'Die Gemeinde' Januar 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...
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nr. 637 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong><br />
Tewet 5769<br />
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Die Die<br />
offizielles organ der israelitischen Kultusgemeinde wien<br />
magazin
INHALT<br />
&<br />
AUS DEM BÜRO DES<br />
PRÄSIDENTEN<br />
Lebe ich denn auf dem Mond 3<br />
IN EIGENER SACHE<br />
ALEXIA WEISS<br />
Serie: Hinter den Kulissen der IKG<br />
Teil 5: Gener<strong>als</strong>ekretariat<br />
- Kaufmännische Agenden 6<br />
POLITIK<br />
IN- UND AUSLAND<br />
Ist Martin Graf rücktrittsreif? 8<br />
Imam hetzt in Wiener<br />
Moschee gegen Israel 9<br />
REINHARD ENGEL<br />
Schienen nach China 11<br />
Ehrendoktorat für Bundes -<br />
präsident Fischer in Israel 12<br />
ALEXIA WEISS<br />
Es geht ganz einfach - oder ... 13<br />
Ungarische Garde mit<br />
scharfer Munition 14<br />
MARTA S. HALPERT<br />
Krise in Gaza: Optionen<br />
für die Zukunft 22<br />
JÜDISCHE WELT<br />
IDA LABUDOVIC<br />
Dr. Alfred Bader 35<br />
Panorama 38<br />
Jüdische Piraten 40<br />
Die Anne Frank<br />
von Kambodscha 41<br />
ROBERTO KALMAR<br />
Verlorene Nachbarschaft -<br />
Buenos Aires 2008 42<br />
KULTUR<br />
ANITA POLLAK<br />
Dem Leon hätte es gefallen -<br />
das „Jüdische Echo“ in<br />
neuen Händen 44<br />
MARTA S. HALPERT<br />
Robert Jungbluth - Hilfsbereit<br />
ganz ohne Allüren 45<br />
BARRY DAVIS<br />
Idan Raichel 46<br />
DOSSIER 15-34<br />
„Gegen den Terror der Hamas“<br />
Konzept&Realisierung: Sonia Feiger<br />
Titelbild: „Gegen den Terror der Ha mas“ -<br />
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PLENUM: Dienstag, 17. Februar • Donnerstag, 12. März Wegen der<br />
Teilnahme des Präsidenten an der Generalver sammlung der US Friends of the<br />
IKG in New York, verschiebt sich die Sitzung auf Dienstag, 26. März<br />
Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Global intelligence<br />
centre, Walla, Y-net, israelnetz (inn), nahostfocus (NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, u.v.a.<br />
GEmEinDE<br />
Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> Kultusgemeinde<br />
Wien. Zweck: Information der Mitglieder der IKG Wien in kulturellen, politischen<br />
und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />
Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 Wien, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />
Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />
Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 Wien<br />
Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />
Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />
Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der<br />
Redak tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />
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2 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />
„We can forgive the Arabs for killing our children, but we<br />
can never forgive them for making us to kill their children.<br />
We will only have peace with the Arabs when they love<br />
their children more than they hate us“.<br />
Golda Meir<br />
israelische Ministerpräsidentin,<br />
auf einer Pressekonferenz in London, 1969<br />
Wie recht sie doch hatte!<br />
lebe ich denn auf dem mond?<br />
Der Präsident der <strong>Israelitische</strong>n Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, über die neue Welle des<br />
Antisemitismus und die Schande des FP-Parlamentspräsidenten Martin Graf.<br />
Von thomas seifert<br />
Die Presse: Wie fühlen Sie sich angesichts der über 900 in Gaza getöteten Palästinenser,<br />
mindestens die Hälfte davon Zivilisten?<br />
Ariel muzicant: Schlecht. Jeder Toter ist ein Toter zu viel. Aber gibt es Empathie von der<br />
anderen Seite? Wenn ich mir die Demonstrationen der vergangenen Tage anschaue, lautet<br />
die Antwort: Leider nein. ich möchte auf folgende Dissymetrie hinweisen: Auf der<br />
einen Seite steht das Bemühen israels, zivile Opfer zu vermeiden, auf der anderen Seite<br />
steht das bewusste Töten durch die Hamas, durch palästinensische Extremisten, durch<br />
Araber.<br />
Wenn man wie ein zynischer Statistiker des Todes die Opferbilanzen gegenüberstellt, dann sieht<br />
man, dass Dutzende Israelis, aber hunderte Palästinenser getötet werden.<br />
Eine Erklärung: Die Hamas will offenbar mehr tote Zivilisten. Und die Hamas schießt<br />
ihre Raketen auch mit dem Ziel ab, dass Zivilisten getötet werden. Wenn man dann<br />
sieht, wie die arabischen Fernsehleute hinter den verletzten Bewohnern Gazas rennen,<br />
um das möglichst dramatisch ins Bild zu setzen, dann hat man den Eindruck, dass die<br />
Verletzten von manchen nur <strong>als</strong> Propagandawaffe gegen israel gesehen werden. ich stelle<br />
die Gegenfrage: Haben Sie in den letzten Jahren Bilder von toten israelis gesehen, die<br />
man derart vor die Kameras zerrt?<br />
Ist Israel nicht selbst an der - nach israelischer Darstellung einseitigen - Berichterstattung<br />
schuld, weil die Armee keine westlichen Journalisten in Gaza zulässt?<br />
Sie irren sich. Wenn die israelis dies zulassen würden, würde es noch mehr Bilder von<br />
Verletzten und Toten geben. Das ist es, was gezeigt werden soll, wenn es nach der<br />
Hamas geht. Oder denken Sie etwa, dass die Hamas es zulassen würden, dass man ihre<br />
Raketenstellungen filmt?<br />
Das heißt, Sie billigen diese Art der israelischen Zensur?<br />
Wenn ich auf der einen Seite nicht bereit bin, dass die Toten und Verwundeten auf meiner<br />
Seite gezeigt werden, auf der anderen Seite aber eine manipulierende Hamas steht,<br />
was wollen Sie dann machen?<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 3
AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />
Ist es die Pflicht eines österreichischen Juden, mit Israel solidarisch zu sein?<br />
ich bin mit jenen solidarisch, die sagen, es ist die Pflicht eines Staates, das Leben und die<br />
Existenz der menschen, die in israel leben, zu schützen. Aufgrund der 3000-jährigen<br />
Verfolgung leben wir immer mit dem Hintergedanken: Wohin fliehen wir im Falle des<br />
Falles? Das ist etwas, was tief in unserem Bewusstsein sitzt. Es wird von Tag zu Tag einfacher:<br />
Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagt,<br />
„wir beginnen langsam, die Koffer auszupacken“.<br />
Reichen die Bemühungen um einen Dialog - in Österreich - aus?<br />
ich bin sicherlich ein mann des Dialogs. meine Kritik an Anas Schakfeh (Oberhaupt der<br />
muslime in Österreich) äußere ich so, dass ich sage, ich hoffe, er hat es nicht so gemeint,<br />
wie er es im „Standard“ gesagt hat (Anm. Shakfeh: „Antisemitismus kennen wir im Mitt -<br />
le ren Osten überhaupt nicht. Er ist ein Produkt des europäischen Den kens“). Lebe ich denn am<br />
mond? ich muss 15 Prozent des Jahresbudgets der Gemeinde dafür ausgeben, meine mit -<br />
glieder vor möglichen terroristischen Angriffen aus islamistischen Kreisen zu schützen.<br />
Österreichs Geschichte ist mit jener Israels untrennbar verbunden. Wien ist die Stadt von<br />
Adolf Hitler und Theodor Herzl. Ergibt sich daraus eine besondere Verantwortung dieses<br />
Landes für die Region?<br />
Das ist überhaupt keine Frage. Leider verfügt unsere kleine Republik nur über be schränk -<br />
te möglichkeiten. Was das Bild Österreichs in israel betrifft: ich war auf Staatsbesuch mit<br />
dem Bundespräsidenten in israel mit. ich habe versucht, dort zu kommunizieren, wie viel<br />
Positives wir erreicht haben. Sagt man mir: „Bist du denn verrückt geworden? Wie erklärst<br />
du, dass 28 Prozent für Naziparteien stimmen? Oder das Begräbnis für diesen Haider?“ Also<br />
rede ich mir den mund fusselig, um den israelis Österreich zu erklären. Dann komme<br />
ich zurück und bin mit der unappetitlichen Graf-Affäre konfrontiert, wo engste mit ar bei -<br />
ter des FPÖ-nationalratspräsidenten bei einem Verlag, der rechtsextreme Literatur vertreibt,<br />
Dinge bestellen. Vielleicht haben die israelis ja recht? ist es nicht eine Schande,<br />
dass derartige Leute im österreichischen Parlament sitzen?<br />
Ersterscheinung: „Die Presse“ vom 14.01.<strong>2009</strong><br />
Wir danken für die Abdruckgenehmigung!<br />
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ZENTRUM<br />
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<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 5
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
SERIE<br />
Hinter den Kulissen –<br />
Die IKG Wien stellt sich vor<br />
Teil 5: GENERALSEKRETARIAT<br />
KAUFMÄNNISCHE AGENDEN<br />
serVice<br />
erreichbarkeit des gener<strong>als</strong>ekretariats<br />
für kaufmännische agenden<br />
Leitung: mag. Friedrich Herzog<br />
f.herzog@ikg-wien.at<br />
Assistenz: Ursula König<br />
u.koenig@ikg-wien.at,<br />
Doris Zimmermann d.zimmermann@ikg-wien.at<br />
und<br />
Angelika Zilberman<br />
a.zilberman@ikg-wien.at<br />
Das Gener<strong>als</strong>ekretariat ist unter<br />
01/53 104 – DW 105 oder DW 199<br />
täglich zwischen 8.00 Uhr und 16.00<br />
Uhr erreichbar.<br />
©A.Rausch<br />
„Das nächste<br />
Budget ist immer<br />
das schwierigste“<br />
Angesichts der allgemein<br />
schwierigeren wirtschaftlichen<br />
Lage und der allseits spürbaren<br />
Teuerungen muss auch von der<br />
Kultusgemeinde jeder Euro zwei<br />
Mal umgedreht werden.<br />
Friedrich Herzog sorgt <strong>als</strong><br />
Gener<strong>als</strong>ekretär für kaufmännische<br />
Agenden dafür, dass<br />
am Ende eines jeden Jahres<br />
dennoch ausgeglichen bilanziert<br />
wird. Diesen Kurs hat sich die<br />
Kultusgemeinde nach der Krise<br />
von 2003 selbst verordnet.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Zehn millionen Euro stehen der Kul tus -<br />
gemeinde derzeit im Jahr an Bud get -<br />
mittel zur Verfügung. Sechs milli o nen<br />
davon werden über die immo bi lien -<br />
tä tigkeit der iKG erwirtschaftet, weitere<br />
1,2 millionen kommen über diverse<br />
Subventionen von der öffentlichen<br />
Hand. Die restlichen 2,8 millionen<br />
Euro werden über die Kultusbeiträge,<br />
Einnahmen aus Beerdigungen, Spen -<br />
den und Fundraising sowie teilweise<br />
aus internen Verrechnungen (beispielsweise<br />
die Buchhaltung und<br />
Lohnverrechnung von der iKG nahe<br />
stehenden Vereinen und Firmen) eingenommen,<br />
erläutert Herzog die<br />
Einnahmenseite.<br />
Die Hälfte des Budgets wird auf Aus -<br />
ga benseite für Personalkosten ausgegeben,<br />
denn „die Kultusgemeinde ist<br />
ein Dienstleistungsbetrieb“. Rund 16<br />
Prozent gingen in Form von Sub ven -<br />
tio nen an jüdische Vereine und Orga -<br />
ni sationen, zehn Prozent würden für<br />
Soziales aufgewandt. „Die Zahl der Be -<br />
dürftigen ist leider im Steigen begriffen“,<br />
sagt Herzog dazu, „das hängt na türlich<br />
mit der wirtschaftlichen Situation zu sam -<br />
men“. Von den rund 8.000 mit glie dern<br />
würden derzeit 2.000 in irgendeiner<br />
Form unterstützt – sei es durch direkte<br />
finanzielle Hilfe oder aber auch durch<br />
beispielsweise Betreuung im Sozial -<br />
hil fezentrum ESRA. Rund ein Viertel<br />
des iKG-Budgets fließe in Sachaufwen<br />
dungen, <strong>als</strong>o Kosten für die in fra -<br />
struktur der Kultusgemeinde, die<br />
Zeitung, Veranstaltungen und vieles<br />
mehr, aber auch in Büromaterial,<br />
mieten, Telefonkosten und Ähnliches.<br />
6 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
Die große Bedeutung des immo bi li en -<br />
bereich <strong>als</strong> Einnahmequelle der iKG<br />
spiegelt sich auch in den weiteren<br />
Funk tionen Herzogs wieder. Als Ge ne -<br />
r<strong>als</strong>ekretär für kaufmännische Agen -<br />
den ist er sowohl Co-Geschäfts füh rer<br />
in der Wohnheimver waltungs ge sell -<br />
schaft <strong>als</strong> auch in der Realitäten Er hal -<br />
tungs- und Verwaltungsge sell schaft.<br />
Bei letzterer handelt es sich um einen<br />
Wirtschaftsbetrieb, der „Fremd häu -<br />
ser“, <strong>als</strong>o Gebäude, die sich nicht im<br />
Eigentum der Kultusgemeinde be fin -<br />
den, verwaltet. Die Wohnheim ver -<br />
waltungsgesellschaft wiederum be -<br />
treut und verwaltet 19 Wohnheim in<br />
Wien, die der iKG gehören. Darunter<br />
finden sich Senioren- ebenso wie Studenten-<br />
und Singleheime. „Dort gibt<br />
es relativ kleine Garçonnieren mit bis zu<br />
40 Quadratmeter“, erläutert Herzog.<br />
Trotz des gewinnbringenden immo -<br />
bi lien bereichs sieht sich auch die iKG<br />
mit Kosten, die stärker <strong>als</strong> die Ein -<br />
nah men steigen, konfrontiert, nicht<br />
zuletzt durch „die wachsenden An sprü -<br />
che einer wachsenden Gemeinde“. Das<br />
nächste Budget sei daher „immer das<br />
schwierigste – <strong>als</strong>o jetzt das von <strong>2009</strong>“.<br />
im Rückblick würden Krisen aber<br />
auch zusammenschweißen, meint<br />
Herzog. „Als die Finanzkrise 2003 ausgebrochen<br />
ist, war das im Moment eine<br />
wahnsinnig grausliche Zeit. Wir mussten<br />
dam<strong>als</strong> schließlich überlegen, wen wir<br />
kündigen müssen. Aber aus heutiger Sicht<br />
hat das den Zusammenhalt im Team ge -<br />
stärkt. Es hätte ja auch jeder sagen können<br />
– nichts wie weg.“<br />
Herzog unterstreicht grundsätzlich<br />
die Wichtigkeit des Teamgedankens:<br />
große Stütze seien ihm Harald Sasse<br />
<strong>als</strong> Leiter des Rechnungswesens und<br />
Controllings sowie dessen Team, die<br />
Personalverrechnung unter der Lei -<br />
tung von Claudia Mandl, die immo bi -<br />
li enverwaltung unter der Führung von<br />
Ronald Geissler, die immobilienent -<br />
wick lung unter der Leitung von<br />
Martin Eck, die Juristin Bettina Schabel<br />
und das EDV-Team mit Markus<br />
Ivankovic an der Spitze. im Sekretariat<br />
stehen Herzog Doris Zimmermann,<br />
Ursula König und Angelika Zilberman<br />
zur Seite.<br />
Wichtig sei in einer non-Profit-Orga -<br />
nisation wie der Kultusgemeinde<br />
aber auch das Zusammenspiel zwischen<br />
haupt- und ehrenamtlichen<br />
mitarbeitern. Warum er sich <strong>als</strong> Wirt -<br />
schaftsexperte für eine Aufgabe in<br />
einer solchen non-Profit-Organi sation<br />
entschieden habe? „Es geht hier um<br />
Menschen und nicht um Aktien kur se“,<br />
sagt Herzog. Es gehe nicht darum,<br />
noch ein paar tausend Euro mehr Ge -<br />
winn zu machen, sondern „für die<br />
Menschen da zu sein und für diese das<br />
bestmögliche herauszuholen“. „Wichtig<br />
ist nicht der Shareholder-Value, sondern<br />
der Stakeholder-Value.“ Und es gehe<br />
auch um die langfristige Sicherung der<br />
institution, denn „die Kultusge meinde<br />
muss es in 100 Jahren auch noch geben“.<br />
Damit sei „auch die Sinnfrage beantwortet“.<br />
zur Person<br />
friedrich herzog, geb. 1955 in<br />
Wien, HTL für maschinenbau,<br />
anschließend Betriebs wirtschafts -<br />
stu dium an der Wirtschafts uni ver -<br />
sität Wien, dabei Spezialisierung<br />
auf die Bereiche Beratung und<br />
Controlling. Zunächst im Auto -<br />
haus Tarbuk, später im Banken sek -<br />
tor für eine Tochter der damaligen<br />
Zentr<strong>als</strong>parkasse tätig (Be reich<br />
Unternehmensbeteili gun gen). Seit<br />
1991 <strong>als</strong> Controller in der iKG tä -<br />
tig. 2005 zum Gener<strong>als</strong>ekretär für<br />
kaufmännische Agenden bestellt.<br />
Wien fördert künftiges<br />
Wiesenthal-Institut<br />
mit 1,3 Mio. Euro<br />
Der Wiener Gemeinderat hat eine über<br />
mehrere Jahre laufende Subvention<br />
für den Verein „Wiener Wiesenthal In sti -<br />
tut für Holocaust Studien“ be schlos sen.<br />
insgesamt werden für den Aufbau des<br />
institutes 1,3 mio. Euro bis ins Jahr<br />
2011 zur Verfügung gestellt, so Kul -<br />
turstadtrat Andreas mailath-Pokorny<br />
in einer Aussendung.<br />
Die Stadt Wien, die sich immer für ein<br />
Simon Wiesenthal Institut in Wien ausgesprochen<br />
hat, stellt nun auch die finanzi ell e<br />
Unterstützung dafür bereit“, be tonte<br />
mailath-Pokorny: „Das ist ein wichtiger<br />
Schritt für die Verwirklichung eines<br />
Projektes, das sich auch mit dunklen Ka pi -<br />
teln der österreichischen Vergangenheit,<br />
insbesondere mit der Täterseite, beschäftigt.“<br />
Gleichzeitig werde dadurch dem<br />
Lebenswerk von Simon Wiesenthal<br />
Rech nung getragen. „Nun ist der Bund<br />
gefordert, seine Aufgabe <strong>als</strong> Gesamt ko or -<br />
di nator wahrzunehmen und endlich die<br />
De tails in Sachen Betriebsfinanzierung<br />
und Adaptierung der Bundesimmobilie zu<br />
klären“, so der Wiener Kultur stadt rat.<br />
Konzipiert ist es laut mailath-Pokor ny<br />
<strong>als</strong> internationales Forschungs zen -<br />
trum. im Zen trum stehen die Er for -<br />
schung, Do kumentation und Ver mitt -<br />
lung all je ner Fragen, die Antisemi tis -<br />
mus, Ras sismus und den Holocaust<br />
betreffen.<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 7
POLITIK • INLAND<br />
Ist Martin Graf<br />
rücktrittsreif?<br />
POLITIK<br />
@Mike Ranz<br />
Das Ergebnis der aktuellen OGm-<br />
Um frage für das Wirtschaftsmagazin<br />
FORmAT ergab, das 40% der Be frag -<br />
ten sagen, Graf soll zurücktreten, 32%<br />
sagen Graf soll <strong>als</strong> Präsident im Amt<br />
bleiben und 27% wollen sich zu der<br />
Frage nicht äußern.<br />
Graf war in den letzten Wochen unter<br />
Druck geraten, nachdem bekannt ge -<br />
worden war, dass seine beiden mitar -<br />
bei ter auf rechtsextremen Seiten im<br />
internet Artikel und Accessoires be -<br />
stellt hatten, sowie an rechtsextremen<br />
Veranstaltungen teilgenommen ha ben.<br />
Graf hat sich daraufhin in einer Er -<br />
klärung von nation<strong>als</strong>ozialismus dis -<br />
tanziert.<br />
Deutliche Worte Fischers<br />
Bundespräsident Heinz Fischer hat<br />
nach den Rechtsradikalismus-Vor -<br />
wür fen gegen zwei der parlamentarischen<br />
mitarbeiter des Dritten natio -<br />
nal ratspräsident martin Graf (F) er -<br />
klärt, ihm wäre lieber, „wenn es dieses<br />
Thema nicht gäbe“. Gegenüber dem<br />
‘Standard’ meinte er, es müsse zwar<br />
klar sein, dass in Österreich „Platz für<br />
sehr unterschiedliche politische Mei nun -<br />
gen" sei, aber es müsse „Grenzen ge ben“:<br />
„Auch der geringste Rest nation<strong>als</strong>ozialistischer<br />
Gesinnung hat in Österreich<br />
nichts verloren“.<br />
Grundsätzliche warnte der Präsident<br />
vor jeder nähe zu nS-Gedankengut:<br />
“Beim Gedankengut der NS-Zeit genügt<br />
es nicht, nur zu sagen, das darf nie wieder<br />
passieren. Das ist ja selbstverständlich.<br />
Man darf da nicht einmal anstreifen“. Ge -<br />
fragt, ob man „rechte Umtriebe“ hin -<br />
nehmen müsse, sagte Fischer: „Nein,<br />
wenn dadurch Gesetze verletzt werden.<br />
Ansonsten muss man sich energisch politisch<br />
zur Wehr setzen“.<br />
Dass man mit der Wahl Grafs ein Pro -<br />
blem geschaffen habe, sieht Fischer<br />
nicht so: „Man darf doch erwarten, dass<br />
jemand, der in das Präsidium des Natio -<br />
nal rates gewählt wird, auch ungeschriebene<br />
Spielregeln beachtet“.<br />
Fragen zum Nazi-Dreck<br />
„Wieso braucht Graf so lange für eine<br />
Antwort? Wieso entschuldigen sich die<br />
Mitarbeiter nicht für ihr Tun? Wieso findet<br />
er kein Wort der Kritik für seine Mit -<br />
ar beiter - oder für sich? Warum trennt er<br />
sich nicht von ihnen - oder das Amt von<br />
sich? Warum distanzieren sich SPÖ und<br />
ÖVP nicht einmütig vom nicht abwählbaren<br />
Graf? Man könnte auch - ganz<br />
unösterreichisch - fragen: Wieso haben<br />
sie Graf überhaupt gewählt und dem Land<br />
wieder Fragen zum Umgang mit Nazi-<br />
Dreck beschert?“ so Andreas Schwarz<br />
in seinem ‘Kurier’-Kom mentar vom<br />
9. <strong>Januar</strong>.<br />
„In einem anderen Land müsste ein solcher<br />
Parlamentspräsident zurück treten.<br />
Aber Politiker von SPÖ und ÖVP geben<br />
sich mit dieser Erklärung Grafs zufrieden“,<br />
schreibt ‘Standard’-Chef redakteurin<br />
Alexandra Föderl-Schmid.<br />
„Das ist skandalös. Einzig Bundes prä -<br />
sident Heinz Fischer be ton te, dass es nicht<br />
reiche, sich vom Ge dankengut der NS-Zeit<br />
zu distanzieren. Man dürfe nicht einmal<br />
an streifen. Aber in Österreich dürfen<br />
Men schen mit einer solchen Ge sin nung<br />
im Parlament arbeiten. Nicht nur das<br />
An se hen des Hohen Hauses, das des ganzen<br />
Landes ist beschädigt. Und zwar auch<br />
durch jene, die Graf gewählt haben.“ red<br />
8 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
POLITIK • INLAND<br />
RFJ- Antisemitismus muss Folgen haben<br />
Anti-Israel-Hasstiraden des Tiroler RFJ sind Ausdruck<br />
der ideologischen Grundrichtung in der FPÖ<br />
Die Berichterstattung der Tiroler Ta -<br />
ges zeitung über die Hasstiraden<br />
gegen israel auf der Homepage des<br />
RFJ Tirol zeigt für Wolfgang Moitzi,<br />
Vorsitzenden der Sozialistischen Ju -<br />
gend Österreich, und Marko Mi lo ra -<br />
dovic, Vorsitzenden der JUSOS Tirol,<br />
einmal mehr, dass es sich bei der<br />
Jugendorganisation der FPÖ um ein<br />
Prominenter Imam hetzt in<br />
Wiener Moschee gegen Israel<br />
Der prominente Wiener Imam Adnan<br />
Ibrahim hat beim Freitagsgebet in der<br />
Schura-moschee im Bezirk Leopold -<br />
stadt gegen israel gehetzt und die is -<br />
la mistische Hamas offen unterstützt,<br />
berichtete die Tageszeitung ‘Der<br />
Standard’. ibrahim kritisierte demnach,<br />
dass die Hamas <strong>als</strong> Terror grup -<br />
pe gebrandmarkt werde, während sie<br />
„in Wahrheit für uns alle Widerstand<br />
leistet“. Lob zollte der Prediger, der in<br />
Gaza geboren wurde und seit 1995 in<br />
Wien lebt, auch dem iran, weil dieser<br />
seit der Revolution des Ayatollah<br />
Kho meini „gegen Amerika und den Zio -<br />
nismus“ auftrete. „Israel ist die eigentliche<br />
Bestie, Israel ist der Verbrecher“, sag te<br />
Adnan ibrahim, eine Art Starprediger<br />
der Wiener muslime. Der „Standard“<br />
kam mit Dolmetscherin und hörte zu.<br />
Die USA geißelte der imam, weil sie<br />
dem nahen Osten das „US-zionistische<br />
Projekt“ aufzwinge, den französischen<br />
Präsidenten nicolas Sarkozy,<br />
weil er die Hamas <strong>als</strong> Terroristen ab -<br />
stem ple. Auch der ägyptische Präsi -<br />
dent Hosni mubarak wurde mit viel<br />
Kritik bedacht. Dazu beklagte ibra him<br />
die Übermacht des „starken, weißen<br />
Mannes“ und rief die muslime zu So -<br />
li darität mit Palästina, irak, Af gha nis -<br />
tan und iran auf: „Ich sehe eine letzte<br />
furchterregende Prüfung für uns. Aber<br />
wir sind jetzt eine Gemeinschaft, und die<br />
Gemeinschaft wird siegen.“<br />
IKG-Präsident verlangt<br />
Suspendierung<br />
Der Präsident der israelitischen Kul -<br />
Sammelbecken von Antise mi ten und<br />
anderen ideologischen Ver ir run gen<br />
handelt: „Es vergeht keine Woche, ohne<br />
dass sich FPÖ-Spit zenpolitiker von Äußerungen<br />
oder Handlungen ihrer Jung funk -<br />
tio näre distanzieren müssen. Es ist schon<br />
lang sam offensichtlich, dass es sich dabei<br />
um keine Ausnahmen, sondern um die<br />
Re gel handelt. Die jüngsten Hass ti ra den<br />
tus gemeinde (iKG), Ariel Muzicant, hat<br />
die Suspendierung des umstrittenen<br />
imams gefordert. „Würde ein Rabbiner<br />
innerhalb der jüdischen Gemeindehäuser so<br />
sprechen, wie das dieser Imam getan hat, er<br />
wäre in dieser Se kunde seinen Job los“,<br />
sagte muzicant im ‘Ö1-morgen jour -<br />
nal’. Er warnte auch davor, dass der<br />
nahost-Konflikt nach Österreich überschwappt<br />
und forderte die islamische<br />
Glaubens ge meinschaft auf, stärker zu<br />
deeskalieren.<br />
Der integrationsbeauftragte der is la -<br />
mischen Glaubensgemeinschaft, Omar<br />
Al-Rawi, bezweifelte seinerseits, dass<br />
diese Aussagen tatsächlich so getätigt<br />
wor den sind. Auch müsse man die<br />
persönliche Situation Adnan ibrahims<br />
mit bedenken, der im Gaza-Streifen<br />
drei Angehörige verloren habe. Und<br />
drittens: Alle Religionsgemein schaf ten<br />
würden sich immer wieder politisch<br />
äußern: „Die Kultusgemeinde positioniert<br />
sich dauernd politisch in Richtung Israel.<br />
Der Papst hat sich einmal gegen den Irak-<br />
Krieg positioniert, Kardinal Schön born hat<br />
sich für die Christen im Irak positioniert.“<br />
Al-Rawi meinte das Wort „Bestie“<br />
sei eine „deutliche Fehlübersetzung“,<br />
das arabische Wort hätte mit „wild und<br />
un menschlich“ übersetzt werden müssen.<br />
Die von Ariel muzicant geforderte<br />
Sus pendierung des imams wä re<br />
recht lich nicht möglich, so Al-Rawi.<br />
Der imam sei nicht bei der isla mi schen<br />
Glau bensgemeinschaft be schäftigt,<br />
des halb sei eine Sus pen dierung gar<br />
nicht möglich, erklärte Al-Rawi. red<br />
der beiden RFJ-Mitglieder gegen Israel<br />
müssen Konsequenzen haben,“ fordern<br />
moitzi und miloradovic den Rück tritt<br />
von RFJ-Obmann Patrick Hasel-wanter.<br />
moitzi: „Dieses Pamphlet von RFJ-<br />
Funk tionären strotzt nur so vor Ge -<br />
schicht s verdrehung und NS-Verharm lo -<br />
sung. Die Politik Israels mit den Ver bre -<br />
chen der 30er Jahre zu vergleichen, ist ein<br />
unglaublicher Affront. Genauso ist es<br />
un fassbar, <strong>als</strong> Österreicher die Existenz -<br />
berechtigung des Staates Israel in Frage zu<br />
stellen. Die Argumentation und Be-grif fe,<br />
die die Autoren des Textes verwenden, reihen<br />
sich jedenfalls nahtlos in rechtsextreme<br />
Hetzpapiere von NPD und Co. ein.“<br />
Als „doppelzüngig“ bezeichnet der<br />
miloradovic die Reaktion des Lan des -<br />
ob mannes der FPÖ, Gerald Hauser:<br />
„Hauser braucht gar nicht erst anfangen,<br />
sich zu empören. Die Mutterpartei gibt<br />
der Jugendorganisation immer gewisse po -<br />
litische und ideologische Rahmen be din -<br />
gungen vor, in der sie sich bewegen kann.<br />
Und wenn sich nun der RFJ in an ti se mi -<br />
ti schem Gefilde bewegt, dann hat das<br />
auch mit der Politik der FPÖ zu tun.<br />
Man denke dabei an einen der höchsten<br />
Repräsentanten der Republik, Martin<br />
Graf, und seine Mitarbeiter, die Reichs -<br />
kriegsflaggen, "Ich bereue Nichts!"-But -<br />
tons und Landser-CD´s zu Hause horten.<br />
Der freiheitliche Parteiobmann will sich<br />
in Wirklichkeit aus seiner Verantwor tung<br />
stehlen, ein paar RFJler über die Klippe<br />
springen lassen, damit bald Gras über die<br />
Sache wächst und sein Hemd weiß bleiben<br />
kann." kritisiert miloradovic die<br />
„Aufarbeitung von braunen Kolla -<br />
ter<strong>als</strong>chäden“ in der FPÖ<br />
SJÖ<br />
Die internationale jüdische<br />
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Weber José<br />
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<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 9
POLITIK • INLAND<br />
Islamische Glaubensgemeinschaft für<br />
„pragmatischen Umgang“ mit IKG<br />
„Selbstverständlich solidarisch“ mit pa läs tinensischer Bevölkerung<br />
Die islamische Glaubensgemein schaft<br />
in Österreich (iGGiÖ) hat ihr Ver hält -<br />
nis zur israelitischen Kul tus ge mein de<br />
(iKG) im Hinblick auf den nahost -<br />
kon flikt klargestellt. „Das offene Ein ge -<br />
stehen, dass die Haltungen diametral entgegengesetzt<br />
sind“, solle einen prag ma -<br />
tischen Umgang nicht verhindern,<br />
hieß es in einer offiziellen Stel lung -<br />
nah me.<br />
im nahost-Konflikt selbst zeig te sich<br />
die muslime-Vertretung „selbstverständlich<br />
solidarisch“ mit der palästinensischen<br />
Bevölkerung. „Der Kon flikt<br />
wird von uns und von hier aus nicht lösbar<br />
sein“, betonte die iGGiÖ, Emo -<br />
tionen zu schüren sei der Sache der<br />
Pa läs ti nenser nicht dienlich. Und wei -<br />
ter: „In diesem Zusammenhang betonen<br />
wir, dass wir jüdische Bürgerinnen und<br />
Bürger in Österreich aus dem Nahost -<br />
kon flikt heraushalten wollen. Sie dürfen<br />
für die Po litik Israels nicht verantwortlich<br />
gemacht werden. Dies ist inzwischen<br />
eine muslimisch-jüdische österreichische<br />
Tradition und dabei soll es bleiben. Sip -<br />
penhaftung ist in jeder Form abzulehnen.“<br />
Die iGGiÖ appellierte an die medien,<br />
„so wie wir Konflikte nicht importieren<br />
wollen, diese auch nicht ‘herbeizuschreiben’“.<br />
Als „religiöse, eigenständige und<br />
ös terreichische Institution“ betonte man<br />
auch die „Unabhängigkeit von jeglichem<br />
Einfluss ausländischer Parteien oder<br />
Interessenvertretungen“.<br />
APA0<br />
Schnell-Auftritt bei<br />
deutscher<br />
Rechtspartei<br />
Wie das nachrichtenmagazin ‘profil’<br />
in seiner am 19. <strong>Januar</strong> erschienenen<br />
Ausgabe berichtete, trat der Salz bur -<br />
ger FPÖ-Obmann Karl Schnell am 21.<br />
Juni des Vorjahres bei einer Ver an stal -<br />
tung der nationalistischen deutschen<br />
Rechts partei „Die Republikaner“ auf.<br />
Schnell war <strong>als</strong> Gastredner zum Eu ro -<br />
pakongress der „Republikaner“ im<br />
bay ri schen Rosenheim geladen. Laut<br />
‘profil’ warnte Schnell in seiner An -<br />
spra che vor „so genannten Rechts par -<br />
teien der Mitte wie CDU, CSU und<br />
ÖVP“. Diese seien schuld daran, dass<br />
mittlerweile „der Schwarzafrikaner in<br />
Lederhose in München <strong>als</strong> Kellner die Maß<br />
Bier“ bringe. neben Karl Schnell trat<br />
bei der Veranstaltung auch Filip De -<br />
winter auf, Chef des rechtsextremen<br />
flämischen „Vlaams Belang“.<br />
„Nationale Medienfront“ ruft zu Demo am 18. April <strong>2009</strong> in Braunau auf<br />
Laut DÖW rechtsextreme NVP <strong>als</strong> Urheber<br />
Eine „nationale medienfront“ ruft<br />
unter dem motto „Mehr Demokratie -<br />
ge gen totalitäre Systeme. Zum Gedenken<br />
der 100 Millionen Opfer des Kom mu nis -<br />
mus“ zu einer Demonstration am 18.<br />
April <strong>2009</strong> in Braunau am inn auf.<br />
Urheber des Aufrufs dürfte die<br />
nationale Volkspartei (nVP) sein.<br />
Der Domain-inhaber der Homepage<br />
der nationalen medienfront ist derselbe<br />
wie der der nVP-Website. Und<br />
dabei handelt es sich um keinen Un -<br />
be kannten in Österreichs rechtsextremen<br />
und neonazistischen Kreisen.<br />
Als maßgebliches mitglied der laut<br />
Dokumentationsarchiv des Österreichischen<br />
Widerstandes (DÖW) neonazistischen<br />
Kameradschaft Germania<br />
hatte der in Uttendorf in der nähe<br />
Braunaus lebende Aktivist schon 2002<br />
zur Demo gegen die Wehr machts -<br />
ausstellung in Wien aufgerufen, zu<br />
der zahlreiche Rechts extremisten aus<br />
dem in- und Ausland erschienen wa -<br />
ren. nach der Kund gebung am Hel -<br />
denplatz waren neonazis Parolen wie<br />
„Sieg heil“ skan dierend durch die<br />
Wiener innenstadt gezogen. Die NVP<br />
wiederum wird vom DÖW <strong>als</strong> rechtsextrem<br />
mit Berührungspunkten zum<br />
neona zis mus eingestuft.<br />
Dass die Demo am 18. April und in<br />
Braunau stattfinden soll, ist natürlich<br />
kein Zufall, und das in zweierlei Hin -<br />
sicht. Erstens wurde Adolf Hitler am<br />
20. April in Braunau geboren, was die<br />
Gemeinde am inn automatisch zu ei -<br />
nem sehr symbolträchtigen Ort macht.<br />
Zweitens findet in diesen Ta gen traditionellerweise<br />
eine Demon stra tion<br />
gegen Faschismus und na tio n<strong>als</strong>o zia -<br />
lis mus statt, im kommenden Jahr<br />
eben für den 18. April angekündigt.<br />
Zusätzliche Brisanz erhält der Auf -<br />
ruf nicht zuletzt durch den Anschlag<br />
auf den Passauer Polizeichef Alois<br />
mannichl, der mutmaßlich von einem<br />
neo na zi verübt wurde. Der oder die<br />
Täter dürften auch über gute Verbin -<br />
dun gen nach Österreich, besonders<br />
nach Oberösterreich verfügen. neben<br />
der nVP ist der Bund freier Jugend<br />
(BfJ) besonders aktiv, überhaupt nach<br />
dem Frei spruch für drei seiner führenden<br />
mitglieder vom Vorwurf der<br />
Wiederbetätigung in Wels. nach den<br />
Freisprüchen hatten oberösterreichische<br />
Politiker wie der men schen rechts -<br />
sprecher der Landes-Grünen, Gun ther<br />
Trübswasser, der Sprecher des „netz -<br />
werkes gegen Rechtsextremismus“,<br />
Robert Eiter, sowie der Welser Bür ger -<br />
meister Peter Koits (S) morddro hun gen<br />
erhielten. Auch Personen, die seit Jah -<br />
ren in der Szene intensiv recherchieren,<br />
wurden bedroht.<br />
in Braunau selbst gibt es seit einiger<br />
Zeit eine heftige Diskussion um ein<br />
Tex tilgeschäft, in dem Kleidung der<br />
in rechtsextremen Kreisen symbolträchtigen<br />
ostdeutschen marke „Thor<br />
Steinar“ verkauft wird. Die Sozialis ti -<br />
sche Jugend (SJ) rief bei einer Presse -<br />
konferenz zu einem Aktionstag unter<br />
dem motto „Nazifreie Zone - Thor-Stei -<br />
nar-Shops schließen!“<br />
Wolfgang moit zi, Vorsitzender der<br />
Sozialis ti schen Jugend Österreich<br />
(SJÖ): „Thor-Steinar gilt unter Neonazis<br />
<strong>als</strong> Trendkleidung und Identitätsstiftung.<br />
In vielen deutschen Städten wurden die<br />
Shops nach Protesten geschlossen, auch<br />
im deutschen Bundestag ist das Tragen<br />
dieser Kleidung verboten. Deswegen fordern<br />
wir die sofortige Schließung des<br />
Shops in Braunau!“<br />
APA<br />
10 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
WIRTSCHAFT • INLAND<br />
Schienen<br />
nach China<br />
©Reinhard Engel<br />
Verstopfte Seehäfen und eilige Kun -<br />
den lassen den Bahn-Transport aus<br />
Asien im mer interessanter werden.<br />
Ein Un ter neh men mit Sitz in Wien<br />
hat dabei die Nase vorn.<br />
VON REINHARD ENGEL<br />
„Momentan halten wir bei 20 bis 22<br />
Tagen, aber wir lernen immer noch dazu.<br />
Es sollen 15 bis 18 Tage werden.“ Robert<br />
Gerendas ist Aufsichtsrat und mit be -<br />
sitzer der „Far East Land Bridge“.<br />
Sein Unternehmen führt derzeit alle<br />
sieben bis zehn Tage je einen Con tai -<br />
ner-Zug von nordchina nach mittel -<br />
europa und umgekehrt. Auf dem<br />
Seeweg wären die Güter inklusive<br />
Landtransport vom Hafen zum Kun -<br />
den rund sechs Wochen unterwegs.<br />
Ab Frühjahr <strong>2009</strong> will die Deutsche<br />
Bahn gemeinsam mit der russischen<br />
regelmäßig Container via Transsi bi ri -<br />
sche Eisenbahn aus Südchina nach<br />
Ham burg fahren, zwei Probezüge wa -<br />
ren schon über Weißrussland und Po -<br />
len unterwegs. Die „Far East Land<br />
Brid ge“ hat bereits mehr Praxis:<br />
Schon im Vorjahr konnte sie immerhin<br />
20 Züge quer durch Asien und<br />
Osteuropa schleusen, bis Ende <strong>2009</strong><br />
soll dann täglich ein Container-Trans -<br />
port pro Richtung unterwegs sein.<br />
Fünf Jahre arbeitete der Chemiker<br />
und frühere Ost-Händler Gerendas<br />
mit Partnern aus London und Prag an<br />
dem Konzept der Landverbindung in<br />
den Fernen Osten. immer wieder<br />
scheiterte man an der unwilligen russischen<br />
Staatsbahn RZD. Als dort vor<br />
zweieinhalb Jahren ein neuer Gene ral -<br />
direktor an die Spitze kam, tat sich<br />
ein Zeitfenster auf. Das Unternehmen<br />
ist in Zypern eingetragen, die Verwal -<br />
tungszentrale der 30-mitarbeiter-Fir -<br />
ma befindet sich in Wien, mitten im<br />
europäischen Teil des Ziel-marktes.<br />
Für die Transportverbindung gibt<br />
es auf beiden Seiten keine fixen End -<br />
punkte. in China sammelt die dortige<br />
Staatsbahn die Container an unterschiedlichen<br />
Punkten ein, ge bündelt<br />
werden diese an der Grenze zu Russ -<br />
land, wo auf Breitspur umgeladen<br />
wird. Dann fährt der Zug, bewacht<br />
von einem eigenen Begleiter, auf der<br />
Strecke der Transsibirischen Eisen -<br />
bahn, der lokale Partner ist Trans Con -<br />
tainer, eine Tochter von RZD. Stopps<br />
gibt es nur an den vorgeschriebenen<br />
Orten zum Lokomotiv-Wechsel, von<br />
zahlreichen Kontrollpunkten aus mel -<br />
den die Container elektronisch mit tels<br />
Barcode-Lesern ihre jeweilige Posi ti on.<br />
Südlich von moskau zweigt dann die<br />
Strecke Richtung Ukraine ab. An der<br />
Grenze zu Ungarn wird wieder um ge -<br />
laden, auf europäische normal spur.<br />
Schließlich geht es mit der Raa ber bahn<br />
bis Sopron, dort übernimmt die Rail<br />
Cargo Austria die Waggons, um sie<br />
entweder an unterschiedliche Des ti na -<br />
tionen in Österreich oder Süd deutsch -<br />
land zu bringen, oder <strong>als</strong> ganzen Block -<br />
zug zum Kunden zu schleppen. ><br />
Transsibirien-Express Rossija<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 11
POLITIK • INLAND<br />
> Kundennamen will Gerendas<br />
keine nennen, aber allzu schwer ist es<br />
nicht, zu erkennen, wer der österreichische<br />
Feuerfest-Spezialist ist, der<br />
auf diese Weise magnesit aus China<br />
ordert. meh rere süddeutsche Auto mo -<br />
bilher steller haben erste Probe-Con -<br />
tai ner nach China geschickt, große<br />
möbel häu ser lassen in der umgekehrten<br />
Rich tung Waren transportieren.<br />
Jetzt verhandelt Far East Land Bridge<br />
vor allem mit den asiatischen Auto -<br />
her stellern in Tschechien, Ungarn<br />
und der Slowakei. Selbst aus Japan<br />
und Ko rea ginge es schneller in der<br />
Kombination Schiff und Bahn im Ver -<br />
gleich zum reinen Seeweg.<br />
„Für uns sind vor allem Kunden in<br />
Mitteleuropa interessant, die in der Nähe<br />
keinen Hafen haben,“ so Gerendas. „Nach<br />
Hamburg oder Hannover brauchen wir<br />
nicht zu liefern.“ Die Spe diteure wa -<br />
ren der neuen Verbin dung zuerst<br />
eher skeptisch gegenüber ge standen,<br />
jetzt zeigen sie zunehmend mehr<br />
interesse, so Gerendas, auf Druck der<br />
Kunden,.<br />
Experten sehen in der Land ver bin -<br />
dung ein gewaltiges Potential. „Da gibt<br />
es riesige Chancen“, analysiert der ös -<br />
terreichische Ökonom Helmut Mee lich,<br />
der in Bratislava das Un-Büro für<br />
trans europäische Eisen bahn netze<br />
UnECE leitet. „Wir könnten zehn Li -<br />
nien brauchen.“ Wirklich gefährlich<br />
werden kann die Bahn dem Schiff<br />
freilich nicht: Gegenüber den derzeit<br />
18 bis 19 mio. Con tai nern, die jährlich<br />
zwischen Asien und Europa bewegt<br />
werden, befördert die direkte Land ver -<br />
bindung auch bei kräftigem Wachs -<br />
tum und mehreren Anbietern immer<br />
noch „Peanuts“ (Gerendas). •<br />
Täglich<br />
mehrfach<br />
aktualisiert!<br />
www. ikg-wien.at<br />
news<br />
events<br />
@ pinwand<br />
Oberösterreich intensiviert<br />
kulturelle Zusammenarbeit<br />
mit Israel<br />
Das Land Oberösterreich intensiviert<br />
seine kulturelle Zusammenarbeit mit<br />
is rael. Bei einem Besuch einer offiziellen<br />
Delegation sind im november Ko o -<br />
pe ra tio nen mit Bildungseinrich tun gen<br />
im Bereich musik vereinbart worden.<br />
Oberösterreich und israel haben 2004<br />
ein „memorandum of Understan ding“<br />
unterzeichnet. in diesem zwischen is -<br />
ra el und einem österreichischen Bun -<br />
desland in dieser Art einmaligen Ver -<br />
trag wurde eine Vertiefung der Ko o pe -<br />
ration im Kulturbereich vereinbart. Da -<br />
mit sollte dessen Brü cken funktion<br />
zum gegenseitigen Ver ständ nis, zum<br />
Ken nenlernen und zur ge gen seitigen<br />
Ak zeptanz genützt werden. Seither gab<br />
es einen regen Kulturaus tausch unter<br />
anderem mit Veran stal tun gen und<br />
Ausstellungen.<br />
nach längerer Vorarbeit haben LH-<br />
Stv. Franz Hiesl und die Rektorin der<br />
Anton Bruckner Privat Universität<br />
Linz, Marianne Betz in Jerusalem eine<br />
Grundsatz Verein ba rung über eine Zu -<br />
sammenarbeit mit der dortigen „Aca-<br />
demy of music and Dance“ unterzeichnet.<br />
Sie zählt rund 700 Stu den ten, die<br />
Bachelor- und master-Abschlüsse in<br />
musik, Tanz und musik-Bildung an -<br />
stre ben. Künftig soll es einen Aus tausch<br />
beider Bildungseinrichtungen geben<br />
und eine gegenseitige Teil nah me an<br />
wis senschaftlichen Veranstaltungen.<br />
Auch bei pädagogischen Pro gram -<br />
men soll zu sammengearbeitet werden.<br />
Ähnliches ist mit einer modellschule<br />
zur För derung von hochbegabten und<br />
mo ti vierten Jugendlichen in Jerusa -<br />
lem ge plant.<br />
•<br />
Ehrendoktorat für Bundespräsident Fischer<br />
in Israel<br />
Bundespräsident Heinz Fischer (r.), der Rektor der Universitaet Tel Aviv,<br />
Dani Leviathan (m.) und deren Präsiedent Zvi Galil am Dienstag, 16.<br />
Dezember 2008, bei der Verleihung eines Ehrendoktorates der Universitaet<br />
Tel Aviv an Bundespräsident Fischer im Rahmen eines Staatsbesuches in<br />
israel.<br />
in seiner Dankesrede widmete sich Fischer dem 90. Jahrestag der Grün -<br />
dung der Republik Österreich. Er wies dabei auch auf die mitverant wor -<br />
tung von Österreichern an den nS-Verbrechen hin, erinnerte aber gleichzeitig<br />
an die ös terreichischen Widerstandskämpfer. Zudem versicherte der<br />
Bundespräsident, das heutige Österreich unterscheide sich grundlegend<br />
von dem von 1918.<br />
Das Ehrendoktorat der weltweit größten jüdischen Universität hatten in die -<br />
sem Jahr unter anderem Friedensnobelpreisträger Eli Wiesel und der spanische<br />
Ar chitekt Santiago Calatrava erhalten.<br />
©APA/Roland Schlager<br />
12 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
POLITIK • INLAND<br />
Es geht ganz einfach – oder auch nicht<br />
Gedenktafel am Josefstädter Amtshaus<br />
Wer in Wien an seinem Wohnhaus eine<br />
Gedenktafel anbringen will, muss dies<br />
vorher behördlich genehmigen lassen.<br />
Oft ist dieses Verfahren sehr unkom pli -<br />
ziert. Manche Initiatoren wiederum verzweifeln<br />
angesichts der unüberwindbar<br />
anmutenden Widerstände. Dann ist<br />
Ideenreichtum gefragt.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Ein Bewohner des Hauses Rem -<br />
brandtstraße 33 in der Leopoldstadt<br />
besuchte 2006 das ehemalige Kon zen -<br />
tra tionslager Auschwitz. Auf Ausstel -<br />
lungs stücken kam ihm dabei mehrm<strong>als</strong><br />
ein Adressschild mit dem Ver -<br />
merk „Rembrandtstraße“ unter, er zählt<br />
Gerlinde Affenzeller, die ebenfalls in<br />
diesem Haus wohnt. Das brach te ihn<br />
auf die idee die Schick sa le der Juden,<br />
die während der nS-Zeit in seinem<br />
Wohnhaus lebten, zu recherchieren –<br />
und für die Deportierten und Er mor -<br />
deten eine Gedenktafel anzubringen.<br />
„Wir fanden das eine schöne Geste“,<br />
sagt Affenzeller, die bei der Orga ni sa -<br />
tion der Tafelanbringung half. Die ge -<br />
samte Hausgemeinschaft, es handelt<br />
sich dabei um die Eigentümer der<br />
insgesamt acht Wohnungen, sei dafür<br />
gewesen und man habe im meldeamt<br />
sowie im Dokumentationsarchiv des<br />
Österreichischen Widerstands (DÖW)<br />
zu recherchieren begonnen. „Dann<br />
sind Bedenken gekommen, dass das Haus<br />
sabotiert werden können, dass es rechtsradikale<br />
Hausbeschmierungen geben könn te.“<br />
Doch die Stimmung sei bald wieder<br />
ins Positive umgeschlagen.<br />
„Ab da ging eigentlich alles sehr schnell“,<br />
so Affenzeller. Da in dem Haus während<br />
des nS-Regimes Sammel woh -<br />
nungen eingerichtet worden wa ren,<br />
musste die heutige Haus ge mein schaft<br />
schließlich 28 namen in Stein meißeln<br />
lassen. Einer davon ist jener der Groß -<br />
mutter des britischen Schau spielers<br />
und Schriftstellers Stephen Fry. im<br />
Zug von Filmarbeiten für eine Doku -<br />
mentation suchte Fry auch persönlich<br />
das Haus auf. „Das war einfach eine to tal<br />
gute Begegnung – er hat sich so ge freut.“<br />
inzwischen hätten schon zwei weitere<br />
Verwandte Frys das Haus und seine<br />
Bewohner aufgesucht.<br />
im Grunde ist nicht viel zu beachten,<br />
wenn man – wie die Hausge mein -<br />
schaft der Rembrandtstraße 33 – eine<br />
Gedenktafel für nS-Opfer anbringen<br />
lassen will, die früher in diesem Ge -<br />
bäude gewohnt haben. Der erste<br />
Schritt ist die Zustimmung der Haus -<br />
inhabung im Fall eines mietshauses<br />
be ziehungsweise der Hausge mein -<br />
schaft im Fall eines Gebäudes mit Ei -<br />
gen tumswohnungen, sagt Renate Rapf<br />
aus dem Büro von Kultur stadt rat<br />
Andreas mailath-Pokorny.<br />
Verweigere der Hausbesitzer die<br />
An bringung der Tafel oder finde sich<br />
in der Hausgemeinschaft keine mehr -<br />
heit, gibt es die möglichkeit, sie vor<br />
der Fassade am Gehsteig am Grund<br />
der magistratsabteilung 28 zu errichten,<br />
erläutert Rapf. Drei solcher Tafeln<br />
beziehungsweise kleinen Denkmäler<br />
auf dem Gehsteig gibt es bereits in<br />
Wien: in der Schottenfeldgasse 60 und<br />
der neustiftgasse 92 in Wien-neubau<br />
sowie in der Servitengasse 6 in Wien-<br />
Alsergrund.<br />
Schritt nummer zwei: bei der ma -<br />
gis tratsabteilung (mA) 8, dem Wiener<br />
Stadt- und Landesarchiv, muss der<br />
Tex tent wurf eingereicht werden (mA<br />
8, zu Handen Dr. Karl Fischer, post@<br />
ma08.wien.gv.at). Diese gibt dann eine<br />
Stel lungnahme zu dem Text ab.<br />
Danach heißt es nur mehr, eine Ta -<br />
fel auszusuchen und anfertigen zu lassen<br />
– Stein und Plexiglas sind da bei<br />
die beliebtesten materialien. Zeit gleich<br />
soll an die mA 7, zu ständig für Kul -<br />
tur, ein formloses Schre iben „mit Pro -<br />
jekt beschreibung, Entwurf des Textes,<br />
genauen Angaben über Zeit und Ort der<br />
Anbringung mit Skizze, Maß- und Ma te -<br />
ri alangabe“ ge richtet wer den.<br />
nach Anbringung der Tafel muss<br />
der oder die Stifter einen ebenfalls<br />
form losen Antrag an die mA 7 „auf<br />
Übernahme in die denkmalpflegerische<br />
Obhutnahme“ stellen. Beiliegen muss<br />
dann eine Bestätigung über die<br />
Zustimmung der Hausin ha bung<br />
sowie die Stellungnahme der ma -<br />
gistratsabteilung 8 zum Text.<br />
Budgetmittel für die Errichtung von<br />
solchen Gedenktafeln sind seitens der<br />
Stadt übrigens keine vorgesehen. ins -<br />
gesamt habe es sich bewährt, wenn<br />
hier private Stifter wie Vereine oder<br />
Ko mitees aktiv würden, sagt Rapf. Da -<br />
durch werde auch vermieden, dass<br />
sich die Stadt dem Vorwurf der Be -<br />
vorzugung bestimmter Personen<br />
oder Ereignisse beziehungsweise der<br />
Vernachlässigung anderer aussetze.<br />
Die Grünen-Politikerin Doris mül ler<br />
erinnert sich an ein wesentlich längeres<br />
Verfahren. Der Bezirksvorsteher-Stell -<br />
vertreterin der Josefstadt war es ein<br />
Anliegen, im Bezirk auch der in der<br />
Josefstadt dem nS-Terror zum Opfer<br />
gefallenen menschen zu erinnern.<br />
im Jahr 2004 äußerten die Grünen<br />
das Ansinnen, am Josefstädter Amts -<br />
haus eine Gedenktafel an die Opfer des<br />
nation<strong>als</strong>ozialismus anzubringen. Ob -<br />
wohl alle politischen Frak tio nen im<br />
Bezirk dafür waren, kam es erst 2006 zu<br />
einer Einigung über den Text, „mit dem<br />
alle Parteien leben konnten“. Und es dau -<br />
erte weitere zwei Jah re, bis die Tafel<br />
endlich angebracht werden konnte.<br />
Denn das Amtsgebäude der Be zirks -<br />
vorstehung ist naturgemäß ein öffentliches<br />
Gebäude – weshalb es der Zu -<br />
stim mung der magistratsabteilung 34<br />
(Städtische Gebäudeverwaltung) be -<br />
durfte. Und diese ließ auf sich warten,<br />
denn die dort Zuständigen pochten<br />
auf Verständigung des Bundesdenk -<br />
mal amtes, da das Gebäude unter<br />
Denk m<strong>als</strong>chutz steht. Wenigstens sei<br />
von der für das Stadtbild zuständigen<br />
magistratsabteilung 19 kein Einwand<br />
gekommen, erinnert sich müller.<br />
Das Bundesdenkmalamt legte sich<br />
zunächst quer. Es dürfe an dem Ge -<br />
bäu de keine weitere Tafel angebracht<br />
werden, hieß es. Erst <strong>als</strong> die Bezirks -<br />
vor stehung einen Grafiker mit einem<br />
Entwurf für eine Plexiglastafel be trau -<br />
te und eine Fotomontage dieses Ent -<br />
wurfs, die zeigt, wie die Tafel an dem<br />
Gebäude aussehen würde, übermit -<br />
telte, gaben die Denkm<strong>als</strong>chützer<br />
schließlich ihre Einwilligung. „In zwi -<br />
schen hatten wir bereits das Jahr 2008“,<br />
so müller. Vergangenen Oktober wur -<br />
de die Tafel schließlich im Rah men<br />
eines feierlichen Festakts enthüllt. •<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 13
POLITIK • AUSLAND<br />
Rechtsextreme Ungarische Garde -<br />
Schießübungen mit scharfer Munition<br />
Trotz gerichtlichen Verbots in erster<br />
instanz ist die rechtsextreme Un ga ri -<br />
sche Garde weiter aktiv. Das „Györer<br />
Bataillon“ der paramilitärischen Trup -<br />
pe führte erstm<strong>als</strong> Schießübungen mit<br />
scharfer munition durch, berichtete<br />
die Tageszeitung „nepszabadsag“.<br />
Der sogenannte Kapitän der Ein heit<br />
in der westungarischen Stadt Györ,<br />
Da vid Karaffa, bezeichnete die Ak tion<br />
<strong>als</strong> „Pflege von Heerestraditionen“. Die<br />
Gardisten hätten lediglich auf Ton tau -<br />
ben geschossen, was jedem Bür ger er -<br />
laubt sei.<br />
Laut der internet seite der Un ga ri -<br />
schen Garde will die Einheit in Györ<br />
ihre Schießkünste in nächster Zu kunft<br />
Matthias Faust neuer Chef<br />
der rechtsextremen DVU<br />
Der langjährige Vorsitzende der<br />
rechts extremen Deutschen Volks uni on<br />
(DVU), Gerhard Frey, hat sich von der<br />
Parteispitze zurückgezogen.<br />
Zum nachfolger des 75-Jährigen<br />
wur de Matthias Faust (37) gewählt,<br />
teilte die Partei mit.<br />
Der Heraus ge ber der ultrarechten<br />
‘national-Zeitung’, Frey, habe bei ei -<br />
nem Bundesparteitag in magdeburg<br />
nicht mehr kandidiert. Der Parteitag<br />
stellte auch die Bundesliste zur Eu -<br />
ropawahl auf. Spitzenkandidatin ist<br />
Liane Hesselbarth<br />
weiter verbessern und diese „auf<br />
Meisterebene erhöhen“, zitiert das Blatt.<br />
Ein Aufruf der Garde spricht vom<br />
Schutz der nation mit „unserem Leben<br />
und unserem Blut“.<br />
Das Budapester Stadtgericht hatte<br />
im Dezember über den Trägerverein<br />
der Ungarischen Garde ein Verbot ver -<br />
hängt. Die Vereinigung jage der Ro ma-<br />
Bevölkerung und anderen min der hei -<br />
ten in Ungarn Angst ein und verstoße<br />
mit ihren Aktivitäten gegen das Ver -<br />
einsrecht, hieß es.<br />
Die im August 2007 gegründete Or -<br />
ganisation pflegt eine Hassrhetorik<br />
und marschierte uniformiert durch<br />
Sied lungen mit einem hohen Anteil an<br />
Roma-Bevöl ke rung, um gegen „Zi geu -<br />
ner krimi na li tät“ zu kämpfen, wie sie<br />
sagt.<br />
Der Chef der Ungarische Garde,<br />
zu gleich Vorsitzender der nicht im<br />
Par lament vertretenen rechtsextremen<br />
Partei Jobbik („Für ein besseres Un -<br />
garn“), Gabor Vona, betonte nach dem<br />
Ge richtsurteil, dass nur der Träger -<br />
ver ein der Ungarischen Garde verboten<br />
wor den sei, nicht aber die Bewe -<br />
gung selbst. Sie habe „keine juristische<br />
Form“ und könne so auch nicht<br />
aufge löst werden, erklärte Vona. Die<br />
Unga ri sche Garde sei „unauflösbar“<br />
und wer de ihre Tätigkeit mit dem Ziel<br />
„der Rettung der Nation und der Gesell -<br />
schaft“ fortsetzen.<br />
APA<br />
Gas unter dem Mittelmeer<br />
Die Noble Energy Inc. gab bekannt,<br />
dass bei einer Bohrung etwa 80 km<br />
vor der Küste Haifas drei riesige<br />
unterirdische Lager von naturgas<br />
ent deckt wurden. Für israel bedeutet<br />
dies das bisher größte gefundene<br />
Gasvorkommen, das sich auf etwa 88<br />
mrd. Kubikmeter belaufen und auch<br />
qualitativ sehr gut sein soll. Yitzhak<br />
Tshuva, der inhaber der israelischen<br />
Firma Delek Group Ltd., der diese<br />
Gasquelle gehört, ist der meinung,<br />
dass mit diesem Gasfund israels Wirt -<br />
schaft transformiert werden könnte.<br />
israels infrastrukturminister Ben-<br />
Elieser nannte den Fund historisch.<br />
Russland erwägt<br />
erstm<strong>als</strong> Kauf von<br />
Verteidigungstechnik<br />
aus Israel<br />
Russland erwägt erstm<strong>als</strong> den Kauf<br />
von Verteidigungstechnik aus israel.<br />
Wie der russische Gener<strong>als</strong>tabschef Ni -<br />
kolai Makarow der nachrichtena gen tur<br />
interfax im Dezember sagte, interessiert<br />
sich moskau für hochmoderne<br />
is raelische Aufklärungsdrohnen.<br />
„Wenn unsere Industrie nicht in der La -<br />
ge ist, in der nahen Zukunft die Droh nen<br />
zu produzieren, die wir brauchen, dann<br />
könnten wir zunächst zu Testzwecken einen<br />
Satz in Israel bestellen“, sagte ma -<br />
karow. Die Zeitung ‘Kommersant’<br />
berichtete, das russische militär habe<br />
Ende november Gespräche mit Ver -<br />
tre tern des israelischen Verteidi gungs -<br />
ministeriums und des Rüstungs un ter -<br />
nehmens israel Aerospace indus tries<br />
(iAi) geführt. Das Blatt erfuhr aus Ar -<br />
meekreisen, dass ein Auftrag an iAi<br />
für den Bau von Drohnen „fast si cher“<br />
sei. israelischen Presseberichten zu -<br />
fol ge beläuft sich die Kaufsumme auf<br />
umgerechnet 7,3 - 8,7 mio. Euro.<br />
Der rus sische Verteidigungsexperte<br />
Rus lan Puchow, Direktor des Centre of<br />
Analysis of Strategies and Tech nologies,<br />
sagte der nachrichtenagentur<br />
AFP, moskau habe noch nie zuvor mi -<br />
litärtechnik aus israel gekauft. „Das<br />
ist eine ziemlich gewagte Entschei dung“,<br />
sagte Puchow. Sowohl die US-Re gie -<br />
rung <strong>als</strong> auch die russische Rüstungs -<br />
industrie würden über den mögli chen<br />
israelisch-russischen Handel nicht<br />
glücklich sein. Rüstungs ge schäf te<br />
zwischen den beiden Ländern sind<br />
außerdem wegen der russischen Waf -<br />
fen verkäufe an israels Erzfeinde iran<br />
und Syrien ein heikles Thema.<br />
Wäh rend des Kaukasus-Krieges im<br />
vergangenen August konnte die georgische<br />
Armee den russischen Ein hei -<br />
ten dank ihrer Aufklärungsdrohnen<br />
aus israelischer Herstellung schmerzvolle<br />
Verluste zufügen. nach An ga ben<br />
der Zeitung ‘Kommersant’ musste<br />
die russische Ar mee „praktisch blind“<br />
arbeiteten. israel gilt <strong>als</strong> besonders er -<br />
fahren bei der Her stellung und nut -<br />
zung von Drohnen.<br />
APA/ap<br />
14 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Gegen den Terror<br />
der Hamas<br />
Demokratie statt<br />
autoritärer Diktatur<br />
in Gaza<br />
Operation „Gegossenes Blei“<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 15
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Seit acht Jahren<br />
Ashkelon, 29.12.08<br />
Das Jahr 2008 war ein ‚Rekord-<br />
jahr’ in Bezug auf den Einschlag von<br />
Ra ke ten und Mörsergranaten auf is ra e -<br />
li schem Ter ri to rium. Inge samt waren<br />
es mehr <strong>als</strong> 2.900.<br />
Im Jahr 2001 schossen paläs ti nen -<br />
si sche Terroristen aus dem Gaza-<br />
Streifen erst m<strong>als</strong> eine Rakete auf Is ra el<br />
ab. Bis Juli 2008 folgten dann 3.483<br />
Raketen und 3.856 Mörser gra naten.<br />
Allein zwischen dem Tag der Macht -<br />
ergreifung der Terror or gani sa tion Ha -<br />
mas im Gaza-Streifen Mitte Juni 2007<br />
und Mitte Juni 2008 lan deten 1.508<br />
Raketen und 1.799 Mör ser granaten im<br />
westlichen Negev.<br />
Seit Beginn der Operation "Gegos-<br />
se nes Blei" am 27. Dezember 2008<br />
ha ben Palästinenser aus dem Gaza -<br />
strei fen 565 Raketen und etwa 200<br />
Mörser gra na ten auf Israel abgefeuert.<br />
RAKETENSTATISTIK 2008<br />
Schule in Sderot, 21.05.06<br />
Ashkelon, 08.01.09<br />
16 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
im Raketenfeuer<br />
Kindergarten im Ganei Tal, 15.12.04<br />
50 K<br />
5 M<br />
28 K<br />
(3 G)<br />
So Mo Di Mi Do Fr Sa<br />
59 K<br />
(9 G)<br />
5 M<br />
1 2 3<br />
41 K<br />
(4 G)<br />
5 M<br />
28 K<br />
10 M<br />
4 5 6 7 8 9 10<br />
39 K<br />
(4 G)<br />
5 M<br />
30 K<br />
3 M<br />
24 K<br />
(8 G)<br />
30 K<br />
4 K<br />
30 K<br />
(7 G)<br />
16 K<br />
(4 G)<br />
11 12 13 14 15 16 17<br />
20 K<br />
(3 G)<br />
3 M<br />
18 K<br />
5 M<br />
11 K<br />
5 M<br />
3 K<br />
29 K<br />
(3 G)<br />
21 K<br />
(3 G)<br />
4 M<br />
27 K<br />
4 M<br />
18 19 20 21 22 23 24<br />
Waffenstillstand<br />
13 K<br />
(2 G)<br />
4 M<br />
25 26 27 28 29 30 31<br />
Stand 19.01.<strong>2009</strong><br />
K - Kassam (inkl. Katjushas) • M - Mörsergranate • G - Grad-Rakete • Gelb=Hilfsgüter nach Gaza<br />
RAKETENKALENDER JANUAR <strong>2009</strong><br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 17
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Was bedeu<br />
Militante Palästinenser haben seit<br />
dem 27. Oktober 2001 rund 10.300 Ra -<br />
keten auf israelische Grenzstädte ab -<br />
geschossen. Als Folge dieser An grif f e<br />
sind nach Angaben des auf die Zäh lung<br />
von Raketen und Opfern spezia li sierte<br />
Sderot Media Center 32 Israelis ge tö tet<br />
worden. Dazu gehören auch die vier<br />
Israelis, die seit Beginn der neu en Aus -<br />
einandersetzung ums Leben ge kom -<br />
men sind. Weitere 600 Men schen sind<br />
den Angaben zufolge in den vergan ge -<br />
nen sieben Jahren <strong>als</strong> Folge des Rake -<br />
ten beschusses verletzt worden. Tau sen -<br />
de erlitten einen Schock.<br />
WARUM GIBT ES TROTZ DER VIE LEN<br />
ANGRIFFE RELATIV WENIGE TOTE?<br />
Die relative geringe Zahl an Todes op -<br />
fern im Vergleich zu den abgeschos se -<br />
nen Raketen ist unter anderem auf die<br />
fehlende Schussgenauigkeit zurück zu -<br />
führen. Viele Raketen schlagen auf<br />
freiem Feld ein. Nach den Worten des<br />
stellvertretenden Sprechers im israe li -<br />
schen Außenministerium Andy David<br />
ist die geringe Zahl der israelischen<br />
To desopfer aber vor allem auch auf die<br />
Bauvorschriften in Israel zurückzufüh -<br />
ren. Danach muss es in allen neuen Ge -<br />
bäuden einen Luftschutzkeller geben.<br />
„Alle Israelis, die bei Angriffen ums Le ben<br />
gekommen sind, haben sich im Freien<br />
aufgehalten“, sagt David.<br />
WIE SCHÜTZEN SICH DIE BÜRGER<br />
IN DEN GRENZSTÄDTEN? In Sderot<br />
und anderen Grenzorten haben sich<br />
viele Israelis in ihre Einfamilienhäuser<br />
ein Zimmer <strong>als</strong> besonders gesicherten<br />
Schutzraum eingerichtet. Diese Räu me<br />
haben zumeist Metalltüren und Fen s -<br />
terläden aus Metall. Weil in Sderot vie le<br />
Wohnblöcke in den 1950-er Jahren ge -<br />
baut wurden und damit keinen Luftschutzraum<br />
im Keller haben, stehen vor<br />
den Häusern Bunker auf der Straße.<br />
Schulen sind unter anderem mit Be -<br />
ton konstruktionen über den Dächern<br />
ge sichert worden.<br />
WIE VIELE ISRAELIS SIND GE FÄHR -<br />
DET? Die von militanten Palästinen -<br />
sern verwendeten Raketen haben in -<br />
zwischen eine Reichweite von bis zu 40<br />
Kilometer. Dadurch sind nach Anga ben<br />
von Polizeisprecher Micky Rosenfeld<br />
eine Million der 7,3 Millionen Israelis<br />
direkt gefährdet.<br />
WIE SEHEN DIE SELBST GEBAUTEN<br />
RAKETEN AUS? Die Raketen sind je<br />
nach Typ zwischen 1,60 Meter und<br />
über 2 Meter lang. Die neuesten selbst<br />
gebauten Kassam-Raketen der radikalislamischen<br />
Hamas sind mit bis zu<br />
zehn Kilogramm Sprengstoff und<br />
zusätzlich oft auch noch mit Bolzen,<br />
Schrauben und Muttern gefüllt, um<br />
möglichst viele Menschen zu töten<br />
oder schwer zu verletzen.<br />
WAS WILL HAMAS MIT DEM BE -<br />
SCHUSS ERREICHEN? Hamas be gann<br />
mit dem Beschuss Israels im Oktober<br />
2001, nachdem der palästinensische<br />
Volksaufstand (Intifada) ausge bro chen<br />
war. Heute will Hamas Israel zwingen,<br />
die Blockade des Gaza strei fens zu<br />
beenden und alle Grenz über gän ge zu<br />
öffnen. Im Jahr 2008 waren es nach<br />
Armeeangaben 3.200 - und das bei<br />
einem halben Jahr Waffenruhe.<br />
Supermarkt in Sderot, 17.12.08<br />
ÜBER 10.000 RAKETENANGRIFFE AUF ISRAEL SEIT 2001<br />
18 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
tet dann ...<br />
- AUSSCHLIESSLICH AUF ZIVILE ZIELE<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 19
... “unverhältnism<br />
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Ashkelon<br />
Beinahe die Hälfte der Eltern und ein<br />
Drittel der Kinder in Sderot leiden an<br />
post-traumatischem Stress. Das ergab<br />
eine Studie, die von Professor Molly<br />
La had, Direktor des Mashabim-Cen ters<br />
im akademischen College Tel Hai, ver öf -<br />
fentlicht wurde. 15 Prozent der Kin der<br />
ab 2 Jahren leiden an einem ernst haf ten<br />
post-traumatischen Stress symp tom,<br />
das sich vor allem darin aus wirkt, dass<br />
die betroffenen Per sonen Schwie rig kei -<br />
ten haben zu „funk tionieren“.<br />
„Kinder im Alter von 5 bis 13 Jahren ver -<br />
fallen ins Bettnässen zurück, und Schul -<br />
kinder schlafen wieder bei ihren Eltern<br />
im Bett“, sagte Dalia Yosef, Sozial ar -<br />
beiterin in Sderot. „Wir bemerken Ver -<br />
meidungs-Verhalten, sehr große Ängste,<br />
nach draußen zu gehen und Angst da vor,<br />
zur Schule zu gehen. Der geringste Lärm,<br />
selbst das Zuschlagen einer Tür, lässt sie<br />
auffahren“, fügt sie hinzu. Yosef sagte,<br />
die Kinder fühlen sich, <strong>als</strong> ob etwas<br />
Schreckliches passieren wird. Viele wei -<br />
sen Essens- und Schlafstörungen auf<br />
und zeigen Aufmerksamkeitsdefizite in<br />
der Schule. „Wir beobachten, dass die<br />
Kinder große Sorgen haben. Diese drüc ken<br />
sich in enormer Abhängigkeit von den El -<br />
tern und in Trennungsängsten aus. Man -<br />
che Kinder haben angefangen zu stot tern“.<br />
18 Prozent der Kinder leiden an leich -<br />
tem bis mittelmäßigem post-trau ma ti -<br />
schem Stress. Zu den Symp to men ge -<br />
hö ren Schlaflosigkeit, Kopfweh und Kon -<br />
zentrationsschwierigkeiten. Die Stu die<br />
zeigt außerdem, dass jedes Kind, das<br />
an post-traumatischem Stress leidet,<br />
mindestens ein Elternteil hat, das auch<br />
betroffen ist. Hingegen haben nicht<br />
alle betroffenen Eltern auch Kinder, die<br />
daran leiden.<br />
•<br />
KINDER LEIDEN AN POST-TRAUMATISCHEM STRESS<br />
20 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
äßige Gewalt”?<br />
Ashkelon 24.12.08<br />
Ashkelon<br />
Sderot<br />
Ashkelon<br />
Welche Mittel hätte der jüdische<br />
Staat angesichts des seit Jahren an -<br />
dau ernden Raketenbeschusses denn<br />
genau anwenden sollen? Vor allem an -<br />
ge sichts der Tatsache, dass die Aus -<br />
rüs tung immer ausgereifter ist, somit<br />
ei ne größere Reichweite hat und nun<br />
auch Städte trifft, die vergangenes Jahr<br />
noch unerreichbar schienen.<br />
Sollte Israel sich damit zufrieden<br />
ge ben, Soldaten in einer Gegen-Inti fa -<br />
da los zuschicken, um Steine nach Ga -<br />
za zu schleudern? Mit dem Ab schuss<br />
selbst her gestellter Raketen aus Sde rot<br />
antworten? Vielleicht sollte Israel ei ni ge<br />
seiner Kinder in menschliche Bom ben<br />
verwandeln und sie los schic ken, um<br />
sich in Städten des Ga za strei fens in die<br />
Luft zu ja gen… Nur um mal die glei -<br />
chen Mittel wie die Ha mas anzu wen -<br />
den? Oder etwa brav ab war ten, bis der<br />
Iran und Syrien - die Geld geber der<br />
Ha mas– es ihren Terror filialen er mög -<br />
licht haben, über eine genau so aus -<br />
ge reifte Be waff nung zu verfügen wie<br />
die israe li sche Armee?<br />
Da die Hamas, im Gegensatz zur<br />
pa lästinensischen Auto no miebehörde<br />
von Mahmoud Abbas, auf der Ab leh -<br />
nung des Existenzrechts des jü di schen<br />
Staates be harrt und davon träumt, sei ne<br />
Bürger zu vernichten, würde man es<br />
vorziehen, dass Israel soviel Radi ka li tät<br />
nachahmt und eine riesige eth ni sche<br />
Säu berung vor nimmt? Wün schen wir<br />
uns wirklich, dass Israel ‚ver hält nis -<br />
mäßig' die Ausrot tungs wün sche der<br />
Hamas wie der spie gelt?<br />
Jeder Konflikt ist von Natur aus ‚un -<br />
verhältnismäßig'. Wenn sich Geg ner über<br />
den Einsatz von Mitteln und den ver -<br />
kün deten For derungen einigen wür den,<br />
wären sie kei ne Gegner mehr. Ein Kon -<br />
flikt bedeutet im mer auch Un stim mig -<br />
keit, weshalb sich alle Seiten da rum<br />
bemü hen, ihre Vor teile auszu spielen<br />
und die Schwächen des an de ren<br />
auszunutzen…<br />
Philosoph Andre Glucksmann<br />
in der Tageszeitung ‘Le Monde’<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 21
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Krise in Gaza: Die Optionen für die Zukunft<br />
Der Brüsseler Politologe Emanuele<br />
Ottolenghi spricht im Interview mit<br />
MARTA S. HALPERT über die politischen<br />
Hintergründe der Kämpfe in Gaza,<br />
die Interessen des Iran sowie über<br />
die Chancen für US-Präsident Barack<br />
Obama im Nahen Osten aktiv zu<br />
werden<br />
GEMEINDE: Welche Ziele verfolgt Israel<br />
bei der „Operation Gaza“?<br />
ottolenghi: israels Aktion verfolgt<br />
drei Ziele: Erstens, die militärische<br />
Stärke der Hamas in Gaza wesentlich<br />
zu schwächen; zweitens der Hamas die<br />
grundsätzliche Änderung der „Spiel-<br />
regeln“ klarzumachen, nämlich dass<br />
künftige Angriffe auf israel schwer -<br />
wiegende Konsequenzen ha ben werden.<br />
Und drittens, die instal lie rung<br />
neuer mechanismen, die si cher stel len,<br />
dass im Falle eine Waf fenstill stan des,<br />
dieser nicht zur Wie der auf rüstung<br />
der Hamas missbraucht wird.<br />
Wie ist Ihre politische Einschätzung der<br />
Entwicklungen in Gaza?<br />
Das hängt davon ab, welche der soeben<br />
erwähnten Ziele am Ende er reicht<br />
wurden. Die derzeitigen Be richte<br />
besagen, dass die Hamas durch die<br />
Aktion merklich geschwächt wurde<br />
und israel seine Abschreckungs ka pa -<br />
zität gestärkt hat – nachdem die Hiz -<br />
bollah diese im Juli-August 2006 an -<br />
gekratzt hatte. Das ist an sich schon<br />
ein wichtiger Erfolg für israel.<br />
Die Schwächung der Hamas ist auch<br />
ein Schlag ins Gesicht für den iran –<br />
und das dient nicht nur den interes sen<br />
israels, sondern auch den so genannten<br />
moderaten arabischen Ländern<br />
und Europa. Letztlich werden wir se -<br />
hen, welche Auswirkungen dieser<br />
Waffengang auf die palästinensische<br />
Politik haben wird, aber ich glaube,<br />
dass die Hamas daraus politisch ge -<br />
schwächt hervorgeht. Das ist nicht<br />
schlecht, wenn man bedenkt, welche<br />
Schwierigkeiten und Herausforde run -<br />
gen diese Aktion für israel brachte.<br />
Verliert Israel wieder einmal den „Medi en -<br />
krieg“? Hier sieht man ver letz te paläs ti -<br />
nensische Kinder, dort israelische Sol da ten.<br />
Ungeachtet der Gründe für israels Ope -<br />
rationen, das Umfeld militärischer<br />
Aktionen kann nie kameragerecht gut<br />
ausschauen – und das Lei den in Gaza<br />
ist real und für die Zivi lis ten auch<br />
schlimm. israel und seine Freunde<br />
können viel Zeit darauf verwenden<br />
zu erklären, warum in den Kämpfen<br />
so viele Zivilisten getötet und verwundet<br />
werden. Aber wir müs sen erkennen,<br />
dass israel diesmal statt der<br />
Rolle eines glücklosen Op fers seine<br />
medienstrategie viel effektiver gestaltet<br />
hat. Erstens indem man die Jour na lis -<br />
ten nicht nach Gaza hinein ließ, das<br />
hat den potentiellen Schaden nicht nur<br />
für das image is raels reduziert – das<br />
wäre nicht zu ver meiden gewesen –<br />
aber auch den Einfluss auf die Ab fol -<br />
ge der Kämpfe.<br />
Zweitens hat dieser Vorgang die Ab -<br />
hän gigkeit der Journalisten von israelischen<br />
Quellen erhöht. Drittens hat<br />
israel viel besser die information<br />
gebündelt und ist auch konsequent auf<br />
seiner Botschaft geblieben - klar und<br />
koordiniert und auch mit weniger<br />
Spre chern. Und viertens, israel hat<br />
seine diplomatischen Hausaufga ben<br />
vor der militäraktion effektiver ge -<br />
macht <strong>als</strong> in der Vergangenheit. Fünf -<br />
tens schaffte es israel viel besser, die in -<br />
formationen und das Bildmaterial in<br />
Echtzeit auf mehreren Kanälen zu brin -<br />
gen – das internet eingeschlossen. So<br />
war es für die Hamas viel schwieriger,<br />
ihre Forderungen eins zu eins rou ti ne -<br />
mäßig zu präsentieren. Und schließlich<br />
werden die schlechten vi suellen<br />
Eindrücke von den guten Er geb nissen<br />
übertroffen, weil sie den me di enkrieg<br />
im Vergleich zum Ergebnis der Ope -<br />
ra tion weniger relevant ma chen.<br />
Israel kämpft eigentlich auch für den „in ne -<br />
ren Frieden“ in Ägypten und Jor da nien.<br />
Dieser Krieg hat alle Anzei chen eines<br />
„Stellvertreter-Krieges“. Kämpft Israel<br />
ge gen die islamistische Bedrohung dieser<br />
Nachbarländer?<br />
Falls israel erfolgreich ist, wird die is -<br />
la mistische Front in all diesen Staaten<br />
politisch geschwächt. man kann es<br />
sehr gut am aktuellen Verhalten der<br />
Regime ablesen. Zuerst waren sie sehr<br />
vorsichtig in der Verurteilung is raels.<br />
Danach haben sie die Schuld der Ha -<br />
mas zugeordnet.<br />
Drittens haben sie ihren diplomatischen<br />
motor nicht gleich angeworfen,<br />
um gemeinsame arabische Schritte zu<br />
fordern, sie drohten nicht mit Gegen -<br />
maß nahmen und sie übten auch auf<br />
ihre Verbündeten keinen Druck aus,<br />
um die Haut der Hamas zu retten. im<br />
Gegenteil, sie machten eher deutlich,<br />
dass man der Hamas eine niederlage<br />
zufügen muss.<br />
Bei einer Hamas, die gestärkt und<br />
sieg reich wäre, hätten Jordanien und<br />
Ägypten innenpolitisch viel zu verlieren.<br />
Beide betrachten auch einen Ha -<br />
mas-Sieg <strong>als</strong> weiteren machtzuwachs<br />
für den iran. Es war ganz klar, diesmal<br />
standen die gemäßigten sunnitischen<br />
Regime auf der Seite israels –<br />
natürlich nur so weit sie sich das leis ten<br />
konnten, angesichts dessen, was „die<br />
Straße“ und die arabische Rhe torik<br />
fordert.<br />
Wie würden Sie die Rolle Syriens in die -<br />
sem Konflikt beschreiben?<br />
Syrien beherbergt die Hamas und ist<br />
einer ihrer Hauptsponsoren. Aber in<br />
diesem konkreten Fall kann man<br />
beobachten, wie Syrien zunehmend in<br />
den Hintergrund gedrängt wird: Ha -<br />
22 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
mas hat sich während des gesamten<br />
Konfliktes sehr offen mit dem iran<br />
abgesprochen – und Syrien fungierte<br />
nur <strong>als</strong> Ort, an dem sich die iranischen<br />
Abgesandten und die politische<br />
Führung der Hamas treffen. Und<br />
das, obwohl Syrien sehr viel von<br />
einem Hamas-Sieg profitieren könnte:<br />
Er würde die regionale Position is -<br />
ra els weiter schwächen und den Spiel -<br />
raum der Syrier am Ver hand lungs -<br />
tisch mit israel in der Golan fra ge vergrößern.<br />
Doch diesmal sieht es so aus,<br />
<strong>als</strong> ob die Absicht Syriens, israels Po -<br />
si tion zu beschädigen, <strong>als</strong> Bumerang<br />
nach Damaskus zurückkehren wür de.<br />
Wie analysieren Sie die Interessen des Iran?<br />
Der iran möchte zu einem direkten<br />
Spieler im arabisch-israelischen Kon -<br />
flikt werden. Er zielt darauf ab, die<br />
Hauptrolle in der Ablehnungsfront<br />
der gesamten Region einzunehmen.<br />
Er sucht nach instrumenten, um is ra el<br />
zu bekämpfen, gleichzeitig propagiert<br />
er seine eigene islamistische Agenda<br />
zum Schaden seiner sunnitischen Ri -<br />
va len. Hamas eignet sich da <strong>als</strong> Sturm -<br />
spitze ideal, denn sie ist islamistisch,<br />
provoziert Saudiarabien, Ägypten und<br />
Jordanien. Zugleich gefährdet Hamas<br />
das mubarak-Regime und dient auch<br />
<strong>als</strong> Stachel im Fleische israels. Was<br />
kann sich Teheran mehr wünschen?<br />
Welches Lösungsszenario können Sie sich<br />
vorstellen: Welche Länder oder Institu tio -<br />
nen können sich engagieren, um die Ruhe<br />
im Süden Israels zu garantieren?<br />
Für diesen Konflikt gibt es keine Lö -<br />
sung – es gibt nur temporäre mecha -<br />
nis men, um ihn zu managen. nur ein<br />
sehr effektiver mechanismus, der die<br />
Grenzen Gazas kontrolliert und das<br />
Schmuggeln von Waffen verhindert,<br />
kann eine längere Ruhephase garantieren.<br />
Und ich bin sogar sehr skeptisch,<br />
ob eine internationale Truppe ent -<br />
lang der Gaza-Ägypten-Grenze das<br />
schaffen kann. natürlich hängt es da -<br />
von ab, wie das mandat dafür aussieht<br />
und wieweit sie sich engagieren kann.<br />
Aber unsere Erfahrung im Libanon<br />
zeigt, dass es schwieriger ist, <strong>als</strong> man<br />
es sich wünscht, sogar wenn der politische<br />
Wille vorhanden ist. Letzt end lich,<br />
wird nur eine dramatische nie der la ge<br />
für die Hamas, ähnlich jener wie sie<br />
israel der PLO zwischen 2002 und 2003<br />
in der West Bank zugefügt hat, das<br />
Pro blem lösen und neue We ge für bessere<br />
politische Optionen er öffnen.<br />
Es gab mehrere konkurrenzierende eu ro pä i -<br />
sche Initiativen: Solana-Schwarzen berg,<br />
Steinmeier, Sarkozy, Blair. Welche produktive<br />
Rolle kann hier Europa spielen?<br />
Europa könnte es auf sich nehmen,<br />
das Waffenstillstandsabkommen um -<br />
zusetzen, indem es gewährleistet, dass<br />
keine weiteren Waffen nach Gaza hineingeschmuggelt<br />
werden. Es könnte<br />
den Wiederaufbau und die humanitäre<br />
Hilfe kontrollieren. Eu ro pa hätte<br />
sogar die Chance, den Gazastreifen zu<br />
„übernehmen“ und ihn nach dem Vor -<br />
bild Kosovos zu verwalten - bis man<br />
ihn an eine verantwortliche und verlässliche<br />
palästinensische Regie rung<br />
übergeben kann. Doch all das erfordert<br />
viel Blut und Geld und riecht verdächtig<br />
nach Kolonialismus – wenn<br />
auch in einer wohlwollenden und<br />
zeitlich begrenzten Form. Das wäre<br />
si cher schwer durchzusetzen, sowohl<br />
von den Arabern <strong>als</strong> auch den Euro -<br />
päern, und daher glaube ich nicht,<br />
dass es gelingen kann.<br />
Der neue US-Präsident hat angekündigt,<br />
dem Iran mit „einer direkten aber harten<br />
Diplomatie“ zu begegnen. Was halten Sie<br />
von dieser Ansage? Und wie kann er das<br />
realistisch handhaben?<br />
Es hängt alles davon ab, welchen Zeit -<br />
rahmen sich Präsident Obama für so<br />
ein Projekt setzen will. Beschäfti gen<br />
sich die USA mit dem iran „direkt und<br />
diplomatisch“ drei oder sechs mo na te<br />
lang, zwei Jahre lang oder weniger<br />
lang? iran ist nicht mehr weit weg da -<br />
von, sich <strong>als</strong> Atommacht zu etablieren.<br />
Die Zeit, die dem iran von Europa ge -<br />
schenkt wurde, hat er in den letzten<br />
sieben Jahren gut genützt, um sein<br />
Atomprogramm voranzutreiben.<br />
Obama muss das wissen, und daher<br />
ist es so wichtig, dass er von seinen<br />
Verbündeten die volle Unterstützung<br />
sowohl für einen kurzen, bindenden<br />
Fahrplan sowie für koordinierte harte<br />
maßnahmen erhält. Und das alles<br />
noch bevor die Frist für die wichtigen<br />
Un-Sicherheitsratsbeschlüsse ausläuft.<br />
Die Schwierigkeiten werden folgende<br />
sein: die iraner werden ihre Verzöge -<br />
rung s taktik zum Zeitgewinn weiterführen,<br />
so wie sie es mit Europa seit<br />
2002 machen; die Chinesen und Rus -<br />
sen werden Obamas Ankündigung,<br />
dass die Zeit für Dialoge abgelaufen<br />
sei, skeptisch beurteilen und werden<br />
weitere Gespräche fordern; vielleicht<br />
wird sogar Europa diese Position einnehmen.<br />
Sollten sie sich aber zur Un -<br />
ter stützung von Sanktionen gegen den<br />
iran aufraffen, wird ihr Appetit auf<br />
durchgreifende maßnahmen sehr ge -<br />
bremst sein.<br />
ich wünsche Präsident Obaman alles<br />
Gute, aber ich habe meine Zweifel, dass<br />
diese Strategie funktionieren wird.<br />
Wie kann Präsident Obama das alles verwirklichen,<br />
ohne die guten Beziehungen<br />
zu Israel zu gefährden?<br />
Das ist kein einfacher Balanceakt: Er<br />
müsste den iran vom atomaren Weg<br />
abbringen, bevor dieser sein Ziel er -<br />
reicht – aber der Preis, den Obama<br />
da für zahlen muss, dürfte nicht zu<br />
hoch sein. ich glaube jedenfalls nicht,<br />
dass da rasch eine Einigung herauskommen<br />
wird, denn die Forderungen<br />
des iran werden zu hoch sein, und<br />
die interessen der USA in der Region<br />
sind einfach unvereinbar mit den iranischen<br />
Ambitionen.<br />
meine Befürchtungen gehen dahin,<br />
dass die USA israel davon abhalten<br />
werden eine militärische Aktion zu<br />
starten, während sie versuchen werden<br />
den iran in die Pflicht zu nehmen.<br />
Was dabei herauskommt ist, dass der<br />
iran mit seinem geschickten und spezifischen<br />
diplomatischen Tanz die USA<br />
an der nase herumführen wird, bis<br />
wir eines schönen Tages aufwachen,<br />
um zu erkennen, dass es zu spät ist.<br />
Dr. Emanuele Ottolenghi ist leitender Direktor des Transatlantic Institute in Brüssel. Der<br />
stu dierte Politikwissenschafter kam 2006 nach Brüssel, nachdem er an der Oxford Centre for<br />
Hebrew and Jewish Studies and at the Middle East Centre of St. Antony’s College, Oxford Uni -<br />
ver sity unterrichtet hatte. Er promovierte zum Dr. phil. an der Hebräischen Universität in<br />
Jeru salem und machte seine Diplomarbeit an der Universität in Bologna.<br />
Dr. Ottolenghi kommentiert und analysiert den arabisch-israelischen Konflikt, die europäische<br />
Nahost-Politik sowie auch Entwicklungen in der israelischen Innenpolitik und zwar in italienischer,<br />
englischer, französischer und hebräischer Sprache. Seine Analysen und Kom men -<br />
tare erscheinen regelmäßig im Commentary, sowie im National Review Online, The Middle<br />
East Quarterly, Jewish Chronicle, The Guardian, The Daily Mirror. Ferner publiziert er in Haaretz<br />
und Jerusalem Post, ebenso wie in der Hamburger Die Welt, Il Corriere del Ticino, L’Unità, il<br />
Foglio and Libero.<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 23
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Wie hoch ist die<br />
Hilfsgüter: Statt Lebensmittel - elektronische Ausrüstungen<br />
Israelis sammeln für Gaza-Einwohner<br />
Nachdem die Operation „Gegos -<br />
se nes Blei“ zunächst zu Ende ging,<br />
taten sich hunderte Israelis zu sam men,<br />
auch solche aus den von den Raketen<br />
betroffen südlichen Ortschaften, um<br />
das Leid der betroffenen Palästinenser<br />
im Gazastreifen etwas zu lindern.<br />
Organisatoren sind zwei junge Frau -<br />
en, Li Ziv eine Aktivisten in Frie dens -<br />
or ganisationen und Hadas Balas, eine<br />
Studentin am Sapir-College, wo auch<br />
schon Raketen einschlugen. „Es be steht<br />
keinerlei Verbindung zur Politik, denn wir<br />
vertreten keine Seite sondern sehen nur<br />
die Notwendigkeit, Decken und Milch für<br />
die obdachlosen Kinder im Gazastreifen<br />
bereitzustellen“, so Ziv. Seit einem In -<br />
ter view im Ra dio hört ihr Telefon nicht<br />
auf zu klin geln. Schulen wollen helfen,<br />
Eltern deren Söhne im Gazastreifen<br />
kämpften und auch eine Person, deren<br />
Haus von ei ner Rakete getroffen wor -<br />
den war. Vier Sam melpunkte wurden<br />
eingerichtet (Tel Aviv, Haifa, Jerusa lem<br />
und Kib buz Kfar Azza). Die Decken und<br />
die Babynahrung sol len über das Mi li -<br />
tär und die UNO an ihr Ziel kom men.<br />
Auch während der Kampf hand lun -<br />
gen mit der Hamas retteten is ra elische<br />
Sa ni täter dutzende paläs ti nen sische<br />
Kin der und schwangere Frauen – un -<br />
ter dem Feu er der Hamas-Terro ris ten.<br />
Die Ver wundeten wurden über den<br />
Check point Erez zur medi zi ni schen<br />
Versor gung nach Israel gebracht.<br />
HUMANITÄRE HILFE VON ISRAEL AN GAZA<br />
24 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Messlatte für...<br />
Sderot, Stadt der Bunker.<br />
Hamas konfisziert Mehl-Lieferungen<br />
(Koordinierungsausschuss für<br />
Regierungsaktivitäten, 11. <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>)<br />
Wie in letzter Zeit oftm<strong>als</strong> berichtet,<br />
kon fiszieren Hamas-Mitglieder im Ga -<br />
za streifen Lebens mittellieferun gen, die<br />
während der laufenden Militäro pe ra -<br />
tion eigentlich der palästinen si schen<br />
Be völkerung zugute kommen sollten.<br />
Vor allem Mehl würde beschlagnahmt<br />
und anschließend zumeist zu Wu cher -<br />
preisen verkauft.<br />
Auch am 11. <strong>Januar</strong> beklagten sich User<br />
eines Hamas-Internetforums über die<br />
Beschlagnahmung von Mehl in Dir-al<br />
Balech durch die Hamas. Es gibt auch<br />
Berichte darüber, wie die Hamas die<br />
Hilfsgüter in ihre eigenen Waren häu ser<br />
bringt und das Mehl dann an le diglich<br />
zwei Bäckereien in Gaza liefert – die<br />
Al bana Bäckerei und die Al-Tzalah<br />
Uni on Bäckerei -, die beide der Hamas<br />
gehören.<br />
Schmuggeltunnel der Hamas<br />
Hilfsgüter nach Gaza<br />
TAUSENDE UNTERIRDISCHE WAFFEN-GEHEIMGÄNGE<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 25
... “unverhältnism<br />
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Ashdod, 05.01.09<br />
Hamas feiert sich <strong>als</strong> Sieger - und dann?<br />
Die „Brigaden Ezzedin al-Kas sam“,<br />
erklärten, ihre Fähigkeit zu Raketen an -<br />
griffen auf den Süden Israels sei durch<br />
die Offensive nicht geschwächt worden.<br />
Während der israelischen Angriffe<br />
habe die Hamas 345 Kassam-Raketen,<br />
213 Grad-Raketen und 422 Granaten<br />
auf Israel abgeschossen. „Wir sind im -<br />
mer noch in der Lage, Raketen abzu -<br />
schießen, und Gott sei Dank werden un -<br />
sere Raketen auch noch andere Ziele er -<br />
reichen“, sagte Obeida. Israel habe <strong>als</strong>o<br />
„keines seiner Ziele“ erreicht. „Wir ha ben<br />
triumphiert, weil wir uns ge wei gert<br />
haben, in die Knie zu gehen oder die weiße<br />
Flagge zu hissen“. Wenn die israelische<br />
Armee sich nicht binnen einer Woche<br />
aus dem Gazastreifen zurückziehe,<br />
wer de die Hamas ihren Widerstand<br />
fortsetzen.<br />
Der iranische Präsident Mah moud<br />
Ahmadinejad hat Hamas-Exilchef Kha -<br />
led Mashaal in Damaskus telefonisch<br />
Glückwünsche zum "großen Sieg" der<br />
Bewegung im Gazastreifen übermittelt.<br />
Ägyptens Staatschef Hosni Mu ba -<br />
rak hat der radikalen islamischen Pa läs -<br />
tinenserorganisation Hamas vor ge wor -<br />
fen, Israel zu dem Angriff auf den Gaza -<br />
streifen veranlasst zu haben, in dem sie<br />
den im Dezember ausgelau fe nen Waf -<br />
fenstillstand nicht verlängert habe.<br />
Am 18.01. wurde von Israel eine<br />
Kli nik am Grenzübergang Erez eröff net,<br />
um kranken oder verletz ten Palästi nen -<br />
sern medizinischen Bei stand zu leisten.<br />
Der israelische Soldat Gilad Shalit<br />
wurde vor 939 Tagen (Stand 19.01.09)<br />
von der Terror or ganisation Hamas in<br />
den Gaza-Streifen entführt. Er befindet<br />
sich noch immer in Geiselhaft.<br />
SCHUTZ UNTER DER SCHULBANK ODER IM BUNKER<br />
Ashkelon, 18.03.08<br />
26 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
äßige Gewalt”,<br />
Der Krieg vor meiner Haustür<br />
(Von Faye Bittker, JTA; Übersetzung: Karin Fasching-Kuales)<br />
Krieg ist in Israel nichts Außergewöhnliches. Du gehst am Abend mit Sor gen über den Ma -<br />
doff-Skandal ins Bett und wachst am nächsten Morgen in einer völlig anderen Rea lität auf.<br />
Einer Realität, in der Freunde weinen, weil ihr Sohn/ihre Tochter/ihr Ehe mann einen Ein be -<br />
rufungsbefehl für die Armee erhalten haben; wo man aufgefordert wird, Familien aus den<br />
von palästinensischen Raketen ge fährdeten Grenzgebieten bei sich aufzunehmen; und<br />
wo dir bewusst wird, dass der deinem Haus am nächsten gelegene Bunker <strong>als</strong> Sy na go ge be -<br />
nutzt wird und du dich fragst, ob du Eintritt wirst bezahlen müssen, um hinein zu gelangen.<br />
Wie die Menschen überall in der Welt verfolgst auch du den Krieg in Gaza im Fernsehen,<br />
liest darüber in der Zeitung und versuchst, dich abzulenken, wenn die Informationen dich<br />
zu überfordern beginnen. Du brauchst nur den Bruchteil einer Sekunde, um die Alarm si -<br />
renen zu identifizieren, die dich aus dem Schlaf reißen und erneute Raketen an grif fe an -<br />
kün digen. Und dann realisierst du von einem Moment zum anderen, dass sich dieser<br />
Krieg praktisch vor deiner eigenen Haustüre abspielt.<br />
Für mich ist das Leben in Israel nicht neu. Während der Zweiten Intifada und dem Golf krieg<br />
arbeitete ich <strong>als</strong> Journalistin und konnte mit einer Ausnah me genehmigung Straßen bloc ka -<br />
den passieren. Ich habe gegen den Krieg protestiert und über die Kämpfe bis zu ihrem blu -<br />
tigen Ende berichtet. Doch nichts davon konnte mich auf den Schock vorbereiten, <strong>als</strong> bei<br />
uns zum ersten Mal der Alarm losging, während ich nicht zu Hause war, oder das Gefühl<br />
der Hilflosigkeit, <strong>als</strong> ich zu telefonieren versuchte, aber alle Leitungen belegt waren.<br />
Zum ersten Mal erlebe ich nun den Krieg <strong>als</strong> Mutter, durch die Augen mei ner 9 und 11 Jahre<br />
alten Kinder. Ich war nur fünf Minuten von meinem Haus entfernt, <strong>als</strong> die erste Si re ne<br />
erklang, doch ich durfte das Sportzentrum, in dem ich mich zu diesem Zeitpunkt befand,<br />
nicht verlassen, so lange die Gefahr bestand, von einer Rakete getroffen zu werden. Und<br />
ob wohl diese etwa 20 km weit weg einschlugen, war meine Tochter so erschüttert und<br />
ein geschüchtert, dass sie die ganze Nacht nicht zu beruhigen gewesen war.<br />
In den vergangenen Tagen feuerte die Hamas mehr <strong>als</strong> 100 Raketen auf das südliche Is -<br />
ra el. Mindestens zehn erreichten das Gebiet in und um Be’er She va, nicht weit von der<br />
Universität, an der ich arbeite. Eine landete knapp vor einer Kindertagesstätte und be -<br />
deckte die Puppen und Bausteine da rin mit Schutt und Glasscherben. Eine andere<br />
Rakete wiederum fiel di rekt auf eine nahe gelegene Schule und explodierte in einem der<br />
Klassen zim mer – zum Glück hatte man beschlossen, alle Schulen der Region an diesem<br />
Morgen geschlossen zu halten. Nur deshalb wurde niemand verletzt oder getötet.<br />
Das ist natürlich nichts gegen den anhaltenden Raketenhagel der vergangenen acht Jahre<br />
auf Städte wie Sderot. Ja, wir mussten uns eine Wo che lang immer wieder im Bunker verstecken,<br />
doch in den Gemeinden an der Grenze zu Gaza verloren Dutzende Is raelis ihr Le ben<br />
oder wurden von den 20-25 Raketen täglich - manchmal sogar bis zu 50 - verletzt. Tau sende<br />
Kinder wachsen dort auf ohne zu wissen wie es ist, gefahrlos im Freien spielen zu können.<br />
Es gibt keinen logischen Grund, weshalb das alles so sein muss. Vor über drei Jahren zog<br />
Israel sich aus dem Gazastreifen zurück und bot den Palästinensern somit die Mög lich keit,<br />
ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Doch unglücklicherweise entschieden sie sich für die Ha -<br />
mas, eine Partei, die den islamischen Fundamentalismus vertritt und sich die Zer stö rung<br />
Israels zum Ziel gesetzt hat. Sie wählten eine Führung, die Märtyrertum und Selbst -<br />
mord anschläge, Gewalt und Zerstörung propagiert.<br />
Alles, was wir <strong>als</strong>o heute tun können, während wir die Nachrichten über Israels Gaza of -<br />
fen sive verfolgen, ist beten – für die Sicherheit unserer Soldaten, die Bewohner der Re gion<br />
und die unschuldigen Palästinenser, die zwischen die Fronten geraten sind.<br />
Dieses Kriegsgeheul bringt nur Zerstörung und Leid über alle, die ihm folgen. Zu deren<br />
und unserem Wohl hoffen wir, die Bewohner von Israel, dass im Jahr <strong>2009</strong> ein Wunder<br />
geschieht und die Palästinenser ihre Meinung ändern.<br />
(Faye Bittker leitet das Büro für Publikationen und Medienkontakte an der Ben-Gurion Universität)<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 27
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
... Selbstmord- und<br />
Jerusalem, 02.07.08<br />
Jerusalem, 19.08.03<br />
„Dieser doppelte Maßstab in Be zug<br />
auf Israel auf der einen und die ara bi -<br />
schen und muslimischen Na tio nen auf der<br />
anderen Seite beschränkt sich nicht nur<br />
auf die gegenwärtige Si tu ation in Ga za. Er<br />
hat der inter na ti o na len Ge mein schaft eine<br />
Ausrede da für geliefert, zu den massiven<br />
Men schen rechts verletzungen und Völ ker -<br />
morden zu schweigen, die seit Jahren von<br />
Ara bern und Mus li men in aller Welt ver -<br />
übt werden.“<br />
Alan Dershowitz<br />
UNRWA beschäftigt Hamas-Mitglieder<br />
(FYI, 4. Oktober 2004)<br />
Der UNRWA-Vorsitzende Peter Han sen<br />
hat offen zugegeben, dass seine Or ga -<br />
nisation mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
Hamas-Mitglieder beschäftigt. Es be -<br />
stehe die Möglichkeit, dass der von<br />
Ka nada unterstützte Zweig der UN-<br />
Hilfs organisation dies zu verant worten<br />
habe, wobei Kanada selbst die Hamas<br />
<strong>als</strong> Terrororganisation definiert.<br />
Israel hatte der UNRWA vorgeworfen,<br />
die Hamas zu unterstützen und eine<br />
diesbezügliche Untersuchung ge for dert.<br />
Hansen meinte dazu, dass er zwar glau -<br />
be, dass Hamas-Mitglieder für sei ne<br />
Or ganisation arbeiten würden, diese<br />
aber dazu verpflichtet seien, sich an<br />
die Regeln der Vereinten Nationen zu<br />
halten und neutral zu bleiben:<br />
„Oh, ich bin sicher, dass die UNRWA<br />
Hamas-Mitglieder beschäftigt und für<br />
mich ist das kein Verbrechen. Die Ha -<br />
mas ist eine politische Organisation und<br />
das bedeutet nicht, dass jedes Mitglied<br />
militant ist. Wir machen nicht bei jedem<br />
eine politische Sicherheitsüberprüfung<br />
oder schließen die Menschen aus weil sie<br />
entweder die eine oder die andere Über -<br />
zeu gung haben.“, erklärte Hanson ge -<br />
gen über CBC TV.<br />
•<br />
EIN LEBEN IN PANIK<br />
28 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Terroranschläge?<br />
EUROPAS SCHULD AM GAZA-KONFLIKT<br />
Staatsmänner, Kommentatoren und Analysten bezeichnen Israels Vorgehen im<br />
Ga zastreifen <strong>als</strong> „unangemessen und überzogen“.<br />
Dem zuzustimmen ist einfach.<br />
Wer aber hat je formuliert, was denn eine „angemessene Reaktion“ Israels auf<br />
den jahrelangen Beschuss der israelischen Zivilbevölkerung durch Raketen und<br />
die Androhung der Vernichtung wäre? Betroffen sind auch Tausende betagter<br />
gebürtiger Europäer, die mit steigendem Alter immer schwerer unter den durch<br />
Ver treibung, Verlust und Vernichtung zugefügten seelischen und körperlichen<br />
Ver letzungen leiden.<br />
In Europa hat der über Jahrhunderte währende, im Holocaust seine grausamste<br />
Ausprägung findende Antisemitismus den modernen territorialen Zionismus her -<br />
vorgebracht. So hat Europa den Nahen Osten zu einer Problemzone gemacht, die<br />
den Weltfrieden bedroht. Die Gründung des Staates Israel hatte Konrad Ade nauer<br />
mit der zynischen Bemerkung kommentiert: „Das Judenproblem haben wir nun<br />
asiatisiert!“<br />
Eine der historischen europäischen Schuld angemessene Reaktion auf die furchtbaren<br />
aktuellen Geschehnisse wäre die rasche Aufnahme Israels, der Paläs ti nen -<br />
ser gebiete und auch des Libanon in die EU.<br />
Kriege finden dort nicht statt, wo die Mehrheit der Menschen in Wohlstand lebt.<br />
Spätestens seit den spektakulären Bankrettungsaktionen wissen wir, dass die<br />
EU-Mitgliedsländer in Geld schwimmen. Ein Bruchteil dieser Mittel – sinnvoll<br />
eingesetzt, effizient unter direkter EU-Aufsicht verteilt – wäre, verbunden mit der<br />
Eingliederung der Region in die EU, der vermutlich einzige Schlüssel zu einem<br />
dauerhaften Frieden im Nahen Osten.<br />
Prof. Ernst Smole<br />
1080 WIEN<br />
Gush Katif, 09.05.04<br />
Jerusalem, 11.06.03<br />
UNSCHULDIGE OPFER<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 29
System „Ro<br />
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Piepser für die Bevölkerung<br />
Gaza City<br />
Operation „Gegossenes Blei“<br />
Die ortsfeste Infrastruktur der Ha -<br />
mas wurde zerschlagen. Israel hat be -<br />
wiesen, dass es jeden beliebigen Punkt<br />
des Gazastreifens jederzeit attackieren<br />
und die Anführer der Hamas vor sich<br />
hertreiben kann.<br />
Nach 22 Tagen (18. <strong>Januar</strong>) der mi -<br />
li tärischen Konfrontation haben Is ra el<br />
und die Hamas in der Nacht auf den<br />
19. <strong>Januar</strong> den getrennt voneinander<br />
ausgerufenen Waffenstillstand of fen -<br />
bar eingehalten. Die israelischen<br />
Panzer wurden nach Augen zeu gen be -<br />
richten von mehreren Stellungen abgezogen,<br />
unter anderem bei Jabalya und<br />
Beit Lahiya. Auch die wichtigste Stel lung<br />
bei Nezarim wurde geräumt, so dass<br />
erstm<strong>als</strong> seit dem Beginn des Krie ges<br />
wieder eine Verbindung zwischen dem<br />
15 SEKUNDEN ZEIT<br />
nördlichen und dem südlichen Teil des<br />
Gazastreifens bestand.<br />
16.500 gut ausgebildete Kämpfer<br />
hatte die Hamas vor Beginn der israelischen<br />
Militäroffensive unter Waffen.<br />
Dazu kamen noch einmal 3.000 bis<br />
4.000 Militante anderer Palästinen ser -<br />
organisationen.<br />
Die Hamas regelt nach wie vor das<br />
öffentliche Leben in Gaza aus den Mo -<br />
scheen heraus. Sogenannte „soziale<br />
Komitees“ haben die Augen überall in<br />
jedem Stadtviertel. Informanten melden<br />
alle Auffälligkeiten. Kinder von Ha mas-<br />
Mitgliedern sind auf Fahrrädern un ter -<br />
wegs und schauen nach dem Rechten.<br />
Passiert etwas Außer ge wöhn liches, sind<br />
sofort zehn bärtige Hamas-Kämpfer<br />
zur Stelle, die ihre Waf fen un ter dicken<br />
Winterjacken tragen. Bei Verstößen<br />
wird den eigenen Leuten ins Knie ge -<br />
schossen.<br />
Mit Unterstützung des Iran hat die Hamas die Re<br />
ihrer Raketen ausgedehnt und bedroht eine Mil-lio<br />
lischer Bürgerrinnen und Bürger in 200 Städ ten<br />
mein den - etwas 15% der Gesamt be völkerung -<br />
Hälfte der Wiener Bevölkerung!<br />
Das System „Roter Alarm“ warnt die israelischen<br />
Zivilisten deshalb vor den Angriffen:<br />
Bis 10 km – 15 Sekunden vorher<br />
10-20 km – 30 Sekunden vorher<br />
20-30 km – 45 Sekunden vorher<br />
30-40 km – 1 Minute vorher<br />
30 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
ter Alarm“<br />
Immer Ärger mit den Juden<br />
Warum lassen sich die Israelis nicht einfach<br />
ohne Gegenwehr ermorden? Früher ging das doch auch!<br />
VON CHRISTIAN ORTNER<br />
Österreich bringt im Großen und Ganzen den Juden gegenüber ja eh viel Sympathie<br />
auf; jedenfalls solange es sich um tote Juden handelt. Gegen die im KZ ermordeten<br />
Juden zum Beispiel hat heute fast niemand mehr etwas.<br />
Etwas anders verhält es sich mit (noch) lebenden Juden. Zwar verurteilte der Bun -<br />
deskanzler in einem Interview die Raketenangriffe der Hamas auf Israel; im gleichen<br />
Atemzug verurteilte er aber auch Israels Versuch, sich gegen diese Terrorangriffe<br />
militärisch robust zur Wehr zu setzen.<br />
Vermutlich ist diese Haltung eines entschlossenen Einerseits-andererseits durchaus<br />
mehrheitsfähig. Solange Israel ohne jede Gegenwehr hinnimmt, dass ein erheblicher<br />
Teil seiner Bevölkerung regelmäßig im Bunker leben muss, um nicht Opfer<br />
einer Hamas-Rakete zu werden, tolerieren wir ihr Verhalten. Wehren sie sich dagegen,<br />
stellen wir sie auf eine Ebene mit den Hamas-Terroristen. Warum auch können sich<br />
die in Israel lebenden Juden nicht genauso geräuschlos und höflich umbringen lassen<br />
wie ihre Eltern und Großeltern dam<strong>als</strong> in den europäischen Vernichtungs la gern?<br />
Mehr Bewusstsein für Tradition und Kontinuität <strong>als</strong> die störrischen Juden zeigte hingegen<br />
erwartungsgemäß Frankreich: Indem das Außenministerium ebenfalls Ha mas<br />
und Israel gleichermaßen rügte und damit den Unterschied zwischen Aggressor und<br />
Opfer orwellianisch zum Verschwinden brachte, knüpfte die Grande Nation ge -<br />
konnt an die glorreichen Vichy-Zeiten an, in denen das stolze Frankreich jüdische<br />
Frechheiten auch nicht ungestraft hinnehmen musste.<br />
Als Camouflage ihrer Haltung dient all jenen, die von Israel erwarten, sich gefälligst<br />
mit Raketen beschießen zu lassen, ohne Ärger zu machen, neuerdings das Argu ment<br />
von der „Unverhältnismäßigkeit“ der israelischen Gegenwehr, <strong>als</strong>o der Umstand,<br />
dass deutlich mehr Palästinenser der israelischen Gegenwehr zum Opfer fallen <strong>als</strong><br />
Israelis dem Hamas-Terror.<br />
ich weite<br />
n israeund<br />
Ge -<br />
oder die<br />
10 km von Wien-Mitte:<br />
Klosterneuburg, Stammersdorf,<br />
Schwechat, Mauer, Vösendorf, ...<br />
Unbestritten ist, dass dies vor allem daran liegt, dass die Hamas ihre Ra ke ten stel lun -<br />
gen in Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern errichtet, um genau diesen Ef fekt<br />
zu erzielen. Deshalb stellt sich die Frage: Warum hindern die 1,5 Millionen Paläs ti -<br />
nen ser in Gaza die Hamas nicht daran, Raketen auf Israel vom Schulhof aus zu starten?<br />
Es ist ja nicht gut vorstellbar, dass die Hamas gegen den Widerstand der eigenen<br />
Bevölkerung auch nur einen Tag weiter so Terror gegen Israel betreiben könnte.<br />
Davon, dass die (mit Mehrheit gewählte) Hamas mit Gewalt ihre Raketenstellungen<br />
mitten unter Zivilisten errichtet hat, ist bislang nichts bekannt. Damit stellt sich<br />
auch die Frage der „Verhältnismäßigkeit“ anders: Solange die Palästinenser dulden,<br />
dass die Hamas aus ihrer Mitte, aus ihren Häusern und Schulen Raketen auf israelische<br />
Kindergärten abfeuert, können sie nicht wirklich <strong>als</strong> „unschuldige zivile Op -<br />
fer“ gelten.<br />
Nicht Israels Gegenwehr ist unverhältnismäßig, sondern die Kritik an dieser Gegen wehr<br />
ist es. Ersterscheinung „Die Presse“, 09.01.09<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 31
Verletzung der Ge<br />
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Gaza City 15.12.06<br />
Die Israelis sind nicht die einzigen<br />
Opfer der Hamas-Führung, die die Pa -<br />
läs tinenser im Jänner 2006 an die po li -<br />
tische Spitze wählten. Anfang August<br />
tötete eine für Israel be stimmte aber<br />
fehlgeleitete Rakete zwei palästinen si -<br />
sche Kinder und verletzte sieben wei te re.<br />
Nach dem Wahlsieg der Hamas<br />
brach ein Palästinenser-interner Krieg<br />
zwischen Hamas- und Fatah-Anhän gern<br />
aus.<br />
Die unabhängige paläs ti nensi sche<br />
Menschrechtsorganisation beziffert<br />
die daraus resultierenden Todesopfer<br />
inzwischen mit mehr <strong>als</strong> 600.<br />
In den ersten sieben Monaten des<br />
Jahres 2007 allein wurden 415 Paläs ti -<br />
nen ser bei Kämpfen getötet, darunter<br />
28 Kin der, und weitere 2.022 Men schen<br />
verletzt – von den eigenen Leuten.<br />
Seit der Machtübernahme der Ha -<br />
mas in Gaza Mitte Juni 2007 hat diese<br />
auch ihre militärische und is lamische<br />
Autorität über das palästinensische<br />
Volk verstärkt. Waffen und Streitkräfte<br />
wurden aufgestockt; öffentliche Ver -<br />
samm lungen und De monstrationen<br />
wur den verboten, wer sich nicht daran<br />
hält muss mit ge waltsamen Gegen maß -<br />
nahmen rech nen; Fernsehpro gram me,<br />
die sich mit der proble ma tischen Si tua -<br />
tion in Ga za auseinan der setz en wur den<br />
ein gestellt; Frauen dürfen sich nicht<br />
mehr im Badeanzug zeigen – und vie -<br />
le andere Maß nah men, die die per sön -<br />
liche Freiheit dras tisch ein schrän ken.<br />
Im Dezember führte die Hamas im<br />
Gazastreifen das islamische Recht s -<br />
system Shari’a ein. Dieben droht jetzt<br />
Handabhacken, Ehebrechern und Ho -<br />
mo sexuellen die Steinigung. •<br />
Moschee <strong>als</strong> Waffenlager<br />
Unterirdisched Waffen- und<br />
Munitionslager bei Gasstation<br />
DAS TERRORISTISCHE BILD DER HAMAS<br />
32 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
nfer Konvention<br />
Militärtraining,<br />
23.03.07.<br />
Hamas-Kämpfer <strong>als</strong> explosive Attrappe<br />
Sprengstoffzünder im Zoo von Gaza - die Kabeln führen direkt zu einer Schule<br />
Die Hamas zwingt Kinder, Mu ni -<br />
tion zu transportieren und mehrere an -<br />
dere militärische Aufgaben zu über n eh -<br />
m en. Die Enthüllung stammt von der<br />
arabischen Zeitung ‘Kul al Arab’, de ren<br />
Korrespondent miss brauchte Kinder<br />
befragt hatte.<br />
Unterirdische Waffenlager<br />
in Wohngebieten<br />
TV-Programme für Kinder leh r en<br />
die Kleinen, dass sie Selbst mord at ten -<br />
täter werden und Juden töten soll ten.<br />
Al Noserate Flüchtlingslager,<br />
14.09.01.<br />
DIE MILITARISIERUNG DER KINDER VON GAZA<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 33
DOSSIER • GEGEN DEN TERROR DER HAMAS<br />
Zerrbilder<br />
Hamas - Israel: Opfer oder Täter? 14.01.<strong>2009</strong><br />
Sehr geehrte MitarbeiterInnen des ORF!<br />
Wohnung in Gaza<br />
Durch den Missbrauch von<br />
Mo sche en, anderen öffentlichen<br />
Einrich tungen und sogar Privat -<br />
häu sern <strong>als</strong> Waffenarsenale und<br />
Ausgangspunkte für Terrorein sät -<br />
ze, setzt die Hamas die in Gaza<br />
wohnhaften Palästinenser <strong>als</strong> ih re<br />
Geiseln ein – sie verwen det sie auf<br />
verabscheuungswürdige Wei se<br />
<strong>als</strong> menschliche Schutz schil der.<br />
Moscheen <strong>als</strong> Waffenlager<br />
Quellen&Fotos: Jehuda Peretz, Edi Israel,<br />
Zaka, Archiv, APA, Reuters, Flash 90.<br />
Konzept&Realisierung: Sonia Feiger<br />
Mich besorgen die vielen Bilder israelischer Aggression gegen Ziele im Gaza-Streifen, denen<br />
leider auch palästinensische Zivilbevölkerung - Frauen und Kinder - zum Opfer fällt. Die Be rich -<br />
te, die ich im ORF sehe, erwecken den Anschein, dass diese Menschen Opfer israelischer<br />
Aggression seien, wo sie aber in Wirklichkeit Opfer ihrer eigenen politischen Führung, der<br />
Hamas sind.<br />
Ihre Berichte tragen auch der Tatsache jahrelanger Terrorisierung der israelischen Bevölke rung<br />
rund um Gaza, die dem israelischen Angriff vorausgingen, nicht genügend Rech nung. In einer<br />
ZIB wurde suggeriert, Israel habe den Waffenstillstand gebrochen, den die Hamas nach dem<br />
19. Dezember 2008 gar nicht verlängern wollte und den sie auch zuvor immer wieder durch<br />
willkürliche Raketenbeschüsse israelischer ziviler Ziele gebrochen hatte.<br />
In einer ZIB wurden die Quassam-Raketen, die in Sderot Tausende Israelis wochenlang in Bun -<br />
kern einkerkern und bis Ashkelon und Be’er Sheva Fliegen, verharmlosend <strong>als</strong> „primitive<br />
Geschosse“ (sinngemäß) bezeichnet.<br />
Diese Angriffe der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung wurden weder in den vergangenen<br />
Jahren noch in der gegenwärtigen Situation in dem Ausmaß dokumentiert, in dem Is -<br />
ra els Verteidigungskrieg gegen die Hamas im ORF bildlichen und sprachlichen Ausdruck findet.<br />
In einem Interview legte ein nickender ORF-Redakteur einem Vertreter der palästinensischen<br />
Gemeinde geradezu die Worte in den Mund, „dass Israel die Palästinenser auslöschen (sic!) will“.<br />
Eine Ausdrucksweise, die eine Umkehr der vom jüdischen Volk erlittenen Bedrohung in den<br />
Raum stellt und vollkommen fehl am Platz und skandalös ist.<br />
Über die Hamas erfährt man aus dem ORF - für mein Empfinden - wenig. Man stellt sie, stellvertretend<br />
für die gesamte Bevölkerung der von Israel besetzten, zum Teil wieder geräumten<br />
Gebiete (Gaza), <strong>als</strong> Opfer israelischer Kolonialherrschaft und den von ihnen betriebenen Ter ror<br />
<strong>als</strong> legitimen Befreiungskampf dar. Man erfährt im ORF wenig bis nichts darüber, wie nach 1948<br />
- in Wirklichkeit erst nach 1967 - das Problem der „Palästinenser“ entstanden ist und wie die<br />
Weigerung der Hamas, den Staat Israel anzuerkennen, sowie ihr Bestreben, ihn Kraft skrupellosen<br />
Terrors wegzubomben, der Möglichkeit, das Problem auf dem diplomatischen Weg zu<br />
lösen, im Wege steht. Vor allem aber erfährt man nichts über die Ideologie, Geisteshaltung<br />
und skrupellose Bruta li tät der Hamas; sie wird <strong>als</strong> Opfer dargestellt, und nicht <strong>als</strong> die barbarische,<br />
menschenverachtende, vor nichts zurück schreckende Bande, die sie in Wirklichkeit ist.<br />
Eine Berichterstattung, die eine Umkehrung der Opfer-Täter-Polarisierung in den Raum stellt,<br />
ist dazu geeignet, den in Österreich leider noch bestehenden Antisemitismus in seiner nun<br />
moderneren Bezeichnung <strong>als</strong> „Antizionismus“ zu legitimieren.<br />
Ich erhielt unten stehende e-mail und möchte Sie auf den darin angeführten Video-Film aufmerksam<br />
machen. Ich möchte es Ihnen überlassen, zu recherchieren, ob die darin gezeigten<br />
Ab scheulichkeiten den Tatsachen entsprechen. In jedem Fall möchte ich Sie eindring lich ersuchen,<br />
Ihre KollegInnen in den entsprechenden Redaktionen zu motivieren, über die Hamas<br />
entsprechend zu recherchieren und zu berichten.<br />
Ich vertraue Ihnen, sehr geehrte Frau Spera, werter Herr Wolf, geschätzter Herr Segenreich,<br />
dass Sie sich dafür einsetzen werden, einem Zerrbild, in dem die Hamas <strong>als</strong> Opfer und Israel<br />
<strong>als</strong> Aggressor dargestellt wird, entgegen zu wirken. Eine Supervision könnte dazu beitragen,<br />
dass sich die durch die Fülle unterschiedlichster Informationen und Berichte sicher sehr unter<br />
Druck stehenden ORF-Redakteure eigene blinden Flecken bewusst machen und auf un be -<br />
wusste Einstellungen und Gefühle stoßen, die mit ihrem rationellen und bewussten Denken<br />
nicht kompatibel sind. Ich gehe davon aus, dass Sie die geschilderten Eindrücke nicht beabsichtigen<br />
und womöglich gar nicht wissen, dass man <strong>als</strong> (wenig bis gar nicht vorgebildeter)<br />
Zuschauer eben diese Eindrücke bekommt.<br />
Anbei die erwähnte e-mail, die heute bei mir ankam: HAMAS & PALESTINIANS: AN ARAB’S SECRET<br />
VIDEO. There are many videos around - but this one is by an Arab embedded in the midst of Hamas and<br />
the Palestinians - and it vindicates everything Israel says. One wonders why this is not seen on CNN, BBC,<br />
an the UN Monitors - this Arab says there are 100s of such videos but he cannot sell it to most media<br />
be cause it makes Israel look good. But it takes an Arab to expose Arabs, and by default - it makes Israel<br />
a light unto the nations. Warning: Contains scenes which may disturb, <strong>Januar</strong>y 08, <strong>2009</strong>.Hamas Kills<br />
Innocent Palestinians (Rare Video by an Arab). http://mypetjawa.mu.nu/archives/195773.php<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Mag. Evelyn Böhmer-Laufer<br />
34 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Dr. Alfred Bader:<br />
Vom Briefmarkenverkäufer<br />
zum Chemiker, Millionär und<br />
Kunstförderer<br />
Von Ida Labudovic<br />
Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />
Am Tag, <strong>als</strong> Alfred Baders mutter,<br />
eine katholische Aristokratin, ihre<br />
Liebe zu seinem Vater, einem Juden<br />
aus der mittelschicht, offenbarte, woll -<br />
ten sie ihre Eltern ins Asyl schicken.<br />
Doch trotz aller Widerstände hei -<br />
rateten die Liebenden wenig später in<br />
London, ließen sich in Wien nieder<br />
und bekamen zwei Kinder. Zwei<br />
Wochen nach Alfreds Geburt 1924<br />
starb sein Vater und hinterließ Frau<br />
und Kinder ohne jegliches Einkom -<br />
men. Alfreds jüdische Tante kümmerte<br />
sich daraufhin um den Jungen, bis<br />
er nach der „Kristallnacht“ 1938 <strong>als</strong><br />
einer von 10.000 jüdischen Kindern<br />
und Jugendlichen mit einem „Kinder-<br />
transport“ nach Großbritannien flüch -<br />
ten musste. Doch auch dort durfte er<br />
nicht lange bleiben – im Jahr 1940 kam<br />
er <strong>als</strong> einer der „enemy aliens“ zwischen<br />
16 und 65 in ein internierungs -<br />
la ger nach Kanada.<br />
Der gerade erst 16 gewordene Al fred<br />
Bader wurde in Fort Lennox, Que bec,<br />
festgehalten. Erst im Herbst 1941 entließ<br />
man ihn in die Obhut eines religiösen<br />
sephardischen Juden in montreal,<br />
der ihn zur Wiederaufnahme seiner<br />
Ausbildung ermunterte. nachdem<br />
die Universitäten von Toronto und<br />
mc Gill ihn aufgrund ausgeschöpfter<br />
Quoten für jüdische Studenten abgelehnt<br />
hatten, begann Bader sein Stu di -<br />
um <strong>als</strong> Chemie-ingenieur an der<br />
Queen´s University in Kingston, On -<br />
tario. „Ich war entschlossen, mein Bestes<br />
zu geben.“, erinnert er sich. Er erwarb<br />
mehrere wissenschaftliche Diplome<br />
an der Queen´s University, bevor er<br />
1950 sein Doktorat in Organischer<br />
Che mie in Harvard abschließen konn -<br />
te. noch im selben Jahr ging Bader<br />
nach milwaukee, um dort Forschungs -<br />
arbeit für die Pittsburgh Plate Glass<br />
Company zu leisten und im Jahr 1951<br />
gemeinsam mit seinem Freund Jack<br />
n. Eisendrath seine eigene Firma, die<br />
Aldrich Chemical Company, zu gründen,<br />
die Forschungschemikalien in<br />
kleinen mengen produzierte und verkaufte.<br />
Das Unternehmen wuchs rasch<br />
zu einem für die Qualität und Vielfalt<br />
seiner Chemikalien weltbekannten<br />
Unternehmen an und schloss sich 1975<br />
mit der Biochemika lien firma Sigma<br />
aus St. Louis zusammen, mit Alfred<br />
Bader <strong>als</strong> Präsident der Sigma-Ald rich.<br />
Ein Konflikt im Jahr 1991, bei dem<br />
man ihm vorwarf, durch den Verkauf<br />
von Sigma-Aldrich-Aktien „gegen das<br />
Unternehmen zu wetten“, zwang ihn<br />
zum Firmen-Ausstieg. Bader wies<br />
diese Vorwürfe allerdings zurück.<br />
Alfred Baders Geschichte ist eine<br />
Er folgsgeschichte mit positiver Ein stel -<br />
lung zum Leben. in diesem Som mer<br />
war er mit seiner großen Liebe, isa bel,<br />
in Wien:<br />
Herr Bader, wie war das Leben in der<br />
Wie ner Praterstraße vor dem Krieg, <strong>als</strong><br />
Sie mit Ihrer Adoptivmutter dort gelebt<br />
haben? Was war für Sie entscheidend, <strong>als</strong><br />
Sie zum überzeugten Juden wurden?<br />
meine Adoptivmutter und die Fa -<br />
mi lie mayer. in der Wohnung über uns<br />
lebten orthodoxe ungarische Ju den,<br />
die mayers, die starken Einfluss auf<br />
mein religiöses Leben hatten. Die<br />
mayers waren wunderbare nachbarn<br />
und luden mich an vielen Freitag aben -<br />
den zum Essen ein, auch an den beiden<br />
Pessachabenden. meine biologische<br />
mutter war katholisch und hat<br />
mir oft gesagt, dass ich in die Hölle<br />
kommen würde, wenn ich nicht Ka -<br />
tho lik werde, aber sie hatte Unrecht,<br />
da bin ich sicher. meine erste Frau<br />
war auch keine Jüdin, sie kam aus<br />
einen protestantischen Familie, doch<br />
sie konvertierte, bevor ich sie gebeten<br />
habe, mich zu heiraten. meine Schwes -<br />
ter wurde allerdings katholisch erzogen,<br />
sie verliebte sich in ei nen Eng -<br />
län der, kam nach England und heiratete<br />
anglikanisch.<br />
Sie wurden am 10. Dezember 1938 mit<br />
dem ersten Kindertransport nach Eng land<br />
geschickt. Welche Erinnerungen haben<br />
Sie an diesen Abend?<br />
ich hatte keine Ahnung, was mich<br />
er wartet. Um neun Uhr abends ka men<br />
wir zum Bahnhof Hütteldorf, mei ne<br />
mutter, mama, Hilda (die Gou ver -<br />
nante) und ich. ich stieg schnell ein,<br />
fand einen Sitzplatz am Fenster und<br />
lehnte mich hinaus, um zum Ab schied<br />
zu winken, <strong>als</strong> der Zug den Bahnhof<br />
verließ. Hilda starb während des<br />
Krie ges an Krebs. mutter wurde ge -<br />
zwungen, ihre Wohnung zu verlassen<br />
und in ein jüdisches Altersheim zu ziehen,<br />
bevor man sie im Juni 1941 nach<br />
Theresienstadt deportierte, wo sie fünf<br />
monate später starb. mama schied<br />
nach einem Schlaganfall 1948 aus dem<br />
Leben. An jenem Abend im Jahr 1938<br />
umarmten wir uns zum letzten mal.<br />
ich sah keine von ihnen jem<strong>als</strong> wieder.<br />
England war für Sie ein Ort des Exils.<br />
Wel che Erfahrungen haben sie von dort<br />
mit genommen, besonders was die Men -<br />
schen betrifft?<br />
Wir hatten in England eine entfernte<br />
Verwandte, durch meine jüdische<br />
Groß mutter aus Prag. Frau Emanuel<br />
und ihr Ehemann fanden für mich eine<br />
Unterkunft bei einer jüdischen Fa mi li e.<br />
ich ging dort ein Jahr lang in die<br />
Schule und fühlte mich sehr wohl.<br />
Dann ermöglichte Frau Emanuel mir<br />
den Besuch des Technik-Colleges, von<br />
<strong>Januar</strong> bis mai 1940, <strong>als</strong> man mich<br />
schließlich internierte. Am 2. novem ber<br />
1941 wurde ich aus dem internie rungs -<br />
lager frei gelassen und zwei Wo chen<br />
später wurde ich an der ka na dischen<br />
Queen´s University aufgenommen,<br />
das hat mir sehr gut getan.<br />
(Daraufhin wirft isabel ein: „Sie frag -<br />
ten Alfred nach seinen Eindrücken<br />
von den menschen in England. in der<br />
Familie, in der er lebte, gab es zwei<br />
Töch ter und zwei Buben, jüdische<br />
Flücht linge aus Deutschland, die von<br />
einem Onkel Taschengeld erhielten,<br />
während Alfred sich sein Geld selbst<br />
verdienen musste. Die eine Tochter<br />
hat ihn nicht immer nett behandelt,<br />
ob wohl das nicht ganz ernst gemeint<br />
JÜDISCHE WELT<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 35
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
wirklich gut. Die nachfrage war sehr<br />
groß!)<br />
Isabel und Alfred Bader<br />
war – für einen Jungen, der seine Hei -<br />
mat verlassen musste, ist das sehr un -<br />
angenehm. Er begann, sich für Brief -<br />
marken zu interessieren, <strong>als</strong> er 8 Jahre<br />
alt war, denn er wusste: Je mehr er über<br />
die Briefmarken lernte, umso mehr<br />
würde er damit verdienen können.<br />
Er war ein Junge, der nicht gerne<br />
spielte, er arbeitete lieber, verkaufte<br />
seine Briefmarken, was er <strong>als</strong> Heraus -<br />
forderung sah. So beschaffte er sich<br />
sein Taschengeld. Ebenso war es, <strong>als</strong> er<br />
nach Kanada kam. Er arbeitete gern,<br />
deshalb lief das Geschäft auch so gut.<br />
Auch seine erste Frau, Danny, half mit,<br />
indem sie sich allein um das Haus und<br />
die Söhne kümmerte und ihn nicht<br />
mit Alltagsproblemen behelligte.)<br />
Wie schafften Sie es, der Beste zu werden?<br />
Durch schwere Arbeit und zwei gu -<br />
te Frauen, die mir viel geholfen ha ben.<br />
Jetzt habe ich Söhne, die mir enorm<br />
viel helfen und drei Leute, die mich in<br />
finanziellen Dingen beraten: Yechiel<br />
Bar-Chaim des American Jewish Joint<br />
Distribution Committee in Paris, Adi -<br />
na Shapiro in Jerusalem und ei nen<br />
Cha bad-Rabbiner in milwaukee. mei -<br />
ne Firma ist enorm gewachsen, dennoch<br />
hat man mich 1992 (aus der Sig -<br />
ma-Aldrich, Anm.) hinausgeworfen.<br />
Das war eigentlich mein großes Glück,<br />
denn jetzt arbeite ich mit Leuten, die<br />
ich gerne habe und es geht mir finanziell<br />
viel besser.<br />
(Was das Geld betrifft, fügte isabel<br />
hinzu: Alfred gehört nicht gern einer<br />
Gruppe von menschen an, die ihm<br />
Geld geben, es ist ihm lieber, selbst<br />
etwas auf die Beine zu stellen, etwas<br />
individuelles. Er mag es auch nicht,<br />
wenn jemand ihn um Geld bittet,<br />
denn das passiert ständig und man<br />
wird dessen irgendwann müde.)<br />
Sie haben eine sehr erfolgreiche Firma<br />
gegründet. Was würden Sie Menschen<br />
raten, die ebenso erfolgreich sein möchten?<br />
Wir hatten viel Glück. mein Freund<br />
Jack Eisendrath, ein Anwalt aus mil -<br />
waukee, und ich gründeten ein Un -<br />
ter nehmen, das Forschungsche mi ka li -<br />
en herstellte. Das war 1951, mit einem<br />
minimalen Kapital von US$ 250,- pro<br />
Person. Wir losten, wer über den na -<br />
men der Firma bestimmen darf – und<br />
ich verlor. Jack war dam<strong>als</strong> mit einem<br />
charmanten mädchen verlobt, Betty<br />
Aldrich, und so benannten wir unsere<br />
Firma in Aldrich Chemical Company.<br />
(Alfred liebte seine Arbeit, sagt isabel.<br />
Er reiste zu Chemiefirmen in Europa,<br />
um ihnen seine Produkte zu verkaufen.<br />
Das machte ihm große Freude.<br />
Auch die Kodak-Leute machten ihre<br />
Arbeit, doch sie verstanden sich nicht<br />
darauf, die Bedürfnisse ihrer Kunden<br />
zu erfüllen – und genau das war Al -<br />
freds Spezialität: Die besten Chemi -<br />
ka lien zu verkaufen und die Kunden<br />
zufrieden zu stellen. Außerdem war<br />
die nachkriegszeit für dieses Geschäft<br />
Isabel, auf einer Reise von Quebec ins<br />
eng lische Liverpool 1949 trafen Sie sich<br />
zum ersten Mal, neun Tage später machte<br />
Al fred Ihnen einen Heiratsantrag, doch<br />
Sie lehnten ab, weil Sie dachten, dass Ihre<br />
religiösen Unterschiede zu groß sein könn -<br />
ten. Ihr Buch „A Canadian in Love“ enthält<br />
die 80 Briefe, die Sie Ihrem späteren<br />
Mann zwischen Ihrem ersten Treffen im<br />
Juli 1949 und Ihrer Trennung ein Jahr<br />
da rauf geschrieben haben. 1952 heiratete<br />
Alfred Helen Daniels (Danny), die ihm<br />
seine zwei Söhne Daniel und David ge bar.<br />
Erst 1981 ließen sich die beiden wieder<br />
scheiden und Alfred war frei für die Ehe<br />
mit Ihnen. Wie sind Ihre Erinnerungen<br />
und Gefühle über diese Zeit?<br />
Als wir uns im Juli 1949 zum ersten<br />
mal begegneten hatten wir nur sehr<br />
wenig Zeit zusammen. Alfred musste<br />
zurück in die USA, während ich in<br />
Eng land blieb, ich hatte keine Ah -<br />
nung, wie es weiter gehen würde. Ab<br />
dem Jahr 1949 unterrichtete ich in<br />
Bexhill in Sussex, wo ich eine Schau -<br />
spielschule und später ein Kostüm -<br />
mu seum mitbegründete. Die Stücke<br />
faszinierten mich, weil ich durch sie<br />
mehrere Leben leben konnte.<br />
Wir haben uns am mittwoch, dem<br />
14. Juli, kennen gelernt und einen Tag<br />
später geküsst. neun Tage später bat<br />
er mich ihn zu heiraten, aber ich habe<br />
nicht geantwortet. Erst 32 Jahre später<br />
sagte ich „Ja“.<br />
Wollen Sie weiter erzählen, Herr Bader?<br />
Über ihren Bruder konnte ich dann<br />
erneut Kontakt aufnehmen. Als wir<br />
uns nach all den Jahren wieder trafen,<br />
war isabel ganz erschüttert. ich schrieb<br />
ihr daraufhin einen langen Brief, auf<br />
den sie nur antwortete: „Schreib mir<br />
nicht wieder, besuch mich nicht. Du<br />
bist glücklich verheiratet und hast<br />
Kin der.“ Sie wollte nichts mit mir zu<br />
tun haben und meine Ehe brechen.<br />
Aber ich bin ein sehr sturer mann<br />
und habe nicht aufgegeben.<br />
Isabel, haben Sie in dieser Zeit intensiv<br />
an Alfred gedacht?<br />
in den Jahren, in denen wir ge -<br />
trennt waren, habe ich sehr oft an Al -<br />
fred gedacht, doch ich wusste auch,<br />
dass er Jude war und eine Familie<br />
wollte, weil er ja nie wirklich eine ei -<br />
36 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
ge ne Familie gehabt hatte. ich war<br />
nicht bereit, über eine Konversion zum<br />
Judentum nachzudenken, um ihn hei -<br />
raten zu können. ich war nicht strikt<br />
dagegen, aber ich konnte auch nicht<br />
von einem Tag auf den anderen einfach<br />
die Seiten wechseln. Über so et -<br />
was muss man nachdenken können.<br />
ich hatte auch erwartet, dass Alfred<br />
heiraten wollen würde, er war ja auch<br />
älter <strong>als</strong> ich. Seine ganze Lebenser fah -<br />
rung überstieg meine bei weitem. ich<br />
bin eine ganz gewöhnliche Frau, doch<br />
Alfred war verrückt nach mir. Eines<br />
Ta ges traf ich einen seiner besten<br />
Freunde in England und er überzeugte<br />
mich, Alfred wieder zu sehen, mit den<br />
Worten: „Sein Leben liegt in deinen<br />
Händen“. Was für eine Aussage! ich<br />
verbrachte daraufhin einige Stunden<br />
mit Alfred, doch das genügte ihm<br />
nicht. Er rief mich an, schrieb mir.<br />
Danny wusste das, es muss sehr<br />
schwer für sie gewesen sein. Doch er<br />
konnte nicht damit aufhören, obwohl<br />
ich ihm begreiflich zu machen versuchte,<br />
dass er aufhören musste. Auch<br />
für mich war es sehr schwierig, ich<br />
war innerlich zerrissen. Als Danny<br />
irgendwann nach England kam, sprachen<br />
wir miteinander und ich sagte<br />
ihr, dass ich mich am liebsten irgendwo<br />
verstecken würde. Sie antwortete:<br />
„Es würde nichts nützen, isabel, er<br />
würde versuchen, dich zu finden.“<br />
Wie wirkte sich die spätere Scheidung auf<br />
Ihre Familie aus?<br />
materiell war die Scheidung sehr<br />
einfach, denn ich teilte immer alles,<br />
was ich hatte, 50:50 mit meiner ersten<br />
Frau. Emotional war es für Danny<br />
sehr schwer.<br />
Um Alfred heiraten zu können, sind<br />
Sie dann doch konvertiert, Isabel. Wie<br />
war das für Sie?<br />
Bis zur tatsächlichen Konversion<br />
hat es eine Weile gedauert. Und es<br />
mach te eigentlich keinen Unterschied<br />
für mich, da Kinder ja kein Thema<br />
waren. Wir haben 1982 standesamtlich<br />
in milwaukee und zehn Jahre<br />
spä ter, nach meiner formellen Kon -<br />
version, orthodox geheiratet.<br />
Wie verbringen Sie nun Ihre Zeit?<br />
Wir leben sehr einfach und spenden<br />
jedes Jahr mehrere millionen, das<br />
macht uns große Freude. Wenn wir<br />
einmal sterben, wird es eine isabel<br />
und Alfred Bader Foundation geben.<br />
Als wir im Juli 1992 mit dem Zug von<br />
London nach Bexhill fuhren, entdeck -<br />
te ich eine Anzeige in der London<br />
‘Times’ über den Verkauf eines Schlos -<br />
ses für fünf millionen englische Pfund<br />
und ich fragte isabel, ob sie es haben<br />
wolle. ihre Augen strahlten, <strong>als</strong> sie sah,<br />
dass es Herstmonceux war, nur wenige<br />
Kilometer von Bexhill entfernt, doch<br />
sie war nicht interessiert – zu viele<br />
Räu me, die geputzt werden mussten.<br />
Trotzdem wollten wir es uns an schau -<br />
en und hatten dabei denselben Ge dan -<br />
ken: Was für ein wundervoller Besitz<br />
es für die Queen´s University wäre.<br />
Also kauften wir es für sie.<br />
Wir haben kein besonders umfangreiches<br />
Gesellschaftsleben. Wir sind<br />
gerne zu Hause. Seit ich 1982 nach<br />
milwaukee gezogen bin, treffen wir<br />
hauptsächlich menschen, die zur Sy -<br />
na goge gehören. Die meisten wissen,<br />
wie wir leben und erwarten nicht von<br />
uns, anders zu sein, <strong>als</strong> wir tatsächlich<br />
sind. Die Dinge, die wohlhabende<br />
menschen üblicherweise tun, interessieren<br />
uns nicht. Unser Lebensmotto<br />
lautet: „Wir brauchen so wenig, und<br />
wir besitzen so viel.“<br />
Und was interessiert Sie, Isabel?<br />
musik und Theater. Als ich nach mil -<br />
waukee kam, habe ich Theaterkos tü -<br />
me gemacht. Jetzt helfe ich Alfred bei<br />
seiner Arbeit. Wir reisen viel, Alfred<br />
gibt Vorlesungen, wir diskutieren über<br />
Veranstaltungen, er schickt mir Briefe<br />
und Artikel, die ich durchlese. Es gibt<br />
genug zu tun.<br />
Was waren Ihre Intentionen, den Ignaz<br />
Lieben Preis wieder zum Leben zu erwekken?<br />
ignaz Lieben, der den Preis in den<br />
1860er-Jahren gestiftet hat, war ein jü -<br />
discher Bankier, dessen nachkomme<br />
von den nazis in Buchenwald ermordet<br />
wurde. Viele jüdische Geschenke<br />
basieren auf der Zahl 18, im Hebräi -<br />
schen „Chaj“ (das Leben). So war der<br />
Liebenpreis ur sprünglich mit US$<br />
18.000 dotiert. Auf grund des fallenden<br />
Dollar kur ses haben wir diesen<br />
ver doppelt und er beträgt nun US$<br />
36.000.<br />
Außerdem haben wir der Österreichischen<br />
Akademie der Wissen schaf ten<br />
noch zwei andere Preise in der Höhe<br />
von US$ 18.000 gestiftet.<br />
Sie sind auch ein leidenschaftlicher<br />
Sammler von holländischen Malern aus<br />
dem 17. Jahrhundert. Warum gerade aus<br />
dieser Zeit?<br />
Einfach weil es mir am besten ge -<br />
fällt. ich bin kein Kunsthistoriker, ich<br />
schaue mir die Bilder an, besonders<br />
Rembrandt und seine Schüler. Sie<br />
gefallen mir am besten. Wir haben<br />
unserer Universität zwei sehr schöne<br />
Rembrandts geschenkt. in der Ein lei -<br />
tung für einen Katalog von Gemäl den,<br />
die wir der Queen´s University überlassen<br />
haben, schrieben isabel und<br />
ich: „man hofft, dass die Signatur die<br />
Authentizität garantiert und das mag<br />
für ein Erwerbs komitee und manche<br />
Sammler wichtiger sein, <strong>als</strong> Schön -<br />
heit, die doch so schwierig zu bewerten<br />
ist. Und hier liegen die Chancen<br />
von Sammlern, wie wir es sind.“<br />
Sie sagten: „Das Leben hat mir viel<br />
Freude bereitet.“ Wie sieht nun ihr Fazit<br />
über das Leben und die Liebe aus?<br />
Das Wichtigste im Leben ist, den<br />
richtigen Partner zu finden und das<br />
h abe ich. Wenn der Herr uns noch ge -<br />
nü gend Zeit gibt, können wir mit<br />
isabels Weitsicht noch weitere großartige<br />
Projekte finden, die es zu finanzieren<br />
lohnt. Denn wir wollen unser<br />
Geld nicht für uns selbst ausgeben –<br />
und mitnehmen können wir es auch<br />
nicht.<br />
Literaturhinweis:<br />
„Alfred Bader: Chemie, Glaube und<br />
Kunst. Fundamente meines Lebens“<br />
Böhlau Verlag 2008,<br />
Herausgegeben von Gerhard Botz<br />
buch-tipp<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 37
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Panorama<br />
Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />
Quelle: JTA/Guysen u.a.; Übersetzung: Karin Fasching/Foto:©JTA u.a.<br />
Direktflüge Israel-Brasilien<br />
Ab April <strong>2009</strong> wird die El Al Direkt -<br />
flü ge zwischen israel und Brasilien<br />
anbieten. Drei wöchentliche Flüge<br />
werden Tel Aviv und Sao Paulo verbinden,<br />
außerdem wird es Anschluss -<br />
flüge zu verschiedenen südamerikanischen<br />
Destinationen geben, darunter<br />
Argentinien, Chile, Uruguay, Bo li -<br />
vien und Ecuador sowie andere große<br />
Städte innerhalb Brasiliens.<br />
Etwa 30.000 brasilianische Touristen<br />
haben israel im Jahr 2007 besucht.<br />
Diese Zahl soll sich mit dem neuen<br />
Flugangebot nun noch erhöhen.<br />
Kiev begeht 150. Geburtstag von<br />
Sholem Aleichem<br />
Das museum der Bücher in Kiev be -<br />
geht <strong>2009</strong> den 150. Geburtstag des jiddischen<br />
Schriftstellers Sholem Alei chem,<br />
der in der Ukraine geboren wor den<br />
war und den Großteil seines Lebens<br />
dort verbracht hatte. Bekannt wurde<br />
Aleichem für Bücher wie „Tev je der<br />
milchmann“, das die Vorlage für das<br />
musical „Anatevka“ lieferte, oder „me-<br />
nachem-mendl“. Er starb 1916 in new<br />
York.<br />
Gleichzeitig wird in dem museum<br />
eine Ausstellung über Leben und Werk<br />
des Künstlers zu sehen sein, darunter<br />
verschiedene Übersetzungen seiner<br />
Arbeiten, manuskripte, Fotos, Por -<br />
traits und Dokumente. im märz wird<br />
außerdem das Kiewer Sholem Alei -<br />
chem museum eröffnet.<br />
EJC bekommt israelisches Büro<br />
Der Europäische Jüdische Rat (EJC),<br />
Dachorganisation von 40 jüdischen<br />
Ge meinden Europas, bekommt nun<br />
auch ein israelisches Büro und wird<br />
damit seine Aktivitäten in israel ausweiten<br />
können.<br />
Gilad Shalit wird Ehrenbürger von Paris<br />
Der israelisch-französische Soldat Gi -<br />
lad Shalit, der seit 2006 von der Ha mas<br />
<strong>als</strong> Geisel gehalten wird, wurde von<br />
der Pariser Stadtregierung mit dem<br />
Tiltel des Ehrenbürgers ausgezeichnet.<br />
Die nachricht wurde bei den für<br />
die Freiheit Shalits kämpfenden Ak ti -<br />
visten mit großer Freude aufgenommen.<br />
Bereits im november hatte die französische<br />
Stadt Raincy Gilad Shalit zum<br />
Ehrenbürger erklärt, während sein<br />
Kon terfei wiederum die Fassade der<br />
Stadthalle von Grenoble zierte.<br />
Auch die italienische Hauptstadt<br />
Rom will Shalit zum Ehrenbürger<br />
machen, <strong>als</strong> „Zeichen der Solidarität<br />
mit der jüdischen Gemeinde“, so Roms<br />
Bürgermeister Gianni Ale man no.<br />
Juden begehen Todestag von<br />
tunesischer Rabbiner-Legende<br />
So viele menschen wie nie zuvor –<br />
zwischen 500 und 700 - versammelten<br />
sich am Friedhof von Tunis, um des<br />
Todes von Rabbi Hai Taieb zu gedenken,<br />
der sich der Legende nach zu<br />
Tode getrunken haben soll, nachdem<br />
seine Frau sämtliche seiner Arbeiten<br />
verbrannt hatte.<br />
Der Rabbiner soll von der mitte des<br />
18. bis zur mitte des 19. Jahrhunderts<br />
ein g’ttesfürchtiges Leben geführt<br />
und den Großteil seiner Zeit mit dem<br />
Studium der Torah, dem Verfassen<br />
von Kommentaren und Wun der tä tig -<br />
keit verbracht haben. Dies alles in ei -<br />
nem Raum, den seine Frau niem<strong>als</strong> be -<br />
treten durfte. Eines Tages jedoch soll<br />
sie heimlich in diesen Raum ge -<br />
schlüpft sein, <strong>als</strong> Taieb nicht zu Hau se<br />
war. Sie war so geschockt von den Un -<br />
mengen an Papieren und all dem<br />
Cha os dort, dass sie alles in Flammen<br />
aufgehen ließ. Daraufhin verfiel der<br />
Rabbiner dem Alkohol und starb.<br />
Doch seine Lehren und Weisheiten<br />
blie ben unvergessen, weshalb auch auf<br />
seinem Grabstein „Lo mait“ geschrieben<br />
steht – „niem<strong>als</strong> gestorben“.<br />
Tunesiens jüdische Gemeinde zählt<br />
heute etwa 1.500 mitglieder.<br />
Digitaler Siddur am iPhone<br />
iPhone Besitzer können nun auf einen<br />
besonderen Service zurückgreifen: ei -<br />
nen digitalen Siddur, der Gebetstexte<br />
in verschiedenen Versionen sowie<br />
Erinnerungen an Gebetszeiten je nach<br />
Standort aufs Handy liefert. mittels<br />
eingebauter Datenbank kann auch<br />
der nächstgelegene minjan ermittelt<br />
werden. Kostenfaktor: US$ 9,99.<br />
Umfrage: Holocaust gehört nicht zur<br />
jüdischen Diasporaidentität<br />
Die meisten jüdischen Jugendlichen,<br />
die in der Diaspora leben, geben an,<br />
dass der Holocaust zwar ihre Welt sicht<br />
verändert hätte, aber keine Rolle in<br />
ihrer jüdischen identität spiele, ergab<br />
eine Umfrage. 60.000 jüdische Teen a -<br />
ger zwischen 15 und 17 Jahren aus<br />
mehr <strong>als</strong> 20 Staaten wurden dazu über<br />
einen Zeitraum von 12 Jahren befragt.<br />
Die Ergebnisse wurden an der israelischen<br />
Bar-ilan Universität im Zuge der<br />
Konferenz „Representing the Holocaust:<br />
New Perspectives“ vorgestellt.<br />
mehr <strong>als</strong> 90% der befragten Ju gend li -<br />
chen meinten, der Holocaust hätte<br />
Einfluss auf ihre Sicht der Welt – über<br />
ein Drittel von ihnen bezeichnete diesen<br />
Einfluss sogar <strong>als</strong> „sehr wichtig“.<br />
38 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Für lediglich 21% beinflusste der Ho -<br />
lo caust ihre jüdische identität.<br />
Andere Faktoren wurden hier <strong>als</strong><br />
wesentlich wichtiger angesehen: Fa -<br />
milie (96 %), Geburt (90 %), Religion<br />
(72 %) oder Kultur (67 %).<br />
Präsident Kacsynski mit Rabbiner Schudrich<br />
Polnischer Präsident besucht Synagoge<br />
Der Präsident Polens, Lech Kaczyns ki,<br />
und seine Ehefrau besuchten im De -<br />
zember 2008 die nozyk Synagoge in<br />
Warschau – ein historischer Akt, da<br />
Kaczynski damit der erste polnische<br />
Präsident seit 60 Jahren war, der dieses<br />
Zeichen setzte. Er entzündete die<br />
erste Chanukkah-Kerze und wohnte<br />
dem anschließenden G´ttesdienst bei.<br />
Regenritual für israelische Bauern<br />
Bauern aus dem nördlichen Teil Gali -<br />
lä as wählten einen sehr unkonventionellen<br />
Weg, um während einer zur<br />
Zeit anhaltenden ernsten Trocken pe -<br />
riode für mehr Wasser zu sorgen: Sie<br />
vollzogen von einem jüdischen Ge -<br />
lehr ten aus dem 16. Jahrhundert be -<br />
schriebenes Regenritual.<br />
Die Gruppe um Rabbi Eliyahu Biton<br />
stellten sich im Kreis um den Grab -<br />
stein Rabbi Shimon bar Yochais am Berg<br />
meron auf, schüttelten die vier traditionell<br />
zu Sukkot verwendeten Gaben<br />
und rezitierten ein von Yosef Karo im<br />
16. Jahrhundert verfasstes Gebet.<br />
Über den Erfolg des Ritu<strong>als</strong> ist leider<br />
nichts bekannt.<br />
Chanukka-Bücher für Indiens<br />
Bnei Menashe<br />
Bnei menashe, die jüdische Ge mein -<br />
de in nordost-indien, darf nun 1.000<br />
Bücher über Chanukka-Gesetze in ih -<br />
ren eigenen Sprachen mizo und Kuki<br />
ihr Eigen nennen.<br />
Die Gemeinschaft war etwa 500 Jahre<br />
vor dem Chanukka-Wunder aus is ra el<br />
vertrieben worden – das Chanuk ka-<br />
Fest war ihnen deshalb bis vor wenigen<br />
Jahren unbekannt und musste erst<br />
kennen gelernt werden.<br />
Mehr Schutz für israelische<br />
Passagierflugzeuge<br />
Das israelische Parlament genehmigte<br />
einen Plan zum Schutz von israelischen<br />
Passagierflugzeugen vor Ter ror -<br />
anschlägen. Demnach soll jede ma schi -<br />
ne nun mit eigens dafür entwickelten<br />
Verteidigungssystemen der israelischen<br />
Sicherheitsindustrie versehen<br />
sein.<br />
Museum für Holocaust-Flüchtlinge in<br />
Italien eröffnet<br />
in nardo im südlichen italien wurde<br />
das Museum der Erinnerung des Will -<br />
kommens in Anwesenheit des israelischen<br />
Botschafters in italien und Ober -<br />
rabbiner Riccardo Di Segni eröffnet.<br />
Zwischen 1943 und 1947 hatten jüdische<br />
Flüchtlinge aus ganz Europa, die<br />
in Richtung Palästina aufgebrochen<br />
waren, in und um nardo einen sicheren<br />
Hafen gefunden.<br />
Das museum befindet sich an der<br />
Küste von Santa maria al Bagno, ei -<br />
nem der größten ehemaligen Flücht -<br />
ling szentren, wo dam<strong>als</strong> sogar jüdische<br />
institutionen, eine Synagoge, eine<br />
Essensausgabe, ein Waisenhaus und<br />
ein Krankenhaus entstanden waren.<br />
Erstm<strong>als</strong> arabische Professorin in Israel<br />
in israel wurde erstm<strong>als</strong> eine Ara be -<br />
rin zur Professorin ernannt. Das<br />
„Komitee für Höhere Bildung“ verlieh<br />
den Titel am Sonntag der 53-jährigen<br />
Dozentin Haula Abu-Baker aus Akko.<br />
Abu-Baker lehrt unter anderem am<br />
Jesreel-College. ihre Studien über die<br />
„psychische Verfassung im arabischen<br />
Sektor“ gelten <strong>als</strong> bahnbrechend,<br />
heißt es laut einem Bericht der Tages -<br />
zei tung ‘Ha´aretz’.<br />
Die israelische Araberin ist zudem<br />
Autorin zweier Bücher, in denen es<br />
zum einen um arabische Frauen in<br />
po litischen Führungspositionen und<br />
zum anderen um das Leben palästinensischer<br />
Jugendlicher in israel geht.<br />
Zahl der Drogenfälle rasant gestiegen<br />
Die Zahl der in diesem Jahr in israel er -<br />
öffneten Fälle wegen Drogen schmug -<br />
gels oder Drogenhandels ist um 40%<br />
gegenüber dem Vor jahr gestiegen. Das<br />
gab die Polizei auf einer nationalen<br />
Sit zung im Dezember in Tel Aviv be -<br />
kannt.<br />
Demnach wurden 2008 an der Grenze<br />
zum Libanon 122 Kilogramm Heroin,<br />
23 Kilogramm Haschisch und etwa<br />
fünf Kilogramm Kokain konfisziert.<br />
An israels Südgrenze beschlagnahmten<br />
speziell ausgebildete Einheiten der<br />
Polizei 115 Kilogramm an verschiedenen<br />
Drogen. Zusätzlich wurden bei ei -<br />
nem Einsatz in der Region 82 Kilo -<br />
gramm Heroin und rund 80.000 Pillen<br />
verschiedener Amphetamine entdeckt,<br />
heißt es laut einem Bericht der Tages -<br />
zeitung ‘Jediot Aharonot’.<br />
An der Grenze zu Jordanien in der<br />
Arava-Region konfiszierten Grenz po -<br />
lizisten 400 Kilogramm marihuana, 790<br />
Kilogramm Haschisch und 36 Kilo -<br />
gramm Heroin.<br />
Auch am Ben-Gurion-Flughafen wurden<br />
Drogen sichergestellt. Dort be -<br />
schlag nahmten die Beamten 1,4 Kilo -<br />
gramm Kokain<br />
YouTube-Channel der IDF<br />
Wer die israelische Sichtweise des<br />
Krieges im Gazastreifen kennen lernen<br />
will kann sich nun über den von<br />
den israelischen Streitkräften auf der<br />
internet Plattform YouTube angelegten<br />
Kanal informieren. Gezielte Bom ben -<br />
angriffe sowie andere Clips von Ar -<br />
mee operationen und Hilfslie ferun -<br />
gen sind dort zu finden.<br />
http://www.youtube.com/user/idfnadesk<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 39
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Edward Kritzlers ungewöhnliche<br />
Geschichte der jüdischen<br />
Piraterie<br />
vo Adam Kirsch, JTA;<br />
Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />
Es gibt Orte, an denen man erwartet,<br />
Juden zu finden, und Orte, an denen<br />
dies eher überrascht. Das Deck eines<br />
Piratenschiffes gehört da wohl eher<br />
zu letzteren.<br />
So könnte man Edward Kritzlers<br />
etwas fragwürdiges Buch „Jewish<br />
Pirates of the Caribbean“ („Jüdische<br />
Piraten der Karibik“) auch mehr für<br />
einen etwas eigenwilligen Science-<br />
Fic tion-Roman halten, <strong>als</strong> für das<br />
Sachbuch, das es gerne wäre.<br />
Tatsächlich geht es hier um bloße chro -<br />
nologische Fakten: 1492, in aller Welt<br />
<strong>als</strong> das Jahr bekannt, <strong>als</strong> Columbus<br />
Amerika entdeckte, steht für die jüdische<br />
Bevölkerung für etwas völlig an -<br />
deres – nämlich die Verbannung der<br />
Juden aus Spanien durch Ferdinand<br />
und isabella.<br />
in der daraus resultierenden Dias po ra<br />
machten sich viele spanische und<br />
portugiesische Juden, darunter auch<br />
Konvertiten, die ihr Judentum nur<br />
noch heimlich leben konnten, auf den<br />
Weg zu den Handelszentren Europas<br />
und der neuen Welt. Diese gut organisierte,<br />
gebildete und kapitalisierte<br />
Bourgeoisie stellte sich <strong>als</strong> idealer<br />
mitt ler für die heranwachsende globale<br />
Ökonomie heraus. Deshalb wur -<br />
de Columbus auch von einigen jener<br />
Konvertiten begleitet und die Legen de,<br />
dass sogar Columbus selbst jüdischer<br />
Abstammung gewesen sein soll, hält<br />
sich schon seit geraumer Zeit.<br />
Auch in Jamaika, Brasilien und neu<br />
Amsterdam fand Kritzler blühende<br />
sephardische Gemeinden. Und wo hin<br />
auch immer die Wege der Spanier oder<br />
Holländer führten – ein paar Juden<br />
waren stets dabei oder kamen bald<br />
darauf nach.<br />
manche dieser jüdischen Pioniere,<br />
man glaubt es kaum, waren tatsächlich<br />
Piraten.<br />
Zu einer Zeit, <strong>als</strong> die Grenzen zwischen<br />
Handel und Piraterie noch nicht<br />
allzu streng gezogen waren, gestaltete<br />
es sich für jüdische Seeleute und<br />
Schiffseigner recht einfach, friedliche<br />
Handelsmissionen mit der Kaperung<br />
fremder Schiffe zu verbinden.<br />
nehmen wir zum Beispiel Samuel<br />
Palache, nachkomme marokkanischer<br />
Rabbiner, der seine Karriere <strong>als</strong> internationaler<br />
intrigant <strong>als</strong> Handelsbe auf -<br />
tragter begann, der maurische Juwe -<br />
len gegen spanisches Bienenwachs<br />
tauschte. Eines Tages setzte er sich das<br />
Ziel, in die Dienste König Philip iii.<br />
von Spanien einzutreten, auch wenn<br />
er dafür zum Katholizismus konvertieren<br />
müsste. Doch sein Ansuchen<br />
wurde abgelehnt und Palache schlug<br />
sich auf die Seite von Philips Feinden,<br />
den Holländern, für die er Waffen<br />
von Holland noch nordafrika brachte.<br />
Dies führte schließlich so weit, dass<br />
Palache eine Flotte anleitete, die spanische<br />
Schiffe im mittelmeer angreifen<br />
sollte, was ihm, trotz einem eklatanten<br />
mangel an Belegen für den Aus -<br />
gang dieser mission, bei Kritzler den<br />
klingenden Beinamen „Der Piraten-<br />
Rabbi“ einbrachte. (Wobei man hier<br />
auch leider nicht darüber hinwegsehen<br />
kann, dass der vermeintliche Pi -<br />
rat niem<strong>als</strong> einen Fuß auf karibischen<br />
Boden setzte – so dürfte Kritzlers<br />
Buch titel wohl doch eher plakativ <strong>als</strong><br />
präzise gemeint sein...)<br />
Sogar einen der berühmtesten Piraten<br />
der Geschichte, Jean Lafitte, der im<br />
new Orleans des 19. Jahrhunderts ein<br />
Schmugglerimperium betrieb und sich<br />
1812 im gemeinsamen Kampf mit<br />
Andrew Jackson gegen die Briten rehabilitieren<br />
konnte, bringt Kritzler mit<br />
dem Judentum in Verbindung und<br />
führt ein angebliches Zitat des Pira -<br />
tenkönigs an: „Meine Großmutter war<br />
eine spanische Israelitin. ... Großmutter<br />
erzählte mir immer wieder von den An -<br />
kla gen und Schikanen, die ihre Vorfahren<br />
zur Zeit der spanischen Inquisition hatten<br />
erdulden müssen. ... Die Erzählungen<br />
meiner Großmutter ... erweckten in mir<br />
den Hass gegen die spanische Krone und<br />
die Verfolgungen, derer sie sich schuldig<br />
gemacht hat – nicht nur den Juden<br />
gegenüber.“<br />
So wird bei Kritzler der Unterdrückte<br />
zum Todfeind der Unterdrücker – eine<br />
unwiderstehliche Geschichte und<br />
Hauptteil seines Buches.<br />
Doch Lafittes Bekenntnis illustriert<br />
dies beinahe schon zu deutlich, möglicherweise<br />
weil dieses Zitat mit<br />
ziemlicher Sicherheit nicht den Tat sa -<br />
chen entspricht. Laut Kritzlers An -<br />
mer kungen, fand er es in einem Buch<br />
über die jüdische Geschichte new<br />
Orleans’, das das Zitat wiederum den<br />
angeblichen Aufzeichnungen des Jean<br />
Lafitte entnommen hat, welche im<br />
new York des Jahres 1958 veröffentlicht<br />
worden waren.<br />
Aller dings vergisst Kritzler eine Tat -<br />
sache anzuführen, die mich zu finden<br />
lediglich wenige minuten internet re -<br />
cher che gekostet hat, nämlich dass je ne<br />
„Aufzeichnungen“ das Werk des no -<br />
to rischen Fälschers John Laflin wa ren.<br />
Dieser behauptete, ein nachfahre des<br />
legendären Piraten zu sein und gab<br />
sogar vor, diesbezügliche Dokumente<br />
zu besitzen, die auf Davy Crockett und<br />
Abraham Lincoln zurückgingen. Ob<br />
Kritzler mit all diesen informationen<br />
vertraut ist, geht aus seinem Buch leider<br />
nicht hervor.<br />
Das Beispiel von Lafitte ist nicht von<br />
allzu großer Bedeutung – es nimmt<br />
lediglich zwei Buchseiten ein -, doch<br />
leider ist es typisch für Kritzlers Umgang<br />
mit historischen informationen.<br />
Er verlässt sich stark auf die Arbeiten<br />
angesehener Historiker und setzt<br />
dann sein eigenes Bild von den Juden<br />
der neuen Welt im 16./17. Jahrhun -<br />
40 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
dert zusammen. Findet er jedoch eine<br />
Lücke in den Belegen, so scheint er<br />
mehr <strong>als</strong> dankbar dafür zu sein, diese<br />
mit wilden Spekulationen füllen zu<br />
können.<br />
Die Anne Frank von Kambodscha<br />
von Tibor Krausz, JTA<br />
Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />
So stellt Kritzlers Buch das bisher<br />
letz te Glied in einer Kette von Bü -<br />
chern dar, die sich auf die Gestalt des<br />
„zähen, abenteuerlustigen Juden“ konzentrieren,<br />
beginnend mit Rich Co hens<br />
1998 erschienenem „murder inc. nicht<br />
ganz koschere Geschäfte in Brook lyn“<br />
(Engl.: „Tough Jews: Fa ther, Sons and<br />
Gangster Dreams“). Eine Hommage<br />
an Gangster und mörder wie Arnold<br />
Rothstein und meyer Lansky.<br />
Kritzler schlägt mit seiner inter pre -<br />
tation der komplexen Geschichte der<br />
Konversos und ihrer motive <strong>als</strong> Pa ra -<br />
bel über den friedliebenden, Spanierhassenden<br />
jüdischen Freibeuter in<br />
die selbe Kerbe, die den Durst der<br />
amerikanischen Juden nach jüdischer<br />
Zähigkeit und Stärke stillen will.<br />
Ok, ich hab´s verstanden. Auch ich<br />
bin in Disneyland mit den Piraten der<br />
Karibik gesegelt. Aber irgendetwas<br />
ist doch seltsam an der Art der ameri -<br />
kanischen Juden, den am sichersten,<br />
wohlhabendsten und angepasstesten<br />
lebenden Juden von allen, wie sie an<br />
den alten Geschichten von jüdischem<br />
Gangstertum und Gewalt hängen,<br />
wohl um sich ihrer eigenen Stärke zu<br />
versichern.<br />
Jüdische Piraten – ebenso wie die<br />
nicht jüdischen – waren hauptsächlich<br />
mörder und Diebe oder auch<br />
Sklavenhändler.<br />
Es gibt mit Sicherheit genügend Bei -<br />
spiele für couragiertes Verhalten in<br />
der jüdischen Geschichte, physisch<br />
wie moralisch. Also brauchen wir wohl<br />
kaum einen Samuel Palache, um zu<br />
beweisen, dass auch Juden tapfer<br />
sein können.<br />
Als Kind, im Kambodscha Anfang der<br />
1990er, musste Sayana Ser sich oft mit<br />
ihrer Familie in einem Versteck unter<br />
ihrem Haus verbergen, während Rote<br />
Khmer und Regierungstruppen auf<br />
den Straßen blutige Kämpfe ausfochten,<br />
und die Erinnerung an brutale<br />
massenmorde noch längst nicht verblasst<br />
war.<br />
Zehn Jahre später, <strong>als</strong> 19jährige Schü -<br />
le rin in den niederlanden, erkannte<br />
Sayana während der Lektüre der Tag e -<br />
buchaufzeichnungen von Anne Frank<br />
die Parallelen zwischen ihrem eigenen<br />
Leben und jenem des im Holocaust<br />
umgekommenen mädchens wieder.<br />
mit dem Unterschied, dass sie selbst<br />
überlebt hatte...<br />
„Während des Lesens konnte ich die Trä -<br />
nen nicht zurückhalten,“ erinnert sich<br />
Sayana. „Ich fragte mich, wie Anne sich<br />
gefühlt haben musste und wie sie das<br />
alles ertragen konnte.“<br />
Heute ist Sayana Direktorin eines Bil -<br />
dungsprogramms für Studenten an ei -<br />
nem kambodschanischen For schungs -<br />
institut, das den Genozid durch die<br />
Roten Khmer dokumentieren will.<br />
Die se hatten zwischen 1975 und 1979<br />
bis zu zwei millionen men schen – ein<br />
Viertel der Bevölkerung – auf Pol Pots<br />
„Killing Fields“ auf brut<strong>als</strong>te Weis e<br />
abgeschlachtet. Einer der schlimms ten<br />
massenmorde seit dem Holo caust.<br />
Sayana, die ihre Diplomarbeit über den<br />
„Dunklen Tourismus“, <strong>als</strong>o den touristischen<br />
Voyeurismus an Geno zid-<br />
Schauplätzen in Kambodscha und<br />
ähnlichen Orten, verfasste, be suchte<br />
selbst verschiedene Holo caust mahn -<br />
ma le und ehemalige Kon zen tra tions -<br />
lager.<br />
Eurovision Song Contest: Israel schickt arabisch-jüdisches Duo<br />
Beim Eurovision Song Contest am 16. mai in moskau wird erst m<strong>als</strong> ein arabisch-jüdisches<br />
Duo auftreten: israel wird durch die jüdische Sängerin Ahi -<br />
noam Nini - international bekannt <strong>als</strong> Noa - und einer christliche Araberin, die<br />
musikerin und Schauspielerin Mira Awad, bei dem Wettbewerb vertreten sein.<br />
Die Entscheidung für die beiden Frauen wurde von einem Komitee der na -<br />
tio nalen Fernsehanstalt (iBA) getroffen. noa und Awad haben sich be reits<br />
öfter gemeinsam an Friedensprojekten beteiligt. Unter anderem haben sie<br />
den Beatles-Song „We can work it out“ im orientalischen Stil aufgenommen.<br />
http://www.youtube.com/watch?v=B9csbv-0A04&feature=related inn<br />
„Ich konnte nicht glauben, wie ein<br />
Mensch dies einem anderen Menschen<br />
antun kann, egal ob Juden oder Khmer,“<br />
meint sie erschüttert.<br />
nach diesen Eindrücken wollte sie<br />
„Das Tagebuch der Anne Frank“ in<br />
ihre eigene muttersprache Khmer<br />
über setzen. inzwischen wurde das<br />
Buch von der füh renden Genozid-<br />
For schungsein richtung des Landes,<br />
dem Dokumentationszentrum von<br />
Kambodscha, herausgegeben und hat<br />
in den Schulbibliotheken von Phnom<br />
Penh einen fixen Platz neben den<br />
Wer ken über die Zeit der Roten<br />
Khmer gefunden.<br />
„Ich habe in Kambodscha viele Anne<br />
Franks gesehen,“ erzählt Youk Chhang,<br />
Direktor des Dokumentations zen -<br />
trums und selbst Überlebender des<br />
Genozids durch die Roten Khmer.<br />
„Hätten wir Kambodschaner ihr Tage -<br />
buch schon vor langer Zeit gelesen, dann<br />
hätten wir vielleicht einen Weg finden<br />
können, um den Massenmord in unserem<br />
Land zu verhindern.“<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 41
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Verlorene Nachbarschaft<br />
- Buenos Aires 2008<br />
von Roberto Kalmar<br />
Vor 10 Jahren beschlossen Menschen, die<br />
vielleicht zufälligerweise in der Neudeg -<br />
ger gasse im 8. Wiener Ge mein debezirk<br />
wohn ten, der 60 Jahre zuvor zerstörten<br />
Sy nagoge zu gedenken. Um daran zu er -<br />
innern „baute“ man die Fassade des<br />
imposanten Ge bäu des – es war doppelt so<br />
hoch <strong>als</strong> seine Umgebung gewesen - <strong>als</strong><br />
Bild auf einer Folie für ein paar Wochen<br />
wieder auf. Es war ein Zeichen der Erin -<br />
ne rung an die verlorene Nachbarschaft.<br />
Zeitzeugen wurden auf der ganzen Welt<br />
kontaktiert und manche von ih nen scheuten<br />
auch den Weg nach Wien nicht.<br />
Gegenüber des dort an Stelle der demolierten<br />
Synagoge errichteten Gemeinde -<br />
bau es stand ein Zelt, in dem allabendlich<br />
Begegnungen stattfanden: da trafen die<br />
jetzigen Bewohner der Straße (und einige<br />
mehr) mit Ver triebenen, Wis senschaft lern<br />
und Kün st lern zusammen; es gab Kon zer -<br />
te, Le sun gen und Filme. Vorträge wurden<br />
gehalten, es wurde dis kutiert und<br />
Zeug nis über das dam<strong>als</strong> und seit da m<strong>als</strong><br />
Geschehene abgelegt. Am 9. November<br />
1998 ging das Licht in einem symbolischen<br />
Akt wieder aus.<br />
Zehn Jahre danach wollte man noch einmal<br />
mit jenen zusammen treffen, die nach<br />
dem Anschluss Österreich verlassen hatten<br />
müssen. In der Zwischenzeit waren<br />
manche zurück gekehrt - auch wenn sie<br />
niemand da zu aufgefordert hatte. Andere<br />
wiederum hatten ihr Geburtsland zwar<br />
be sucht, eine Rückkehr aber nie ernsthaft<br />
in Betracht gezogen. Und natürlich gibt<br />
es auch manche, die Österreich nicht mehr<br />
sehen wollten.<br />
Diesen Menschen galt es die Bot schaft zu<br />
übermitteln, dass ihre Geschichte nicht<br />
vergessen ist, dass es Menschen gibt, die<br />
bereit und daran interessiert sind, sich<br />
mit ihr auseinander zu setzen.<br />
Es sollte auch der Frage nachgegangen wer -<br />
den, wie die österreichische Ge sellschaft<br />
seit 1945 den Umgang mit ihrer Vergan -<br />
gen heit gestaltet hat, wie es trotz jahrelanger<br />
Verdrängung des österreichischen<br />
Anteils an der Nazi-Schuld möglich war<br />
und ist, dass im heutigen Wien sowohl<br />
das Ge den ken wie auch das gegenwärtige<br />
jüdische Leben wieder angemessenen<br />
Raum haben.<br />
Univ. Prof. Dr. Friedrich Stadler, einer der<br />
wissenschaftlichen Begleiter des Pro jek tes,<br />
betonte, dass gerade im Jahr 2008, 70 Jah -<br />
re nach dem „Anschluss“ und der Po grom -<br />
nacht, es wichtig war, ei ne bilaterale Ge -<br />
denk veranstaltung zur Vertrei bung und<br />
Er mordung der ös terreichischen Ju den<br />
<strong>als</strong> gesamtkulturelles Projekt zu realisieren.<br />
Vom 26. Oktober bis zum 9. November<br />
kam es unter dem Ehrenschutz von u. a.<br />
Bundespräsident Heinz Fischer und der<br />
argentinischen Präsidentin Cris tina Fer -<br />
nández de Kirchner zu ei ner zweiten Auf -<br />
lage der „Verlorenen Nachbarschaft“ –<br />
im Parque Thays mitten in der Großstadt<br />
Buenos Aires. Dort wurde ein Zelte-<br />
Komplex aufgestellt, in dem Diskussionsund<br />
Infor mationsveranstaltungen sowie<br />
Film-vor führungen abgehalten werden<br />
konn ten. Dazu kam noch eine Aus stel -<br />
lung mit Werken argentinischer Künstler<br />
und von Friedensreich Hun-dertwasser<br />
und ein „Cafehaus“.<br />
2008 waren es nicht die Vertrie be nen, die<br />
die Reise auf sich nahmen, sondern jene<br />
Menschen, denen deren Schick sal auch<br />
nach 70 Jahren noch ein An lie gen war. Das<br />
ganze Vorhaben, im April in einer Pres -<br />
sekonferenz vorgestellt, wur de von einer<br />
Fa mil ie (die natürlich viele Helfer hatte)<br />
ge tragen. Carmen, Bar bara und Hans Lit -<br />
sauer kümmerten sich um die Vor berei -<br />
tun gen von Wien aus, wäh rend Alexander<br />
Litsauer die Kno che n arbeit in Argenti ni en<br />
erledigte – nur wer die dortige Arbeits wei se<br />
kennt, weiß, wie aufreibend es ist, wenn -<br />
nicht selten - Zu sagen kurzfristig nicht<br />
mehr gelten. Schluss endlich trafen alle ein -<br />
geladenen Gäste, die Organisatoren und<br />
ih re Helfer in Buenos Aires ein und es<br />
konnte losgehen.<br />
Themen der Diskussions- und Infor ma ti -<br />
ons veranstaltungen waren u.a.: „Verlo re ne<br />
Nachbarschaft in Österreich und Ar gen -<br />
tinien“ – der Schriftsteller Erich Hackl<br />
moderierte das Ge spräch, bei dem sich<br />
drei Generationen ur sprünglich aus Wien<br />
stam mender jü di scher Familien zu dem<br />
fol genden Themenkomplex äußerten:<br />
Wel che Chan cen bietet das Fremde, bis es<br />
sich in etwas Eigenes verwandelt und wie<br />
än dern sich die Gedanken an das Her -<br />
kunfts land im Laufe der Zeit?, „Ratten li -<br />
nien - Fluchtwege von Tä tern nach Ar -<br />
gen ti ni en“, „Restitutions angelegen hei -<br />
ten“, „Zwei te und Dritte Generation und<br />
de ren Heimat bezug“ und „Der Umgang<br />
mit der Ver gan gen heit in Österreich“.<br />
Auch in Buenos Aires lebende Juden ka -<br />
men zu Wort: Alfredo Bauer, Träger des<br />
Theo dor-Kramer-Preises, las aus seinen<br />
Wer ken und Ernesto Allerhand, über<br />
Bolivien nach Bue nos Aires gelangt, war<br />
auch ein aktiver Teilnehmer. Und diese<br />
beiden stehen nur für viele, die an vielen<br />
Abenden be wie sen, dass dieses Kapitel<br />
ihres Le bens noch immer eine große<br />
Bedeu tung für sie hat.<br />
An nahezu allen Tagen gab es auch kleinere<br />
und größere künstlerische Beiträge (Lie-<br />
der von Kreisler, Berg, Bronner u.a., Ge -<br />
dich te von Celan, Prosa von Torberg und<br />
dem kürzlich verstorbenen Fritz Kalmar<br />
und noch mehr), die man Maria Bill, be -<br />
glei tet von Krysztof Dobrek und Michael<br />
Hornek, Peter Uray und Adi Hirschal (mit<br />
Otmar Binder) zu verdanken hatte. Ro bert<br />
Schindel und Doron Rabinovici lasen an<br />
zwei Abenden aus ihren Werken. Maria<br />
Bill gab auch mit großem Erfolg im gut be -<br />
suchten Teatro Ateneo ihren „Piaf-Abend“.<br />
Bei der Abschlussveranstaltung am 9.<br />
No vember platzte das Veranstaltungszelt<br />
aus allen Nähten. Eine attraktive Mi -<br />
schung aus künstlerischen Darbietun gen,<br />
Reden und Film bei trägen ließ die Zeit wie<br />
im Flug vergehen. Es konnte sogar schon<br />
ein filmischer Bei trag über die Gedenk -<br />
steinsetzung in der Neudeggergasse, am<br />
Standort der zerstörten Synagoge, ge -<br />
zeigt werden.<br />
Das gesamte Projekt konnte nur mit der<br />
Unterstützung vieler Stellen durchgeführt<br />
werden, unter anderem dem Bundes mi -<br />
nisterium für Wissenschaft und For schung,<br />
dem Bundeskanzleramt, der SPÖ-Josef -<br />
stadt, der Grünen, dem National fonds, der<br />
österreichischen Botschaft in Buenos Ai -<br />
res und mehreren argentinischen Stellen.<br />
Zusammenfassend kann man sagen, dass<br />
die Veranstaltung ein Riesenerfolg war,<br />
von Bewohnern der Neudeggergasse na -<br />
mens Litsauer und vielen Mitkämpfern,<br />
deren Einsatz gar nicht hoch genug ge -<br />
wür digt werden kann, organisiert und<br />
er möglicht – sie wird für alle Beteiligten<br />
ein Meilenstein in ihrem Leben bleiben.<br />
42 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
KULTUR<br />
DAS JÜDISCHE ECHO<br />
EUROPÄISCHES FORUM FÜR KULTUR UND POLITIK<br />
EUROPÄISCHES FORUM FÜR KULTUR UND POLITIK<br />
VOL. 57 TISCHRI 5769 November 2008 Dem<br />
Leon hätte es gefallen<br />
„Das Jüdische Echo“ in neuen Händen<br />
VON ANITA POLLAK<br />
nicht dass ein lautes Rauschen im hei -<br />
mischen Blätterwald sein Verstum men<br />
begleitet hätte, aber uns wäre es doch<br />
abgegangen. Und so war man erfreut<br />
und erleichtert, <strong>als</strong> es wiederum in der<br />
Post lag. natürlich mit dem vertrauten<br />
Erlagschein, der diskret wie im mer<br />
den Preis verschweigt.<br />
„Das Jüdische Echo“ ist wieder da.<br />
Es war ja nie weg. So wie Leon Zel -<br />
man eigentlich nie weg, nie ganz aus<br />
unserer mitte verschwunden ist. Und<br />
auch in seinem publizistischen Kind,<br />
das nun unglaubliche 57 geworden ist,<br />
hat Leon überlebt.<br />
Ein anderer, viel jüngerer Leon, hat<br />
letztlich dafür gesorgt, dass es am Le -<br />
ben bleibt, nachdem sein erster Retter,<br />
Alex Friedmann s.A., viel zu jung ver -<br />
storben ist.<br />
„Die Situation war dramatisch, denn<br />
wenn es 2008 nicht erschienen wäre, wäre<br />
seine Existenz womöglich gefährdet gewesen“,<br />
meint Leon Widecki, der <strong>als</strong> Ob -<br />
mann des Herausgeber-Vereins die<br />
Patenschaft des verwaisten mediums<br />
übernommen hat, <strong>als</strong> man an ihn da -<br />
rum gebeten hat. Denn wenn niemand<br />
hineinruft, kommt auch kein Echo<br />
zurück.<br />
„Ich bin zwar in der jüdischen Gasse, ha-be<br />
mich aber nie in die erste Reihe gestellt.<br />
Aber ich bin ein sentimentaler Mensch<br />
und habe Leon geliebt. Mir war aber klar,<br />
dass man Leons Werk nur in Teilbereiche<br />
zerlegt weiterführen kann.“<br />
nur die Erbschaft anzutreten bzw. zu<br />
verwalten, wäre in diesem Fall aber<br />
zuwenig. Ein medium muss sich auch<br />
in der medienlandschaft bewähren,<br />
und die ist durch andere jüdische Pu -<br />
blikationen in Österreich erfreulicherweise<br />
reicher geworden. Ein Vorteil<br />
bei der Positionierung ist seine Er -<br />
schei nungsweise. Das Kalenderjahr<br />
mit seinen Jubiläen ist fast vorüber,<br />
wenn das „Jüdische Echo“ zum Jah res -<br />
ende hin erscheint. Es kann sich da -<br />
her leisten nicht ganz aktuell zu sein,<br />
ohne deshalb gleich alt auszusehen.<br />
Als „eine Art kritisches Jahrbuch mit ei ner<br />
jüdisch-österreichischen, österreichischjü<br />
dischen und daher auch einer europäischen<br />
Aufgabe“ hat es der Zeithis to ri ker<br />
Anton Pelinka bei der Präsentation<br />
des jüngsten Heftes im Concordia-<br />
Club bezeichnet.<br />
Statt der Erinnerung an Jubiläen be -<br />
stimmt neuerdings ein Leitthema <strong>als</strong><br />
roter Faden dieses Jahrbuch. „Jüdisch<br />
sein heute“ ist diesmal das ergiebige<br />
motto, zu dem nicht nur alte Be-kann -<br />
te, sondern erfrischenderweise auch<br />
neue Stimmen zu vernehmen sind.<br />
Analysen, Reflexionen und Selbst re -<br />
fle xionen, Bekenntnisse und Stand ort -<br />
bestimmungen umkreisen dieses<br />
The ma , das offenbar niemanden kalt<br />
lässt.<br />
„Nur ein kleiner Teil der 52 Autoren ist<br />
vom ehemaligen Echo übernommen“,<br />
sagt Marta Halpert, die wie Widecki er -<br />
freut betont, <strong>als</strong> neue Chefre dak teu -<br />
rin „die idealbesetzung ist“. Sie hat<br />
die redaktionelle Oberhoheit und vol -<br />
le inhaltliche Autonomie, nachdem<br />
der jeweilige Themenschwerpunkt im<br />
Konsens mit den Herausgebern abgesprochen<br />
wird.<br />
Es ist wohl keine ganz leichte Auf gabe,<br />
Zelmans Erbe fort- und gleichzeitig<br />
in neue Zeiten zu führen. Was marta<br />
Halpert an dieser Herausforderung<br />
journalistisch gereizt hat?<br />
„Das große Erbe anzutreten im Be wuss t -<br />
sein, was Leon in der jüdischen und nichtjüdischen<br />
Gesellschaft bedeutet hat. Was<br />
hätte Leon wissen wollen? Dieser Frage<br />
sind wir nachgegangen. Und <strong>als</strong> seine<br />
Toch ter gemeint hat, dem Papa hätte es<br />
gefallen, er hätte jetzt gesehen, wie man<br />
es modernisieren kann, das war das größte<br />
Kompliment“.<br />
Apropos modernisieren: Eine Erwei -<br />
te rung zu einem Diskussionsforum in<br />
einer internetplattform ist angedacht.<br />
Verschiedene Kommentare, Beiträge<br />
zur intellektuellen Austragung von<br />
Konflikten sind erwünscht, parteipolitisch<br />
Beiträge aber unerwünscht. Die -<br />
se zu vermeiden, ist allerdings nicht<br />
immer einfach, weiß marta Hal pert.<br />
Politik soll nur im weitesten Sinn Ein -<br />
gang in ein Forum finden, in dem<br />
ver schiedenste meinungen im Sinn<br />
einer Streitkultur durchaus aufeinanderprallen<br />
dürfen.<br />
neu sind auch die zahlreichen inter -<br />
views, „damit auch Menschen, die nicht<br />
selbst schreiben können oder wollen, zu<br />
Wort kommen können“.<br />
Und auch der traditionelle Untertitel<br />
„Europäisches Forum“ wird, so Hal -<br />
pert, in Zukunft stärker vollinhaltlich<br />
beim Wort genommen werden.<br />
„Es soll immer ein Echo für Menschen<br />
jüdischer Herkunft bleiben, aber wir wollen<br />
auch über den Tellerrand schauen,<br />
nach Europa und in die ganze Welt“.<br />
Die fetten Jahre sind vorbei und auch<br />
das „Echo“ hat ein bisschen abgespeckt.<br />
„Qualität geht vor Quantität“, so das<br />
Credo der macher, und Qualität hat<br />
eben ihren Preis. D.h. dass journalistische<br />
Beiträge auch honoriert werden.<br />
Bleibt das Preis-Rätsel. Was kostet’s ,<br />
siehe Erlagschein, und wer zahlt’s ?<br />
„Was ein Heft kostet, weiß ich nicht“, ge -<br />
steht Leon Widecki, „vereinzelt gibt es<br />
sogar Leute, die zahlen. Spenden sind natürlich<br />
willkommen. Aber der Verein ist<br />
solide finanziert und das Medium trägt<br />
sich durch Inserate und Abos. Wir müssen<br />
nicht betteln gehen“.<br />
möge die Übung gelingen, denn das<br />
„Echo“ gehört gehört.<br />
•<br />
KULTUR<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 43
KULTUR<br />
© Wr. Staatsoper GmbH / Axel Zeininger<br />
Er glich ein wenig der Sabra, dem<br />
bir nenförmigen Kaktus: Außen eine<br />
raue Schale, innen eine weiche, samtige<br />
Konsistenz. Diese Sanftheit und<br />
Sen timentalität versteckte er hinter<br />
seinem einfach klingenden aber sehr<br />
effektiven Lebensmotto: „Des mach’-<br />
ma“. mit diesem Spruch und den daraus<br />
folgenden entschlossenen Taten<br />
brachte Robert Jungbluth schon in<br />
frühester Jugend seine Eltern in große<br />
Gefahr – und manifestierte seine antinazistische<br />
Gesinnung. „Ich habe mit<br />
meinem Freund und Schulkollegen Hel mut<br />
Qualtinger im Wiener Stadtpark öffent -<br />
lich Hitler-Flugblätter verbrannt“, er -<br />
zählte er lachend, um dann ernst zu<br />
werden: „Wir ‘Deppen’ wussten ja nicht,<br />
wie gefährlich das dam<strong>als</strong> war.“ Er konn -<br />
te nicht verstehen, warum seine jüdischen<br />
Sportsfreunde plötzlich nicht<br />
mehr zum Fußballspiel kamen - und<br />
akzeptieren wollte er das schon gar<br />
nicht.<br />
Jungbluth absolvierte eine Lehrer -<br />
aus bildung und war bereits in dieser<br />
Zeit <strong>als</strong> Statist und Kleindarsteller am<br />
Burgtheater tätig. Beim Wiener Stadt -<br />
schulrat übernahm er 1948, im Alter<br />
von 20 Jahren, die Leitung des Schul -<br />
ge meindereferates der Wiener Be rufs -<br />
schu len. Doch seine Leidenschaft ge -<br />
hörte dem Theater und seinen<br />
Protagonisten. Klaus Kinski zählte zu<br />
seinen ersten „Kunden“ <strong>als</strong> impre sa -<br />
rio. Ab 1955 betreute er die Veranstal -<br />
tun gen der Wiener Festwochen, und<br />
ab 1960 war er bereits persönlicher<br />
Re ferent des intendanten der Wiener<br />
Festwochen. Gemeinsam mit Rolf<br />
Robert Jungbluth:<br />
Hilfsbereit ganz ohne Allüren<br />
Der verstorbene Kulturmanager vermied<br />
bei seinem humanistischen Engagement<br />
jede Publicity: Er half leise und effektiv in<br />
Österreich und in Israel<br />
Persönliche Erinnerungen von Marta S. Halpert<br />
Kutschera wurde Jungbluth 1965<br />
Geschäftsführer und Direktor des<br />
Theaters an der Wien. nach zweijähriger<br />
Leitung der Wiener Stadthalle<br />
folgte 1971 die Ernennung Jungbluths<br />
zum Gener<strong>als</strong>ekretär des neu gegründeten<br />
Österreichischen Bundesthe a ter -<br />
verbandes. 1988 übernahm er ge mein -<br />
sam mit Otto Schenk die Ge schäfts -<br />
füh rung des Theaters in der Josef stadt,<br />
ab 1997 führte er das Haus mit Hel -<br />
muth Lohner. Erst 1999 beendete er<br />
diese Tätigkeit.<br />
Krankentransport nach Jerusalem<br />
Das sind die offiziellen Eckdaten<br />
der Karriere eines der erfolgreichsten<br />
Kulturmanager Österreichs. Über<br />
seine menschlichen Eigenschaften,<br />
seine schnelle und selbstlose Hilfe, sa -<br />
gen diese beruflichen Lebens schrit te<br />
wenig aus. „Er war kein ‘Gutmensch‘<br />
im heutigen Sinn, sondern ganz einfach ein<br />
guter Mensch“, beteuert Lotte To bisch.<br />
Und sie weiß das aus eigener Er fah -<br />
rung: Als junge Burgschau spie lerin<br />
sprach sie 1976 beim Chef der Bun des -<br />
theater vor, und bat um einen großen<br />
Vorschuss auf ihr eher be schei denes<br />
Gehalt.<br />
Jungbluth betrachtete sie gleichermaßen<br />
skeptisch und neugierig: Das<br />
Bild von der eleganten Baronin und<br />
Betriebsrätin und dem schnöden<br />
mammon passten irgendwie nicht<br />
zusammen. Da musste mehr dahinter<br />
sein. Jungbluth drängte auf eine<br />
Erklärung und Lotte Tobisch berichtete<br />
über ihre große Liebe zu michael<br />
Simon, dem todkranken israelischen<br />
Botschafter, der nach Beendigung seiner<br />
mission in Wien bei ihr geblieben<br />
war. Sie hatte seinen Kindern in Je ru -<br />
salem versprochen, dass er seinen<br />
letz ten Weg dort antreten werde. mit<br />
den legendären Worten „das machen<br />
wir schon“ organisierte Jungbluth in<br />
kürzester Zeit ein Flugzeug, das <strong>als</strong><br />
Krankentransporter dienen konnte,<br />
und Tobisch begleitete – ohne Schul -<br />
den – Botschafter Simon nach israel.<br />
Yossi Yadin, Lorin Maazel und<br />
Gerhard Bronner<br />
Robert Jungbluth war ein erfahrener<br />
menschenkenner und hatte ein<br />
gutes Gespür für ehrliche Töne. Als<br />
Talente-Scout liebte er seine manchmal<br />
auch verrückten Künstler und<br />
jene zahlreichen Sängerinnen, deren<br />
Verträge er <strong>als</strong> Bundestheatergeneral<br />
ausgehandelt und unterschrieben<br />
hatte. Schmeicheleien war er nicht ab -<br />
geneigt, doch wenn er reinen Eigen -<br />
nutz mancher Karrieristen witterte,<br />
blockte er beinhart ab. Hatte er aber<br />
an jemandem einen narren gefressen,<br />
dann ging er für ihn durch dick und<br />
dünn. 1971 wollte er für die Produk -<br />
tion der „Anatevka“ am Theater an<br />
der Wien unbedingt den israeli Yossi<br />
Yadin <strong>als</strong> Teweje, den Milchmann verpflichten.<br />
Dieser hatte in dieser Rolle<br />
in London auf Englisch große Erfolge<br />
gefeiert. Jungbluth war im Glauben,<br />
dass jeder Jude „Jiddisch“ sprechen<br />
konn te. Auch <strong>als</strong> Yadin, ein echter<br />
Sabre, dessen Vater schon 1911 ins tür -<br />
kische Jerusalem gekommen war, be -<br />
teuerte, kein Wort Jiddisch zu können,<br />
ließ sich Jungbluth von seiner idee<br />
nicht abbringen. Er schickte ihn kur -<br />
zer hand mit einem Lehrer in Klausur<br />
auf den Semmering. „Bis du es nicht<br />
kannst, will ich dich nicht wiedersehen“,<br />
lautete die liebevolle Drohung. Und<br />
„Anatevka“ in Wien wurde zu einem<br />
Riesenerfolg.<br />
44 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
KULTUR<br />
Zehn Jahre später bemühte er sich<br />
da rum, den weltberühmten Diri gen -<br />
ten Lorin maazel <strong>als</strong> Staats opern di rek -<br />
tor zu verpflichten. Er wusste um die<br />
latenten anti-jüdischen Ge füh le im<br />
österreichischen Kultur be trieb Be -<br />
scheid, und es freute ihn diebisch,<br />
wenn er wider diesen Geist etwas<br />
durchsetzen konnte. Das Experiment<br />
mit maazel, es dauerte nur von 1982-<br />
1984, zählte zu seinen wenigen miss -<br />
grif fen.<br />
Gerhard Bronner, der 1988 nach Flo -<br />
rida gegangen war, fehlte Jung bluth<br />
auch persönlich sehr. Er motivierte<br />
Freunde wie Fans des Komponisten<br />
und Kabarettisten und beglich durch<br />
Sammelaktionen eine Geldbuße des<br />
Finanzamtes: 1993 war sein Freund<br />
Gerhard wieder in Wien aktiv.<br />
Israel: Burgtheater-Stars und<br />
Bühnenarbeiter<br />
Dezent und weise pirschte sich<br />
Robert Jungbluth an die Herzen seiner<br />
vielen mitarbeiter heran, wenn es<br />
ihm darum ging, Vorurteile zu be -<br />
kämp fen und seine Liebe zu israel<br />
mit ihnen zu teilen. Legendär sind die<br />
beiden großartigen Tourneen, die er<br />
persönlich durch das Land führte:<br />
1978 brachte er das Burgtheater mit<br />
„iphigenie auf Tauris“ und 1986 das<br />
Staatsopernballett zu Gastspielen nach<br />
Tel Aviv, Haifa und Jerusalem.<br />
Der Ehemann von Elisabeth Orth,<br />
Burgschauspieler Hanns Obonya, war<br />
einige Tage vor dem Gastspiel verstorben,<br />
und die Witwe war für die Haupt -<br />
rolle, die iphigenie, vorgesehen.<br />
Jung bluth gelang es nicht nur, Frau<br />
Orth zur Reise zu überreden, ihm ge -<br />
lang viel mehr: Seit diesem israel-Auf -<br />
enthalt engagierte sich Elisabeth Orth<br />
verstärkt für zivilgesellschaftliche und<br />
jüdische Belange. Aber Jungbluth be -<br />
geisterte nicht nur sie: Er suchte of fen -<br />
siv die Diskussion mit den anderen<br />
namhaften Künstlern, die zum ersten<br />
mal israel besuchten: Franz morak.<br />
Heinrich Schweiger, Wolfgang Hüb sch,<br />
Paul Hofmann und Ale xan der Trojan.<br />
Aber auch die weniger interessierten<br />
Bühnenarbeiter packte er mit seinem<br />
Enthusiasmus, seinen Argu men -<br />
ten und auf seine ganz individuelle<br />
Art: Er schnapste mit ihnen während<br />
der Arbeitspausen und entkräftigte<br />
auch hier manch vorgefasste mei nung.<br />
Schabbes in der Singerstraße...<br />
Lotte Tobisch brachte Jungbluth in<br />
das gastliche orthodoxe Haus der Fa -<br />
milie moskovics. Hier genoss er die<br />
deftige koschere Küche und lernte<br />
Shlomo Chozner kennen, den ehemaligen<br />
Direktor des Kinderspit<strong>als</strong><br />
ALYn in Jerusalem. Alyn, ein Re habilitationszentrum<br />
für körperlich und<br />
geistig behinderte Kinder jüdischer<br />
und muslimischer Herkunft, gegründet<br />
während der Polioepidemie zwischen<br />
1940 und 1950 in Jerusalem<br />
such te Freunde und Sponsoren in der<br />
ganzen Welt. Auch Yitzhak Perlman,<br />
der weltberühmte Geiger, zählte <strong>als</strong><br />
Kind zu den hilfsbedürftigen Pa tien -<br />
ten. Gastgeberin Sarah moskovics<br />
stand dem „Verein der Freunde von<br />
Lotte Tobisch Privatarchiv/Foto: G. Fiedler<br />
Roberth Jungbluth und Lotte Tobisch<br />
Alyn in Österreich“ vor. Jungbluth<br />
strebte keine Position an, er wollte nur<br />
helfen und das tat er auch über Jahre<br />
hinweg.<br />
....und Sederabend bei Javors<br />
Österreichischer Dirigent Paternostro<br />
leitet Israel Chamber Orchestra<br />
Tournee in Österreich für Herbst 2010 geplant<br />
Seine eigene Krankheit und die seiner<br />
Frau bewirkten Jungbluths Rück -<br />
zug aus dem gesellschaftlichen Ram -<br />
pen licht. Doch er blieb weiterhin bes -<br />
tens informiert über das politische wie<br />
kulturelle Geschehen, und auch seine<br />
tiefe Verbundenheit zu seinen jüdischen<br />
Freunden hat er sich nach mög -<br />
lichkeit erhalten. Zum letzten mal sah<br />
ich ihn beim Pessach-Sederabend bei<br />
niki und Erwin Javor. Er war körperlich<br />
angeschlagen, aber er fühlte sich<br />
seelisch aufgehoben und geborgen.<br />
Der österreichische Dirigent Roberto Paternostro<br />
ist neuer künstlerischer Lei ter des israel Cham ber<br />
Orchestra. Der ehemalige Generalmusikdirektor<br />
des Kasseler Staatstheaters plant für Herbst 2010 eine Tournee des 1965 von<br />
Gary Bertini gegründeten Kammerorchesters durch Österreich, Deutsch -<br />
land und italien, hieß es in einer Aussendung.<br />
Die „Tradition des Orchesters fortzuführen und auszubauen“ sei eine „sehr spannende<br />
und reizvolle Herausforderung“ - „besonders in diesen wirtschaftlich und<br />
politisch schwierigen Zeiten“, so der Dirigent.<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 45
KULTUR<br />
so hat er in sehr jungen Jahren bereits<br />
einen weiten Weg bis zu seinem jetzigen<br />
Status zurückgelegt, sowohl in<br />
professioneller <strong>als</strong> auch in kultureller<br />
Hinsicht.<br />
„Ich wurde in Kfar Saba <strong>als</strong> Kind israelischer<br />
Eltern mit osteuropäischen Wur -<br />
zeln geboren,“ erzählt Raichel. „Mein<br />
Großvater wurde in Israel geboren. Ich<br />
hatte keine starken musikalischen Wur -<br />
zeln, aber ich fing im Alter von neun<br />
Jahren mit dem Akkordeonspielen an.“<br />
Idan Raichel – Ausnahmekünstler<br />
und israelisches Aushängeschild<br />
von Barry Davis; Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />
nur wenige israelische Popstars sind<br />
auch global so erfolgreich wie idan<br />
Raichel. Seit er erstm<strong>als</strong> mit seinem mit<br />
Idan Raichel Project betitelten Album<br />
2002 auf dem internationalen Parkett<br />
erschien, ist der 31jährige Bandleader,<br />
Pianist und Sänger auf der ganzen<br />
Welt gefragt und tritt auf den größten<br />
Festiv<strong>als</strong> und in den prestigereichsten<br />
Konzerthallen auf, während er, fast<br />
wie nebenbei, eine Auszeichnung oder<br />
Auszeichnungsnominierung nach der<br />
anderen für sich verbuchen kann.<br />
Auch bei seinem Konzert anlässlich<br />
des „Spot On: Jiddischkeit Festival“ im<br />
Wiener Konzerthaus begeisterte er<br />
sein Publikum. Der Zuschauerraum<br />
war bis zum Bersten mit menschen<br />
ge füllt, die es unmöglich auf den Plät -<br />
zen halten konnte, <strong>als</strong> Raichel und<br />
seine Band – vor allem der emotionsgeladene<br />
äthiopisch-israelische Sän -<br />
ger Kabra Kasai, der Kamanche (aserbaidschanische<br />
Spießgeige)-Virtuose<br />
Mark Elyahu und der Percussionist<br />
Itamar Duari – den Saal zum Kochen<br />
brachten. Später gab Raichel an, auch<br />
selbst von dieser Show und dem Ort<br />
bewegt gewesen zu sein.<br />
„Wien ist aus verschiedenen Gründen eine<br />
besondere Stadt,“ erklärte er. „Seine mu -<br />
sikalische Geschichte ist so reichhaltig und<br />
die Tragödie des Holocaust ist gleichzeitig<br />
ein Teil von alledem. Unsere Show war<br />
großartig und die Reaktionen des Pu -<br />
blikums sehr stark, mehr kann man nicht<br />
verlangen.“<br />
Als das Idan Raichel Project auf den<br />
markt kam, brachte es einen ganz<br />
neu en, frischen Wind in die israelische<br />
Eth no-Pop-musikszene. Raichel war<br />
der erste in israel geborene Künstler,<br />
dem es gelang, die Schätze der äthiopisch-israelischen<br />
Kultur mit westli -<br />
chen Rhythmen und melodien zu ver -<br />
binden. Dieser verwegene mix fesselte<br />
daraufhin nicht nur das lokale Pu bli -<br />
kum, sondern bald auch Konsu men ten<br />
kommerzieller musik auf der ganzen<br />
Welt.<br />
Musikalische und kulturelle Vielfalt<br />
Wenn man Raichels Herkunft be denkt,<br />
Und während es nicht eben äthiopische<br />
Rhythmen waren, die den jungen<br />
Raichel <strong>als</strong> erstes berührten, so<br />
könnte es doch gerade jene unspezifische<br />
kulturelle Ausrichtung gewesen<br />
sein, die seine Kreativität beflügelte.<br />
„Ich begann Tango, Walzer und Zigeu -<br />
ner musik zu spielen. Die Tatsache, dass<br />
mir die musikalischen Wurzeln fehlten,<br />
machte mich umso offener für Musik aus<br />
aller Welt. Nach ein paar Jahren, mit 14,<br />
fing ich mit dem Keyboardspiel an, was<br />
mich ein wenig mehr in Richtung des<br />
west lichen Pop trieb. Mit 16 lernte ich<br />
dann das Jazzpiano zu spielen. Das gab<br />
mir später die Fähigkeit, Echtzeitimpro -<br />
visa tionen zu machen und mit den anderen<br />
Musikern zu interagieren.“<br />
Wie die meisten israelis absolvierte<br />
idan Raichel im Alter von 18 Jahren<br />
seinen militärdienst und fand sich<br />
bald in einer Armee-Rockband wieder,<br />
die Coverversionen von israelischen<br />
und europäischen Pophits zum Bes -<br />
ten gab. Doch auch diese Erfahrung<br />
ist ihm in guter Erinnerung geblieben:<br />
„Dort war ich zum ersten Mal in<br />
eine Liveband integriert.“<br />
Seine ernsthafte musikalische und kulturelle<br />
Transformation begann schließ -<br />
lich, nachdem er die Armee verlassen<br />
hatte. „Ich arbeitete <strong>als</strong> Berater in einem<br />
Internat, in dem viele Immigranten aus<br />
Äthiopien und Russland, aber auch Is ra e -<br />
lis lebten. Diese Teenager waren allein ins<br />
Land gekommen oder stammten aus Pro -<br />
blem familien. Durch sie lernte ich die äthi -<br />
o pische Popmusik kennen und besuchte<br />
äthiopische Bars in Tel Aviv.“<br />
Und der Rest, wie man so schön sagt,<br />
ist Geschichte...<br />
Internationaler Schmelztiegel<br />
Raichels Album Mi´ma´amakim wurde<br />
drei Jahre nach dem Project-Album<br />
veröffentlicht und machte die ethni-<br />
46 <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769
sche Bandbreite seiner musik noch<br />
wei ter. Er integrierte jemenitisches wie<br />
arabisches material, ebenso wie Tex te<br />
in Tiginya (wird in Eritrea von einigen<br />
äthiopischen Olim gesprochen).<br />
Drei Jahre und ein zwischenzeitliches<br />
Greatest Hits Album später, stellte<br />
Raichel nun sein drittes Studioalbum<br />
vor: Bein Kirot Beiti (in meinen Wän -<br />
den). Wenn man dabei seine unentwegten<br />
Reisen rund um den Globus<br />
bedenkt, scheint dieser name fast<br />
eine Fehlinterpretation zu sein.<br />
„Ich glaube, wenn ich kein Musiker ge -<br />
wor den wäre und mich nicht so viele Men -<br />
schen unterstützt hätten, hätte ich genau<br />
das gemacht – ich wäre in den eigenen<br />
vier Wänden geblieben.“, meint Raichel<br />
dazu. „Ich bin dankbar für jede Hilfe, die<br />
mir zuteil geworden ist und für all die<br />
wun derbaren Musiker, mit denen ich spie -<br />
len durfte und immer noch spiele.“<br />
Zu letzteren gehören auch so klingende<br />
namen wie jener der jemenitischen<br />
Diva Shoshana Damari.<br />
neben seinen instrumentellen, ge -<br />
sanglichen sowie arrangementtechnischen<br />
Fähigkeiten, scheint Raichel<br />
ganz besonders geschickt in der Ver -<br />
flechtung von Talenten der unterschiedlichsten<br />
Künstler zu sein.<br />
Auf Bein Kirot Beiti erklingen erst die<br />
be kannten Akkordfolgen und Har -<br />
mo nien, gepaart mit äthiopischem<br />
Gesang, doch dann wird der musikalische<br />
Schmelztiegel auch schon durch<br />
Mayra Andrade (Cap Verde), einer<br />
marokkanischen nummer von Shi mon<br />
Buskila, einigen spanischen Tracks der<br />
in Kolumbien geborenen Sän ge rin<br />
Marta Gomez sowie einem Stück des<br />
ugandischen Sängers Somi auf<br />
Suaheli aufgemischt.<br />
Raichel selbst singt vier der musik -<br />
num mern, Ilan Damti, Amir Dadon,<br />
Maya Avraham und Shai Tzabari die<br />
anderen hebräischen Lieder.<br />
Abgesehen von seiner enormen geographischen<br />
und kulturellen Band -<br />
brei te, besticht Bein Kirot Beiti durch<br />
eine durchwegs hohe Qualität, die,<br />
wie Raichel überraschenderweise an -<br />
merkt, gar nicht beabsichtigt war. „Es<br />
ist wie wenn ein 500-Seiten-Buch vom<br />
Herausgeber gekürzt wird und schließlich<br />
etwas völlig anderes <strong>als</strong> das Original da bei<br />
heraus kommt. Diese CD schrumpfte so<br />
lange, bis sie das nunmehrige Format an -<br />
genommen hatte. Aber von Anfang an ge -<br />
plant war das so nicht.“, erklärt Rai chel.<br />
KULTUR<br />
Es fällt ihm auch schwer, seinen an -<br />
dauernden internationalen Erfolg zu<br />
erklären.<br />
„Ich habe zum Beispiel keine Ahnung,<br />
weshalb meine Musik in Großbritannien<br />
so populär ist, vor allem wo doch kaum<br />
jemand die Sprachen versteht, in denen<br />
wir singen. Aber, wissen Sie, Künstler<br />
wie Edith Piaff oder Mercedes Sosa sangen<br />
auch stets in ihren eigenen Sprachen und<br />
dennoch werden sie überall ge schätzt. Es<br />
ist, <strong>als</strong> würde man seinen eigenen kulturellen<br />
Soundtrack zum Besten geben. Ich<br />
denke, das spüren auch die Menschen<br />
jenseits der Grenze.“<br />
„Bei den eigenen Wurzeln bleiben“<br />
Was daran auch überrascht ist, dass<br />
Raichel nicht versucht, ein größeres<br />
Publikum in England oder den USA<br />
zu erreichen, indem er englischsprachiges<br />
material in seine Shows und<br />
Alben integriert. „Ich habe das Gefühl,<br />
hier bei meinen Wurzeln bleiben zu müssen,<br />
gerade auch im kulturellen Sinn.<br />
Englisch ist weder meine Sprache, noch<br />
die irgendeines anderen Künstlers, der mit<br />
mir auftritt. Allerdings gibt es eine Sän -<br />
ge rin namens Sonya, die auf unseren<br />
Konzerten in den USA oder Australien<br />
manchmal auf Englisch gesungen hat.<br />
Also ist unsere Arbeit den Menschen dort<br />
nicht völlig fremd.“<br />
Vielen menschen rund um den Glo -<br />
bus eröffnet Raichels musik einen völ -<br />
lig neuen Blickwinkel auf eine Ge gend,<br />
die von den medien nicht im mer im<br />
besten Licht dargestellt wird. Auch<br />
für ihn selbst sei es nicht immer einfach,<br />
so Raichel. „Manchmal ist es<br />
schwierig, <strong>als</strong> israelischer Künstler in Län -<br />
der zu reisen, wo man keine allzu positive<br />
Meinung von Israel hat, doch ich habe<br />
erkannt, dass die Menschen gewillt sind,<br />
mehr über die Israelis zu lernen. Und dass<br />
sie froh sind, wenn sie merken, dass auch<br />
die Israelis keinen Konflikt wollen. Sie<br />
wollen dasselbe, wie ihre Nachbarn in der<br />
Region und jeder andere Mensch auf der<br />
Welt: ein glückliches Leben, Liebe, Nah -<br />
rung, Würde und Respekt.“<br />
Und genau das ist es, was auch in<br />
Raichels musik durchklingt.<br />
Trotz aller Sprachbarrieren wird Bein<br />
Kirot Beiti den Ausnahmekünstler mit<br />
Sicherheit zu einem noch beeindrukkenderen<br />
Aushängeschild israels ma -<br />
chen.<br />
DEFAMATION<br />
Ein Film von Yoav Shamir<br />
Regie, Kamera, Script: Yoav Shamir<br />
Musik: Mischa Krausz<br />
Was bedeutet Antisemitismus heute,<br />
zwei Generationen nach dem Holo -<br />
caust? Bei seiner kontinuierlichen<br />
Erforschung des modernen Lebens<br />
be reist der israeli Regisseur Yoav<br />
Shamir die Welt, sucht nach den<br />
modernsten Erscheinungsformen des<br />
„ältesten Hasses“ und findet einige<br />
alarmierende Antworten auf diese<br />
Frage.<br />
im Zuge dieser unehrerbietigen Su che<br />
folgt er amerikanischen, jüdischen,<br />
Oberhäuptern in europäische Haupt -<br />
städte bei ihrer mission, die Regie -<br />
run gen vor der wachsenden Gefahr<br />
des Antisemitismus zu warnen, und<br />
er heftet sich an die Fersen einer is -<br />
raelischen Schulklasse bei ihrer<br />
Gedenkfahrt nach Auschwitz (Foto).<br />
meinungen gehen oft auseinander<br />
und Gemüter gehen manchmal hoch,<br />
doch in Defamation erkennen wir,<br />
dass eines sicher ist – nur indem wir<br />
ihre Reaktion auf Antisemitismus ver -<br />
stehen, können wir auch wertschätzen,<br />
wie Juden heutzutage, und beson ders<br />
die modernen israelis, auf die Welt<br />
um sie herum reagieren, in new York,<br />
in moskau, in Gaza und in Tel Aviv.<br />
Defamation, ist der einzige Doku -<br />
men tarfilm der von der diesjährigen<br />
Berlinale, internationales Forum des<br />
jungen Films, <strong>als</strong> österreichischer<br />
Beitrag nominiert wurde.<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2009</strong>/Tewet 5769 47