn denkt. In Wa shing -<br />

ton wurde netanyahu „wie der letzte<br />

Politiker aus der Dritten Welt“ durch ei -<br />

ne Hintertür ins Weiße Haus gelassen.<br />

Es gab weder ein Foto des Treffens<br />

noch eine gemeinsame Abschlusser -<br />

klä rung.<br />

Der drohende Bruch zwischen den<br />

USA und Israel, von Kommentatoren<br />

<strong>als</strong> „Katastrophe für Israels Sicherheit“<br />

bezeichnet, hat netanyahus Populari -<br />

tät erstm<strong>als</strong> seit seiner Amtsübernah -<br />

me abgenommen. nur noch 44 Pro -<br />

zent halten ihn „passend“ für sein<br />

Amt. Gleichwohl liegt eine Fortset zung<br />

der Bautätigkeit in Ost-Jerusa lem, wo<br />

rund 250.000 Israelis leben, voll im<br />

nationalen Konsens.<br />

netanyahu gilt auch bei vielen Is ra e lis<br />

<strong>als</strong> wenig gradlinig, erpressbar und un -<br />

zuverlässig. „Sein schlimmster Feh ler war<br />

der Beschluss, Früchte und Ge müse mit<br />

Mehrwertsteuer zu belasten. Kaum hat te<br />

er das im Brustton der Überzeugung vorgetragen,<br />

gab er kleinlaut bei, <strong>als</strong> die Zei -<br />

tungen über Empörung in der Bevöl ke rung<br />

berichteten. Der Mann hat einfach kein<br />

Rück grat“, meint ein Israeli na mens<br />

It zik.<br />

Typisch für netanyahus Vorgehen, es<br />

mit der Wahrheit nicht zu genau zu<br />

nehmen und Vertrauen zu brechen,<br />

ver öffentlichte kürzlich die Zeitung<br />

‘Ha aretz’. netanyahu hatte Journalis -<br />

ten erzählt, auf eigene Initiative Bun -<br />

deskanzlerin Angela Merkel angerufen<br />

zu haben, um sie über seine Bau -<br />

politik in Ost-Jerusalem aufzuklären.<br />

Tatsächlich aber hatte Merkel auf Bit -<br />

ten der Amerikaner in Jerusalem an -<br />

ge rufen. Zudem sollte das Gespräch<br />

vertraulich bleiben.<br />

Mangels Vertrauen auf dem internationalen<br />

Parkett scheiterte netanyahu<br />

bei dem wichtigsten Thema, das die<br />

Israelis heute bewegt: die iranische<br />

Atombombe. netanyahu schaffte nicht,<br />

die Amerikaner von scharfen Sank tio -<br />

nen gegen Iran zu überzeugen. Schon<br />

heißt es, dass Obama sich mit einer<br />

iranischen Atombombe ab finden könn -<br />

te, während den Israelis na he ge legt<br />

wird, „sich an die iranische Bombe zu<br />

ge wöhnen“.<br />

Dieses Thema wird netanyahus größte<br />

Herausforderung im zweiten Jahr sei -<br />

ner Amtszeit werden, denn ein Frie den<br />

mit den Palästinenser wirkt aus is ra e -<br />

lischer Sicht fern und unrealistisch.<br />

WEST BANK IN ZAHLEN: WIRTSCHAFT 2009<br />

2009 ging es mit der palästinensischen Wirtschaft im Westjordanland steil berg auf. Aus län -<br />

dische Investitionen, neue Entwicklungsprojekte, eine verbesserte Sicherheitslage und die<br />

stärkere Zusammenarbeit zwischen Israelis und Paläs ti nensern haben zu der positiven Ent wick -<br />

lung beigetragen. Das Wirtschafts wachs tum lag bei acht Prozent, die Arbeits lo sen ra te ging<br />

zu rück, der Frem den verkehr nahm zu und der Handel zwischen Israel und der Pa läs tinen si -<br />

schen Autonomiebehörde (PA) stieg an.<br />

8% Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2009<br />

12,5 % Zuwachs auf dem palästinensischen Aktienmarkt 2009.<br />

600% Anstieg der ausländischen Investitionen in der West Bank seit 2008.<br />

8% Wertzuwachs der palästinensischen Exporte nach Israel im ersten Quar tal 2009 (im<br />

Vergleich zum ersten Quartal 2008) von US$ 136 Mio auf US$ 147 Mio.<br />

24 Straßensperren (unbemannt) beseitigte die israelische Armee (IDF) in den Distrikten<br />

von Hebron und Nablus im Januar <strong>2010</strong>.<br />

174 Straßensperren (unbemannt) beseitigte die IDF seit 2007. Zudem wurden im selben<br />

Zeitraum 27 Checkpoints (bemannte Straßen-Kontroll stellen) geräumt; 14 Check points<br />

bleiben bestehen.<br />

US$ 606 Mio. Gesamtsumme der finanziellen Unterstützung für die Pa lästinensische Au to -<br />

no miebehörde (PA) durch Geberstaaten 2009. Von diesem Betrag kamen US$ 200<br />

Mio. aus den USA<br />

42% Anstieg der Bettenbelegung in Hotels im 3. Quartal (im Ver gleich zum 3. Quartal 2008).<br />

US$ 700 Mio. Investitionen durch die kuwaitisch-katarische Mobiltelefon ge sellschaft Wa tan yia<br />

in der West Bank.<br />

$ 50 Mio. Wert eines privaten Aktienfonds, den die in Dubai ansässige private Kapital ge sell -<br />

schaft Abraaj Capital und der palästinensische Investmentfonds, einer öffentlichen In -<br />

vestmentgesellschaft, in der West Bank eingerichtet hat.<br />

8,4% Anstieg der Zahl der in Israel beschäftigten Palästinenser (im Vergleich zu 2008)<br />

14% Anteil der palästinensischen Beschäftigten bei israelischen Arbeitgebern (in Israel und<br />

in israelischen Unternehmen in der West Bank).<br />

3,5 km 2 Fläche, die für das Industriegebiet in Bethlehem bereitgestellt wurde, ein Indus trie park,<br />

der für Leichtindustrie, Handwerk und Steinarbeiten zur Verfügung stellen soll. Die<br />

Ar beit auf dem Areal begann im Juli 2009, unterstützt von der französischen<br />

Regierung.<br />

52.000 Zahl der Personen, die im November 2009 den neu renovierten Grenzübergang „Ja-<br />

lameh“ (oder “Gilboa”) von Israel in die nördliche West Bank passierten. Dies ist eine<br />

Verdreifachung des Verkehrs im Vergleich zum September 2009 dar und bietet bedeutende<br />

ökonomische Vorteile für die Wirtschaft der nördlichen West Bank.<br />

35% Zuwachs des Handelsvolumens zwischen Israel und der PA 2008 (im Vergleich zu 2007)<br />

206% Anstieg der landwirtschaftlichen Exporte aus der PA nach Israel, von 30.000 Tonnen<br />

im Jahr 2007 auf 92.000 Tonnen in 2008.<br />

16,4 % Arbeitslosenquote im zweiten Quartal 2009; im ersten Quartal 2009 lag die Quote<br />

bei 18,2%<br />

Ramallah<br />

30.000 Besucherzahl bei der ExpoTech im November 2009; die ExpoTech ist eine jährlich<br />

stattfindende palästinensische Technologie-Woche.<br />

1 Ramallahs erstes Fünf-Sterne-Hotel, das Mövenpick Hotel, soll in der ersten Jahres hälf -<br />

te <strong>2010</strong> seine Tore öffnen, komplett ausgestattet mit Geschäftszentrum, Fitness zen -<br />

trum, Einkaufszentrum und einem Stockwerk für die Chefetage. Das Hotel steht in<br />

bester Lage, fünf Minuten vom Stadtzentrum in Ramallah entfernt.<br />

65 Zahl der Filme, die im Verlauf des Al-Kasaba Internationalen Filmfestiv<strong>als</strong> in Ramal lah<br />

im Oktober 2009 gezeigt wurden.<br />

30.000 Zahl der neuen Wohnungen, die im Nordwesten von Ramallah im Verlauf der nächsten<br />

zehn Jahre von der Baufirma Ar-Rayhan errichtet werden sollen.<br />

US$ 15 Mio. Die geschätzten Kosten für den Bau eines Krankenhauses und medizinischen<br />

Campus, die in einer neuen Vorstadt von Ramallah von der Baufirma Ar-Rayhan ge baut<br />

werden sollen.<br />

25.000 Zahl der Einwohner, die in der ersten geplanten palästinensischen Stadt Rawabi an -<br />

ge siedelt werden sollen. Die Stadt ensteht neun Kilometer nördlich von Ramallah und<br />

soll vor allem Palästinensern der Mittelklasse ein neues Zuhause geben. Die Regie -<br />

rung von Katar hat einen Betrag von US$ 400 Mio. für das Projekt zugesagt und<br />

finanziert 5.000 Wohnungen. Der Durchschnittspreis eines Apartment wird bei etwa<br />

US$ 85.000 bis US$ 90.000 veranschlagt.<br />

2 Zahl der Schulen in Ramallah, die von der amerikanischen Entwicklungs hilfeor ga ni -<br />

sation USAID 2007 renoviert wurden: die griechisch-orthodoxe St. Georg Schule und die<br />

St. Joseph Schule für Mädchen. Die Renovierungsarbeiten umfassten ein zweites Stock -<br />

werk für die St. Georg Schule, 10 neue Klassenzimmer und einen neuen Pausenhof<br />

für die St. Joseph Schule.<br />

TIP<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 19


POLITIK • ISRAEL<br />

UMFRAGE:<br />

Israelis<br />

für andere<br />

Regierung<br />

Ein Jahr nach dem Amtsantritt von Mi -<br />

nisterpräsident Benjamin Netan ya hu<br />

wünscht sich eine Mehrheit der Isra e -<br />

lis einer neuen Umfrage zufolge eine<br />

andere Regierung. Demnach befürworten<br />

knapp zwei Drittel der Be frag -<br />

ten (65%), dass die größte Op po si ti -<br />

onsparteien Kadima in die Regie rung<br />

eintritt, und dafür die ultra-na tio nale<br />

Partei Israel Beitenu (Unser Haus Is -<br />

ra el) von Außenminister Avig dor Lie -<br />

ber man sowie die streng religiöse Shas-<br />

Partei von Innenminister Eli Yishai<br />

ausscheiden. Das geht aus der veröf -<br />

fent lichten Umfrage in der Ta ges zei -<br />

tung "Yediot Ahronot" hervor. netan -<br />

yahus Regierung war am 31. März<br />

2009 vereidigt worden.<br />

Wären am kommenden Sonntag Wah -<br />

len, würde das bisherige Regie rungs -<br />

bündnis aus rechtsgerichteten und<br />

religiösen Parteien sowie der sozialdemokratischen<br />

Arbeitspartei 68 statt<br />

bisher 74 der 120 Sitze im Parlament<br />

gewinnen. Größter Verlierer wäre die<br />

Arbeitspartei von Verteidigungs mi nis -<br />

ter Ehud Barak, die nur noch auf 8 statt<br />

bislang 13 Mandate käme.<br />

Dieses Ergebnis wird innerparteili -<br />

chen Barak-Kritikern Auftrieb geben,<br />

die sich seit Monaten dafür einsetzen,<br />

dass die Partei das rechtsgerichtete<br />

und siedlerfreundliche Regierungs la -<br />

ger verlässt. Im Siedlungsstreit sind<br />

die Israelis gespalten. Eine knappe<br />

Mehrheit von 51% lehnt einen Bau -<br />

stopp im arabischen Ostteil Jerusal ems<br />

ab, während 46% dies befürworten.<br />

44% der Befragen sind dafür, dass die<br />

Regierung einen bis September be -<br />

fristeten Baustopp im Westjordan -<br />

land verlängert. 46% lehnen das ab.<br />

Darüber hinaus glauben 59% der<br />

Befragten, dass die derzeitige Regie -<br />

rungs koalition keinen Durchbruch in<br />

Verhandlungen mit den Palästi nen sern<br />

erreichen kann. 37% halten das für<br />

möglich. Wie in Israel üblich, wurden<br />

500 Personen befragt. Die Fehler -<br />

quote liegt bei 4,4 Prozentpunkten.<br />

Palästinenserführung benennt erneut Straße<br />

nach Terroristen<br />

Die Palästinensische Autonomiebe hör -<br />

de (PA) hat laut israelischen Angaben<br />

erneut eine Straße in Ramallah nach<br />

ei nem Terroristen benannt, der für den<br />

Mord an zahlreichen Israelis verantwortlich<br />

ist. Israels Regierung verurteilte<br />

den Schritt <strong>als</strong> „abscheuliche Ver -<br />

herrlichung des Terrorismus“.<br />

Laut dem israelischen Fernsehsender<br />

„Ka nal 10“ hat die PA eine Straße<br />

nahe des Präsidentensitzes in Ramal -<br />

lah nach Yahya Ayyash benannt. Auf<br />

einer Gedenktafel am Straßenschild<br />

wurden Ayyashs „akademische Ver -<br />

dien ste“ vermerkt. Zudem findet sich<br />

der Zusatz, dass Ayyash von Israel<br />

we gen des Vorwurfs des Terrorismus<br />

getötet wurde.<br />

Der Hamas-Bombenexperte und An -<br />

füh rer des bewaffneten Flügels der<br />

radikal-islamischen Organisation im<br />

Westjordanland trug den Spitznamen<br />

„der Ingenieur“. Er gilt <strong>als</strong> Draht zie -<br />

her zahlreicher Selbstmordanschläge<br />

in Linienbussen in den 1990er Jahren.<br />

Meh rere Jahre war er für Israel der<br />

meistgesuchte Palästinenser.<br />

nach einer langen Suche wurde er<br />

1996 getötet - durch einen Sprengsatz,<br />

der in einem Handy versteckt war.<br />

Aus dem Büro von Premierminister<br />

Benjamin netanyahu hieß es, die Be -<br />

nen nung der Straße sei eine „abscheuliche<br />

Verherrlichung des Terrorismus<br />

durch die Palästinensische Autonomi e be -<br />

hörde“. Die internationale Staatenge -<br />

© Issam Rimawi/FLASH90.<br />

meinschaft müsse diese offizielle pa -<br />

läs tinensische „Hetze für den Terror<br />

und gegen den Frieden“ verurteilen.<br />

Erst vor einigen Wochen hatten Pa läs -<br />

tinenser in Ramallah einen Platz nach<br />

der Terroristin Dalal Mughrabi be nannt.<br />

Die Palästinenserin ist für einen An -<br />

schlag am 11. März 1978 verantwortlich,<br />

bei dem 37 Israelis ermordet<br />

wur den.<br />

inn<br />

„SDEROT MEDIA CENTER“:<br />

Gaza-Blockade ist ein Mythos<br />

Die Blockade des Gazastreifens sei ein Mythos - dies behauptet Jacob Shryb -<br />

man vom „Sderot Media Center“ im On linedienst der israelischen Zei tung<br />

„Jediot Aharonot“.<br />

Im Jahr 2009 seien 738.576 Tonnen hu manitärer Hilfe in den Gazastreifen<br />

ge liefert worden. Die UnO habe den rund 1,5 Mio. Einwohnern des Gaza -<br />

streifens Hilfsgüter im Wert von US$ 200 Mio. nach dem Gazakrieg ge spen -<br />

det, der angeblich 1.300 Tote gefordert hatte, schreibt Shrybman. Für die 3<br />

Mio. Einwohner von Haiti habe die UnO jedoch nur US$ 10 Mio. nach dem<br />

Erdbeben gesammelt, das 250.000 Tote gefordert hatte.<br />

Trotz der vermeintlichen „Blockade“ ha be Israel im vergangenen Jahr 4.883<br />

Tonnen Medikamente nach Gaza ge liefert und 10.544 Patienten mit Be glei -<br />

tern die Einreise nach Israel zwecks ärztlicher Behandlung genehmigt, ar -<br />

gumentiert Shrybman weiter. Im gleichen Zeitraum seien über 320 Ra ke ten<br />

und Mörsergranaten vom Ga za streifen auf Israel abgeschossen worden. inn<br />

20 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


Tausenden Palästinensern droht die<br />

Aus weisung aus dem Westjordan -<br />

land. Der palästinensische Minister -<br />

präsident Salam Fayad redet gar von<br />

Zehn tausenden, die israelische Solda -<br />

ten ausweisen könnten. Das Ziel dieser<br />

„ethnischen Säuberung“ sei es,<br />

weiteres Land zu rauben. Eldad Ca ha na<br />

von der Jerusalemer Men schen rechts -<br />

organisation Hamoked behauptet:<br />

„Die wesentliche Neuerung ist, dass zum<br />

ersten Mal Palästinenser nach dieser De -<br />

fi nition <strong>als</strong> Eindringlinge in ihrem eigenen<br />

Land gesehen und dafür ausgewiesen<br />

und bestraft werden können.“<br />

Der in Kraft getretene Militärerlass<br />

nr. 1650 vom Oktober 2009 sei nach<br />

Auf fassung Fajads so weit gefasst, dass<br />

Israel ganze Landstriche von ihren Be -<br />

wohnern befreien könne. Es bestehe<br />

Gefahr, dass Tausende in Ostjerusa lem<br />

lebende Familien zwangsweise abgeschoben<br />

werden.<br />

Die Europäische Union verlange Auf -<br />

klärung über die neuen Bestim mun -<br />

gen, sagte der spanische Außenminis -<br />

ter und amtierende EU-Ratsvorsit -<br />

zende Miguel Ángel Moratinos nach ei -<br />

nem Treffen mit dem palästinensischen<br />

Ministerpräsidenten Salam Fajad in<br />

Madrid.<br />

Küstliche Aufregug<br />

Der israelische Militärsprecher er -<br />

klär te auf Anfrage, dass er die Aufre -<br />

gung über die neue Anweisung nicht<br />

verstehe. Es handle sich lediglich um<br />

Änderung des Erlasses 329 vom 29.<br />

Juni 1969 und keineswegs um eine<br />

„neu e Politik“. Auf Empfehlung des<br />

Obersten Gerichts habe das Militär be -<br />

schlossen, Menschen, die sich illegal<br />

im Westjordanland aufhalten, künftig<br />

vor ihrer Abschiebung eine Frist eingeräumt<br />

werde, um sich an das Ober -<br />

s te Gericht zwecks Einspruch gegen<br />

den Ausweisungsbefehl zu wenden.<br />

Betroffen seien Ausländer, deren Vi -<br />

sum abgelaufen sei, Israelis, die sich<br />

widerrechtlich in die autonomen Ge -<br />

bie te verirrt hätten oder Palästinen ser,<br />

„deren Papiere nicht in Ordnung oder<br />

ungültig“ seien.<br />

POLITIK • ISRAEL<br />

Ethnische Säuberung<br />

im Westjordanland?<br />

VON ULRICH W. SAHM<br />

Die Palästinenser in den selbstverwalteten<br />

Autonomiegebieten erhalten ih re<br />

Papiere von der Autonomie be hörde.<br />

Im Rahmen von „vertrauensbildenden<br />

Maßnahmen“ habe Israel in den letzten<br />

Jahren der palästinensischen Behörde<br />

genehmigt 33.000 Palästinenser im<br />

Westjordanland zu registrieren, darunter<br />

11.000 Palästinenser aus dem<br />

Gazastreifen. In diesem Zeitraum<br />

seien lediglich fünf Palästinenser in<br />

den Gazastreifen abgeschoben worden,<br />

weil sie sich ohne Papiere und<br />

Aufenthaltsgenehmigung im West jor -<br />

danland aufgehalten hätten.<br />

Im Westjordanland ist das Militär zu -<br />

stän dig, weil es <strong>als</strong> „militärisch besetztes<br />

Gebiet“ gilt, während in Ostjerusa lem<br />

seit der Annexion 1967 das normale<br />

israelische Staatsgesetz gilt. In Ostje -<br />

ru salem hat das Militär deshalb keine<br />

Verfügungsgewalt.<br />

Der Militärsprecher äußerte sich verwundert<br />

über die kritische Medien be -<br />

richterstattung, „zumal es doch überall in<br />

der Welt so ist, dass man gültige Pa pie re<br />

besitzen, bei Einwohnermeldeamt gemeldet<br />

und <strong>als</strong> Ausländer ein gültiges Visum im<br />

Pass haben muss“.<br />

Der Militärsprecher „bedauerte“, kei ne<br />

englische Übersetzung der beiden re -<br />

le vanten Militärweisungen zu be sit zen<br />

Zum Schutz vor Angriffen mit chemischen<br />

oder biologischen Waffen hat<br />

Israel begonnen, Gasmasken - entsprechend<br />

eines im Januar gefassten<br />

Regierungsbeschlusses - an seine<br />

Bevölkerung zu verteilen.<br />

Bis Ende 2013 soll jeder der schätzungsweise<br />

rund acht Millionen Isra -<br />

e lis über eine Gasmaske verfügen. Sie<br />

werden nach und nach ausgegeben.<br />

Die israelischen Behörden befürchten<br />

mögliche Angriffe mit Chemiewaffen<br />

oder gefährlichen Bakterien aus dem<br />

Iran oder aus Syrien. In Israel wurden<br />

bereits wiederholt Gasmasken an die<br />

und der Presse auch keine „Er klä run -<br />

gen“ verschickt zu haben. Gleich wohl<br />

kritisierte er jene Korrespondenten,<br />

die mit f<strong>als</strong>chen Angaben über die An -<br />

ordnungen berichtet hätten, ohne die<br />

Originale zu prüfen. Beide „Be feh le“<br />

stehen auf Hebräisch <strong>als</strong> PDF-Dateien<br />

für jedermann zugänglich im In ter net.<br />

In den neuen Korrekturen der An ord -<br />

nung 1650 heißt es, dass der „illegale<br />

Eindringling“ vor seiner Aus wei sung<br />

einem Offizier vorgeführt werden<br />

sowie schriftlich oder mündlich „in<br />

einer ihm verständlichen Spra che“ über<br />

seine Rechte informiert wer den müs se.<br />

Ebenso sollten seine An ge hörigen und<br />

sein Anwalt unterrichtet werden. Bis<br />

zur tatsächlichen Aus wei sung müsse<br />

eine Frist von 72 Stunden ver -<br />

streichen. Dem zuständigen Offi zier<br />

sei erlaubt, diese Frist zu verlängern.<br />

Eine in der alten Verord nung von<br />

1969 angedrohte lebenslängliche<br />

Haftstrafe wurde auf zwanzig Jahre<br />

Haft in der neueren Version reduziert.<br />

Die hebräischen Original-Verord nun gen:<br />

www.mag.idf.il/SIP_STORAGE/files/6/676.<strong>pdf</strong><br />

http://www.hamoked.org.il/items/112300.<strong>pdf</strong><br />

homepage der Botschaft<br />

des staates Israel in wien:<br />

http://vienna.mfa.gov.il/<br />

mfm/web/main/<br />

missionhome.asp?<br />

MissionID=5&<br />

Gasmasken für die gesamte<br />

israelische Bevölkerung<br />

Bevölkerung verteilt, etwa während<br />

des Golf-Kriegs von 1991. Ende 2006<br />

hatten die Behörden die Masken eingesammelt,<br />

um deren Zustand zu<br />

überprüfen.<br />

red<br />

© IDF<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 21


POLITIK • ISRAEL<br />

Der Friedensprozess m<br />

Das israelische Außenministerium hat einen<br />

aktuellen Katalog von 17 Fra gen und Antwor ten<br />

zum Frie densprozess mit den Palästinen sern<br />

zusammengestellt/Teil 3<br />

10. Ist das Westjordanland „besetztes“<br />

oder „umstrittenes“ Gebiet?<br />

Die Kontrolle über das Westjordan -<br />

land ging 1967 nach einem Krieg der<br />

Selbstverteidigung an Israel über.<br />

Danach wiesen die Palästinenser beinahe<br />

ein Vierteljahrhundert lang je -<br />

des israelische Angebot zurück und<br />

verpassten Gelegenheit um Gelegen -<br />

heit, den Streit auf dem Verhand -<br />

lungs wege friedlich zu lösen.<br />

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern,<br />

dass Israels Kontrolle über die Gebie te<br />

das Ergebnis eines Selbstverteidi -<br />

gungs krieges war, der ausgefochten<br />

wurde, nachdem Israels nackte Exis -<br />

tenz bedroht worden war. Sie wurde<br />

fortgesetzt aufgrund der Unnach gie -<br />

bigkeit von Israels arabischen nach -<br />

barn, die beharrlich die vielen Frie -<br />

dens angebote Israels zurückwiesen,<br />

einschließlich der nach dem Sechs-<br />

Tage-Krieg übermittelten Botschaft,<br />

man würde Land für Frieden geben.<br />

Ägypten und Jordanien unterzeichneten<br />

1979 bzw. 1994 Friedensver träge<br />

mit Israel. Die Palästinenser müssen<br />

dies erst noch tun. Solange der zu -<br />

künftige Status des Westjordanlandes<br />

noch Gegenstand von Verhand lun gen<br />

ist, bleibt Israels Anspruch auf dieses<br />

umstrittene Gebiet nicht weniger gültig<br />

<strong>als</strong> der der Palästinenser.<br />

Das Gebiet beherbergt die Wiege jü -<br />

discher Kultur während der biblischen<br />

Zeit, und jüdische Gemeinden<br />

existierten dort über Jahrtausende<br />

hinweg. Das heutige Israel hat tiefe<br />

Ver bindungen zu den vielen historischen<br />

Stätten im Westjordanland.<br />

Doch Israels Anspruch auf das Gebiet<br />

basiert nicht nur auf antiken Verbin -<br />

dun gen, religiösen Überzeugungen<br />

und Sicherheitsbedürfnissen; es gründet<br />

auch fest im internationalen Recht<br />

und im Gewohnheitsrecht.<br />

Israels Präsenz im Westjordanland<br />

wird oft fälschlich <strong>als</strong> „Besatzung“<br />

bezeichnet. nach internationalem<br />

Recht ereignet sich Besatzung jedoch<br />

nur in Gebieten, die einem anerkannten<br />

Souverän genommen wurden.<br />

Der letzte anerkannte Souverän über<br />

das Westjordanland und Gaza war das<br />

Osmanische Reich, das nach dem Ers -<br />

ten Weltkrieg zu existieren aufhörte.<br />

Die jordanische und ägyptische Herr -<br />

schaft über das Westjordanland bzw.<br />

Gaza nach 1948 resultierten aus ei nem<br />

Angriffskrieg, der auf die Zerstörung<br />

des neu gegründeten jüdischen Staa -<br />

tes abzielte. Ihre Angriffe verstießen<br />

ganz klar gegen die Resolution 181 der<br />

Un-Vollversammlung aus dem Jahre<br />

1947 (auch <strong>als</strong> ‚Teilungsplan’ be kannt).<br />

Demzufolge wurde die ägyptische<br />

und jordanische Herrschaft über die<br />

Ge biete niem<strong>als</strong> von der internationalen<br />

Gemeinschaft anerkannt. Abgese -<br />

hen davon hat niem<strong>als</strong> ein souveräner<br />

palästinensischer Staat existiert, we der<br />

im Westjordanaland noch sonst wo.<br />

Da das Westjordanland keinen legitimen<br />

vorherigen Souverän hatte, können<br />

diese Gebiete dem internationalen<br />

Recht nach nicht <strong>als</strong> „besetztes“ arabisches<br />

oder palästinensisches Land<br />

gelten, und die akkurateste Bezeich -<br />

nung wäre „umstrittene Gebiete“.<br />

Die palästinensischen Wortführer be -<br />

haupten jedoch nicht nur, dass das<br />

Ge biet tatsächlich besetzt sei; sie ma -<br />

chen auch geltend, dass diese Besat -<br />

zung – per definitionem – illegal sei.<br />

Das internationale Recht verbietet<br />

allerdings nicht Situationen von Be sat -<br />

zung. Vielmehr versucht es, solche Si -<br />

tu ationen mit internationalen Ab -<br />

kom men und Konventionen in Ein -<br />

klang zu bringen. Daher sind Be -<br />

haup tungen, die sog. israelische „Be-<br />

satzung“ sei illegal – unter Ab se hung<br />

sowohl des Grundes <strong>als</strong> auch der Fak -<br />

toren, die zu ihrer Fortdauer ge führt<br />

haben – haltlose Anschuldigun gen<br />

ohne Grundlage im internationalen<br />

Recht.<br />

Versuche von palästinensischer Seite,<br />

Israels Präsenz in dem Gebiet <strong>als</strong> den<br />

primären Grund des Konflikts darzustellen,<br />

setzen sich über die Ge schich te<br />

hinweg. Der palästinensische Terro ris -<br />

mus ist älter <strong>als</strong> Israels Kontrolle über<br />

die Gebiete (und sogar älter <strong>als</strong> der<br />

Staat Israel selbst). Die Palästi nen -<br />

sische Befreiungsorganisa tion (PLO)<br />

wurde 1964 gegründet, drei Jahre<br />

bevor Israels Präsenz in den Gebieten<br />

begann. Darüber hinaus hat der pa -<br />

lästinensische Terroris mus oftm<strong>als</strong><br />

gerade in Zeiten einen Höhepunkt er -<br />

reicht, in denen ein verhandeltes Ab -<br />

kommen zum Greifen nah war; sei es<br />

am Höhepunkt des Oslo-Prozesses<br />

Mit te der 1990er Jahre oder nach Is ra -<br />

els beispiellosen Friedensangebo ten<br />

in Camp David und Taba im Jahr 2000,<br />

nach denen die zweite Intifada ausbrach.<br />

Demzufolge ist das Westjordanland<br />

am ehesten <strong>als</strong> umstrittenes Gebiet zu<br />

betrachten, bezüglich dessen es einander<br />

widerstreitende Ansprüche gibt,<br />

die in Friedensverhandlungen gelöst<br />

werden sollten. Der Endstatus dieses<br />

umstrittenen Gebiets sollte durch Ver -<br />

handlungen zwischen beiden Seiten<br />

bestimmt werden. Versu che, eine Lö -<br />

sung durch Terrorismus herbei zu<br />

zwingen, sind ethisch nicht vertretbar<br />

und dienen nur dazu, zu mehr Ge walt<br />

und Terro rismus anzustacheln. Israel<br />

hofft, dass die Frie dens verhand lun -<br />

gen mit seinen palästinensischen<br />

nach barn wieder aufgenommen werden<br />

und ein permanentes Abkom men<br />

erreicht wird, das den Bestre bun gen<br />

beider Seiten in gerechter und friedli -<br />

cher Weise entspricht.<br />

11. Muss sich Israel hinter die Grenzen<br />

von 1967 zurückziehen?<br />

Während Israel seinen Willen zum<br />

Kompromiss im Laufe von Friedens -<br />

verhandlungen bekundet hat, gibt es<br />

immer noch solche, die auf der völligen<br />

Beendigung jeglicher jüdischer<br />

Präsenz im Westjordanland (aus dem<br />

Gaza-Streifen hat sich Israel bereits<br />

frei willig zurückgezogen) sowie auf<br />

einer uneingeschränkten Rückkehr<br />

zu den erratischen Waffenstill stands -<br />

li nien von 1948 beharren, die vor dem<br />

Sechs-Tage-Krieg von 1967 existierten.<br />

22 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


POLITIK • AUSLAND<br />

it den Palästinensern<br />

Es gibt keine Vorschriften in irgendeinem<br />

der unterzeichneten Abkommen<br />

zwischen Israel und den Palästinen -<br />

sern, die einen Rückzug hinter die<br />

Grenzlinien von 1967 fordern. Es gibt<br />

keine geographischen Imperative, die<br />

die Linien von 1967 heiligen. Ganz ge -<br />

wiss besteht keinerlei Logik darin, ei ne<br />

unbeabsichtigte Grenzlinie zu verankern,<br />

die weniger <strong>als</strong> 19 Jahre existiert<br />

hat.<br />

Die Grenzen des Westjordanlands vom<br />

4. Juni 1967 basierten nicht auf historischen<br />

Tatsachen, natürlichen geographischen<br />

Formationen, demographischen<br />

Erwägungen oder internationaler<br />

Übereinkunft. Die prä-1967-Grenz -<br />

linien basierten vielmehr auf den Waf -<br />

fenstillstandslinien, die auf Grundla ge<br />

der Position der Armeen nach dem Un -<br />

abhängigkeitskrieg von 1948 ge zeich -<br />

net worden waren. Dement spre chend<br />

enthielt sich das Waffenstill stands ab -<br />

kommen von 1949 jeglicher Festset -<br />

zung der endgültigen politischen<br />

Gren ze. Diese Linien spiegelten le dig -<br />

lich die relativen Positionen der jor -<br />

danisch-irakischen und israelischen<br />

Streitkräfte am Ende des Krieges wi der.<br />

Einige Monate nach dem Sechs-Tage-<br />

Krieg verabschiedete der Un-Si cher -<br />

heits rat die Resolution 242, die grund -<br />

legende Un-Entscheidung zum israelisch-palästinensischen<br />

Konflikt. Die<br />

Resolution anerkannte die problematische<br />

natur der Grenzlinien von 1967,<br />

die Israel mit einer ‚Wespentaille’ von<br />

9 Kilometern zurückließ, und Israels<br />

Bedürfnis nach „sicheren und anerkannten<br />

Grenzen“. Insbesondere wies<br />

der Sicherheitsrat die arabische For de -<br />

rung nach einem Text zurück, der Is -<br />

rael zur völligen Rückgabe all des<br />

während des Konflikts von 1967 un ter<br />

seine Kontrolle gebrachten Gebiets<br />

verpflichtete; so wurde Israel lediglich<br />

zum „Rückzug aus Gebieten, die im<br />

jüngsten Konflikt besetzt wurden“, aufgerufen,<br />

nicht zu einem aus „all den<br />

Ge bieten“, noch nicht einmal aus „den<br />

Gebieten“.<br />

nachfolgende Friedensver handlun gen<br />

haben Lösungen behandelt, die<br />

Grenz kompromisse zwischen Israel<br />

und einem potentiellen palästinensischen<br />

Staat einschließen. Auch Minis -<br />

terpräsident und Friedens nobelpreis -<br />

trä ger Yitzhak Rabin konstatierte in<br />

seiner letzten Knesset-Rede vor seiner<br />

Ermordung im Jahr 1995, dass Israel<br />

sich nicht hinter die Linien vom 4.<br />

Juni 1967 zurückziehen werde.<br />

Diese Position spiegelt sowohl die<br />

Ver änderungen wider, die im Laufe<br />

der vergangenen vier Jahrzehnte vor<br />

Ort vonstatten gegangen sind, <strong>als</strong> auch<br />

die problematische natur der ur -<br />

sprüng lichen Grenzlinien. Inzwi schen<br />

existieren wichtige israelische Bevöl -<br />

ke rungszentren im Westjordanland,<br />

von denen die meisten in Siedlungs -<br />

blocks konzentriert sind und nahe den<br />

Linien von 1967 liegen. Die Zwangs -<br />

de portation ihrer Bewohner anstelle<br />

einer Rationalisierung der Grenze<br />

würde von der israelischen Bevöl ke -<br />

rung nicht gutgeheißen werden und<br />

eine unüberwindliche Herausfor de -<br />

rung für jede israelische Regierung<br />

darstellen.<br />

Die Israelis haben alte Verbindungen<br />

zu diesem Teil des Landes Israel, und<br />

Juden haben die Jahrhunderte hindurch<br />

dort gelebt – bis sie 1948 der<br />

ethnischen Säuberung im Westjor -<br />

dan land zum Opfer fielen. Viele Stät -<br />

ten von großer religiöser und historischer<br />

Bedeutung für das jüdische Volk<br />

liegen im Westjordanland. Dazu ge -<br />

hört das Grab der Patriarchen in He -<br />

bron, wo der Tradition nach Abra ham,<br />

Sarah, Issak, Rebekka, Jakob und Lea<br />

begraben liegen.<br />

Eine rationale Einschätzung eines re a -<br />

listischen und dauerhaften Friedens -<br />

prozesses muss die jüdische Präsenz<br />

im Westjordanland in Rechnung stellen.<br />

Bislang haben alle Verhand lun gen<br />

über eine Zwei-Staaten-Lösung auf<br />

dieser Prämisse basiert. Ein End sta -<br />

tusabkommen wird die neue Rea li tät<br />

des Westjordanlandes widerspiegeln<br />

und beiden Seiten einen Kom pro miss<br />

abverlangen müssen.<br />

12. Stellen die israelischen Siedlungen<br />

ein „Hindernis für den Frieden“ dar?<br />

Viel zu viele Jahre ist die Behauptung<br />

kolportiert und ad nauseam wiederholt<br />

worden, dass die jüdische Prä senz<br />

im Westjordanland und im Gaza-<br />

Streifen das primäre Hindernis für ei -<br />

nen Frieden sei (selbst nachdem sich<br />

Israel aus Gaza zurückgezogen hat).<br />

Dieser irregeleitete Denkansatz sieht<br />

nicht nur von der palästinensischen<br />

Verantwortung für das Erreichen ei ner<br />

friedlichen Lösung ab, sondern ignoriert<br />

auch die Geschichte des Kon -<br />

flikts. Er sieht über die Angriffe auf<br />

Zivilisten und die Kriege hinweg, die<br />

bereits Jahrzehnte im Gange waren,<br />

bevor auch nur ein israelischer Soldat<br />

jem<strong>als</strong> seinen Fuß in das West jor dan -<br />

land und den Gaza-Streifen setzte. Er<br />

lässt die Wellen von Terrorismus und<br />

Raketen ab, die auf jeden israelischen<br />

Abzug gefolgt sind. Und er ignoriert<br />

Jahrtausende jüdischer Präsenz im<br />

Land Israel, dem historischen Hei mat -<br />

land des jüdischen Volkes.<br />

Das Recht der Juden auf die Wieder -<br />

be siedlung aller Teile des Landes Is -<br />

rael wurde von der internationalen<br />

Gemeinschaft erstm<strong>als</strong> im Völker -<br />

bunds mandat für Palästina von 1922<br />

anerkannt. Ziel des Mandats war die<br />

Erleichterung der Schaffung einer jü -<br />

dischen nationalen Heimstätte im al -<br />

ten Heimatland des jüdischen Volkes.<br />

In der Tat sah Artikel 6 des Mandats<br />

die „dichte Ansiedlung von Juden im Land,<br />

einschließlich staatlichen, nicht zum öf fent -<br />

lichen Gebrauch benötigten Lan des“, vor.<br />

Über mehr <strong>als</strong> ein Jahrtausend hinweg<br />

war jüdische Ansiedlung im<br />

Westjordanland lediglich zur Zeit der<br />

jordanischen Besatzung (1948-1967),<br />

dem Ergebnis einer bewaffneten In -<br />

va sion, verboten. Während dieser Pe -<br />

riode wurde die jüdische Präsenz im<br />

Westjordanland und in Gaza ausgelöscht,<br />

und der Verkauf von Land an<br />

Juden galt <strong>als</strong> Kapitalverbrechen. Es<br />

ist unhaltbar, dass dieser Skandal das<br />

Recht der Juden zur Errichtung von<br />

Häusern in diesen Gebieten zunichte<br />

machen soll; insofern bleiben die<br />

Rechtsansprüche auf Land, das be -<br />

reits erworben war, bis heute gültig.<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 23


WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />

PHARMAINDUSTRIE<br />

Israelische<br />

Pillen<br />

Am Schluss waren es nur mehr drei<br />

Be werber gewesen: Der US-Pharma -<br />

gigant Pfizer, eine Bietergemeinschaft<br />

bestehend aus einem isländischen Ge -<br />

nerika-Hersteller, Actavis, und der<br />

Deut schen Bank, sowie Teva aus Isra el.<br />

Es ging um den zweitgrößten deutschen<br />

Generika-Anbieter, Ratiopharm,<br />

mit immerhin 1,9 Mrd. Euro Jahres -<br />

um satz, mit weltweit 5.500 Mitarbei -<br />

tern und Tochter-Unternehmen in 24<br />

Län dern. Mitte März erhielt dann<br />

Teva den Zuschlag, um kolportierte<br />

3,6 Mrd. Euro. Die komplexe Übernahme<br />

wird in den nächsten Mona -<br />

ten von internationalen Anwalts kanz -<br />

leien abgewickelt und sollte bis Ende<br />

des Jahres abgeschlossen sein.<br />

Damit hat Teva, das sich selbst zu den<br />

20 größten Pharmaunternehmen welt -<br />

weit zählt und <strong>als</strong> globale nummer<br />

Eins bei Generika gilt, einen gewaltigen<br />

weiteren Wachstumsschritt ge -<br />

macht. nach dem Zusammenschluss<br />

werden insgesamt rund 40.000 Men -<br />

schen für den Konzern arbeiten, der<br />

gemeinsame Umsatz dürfte in der Ge -<br />

gend von 16 Mrd. Dollar liegen. Ra tio -<br />

pharm gehörte zur Firmengrup pe des<br />

deutschen Unternehmers Adolf Merckle<br />

– wie etwa auch die Heidel ber ger Ze -<br />

ment fabriken oder der Pis ten rau pen -<br />

hersteller Kässbohrer. Merck le hatte<br />

sich 2008 im Verlauf der Porsche-<br />

Über nahme mit Volkswagenaktien im<br />

großen Stil verspekuliert und warf sich<br />

im Januar 2009 vor einen Zug und<br />

nahm sich das Leben. Seine Erben sa -<br />

hen sich Milliardenschulden gegenüber<br />

und mussten Anteile verkaufen,<br />

der lukrativste Brocken davon war<br />

die Pharmatochter.<br />

Der globale Generika-Spezialist<br />

Teva hat um 3,6 Mrd. Euro<br />

die deutsche Ratiopharm<br />

übernommen.<br />

Sie soll zur Europa-Drehscheibe<br />

der gesamten Gruppe werden.<br />

WIRTSCHAFT<br />

VON REINHARD ENGEL<br />

© Nati Shohat/Flash90.<br />

Teva plant nach den Worten seines<br />

CEO Shlomo Yanai, die Marke Ratio -<br />

pharm beizubehalten und ihren Ein -<br />

satz international noch auszuweiten.<br />

Ulm wird die Deutschlandzentrale<br />

des gemeinsamen Unternehmens.<br />

Aber Ratiopharm ist nicht nur in<br />

Deutschland groß, hier liegt die Grup -<br />

pe bei Generika hinter der no var tis-<br />

Tochter Hexal an zweiter Stelle. Ihr<br />

dichtes Vetriebsnetz ist auch über<br />

zahlreiche andere europäische Län der<br />

gewoben, von Spanien und Frank reich<br />

bis Österreich.<br />

Das Teva-Management gab sich nach<br />

dem erfolgreichen Zuschlag erfreut,<br />

aber wenig konkret. CEO Shlomo<br />

Yanai: „Neben den fachlichen Fähigkei ten<br />

24 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />

der Belegschaft haben uns bei Ratio pharm<br />

insbesondere die Qualität und Effi zienz<br />

der Produktionsanlagen auch im internationalen<br />

Vergleich beeindruckt.“ Des halb<br />

werde die Produktion an den Stand -<br />

orten Blaubeuren und Ulm nicht nur<br />

erhalten, sondern sogar ausgebaut<br />

werden.<br />

Auch wenn die Fabriken der Deut -<br />

schen <strong>als</strong> hochmodern gelten, in ih nen<br />

sehen Fachleute nicht den Haupt grund<br />

für die Übernahme. „Es geht vor allem<br />

um den Markt,“ erklärt Michael Wolzt,<br />

a.o. Prof. für interne Medizin und klinische<br />

Pharmako lo gie am <strong>Wien</strong>er<br />

AKH und Spezialist für klinische Stu -<br />

dien mit Arzneimit teln. „Es wäre<br />

extrem schwierig, so einen Vertriebsweg<br />

neu aufzubauen.“ Wolzt meint damit<br />

den laufenden Zugang zu Spitälern,<br />

niedergelassenen Ärzten und Apo the -<br />

ken, „und die Apotheken werden teilweise<br />

drei Mal am Tag beliefert.“ Diese<br />

Vertriebswege könnten dann später<br />

auch für solche Teva-Medikamente<br />

profitabel sein, die derzeit in diesen<br />

Märkten noch nicht angeboten werden.<br />

Dabei zählen Generika, etwas salopp<br />

auch <strong>als</strong> nachbauten von Marken me -<br />

dikamenten bezeichnet, zu einem eindeutigen<br />

Wachstumsfeld. Laut Wolzt<br />

dienen sie den Gesundheitsbehörden<br />

und Spit<strong>als</strong>betreibern, die weltweit un -<br />

ter Kostenproblemen leiden, <strong>als</strong> dämp -<br />

fender Faktor. nicht nur sind sie im<br />

direkten Vergleich meist deutlich billiger<br />

<strong>als</strong> die Original-Medikamente der<br />

Konzerne, in denen hohe For schungs -<br />

aufwendungen und Marke ting kosten<br />

stecken. Allein ihr Auftre ten auf dem<br />

Markt bewirkt schon ei nen Preis -<br />

rutsch bei den etablierten Mar ken.<br />

Das gilt auch für Österreich. Wolzt<br />

schätzt, dass Generika in den letzten<br />

Jahren einen Marktanteil von rund 25<br />

Prozent erreichen konnten, und die<br />

Tendenz geht weiter nach oben. „In<br />

manchen Segmenten liegen sie schon bei<br />

80 Prozent.“ Dabei spielt Teva in Ös -<br />

ter reich noch keine Rolle. „Teva-Pro-<br />

dukte werden derzeit nicht auf dem österreichischen<br />

Markt vertrieben,“ so Mar -<br />

kus Ta la now, Deutschland-Sprecher.<br />

„Aber Teva evaluiert derzeit die Option,<br />

den ös ter reichischen Markt zu bedienen.“<br />

Über den Umweg Ratiopharm ist Te va<br />

allerdings auf einen Schlag hier zum<br />

bedeutenden Anbieter geworden. In -<br />

ternist Wolzt: „Ratiopharm hat vieles im<br />

VON DER APOTHEKE ZUMGLOBALEN RIESEN<br />

Teva ist mehr <strong>als</strong> 100 Jahre alt. Nach bescheidenen Anfängen in Jerusalem<br />

er folgte in den letzten 20 Jahren eine rasante internationale Einkaufstour.<br />

1901 ist das Gründungsjahr von Teva, allerdings hatte das Unternehmen<br />

da m<strong>als</strong> längst noch nichts mit internationalen Generika-Produktionen zu<br />

tun. Un ter dem Namen Salomon, Le vin und Elstein handelte es sich um eine<br />

kleine Apotheke in Jerusalem, die im portierte Medikamente in die umliegende<br />

Re gion verkaufte. Geliefert wurde mit Esel und Ka mel. In den 30er<br />

Jahren, noch vor der Staatsgründung, begannen dann Ein wan derer aus<br />

Euro pa auch in Pa läs tina mit der Er zeugung einfacher Wirk stof fe. Diese<br />

kleinen Pharma-Firmen, unter ih nen die Vorläufer des Teva-Konzerns wie<br />

Assia oder Zori, er langten dann in den Kriegsjahren größere Bedeutung, weil<br />

die Belieferung mit Impor ten oft un ter brochen wur de. Als diese dann wieder<br />

klappte, waren die israelischen Unter neh men schon derart gewachsen, dass<br />

sie vorsichtig zu exportieren be gannen. Teva war dann das erste von ihnen,<br />

das 1951 in Israel Geld von der Bör se aufnahm, um weiter expandieren zu<br />

können.<br />

Ab Mitte der 60er Jahre kam es zu ei ner ersten Konsolidierung, und 1976<br />

verschmolzen drei Pharmaunter neh men zu Teva Pharmaceutical Indus tries,<br />

unter der Leitung von Eli Hurvitz, der den Kon zern dann sukzessive immer<br />

schneller internationalisierte. Schon 1980 übernahm Teva den israelischen<br />

Konkur ren ten Ikarpharm, einige Jahre später kaufte man ein erstes Unter -<br />

neh men in den USA, Lemmon, einen kleinen Generika-Her steller in Penn syl -<br />

va nia, noch ge mein sam mit einem amerikanischen Part ner. 1988 erfolgte<br />

mit der Übernahme von Abic, der zweit größten israelischen Pharma fir ma,<br />

ein weiterer entscheidender Schritt zur Dominanz des heimischen Marktes.<br />

In den 1990er und 2000er Jahren führte die Akquisitionstour vor allem<br />

nach Ame rika und Europa. Übernommen wur d en etwa Firmen in Eng land<br />

(GRY-Pharm und APS/Berk), in Kana da (Novo pharm), oder in Frank reich<br />

(die dortige Bayer-Toch ter). Die folgenden großen Übernahmen in den USA<br />

(IVAX und Barr) eta blierten Teva dann solide am amerikanischen Markt.<br />

Rund um Österreich ist Teva durch seine glo bale Einkaufstour quasi en passant<br />

gut aufgestellt: Barr hatten zuvor die kroatische Pliva über nommen, sie<br />

gehört jetzt ebenfalls den Israelis. Schon vorher waren die ungarischen Startups<br />

Biogal und Hu man erworben und <strong>als</strong> forschungsintensive Tochter fir -<br />

men dem Kon zern eingegliedert worden.<br />

Teva gehört an der Tel Aviver Börse heute zu den umsatzstärksten Titeln<br />

und notiert darüber hinaus an der US-Technologiebörse NASDAQ. Wei ters<br />

wer den seine Aktien bei Seaq in London und an der Frankfurter Bör se ge -<br />

han delt.<br />

Programm, von Antibiotika bis zu Blut -<br />

druck mitteln, von Antiallergika bis zu<br />

Schmerz mitteln.“<br />

Mehr <strong>als</strong> 130 verschreibungspflichtige<br />

und rezeptfreie Präparate bietet Ra tio -<br />

pharm in Österreich an, zuletzt wur -<br />

den damit 55 Mio. Euro umgesetzt.<br />

Österreich war übrigens der erste Aus -<br />

landsmarkt, den Firmen grün der<br />

Merck le bediente, schon 1958 eröffnete<br />

er in <strong>Wien</strong> ein Tochterunternehmen.<br />

Jetzt gehört des sen nachfolger-Firma<br />

zu einem globalen netz – mit Kon -<br />

zern zentra le in Is rael.<br />

Dr. Michael Wolzt<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 25


WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />

Der Abwäscher und der General<br />

Die Männer an den Schalthebeln von Teva sind typisch für zwei<br />

sehr unterschiedliche Generationen israelischer Geschäftsleute.<br />

Schon mit 16 musste er kämpfen. Eli<br />

Hurvitz, geboren 1932 im britischen<br />

Man datsgebiet, in Jerusalem, wurde<br />

mit seinen Klassenkameraden 1948<br />

ein gezogen, bevor sie ihre Schule fertig<br />

hatten. Als junger Mann lernte er<br />

in einem Kibbuz seine Frau Dalia Solo -<br />

mon kennen und begann noch <strong>als</strong><br />

Student <strong>als</strong> Abwäscher im Labor der<br />

kleinen Pharmafirma Assia Chemical<br />

Labs, an der sein Schwiegervater<br />

beteiligt war. nach Abschluss des<br />

Wirtschafts stu diums an der Hebrew<br />

University in Jerusalem wechselte<br />

Hurvitz ins Büro von Assia und<br />

arbeitete sich in den fol genden Jahren<br />

in die Geschäfts füh rung hinauf. 1964<br />

schloss sich Assia mit einem weiteren<br />

Pharma-Unter neh men, Zori, zu -<br />

sammen, und ge mein sam erwarben<br />

sie 1969 einen be deutenden Anteil<br />

der Aktien von Teva, das dam<strong>als</strong><br />

schon längst an der Börse notierte.<br />

1976 verschmolzen die drei Firmen<br />

zur Teva Pharmaceutical Indus tries,<br />

Hurvitz wurde Generaldirektor. Er<br />

blieb das bis 2002 und steht nach wie<br />

vor dem Aufsichtrat vor.<br />

Hurvitz zählte viele Jahre zur Elite<br />

der israelischen Industriellen. Er leitete<br />

etwa das Exportinstitut, war<br />

Präsident der Israel Manufacturers<br />

Association und in den 80er Jahren<br />

auch kurzzeitig Aufsichtsratsprä si -<br />

dent der Bank Leumi. 1996 wurde er<br />

wegen Steuerhinterziehung bei einer<br />

Teva-Tochterfirma angeklagt und<br />

auch in erster Instanz verurteilt. Er<br />

focht die Causa aber aus und er -<br />

reich te einige Jahre später einen Frei -<br />

spruch vor dem Obersten Gerichts -<br />

hof.<br />

Shlomo Yanai, der heutige CEO von<br />

Teva, hat ebenfalls schon <strong>als</strong> junger<br />

Mann Erfahrungen auf dem Schlacht -<br />

feld machen müssen. Er wurde 1952<br />

geboren und nahm <strong>als</strong> 20jähriger Pan -<br />

zer kommandant am Yom-Kip pur-<br />

Krieg teil. Dann begann er in der Ar -<br />

mee eine steile Karriere, sie führte<br />

ihn etwa zum IDF-Kommando für<br />

ganz Südisrael, später an die Spitze<br />

der Ab teilung für strategische Pla -<br />

nung. Als Offizier nahm er auch an<br />

verschiedenen politischen Friedens -<br />

ver hand lungen teil, etwa in Camp<br />

Da vid.<br />

„Die Armee ist eine gute Schule für alle<br />

möglichen Aufgabenbereiche“, sagte<br />

Roby Nathanson vom Israeli Institute<br />

for Economic and Social Research ei -<br />

nem Reporter der Financial Times.<br />

„Füh rungskräfte der Armee haben sehr<br />

viel organisatorische Erfahrung. Sie kön -<br />

nen Druck aushalten - alles Quali täten,<br />

nach denen man in der Wirtschaft sucht.“<br />

Ya nai besuchte freilich im Anschluss<br />

an seine 32 Armee-Jahre noch Mana -<br />

ge ment-Kurse in Harvard. Der Wirt -<br />

schafts forscher nathanson attestiert<br />

ihm eine solide Leistung: Teva sei<br />

zwar schon vor Ya nais Bestellung im<br />

Jahr 2007 <strong>als</strong> Unternehmen gut dagestanden.<br />

Doch dieser habe es zusätzlich<br />

„sehr stark nach vorn gepusht“.<br />

Und der Ex-Generalmajor hat noch<br />

einiges vor. Bis 2015 will er den Kon -<br />

zernumsatz verdoppeln, hat er angekündigt,<br />

in die Gegend von 30 Mrd.<br />

© Olivier Fitoussi /Flash90<br />

©Yossi Zamir/Flash90<br />

Eli Hurvitz<br />

Shlomo Yanai<br />

Dollar. Dabei sieht er sich von mehreren<br />

parallel laufenden gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Entwick -<br />

lungen unterstützt: „Die Menschen le -<br />

ben länger und konsumieren mehr Phar -<br />

maprodukte“, sagte Yanai vor kurzem<br />

in einem Interview. „Gesund heits re -<br />

for men in wichtigen Märkten und der<br />

Ab lauf von Patenten für Original prä pa -<br />

rate uns in die Hände.“<br />

Teva-Fabrik in Har Hotzvim<br />

26 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />

Israel verzeichnet solides<br />

Wachstum im vierten<br />

Quartal 2009<br />

Israels Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) ist im vierten Quartal<br />

des vergangenen Jahres um<br />

4,4% im Vergleich zum Vor -<br />

jahresquartal gestiegen. Dies<br />

entspricht dem höchsten<br />

Wachstum eines Quart<strong>als</strong> seit fast<br />

zwei Jahren.<br />

Im dritten Quartal 2009 habe das<br />

Wachstum im Vergleich zum Vorjahr<br />

3,0% betragen, wie das Statistische<br />

Zen tralbüro Israels weiter mitteilte.<br />

Die Wachstumsprognose für das Ge -<br />

samtjahr 2009 revidierte das Büro auf<br />

0,7% nach oben, für das laufende Jahr<br />

wird ein Wachstum von 3,5% erwartet.<br />

Angetrieben wurde das Wachstum im<br />

vergangenen Quartal durch einen Ex -<br />

portanstieg um 33%. Gleichzeitig nahmen<br />

auch die Einfuhren um 13,8% zu.<br />

Die Verbraucherausgaben stiegen um<br />

4,4%, wie die Behörde weiter er klär te.<br />

Vor zwei Jahren hatte das Wirt schafts -<br />

wachstum bei 5,5% gelegen. Im ers -<br />

ten Quartal des vergangenen Jahres<br />

war die israelische Wirtschaft zu nächst<br />

um 3,1% zum Vorjahr ge schrumpft,<br />

ehe es sich in den beiden folgenden<br />

Quartalen mit Wachstumsraten von<br />

1,2% bzw. 3% erholte.<br />

Ein-Blick<br />

Deutsche Bank prognostiziert<br />

hohe Wachstumsraten<br />

Die israelische Wirtschaft hat die<br />

weltweite Wirtschaftskrise früher <strong>als</strong><br />

die meisten anderen OECD-Länder<br />

überwunden. Ein Bericht der Deut -<br />

schen Bank attestiert Israel zudem ei -<br />

nen überaus positiven wirtschaftli chen<br />

Ausblick. „Ich sehe keine anderen Länder<br />

mit solchen Wachstumsraten wie diejenigen,<br />

die die israelische Wirtschaft an den<br />

Tag legt“, sagte der leitende Wäh rungs -<br />

stratege der Deutschen Bank in Tel<br />

Aviv, Bilal Hafeez. „Der Shekel wir im<br />

kommenden Jahr gegenüber US-Dollar<br />

und Euro stark aufwerten, und die israelische<br />

Wirtschaft wird wahrscheinlich<br />

beeindruckende Wachs tumsraten aufweisen.“<br />

„Wichtig ist die Intervention der<br />

Bank of Israel auf dem Devisenmarkt.<br />

Wir glauben, die In ter ventionen von Prä -<br />

sident Stanley Fisher werden in diesem<br />

Jahr abnehmen, den She kel-Dollar-Wech -<br />

sel kurs sehen wir bis Jahresende bei NIS<br />

3.50/$“, so Hafeez weiter.<br />

Freihandelszone mit Mercosur-Staaten<br />

Israel ist <strong>als</strong> erstes Land außerhalb<br />

La teinamerikas Teil eines Freihan dels -<br />

abkommens mit dem Mercosur-Block.<br />

Das grüne Licht für die Freihan dels -<br />

zone überbrachte der brasilianische<br />

Präsident Lula da Silva bei seinem<br />

Staatsbesuch in Israel. Die Parteien<br />

hatte das Abkommen schon vor Jah -<br />

ren unterzeichnet, Brasilien hat es je -<br />

doch erst im vergangenen Monat ra ti -<br />

fi ziert. Mitglieder des Staaten bun des<br />

Mercosur sind außer Brasilien die<br />

Länder Argentinien, Paraguay und<br />

Uru guay.<br />

Exportanstieg bei Intel in Israel<br />

Die israelische niederlassung des US-<br />

Chipherstellers Intel Corp meldet für<br />

2009 einen Anstieg der Ausfuhren um<br />

145% zum Vorjahr infolge der jüngsten<br />

Expansion der Produktionsstan -<br />

dor te im Land. Wie die nach rich ten -<br />

agentur Reuters berichtet, stiegen die<br />

Exporte des Unternehmens auf einen<br />

Höchstwert von US$ 3,4 Mrd. Zuvor<br />

hatte die neue 3,5-Mrd-Dollar-Chip -<br />

fa brik im Süden Israels ihre Pro duk -<br />

tion aufgenommen. Dabei handelt es<br />

sich um den weltweit dritten Stand -<br />

ort zur Herstellung von 45-nano me -<br />

ter-Chips. Intel verhandelt zudem mit<br />

der israelischen Regie rung, um den<br />

Standort auch auf die Produktion von<br />

22-nm-Chips zu er wei tern, berichtet<br />

Reuters außerdem. Für diese Chips<br />

hat Intel bislang nur einen Standort<br />

im US-Bundesstaat Alabama.<br />

Intel ist mit 10% der Ausfuhren des<br />

verarbeitenden Sektors der größte<br />

Ex porteur Israels und mit 6.340 Mit -<br />

arbeitern auch der größte private Ar -<br />

beitgeber des Landes. Der Konzern<br />

betreibt dort zwei Produktions stand -<br />

orte und vier Zentren für Forschung<br />

und Entwicklung.<br />

Das bionische Auge von Nano-Retina<br />

Ein innovatives Implantat des israelischen<br />

Unternehmens Nano-Retina<br />

kann bei Patienten mit Katarakt (dem<br />

sogenannten Grauen Star), Glaukom<br />

(dem Grünen Star), altersbedingter<br />

Ma kula-Degeneration oder diabetischer<br />

Retinopathie die volle Sehkraft<br />

wiederherstellen. Die „Bio-Retina“ be -<br />

steht aus einem winzigen Implantat,<br />

das auf die beschädigte netzhaut „ge -<br />

klebt“ wird und einer Spezialbrille.<br />

Die Implantation dauert dem Unter -<br />

nehmen zufolge eine knappe halbe<br />

Stunde.<br />

Eilat baut Israels größten Windpark<br />

Ein israelisches Unternehmen plant<br />

den Bau des größten Windparks des<br />

Lan des mithilfe heimischer Techno lo -<br />

gie. Wie der CEO der Eilat Ashkelon<br />

Pipeline Company (EAPC) mitteilte,<br />

plant sein Unternehmen den Bau ei ner<br />

Ansammlung von Windkraft an la gen<br />

zur Stromerzeugung in den Ber gen<br />

von Eilat. Der Bau der 50-Mega watt-<br />

Anlage würde laut CEO Amos Yaron<br />

50 Mio bis 60 Mio Euro kosten und<br />

könnte in den kommenden zwei bis<br />

drei Jahren fertiggestellt werden. „Wir<br />

wollen signalisieren, dass wir uns in Rich -<br />

tung Erneuerbare Energie bewe gen“, sag te<br />

Yaron. Das Projekt braucht noch die<br />

Zustimmung der Behörden.<br />

ProWein <strong>2010</strong> in Düsseldorf<br />

Auch auf der ProWein <strong>2010</strong> in Düs -<br />

seldorf war Israel stark vertreten.<br />

Acht israelische Weingüter präsentierten<br />

sich an einem Gemein schafts -<br />

stand und einzelnen Unternehmens -<br />

ständen. Ein besonderes Highlight<br />

war die gemeinsame Weinprobe isra e -<br />

lischer und deutscher Weine im Rah -<br />

men des Twin-Wineries-Projekts, das<br />

2008 im Anschluss an die Pro Wein<br />

vor gestellt wurde. Bei diesem Ge -<br />

mein schaftsprojekt gehen israelische<br />

und deutsche Winzereien länderübergreifende<br />

Partnerschaften ein mit dem<br />

Ziel, voneinander zu lernen, ihre Pro -<br />

dukte im jeweiligen Partnerland be -<br />

kannter zu machen, und nicht zuletzt,<br />

die israelisch-deutsche Freundschaft<br />

zu stärken.<br />

KOMMENDE MESSEN IN ISRAEL<br />

chipex <strong>2010</strong> (halbleiterindustrie):<br />

4. Mai , Airport City<br />

htIA (hightech-Industrie):<br />

7. - 9. Juni, Jerusalem<br />

IlsI Biomed<br />

13. - 17.Juni, Tel Aviv<br />

Pmwc (Personalized medicine<br />

world conference):<br />

20. - 21. Juni, Herzliya<br />

cleantech<br />

29.-30. Juni, Tel Aviv<br />

Jovella (schmuckmesse):<br />

6. - 7. Juli, Tel Aviv<br />

hls forum (homeland security/<br />

si cherheitstechnik), 1st Airport se -<br />

cu ri ty & urban security confe ren ce,<br />

30. Oktober - 2. november, Tel Aviv<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 27


WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

Wie Datteln<br />

das Herz<br />

schützen<br />

WISSENSCHAFT<br />

Israelische Forscher fanden heraus,<br />

dass der tägliche Konsum von Datteln<br />

den Körper vor Arteriosklerose, einer der<br />

Hauptursachen für Herzinfarkte und<br />

Schlaganfälle, schützen kann.<br />

Professor Michael Aviram, Bioche mi -<br />

ker am Technion-Israel Institut der<br />

Wis senschaft, erforschte die Wirkung<br />

von Datteln auf den menschlichen Or -<br />

ganismus und fand heraus, dass eine<br />

Handvoll dieser Früchte auf dem täglichen<br />

Speiseplan die Triglyzerid wer te<br />

des Blutes verbessert kann, ohne da -<br />

bei den Blutzucker zu erhöhen. Schon<br />

eine vierwöchige Dattel-Diät hätte<br />

deutlich positive Auswirkungen auf<br />

die Blutfettwerte.<br />

Aviram war auch 1995 der Erste, der<br />

die Reduktion von Cholesterol Oxi da -<br />

tion und Arteriosklerosege fähr dung<br />

durch den täglichen Konsum einer<br />

kleinen Menge Rotwein beweisen<br />

konnte.<br />

Datteln wachsen in subtropischen<br />

und Wüstengebieten in ganz nord -<br />

afri ka, dem Mittleren Osten, Kali for -<br />

ni en und Australien und sind reich an<br />

Fruchtzucker sowie Vitamin A und B.<br />

Man nimmt an, dass sie zu den ältesten<br />

kultivierten Früchten der Mensch -<br />

heit gehören. Die Dattelpalme wird<br />

auch „Baum des Lebens“ genannt, da<br />

sämtliche Teile des Baumes genutzt<br />

werden können.<br />

Obwohl Datteln einen hohen Zucker -<br />

gehalt aufweisen haben sie keinerlei<br />

negative Auswirkungen auf die Blut -<br />

zuckerwerte. Das könnte sie sogar für<br />

eine Therapie von Hyperglykämie-<br />

Patienten geeignet machen.<br />

Saubere Arterien<br />

Avirams Untersuchung umfasste 10<br />

ge sunde Testpersonen, die über vier<br />

Wochen hinweg etwa 100 Gramm<br />

Hallawi Datteln täglich zu sich nahmen.<br />

Als Ergebnis konnte eine 15%ige<br />

Reduktion des Triglyzeridwertes und<br />

eine um 33% verringerte Oxidation<br />

der Blutfette nachgewiesen werden.<br />

„Die Oxidation spielt eine zentrale Rolle<br />

bei Ablagerungen von Cholesterol an den<br />

Arterienwänden“, erklärt Professor<br />

Aviram von der Technischen Fakultät<br />

für Medizin und dem Medizinischen<br />

Zentrum Rambam. „Eine Ablagerung<br />

kann die Versorgung des Herzens oder des<br />

Gehirns mit Blut beeinträchtigen, was<br />

einen Herzinfarkt bzw. einen Schlag an fall<br />

zur Folge haben kann.“<br />

So wird das Herzinfarkt- und Schlag -<br />

anfall-Risiko bei Patienten nicht nur<br />

an der Quantität des Cholesterols im<br />

Blut gemessen, sondern auch an dessen<br />

Qualität. Denn diese Qualität verringert<br />

sich, wenn das Cholesterol in<br />

potenziell schädliche Moleküle oxidiert<br />

wird.<br />

Aviram widmet sich seit mehr <strong>als</strong> 20<br />

Jah ren der Suche nach Wegen zur<br />

Verhinderung von Arterienabla ge run -<br />

gen, die mit Schlaganfällen und Herz -<br />

infarkten eine der Haupttodesur sa -<br />

chen in der westlichen Welt begünstigen.<br />

Vor allem natürliche Antioxi dan -<br />

tien zur Verbesserung der Qualität<br />

des Cholesterolwertes im Blut sind<br />

ihm ein Anliegen.<br />

Rotwein, Zwiebeln und Granatäpfel<br />

In Folge von Avirams Durchbruch bei<br />

der Wirkung von Rotwein auf die Ge -<br />

sundheit, bewies er auch die positiven<br />

Effekte von Lakritze, Zwiebeln,<br />

Olivenöl und Granatäpfeln, deren Saft<br />

ein besonders starkes Antioxi dant ent -<br />

hält, das Cholesterol und Herz krank -<br />

heiten noch erfolgreicher bekämpft <strong>als</strong><br />

die Flavonoide in Tomaten und Rot -<br />

wein.<br />

Außerdem ist er dabei, einen Weiß -<br />

wein zu entwickeln, der dieselben<br />

po sitiven Eigenschaften wie Rotwein<br />

beinhaltet.<br />

28 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JÜDISCHE WELT<br />

©Melanie Fidler/Flash90<br />

©Abir Sultan/Flash90<br />

©Roni Schutzer/Flash90<br />

Reflexionen<br />

JomHaSchoah YJomHaZikaronYJomHaAzmauth<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 29


JÜDISCHE WELT<br />

JOM HASCHOAH<br />

Jom HaSchoah<br />

JÜDISCHE WELT<br />

1,5 Millionen Knöpfe<br />

erinnern an ermordete Kinder<br />

schulkinder in der israelischen ort -<br />

schaft efrat südlich von Jerusalem<br />

haben 1,5 millionen Knöpfe ge sam -<br />

melt. damit wollen sie an die 1,5 mil -<br />

lionen jüdischen Kinder erinnern, die<br />

im holocaust ermordet wur den.<br />

Zwei Lehrerinnen der „Asseh Cha jil“-<br />

Grundschule in der Siedlung ha ben<br />

die Schüler zum Sammeln der Knöp -<br />

fe angeregt. Inspiriert wurden sie<br />

durch ähnliche Projekte in den USA<br />

und in Europa. Die Knöpfe sollten<br />

helfen, sich die unermessliche Zahl der<br />

getöteten Kinder vorstellen zu kön nen,<br />

sagten die Lehrerinnen dem Infor ma -<br />

tionsdienst „Arutz Scheva“. Die Indi -<br />

vi dualität erinnere den Be trach ter da -<br />

ran, dass jeder Getötete ein zigartig war.<br />

Unter den Spendern ist auch der frühere<br />

aschkenasische Oberrabbiner Is -<br />

rael Meir Lau, der <strong>als</strong> Kind die Ju den -<br />

verfolgung der nation<strong>als</strong>o zia lis ten<br />

überlebte. Israelische Schriftstel ler,<br />

Modedesigner, Minister und Abge ord -<br />

nete haben ebenfalls einen Beitrag zu<br />

der Sammlung geleistet. Die Eltern<br />

von Haggai Lev aus Efrat stellten ei nen<br />

Knopf der Uniform ihres Sohnes zu<br />

Verfügung - der Soldat war 2002 von<br />

einem palästinensischen Scharfschüt -<br />

zen getötet worden.<br />

Doch die Kinder haben nicht nur<br />

Knöp fe gesammelt, sondern auch per -<br />

sönliche Geschichten von Überlebenden.<br />

Dies soll verdeutlichen, dass<br />

jedes der vielen Kinder, die umkamen,<br />

seine eigene Geschichte gehabt habe.<br />

Die 1,5 Millionen Knöpfe sind nun in<br />

der Grundschule in Efrat ausgestellt.<br />

Sie befinden sich in neun großen Be -<br />

hältern mit durchsichtigen Wänden.<br />

„Knöpfe waren im KZ<br />

unermesslich wertvoll“<br />

Die Zeugnisse der Schoah-Überlebenden<br />

wurden in ein Archiv aufgenommen.<br />

Ein ehemaliger KZ-Insasse be -<br />

richtet vom Winter 1940 im Lager, der<br />

besonders hart war. Seine Mutter<br />

wollte ihren beiden Kindern warme<br />

Jacken nähen, doch sie konnte keine<br />

Knöpfe auftreiben. „Knöpfe waren viel<br />

wert, mehr <strong>als</strong> teurer Schmuck“, schreibt<br />

der Überlebende. „Jeder Knopf wurde<br />

wie ein Schatz gehütet. Wer Knöpfe hatte,<br />

war ‘reich’. Ein Knopf konnte gegen ein<br />

Stück Brot, eine Schüssel Suppe, eine Na -<br />

del, sogar Papier und Bleistift eingetauscht<br />

werden. Wer Knöpfe hatte, blieb im Win -<br />

ter warm, weil ein Knopf ein Hemd, einen<br />

Pullover oder eine Jacke geschlossen halten<br />

konnte.“<br />

Die Mutter besaß nur noch einen einzigen<br />

wertvollen Gegenstand: einen<br />

Fingerhut aus Silber, den sie von ihrer<br />

Mutter vor deren Auswanderung ins<br />

damalige Mandatsgebiet Palästina er -<br />

halten hatte. Für diesen Fingerhut er -<br />

hielt sie zwei rote und zwei schwarze<br />

Knöpfe für die improvisierten Män -<br />

tel. „Meine Schwester und ich trugen die -<br />

se Mäntel, <strong>als</strong> wir aus dem Lager befreit<br />

wurden“, teilt der Überlebende mit.<br />

„Knöpfe haben eine besondere Bedeutung<br />

für mich. Ein kleines, einfaches Ding wie<br />

ein Knopf kann uns lehren, dass nichts<br />

<strong>als</strong> selbstverständlich angesehen werden<br />

kann und dass wir uns über das freuen<br />

sollten, was uns das Leben anbietet.“ inn<br />

Der nationale Gedenktag an die<br />

Op fer des Holocaust (Schoah)<br />

und die Helden des Widerstandes.<br />

Dabei wird mit Veranstaltungen<br />

und einer Schweigeminute der<br />

sechs Millionen von den Nazis er -<br />

mordeten Juden ge dacht. Der "Yom<br />

HaZikaron La Sho ah VeLa Gvu ra"<br />

(Yom Ha Schoah) wird jedes Jahr<br />

am 27. Nissan (Mo nat des jüdischen<br />

Lunisolar-Kalen ders) be gan -<br />

gen. Nach jüdischer Tradition be -<br />

ginnen die Feierlichkeiten mit Son -<br />

nen un tergang und enden am<br />

Abend des nächsten Tages.<br />

Ursprünglich wurde <strong>als</strong> Datum der<br />

15. Nissan vorgeschlagen, der Tag<br />

des Aufstandes im War schauer<br />

Ghet to (19. <strong>April</strong> 1943). Dieser Vor -<br />

schlag wurde aber schließlich verworfen,<br />

da zum selben Zeit punkt<br />

das Pessach-Fest stattfindet.<br />

Jom HaZikaron & Jom HaAzmauth<br />

Das jetzige Datum liegt genau ei ne<br />

Wo che vor dem Gedenktag an die<br />

für den Staat Israel gefallenen Sol -<br />

daten und acht Tage vor dem isra e -<br />

lischen Unabhängigkeitstag.<br />

Eingeführt wur de der Yom Ha Scho -<br />

ah vom ersten Premier minis ter Is -<br />

raels, David Ben Gurion, und dem<br />

zweiten Staatspräsidenten, Yitz hak<br />

Ben Zvi, im Jahre 1959.<br />

So wie ich hier vor Ihnen stehe, verehrte Richter von Israel,<br />

um die Anklage gegen Adolf Eichmann zu leiten, stehe ich<br />

hier nicht alleine. Mit mir stehen hier in dieser Stunde sechs<br />

Millionen Ankläger. Aber sie können nicht aufstehen und mit<br />

dem Finger anklagend auf den Mann zeigen, der hier auf der<br />

Anklagebank sitzt und schreien: „Ich klage an!“. Denn ihre<br />

Asche liegt aufgetürmt in den Hügeln von Auschwitz und in<br />

den Feldern von Tre blinka oder sie wurde von den Flüssen<br />

Polens weggeschwemmt; ihre Gräber sind über ganz Europa<br />

verstreut. Ihr Blut schreit auf, aber ihre Stimmen können wir<br />

nicht hören.<br />

Die Eröffnungsworte des Gener<strong>als</strong>taatsanwaltes<br />

Gideon Hausner beim Eichmannprozess<br />

30 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JÜDISCHE WELT<br />

© Gershon Elinson/FLASH90<br />

Puppen mit Lebensgeschichte - Mädchen der Orot Etzion Schule in Efrat haben Puppen genäht und jeder Puppe die<br />

Lebensgeschichte eines im Holocaust ermordeten Mädchens angehängt.<br />

Jom HaZikaron neigt sich zwischen<br />

19 und 20 Uhr dem Ende zu und<br />

geht über in die Feierlich kei ten des<br />

Jom HaAzmauth auf dem Herzl -<br />

berg, auf welchem die israelische<br />

Fahne - bisher auf Halbmast - wieder<br />

ganz gehisst wird.<br />

Den Gedenktag genau vor dem Un -<br />

abhängigkeitstag zu feiern, soll die<br />

Menschen daran erinnern, welcher<br />

Preis für die Unabhängigkeit be zahlt<br />

werden musste und was durch das<br />

Opfer der Soldaten er reicht wurde.<br />

Dieser Übergang zeigt die Wich tig -<br />

keit dieses Tages für die Israelis, von<br />

denen die Meisten, in der Armee<br />

ge dient haben und in Verbindung<br />

ste hen zu Leuten, die während<br />

ihrer Militärzeit getötet wurden.<br />

Die Politi ker konnten sich während<br />

des ersten Jahres der Existenz Is ra -<br />

els nicht auf ein Datum für den<br />

Gedenktag einigen und so wurde er<br />

am ersten Unabhängigkeitstag<br />

(1949) begangen. Auf Anraten ei ner<br />

öffentlichen Kommission wurde der<br />

Gedenktag um einen Tag zurückverlegte.<br />

Diese Abma chung wurde<br />

1963 zum Gesetz erhoben.<br />

©Yossi Zamir/Flash90<br />

Stillstand - Beim symbolischen Heulen der Luftschutzsirenen kommt am Jom<br />

HaSchoah das öffentliche Leben für zwei Minuten zum Stillstand. Autofahrer<br />

halten mitten auf der Straße an, um der in der nS-Zeit getöteten Juden zu<br />

gedenken. In Fernsehen und Hörfunk gibt es keine Unterhaltungssendungen.<br />

Stattdessen beherrschten andächtige Musik und die Berichte Überlebender die<br />

Pro gram me. 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es noch<br />

rund 220.000 Überlebende des Holocausts in Israel.<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 31


JÜDISCHE WELT<br />

Erinnerung an den Holocaust:<br />

„Man kann nur darüber schreien“<br />

Für psychisch kranke Überlebende<br />

ist das Grauen noch gegenwärtig<br />

Manche Pa ti en ten weigern sich, unter<br />

die Dusche zu gehen - die erinnert sie<br />

an die Gas kam mern. Andere horten<br />

Fleisch im Kopf kissenbezug - aus<br />

Furcht zu verhungern. In der psychiatrischen<br />

Kli nik Shaar Menashe im<br />

norden Israels ist der Holocaust noch<br />

nicht vergangen. Wenn Israel wie am<br />

Jom Ha Scho ah der Judenvernichtung<br />

un ter den nation<strong>als</strong>ozialisten gedenkt,<br />

dann stehen die sechs Millionen Er -<br />

mor deten und auch die Überlebenden<br />

im Mit tel punkt, die sich im jüdischen<br />

Staat ein neues Leben aufgebaut ha ben.<br />

Von denen, die dem Ho lo caust ent -<br />

kom men sind, aber krank an Geist und<br />

Seele wurden, ist weniger die Re de.<br />

In Shaar Menashe steht für viele die<br />

Zeit still. noch 65 Jahre nach Kriegs -<br />

en de sind manchmal Schreie „Die<br />

Nazis kommen!“ zu hören. „Das sind<br />

die Vergessenen. Das sind die, die zu rück -<br />

gelassen wurden, die Menschen, die durch<br />

die Maschen gefallen sind“, beschreibt<br />

die Sozialarbeiterin Rachel Tiram die<br />

Einwohner der Pflegeeinrichtung.<br />

Selbst Überlebende, die geistig ge -<br />

sund geblieben sind, konnten oft erst<br />

Jahrzehnte später über ihre Erlebnis se<br />

sprechen. Hier wollen die meisten Pa -<br />

tienten noch heute nicht reden. Sie<br />

sind in sich gekehrt und reagieren<br />

nicht. Sie murmeln und zittern, sitzen<br />

zusammengesunken vor dem schwar -<br />

zen Fernsehbildschirm und starren<br />

abwesend in die Ferne.<br />

Welche Schrecken hinter ihnen liegen,<br />

lässt sich manchmal nur aus be stimm -<br />

ten Verhaltensweisen schließen. Der<br />

81-jährige Meir Moskowitz hat in seiner<br />

rumänischen Heimat Pogrome überlebt<br />

und war tagelang in einen Trans -<br />

portwaggon gepfercht. Bei einem Be -<br />

such spricht er in fünf Stunden nur ein<br />

einziges Wort: „Germania“. Arieh Blei er<br />

aus Ungarn ist 87, ein stiller Mann. Er<br />

hat das Konzentrations la ger Maut -<br />

hau sen überstanden, seine Eltern und<br />

sein Bruder kamen in Auschwitz um.<br />

Danach gefragt, wendet er den Blick ab<br />

und schüttelt den Kopf. Für die meisten<br />

dieser Überlebenden ist ein Rück -<br />

blick in die Vergangenheit un mög lich.<br />

„Es ist schwer, darüber zu re den, sehr<br />

schwer“, sagt Devora Amiel. Sie entkam<br />

aus einem polnischen Ghetto, wurde<br />

von einer christlichen Familie aufgenommen<br />

und wuchs später in einem<br />

Waisenhaus auf. Was aus ihrer Fa mi lie<br />

wurde, hat die heute 78-Jäh ri ge nie<br />

herausgefunden. „Wenn man das durch -<br />

gemacht hat, ist es schwer, darüber zu spre -<br />

chen“, sagte sie. „Man kann nur darüber<br />

schreien.“<br />

Die meisten Holocaust-Überlebenden<br />

in Israel bauten sich ein neues Leben<br />

auf, zu ihnen zählen Politiker, Schrift -<br />

steller, nobelpreisträger. noch Jahr -<br />

zehn te nach der Staatsgründung galten<br />

Kämpfer wie die des Warschauer<br />

Ghettos <strong>als</strong> Vorbilder und nicht diejenigen,<br />

die sich ohne Gegenwehr de -<br />

por tieren ließen.<br />

Überlebende, die der Schrecken um<br />

den Verstand gebracht hatte, landeten<br />

in gewöhnlichen psychiatrischen Ein -<br />

richtungen. Und das war nicht immer<br />

eine gute Idee: So mussten sie dort<br />

beispielsweise Pyjamas tragen, die sie<br />

auf verheerende Weise an die Häft -<br />

lings anzüge der KZ-Insassen erinnerten.<br />

Zuweilen wurde den Kindern und<br />

Enkelkindern erzählt, ihre Angehöri -<br />

gen seien im Holocaust umgekommen.<br />

Erst 1998 errichtete man drei Heime<br />

für sie, das erste davon war Shaar<br />

Me nashe. Rund 220.000 Holocaust-<br />

Überlebende gibt es heute noch in Is ra -<br />

el, rund 200 wohnen in den drei Hei -<br />

men. Manche leben schon seit ih rer<br />

Befreiung aus einem KZ in psychiatrischen<br />

Einrichtungen, andere wurden<br />

erst später im Leben geisteskrank.<br />

Alle Überlebenden hätten eine Form<br />

von Posttraumatischer Belastungsstö -<br />

rung, erklärt der Direktor von Shaar<br />

©cc<br />

VON ARON HELLER/AP<br />

Menashe, Alexander Grinshpoon. Die<br />

rund 80 Personen in seiner Obhut sei -<br />

en Männer und Frauen, die über ihre<br />

Traumata nicht hinwegkämen - sei es,<br />

weil ihre Leidenserfahrung so tiefgehend<br />

sei, weil sie eine Veranlagung für<br />

psychische Krankheiten mitgebracht<br />

hätten oder weil ganz einfach ihre Psy -<br />

che unter der Last des Erlebten zu sam -<br />

mengebrochen sei. Holocaust-Überlebende<br />

hätten eine höhere Selbstmord -<br />

rate, sagt Grinshpoon. 80 Prozent ha -<br />

ben Schlafschwierigkeiten, zwei Drit tel<br />

emotionale Störungen, wie aus einer<br />

Un tersuchung im Auftrag der Stif tung<br />

für Holocaust-Opfer in Israel hervorgeht.<br />

Der Stiftungsvorsitzende Seew<br />

Fac tor war selbst in Auschwitz. Er ha -<br />

be sich stets auf die Gegenwart konzentrieren<br />

und so sei seelisches Gleich -<br />

gewicht bewahren können, aber in<br />

seinen Träumen leide er noch heute.<br />

„Manchmal wache ich daraus auf, schweiß -<br />

gebadet von Kopf bis Fuß“, sagt er.<br />

Tiram berichtet von einer Patientin in<br />

Shaar Menashe, die ständig in der<br />

Furcht lebt, von der Polizei abgeholt<br />

zu werden. „Das ist ihr in Wirklichkeit<br />

widerfahren, das erfindet sie ja nicht“, sagt<br />

die Sozialarbeiterin. „Jedes Mal, wenn<br />

sie einschlafen, kehren sie zurück zum<br />

Ho locaust, sie durchleben ihre Kindheit<br />

noch einmal.“<br />

Die meisten können Grin shpoon<br />

zufolge nur schwer zwischen Wahn<br />

und Wirklichkeit unterscheiden. Ein<br />

Mann will im Krieg Kampfpilot ge -<br />

we sen sein, ein anderer hält sich für<br />

einen ninja, eine Pa ti en tin glaubt<br />

immer noch in Europa zu leben und<br />

ist entsetzt, im Spiegel eine alte Frau<br />

zu sehen.<br />

In Shaar Menashe müssen die Pati en -<br />

ten keine Pyjamas tragen; es gibt Park -<br />

anlagen, Kunst- und Werkunterricht<br />

und Kurse mit Haustieren. Manche<br />

ha ben Hobbys entdeckt, Freund schaf -<br />

ten entwickelt und sogar wieder Kon -<br />

takt mit Kindern und Enkeln aufgenommen.<br />

Und doch ist der düstere<br />

Schatten der Todeslager und Krema -<br />

to rien, der Deportationen und Gas -<br />

kam mern nie weit weg. „Sie leben in<br />

dieser und in der anderen Welt zugleich“,<br />

sagt Factor.<br />

Shaar Menashe<br />

32 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JÜDISCHE WELT<br />

JOM HAZIKARON<br />

Was bedeutet Israel<br />

für das Judentum?<br />

Israels Existenz ist zweifellos ein Se -<br />

gen für die Juden in aller Welt. Es<br />

wurde den nachkommen von Abra -<br />

ham, Isaak und Jakob <strong>als</strong> Ausgangs -<br />

punkt zur Verbreitung ihrer Botschaft<br />

des Monotheismus, der Gerechtigkeit<br />

und des Mitgefühls mit allen Men -<br />

schen geschenkt.<br />

Heute ist der Staat Israel nicht nur ei -<br />

ne Quelle spiritueller Inspiration und<br />

eine Heimat, sondern vor allem ein<br />

Bindeglied zwischen den Juden in aller<br />

Welt. Gleichzeitig repräsentieren der<br />

Staat Israel und allen voran Jerusalem<br />

lebendige jüdische Geschichte. Wie<br />

viele Priester und Propheten, Gebete<br />

und Träume hat die Klagemauer wohl<br />

schon gesehen?<br />

Israel gab den Opfern des Holocaust<br />

nach Beendigung der unaussprechlichen<br />

Gräuel ihre Identität zurück –<br />

und das tut es bis heute. Hier wird<br />

jüdische Kultur gelebt wie nirgendwo<br />

sonst auf der Welt.<br />

Israel stellt sicher, dass niemand sich<br />

mehr wegen seines Judentums verstecken<br />

muss, es gibt den Menschen<br />

eine Stimme, es gibt ihnen Stärke. Es<br />

ist eine Zufluchtsstätte und ein Hort<br />

der Sicherheit, an dem man Men schen<br />

findet, die so sind, wie man selbst.<br />

Auch wenn nicht alle israelischen Bür -<br />

ger oder auch die außerhalb Isra els<br />

lebenden Juden den Entschei dun gen<br />

der israelischen Regierung im mer zu -<br />

stimmen, so teilen doch alle eine ge -<br />

mein same Vergangenheit und Zu -<br />

kunft, eine Familie und einen Glau -<br />

ben.<br />

In den Augen der Welt und der jüdischen<br />

Tradition sind Israel und die<br />

Dias pora untrennbar verbunden.<br />

Im Guten und im Schlechten erinnert<br />

die Existenz eines jüdischen Staates<br />

das Volk Israel daran, dass sie Juden<br />

sind.<br />

Ask the Rabbi, Moment<br />

Am Jom HaZikaron gedenkt Israel<br />

seiner Gefalle nen, zu denen auch<br />

die Opfer des Terrors zählen. Am<br />

Vormittag heulen im ganzen Land<br />

die Sirenen. Dabei steht der Ver -<br />

kehr und das Volk für zwei Minu -<br />

ten im Gedenken an die Gefallenen<br />

still. Besondere Ge denk feiern finden<br />

landesweit an den Kriegsgrä bern<br />

auf 43 Soldaten fried höfen statt.<br />

©Abir Sultan/Flash90<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 33


Ich wurde <strong>als</strong> Kind amerikanischer<br />

Eltern geboren, wuchs auf in Amerika<br />

und entschloss mich <strong>als</strong> junger Er -<br />

wach sener, meinem Ursprung zu folgen<br />

und nach Israel zu gehen, um dort<br />

<strong>als</strong> Soldat in der israelischen Armee<br />

zu dienen. Die Sicherheit und das<br />

Wohl ergehen von Israel und seinen<br />

Bürgern, ebenso wie sein Wert <strong>als</strong> die<br />

demokratische Heimat aller Juden<br />

bilden das Herzstück meines beruflichen<br />

und persönlichen Lebens.<br />

Meine Arbeit, die ich so gewissenhaft<br />

wie möglich verrichte, verfolgt das<br />

Ziel, Israels Sicherheit langfristig zu<br />

gewährleisten und sicherzustellen,<br />

dass es auch weiterhin jener pluralistische,<br />

demokratische Staat sein kann,<br />

den ich liebe.<br />

Einige Mitglieder der jüdischen Ge -<br />

meinschaft, sowohl in den USA <strong>als</strong><br />

auch in Israel, scheinen zu glauben,<br />

dass das nicht genügt. Die fordern<br />

ideo logische Reinheit (ihrer eigenen<br />

Ideologie angepasst natürlich) bevor<br />

sie jemanden <strong>als</strong> der Sache gegenüber<br />

loyal definieren, bevor sie demjenigen<br />

den Mantel der „pro-israelischen Ge -<br />

sin nung“ umhängen. Besonders kon -<br />

servative Kreise meinen, Israel sei mi li -<br />

tärisch und diplomatisch so ge fähr det,<br />

dass die kleinste Kritik an den Ent -<br />

schei dungen der Regierung durch in<br />

der Diaspora lebende Juden bereits <strong>als</strong><br />

anti-israelisch angesehen werden soll te.<br />

Dies ist nicht nur eine an Ge schmack -<br />

losigkeit grenzende Simpli fizierung<br />

für die jüdische Psyche – solche Ein -<br />

schränkungen sind auch im Ausland<br />

alles andere <strong>als</strong> hilfreich: Kann denn<br />

tatsächlich irgendjemand der Mei -<br />

nung sein, die Zionistische Organisa -<br />

tion Amerikas solle <strong>als</strong> anti-israelisch<br />

eingestuft werden, weil sie sich da -<br />

m<strong>als</strong> gegen einige wichtige Maßnah -<br />

men der israelischen Regierung unter<br />

Yitzhak Rabin ausgesprochen hat?<br />

Auch wenn die ZOA gegen eine Zwei -<br />

JÜDISCHE WELT<br />

JOM HAATZMAUT<br />

Die israelische Seele muss<br />

gerettet werden<br />

HADAR SUSSKIND, SH´MA; Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />

staatenlösung ist (eine Position, die<br />

ich persönlich <strong>als</strong> direkte Bedro hung<br />

der langfristigen Sicherheit Is ra els be -<br />

trachte), würde ich doch niem<strong>als</strong> an -<br />

nehmen, die ZOA-Mitglieder wä ren<br />

nicht der Meinung, dass sie durch ih re<br />

Handlungen nur das Beste für den<br />

Staat Israel erreichen wollen.<br />

In den USA bedeutet Demokratie, dass<br />

wir nicht mit allem, was Präsident<br />

Barack Obama oder davor Präsident<br />

George W. Bush getan haben, einverstanden<br />

sein müssen. Aber wenn es<br />

um Israel geht sieht die Sache gleich<br />

anders aus. Hier soll jegliches kritische<br />

Gedankengut beiseite gelassen<br />

und ausnahmslos alles unterstützt<br />

werden, was die jeweilige israelische<br />

Regierung beschließt und ausführt.<br />

Wer das nicht tut wird sofort <strong>als</strong> antiisraelisch<br />

abgestempelt. Hier wird eine<br />

Art von blinder Treue gefordert, die<br />

Seit 2.000 Jahren gelingt es den Juden<br />

<strong>als</strong> verfolgte Minderheit oftm<strong>als</strong> nur<br />

deshalb zu überleben, weil es weit<br />

ver streuten jüdischen Gemeinden ge -<br />

lang, in Verbindung zu bleiben und<br />

so Hilfe anbieten konnten. Heute fragen<br />

sich die Amerikanischen Juden,<br />

welche die zweitgrößte jüdische Ge -<br />

meinschaft der Welt darstellen, was<br />

es überhaupt bedeutet, die größte jü -<br />

dische Gemeinschaft der Welt – Israel<br />

– zu unterstützen. Denn dort sind die<br />

Juden nicht länger eine Minderheit,<br />

sondern eine souveräne nation.<br />

Die Debatte dreht sich hauptsächlich<br />

um die divergierenden Auffassun gen,<br />

wie Israel auf die sich ihm darbietenden<br />

Probleme reagieren soll: einen<br />

den Anstrengungen von Senator Jo -<br />

seph McCarthy zur eindeutigen Iden -<br />

tifizierung aller „pro-amerikanischen“<br />

US-Bürger zur Ehre gereicht hätte.<br />

Die Frage sollte doch vielmehr sein,<br />

ob solch eine doktrinäre Loyalität Is -<br />

ra el tatsächlich hilft und gut für unsere<br />

eigene jüdische Gemeinde ist. In beiden<br />

Fällen dürfte die Antwort wohl<br />

„nein“ sein. Denn wie schrieb die is ra -<br />

elische Tageszeitung Haaretz kürz lich:<br />

„Es wäre ein Akt unfassbarer Un ver ant -<br />

wort lichkeit, es sich mit diesen Juden zu<br />

verscherzen, anstatt alles daran zu setzen,<br />

eine Annäherung zu erzielen, auch im<br />

Zuge von hitzigen Debatten und Streit -<br />

ge sprächen zugunsten Israels.“<br />

Wir verschwenden wertvolle Zeit,<br />

wenn wir weiterhin darüber diskutieren,<br />

wer pro-israelisch genug ist, um<br />

ernst genommen zu werden. Viel<br />

wichtiger wäre es, dass alle, die sich<br />

selbst <strong>als</strong> pro-israelisch definieren,<br />

zusammenarbeiten und an einem<br />

Strang ziehen, um gemeinsam hinter<br />

Israel zu stehen – für seine Sicherheit<br />

und seine Seele.<br />

(Hadar Susskind ist strategischer Direk tor von<br />

J Street und ehemaliger Vizeprä si dent und<br />

Wa shington-Direktor des Jüdischen Rats für<br />

Öffentlichkeitsarbeit.) Dieser Artikel erschien<br />

erstm<strong>als</strong> auf http://shma.com.<br />

Was es heißt,<br />

Israel zu unterstützen<br />

ROBERTA P. SEID, SH´MA; Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />

fest gefahrenen Friedensprozess, permanente<br />

arabische Ablehnung und<br />

die militärische Gefährdung durch den<br />

Iran und seine Verbündeten. Außer -<br />

dem wird die Diskussion durch eine<br />

aggressive Propagandakampagne an -<br />

ge heizt, welche die Menschenrechte<br />

dazu benutzt, die Realität zu verzerren,<br />

um Israel <strong>als</strong> böse darzustellen<br />

und sein Existenzrecht infrage zu stel -<br />

len.<br />

Diese schädliche Rhetorik wird „Neu er<br />

Antisemitismus“ genannt, wo der „jü-<br />

di sche Staat“ und die „Zionis ten“ den<br />

Begriff der „Juden“ <strong>als</strong> letale Variante<br />

des klassischen Antisemitis mus ersetzen.<br />

Diese dermaßen entschärft wirkende<br />

Version ist gerade bei der ex -<br />

34 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JÜDISCHE WELT<br />

tremen Linken und sogar in liberalen<br />

Kreisen zu finden, wo eine Unterstüt -<br />

zung Israels augenscheinlich in Kon -<br />

flikt mit den Werten sozialer Ge rech -<br />

tigkeit zu stehen scheint und den<br />

Juden ein ungutes Gefühl bei der proisraelischen<br />

Identifikation injiziert.<br />

nun hat die neu gegründete Or ga -<br />

nisation „J Street“ versucht, den Be -<br />

griff „pro-Israel“ neu zu definieren,<br />

doch Kritik wurde laut, dass deren<br />

Definition auch anti-israelische Ele -<br />

men te beinhaltet.<br />

Aber wie sieht ein pro-israelischer<br />

Ansatz für amerikanische Juden nun<br />

tatsächlich aus?<br />

Während die jüdische Gemeinde der<br />

USA, über das gesamte politische<br />

Spek trum hinweg, eifrig über Israels<br />

Politik diskutiert, hat natan Sha rans ky<br />

die „3 Ds“ geprägt, die helfen sollen,<br />

konstruktive Kritik von jener destruktiven<br />

Kritik zu unterscheiden, die den<br />

„neuen Antisemitismus“ ausmacht.<br />

Diese sind:<br />

eine delegitimierung, die auch die<br />

In f ragestellung des Existenzrechts Is -<br />

ra els beinhaltet),<br />

die doppelmoral des Maßstabes, der<br />

bei der Verurteilung von Israels Akti o -<br />

nen angewandt wird, aber nicht bei<br />

jenen anderer Staaten,<br />

sowie die dämonisierung Israels<br />

durch Lügen und Halbwahrheiten,<br />

wel che Israels Errungenschaften und<br />

den Kontext, in dem seine Aktionen<br />

ste hen, ignorieren oder herabwürdigen.<br />

Um <strong>als</strong> pro-israelisch identifiziert wer -<br />

den zu können, sollten die amerikanischen<br />

Juden Israels Existenzrecht <strong>als</strong><br />

jü di scher Staat und sein Recht auf<br />

Selbst verteidigung unterstützen, auch<br />

wenn diese militärische Maßnahmen<br />

beinhaltet. Sie sollten die Demokratie<br />

Israels und die Entscheidungen seiner<br />

vom Volk gewählten Regierung<br />

respektieren, auch wenn sie mit einzelnen<br />

Aktionen nicht konform ge hen.<br />

Das Blut, der Schweiß und die Tränen<br />

jeden Israelis – und nicht jene der<br />

Amerikaner – haben dieses Land aufgebaut<br />

und schützen es, und sie sind<br />

es, die dafür jeden Tag ihr Leben riskieren.<br />

Die Juden in Amerika sollten<br />

sich bewusst werden, dass sie nicht<br />

bes ser wissen, was das Beste für die Is -<br />

raelis ist, und aufhören, die US-Re gie -<br />

rung in eine Richtung zu beeinflussen,<br />

die Israel dazu zwingen soll, eine<br />

Politik zu befolgen, die dem Willen<br />

von Israels gut informierter und<br />

höchst gebildeter Wählerschaft zu wi -<br />

derhandelt. Jene, die Israel unterstützen,<br />

sollten es nicht dazu anhalten,<br />

voreilige Zugeständnisse zu machen<br />

oder den größeren Kontext radikaler<br />

islamistischer Bewegungen zu ignorieren,<br />

die Israels Zerstörung fordern.<br />

Die Israelis allein müssen die Kon se -<br />

quenzen ihrer eigenen Entscheidun -<br />

gen tragen, nicht die tausende von<br />

Kilometern weit weg in Sicherheit<br />

lebenden Amerikaner.<br />

Jene in Amerika, die sich <strong>als</strong> pro-is ra e -<br />

lisch definieren, sollten mit aller Kraft<br />

die „3 Ds“ sowie den Boykott, die Ent -<br />

machtung und die Sanktionen gegen<br />

Israel bekämpfen. Damit soll nämlich<br />

nicht, wie vorgegeben, den Paläs ti nen -<br />

sern geholfen, sondern vielmehr der<br />

Hass auf Israel geschürt werden. Proisraelische<br />

Amerikaner sollten die „3<br />

Ds“ <strong>als</strong> perverse Karikaturen bloß -<br />

stel len, die zeigen, dass das palästinensische<br />

Volk nicht nur das unschuldige<br />

Opfer ist, <strong>als</strong> das es gerne dargestellt<br />

wird, sondern ein wichtiger Ak -<br />

teur in der komplexen Realität einer<br />

palästinensischen Gesellschaft und<br />

Politik, die massiv zur derzeitigen<br />

Sack gasse und dem palästinensischen<br />

Extremismus beigetragen hat und<br />

weiterhin beiträgt.<br />

Wer für Israel sein will, sollte wissen,<br />

dass der eingeschlagene Kurs richtig<br />

ist und die bewegte Gründungsge -<br />

schichte des Staates im Auge behalten.<br />

Hier wird das Epos des immer wieder<br />

verfolgten und gedemütigten, aber<br />

den noch weiterhin aufrechten und ent -<br />

schlossenen jüdischen Volkes ge lebt,<br />

das die letzten 2.000 Jahre trotz aller<br />

Widrigkeiten überlebt hat und <strong>als</strong> sou -<br />

veräne nation auf dem Gebiet seiner<br />

ursprünglichen Heimat wiedererstanden<br />

ist. Innerhalb von 100 Jahren<br />

wurde hier ein freier, demokratischer<br />

Staat mit einer florierenden Wirt -<br />

schaft auf Grund und Boden erbaut,<br />

der arm an natürlich Ressourcen ist,<br />

eine multikulturelle Gesellschaft voller<br />

Kreativität, Einfallsreichtum, Scharf -<br />

sinn und Menschlichkeit.<br />

natürlich ist dieses Land alles andere<br />

<strong>als</strong> perfekt. Wie jeder unabhängige<br />

Staat, muss Israel große Kraftanstren -<br />

gun gen vollbringen, um zu überleben<br />

und zu wachsen. Es muss Vorgangs -<br />

wei sen wählen, die politisch und mo -<br />

ra lisch schwierig und unpopulär sind.<br />

Aber wie so viele andere Staaten entwickelt<br />

sich Israel ständig weiter und<br />

trachtet danach, den höchsten ethischen<br />

Standards angesichts von Um -<br />

stän den gerecht zu werden, die auch<br />

weit aus ältere und erfahrenere natio -<br />

nen vor große Schwierigkeiten stellen<br />

würden.<br />

Jene, die behaupten, Israel zu unterstützen<br />

würde den Werten sozialer<br />

Gerechtigkeit zuwiderhandeln, sind<br />

leider der moralischen Umkehrung ei -<br />

ner anti-israelischen Propaganda und<br />

deren ungehinderter Verbreitung zum<br />

Opfer gefallen. Eine Unterstützung Is -<br />

raels ist sehr wohl gleichzusetzen mit<br />

dem Kampf für soziale Gerechtigkeit.<br />

Der niederträchtige „neue Antise mi -<br />

tismus“ gefährdet ebenso wie seine<br />

Vorgänger das jüdische Volk und jene<br />

Menschenrechte, die sich die moderne<br />

Welt so schmerzhaft erkämpft hat.<br />

(Roberta P. Seid, Ph. D., ist Historikerin und<br />

Forschungsdirektorin der internationalen is ra -<br />

elischen Bildungsorganisation StandWithUs<br />

und ehemaliges Mitglied der Amerikanisch-<br />

Is raelischen Demographischen Forschungs -<br />

grup pe, welche sowohl die palästinensische <strong>als</strong><br />

auch die israelische Demographie analysierte.<br />

Zur Zeit unterrichtet sie Israel-Studien an der<br />

Universität von Kalifornien, Irvine.)<br />

Dieser Artikel erschien erstm<strong>als</strong> auf http://<br />

shma.com.<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 35


„OPERATION GEGOSSENES BLEI“ UND DIE FOLGEN:<br />

Antisemitismus und der<br />

Holocaust im Internationa len<br />

Diskurs von 2009<br />

Antisemitismus 2009 – ein unverhältnismäßiger<br />

und im Voraus geplanter<br />

Angriff radikaler linker Aktivisten<br />

und moslemischer Immigranten ge -<br />

gen die Juden und Israel <strong>als</strong> Jüdi schen<br />

Staat unter Verwendung von Antise -<br />

mi tismus und Holocaust <strong>als</strong> politisches<br />

Instrument.<br />

Das Jahr nach „Operation Gegosse -<br />

nes Blei“ kann <strong>als</strong> das schlimmste seit<br />

Beginn der Aufzeichnungen antisemitischer<br />

Aktionen vor zwei Jahr zehn -<br />

ten angesehen werden, sowohl was<br />

antisemitische Gewalt angeht <strong>als</strong> auch<br />

jene weltweite feindselige At mos -<br />

phäre, die durch Massendemonstra ti -<br />

onen und verbale wie visuelle Atta c ken<br />

auf Israel und Juden generiert wurde.<br />

Im Januar 2009 begann die Situation<br />

zu eskalieren, <strong>als</strong> linke Radikale und<br />

moslemische Immigranten ihre Mobi -<br />

lisierungspläne umsetzten. Diese gut<br />

koordinierten Ausschreitungen be -<br />

nutz ten eine Reihe antisemitischer<br />

Vehikel, unter anderem auch die<br />

Gleich setzung von Juden und Israe -<br />

lis, welche die Massenmeinung hinsichtlich<br />

einer Delegitimierung des<br />

Staates Israel und des jüdischen Vol -<br />

kes <strong>als</strong> Einheit mit voller Absicht be -<br />

einflussten. Dazu sollte auch erwähnt<br />

werden, dass es radikalen Moslem füh -<br />

rern problemlos gelingt, ihre An hän -<br />

ger zu mobilisieren, Gelder aufzustellen<br />

und Propaganda zu verbreiten.<br />

Da zu kooperieren sie auch mit linksextremen,<br />

sich stark mit der palästinensischen<br />

Sache identifizierenden<br />

Gruppierungen, von denen viele auf<br />

dem Universitätscampus aktiv sind<br />

und den von ihnen verbreiteten Anti -<br />

zi onismus mit antisemitischen Unter -<br />

tönen spicken.<br />

Dabei befinden sich auch nicht allzu<br />

sel ten jüdische Studenten und israelische<br />

Auslandsstudenten in den Füh -<br />

rungs riegen solcher linksextremen<br />

Gruppen.<br />

Die vom Institut im Jahr 2009 aufgezeichneten<br />

1.129 gewalttätigen antisemitischen<br />

Übergriffe haben sich im<br />

Vergleich zum Jahr davor um ganze<br />

100% erhöht (2008 waren es 559 Übergriffe<br />

gewesen). Dazu kommen viele<br />

hundert Drohungen, Beschimp fun -<br />

JÜDISCHE WELT<br />

gen, Schmierereien, Slogans und De -<br />

monstrationen antisemitischen In halts,<br />

die manchmal in gewalttätige Aus -<br />

schrei tungen übergingen.<br />

Unsere Aufgabe ist es, Fälle deutlich<br />

antisemitischen Inhalts zu dokumentieren.<br />

Deshalb sind hunderte von Zwi -<br />

schenfällen, die jüdische Ein zel per so -<br />

nen oder deren (bzw. öffentli chen) Be -<br />

sitz <strong>als</strong> Ziel hatten, nicht be inhaltet,<br />

da bei diesen kein eindeutig antisemitisches<br />

Motiv nachgewiesen werden<br />

konnte. Außerdem werden solche Vor -<br />

kommnisse von den Betrof fenen aus<br />

Angst vor Repressalien oftm<strong>als</strong> gar<br />

nicht zur Anzeige gebracht. Deshalb<br />

dürfte die tatsächliche Zahl der Übergriffe,<br />

sowohl verbal <strong>als</strong> auch gewalttätig,<br />

wesentlich höher sein <strong>als</strong> do -<br />

kumentiert.<br />

Gemessen an unseren Zahlen und Kri -<br />

terien wies Großbritannien im Jahr<br />

2009 die größte Zahl an gewalttätigen<br />

Zwischenfällen auf – 374 im Vergleich<br />

zu 112 im Jahr 2008; in Frankreich wa -<br />

ren es 195 im Vergleich zu 50 im Jahr<br />

2008; in Kanada 138 im Vergleich zu<br />

13; in den USA 116 im Vergleich zu 98.<br />

In Deutschland war die Erhöhung ge -<br />

ring, doch die jüdische Gemeinde fühlt<br />

sich dennoch bedroht, wiegt doch ein<br />

einzelner gravierender Zwischenfall<br />

stets schwerer, <strong>als</strong> mehrere geringe. In<br />

Russland und der Ukraine ging die<br />

Zahl der Übergriffe sogar von 40 und<br />

38 auf 28 und 20 zurück, während sich<br />

in den meisten anderen Staaten die<br />

Zahlen zwischen 1 und 30 bewegen.<br />

Allerdings können auch nur wenige<br />

Übergriffe eine deutliche Tendenz in -<br />

di zieren, wenn deren Zahl sich verdoppelt<br />

oder verdreifacht: Zum Bei -<br />

spiel stieg die Zahl der antisemitischen<br />

Gewalttaten in norwegen von 1 auf<br />

6, in Brasilien von 0 auf 15 und in Ös -<br />

ter reich, wo die extreme Rechte starke<br />

Stimmenzuwächse erfuhr, von 0 auf 22.<br />

In Großbritannien verzeichnete man<br />

eine Verdreifachung der Zahlen seit<br />

1999, in Kanada verfünffachte sich der<br />

Wert innerhalb dieses Jahrzehnts.<br />

Aufgrund der stark verbesserten Si -<br />

cher heitseinrichtungen bei jüdischen<br />

Einrichtungen wurde etwa die Hälfte<br />

aller At tacken auf Einzelpersonen ver -<br />

übt; ca. ein Sechstel zielte auf Pri vat -<br />

besitz un abhängig von jüdischen<br />

Institu tio nen ab.<br />

Obwohl auch Rechtsextremisten im -<br />

mer noch eine signifikante Rolle spielen,<br />

gingen im Jahr 2009 die meisten<br />

gewalttätigen antisemitischen Zwi -<br />

schen fälle, vor allem in Westeuropa,<br />

wo man diese identifizieren konnte,<br />

auf arabische oder moslemische Ein -<br />

zelpersonen zurück.<br />

Die höchste Zahl wurde im Januar,<br />

wäh rend „Operation Gegossenes<br />

Blei“ ausgeführt wurde, verzeichnet.<br />

Im Februar und März gingen die Fälle<br />

zurück, doch auch im <strong>April</strong> waren es<br />

immer noch mehr Zwischenfälle <strong>als</strong><br />

in den vorangegangenen Jahren üb lich.<br />

Im Allgemeinen nahm die Zahl der<br />

Übergriffe aber bereits seit den 1990 -<br />

ern zu, auch in den Jahren, <strong>als</strong> es im<br />

nahen Osten eher ruhig war. So muss<br />

der Ursprung, auf den die antisemitische<br />

Eskalation von 2009 zurückzuführen<br />

ist, weit tiefer liegen.<br />

Einerseits registrieren wir bei den<br />

Jugendlichen eine um sich greifende<br />

Ig no ranz gegenüber politischen und<br />

historischen Fakten. Viele von ihnen<br />

assoziieren Israel, den Zionismus und<br />

die Juden mit einem Bild des Bösen.<br />

Zweitens erzeugt und verbreitet eine<br />

enorme moslemische Propaganda ma -<br />

schi nerie, finanziert durch die Reich -<br />

tü mer der Ölstaaten, eine umfassende<br />

antijüdische Atmosphäre, die die Be -<br />

griffe „politische Korrektheit“ und<br />

„Re defreiheit“ für ihre Zwecke missbraucht.<br />

Drittens wird der Holocaust<br />

fortwährend <strong>als</strong> politisches Vehikel<br />

be nutzt, hauptsächlich durch die<br />

Gleichsetzung von Israelis/Zionis ten/<br />

Juden/jüdischen Befürwortern Isra els<br />

mit den nazis. Dies wird sehr deutlich<br />

durch jene offiziellen Stimmen,<br />

die eine Abschaffung des von der UnO<br />

eingeführten Holocaustgedenktages<br />

am 27. März fordern, widergespiegelt,<br />

oder auch durch die verleumderischen<br />

Vorwürfe, israelische Solda ten hätten<br />

palästinensische Organe gestohlen.<br />

Abschließend kann gesagt werden,<br />

dass 2009 ein Jahr der, in ihrer Bös ar -<br />

tigkeit einmaligen, antiisraelischen<br />

und antisemitischen Ausdrücke und<br />

Vorwürfe auf internationalem Parkett<br />

war. Die wiederholte Dämonisierung<br />

des Jüdischen Staates und seiner An -<br />

hänger <strong>als</strong> Ausdruck des Bösen und<br />

Ur sprung der Probleme der Welt über -<br />

schattet jegliche ernsthafte Dis kus -<br />

sion und führt, ob nun be wusst oder<br />

unbewusst, zu der Schlussfol ge rung,<br />

dass die Auslöschung des Staa tes Is -<br />

ra el <strong>als</strong> Jüdischer Staat die globale Er -<br />

lösung bringen könnte.<br />

Stephen Roth Institute/Europäischer Jüdischer Kongress<br />

36 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

Ungarn nach der<br />

Wahl: „Die Angst<br />

ist größer geworden“<br />

Linda Verö-Bán ist mit 34 Jahren eine<br />

un gewöhnliche „Rebbezn“: Sie gründete<br />

in Budapest die Hillel-Foun da tion<br />

und schreibt sich die notwendigen<br />

Kin der bü cher für den Religionsunter -<br />

richt selbst. Über jüdische Anliegen<br />

und Projekte sprach sie mit<br />

MARTA S. HALPERT<br />

gemeinde: Der erste Durchgang der<br />

Par lamentswahlen in Ungarn hat sowohl<br />

einen Erdrutschsieg für Viktor Orbáns<br />

nationalistische und rechtspopulistische<br />

FIDESZ gebracht, <strong>als</strong> auch einen dramatischen<br />

Stimmenzuwachs für die martialisch<br />

auftretenden Rechtsradikalen von<br />

JOBBIK. Diese Partei hat lautstark antisemitische<br />

Hetze betrieben. Sind jüdische<br />

Menschen in Ungarn heute ängstlicher<br />

<strong>als</strong> vor zwei Jahren?<br />

Verö-Bán: Ja, eindeutig: Die Angst ist<br />

größer geworden, denn antisemitischen<br />

Vorfälle sind heute Teil unseres<br />

Alltags geworden. Obwohl seit einem<br />

Monat das Gesetz gegen Holocaus-<br />

Leug nung unterschrieben ist, findet<br />

die Strafverfolgung nicht statt. Erst<br />

jüngst wurde auf eine Synagogen -<br />

mauer der Spruch gesprüht: „Es gab<br />

keinen Holocaust – aber es sollte<br />

einen geben!“<br />

Gibt es denn keinen öffentlichen Auf -<br />

schrei gegen solche Vorfälle?<br />

Eigentlich nicht. Man gewinnt eher<br />

den Eindruck, <strong>als</strong> wäre es ein modischer<br />

Trend, rassistisch zu sein. Wahr -<br />

scheinlich haben viele Leute auch<br />

vorher schon so gedacht, aber heute<br />

fühlen sie sich mächtig und stark<br />

genug, dies auch laut und stolz heraus<br />

zusagen.<br />

Haben Sie oder ihre Familie selbst schon<br />

schlechte Erfahrungen in dieser Hinsicht<br />

gemacht?<br />

Mein Mann ist seit zwanzig Jahren<br />

mit einer Kippa auf der Straße gegangen,<br />

bis vor kurzem. Da war er mit<br />

unseren beiden kleinen Mädchen ins<br />

Mammut-Einkaufszentrum gegangen,<br />

um Schuhe zu kaufen. In dem Ge -<br />

schäft wurde er von einem anderen<br />

Kunden <strong>als</strong> dreckiger Jude be schimpft,<br />

der sich irgendwohin scheren sollte.<br />

niemand der Anwesenden hat ein<br />

Wort gesagt oder sich eingemischt.<br />

Jetzt trägt er eine Baseballmütze.<br />

Geht es bei den Vorfällen auch um Israel?<br />

Das vermischen die Leute meistens,<br />

sie werfen auch alles in einen Topf.<br />

Aber ein Freund von uns, der im Is rael<br />

Cultural Center in Budapest arbeitet,<br />

hat uns erzählt, dass er sich heute nicht<br />

mehr traut, hebräische Bücher in der<br />

Straßenbahn oder der Metro zu lesen.<br />

Angesichts der stark rechts angesiedelten<br />

Parteien, welche Wahlmöglichkeiten hatten<br />

jüdische Menschen zuletzt?<br />

Da die SZDSZ (die liberale Partei, die<br />

ehem<strong>als</strong> ein Sammelbecken der Dis -<br />

sidenten und jüdischer Intellektueller<br />

war) nicht mehr eigenständig kandidierte<br />

und von Korruptions skanda len<br />

gebeutelt war, entschieden sich viele<br />

für die noch-regierenden Sozialisten,<br />

<strong>als</strong>o die MSZP. Aber sie sagten immer<br />

wieder dazu: Ich will die MSZP auch<br />

nicht, aber die anderen will ich noch<br />

weniger.<br />

Hat die neue Grün-Partei (LMP) unter<br />

András Schiffer keine Alternative geboten?<br />

Leider für jüdische Wähler nicht, denn<br />

die gehören zu den vehementen Glo -<br />

balisierungsgegnern und ergreifen<br />

ständig Partei für die Sache der Paläs -<br />

tinenser.<br />

Wie hat sich Ihre Arbeit mit der jüdischen<br />

Gemeinschaft und die Hillel-Jugend ar beit<br />

in den letzten Jahren entwickelt?<br />

Die Hillel-Foundation ist nicht Teil der<br />

weltweiten Beit Hillel-Bewegung. Un -<br />

ser erstes Projekt nach der Gründung<br />

2003 war die Talmud Torah-Sonn tags -<br />

schule hier in der Leo-Frankel-Sy -<br />

nagoge. Unser Ziel war es vor allem,<br />

an jene großteils assimilierten Men -<br />

schen heranzukommen, die in keiner-<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 37


JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

lei jüdische Strukturen eingebunden<br />

waren. Da wir auf überraschend grosses<br />

Interesse gestoßen waren, begannen<br />

wir unsere Programme auch auf<br />

die Erwachsenenbildung auszudehnen.<br />

Seit 2008 bieten wir unter dem<br />

na men Bereshit ein sehr anspruchsvolles<br />

Programm für Männer und<br />

Frauen an.<br />

Sie haben kaum auf zeitgemäße jüdische<br />

Lehrbücher für Kinder in ungarischer<br />

Spra che zurückgreifen können. Was haben<br />

Sie gemacht?<br />

Ja, das stimmt. Daher habe ich eine<br />

eigene interaktive Bücherserie – für<br />

Erwachsene und Kinder – entwickelt.<br />

Die Bücher mit dem namen Zsidongo<br />

(eine Wortschöpfung aus zsido und<br />

dongo, eine Art biene Maya) sind bei<br />

Erziehern und Eltern sehr beliebt.<br />

Das nächste Buch mit dem Titel „Was<br />

bedeutet es jüdisch zu sein?“ soll insbesondere<br />

auch die nichtreligiösen<br />

und gemischten Familien ansprechen.<br />

Unsere Bücher sind überhaupt das<br />

erste Material - seit dem Fall des Kom -<br />

munismus – das sich mit solchen<br />

Themen in Ungarn befasst.<br />

Hat das Interesse der Jugendlichen an jü -<br />

di schem Leben und damit verbundenen<br />

Themen zu – oder abgenommen?<br />

Das Interesse am Judentum insgesamt<br />

hat stark zugenommen. Es gibt in<br />

Budapest immer mehr Möglichkeiten<br />

sich zu informieren und an jüdischen<br />

Events teilzunehmen: Sei es über neue<br />

Kulturvereine, Festiv<strong>als</strong>, Bücher, etc.<br />

Interessanterweise suchen beziehungsweise<br />

entdecken viele Jugend li che<br />

ihre jüdische Identität ganz alleine,<br />

sind nicht von zuhause beeinflusst.<br />

Das Phänomen, dass Kinder ihren El -<br />

tern das Judentum ins Haus bringen,<br />

ist noch immer sehr präsent und stark.<br />

Und das, obwohl seit der Wende<br />

zwanzig Jahre vergangen sind.<br />

Wie sehen Sie die Zukunft der rund 80.000<br />

Juden?<br />

Die Juden verhalten sich eher passiv,<br />

sind pessimistisch, was ihre Zukunft<br />

betrifft. Das ist verständlich, wenn<br />

man sieht, dass es keinerlei Parteien<br />

oder politische Persönlichkeiten gibt,<br />

die ihnen gewisse Sicherheiten geben.<br />

Die Stimmung ist sehr negativ, auch<br />

was die soziale und wirtschaftliche<br />

Lage betrifft. Die Experten sagen ja,<br />

dass Ungarn den Boden der Krise noch<br />

nicht erreicht hat. Das macht die Si tu -<br />

ation noch schlimmer, weil in Ungarn<br />

die schlechte Wirtschaftslage immer<br />

den Antisemitismus hat anwachsen<br />

lassen.<br />

Spruch auf einer Synago -<br />

genmauer in Ungarn: „Es<br />

gab keinen Holocaust –<br />

aber es sollte einen ge ben!“<br />

Wissen Sie, ob Juden aus Ungarn wegzie -<br />

hen? Auf Alijah gehen?<br />

Ich kenne viele Menschen, die darüber<br />

nachdenken, Ungarn zu verlassen.<br />

Derzeit warten sie aber noch die<br />

nächsten politischen Entwicklungen<br />

ab.<br />

linda Verö-Bán wurde 1976 in Bu -<br />

dapest in eine traditionell jüdische<br />

Familie geboren. Sie absolvierte die<br />

orthodoxe Wesselenyi-Schule (Mas-<br />

soret Avot) und ging anschließend<br />

fünf Jahre zum Studium nach Is ra -<br />

el. An der Hebrew University in Je -<br />

ru salem machte sie ihren Ab schluss<br />

in Kunstgeschichte.<br />

Als „Schlicha“ der Massorti Bewe -<br />

gung kehrte sie 2001 nach Ungarn<br />

zurück. Von 2002 bis 2003 studierte<br />

Linda Bán mit einem Sti pen -<br />

dium an der Paideia Universität in<br />

Stock holm European Jewish Studies.<br />

2003 heiratete sie Rabbiner Tamás<br />

Verö, der die Leo-Frankel-Syna go -<br />

ge im Stadtteil von Buda betreut.<br />

Im gleichen Jahr gründete sie auch<br />

die Hillel Foundation.<br />

Das Ehepaar hat zwei Töchter,<br />

Sarah und Sonja.<br />

Tschechische Ärztekammer-<br />

Entschuldigung für Verfolgung<br />

jüdischer Ärzte<br />

Die Tschechische Ärztekammer (CLK)<br />

hat sich im März offiziell bei den Ärzten<br />

jüdischer Herkunft für die Verfol -<br />

gung in der Zeit der „Zweiten Tsche -<br />

choslowakischen Republik“* (Ok to -<br />

ber 1938 bis März 1939) entschuldigt.<br />

Der CLK-Vorstand billigte einstimmig<br />

ein entsprechendes Dokument. Die<br />

CLK bezog sich damit auf ein Memo -<br />

ran dum der damaligen Ärztekammer<br />

vom 14. Oktober 1938, in dem bei der<br />

Regierung gefordert worden war,<br />

dass der Anteil der jüdischen Ärzte<br />

nur dem Anteil der Juden in der Ge -<br />

sell schaft entsprechen solle. Außer -<br />

dem sollte es in Zukunft nicht zulässig<br />

sein, dass der Arztberuf von Juden<br />

aus geübt wird.<br />

Laut CLK-Sprecher Michal Sojka kön -<br />

ne man das Memorandum nicht an -<br />

ders <strong>als</strong> ein antisemitisches und dis kri -<br />

minierendes Dokument verstehen, für<br />

das man sich entschuldigen müsse.<br />

„Wir tun es nach langen 72 Jah ren ohne<br />

jegliches Bemühen, die Motive unserer<br />

Vorgänger zu beurteilen. Liebe CLK-Mit -<br />

glieder, Ärzte jüdischer Her kunft, nehmen<br />

Sie unsere Entschuldi gung (...) an“, steht<br />

im Entschuldi gungs schrei bens.<br />

Die Vertreter der jüdischen Organisa -<br />

tionen in Prag begrüßten die Ent -<br />

scheidung des CLK-Vorstandes. Es<br />

handle sich um einen Ausdruck der<br />

Anständigkeit, umso mehr dass sich<br />

jene entschuldigten, die selbst nichts<br />

verschuldet hätten, meinte der Direk -<br />

tor des Jüdischen Museums in Prag,<br />

Leo Pavlat. Ähnlich äußerte sich die<br />

Chefin des Instituts der Terezin-Ini ti a -<br />

tive, Dagmar Libalova, deren Vater<br />

einer der verfolgten Ärzte war. Gleich -<br />

zeitig sagte sie, zu der Ent schul di gung<br />

hätte es viel früher kommen sol len. In<br />

Terezin (Theresienstadt) richteten die<br />

nation<strong>als</strong>ozialisten 1941 ein jüdisches<br />

Ghetto und ein Konzen tra ti onslager<br />

ein.<br />

*Als „Zweite Tschechoslowakische Republik“<br />

wird der Rest der früheren Tschechoslowakei<br />

nach der Unter zeich nung des Münchener Ver -<br />

trages am 30. September 1938 bezeichnet,<br />

auf grund dessen Prag die Grenz ge biete an<br />

Hitler-Deutschland, Polen und Ungarn abtreten<br />

musste. Am 15. März 1939 hörte die „Zweite<br />

Republik“ auf zu existieren, indem der tschechische<br />

Teil des Staates durch die deutsche<br />

Wehrmacht besetzt wurde und die Slowakei<br />

sich selbstständig machte.<br />

38 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

Die Liebe zu Israel steckt im Detail<br />

VON JOEL CHASNOFF,<br />

Übersetzung Inge Heitzinger<br />

Zu Ehren von Israels 62. Geburtstag werde ich<br />

ohne den erwarteten Kom mentar über die<br />

Kor ruption in der israelischen Regierung, das<br />

Bibi-Oba ma-Drama oder den Würgegriff, in<br />

dem das israelische Rabbinat Ehe und Schei -<br />

dung hält, auskommen. Stattdessen offeriere<br />

ich diesen Liebes brief an Israel: „10 winzig<br />

klei ne Details über Israel, die es zum wundervollsten<br />

Land auf dieser Erde machen“.<br />

10) Busfahrt Nr. 394 mit Egged*: Die mitternächtliche<br />

Fahrt von Tel Aviv nach Eilat. Die<br />

Reise beginnt in den grauen Stuckslums von<br />

Süd-Tel Aviv. Zwei Stunden später ziehst du<br />

durch die Wüste unter einem Baldachin aus<br />

Sternen. Du reißt das Fenster auf. Die Wüste<br />

riecht trocken und alt, wie ein Dach boden. In<br />

der Morgendäm me rung fährst du nach Eilat<br />

hi nein, wenn die Stadt soeben zum Leben<br />

erwacht.<br />

9) Die Art wie sich Israelis weigern, eine Straße<br />

bei Rot zu überqueren. Die Fahrer hupen, so -<br />

bald die Ampel grün wird. Aber die Fuß gän -<br />

ger weigern sich, die Straße zu überqueren,<br />

bis die Ampel auf grün schaltet. Ich habe die ses<br />

Phänomen um 3 Uhr morgens be o bachtet, die<br />

Straßen waren leer und kein Auto war in Sicht.<br />

8) Die jüdische Seele - auch in den säkularsten<br />

Israelis. Ich habe in der israelischen Armee in<br />

einem Kibbuz gedient, in dem die Kinder so a -<br />

re ligiös waren, dass sie nicht einmal Bar Mitz -<br />

wa feierten. Aber am Freitagabend wenn die<br />

Brigade gemeinsam den Schabbat-Kid dusch<br />

gesungen hat, habe ich dabei alle mei ne säkularen<br />

Kameraden die Lippen bewe gen se hen.<br />

7) Wasserspülungen in israelischen Toilet ten.<br />

Beinahe in allen israelischen Toiletten, so -<br />

wohl in öffentlichen wie auch in privaten, gibt<br />

es zwei Spültasten: eine für „leichte“ und eine<br />

für „schwere Fracht“. Das spart Israels wert -<br />

vollste natürliche Ressource: das Was ser.<br />

Und das ist genial.<br />

6) Umwerfend hinreißende israelische Sol -<br />

da ten. Die Männer sind attraktiv, die Frauen<br />

schön. Versuchen Sie nicht zu sabbern wenn<br />

Sie sie die Ben Jehuda-Straße hinunterstolzieren<br />

sehen in ihren olivgrünen Uniformen, die<br />

M-16 auf ihrem Rücken. Es ist weniger ihre phy -<br />

sische Schönheit, die uns so bezaubert, sondern<br />

das, was sie verkörpern: jüdische Kraft.<br />

5) Schuk Ha-Carmel am Freitagnachmittag. So<br />

viele Dinge in Israel machen mich verrückt.<br />

Die Bürokratie ist lähmend. Die staatlichen<br />

Beamten arbeiten dann, wann sie wollen, so<br />

lang (oder so kurz) sie wollen, üblicherweise<br />

von 8 Uhr früh bis mittags am Montag, Mitt -<br />

woch und Donnerstag. Jede Woche streikt eine<br />

andere Gruppe – Schullehrer, Müllmänner,<br />

Postangestellte, Telefonbedienstete, Kame ra -<br />

leute, Busfahrer, Ärzte, Krankenschwestern,<br />

Sanitäter, Gepäcksleute am Flughafen und der<br />

alte Mann, der in seinem blauen Overall in<br />

den Straßen von Tel Aviv mit einem langen<br />

Stock Müll aufspießt, – alle haben im letzten<br />

Jahr gestreikt – wodurch das Land nie mit<br />

voller Kraft arbeitet.<br />

Die Knesset, Israels 15-Parteien-Parlament,<br />

ist in einem Zustand ständigen Stillstandes<br />

ge fangen. Und dennoch, wenn ich auf den<br />

Carmel-Markt gehe und die Verkäufer ihre Wa -<br />

ren anpreisen höre, den Geruch von gebratenem<br />

Lamm, Ziege und Käse und menschlichem<br />

Schweiß rieche, und sehe, wie die Leute<br />

sich anstellen, um für den Schabbat Blumen<br />

zu kaufen, erinnere ich mich, warum ich Isra el<br />

so sehr liebe. Es ist das rege Treiben auf dem<br />

Platz, aber auch das typisch „Nahöstliche“ auf<br />

diesem: das Bellen, das Handeln, das Feil -<br />

schen, das einmal freundlich und dann wieder<br />

grob ist. Von Handwägen und Verkaufsstän -<br />

den aus verkaufen Männer mittleren Alters,<br />

mit Goldketten und Reibeisensstimmen, Man -<br />

gos, Limetten, ganze und Viertel von Hüh -<br />

nern, Lungen von Kühen, Zungen von Kü hen,<br />

Hoden von Stieren, Hirne von Scha fen, mehr<br />

<strong>als</strong> 50 Sorten Fisch, Taschen rech ner, ge fälsch te<br />

Nikes, Nelken, Schwämme, Mie der, Batte -<br />

rien und Damen- und Herrenunter wä sche.<br />

Freitagnachmittag, nur einige Stunden vor<br />

Son nenuntergang, die fliegenden Händler<br />

prei sen ihre Last Minute Schabbat-Angebote<br />

an: „Mandarinen, 1 Scheckel, 1 Scheckel!“ „Pita,<br />

Humus, Kichererbsen - kaufen Sie! Schabbat,<br />

Schabbat!“ Wann immer ich durch den Schuk<br />

spaziere, denke ich an all die amerikanischen<br />

Diplomaten, die Israel das Amerika des Na hen<br />

Ostens nennen. Wenn diese Diplomaten Is ra -<br />

el wirklich verstehen möchten, sollten sie ihre<br />

schicken Jerusalemer Hotels verlassen und<br />

ei nen Spaziergang durch den Carmel-Markt<br />

ma chen.<br />

4) Schokolademilch in einem Sack. Ein halber<br />

Liter Kibbuz Yotvateh-Schokolademilch in ein<br />

handtellergroßes Plastiksackerl eingeschweißt,<br />

das man mit den Zähnen aufreißt, und zu -<br />

sammendrückt, sodass die Milch in den<br />

Mund schießt, <strong>als</strong> ob man sie direkt vom<br />

Euter einer Schokoladenkuh trinken würde.<br />

Muss ich noch mehr sagen?<br />

3) Die unglaublich starke Bindung zwischen<br />

Israelis. Vielleicht ist es ja ein Relikt aus dem<br />

Schtetlleben in Europa, oder vielleicht hat es<br />

etwas mit Leben so nahe beim Feind zu tun.<br />

Was auch immer der Grund sein mag, Isra -<br />

elis agieren so, <strong>als</strong> ob jeder ihr Nachbar von<br />

nebenan wäre. Das erste Mal <strong>als</strong> ich diese<br />

einzigartige Bindung bemerkte, war ich soeben<br />

in Israel angekommen, um meinen Mili -<br />

tär dienst anzutreten, und fuhr in einem Miet -<br />

auto nach Tel Aviv, <strong>als</strong> ein Mann neben mir an<br />

der Ampel stehen blieb und hupte. „Hallo!“<br />

rief er. „Meine Freundin hat Durst. Hast du viel -<br />

leicht Wasser?“ Neben mir auf dem Sitz lag<br />

eine Flasche Wasser, aber bereits halb leer. Ich<br />

hob die Flasche. „Sie ist bereits angebrochen,“<br />

sagte ich. „Kein Problem“, antwortete er und<br />

streckte seine Hand danach aus.<br />

2) Jemanden zum Ben-Gurion Flughafen brin -<br />

gen. Du bleibst beim Eingang für Abflüge ste -<br />

hen, umarmst deine Lieben zum Abschied<br />

und schaust ihnen nach wie sie in den Ter mi -<br />

nal hineingehen. Dann atmest du die süße is -<br />

raelische Luft ein, schaust in den wolkenlosen<br />

Tel Aviver Himmel und denkst „Sie müssen<br />

weg fliegen … aber ich kann in Israel bleiben.“<br />

1)....................... Das überlasse ich Ihnen.<br />

Was lieben Sie an Israel am meisten? E-mailen<br />

Sie mir an: joel@joelchasnoff.com und ich wer de<br />

Ihre Antworten auf meiner blog-Seite meiner<br />

homepage veröffentlichen!<br />

Joel Chasnoff ist Bühnenkomödiant und Au tor von<br />

„The 188th Crybaby Brigade: A Skinny Kid From Chi -<br />

cago Fights Hezbolla,“ über das Jahr <strong>als</strong> Soldat in<br />

der israelischen Armee. Schauen Sie sich Fotos sei -<br />

nes Militär dien stes an und treffen Sie die Cha rak te re<br />

aus Joels Buch auf: www.joelchasnoff.com<br />

Ein smarter Gewinner<br />

Beim weltweiten Kreativwett be werb „Style your Smart“<br />

für die Außen ge staltung des „Smart Fort wo“ entstanden<br />

mehr <strong>als</strong> 50.000 Designentwürfe von über 8.000<br />

Men schen aus mehr <strong>als</strong> 100 Län dern. Gewinner wurde<br />

Tamir Shefer aus Jaffa in Israel – er er hielt ein Preisgeld<br />

in Höhe von 1.500 Euro.<br />

Auf Basis der Online-Bewertungen, die die Besucher<br />

der Seite abgeben konnten, hatte eine fünfköpfige Ex -<br />

pertenjury die vier besten Entwürfe ausgewählt.<br />

Designentwurf des Siegers<br />

©Auto-Medienportal.Net/Daimler<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 39


JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

Panorama<br />

Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />

Quelle: JTA/inn u.a.; Übersetzung: Karin Fasching-Kuales/Foto:©JTA u.a.<br />

30 millionen euro für<br />

erdbebensicherung von gebäuden<br />

Israels Kabinett gibt für die Erdbe ben -<br />

sicherung von Schulen und Kran ken -<br />

häu sern 30 Mio. Euro aus. Alle Ge -<br />

bäude, die in Israel nach 1980 errichtet<br />

wurden, sind nach erdbebensicheren<br />

Vorschriften gebaut, doch die davor<br />

gebauten Häuser müssen nachgebessert<br />

werden. In Israel wird alle 100<br />

Jah re mit einem mittleren und alle 400<br />

Jahre mit einem schweren Erdbeben<br />

ge rechnet. Das letzte mittlere Erdbe -<br />

ben war 1927 und forderte 192 Tote.<br />

gatorade wird koscher<br />

Die für ihre Sportgetränke bekannte<br />

Firma Gatorade erhält für zwei ihrer<br />

Getränkekreationen ein Koscherzer ti -<br />

fi kat. Der „Gatorade Thirst Quen cher“<br />

und das Produkt „G2“ wurden von<br />

der Orthodoxen Union <strong>als</strong> koscher<br />

be funden. Dadurch können nun auch<br />

die Bedürfnisse von Sportlern erfüllt<br />

werden, die Wert auf einen koscheren<br />

Speiseplan legen, so eine Sprecherin<br />

von Gatorade.<br />

ungarn: Protestmarsch gegen<br />

Antisemitismus<br />

Mehr <strong>als</strong> 1.000 Juden demonstrierten<br />

im Februar bei einem Protestmarsch<br />

durch das ehemalige Budapester Ghet -<br />

to gegen eine Serie antisemitischer<br />

Zwischenfälle, die im Vorfeld der un -<br />

ga rischen Wahlen stattgefunden hatten.<br />

Obwohl die Protestanten von der<br />

Polizei aufgefordert worden waren,<br />

sich möglichst unauffällig zu verhalten,<br />

setzten sie ein deutliches Zei chen,<br />

indem sie mit Kippoth auf dem Kopf<br />

nahe der Großen Synagoge in der<br />

Dohány Straße marschierten.<br />

Die Polizei hatte sich eingeschaltet,<br />

nachdem die Fenster von Rabbi Shmu el<br />

Raskin während des Pessach-Seders<br />

mit Steinen zertrümmert worden wa -<br />

ren. Außerdem gab es antisemitische<br />

Graffitischmierereien, das Holocaust -<br />

mahnmal in der westungarischen Stadt<br />

Zalaegerszeg wurde beschädigt und<br />

ein neonazi-Marsch fand in der im Os -<br />

ten liegenden Stadt Tiszaeszlár statt,<br />

wo 1882/83 blutige Pogrome stattgefunden<br />

hatten.<br />

Israelisches Konsulat würdigt<br />

homosexuelle Kultur<br />

Das israelische Konsulat von San<br />

Francisco fungiert <strong>als</strong> Co-Sponsor ei -<br />

ner Veranstaltungsreihe zu homosexueller<br />

Kultur. Dies sei das erste Mal,<br />

dass eine andere nation ein Event der<br />

lesbischen/schwulen/bisexuellen/<br />

trans gender-Gemeinde in den USA<br />

un terstützt, erklärte ein Sprecher des<br />

Konsulats dem ‘San Francisco Chro -<br />

nicle’.<br />

Bis Ende <strong>April</strong> kann man im Zuge der<br />

Veranstaltungsreihe israelische Filme,<br />

Konzerte, Tanzaufführungen, Po di -<br />

ums diskussionen und Lesungen mit<br />

Schwerpunkt Homosexualität und<br />

Transgender besuchen. Zu den High -<br />

lights zählen der 2002 gedrehte Film<br />

„Yossi and Jagger“ über die Liebe<br />

zwischen zwei IDF-Soldaten und Le -<br />

sun gen des israelischen Schriftstellers<br />

Yossi Avni-Levy.<br />

werbung für dritten tempel<br />

entfernt<br />

Eine – auf 200 Bussen affichierte - is ra -<br />

elische Werbekampagne der Par tei<br />

„Un ser Land Israel“ zur Errichtung<br />

eines Dritten Tempels musste nach<br />

Pro testen und Drohungen entfernt<br />

werden. Die Plakate waren kurz vor<br />

Pessach angebracht worden und zeigen<br />

die künstlerische Interpretation<br />

eines Dritten Tempels an jenem Platz,<br />

den jetzt die Al Aksa Moschee einnimmt,<br />

dazu der Slogan „Möge der<br />

Tem pel noch zu unseren Lebzeiten errichtet<br />

werden“.<br />

Das ultra-rechte „Unser Land Israel“<br />

war 2008 von Baruch Marzel und Rab -<br />

bi Shalom Wolpe gegründet worden.<br />

Israelische reisezeit hat begonnen<br />

Etwa 48.000 Passagiere auf ca. 300 Flü -<br />

gen haben den israelischen Ben Gu ri -<br />

on Flughafen am 8. <strong>April</strong> passiert.<br />

Wäh rend der Pessach-Woche landeten<br />

und flogen 555.000 Reisende ab, etwa<br />

3.500 Flüge wurden am Terminal 3 ab -<br />

gefertigt. Hauptreiseziele der Israelis:<br />

USA, Frankreich, Italien, Deutsch land,<br />

Türkei.<br />

Außerdem kamen geschätzte 60.000<br />

Tou risten, hauptsächlich israelische<br />

Araber, über die Taba-Kreuzung auf<br />

die Sinaihalbinsel.<br />

erster „grüner“ jüdischer friedhof<br />

in Kalifornien<br />

Auf dem Gelände des Forever Fern -<br />

wood natural Burial Ground in Mill<br />

Valley, Kalifornien, wurde nun ein jü -<br />

discher Teil namens „Gan Yarok“<br />

eröffnet. Bei Begräbnissen auf dem na -<br />

turfriedhof werden die Verstorbenen<br />

ohne nutzung von B<strong>als</strong>amierungs -<br />

che mikalien in einfachen naturholzoder<br />

Korbsärgen oder lediglich in ein<br />

Leichentuch gehüllt bestattet. Die Grä -<br />

ber werden mit natursteinen ge kenn -<br />

zeichnet.<br />

Jüdische schule in Bulgarien<br />

beschmiert<br />

Vandalen haben die Jüdische Dimcho<br />

Debeljanov Schule im bulgarischen So -<br />

fia eine Woche vor Pessach mit einem<br />

Davidstern, der mit dem Hakenkreuz<br />

gleichgesetzt wurde, und den Worten<br />

„Stoppt die Okkupation“ beschmiert. In<br />

Bulgarien leben etwa 5.000 Juden.<br />

Shalom, die Repräsentation der jüdischen<br />

Gemeinde von Bulgarien, reagierte<br />

darauf in einem Statement mit<br />

den Worten: „In einer Zeit, in der alle<br />

Menschen, egal welcher Herkunft oder<br />

Re ligion, ihre Herzen für das Gute öffnen<br />

sollten, haben diese Vandalen Hass gesät;<br />

Hass, der an Terrorismus grenzt. Wir ru -<br />

fen Bürger und Zivilgesellschaft auf, auf<br />

solche Vorfälle eindeutig zu reagieren und<br />

nie zu vergessen, dass derjenige, der heute<br />

Hass sät, morgen Sturm ernten wird.“<br />

umfrage: großteil der Israelis<br />

aßen kein chametz<br />

Laut einer Umfrage von Ynet/Gesher<br />

haben ca. 69% der Israelis während<br />

der diesjährigen Pessach-Feiertage<br />

kein Chametz gegessen. 19% gaben<br />

an, Chametz lediglich zu Hause essen<br />

zu wollen. Von den säkularen Befrag -<br />

ten hielten sich ganze 49% an das<br />

Chametz-Verbot. 63% aller Befragten<br />

hielten einen traditionellen Seder ab<br />

und lasen die gesamte Haggadah; wei -<br />

tere 23% lasen die Haggadah bis zum<br />

40 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

Mittagessen; 4% lasen nicht in der<br />

Hag gadah. Die Umfrage umfasste 300<br />

jüdische Erwachsene aus ganz Israel.<br />

Kosher-le-Pessach gin aus<br />

san francisco<br />

Die Destillerie no. 209 in San Fran -<br />

cisco produziert den nach Eigende fi -<br />

ni tion ersten Kosher-le-Pessach Gin.<br />

Auch ein neuer koscherer Boutique-<br />

Wein aus napa wird von Destillerie-<br />

Besitzer Leslie Rudd angeboten.<br />

Gin ist während Pessach üblicherwei -<br />

se problematisch, da er auf Getreide<br />

basiert, dessen Kon sum während der<br />

Feiertage verboten ist. Die Pessach-<br />

Version von no. 209 verwendet deshalb<br />

Alkohol aus südafrikanischem<br />

Zuckerrohr. Auch Kardamom darf<br />

nicht beinhaltet sein und musste<br />

ersetzt werden.<br />

tefillin-schulung für<br />

sicherheitsbeamte<br />

US-Sicherheitsleute werden nun über<br />

Hintergrund und Verwendung von<br />

religiösen Hilfsmitteln wie Tefillin in -<br />

formiert. Rabbi Abba Cohen hatte diese<br />

neuerung angeregt, um Missver -<br />

ständ nisse in Flugzeugen zu vermeiden.<br />

Mehrere orthodoxe jüdische<br />

Reisende hatten im Vorfeld Schwie -<br />

rigkeiten mit der Flughafensicherheit<br />

gehabt, da diese deren Tefillin nicht<br />

erkannt hatten. Im Januar war sogar<br />

ein US Airways Flug von new York<br />

nach Louisville nach Philadelphia um -<br />

geleitet worden, da man die Tefillin<br />

eines 17jährigen Passagiers für eine<br />

Bombe gehalten hatte.<br />

ehrung für ehemaligen technion-<br />

Präsidenten<br />

Yitzhak Apeloig, frührer Präsident des<br />

Technions (2001-2009), wurde <strong>als</strong> ers -<br />

ter israelischer Wissenschafter mit dem<br />

hochrangigen Frederic Stanley Kipping<br />

Preis für seine Arbeit an Silizium ausgezeichnet.<br />

Er hatte <strong>als</strong> erster jene<br />

komplexen Berechnungen entwickelt,<br />

die für die Herstellung von zuvor un -<br />

möglichen Siliziumverbindungen be -<br />

nötigt werden. Diese werden zur Pro -<br />

duktion neuer Polymer-Materialen<br />

verwendet.<br />

tägliche email zu den geboten<br />

Über die Website der Orthodoxen<br />

Union - www.ou.org/taryag - kann man<br />

ab Ende Mai (nach Schawuoth) tägliche<br />

Emails mit Erklärungen der 613<br />

Ge bote (Taryag) für jüdische Gläu -<br />

bige beziehen. Bereits jetzt bietet die<br />

OU tägliche Online-Lektionen in nach<br />

Yomi, den biblischen Büchern der<br />

Propheten, und Shnayim Mikra, ein<br />

Online-Torahstudienprogramm.<br />

Israelische weine top in madrid<br />

Sieben israelische Weine wurden im<br />

März beim Internationalen Bacchus<br />

Wein Wettbewerb im spanischen Ma -<br />

drid ausgezeichnet. Mehr <strong>als</strong> 80<br />

Wein verkostungsexperten aus aller<br />

Welt kamen dort zusammen, um die<br />

besten Weine routinierten Staaten wie<br />

Australien, Chile, Frankreich oder<br />

Deutschland zu prämieren. Aber auch<br />

aufstrebende Weinproduzenten aus<br />

Kanada und Brasilien waren dabei.<br />

Vier Mal Gold und drei Mal Silber<br />

konnten die israelischen Weine nach<br />

Hause holen und so dem Israelischen<br />

Wein zu noch mehr Bekanntheit verhelfen.<br />

Neuer Bunker in tel Aviv fasst<br />

1.600 Personen<br />

Ein neuer öffentlicher Bombenschutz -<br />

raum ist in Tel Aviv eröffnet worden.<br />

Darin können notfalls 1.600 Men schen<br />

Zuflucht finden. Die Stadtver waltung<br />

hat den Bunker unter dem neuen Ha -<br />

bima-Theater errichten lassen. Er hat<br />

vier Stockwerke und eine Gesamt flä -<br />

che von 3.740 Quadrat me tern. Fünf<br />

Türen führen zu den fünf Treppen -<br />

schäch ten.<br />

neben dem Schutzraum soll eine un -<br />

terirdische Garage weitere 35.000<br />

Quadratmeter Platz bieten. Sie wird<br />

nicht gegen Bomben gesichert, wird<br />

aber im Ernstfall doch mehr Schutz ge -<br />

währen <strong>als</strong> ein Aufenthalt im Frei en.<br />

Alles Koscher oder was?<br />

Müller-Milch wird mit niedrig fettem<br />

Quark den israelischen Markt bereichern.<br />

Der Weißkäse mit 5% und 9%<br />

Fettgehalt soll von der Großmolkerei<br />

Tara produziert werden. Der Müller-<br />

Quark soll laut Jerusalem Post höhere<br />

Konzentrationen Kalzium, Vitamin D,<br />

und weniger Sodium enthalten. Der<br />

Gesamtumsatz des israelischen Kä se -<br />

markts wird auf etwa 100 Mio. Euro<br />

geschätzt und von den Firmen Tnu va,<br />

Strauss und Tara beherrscht. (YnET)<br />

Immer wieder Israel<br />

Für die inadäquate Überbeschäftigung<br />

der Welt mit Israel hat der Bri -<br />

tische Autor Jonathan Bash eine Diag -<br />

nose: „Compulsive Obsessive Israel<br />

Disorder“ (eine zwanghafte Störung ).<br />

Auf seiner Website macht er diese<br />

These deutlich. www.freemiddleeast.<br />

com/blog/free_middle_east/overtly-skewedmedia-coverage/123<br />

Bibel-zoo ist hauptattraktion<br />

Der Bibel-Zoo in Jerusalem war 2009<br />

die beliebteste Touristenattraktion in<br />

Israel. 738.304 Personen besuchten<br />

dieses Ausflugsziel; das waren 7,4%<br />

mehr <strong>als</strong> im Vorjahr, so die Angaben<br />

der Wirtschaftsauskunftei Dun &<br />

Brad street hervor. In dem 25 Hektar<br />

großen Zoo kann man über 170 Tier -<br />

arten bestaunen. Die meisten werden<br />

im Alten Testament erwähnt. Zu<br />

sehen sind aber auch Tiere, die vom<br />

Aussterben bedroht sind. Zweit be -<br />

liebtestes Ausflugsziel in Israel war<br />

2009 der Safaripark in Ramat Gan bei<br />

Tel Aviv (685.530 Besucher). Auf Platz<br />

drei rangiert die Felsenfestung Mas -<br />

sa da am Toten Meer (603.271).<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 41


KULTUR • LITERATUR<br />

KULTUR<br />

„Für die, die lauschen wollen“<br />

Vor 40 Jahren starb die jüdische Dichte rin<br />

Nelly Sachs. Eine Wanderausstellung und<br />

eine Biografie erinnern an sie.<br />

VON ANITA POLLAK<br />

Sie wollte hinter ihrem Werk verschwinden.<br />

(Ich) will, dass man mich<br />

gänzlich ausschaltet – nur eine Stim me,<br />

ein Seufzer für die, die lauschen wollen.<br />

40 Jahre nach ihrem Tod scheint sich<br />

nelly Sachs Wunsch erfüllt und<br />

gleichzeitig verkehrt zu haben. nicht<br />

nur sie, die kleine, zarte Gestalt, die<br />

im Alter immer winziger und leichter<br />

wurde, scheint <strong>als</strong> literarische Figur<br />

fast verschwunden, auch ihr Werke,<br />

ih re todesnahen Gedichte, ihre kryptischen<br />

Versdramen, werden kaum<br />

noch wahrgenommen. nur wenige<br />

wollen ihrer dunklen Stimme heute<br />

noch lauschen.<br />

Den namen kennt man, ja, und dass<br />

sie den nobelpreis bekommen hat,<br />

das weiß man noch. Als erste Dichte -<br />

rin deutscher Sprache mit diesem<br />

Preis ausgezeichnet, hat sie ihn dennoch<br />

nicht <strong>als</strong> Deutsche erhalten, vielmehr<br />

<strong>als</strong> Jüdin und gemeinsam mit<br />

Samuel Agnon, für ihre vom jüdischen<br />

Schicksal geprägte, gezeichnete Dich -<br />

tung.<br />

Und einige Jahre davor war sie <strong>als</strong><br />

ers te Frau mit dem „Friedenspreis<br />

des Deutschen Buchhandels“ geehrt<br />

worden ist. Eine ruhmreiche Vergan -<br />

genheit <strong>als</strong>o.<br />

nelly Sachs in die Gegenwart zu ho -<br />

len und in ihre einstige Heimat, das<br />

versucht jetzt eine Ausstellung im<br />

Jüdischen Museum in Berlin, wo Leo -<br />

nie „nelly“ Sachs 1891 am 10. De zem -<br />

ber, dem Geburtstag Alfred nobels,<br />

geboren wurde. Das versucht die<br />

begleitende Bildbiografie des Aus stel -<br />

lungsgestalters Aris Fioretos, der auch<br />

für die neue vierbändige kommentierte<br />

Werkausgabe bei Suhrkamp <strong>als</strong><br />

Hauptherausgeber zuständig ist.<br />

Flucht und Verwandlung nannte Sachs<br />

1959 eine ihrer Gedichtsammlungen.<br />

„Flucht und Verwandlung“ ist nun<br />

der Titel von Ausstellung und Buch.<br />

Ihre Flucht aus nazideutschland im<br />

Mai 1940 nach Schweden rettete nicht<br />

nur ihr Leben und das ihrer Mutter,<br />

es hatte auch ihre Verwandlung zur<br />

Dichterin zur Folge. Die fast 50 Le bens -<br />

jahre davor waren literarisch eher un -<br />

bedeutend, <strong>als</strong> puppenstubenhaft be -<br />

zeichnete sie rückblickend ihr frühen<br />

Gedichte, die sie später auch gar nicht<br />

veröffentlicht sehen wollte. Erst im<br />

Exil und nachdem sie dort von der<br />

Schoah erfahren hatte, entstand das<br />

Werk, für das sie dann Weltruhm er -<br />

langte.<br />

Überbehütet aufgewachsen <strong>als</strong> einzige<br />

Tochter eines assimilierten Fabrikan -<br />

ten, der u.a. mit der Erfindung eines<br />

Muskelstärkungsapparats, später Ex -<br />

pan der genannt, Wohlstand er langte,<br />

abgeschirmt hinter den Mauern eines<br />

Paradiesgärtleins mit Rehen mitten in<br />

Berlin, traf sie <strong>als</strong> 17-jährige ein Schlag,<br />

von dem sie sich nie mehr erholen<br />

sollte. Sie verliebte sich unglücklich<br />

und wurde verlassen. Bis zu ihrem Le -<br />

bensende verriet sie nie die Identität<br />

dieses großen Anonymen, den sie viel<br />

später, <strong>als</strong> sie offenbar von seinem<br />

Ab leben erfuhr oder es vielleicht gar<br />

miterlebte, in Gedichten ihren toten<br />

Bräutigam nannte. Ein Zusammen -<br />

bruch, der erste von vielen, ein Kli -<br />

nikaufenthalt, der erste von vielen,<br />

folgten auf diese Liebeskatastrophe.<br />

Auf Anraten ihres Arztes fuhr sie<br />

quasi therapeutisch fort mit ihren vor -<br />

erst noch schüchternen Versuchen,<br />

Lyrik zu schreiben. Schreiben <strong>als</strong><br />

Über lebens-Mittel – auch das blieb<br />

eines ihrer Leitmotive.<br />

Ihr erstes Buch schickte sie ihrem<br />

Kind heitsidol, der schwedischen<br />

Schrift stellerin Selma Lagerlöf, die<br />

sich viele Jahre später persönlich da -<br />

für einsetzen sollte, dass nelly und<br />

ihre Mutter 1940 im letzten Moment<br />

mit einem einzigen Koffer nach Schwe -<br />

den fliehen konnten. Davor waren die<br />

beiden schon aus ihrem großbürgerlichen<br />

Heim vertrieben, dessen wertvolle<br />

Einrichtung zwangsverkauft<br />

bzw. gestohlen worden. Sterben, ohne<br />

gemordet zu werden, das war ihr<br />

Wunsch gewesen vor ihrer fast märchenhaften<br />

Rettung.<br />

In Stockholm verhalf ihr die jüdische<br />

Gemeinde zu einer winzigen Woh -<br />

nung. Bald lernte sie Schwedisch und<br />

verdiente mit Übersetzungen ihren Le -<br />

bensunterhalt. nachts, im Dunkeln,<br />

um die Mutter nicht zu stören, schrieb<br />

sie. nach dem Tod des Vaters war die<br />

viel geliebte Mutter zu ihrem Kind und<br />

zu ihrem einzigen Lebensmenschen<br />

geworden. Als sie 1950 starb, stürzte<br />

nelly in die zweite existentielle<br />

Krise.<br />

Die nachrichten aus Deutschland,<br />

während des Krieges und danach,<br />

vom Tod vieler Verwandter und des<br />

einzig Geliebten, der möglicherweise<br />

ein Widerstandskämpfer gewesen war,<br />

erschütterten sie zutiefst. Der trostlose<br />

Schmerz über das Leiden Israels er -<br />

reichte sie in der relativen Sicherheit<br />

ihrer „Kajüte“, wie sie ihre winzige<br />

Schreibinsel mit Ausblick aufs Wasser<br />

nannte. (Der nachbau dieser vier Qua -<br />

dratmeter Küchenecke mit Schreib ma -<br />

schine bildet übrigens das Herz stück<br />

der Berliner Ausstellung).<br />

„Am Anfang war die Shoa“, schreibt ihr<br />

Biograf Aris Fioretos. Ihr war, <strong>als</strong><br />

würden die Verse, die Worte, durch<br />

den Schmerz aus ihr herausdrängen,<br />

<strong>als</strong> sei sie nicht Dichterin, sondern<br />

Sprachrohr für ihre Texte, so hat sie es<br />

selbst empfunden.<br />

Bereits Titel, Untertitel und Wid mun -<br />

gen deuten auf die „Durchschmer zung“<br />

ihrer Poesie.<br />

Eli. Ein Mysterienspiel vom Leiden Is ra -<br />

els, ihr bekanntestes Drama, spielt in<br />

der Zeit Nach dem Martyrium. In den<br />

Wohnungen des Todes, eine Ge dicht -<br />

samm lung, ist Meinen toten Brü dern<br />

und Schwestern gewidmet. Grab schrif -<br />

ten in die Luft geschrieben ist ei nes seiner<br />

Titel. (wir schaufeln ein Grab in den<br />

Lüften/da liegt man nicht eng heißt es<br />

bildgleich in Celans „Todesfuge“).<br />

Rund ein halbes Jahrhundert nach ih -<br />

rer Entstehung sind diese Werke nur<br />

noch schwer einschätzbar, ihr Pathos<br />

nur noch schwer erträglich. Längst<br />

sind ihre Metaphern und Bilder - wie<br />

etwa Rauch und Schornsteine – abgenützte<br />

Versatzstücke der Holocaustli -<br />

te ratur. Sie hat sie aber dam<strong>als</strong> für<br />

sich erfunden oder gefunden. Und so<br />

kann oder muss man ihr Schaffen<br />

heute historisch betrachten und einordnen<br />

in die nachkriegs-Litera tur -<br />

geschichte. In die sie sich selbst auch<br />

einordnete durch ihre Freund schaf ten<br />

z.B. zu Paul Celan, den sie „ihren Bru -<br />

der“ nannte Zu ihrem 70. Ge burts tag<br />

42 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


erschien eine Festschrift mit Texten<br />

unter anderen von Alfred An dersch,<br />

Ingeborg Bachmann, Celan und Hans<br />

Magnus Enzensberger, der ein ganz<br />

enger Freund und ihr Lektor bei<br />

Suhrkamp wurde.<br />

Die Freunde, das war ihr Familien er -<br />

satz, und sie hatte offenbar die Fähig -<br />

keit, Freunde zu gewinnen, die auch<br />

für sie sorgten in den vielen Krisen,<br />

die immer wieder über sie hereinbrachen.<br />

Eine Paranoia mit quälenden<br />

Wahn vorstellungen machte ihr zeitweise<br />

den Aufenthalt in ihrer Woh -<br />

nung unmöglich. Sie fühlte sich von<br />

neonazis verfolgt und bedroht.<br />

Eine Stockholmer Klinik wurde ihr<br />

Zu fluchtsort, den sie immer wieder<br />

aufsuchte. Dort entstanden die meisten<br />

ihrer späten Werke.<br />

Deutschland besuchte sie erst ein Vier -<br />

teljahrhundert nach ihrer Flucht wieder,<br />

um Preise zu empfangen, Ehrun -<br />

gen entgegenzunehmen. Da war sie<br />

schon schwedische Staatsbürgerin,<br />

<strong>als</strong> Dichterin aber fühlte sie sich ohne<br />

Vaterland. An Stelle von Heimat/hal te ich<br />

die Verwandlungen von Welt.<br />

Pünktlich zum 75. Geburtstag schließ -<br />

lich der Höhepunkt ihres Lebens: der<br />

nobelpreis für Literatur 1966 ge mein -<br />

sam mit dem israelischen Schriftstel ler<br />

Agnon. Gerade rechtzeitig, um diese<br />

Freude nach so vielen Leiden und Dun -<br />

kelheit noch genießen zu können. Ein<br />

Herzinfarkt bald darauf und andere<br />

Krankheiten überschatteten die letzten<br />

Jahre. Als sie schon im Sterben lag,<br />

erfuhr sie noch vom Selbstmord ihres<br />

Freundes Celan. Am Tag seiner Beer -<br />

digung, am 12. Mai 1970, starb nelly<br />

Sachs.<br />

Heute erscheinen ihre mädchenhaftempfindsame<br />

Künstlerpersönlichkeit<br />

wie ihre „durchschmerzte“ Poesie<br />

nicht aus dieser, ihrer Zeit, auf uns<br />

gekommen, sondern fast wie von ei -<br />

nem anderen Stern. Sie herabzuholen,<br />

wird nicht leicht sein.<br />

Die Ausstellung „Flucht und Verwand -<br />

lung“. Nelly Sachs, Schriftstellerin, Berlin/<br />

Stockholm ist noch bis 27. Juni im Jüdi -<br />

schen Museum Berlin zu sehen. Im Sep -<br />

tem ber wandert sie ins Jüdische The ater<br />

Stockholm und anschließend nach Zü rich<br />

und Dortmund. Infos: www.nellysachs.com<br />

Die gleichnamige Bildbiografie zur Aus -<br />

stellung von Aris Fioretos mit einer Viel -<br />

zahl bisher unbekannter Bilder und Do -<br />

kumente ist bei Suhrkamp erschienen.<br />

KULTUR • LITERATUR<br />

„NENI“ - ODER<br />

ALLES ISST MÖGLICH<br />

Haya Molchos Kochbuch<br />

VO ANITA POLLAK<br />

In <strong>Wien</strong> braucht man sie nicht vorzustellen.<br />

Haya Molcho gehört hier seit<br />

einiger Zeit zur „Szene“, ihr Ehe -<br />

mann Samy Molcho <strong>als</strong> Künstler freilich<br />

schon seit Jahrzehnten. Erst im<br />

Vorjahr startete Haya am naschmarkt<br />

ihr neues Lokal und schon diese Sai son<br />

wird ein zweistöckiges Restau rant im<br />

Bauhaus-Stil die Marke „nE nI“ am<br />

Tel Aviv Beach wetterfest verankern.<br />

Ein entsprechendes Eröffnungsfest<br />

am Donaukanal soll für die nötige<br />

Aufmerksamkeit sorgen.<br />

„nEnI“ ist übrigens ein name, den<br />

die stolze Mutter aus den Initialen<br />

ihrer vier Söhne zusammengesetzt<br />

hat. Zwei davon arbeiten gastronomisch<br />

mit ihr, die beiden anderen ha -<br />

ben wohl eher die künstlerische Ader<br />

des Vaters geerbt. Obwohl man auch<br />

Haya eine künstlerisch-kreative Ader<br />

in ihrem Bereich, der Küche, sicher<br />

nicht absprechen kann. Gäste wissen<br />

das längst und jetzt hat man es auch in<br />

Buchform dokumentiert. Zum nach -<br />

lesen, nachkochen, nachschau en.<br />

Für die erste Überraschung sorgt der<br />

Band schon rein äußerlich. Man liest<br />

ihn wie ein hebräisches Buch, für hiesige<br />

Gewohnheit <strong>als</strong>o verkehrt he rum.<br />

Und anders herum, das ist quasi schon<br />

eine Art Leitmotiv. Anders <strong>als</strong> herkömmliche<br />

Kochbücher ist dieses nicht<br />

etwa nach Gängen, <strong>als</strong>o nach Vor spei -<br />

sen, Hauptspeisen und Des serts oder<br />

sonstigen logischen Kate go rien angeordnet,<br />

sondern unkonventionell biographisch.<br />

Es beginnt mit der Lokaleröffnung<br />

und damit dem klassischen Reper toi re<br />

der orientalisch-israelischen Kü che,<br />

blendet dann in die Küche der Kind -<br />

heit, die Haya zuerst in Israel und<br />

dann in Deutschland verbracht hat,<br />

reist dann mit Samy durch die Welt,<br />

bzw. die Kochtöpfe der Welt, und<br />

kehrt wieder zurück an den heimischen<br />

Herd, zum Familienleben mit<br />

den Söhnen und den traditionellen<br />

jüdischen Festen.<br />

Kulinarisch ergibt sich so eine „Fusi-<br />

on“- Küche von vielem - etlichen Va -<br />

ria tionen von Hummus, Melanzani,<br />

diversen Gemüseeintöpfen (Samy ist<br />

Vegetarier), verschiedenen Bollitos<br />

und orientalischen Fleischgerichten,<br />

mit Ausflügen nach new York zu<br />

Brow nies und Cheese-Cake, bis hin<br />

zu jüdischen Klassikern wie Lekach<br />

und Matze-Knödel. Ja, und dann gibt<br />

es noch die vielen Abwandlungen tra -<br />

ditioneller Gerichte und Eigen kre -<br />

ationen der Selfmade-Köchin und ih -<br />

res multikulturellen Teams, die Mut<br />

zum Experiment beweisen.<br />

„Wichtig ist mir, dass die Speisen die kulturelle<br />

Mischung von allen, die hier ar -<br />

beiten widerspiegeln“, und das sind zu<br />

ihren eigenen israelischen Wurzeln,<br />

Einflüsse der Köche aus Afrika, der<br />

Tür kei, der Karibik und Österreich.<br />

Er zählt sie der Journalistin Michaela<br />

Ernst, die Hayas Mischung leicht verdaulich<br />

und kulinarisch in jeder Hin -<br />

sicht in Buchform serviert hat. Dass<br />

die beiden Frauen einander mögen<br />

und miteinander können, merkt man<br />

dem appetitlichen Ergebnis an. Man<br />

sollte es nicht auf nüchternen Magen<br />

konsumieren. Sonst fällt man vielleicht<br />

gleich am naschmarkt ein und nimmt<br />

erst gar nicht erst den Umweg über<br />

den eigenen Herd. Was schade wäre,<br />

denn die meisten Rezepte scheinen<br />

durchaus machbar, für Anfänger und<br />

Fortgeschrittene.<br />

Der Begriff „Koscher“ kommt hier<br />

aus gutem Grund nicht zur An wendung,<br />

was ganz okay ist. Warum al -<br />

ler dings eine Spezialität der Molchos,<br />

das so genannte „Ruben-Sandwich,<br />

zur Pastrami noch Käse benötigt, ist<br />

irgendwie nicht einzusehen. Das zi -<br />

tierte Original, das köstliche new<br />

Yor ker Pastrami-Sandwich, kommt<br />

jedenfalls ganz ohne diese Gefällig keit<br />

aus. Doch Kreativität kennt of fenbar<br />

keine Grenzen. Und Kreativi tät ist<br />

eben „nEnI“s Küchenge heim nis.<br />

Haya Molcho<br />

„Lust auf fremde<br />

Küche“.<br />

NENI-Kochbuch<br />

Text: Michaela Ernst/<br />

Bild: Peter M. Mayr<br />

Amalthea-Verlag<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 43


JUDENTUM<br />

Das Königliche Haus der Ruschin<br />

von Sagadora kehrt nach <strong>Wien</strong> zurück<br />

Der verehrte Sagadoraer Rebbe schlita<br />

wird in Kürze <strong>Wien</strong>, seiner Geburtsstadt,<br />

einen historischen Besuch abstatten.<br />

In Begleitung von Mitgliedern des<br />

Präsidiums der Vereinten Institutionen<br />

der Ruschin Sadagora, einem bedeutenden<br />

Netzwerk von Tora-, Bildungs- und<br />

Wohltätigkeits-Organisationen in Erez<br />

Israel wird der Rabbiner den Schabbes<br />

in <strong>Wien</strong>, der Wiege seiner Kindheit, wo<br />

er mit lokalen Rabbinern, die jüdische<br />

Gemeinde besuchen und bei den Kivrej<br />

Zadikkim beten wird, verbringen.<br />

Der Sadagoraer Rebbe schlita, ein<br />

Ältester des Rates der Tora-Weisen,<br />

ein Ältester der Admorim des Kö -<br />

niglichen Hauses der Ruschin und eine<br />

der bekanntesten rabbinischen Per -<br />

sönlichkeiten in Erez Israel, kommt in<br />

Kürze zu einem Besuch nach <strong>Wien</strong>,<br />

seinem Geburtsort und der Stadt, in<br />

der sein frommer Vater, der Knesses<br />

Mordechai, danach trachtete, die Agu -<br />

dath Jisrael zu etablieren, unermüdlich<br />

<strong>als</strong> Präsident der Jeschiwa Cha mei<br />

Lublin in Österreich arbeitete, und<br />

sich selbstlos der berühmten „Keren<br />

HaTorah“ widmete. Hier, von der<br />

österreichischen Hauptstadt <strong>Wien</strong><br />

aus strahlte sein Licht der Tora über<br />

die jüdische Welt.<br />

Die Ruschiner Dynastie wurde vom<br />

großen Maggid von Mesritsch, dem<br />

Schüler und nachfolger des heiligen<br />

Baal Schem Tov, s.A., dem Vater der<br />

chassidischen Bewegung, gegründet.<br />

Sein Urenkel war der angesehene Is -<br />

ra el der Ruschiner, über Generatio nen<br />

hinweg <strong>als</strong> „Der Heilige Ruschiner“<br />

bekannt und vom russischen Zaren<br />

verfolgt, bis er in Österreich Zuflucht<br />

fand, und seinen Hof in der Stadt<br />

Sadagora gründete. Dorthin strömten<br />

alle führenden Persönlichkeiten seiner<br />

Zeit aus Polen, Litauen, Russland und<br />

den aschkenasischen Kehillot. nach<br />

seinem Tod folgten die Söhne seinem<br />

Beispiel und gründeten ihre eigenen<br />

chassidischen Höfe in ganz Osteuro -<br />

pa. Vor dem Beginn des Ersten Welt -<br />

krieges flohen die meisten Zaddikim<br />

des Hauses Ruschin nach <strong>Wien</strong>, das<br />

von den Schlachtfeldern weit entfernt<br />

lag und, wo sie für den Klal Jisroel<br />

unermüdlich arbeiteten. Hier waren<br />

sie zusammen für die Absicherung der<br />

Einheit der <strong>Wien</strong>er Gemeinde tätig<br />

und wehrten sich gegen die Aktivis ten,<br />

die eine ge trennte charedische Ge mein -<br />

de grün den wollten. Die Zaddikim der<br />

Bet Ruschin etablierten Bildungsin sti -<br />

tu tionen, stärkten die Kaschrut und<br />

richteten Mikwaot ein, mit dem Ziel,<br />

die breitere Schicht der Gemeinde aus<br />

dem spirituellen Schlummer zu we -<br />

cken und gleichzeitig den Anfor de -<br />

rungen der charedischen Brüder nach -<br />

zukommen, eine Haltung, für die der<br />

Sadagoraer Rabbi Schlita heute weithin<br />

bekannt ist.<br />

Trotz seiner Jugend leitete der fromme<br />

Knesses Mordechai die Gemeinde<br />

der Chassidim, die sich in der Gred -<br />

ler strasse versammelte, wo er seinen<br />

Hof und den Bet Midrasch einrichtete.<br />

Von dort aus strahlte das Licht der<br />

Tora über die ganze Stadt. Juden von<br />

überall her strömten dorthin, um von<br />

der Quelle der Tora zu trinken und<br />

Chassidim, egal welcher Sprache, ob<br />

Jiddisch, Deutsch oder Englisch, wa ren<br />

hingerissen von seinem persönlichen<br />

Charme, seiner beeindruckenden<br />

Erscheinung, seinem großen Intellekt<br />

der Tora und seinem heiligen Antlitz.<br />

1923 kam die erste Knessia Gedola<br />

der Agudath Jisrael nach <strong>Wien</strong>, geleitet<br />

vom Chofetz Chaim sz``l und<br />

unter Teilnahme der rabbinischen Ko -<br />

ry phäen seiner Generation, wie dem<br />

Chortvoker Rebbe sz``l, dem Gerer<br />

Rebbe sz``l und dem Knesses Morde -<br />

chai sz``l, um nur einige zu nennen.<br />

Ungeachtet der Tatsache, dass er das<br />

jüngste Mitglied des Rates der Tora-<br />

Weisen war, wurde er sofort zu einer<br />

der herausragendsten aktiven Füh -<br />

rungs persönlichkeiten seiner Gene ra -<br />

tion. Er gründete die „Keren HaTo rah“<br />

welche die Torawelt im Speziellen in<br />

Polen und Litauen stärken sollte. Er<br />

bereiste Westeuropa sehr intensiv<br />

und brachte die Erhabenheit der Bet<br />

Ruschin überall hin, wo er Halt<br />

mach te, um die Tora zu verbreiten.<br />

Er war einer der Gründer der Jeschi -<br />

wot Chachmei Lublin, womit er bei der<br />

Verwirklichung der Vision seines<br />

engen Freundes Rabbi Meir Schapiro<br />

sz``l, half und indem er <strong>als</strong> Präsident<br />

dieser in Österreich diente, von wo<br />

aus er erhebliche Summen schickte,<br />

um die Jeschiwot und ihre Talmidim<br />

zu unterstützen. Einer, der in Lublin<br />

lernte und, der in <strong>Wien</strong> geboren wur -<br />

de, ist HaGaon HaRaw Schmuel Ha -<br />

le vi Wosner schlita, jetzt von Bnei Brak<br />

und einer der tonangebenden Pos -<br />

kim, der rabbinischen Schiedsrichter,<br />

unserer Generation.<br />

Als einer der bekanntesten Leiter von<br />

Agudath Jisrael hat Knesses Morde -<br />

chai, der die Alija nach Erez Israel förderte,<br />

sich bemüht zu gewährleisten,<br />

dass diejenigen, die sich entschieden,<br />

in das Heilige Land zu immigrieren,<br />

um dort die orthodoxe Gemeinde zu<br />

etablieren, auch die notwendigen<br />

prak tischen Fähigkeiten um erfolgreich<br />

zu sein, erhielten. nachdem er<br />

zwei Mal in der Zwischenkriegszeit<br />

Israel besucht hatte, hatte der Knesses<br />

Mordechai mit seinem Sohn, dem ge -<br />

genwärtigen Sadagoraer Rebbe schlita,<br />

kurz vor dem Ausbruch des Zweiten<br />

Weltkrieges es geschafft, auf dem<br />

letz ten Schiff, das Europa nach dem<br />

damaligen Palästina verlassen konnte,<br />

Plätze zu sichern.<br />

In Erez Israel wurde das Königliche<br />

Haus der Bet Ruschin auf der Asche<br />

der Vergangenheit mit dem gegenwärtigen<br />

Sadagoraer Rebbe <strong>als</strong> Rosch<br />

Jeschiwa wiedererrichtet. Er war nicht<br />

nur Rosch Jeschiwa, sondern er hielt<br />

auch überwältigend fundierte Schiu -<br />

44 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JUDENTUM • KOLUMNE<br />

rim der Gemara, des Mussar, der<br />

Chas sidus und Haschkafa, und gab<br />

die philosophische Weltsicht der Tora,<br />

so wie die Weisen sie seit Generatio -<br />

nen erläuterten, wieder. Der Rebbe<br />

schlita nahm sich eines jeden „Jid“ um<br />

des spirituellen Erfolges wegen, an.<br />

Heute, unter der Flagge der Vereinten<br />

Institutionen der Ruschin Sadagora,<br />

ist das Jeschiwa-netzwerk eines der<br />

größten mit mehr <strong>als</strong> 1.700 Talmidim<br />

in Israel, das den Ruf unter den bes -<br />

ten chassidischen Jeschiwot in und<br />

außerhalb Israels zu sein, trägt. Die<br />

florierenden Sadagoraer Gemeinden<br />

in Bnei Brak, Jerusalem, Beitar, Mo -<br />

di`in Illit, Tel Aviv und Aschdod sind<br />

die Heimat von Talmud Tora, Jeschi -<br />

wot und Kolelim. Hunderte Familien<br />

der Sadagoraer Gemeinden verbreiten<br />

die Anliegen des Rebbe für jeden<br />

einzelnen Juden, dort, wo Ahavas Jis -<br />

roel und gemeinschaftliche Einheit die<br />

Eckpfeiler der Lehren seines Le bens<br />

bilden.<br />

In <strong>Wien</strong> wird der Rebbe schlita nochm<strong>als</strong><br />

die Tage der Vergangenheit<br />

durchleben; die Tage <strong>als</strong> sein Vater<br />

zy``a seine ganzen Bemühungen dem<br />

Versuch der Sicherung der Zukunft<br />

der österreichischen Juden widmete,<br />

wodurch das Licht der Tora kontinuierlich<br />

scheinen konnte. Die <strong>Wien</strong>er<br />

Gemeinde schätzt diesen speziellen<br />

Besuch des Rebbe schlita, der das heilige<br />

königliche Haus der Bet Ruschin<br />

repräsentiert, sicherlich ganz beson -<br />

ders und wird an der Seite des Rebbe<br />

stehen, wenn dieser bestrebt sein<br />

wird, die Arbeit des Klal Jisroel, die<br />

vor so vielen Jahren in <strong>Wien</strong> begonnen<br />

hat, fortzusetzen.<br />

Für persönliche Termine mit dem<br />

Rebbe, der von 22. bis 29. <strong>April</strong> <strong>2010</strong><br />

in <strong>Wien</strong> sein wird, melden Sie sich bitte<br />

unter der Tel. 06991 77 22 661 an!<br />

Überall & Nirgendwo<br />

P. Weinberger<br />

Also an die 6.000 haben sich am Lichtertanz gegen Rosen -<br />

kranz am Heldenplatz beteiligt. Schön! noch schöner ist,<br />

dass dies zumindest 5800 Jugendliche (vermutlich unter<br />

25) waren. Viele von ihnen trugen den Aufkleber mit der<br />

durchgestrichenen Rosenkränzin auf ihren Jacken, ein<br />

Mädchen hatte sogar einen noch besseren Platz dafür<br />

gefunden, nämlich ihr Hinterteil, das sie dann auch stolz<br />

einer laufenden Kamera präsentierte, sozusagen anstatt<br />

eines gesprochenen Kommentars. Gut war auch, dass der<br />

Präsident der IKG in seiner Rede auf den an die Wald -<br />

heim Wahl erinnernden Spruch „wir wählen, wen wir wollen“<br />

auf einem FPÖ Plakat hinwies, das übrigens HCS in<br />

Großformat zeigt, geradeso, <strong>als</strong> ob er bei der Bundesprä -<br />

si dentenwahl kandidiere.<br />

Ein merkwürdig knorriges „wir“ soll offensichtlich mit<br />

die sem Plakat angesprochen werden, ein nach Hei mat -<br />

scholle duftendes „wir“ der immer schon Dagewesenen<br />

(das lokale Pendant zu Ewiggestrige). Eigentlich eine un -<br />

ge heure niedertracht, dieses „wir“, denn bereits gegen<br />

ein „Wir Österreicher“ verwahre ich mich: ein „Wir Österreicher“<br />

beinhaltet auch ein „Wir Kärntner“, nämlich ein<br />

„wir“ eines Bundeslandes, das sich aus meinem geographischen<br />

Bewusstsein schon längst verabschiedet hat.<br />

Selbst verstanden bloß <strong>als</strong> die Menge aller Menschen, die<br />

über einen österreichischen Reisepass verfügen, reicht<br />

eigentlich nicht aus, um ein „Wir Österreicher“ zu rechtfertigen.<br />

Aber auch mit einem „Wir <strong>Wien</strong>er“ hätte ich Probleme,<br />

impliziert es doch auch ein „wir“ des <strong>Wien</strong>er Aka de mi -<br />

ker Verbandes, dessen Geisteshaltung sich nur marginal<br />

von der der Familie Rosenkranz unterscheidet. Oder zum<br />

Beispiel ein „Wir Fünfhauser“, nämlich ein „wir“ eines<br />

<strong>Wien</strong>er Bezirks, durch den ich nur alle paar Jahre zufällig<br />

fahre. Es tut mir leid, aber mit einem sich nach Orten<br />

oder Plätzen ausgerichteten „wir“, meist mit einer ge -<br />

wissen geistigen Verdunklung verbunden, fange ich nichts<br />

an. Es erinnert mich zu sehr an einen Hei mat be griff, der<br />

in einem sich immer stärker vereinigenden Eu ro pa politisch<br />

keinen Platz mehr hat.<br />

Geradezu simpel sind dagegen die Ansprüche des Kan -<br />

di daten Gehring von der Christlichen Partei bei der Bun -<br />

des präsidentenwahl: er wünscht sich möglichst viele Kru -<br />

zi fixe in der Hofburg (sehnsüchtig), einen Baustop für<br />

Moscheen (ebenfalls sehnsüchtig) und am dringendsten<br />

die Abschaffung der Straffreiheit bei Schwanger schafts -<br />

abbruch (innerhalb der ersten drei Monate). So dringend<br />

wünscht er sich das, dass er gar die abgetriebenen Föten<br />

mit den im Holocaust Ermordeten hochzurechnen gewillt<br />

ist. Es war mir bisher nicht bewusst, dass es in diesem<br />

Lande Menschen gibt, an denen die Aufklä rung (eine Er -<br />

fin dung des 18. Jahrhunderts) spurlos vorüber gegangen<br />

ist. Jetzt weiss ich es. Ich getraue mich fast nicht es zu sa -<br />

gen, aber mit dem gleichen Recht auf freie Meinungs -<br />

äußerung in einem öffentlichen Medium könnte man<br />

zum Beispiel den Abbruch einer Reihe von Kir chen verlangen,<br />

da sie lediglich Kultorte einer Minder heit in der<br />

österreichischen Bevölkerung darstellen, oder auch, weil<br />

sie architektonisch erbärmlich sind. Wie wäre es mit<br />

einer Aufhebung des Konkordats, mit einer tatsächli chen<br />

Trennung von Staat und Religion? Durchaus auch wünschenswert!<br />

Mit einem Ende der Monopolisierung der<br />

OE1 Sendezeit an Sonntagmorgen?<br />

„Mut zu Werten“ verkündigt die eine, worauf der andere<br />

flugs in der Ewigkeitskiste des 17. Jahrhunderts kramt<br />

und verstaubte Fetzen scheinchristlicher Werte ans<br />

Tageslicht zerrt. Zumindest beim „Mut zu mehr Kindern“<br />

(Rose nkranz) kommen sich die Deutschnationale und<br />

der Megachristliche sehr nahe: ein Traumpaar intellektueller<br />

Überhöhung bietet sich <strong>als</strong> Alternative bei der<br />

Bundespräsidentenwahl an. Vermutlich <strong>als</strong> Attraktion in<br />

jener Geisterbahn, zu der sich gewisse Teile der österreichischen<br />

Gesellschaft zu entwickeln scheinen.<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 45


JUDENTUM<br />

Ijar 5770<br />

(15. <strong>April</strong> - 13. Mai <strong>2010</strong>)<br />

Historische Ereignisse & wichtige Tage<br />

Der Frühlingsmonat Ijar ist der zweite Monat des religiösen jüdischen Jahres, das mit dem Monat<br />

Nissan beginnt und hat immer 29 Tage. Der Wort Ijar beinhaltet im alt-semitischen Sprach ge -<br />

brauch, der Jahreszeit entsprechend, eine Referenz zu „blühen“ beziehunsweise „Blüte“.<br />

Bitte beachten, dass alle jüdischen Tage mit dem Sonnenuntergang des Vortages beginnen!<br />

4. Ijar (18. <strong>April</strong> <strong>2010</strong>)<br />

• An diesem Tag, vor 845 Jahren, entging Rab bi<br />

Mosche ben Maimon (RaMBaM), bekannt <strong>als</strong><br />

Maimonides, auf seiner Flucht von Ma rok ko<br />

nach Eretz Jisrael nur knapp dem Tode, <strong>als</strong><br />

sein Schiff in einen starken Sturm geriet und<br />

beinahe unterging. In Dankbarkeit, dass er<br />

doch überlebte beging er diesen Tag bis an<br />

sein Lebensende <strong>als</strong> einen persönlichen Fast -<br />

tag. Es entspricht der jüdischen Tradition,<br />

dass sowohl Individuen, ganze Gemeinden<br />

oder sogar die Gesamtheit des jüdischen Vol -<br />

kes sich zu bestimmten Fasttagen verpflichten,<br />

um entweder unheilvoller Ereignisse zu<br />

ge den ken (z.B. 17. Tamus und 9. Av), oder aus<br />

Dank barkeit einer großen Gefahr an diesem<br />

Da tum entgangen zu sein (z.B. Ta’anis Es ther).<br />

Dem entsprechend gibt es viele alte Gemein -<br />

den in Europa, die bestimmte Tage <strong>als</strong> Fast ta -<br />

ge be ge hen, um zum Beispiel eines örtli chen<br />

Po groms zu erinnern, und auch viele Überlebende<br />

der Schoah gedenken den Tag ihrer Ret -<br />

tung oder Befreiung durch einen persönli chen<br />

Fast tag.<br />

5. Ijar (19. <strong>April</strong> <strong>2010</strong>)<br />

• An diesem Tag vor 62 Jahren (dam<strong>als</strong> Frei tag,<br />

14. Mai) lief, wie durch die UN-Reso lu tion 181<br />

(II) ein halbes Jahr zuvor be schlos sen, das britische<br />

Mandat über Paläs ti na aus. Die UNO<br />

hatte im November 1947 mit absoluter Mehr -<br />

heit (33:13) der Teilung des Britischen Man dats -<br />

gebiets Palästina, und der Schaf fung eines<br />

jüdischen und eines arabischen Staa tes zugestimmt.<br />

Sich explizit auf diese internationale<br />

Unterstützung berufend, verlas Da vid Ben-<br />

Gurion noch an diesem 14. Mai die Un ab hän -<br />

gig keitserklärung des Staates Israel. Am folgenden<br />

Tag begann der israelische Unab hän -<br />

gigkeitskrieg, da die Armeen der arabischen<br />

Nachbarstaaten den jungen Staat Isra el an -<br />

grif fen. 28 Tage später war dieser Krieg vor erst<br />

zu Ende und man konnte beginnen die<br />

Infrastruktur des Staates Israel aufzubauen.<br />

Der 5. Ijar, der Tag an dem das Britische Man -<br />

dat auslief und der Staat Israel offiziell ausgerufen<br />

wurde, wird seither <strong>als</strong> Israelischer Un -<br />

ab hängigkeitstag „Jom Hatzma’ut“ gefeiert.<br />

7. Ijar (21. <strong>April</strong> <strong>2010</strong>)<br />

• An diesem Tag vor 2508 Jahren begann man<br />

mit dem Bau der Stadtmauern von Jerusalem,<br />

88 Jahre nachdem sie vom Babylonier Nebu -<br />

chad nez zar zerstört worden waren.<br />

8. Ijar (22. <strong>April</strong> <strong>2010</strong>)<br />

• Jahrestag der ersten Kreuzugmassaker vor 914<br />

Jahren, <strong>als</strong> die französischen und deutschen<br />

Kreuzfahrer dem Aufruf Papst Urban II folgend,<br />

alle Juden von Speyer und auch einen<br />

Groß teil der Juden von Worms umbrachten.<br />

10. Ijar (24. <strong>April</strong> <strong>2010</strong>)<br />

• Rabbiner Jitzchak Al-Fasi, bekannt <strong>als</strong> Rif, starb<br />

vor 907 Jahren in Spanien. Seine auf den Tal -<br />

mud begründete Auslegung des jüdischen<br />

Rechts bildete, neben den Entscheidungen<br />

des Rosch (Rabbi Oscher ben Jechiel aus<br />

Deutsch land) und des Rambam (aus Span ien),<br />

die Grundlage für die endgültige Gesetzes ent -<br />

scheidung im Schulchan Aruch von Rabbiner<br />

Josef Karo.<br />

14. Ijar (28. <strong>April</strong> <strong>2010</strong>)<br />

• Pesach Scheni (zweites Pesach): zur Zeit des<br />

Tempels brachten an diesem Tag all jene, de -<br />

nen es einen Monat zuvor am 14. Nissan, auf -<br />

grund von Tum’ah („kultischer Unrein heit“)<br />

nicht gestattet war vom Pessach Opfer zu<br />

essen, ein Ersatz Korb an Pessach dar.<br />

17. Ijar (1. Mai <strong>2010</strong>)<br />

• Todestag von Rabbiner Jecheskel Landau, be -<br />

kannt <strong>als</strong> „Noda BeJehudo“, vor 217 Jahren.<br />

18. Ijar (2. Mai <strong>2010</strong>)<br />

• Lag BaOmer, der 33. Tag der 49 Tage zwischen<br />

Pessach und Schawuot: an diesem Tag wird<br />

das Ende des Sterbens der Schüler des talmu -<br />

di schen Rabbi Akiva gefeiert, von denen seit<br />

Pessach 1890 24.000 durch eine Seuche ums<br />

Leben gekommen waren.<br />

• Todestag des talmudischen Rabbi Schimon bar<br />

Jochai, Autor des Sohar, vor etwa 1850 Jahren.<br />

• Todestag von Rabbiner Mosche Isserles aus Kra -<br />

kau, genannt Rema, vor 437 Jahren. Zeitgleich<br />

mit Rabbiner Josef Karo aus Spanien verfasste<br />

auch Rabbiner Isserles einen umfassenden<br />

Ko dex des jüdischen Rechts, er erfuhr vom<br />

Schul chan Aruch seines sefardischen Kollegen,<br />

der mittlerweile in Eretz Jisrael lebte, jedoch<br />

erst nachdem er sein eigenes Werk bereits ab ge -<br />

schlossen, jedoch noch nicht veröffentlicht<br />

hatte. Um die Einheit des jüdischen Volkes zu<br />

be wahren, verzichtete der Rema auf die Veröf -<br />

fent lichung seines Werkes, was <strong>als</strong> Gegen schrift<br />

verstanden werden könnte, und kommentierte<br />

lediglich die Paragraphen des Schul chan<br />

Aruch wann immer sich die aschkenasische<br />

Halachah von der sefardischen unterscheidet.<br />

Diese weise Entscheidung führte dazu, dass<br />

bis heute jeder Rabbiner der Welt, sowohl die<br />

se fardische Halachah, <strong>als</strong> auch die durch den<br />

Kommentar des Rema ergänzte aschkenasische<br />

Halachah lernt.<br />

19. Ijar (3.Mai <strong>2010</strong>)<br />

• Todestag von Rabbi Meir ben Boruch Rothen burg<br />

(Maharam von Rothenburg) vor 717 Jahren.<br />

König Rudolf I. hatte den auch <strong>als</strong> ersten „Ober-<br />

rabbiner Deutschlands“ bezeichneten Rabbi<br />

Meir festnehmen lassen und viele Jahre auf der<br />

Festung Ensisheim im Elsass inhaftiert, um<br />

eine von ihm angeführte drohende Auswan de -<br />

rungswelle der deutschen Juden zu verhindern.<br />

Bis zu seinem Tod, weigerte sich der be rühm te<br />

deutsche Rabbiner vehement geweigert den<br />

mehrfach angebotenen Lösegeldzahlungen<br />

durch seine Schüler zuzustimmen, um zu verhindern,<br />

dass dadurch ein Präzedenzfall entstehe<br />

und die häufigere Geiselnahme von<br />

Rabbinern mit anschließenden Lösegeldforde -<br />

run gen folgen würden.<br />

26. Ijar (10. Mai <strong>2010</strong>)<br />

• Todestag von Rabbi Saadia Gaon, dem allgemein<br />

anerkanntesten Gelehrten der nach-talmudischen<br />

Zeit, vor 1068 Jahren.<br />

• Todestag des berühmten Kabbalisten und Phi -<br />

losophen Rabbiner Mosche Chaim Luzzato aus<br />

Padua, der vor 263 Jahren in Eretz Jisrael starb<br />

und neben dem Grab von Rabbi Akiva in Tibe -<br />

ri as beerdigt wurde. Der Ramchal, wie er häufig<br />

genannt wird, gilt <strong>als</strong> eines der größten Ge -<br />

nies der Neuzeit.<br />

• Ausbruch des Sechs Tage Krieg von 1967.<br />

28. Ijar (12. Mai <strong>2010</strong>)<br />

• Jahrestag der Wiedervereinigung Jerusalems:<br />

Bereits am dritten Tag nach Ausbruch des<br />

Sechs Tage Krieg konnte die israelische Armee<br />

die Altstadt von Jerusalem und den Tem pel -<br />

berg einnehmen. Seither wird dieser Tag <strong>als</strong><br />

Jom Jeruschalajim – Jerusalem Tag – gefeiert.<br />

46 <strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770


JUDENTUM<br />

Schailos &Tschuwos<br />

ausgewählte halachische<br />

Fragen, beantwortet<br />

von Gemeinderabbiner<br />

Schlomo Hofmeister<br />

AskTheRabbi@ikg-wien.at<br />

FRAGE:<br />

Oft wird einem <strong>als</strong> Rabbiner von nicht-<br />

Juden die folgende Frage ge stellt:<br />

Wenn, wie es die jüdische Tradition<br />

selbst sagt, das Gebot der nächsten -<br />

liebe doch der eigentliche Sinn aller<br />

Torah Gesetze ist, und „alles andere<br />

nur Kommentar“, warum begnügen<br />

sich religiöse Juden dann nicht damit,<br />

nur dieses Gebot zu erfüllen, sondern<br />

halten sich auch noch an die unzähligen<br />

anderen Verbote und Vorschrif ten?<br />

AnTWORT:<br />

Tatsächlich lesen wir in unserem dieswöchigen<br />

Wochenabschnitt Kedo schim,<br />

dass uns die Torah gebietet, einem je -<br />

den Juden mit nächstenliebe zu be -<br />

geg nen - und dies ungeachtet seiner<br />

gesellschaftlichen Stellung oder Ge -<br />

mein dezugehörigkeit.<br />

Anderen Res pekt, Anstand, Wohl wol -<br />

len und Mitgefühl in unseren Herzen<br />

entgegenzubringen ist zwar eine wich -<br />

tige Grundhaltung, jedoch bei weitem<br />

nicht genug. Um das Gebot der näch -<br />

s tenliebe zu erfüllen, müssen wir<br />

aktive Schritte unternehmen. Wie der<br />

Rambam schreibt sind wir beispielsweise<br />

dazu verpflichtet uns jederzeit<br />

für das materielle, geistige und ge sell -<br />

schaftliche Wohl unserer Mitmen -<br />

schen tatkräftig einzusetzen und bei<br />

jeder Gelegenheit Gutes über sie zu<br />

sprechen (Hilchot De’ot 6:3).<br />

Dies jedoch mit der Einschränkung,<br />

Schlechtes nicht schön zu reden, sondern<br />

dazu besser zu schweigen, und<br />

uns auch dann zurückzuhalten Gutes<br />

über jemanden zu sprechen wenn wir<br />

damit rechnen können, dass unser<br />

Gesprächspartner darauf mit bösartiken<br />

Kommentaren oder anderen ne -<br />

gativen Reaktionen antworten könnte<br />

(Sefer Chofetz Chaim 9).<br />

Raschi zitiert den talmudischen Rabbi<br />

Akiva, der das Gebot der nächs ten -<br />

liebe einen „Klal Gadol BaTorah“ -<br />

eine fundamentale Regel in der Torah<br />

nennt. Soll das heissen, dass das Ge -<br />

bot der nächstenliebe die eigentliche<br />

Essenz, oder gar der ganze Sinn der<br />

Torah-Gesetze ist? Wenn das so ist,<br />

würden dann nicht die anderen, un -<br />

zäh ligen Gesetze und Vorschriften der<br />

Torah hinfällig, solange wir uns diesem<br />

„kategorischen Imperativ“ des<br />

Judentums entsprechend verhalten?<br />

Mein Lehrer, Raw Mosche Sternbuch<br />

aus Jerusalem, erklärt es folgendermaßen:<br />

Rabbi Akiva möchte uns sa gen,<br />

dass die Erfüllung des Gebots der<br />

nächstenliebe, jedem von uns die<br />

Grund lage zur Erfüllung aller anderen<br />

Mitzwot der Torah sein muss. Das<br />

bedeutet, wenn wir das Gebot der<br />

nächstenliebe wirklich ernst nehmen<br />

und unser Bestes geben, unser Den -<br />

ken und Tun daran auszurichten, dass<br />

dies automatisch dazu führt, dass wir<br />

alle Mitzwot „Bein Adam LeChawero“,<br />

alle Gebote die das zwischenmenschliche<br />

Verhalten betreffen, gewissenhaft<br />

erfüllen. Unseren Mitmenschen<br />

durch unser Verhalten keinen nach -<br />

teil zu verursachen oder gar Schaden<br />

zuzufügen wird dann im Idealfall<br />

keine Gewissensentscheidung mehr<br />

sein, sondern wird zur Selbstver ständ -<br />

lichkeit, <strong>als</strong> ginge es um unsere eigenen<br />

Interessen - sowohl in den unterschiedlichsten<br />

Bereichen unseres So -<br />

zi al verhaltens <strong>als</strong> auch in unserem<br />

Geschäftsgebaren. Gleichzeitig kann<br />

es uns helfen die Mitzwot „Bein Adam<br />

LeMokom“, zwischen uns und dem<br />

Lie ben G’tt, mit mehr Hingabe und<br />

Verständnis zu befolgen, die leider von<br />

vielen <strong>als</strong> leere Rituale beziehungsweise<br />

kleinliche oder gar unnötige<br />

Ver bote und Einschränkungen empfunden<br />

werden. Wenn wir uns sensibilisieren,<br />

alle unsere Mitmenschen,<br />

ein fach nur weil sie Mitmenschen<br />

sind, zu respektieren und zu lieben,<br />

BUCHPRÄSENTATION<br />

Das Jüdische<br />

bei Gustav Mahler<br />

von Michael Haber<br />

Mittwoch, 12. Mai <strong>2010</strong>,<br />

um 19.00<br />

Österreichischen Theatermuseum<br />

im Palais Lobkowitz,<br />

Lobkowitzplatz 2, 1010 <strong>Wien</strong>.<br />

werden wir letzten Endes auch unserem<br />

Schöpfer mehr Liebe, Respekt und<br />

Dankbarkeit entgegenbringen und<br />

uns den Gesetzen Seiner Torah mit<br />

mehr Verantwortung stellen. Der Lie be<br />

G’tt hat uns unser Leben ge schenkt,<br />

und gibt uns jeden Tag mehr – viel<br />

mehr <strong>als</strong> irgendeiner unserer Mit men -<br />

schen uns jem<strong>als</strong> geben könnte.<br />

In diesem Sinne bezeichnet Rabbi<br />

Akiva das Gebot der nächstenliebe<br />

<strong>als</strong> die Grundlage des am Sinai offenbarten<br />

G’ttesgestzes, unseres bis heu te<br />

gültigen Bundes mit G’tt. Rabbi<br />

Akiva beabsichtigt <strong>als</strong>o keine funktionalistische<br />

Erklärung des Sinn und<br />

Zweck von Torah und Halachah, sondern<br />

beschreibt die nächstenliebe <strong>als</strong><br />

stabiles Fundament auf dem das Haus<br />

von Torah und Mitzwot zu bauen ist.<br />

Die weltweit anerkannte und weit ver -<br />

breitete Idee des ethischen Mono thei s -<br />

mus, in ihren unterschiedlichsten Ma -<br />

ni festationen und Ausprägungen, ist<br />

einer der Strahlen mit denen wir, das<br />

jüdische Volk, gemäß unserer Beru -<br />

fung „LeOhr Gojim“ - zum Licht der<br />

Völker zu sein (Jeschajohu 42:6), die Welt<br />

erhellt haben. Wenngleich von grossem<br />

Wert für die Menschheit, an und<br />

für sich ist die nächstenliebe für uns<br />

Juden selbst jedoch nicht das zu erreichende<br />

Ziel unseres religiösen Le bens,<br />

sondern die conditio sine qua non, die<br />

absolute Grundvoraussetzung, der<br />

Verpflichtung unser Leben den jüdischen<br />

Werten entsprechend auszurichten<br />

und die Gebote der Torah einzuhalten<br />

überhaupt erst nachkommen<br />

zu können und unserer Verant -<br />

wor tung gerecht zu werden ein<br />

„Mam leches Kohanim“, ein Volk von Pries -<br />

tern (Schemot 19:6) und „Kedo schim“<br />

- heilig zu sein (Vajikra 19:2).<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Direktor des Vidal Sassoon International Center for<br />

the Study of Antisemitism<br />

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(Vortrag in englischer Sprache)<br />

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Wipplinger Str. 8<br />

1010 <strong>Wien</strong><br />

Scholars for Peace in the Middle East Austria<br />

Akademiker für Frieden im Nahen Osten – Österreich<br />

SPME AUSTRIA<br />

Mit Unterstützung durch das Kulturamt der Stadt <strong>Wien</strong> und das Bundesministerium für Unterricht und Kunst<br />

<strong>April</strong> <strong>2010</strong> -nissan/Ijar 5770 47


Sonntag, 2. Mai <strong>2010</strong><br />

Beginn: 17.45 Uhr<br />

<strong>Wien</strong>er Stadttempel<br />

1010 <strong>Wien</strong> , Seitenstettengasse 2<br />

FESTVERANSTALTUNG ZUM 150. GEBURTSTAG VON THEODOR HERZL<br />

„Machet keine Dummheiten,<br />

während ich todt bin“<br />

Orsolya Korcsolan, Geige<br />

Maurice Ravel: Kaddisch<br />

Festansprache von Oberrabbiner<br />

Paul Chaim Eisenberg<br />

Rede von Oberrabbiner Akiba Eisenberg s.A.,<br />

ge halten während der Zere mo nie am 14. Au gust<br />

1949 <strong>als</strong> die Särge von Theodor Herzl und sei nen<br />

El tern sowie seiner Schwester unter der blauweißen<br />

Fahne Israels vor ihrer Über führung nach<br />

Is ra el im <strong>Wien</strong>er Stadt tempel aufgebahrt waren.<br />

Orsolya Korcsolan, Geige und<br />

Christoph Stradner, Solo Cellist der<br />

<strong>Wien</strong>er Symphoniker<br />

Erwin Schulhoff: Zingaresca<br />

Vortrag zu Herzl von Dr. L. Joseph Heid<br />

“Der jüdische Jules Verne – Ein HERZL-icher<br />

Glückwunsch”<br />

Orsolya Korcsolan, Geige und<br />

Christoph Stradner, Solo Cellist der<br />

<strong>Wien</strong>er Symphoniker<br />

Handel-Halvorsen: Passacaglia<br />

Filmbeitrag vom Herzl Museum Jerusalem<br />

Aviv Shir-On, Botschafter des Staates Israel<br />

„Theodor Herzl von <strong>Wien</strong> nach Tel Aviv“

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