'Die Gemeinde' Januar 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...
'Die Gemeinde' Januar 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...
'Die Gemeinde' Januar 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Edward Kritzlers ungewöhnliche<br />
Geschichte der jüdischen<br />
Piraterie<br />
vo Adam Kirsch, JTA;<br />
Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />
Es gibt Orte, an denen man erwartet,<br />
Juden zu finden, und Orte, an denen<br />
dies eher überrascht. Das Deck eines<br />
Piratenschiffes gehört da wohl eher<br />
zu letzteren.<br />
So könnte man Edward Kritzlers<br />
etwas fragwürdiges Buch „Jewish<br />
Pirates of the Caribbean“ („Jüdische<br />
Piraten der Karibik“) auch mehr für<br />
einen etwas eigenwilligen Science-<br />
Fic tion-Roman halten, <strong>als</strong> für das<br />
Sachbuch, das es gerne wäre.<br />
Tatsächlich geht es hier um bloße chro -<br />
nologische Fakten: 1492, in aller Welt<br />
<strong>als</strong> das Jahr bekannt, <strong>als</strong> Columbus<br />
Amerika entdeckte, steht für die jüdische<br />
Bevölkerung für etwas völlig an -<br />
deres – nämlich die Verbannung der<br />
Juden aus Spanien durch Ferdinand<br />
und isabella.<br />
in der daraus resultierenden Dias po ra<br />
machten sich viele spanische und<br />
portugiesische Juden, darunter auch<br />
Konvertiten, die ihr Judentum nur<br />
noch heimlich leben konnten, auf den<br />
Weg zu den Handelszentren Europas<br />
und der neuen Welt. Diese gut organisierte,<br />
gebildete und kapitalisierte<br />
Bourgeoisie stellte sich <strong>als</strong> idealer<br />
mitt ler für die heranwachsende globale<br />
Ökonomie heraus. Deshalb wur -<br />
de Columbus auch von einigen jener<br />
Konvertiten begleitet und die Legen de,<br />
dass sogar Columbus selbst jüdischer<br />
Abstammung gewesen sein soll, hält<br />
sich schon seit geraumer Zeit.<br />
Auch in Jamaika, Brasilien und neu<br />
Amsterdam fand Kritzler blühende<br />
sephardische Gemeinden. Und wo hin<br />
auch immer die Wege der Spanier oder<br />
Holländer führten – ein paar Juden<br />
waren stets dabei oder kamen bald<br />
darauf nach.<br />
manche dieser jüdischen Pioniere,<br />
man glaubt es kaum, waren tatsächlich<br />
Piraten.<br />
Zu einer Zeit, <strong>als</strong> die Grenzen zwischen<br />
Handel und Piraterie noch nicht<br />
allzu streng gezogen waren, gestaltete<br />
es sich für jüdische Seeleute und<br />
Schiffseigner recht einfach, friedliche<br />
Handelsmissionen mit der Kaperung<br />
fremder Schiffe zu verbinden.<br />
nehmen wir zum Beispiel Samuel<br />
Palache, nachkomme marokkanischer<br />
Rabbiner, der seine Karriere <strong>als</strong> internationaler<br />
intrigant <strong>als</strong> Handelsbe auf -<br />
tragter begann, der maurische Juwe -<br />
len gegen spanisches Bienenwachs<br />
tauschte. Eines Tages setzte er sich das<br />
Ziel, in die Dienste König Philip iii.<br />
von Spanien einzutreten, auch wenn<br />
er dafür zum Katholizismus konvertieren<br />
müsste. Doch sein Ansuchen<br />
wurde abgelehnt und Palache schlug<br />
sich auf die Seite von Philips Feinden,<br />
den Holländern, für die er Waffen<br />
von Holland noch nordafrika brachte.<br />
Dies führte schließlich so weit, dass<br />
Palache eine Flotte anleitete, die spanische<br />
Schiffe im mittelmeer angreifen<br />
sollte, was ihm, trotz einem eklatanten<br />
mangel an Belegen für den Aus -<br />
gang dieser mission, bei Kritzler den<br />
klingenden Beinamen „Der Piraten-<br />
Rabbi“ einbrachte. (Wobei man hier<br />
auch leider nicht darüber hinwegsehen<br />
kann, dass der vermeintliche Pi -<br />
rat niem<strong>als</strong> einen Fuß auf karibischen<br />
Boden setzte – so dürfte Kritzlers<br />
Buch titel wohl doch eher plakativ <strong>als</strong><br />
präzise gemeint sein...)<br />
Sogar einen der berühmtesten Piraten<br />
der Geschichte, Jean Lafitte, der im<br />
new Orleans des 19. Jahrhunderts ein<br />
Schmugglerimperium betrieb und sich<br />
1812 im gemeinsamen Kampf mit<br />
Andrew Jackson gegen die Briten rehabilitieren<br />
konnte, bringt Kritzler mit<br />
dem Judentum in Verbindung und<br />
führt ein angebliches Zitat des Pira -<br />
tenkönigs an: „Meine Großmutter war<br />
eine spanische Israelitin. ... Großmutter<br />
erzählte mir immer wieder von den An -<br />
kla gen und Schikanen, die ihre Vorfahren<br />
zur Zeit der spanischen Inquisition hatten<br />
erdulden müssen. ... Die Erzählungen<br />
meiner Großmutter ... erweckten in mir<br />
den Hass gegen die spanische Krone und<br />
die Verfolgungen, derer sie sich schuldig<br />
gemacht hat – nicht nur den Juden<br />
gegenüber.“<br />
So wird bei Kritzler der Unterdrückte<br />
zum Todfeind der Unterdrücker – eine<br />
unwiderstehliche Geschichte und<br />
Hauptteil seines Buches.<br />
Doch Lafittes Bekenntnis illustriert<br />
dies beinahe schon zu deutlich, möglicherweise<br />
weil dieses Zitat mit<br />
ziemlicher Sicherheit nicht den Tat sa -<br />
chen entspricht. Laut Kritzlers An -<br />
mer kungen, fand er es in einem Buch<br />
über die jüdische Geschichte new<br />
Orleans’, das das Zitat wiederum den<br />
angeblichen Aufzeichnungen des Jean<br />
Lafitte entnommen hat, welche im<br />
new York des Jahres 1958 veröffentlicht<br />
worden waren.<br />
Aller dings vergisst Kritzler eine Tat -<br />
sache anzuführen, die mich zu finden<br />
lediglich wenige minuten internet re -<br />
cher che gekostet hat, nämlich dass je ne<br />
„Aufzeichnungen“ das Werk des no -<br />
to rischen Fälschers John Laflin wa ren.<br />
Dieser behauptete, ein nachfahre des<br />
legendären Piraten zu sein und gab<br />
sogar vor, diesbezügliche Dokumente<br />
zu besitzen, die auf Davy Crockett und<br />
Abraham Lincoln zurückgingen. Ob<br />
Kritzler mit all diesen informationen<br />
vertraut ist, geht aus seinem Buch leider<br />
nicht hervor.<br />
Das Beispiel von Lafitte ist nicht von<br />
allzu großer Bedeutung – es nimmt<br />
lediglich zwei Buchseiten ein -, doch<br />
leider ist es typisch für Kritzlers Umgang<br />
mit historischen informationen.<br />
Er verlässt sich stark auf die Arbeiten<br />
angesehener Historiker und setzt<br />
dann sein eigenes Bild von den Juden<br />
der neuen Welt im 16./17. Jahrhun -<br />
40 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769