'Die Gemeinde' November 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...
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Nr. 657 <strong>November</strong> <strong>2009</strong><br />
Cheschwan/Kislew 5770<br />
Erscheinungsort Wien<br />
Verlagspostamt 1010 P.b.b<br />
e 2.-<br />
GZ 03Z034854 W<br />
DVR 0112305 € 2.-<br />
Die Die<br />
GEMEINDE<br />
offizielles orgaN der israelitisCheN KultusgemeiNde wieN<br />
magazin
INHALT<br />
&<br />
AUS DEM BÜRO<br />
DES PRÄSIDENTEN<br />
Einladung 3,48<br />
IN EIGENER SACHE<br />
Chanukka der offenen Tür 4<br />
ALEXIA WEISS<br />
Serie: Hinter den Kulissen der IKG<br />
Teil 15: Das Freidhofsamt 6<br />
ALEXIA WEISS<br />
„Ich bin offen für alle!“<br />
Im Gespräch mit Gemeinde -<br />
rabbiner Hofmeister 8<br />
POLITIK<br />
INLAND<br />
ALEXIA WEISS<br />
Geplante Erregung 12<br />
AUSLAND<br />
RechtsextremeParteien<br />
gründen Eu-weiten Verband 14<br />
ISRAEL<br />
ULRICH W. Sahm<br />
Mauer ist nicht gleich Mauer 16<br />
ULRICH W. Sahm<br />
Palästinenser wollen<br />
Staat ausrufen 17<br />
Waffenschmuggel<br />
für Hisbollah 18<br />
MOSHE ARENS<br />
Von von Braun zu Nasrallah 20<br />
Der Demjanjuk Prozess 21<br />
Wiener Lichter gegen<br />
Burschenschaftkommers 22<br />
Neue Mauthausen-Guides 22<br />
KULTUR<br />
Jüdische Abgeordnete<br />
im Parlament 18-61-1938 31<br />
ALEXIA WEISS<br />
Wien See die Vergangenheit<br />
zum Schweigen brachte 32<br />
ALEXIA WEISS<br />
Paradigmenwechsel im<br />
Umgang mit Täterorten 34<br />
ALEXIA WEISS<br />
Subjektiver Zugang<br />
zu Erinnerungsarbeit 36<br />
ANITA POLLAK<br />
Mehr <strong>als</strong> ein Schauplatz 37<br />
MARCUS G. PATKA<br />
Mélange Oriental 38<br />
Auszeichnungen 39<br />
ANITA POLLAK<br />
Einmal Jenseits und retour 40<br />
PETER WEINBERGER<br />
Überall & Nirgendwo 41<br />
SPORT<br />
ALEXIA WEISS<br />
Ankick für Makkabi<br />
Spiele 2011/Teil 2 42<br />
MARTIN KRAUSS<br />
Harter Box-Weltmeister und<br />
einfühlsamer Rabbi 44<br />
RUTH FUCHS<br />
100 Jahre S.C.Hakoah 45<br />
JUDENTUM<br />
RABB. SCHLOMO HOFMEISTER<br />
Schailes & Tschuwos 46<br />
Journalist Juraj Alner, Leon Widecki,<br />
Wolfgang Hiller, Ursula Plassnik, Mi gra -<br />
tionsforscher Rainer Münz und Chef re -<br />
dakteurin Halpert dikuttierten nach der<br />
Präsentation über die Zukunft Europas<br />
DAS JÜDISCHE ECHO<br />
"Zuhause in Europa"<br />
Neue Ausgabe mit neuer Optik<br />
„Zuhause in Europa“ lautet das<br />
Thema der diesmal 300 Sei ten<br />
starken Ausgabe „Das Jüdische<br />
Echo“ für das Jahr <strong>2009</strong>. Be -<br />
leuch tet wird das jü disches Le -<br />
ben in den 27 EU-Län dern – in<br />
fünf Ka piteln mit 63 Beiträ gen<br />
von und mit namhaften Au to -<br />
rin nen und Auto ren.<br />
Artdirektor Dirk Merbach entwickelte<br />
gemeinsam mit De si -<br />
gne rin Lisa Elena Ham pel ein<br />
neues Design und das Co ver<br />
so wie fünf weitere Illustra tio -<br />
nen wurde vom in Berlin le ben -<br />
den chi leni schen Il lus tra tor<br />
Chris tó bal Schmal gestaltet.<br />
www.juedischesecho.at<br />
WIRTSCHAFT<br />
REINHARD ENGEL<br />
Wasser und Wein 23<br />
Wirtschaft-News 26<br />
WISSENSCHAFT<br />
Wissenschaft-News 27<br />
JÜDISCHE WELT<br />
Panorama 28<br />
Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Global intelligence<br />
centre, Walla, Y-net, israelnetz (inn), nahostfocus (NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, ILI u.v.a.<br />
GEmEinDE<br />
Titelbild:<br />
Jüdischer Friedhof Erfurt, 9.11.<strong>2009</strong><br />
© EPA/Martin Schutt<br />
Wir bedauern - In unserer vorigen Aus -<br />
gabe berichte ten wir über den Fried hof<br />
von Addis Abeba. Leider ist das © verloren<br />
ge gangen: Die Fotos stammen<br />
aus der Kamera von AnnA BlaU.<br />
PLENARSITZUNGEN <strong>2009</strong><br />
09. Dezember<br />
Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> Kultusgemeinde Wien.<br />
Zweck: Information der Mitglieder der IKG Wien in kulturellen, politischen<br />
und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />
Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 Wien, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />
Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />
Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 Wien<br />
Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />
Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />
Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak -<br />
tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />
Ω „Westend Stories.“ Erinnerungen u. Texte aus Wien VII<br />
01.12./19.00 Literaturhaus<br />
Ω Samuel Steinherz<br />
01.12./19.00 Stadtmuseum Graz<br />
Ω Lilli-Grün-Abend: „Alles ist Jazz“<br />
01.12./19.30 Literaturbuffet<br />
Ω „Kitty & Otto Suschny“ - Ein Filmportrait<br />
01.12./19.30 Aktionsradius Augarten<br />
Ω BackTalk-Strategien gegen Rechts: Isolde Charim<br />
02.12./19.00 Depot<br />
Ω „Austrian Brutalities“ (Karl Kraus)<br />
03.12./18.30 Jüdisches Museum Wien<br />
Ω Die Kärntner Sloweninnen im Kampf gg NS<br />
03.12./18.30 DÖW<br />
Ω Wien 1848 im Tagebuch Benjamin Kewalls<br />
03.12./19.30 Aktionsradius Augarten<br />
Ω „Von der Kunst der Nestbeschmutzung“. Das Buch<br />
zum Club. Das Fest zum Buch mit Buffet und Musik<br />
05.12./19.00 Republikanischer Club<br />
Ω Topsy Küppers<br />
07.12./19.00 ESRA<br />
KULTURVORSCHAU 1.-07.12.<br />
2 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />
Wir haben es geschafft! Wir feiern<br />
die Fertigstellung des IKG-Campus<br />
TAG DER OFFENEN TÜR<br />
IM MAIMONIDES-ZENTRUM<br />
Sonntag 13. Dezember <strong>2009</strong>,<br />
von 11.00 Uhr - 13.00 Uhr<br />
Am 7. Dezember ist das neue Maimonides-Zentrum fertig gestellt und es beginnt die Übersiedlung aus der<br />
Bauernfeld gass e. Um Ihnen, liebe Gemeindemitglieder, die Gelegenheit zu geben, das neue Maimonides-<br />
Zentrum zu besichtigen und die Bewohner nicht zu stören, bieten wir Ihnen die Möglichkeit sich das neue Zen -<br />
trum anzusehen! Am 14. Dezember beginnt die Übersiedlung der Bewohner und das Maimonides-Zentrum ist<br />
für Besucher nicht mehr frei zugänglich. Der Eingang befindet sich in Wien 2., Wehlistraße/Ecke Simon-Wie sen -<br />
thalgasse 1. Je nach Interesse bieten wir Ihnen zwei Besichtigungsformen an:<br />
Besichtigung des Pflegeheims, der Seniorenresidenz und<br />
des Wohnheimes<br />
Wenn Sie Interesse haben, eine dieser Einheiten, Pflegezimmer oder Woh nun -<br />
gen und die Allgemeinflächen zu besichtigen, steht Ihnen unser MZ-Team unter<br />
der Führung von Mag. Missbichler und Mag. Herzog zur Verfügung. Die Besich -<br />
tigungen dauern ca. 30 Minuten und werden um 11.00 Uhr, 11.30 Uhr, 12.00 Uhr<br />
und 12.30 Uhr mit maximal 30 Personen durchgeführt.<br />
Nur mit Anmeldung! Besucherkarten sind ausschließlich vor Ort bei Herrn Wagner<br />
im „Kaffeehaus Maimonides-Zentrum“ erhätlich!<br />
Besichtigung des gesamten Maimonides-Zentrums inklusive Küchen,<br />
Technik, Synagoge, usw.<br />
Für Personen, die problemlos längere Strecken gehen können, bieten wir die Mög lichkeit um 11.00 Uhr, 12.00 Uhr<br />
und 13.00 Uhr eine 60-minütige Be sich ti gungs tour mit maximal 40 Per sonen unter der Leitung von Arch. Feiger<br />
und Dr. Muzicant zu machen. Nur mit An meldung! Besu cher karten sind ausschließlichvor Ort bei Herrn Wagner<br />
im „Kaffeehaus Mai mo ni des-Zen trum“ erhätlich!<br />
Im „Kaffeehaus Maimonides-Zentrum“ werden Erfrischungen und ein kleines Buffet angeboten.<br />
Auf Ihr Kommen freut sich die IKG, das Maimonides-Zentrum und die ZPC-Schule.<br />
© Arch. Thomas Feiger<br />
SONDERPROGRAMM<br />
Besichtigung in deutscher und russischer Sprache<br />
DONNERSTAG, 10. DEZEMBER, UM 18.00 UHR<br />
mit Dr. Ariel Muzicant, Arch. Thomas Feiger und Dr. David Vyssoki.<br />
Treffpunkt Kaffeehaus!<br />
© Arch. Thomas Feiger<br />
Специальная программа<br />
Осмотр на немецком и русском языках.<br />
В четверг, 10-го декабря <strong>2009</strong> года,<br />
в 18.00 часов состоится<br />
экскурсия-осмотр на немецком и русском языках с доктором<br />
Ариэлем Музикант, архитектором Томасом Файгер и доктором<br />
Давидом Выссоки. Место встречи – кафе!<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770<br />
3
Simon Wiesenthal-Gasse 1<br />
1020 Wien<br />
Eingang Maimonides Zentrum<br />
16.15 Kerzenzünden in der ZPC-Synagoge<br />
mit Gemeinderabbiner Hofmeister<br />
17.30 Kerzenzünden im Festsaal<br />
mit Oberrabbiner Eisenberg<br />
Betreutes Kinderprogramm<br />
Hora-Workshop<br />
Schattenspiel<br />
Chanukkah-Lilliput-Zug<br />
Traditionelle Wizo Aviv Chanukkah-<br />
Party – diesmal im Rahmen von<br />
„Chanukka der offenen Tür“!<br />
Lernen sie die IKG und ihre<br />
Abteilungen kennen ...<br />
Machen sie eine Führung durch das<br />
neue Maimonides-Zentrum ...<br />
Genießen Sie unser musikalisches Programm<br />
und tanzem sie mit uns ...<br />
Kosten Sie unsere kulinarischen Spezialitäten!<br />
Punsch • Krapfen • Kartoffelpuffer • Maroni<br />
Oberrabbine<br />
„Songs &<br />
Wiener Jüd<br />
„Chanukk<br />
Frejl<br />
„Hora & Chass<br />
Aliosha Biz & V<br />
„KlezM<br />
Sveta Kund<br />
„A Voice F<br />
- und a<br />
Idan R<br />
„Solo c<br />
Bitte einen amtlichen Lich
13. Dezember <strong>2009</strong><br />
r Eisenberg<br />
Blessings“<br />
- ab 14.00 Uhr<br />
ischer Chor<br />
alieder“<br />
ech<br />
idische Tänze“<br />
ienna Jazzklez<br />
ehr“<br />
ish & Band<br />
or Peace“<br />
ls Gast<br />
aichel<br />
oncert“<br />
tbildausweis mitbringen!<br />
© Bartzi Goldblat
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
SERIE<br />
Hinter den Kulissen –<br />
Die IKG Wien stellt sich vor<br />
Teil 15: Das Friedhofsamt<br />
serViCe<br />
erreichbarkeit des fiedhofamtes<br />
in einem todesfall ist Avraham<br />
Pollak rund um die Uhr unter der<br />
Telefonnummern 01 – 767 62 52<br />
(Büro) beziehungsweise mobil un -<br />
ter 0676 – 844 512 451 erreichbar.<br />
Zu Schabbat oder an jüdischen<br />
Feiertagen bitte auf das Band sprechen,<br />
Rabbiner Pollak meldet sich<br />
umgehend bei ihnen. Sollte ihr<br />
Angehöriger, ihre Angehörige zu<br />
Hause verstorben sein, bitte unbedingt<br />
den Hausarzt verständigen<br />
und unter 01 – 797758 7890 einen<br />
Arzt anfordern, der die Leichen be -<br />
schau vornimmt (diese nummer<br />
ist 24 Stunden am Tag erreichbar).<br />
in allen anderen Angelegenheiten<br />
(zum Beispiel interesse an einem<br />
Grab) wenden Sie sich bitte zu Bü -<br />
ro zeiten an Avraham Pollak:<br />
Sonn tag von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr,<br />
montag bis Donnerstag 8.00 Uhr<br />
bis 15.30 Uhr sowie Freitag 8.00<br />
Uhr bis 12.00 Uhr. An jüdischen<br />
Fei ertagen ist das Büro nicht be -<br />
setzt.<br />
Das Friedhofsamt befindet sich am<br />
wiener zentralfriedhof, 4. tor,<br />
Sim meringer Hauptstraße 244,<br />
1110 Wien (zu erreichen mit der<br />
Straßenbahn nummer 71).<br />
Per mail ist Avraham Pollak unter<br />
a.pollak@ikg-wien.at erreichbar.<br />
„Das Telefon kann<br />
jederzeit läuten“<br />
Der Tod hält sich nicht an Bürozeiten: und<br />
so kann es schon vorkommen, dass Av ra -<br />
ham Pollak, der Leiter des Fried hof amts,<br />
während des Essens oder mitten in der<br />
Nacht gerufen wird, um einen Toten, eine<br />
Tote zu holen. Seit 2006 ist Pollak in ganz<br />
Österreich, vor allem aber in Wien un ter -<br />
wegs, um verstorbene Jüdin nen und Ju -<br />
den an ihren letzten Aufent haltsort zu<br />
bringen.<br />
Von Alexia Weiss<br />
Es ist ein sonniger, wenn auch kühler<br />
Oktober-Vormittag und Avraham<br />
Pollak sitzt hinter seinem Schreibtisch<br />
im Büro des Friedhofamts am Wiener<br />
Zentralfriedhof, 4. Tor. Der Computer<br />
ist eingeschaltet. Ab und zu läutet das<br />
Telefon. Doch bisher ist es ein ruhiger<br />
Tag – und er wird es auch bleiben.<br />
Wenn niemand verstirbt, dann ist<br />
nicht viel los am Friedhof. „An Tagen<br />
wie diesen beantworte ich e-mails, ich<br />
schaue, was die Arbeiter machen, viel<br />
mehr ist nicht zu tun“, erzählt Pollak.<br />
Die Arbeiter, das sind: Goran iva -<br />
novic, Andelko Juric, Pero Cicic, ma -<br />
rin ko micic. Sie heben die Gräber aus,<br />
wenn es ein Begräbnis gibt, und schau -<br />
feln sie wieder zu. Sie mähen das<br />
Gras und rechen das Laub. Und wenn<br />
Angehörige sie darum bitten, sich um<br />
ein bestimmtes Grab zu kümmern,<br />
dann machen sie auch das – allerdings<br />
gegen ein gesondertes Ent gelt,<br />
wie Pollak betont.<br />
An anderen Tagen dagegen kann die<br />
Hölle los sein: wenn permanent das<br />
Telefon klingelt und Pollak sowie<br />
Sekretärin marina Josipovic mit dem<br />
Abheben nicht nachkommen. Da gibt<br />
es Wien-Besucher, die vor Reiseantritt<br />
anfragen, ob es Gräber von Verwand -<br />
ten auf dem Zentralfriedhof gibt.<br />
6 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
Hier kann Pollak auf eine entsprechende<br />
Datenbank zugreifen, die<br />
Auskunft darüber gibt, ob der oder<br />
die Gesuchte auf Tor 1, Tor 4 oder<br />
vielleicht überhaupt auf einem anderen<br />
jüdischen Friedhof in Österreich<br />
liegt. Dann wieder wollen sich Ge -<br />
meindemitglieder bereits vor ihrem<br />
Tod ein Grab kaufen beziehungswei -<br />
se einen bestimmten Platz sichern.<br />
Und dann gibt es jene Tage, an denen<br />
nicht ein, sondern zwei – in seltenen<br />
Fällen sogar drei – Begräbnisse an<br />
einem Tag zu organisieren sind. im<br />
Jahr wickelt Pollak an die 80 Beer -<br />
digungen ab – holt den Leichnam entweder<br />
von der Wohnung des oder<br />
der Toten, dem Pflegeheim, Kranken -<br />
haus oder aber auch dem Kühlhaus<br />
ab, falls eine Obduktion unvermeidlich<br />
gewesen war, bringt ihn zum<br />
Friedhof, wo der Leichnam gewaschen<br />
(Tahara) und angekleidet (in<br />
Tachrichim, das ist das weiße Ge wand<br />
aus Leinen oder Baumwolle) wird. So<br />
schnell <strong>als</strong> möglich findet dann die<br />
Bestattung statt.<br />
An den Umgang mit den Leichen hat<br />
sich Pollak inzwischen gewöhnt,<br />
erzählt er. Zuvor war er in israel, ab<br />
1997 dann in Österreich vor allem <strong>als</strong><br />
maschgiach tätig gewesen. Und er<br />
sagt: die Toten können in ganz unterschiedlichem<br />
Zustand sein. „Ein kranker<br />
Mensch sieht ganz anders aus <strong>als</strong><br />
jemand, der <strong>als</strong> gesunder Mensch stirbt“,<br />
so Pollak. Und besonders nahe gehen<br />
natürlich Begräbnisse von Leuten, die<br />
jung sterben. „Das ist dann schwierig.“<br />
Pollak weiß aber auch, dass sich alle<br />
Angehörigen von jüngst Verstorbe nen<br />
in einer Art Ausnahmezustand befinden.<br />
„Da gibt es immer wieder Aufre -<br />
gungen und es ist immer eine schwierige<br />
Situation. Ich bemühe mich aber, hier erst<br />
gar keinen Streit aufkommen zu lassen.“<br />
Schwierig ist es manchmal auch mit<br />
Leuten zu argumentieren, die sichtlich<br />
nicht begütert sind, dennoch aber<br />
auf einem teuren Grab bestehen,<br />
erzählt Pollak. Fünf verschiedene<br />
Klassen an Gräbern stehen am 4. Tor<br />
zur Verfügung – der Preis richtet sich<br />
jeweils nach der nähe zur Zere mo -<br />
nienhalle. Klasse eins kostet 11.000<br />
Euro, Klasse zwei 7.000 Euro, Klasse<br />
drei 4.800 Euro, Klasse vier 2.800 Eu ro<br />
und Klasse fünf 1.500 Euro. Die<br />
Kosten für das Begräbnis sind hier<br />
jeweils inkludiert – der Grabstein<br />
muss jedoch extra beim Steinmetz<br />
bestellt und bezahlt werden. Gruften<br />
werden ebenfalls angeboten, zu<br />
einem Preis von 14.500 Euro, „sie werden<br />
aber fast nie gekauft“, so Pollak. Die<br />
Abrechnung erfolgt übrigens über<br />
das mitgliederservice, mit diesem ist<br />
auch – so gewünscht – eine allfällige<br />
Ratenzahlung zu vereinbaren.<br />
Sollte es zu einem Todesfall in der<br />
Familie kommen, bittet Pollak die<br />
An gehörigen, so rasch <strong>als</strong> möglich<br />
mit ihm Kontakt aufzunehmen, be -<br />
sonders dann, wenn der Tod in der<br />
eigenen Wohnung, dem eigenen Haus<br />
erfolgt ist. Dann empfiehlt es sich einerseits<br />
den Hausarzt zu verständigen,<br />
der die Krankengeschichte kennt und<br />
meist dafür sorgen kann, dass es zu<br />
keiner Obduktion kommt (die eine<br />
rasche Beerdigung verzögern würde),<br />
andererseits einen Arzt zu rufen, der<br />
die Leichenbeschau vornimmt (Ser -<br />
vice nummern siehe Kasten). Rund 30<br />
bis 40 Prozent der Todesfälle passieren<br />
zu Hause, etwa wenn in den eigenen<br />
vier Wänden gepflegt wird.<br />
Verstirbt jemand in einem Pflegeheim<br />
oder Krankenhaus, so kümmern sich<br />
diese institutionen um alles nötige.<br />
Viel Bürokratisches hat Pollak zu<br />
erledigen, wenn jemand in israel be -<br />
stattet werden soll. Rund zehn Überführungen<br />
pro Jahr hat Pollak zu or -<br />
ga nisieren und ist dann schon einmal<br />
einen Tag von Behörde zu Behör de<br />
unterwegs, um alle Geneh migun gen<br />
einzuholen. Pollak ist übrigens auch<br />
für jüdische Bestattungen auf anderen<br />
jüdischen Friedhöfen in ganz<br />
Österreich zuständig, etwa in Baden<br />
oder in Linz.<br />
Das Gros der Beerdigungen findet aber<br />
in Wien statt. Am Zentralfriedhof, 1.<br />
Tor, sind etwa 77.000 menschen in an<br />
die 45.000 Gräbern bestattet. Hier finden<br />
heute nur mehr selten Begräb nis -<br />
se statt – Pollak spricht von etwa<br />
einer Beerdigung pro Jahr, dann, wenn<br />
jemand in einem Ehrengrab bestattet<br />
wird, oder in einem Grab bei Ver wand -<br />
ten beerdigt werden möchte. Am Tor<br />
4, das seit 1916 in Betrieb ist, liegen<br />
derzeit an die 58.000 Tote in etwa<br />
47.000 Gräbern.<br />
Heute ist es übrigens üblich, nur<br />
mehr eine Person pro Grab zu beerdigen,<br />
erzählt Pollak. Sollen zwei<br />
Personen bestattet werden, muss man<br />
dies vor dem ersten Begräbnis mitteilen,<br />
damit der Halacha entsprechend<br />
tief genug gegraben wird. Und natürlich<br />
ist es auch möglich, zwei Gräber<br />
nebeneinander reservieren zu lassen.<br />
Pollak führt interessenten jederzeit<br />
gerne über das Friedhofsareal, damit<br />
man sich einen ganz bestimmten<br />
Platz aussuchen kann.<br />
Wie viele Jahre Pollak noch die Toten<br />
zu ihrer letzten Ruhestätte bringt,<br />
steht übrigens in den Sternen. Er habe<br />
nichts dagegen, diese Arbeit noch<br />
viele Jahre zu machen, wenn sich et -<br />
was anderes ergebe, sei er aber auch<br />
dafür offen. Dass am Ende des Le -<br />
bens der Tod steht, das ist Pollak wie<br />
keinem anderen bewusst. Doch er<br />
weiß auch, dass das Leben oft unerwartete<br />
Wendungen bringen kann. So<br />
heiratet sein ältester Sohn in Kürze<br />
nach Belgien.<br />
zur PersoN<br />
avraham Pollak, geb. 1968 in<br />
israel, besuchte eine Jeschiwe in<br />
Jerusalem. Danach zunächst in<br />
israel, seit 1997 in Österreich <strong>als</strong><br />
maschgiach tätig (Ar che noah.<br />
Koschere Bäckerei, maimo ni des<br />
Zentrum). Daneben am Jüdi schen<br />
Beruflichen Bildungszentrum<br />
(JBBZ) Deutsch- und EDV-Kurse.<br />
Seit 2006 Leiter des Friedhofamts<br />
der iKG.<br />
Pollak ist verheiratet und Vater von<br />
acht Kindern zwischen fünf und<br />
19 Jahren. Die drei ältesten leben<br />
derzeit in israel, um eine Ausbil -<br />
dung zu absolvieren. Der älteste<br />
Sohn heiratet in Kürze nach Bel -<br />
gien.<br />
Heimweh nach israel hat Pollak<br />
nicht. Seine Eltern leben seit mittlerweile<br />
20 Jahren in Wien. Seine<br />
Groß eltern, die ursprünglich aus<br />
Ungarn stammten, waren im<br />
Konzentrations lager maut hausen<br />
interniert gewesen, überlebten<br />
aber und wanderten nach israel<br />
aus.<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 7
IN EIGENER SACHE<br />
„Ich bin offen<br />
für alle“<br />
Seit dem Frühsommer steht Rabbiner<br />
Schlomo Hofmeister Oberrabbiner<br />
Paul Chaim Eisenberg unterstützend<br />
<strong>als</strong> Gemeinderabbiner zur Seite.<br />
„Die Gemein de“ sprach mit Rabbiner<br />
Hofmeister über seine ersten Eindrücke<br />
und das Leben in Wien.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Sie sind nun ein halbes Jahr in Wien:<br />
inwieweit decken sich Ihre Erwartungen<br />
mit der bisher erlebten Wirklichkeit?<br />
ich habe es mir ziemlich genau so vor -<br />
gestellt – wir haben uns ja auch gut<br />
vorbereitet. Und insofern gibt es bisher<br />
auch keine nennenswerten negativen<br />
Überraschungen.<br />
Und wie sieht es mit positiven<br />
Überraschungen aus?<br />
Ja, die gibt es durchaus. Die persönliche<br />
Erwartung, dass es in Wien ein<br />
sehr aktives Leben – in den unterschiedlichsten<br />
Ausprägungen - gibt,<br />
ist mehr <strong>als</strong> erfüllt. Die infrastruktur<br />
unserer Gemeinde ist nahezu perfekt:<br />
von Kaschrut über Schulen, diversen<br />
Sportvereinen und kulturellen Orga -<br />
ni sationen und Veranstaltungen, das<br />
neue Altersheim, das beeindruckende<br />
Angebot im JBBZ, ganz zu schweigen<br />
von der hilfreichen Arbeit, die ESRA<br />
für unsere mitglieder leistet und sich<br />
dabei um Angelegenheiten kümmert,<br />
die in anderen Gemeinden häufig un -<br />
gelöst bleiben. insofern finde ich es<br />
eigentlich schade, dass viele scheinbar<br />
gar nicht zu schätzen wissen, wie gut<br />
bei uns alles organisiert ist und welch<br />
großartiges Angebot es hier im Ver -<br />
gleich zu anderen Städten gibt.<br />
Seit diesem Herbst gestalten Sie in der<br />
„Ge meinde“ zwei Seiten, auf denen Sie<br />
auch Fragen beatworten. Wie kann man<br />
sich dazu an Sie wenden?<br />
Einerseits per mail (AskTheRabbi@ikgwien.at),<br />
andererseits natürlich auch<br />
telefonisch oder persönlich.<br />
Nach welchen Gesichtspunkten suchen Sie<br />
jene Fragen und Antworten aus, die Sie<br />
dann veröffentlichen?<br />
Dabei versuche ich mein Bestes, von<br />
den vielen Fragen und Themen jene<br />
aus zusuchen, die interessant sind für<br />
alle Leser, mit ihrem sehr unterschiedlichen<br />
kulturellen Hintergrund – von<br />
säkular bis streng religiös. Als Ge -<br />
mein derabbiner gehört es zu meiner<br />
Aufgabe, grundsätzlich für alle da zu<br />
sein, aber natürlich kann man es nie<br />
für alle immer genau treffen. Und so<br />
versuche ich abwechslungsreich zu<br />
sein, damit im Großen und Ganzen<br />
doch für jeden etwas dabei ist. Unsere<br />
Gemeinde, mit ihren vielen unterschiedlichen<br />
Synagogen, ist eben, wie<br />
es sich für eine Einheitsgemeinde ge -<br />
hört, sehr pluralistisch – und das ist<br />
auch gut so!<br />
Mit Fragen zu welchen Bereichen kann<br />
man sich an Sie wenden?<br />
mit Fragen zu Religion, Halacha, Le -<br />
bensfragen, persönlichen Fragen. Der<br />
eine wendet sich mit einem Ehepro -<br />
blem an mich, jemand anders braucht<br />
Hilfe bei der Schulwahl für die Kin -<br />
der. ich wurde beispielsweise auch<br />
schon gefragt, welche Jeschiwe ich in<br />
israel oder England in bestimmten<br />
Fällen empfehlen könne. Das einzige,<br />
wo ich mich zurückhalte, obwohl ich<br />
Gemeinderabbiner Schlomo<br />
Elieser, Hannah und<br />
Josef Zwi Hofmeister<br />
auch dazu immer wieder befragt wer -<br />
de, sind politische Stellungnahmen<br />
zu Themen, die nicht mit dem Auf -<br />
gabenbereich eines Rabbiners zu tun<br />
haben. Dafür sind andere zuständig.<br />
Der Kontakt zu möglichst vielen Ge mein -<br />
de mitgliedern war ein von Ihnen definiertes<br />
Ziel zu Amtsantritt. Wie hat sich das<br />
„Open House“ am Schabbes entwickelt?<br />
Es sind bereits drei mal so viele Leu te,<br />
die sich für Schabbes-mahlzeiten an -<br />
melden möchten, <strong>als</strong> wir Platz ha ben.<br />
meistens sind wir am Dienstag be -<br />
reits für Schabbes ausgebucht, wobei<br />
wir dennoch versuchen, noch ein<br />
paar notfall-Plätze frei zu halten für<br />
Durchreisende oder Leute, die sonst<br />
nie in die Synagoge gehen und nun<br />
einmal spontan kommen. im Durch -<br />
schnitt sind nun an die 15 Personen<br />
zu Gast, wobei wir auch schon einmal<br />
31 Gäste an einem Freitag Abend hatten.<br />
mehrere Übernachtungsmöglichkeiten<br />
haben wir in unserem Wohn -<br />
zimmer für Gäste eingerichtet, die zu<br />
weit weg wohnen, <strong>als</strong> dass sie zu Fuß<br />
zu uns kommen, beziehungsweise am<br />
Freitag Abend nach Hause gehen<br />
könn ten. Und dieses Angebot wird<br />
auch jede Woche gerne angenommen.<br />
8 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
IN EIGENER SACHE<br />
Sprechen Sie hier ausschließlich religiöse<br />
Menschen an?<br />
nein, überhaupt nicht. Bei uns sind<br />
alle willkommen und wir haben die<br />
un terschiedlichsten Gäste, von sehr<br />
re ligiös bis säkular. Es kommen auch<br />
immer wieder junge menschen aus<br />
dem Ausland, die in Wien studieren,<br />
und die Kontakt zur Gemeinde su chen.<br />
Gerade sie sind auch ein Zukunfts po -<br />
tenzial, denn viele von ihnen wollen<br />
in Wien bleiben. Und meine Frau und<br />
ich versuchen natürlich auch jene Ju -<br />
den in der Stadt zu erreichen, die kei -<br />
ne Gemeindemitglieder sind und so<br />
wieder einen Kontakt zur Gemein de<br />
herzustellen.<br />
Wie gehen Sie damit um, wenn Gäste zu<br />
einer Schabbes-Einladung kommen, ohne<br />
die religiöse Tradition für diesen Abend<br />
zu kennen?<br />
Wir machen es auch dann ganz normal,<br />
so wie immer. Jeder kann jederzeit<br />
alles fragen, und bisher haben<br />
sich ganz offensichtlich auch noch alle<br />
wohlgefühlt. Was die Atmosphäre und<br />
die allgemeine Planung unserer Ein la -<br />
dungen betrifft – dies ist das besondere<br />
Anliegen meiner Frau, die jede<br />
Woche bereits ab mittwoch hingebungsvoll<br />
alles alleine vorbereitet, or -<br />
ganisiert, kocht und backt. Und am<br />
Sonntag heißt es dann: Aufräumen.<br />
Ihre Frau will sich aber auch noch<br />
anders engagieren – mit dem Aufbau<br />
einer Wohngemeinschaft für junge<br />
jüdische Frauen und der Einrichtung<br />
einer Mutter-Kind-Gruppe.<br />
Ja, sie ist dabei, hier etwas zu organisieren.<br />
Bei jenem Teil meiner Arbeit,<br />
die sich auf den Stadttempel bezieht,<br />
konzentrieren wir uns beide auf die<br />
Vi sion und die Hoffnung, die Seiten -<br />
stettengasse auch an Wochentagen <strong>als</strong><br />
aktives, lebendiges und zugleich offenes<br />
und tolerantes Gemeindezentrum<br />
der Wiener Juden wiederzubeleben.<br />
Und meine Frau möchte da beson -<br />
ders mithelfen.<br />
Die Wohngemeinschaft ist – analog<br />
dem moishe-Haus, das es für junge<br />
män ner in vielen Städten und auch im<br />
zweiten Bezirk in Wien gibt – für<br />
junge jüdische Frauen gedacht, die es<br />
sich nicht leisten können, zentral und<br />
damit in der nähe des Stadttempels<br />
zu leben. Die jungen Frauen und Stu -<br />
dentinnen können bei sehr geringer<br />
miete dort wohnen, im Gegenzug ver -<br />
pflichten sie sich jedoch, ein offenes<br />
Haus zu führen und sich aktiv in der<br />
Gemeindearbeit einzubringen, um<br />
so mit auch zur Lebendigkeit des<br />
Stadttempels beizutragen.<br />
Und die mutter-Kind-Gruppe soll sich,<br />
wie der name schon sagt, an mütter<br />
mit kleinen Kindern richten, die einander<br />
einmal wöchentlich treffen. Wir<br />
hoffen dadurch gerade auch verstärkt<br />
jungen Familien ein Gemeindegefühl<br />
im und um den Stadttempel geben zu<br />
können. Der Stadttempel, die Haupt -<br />
sy na goge unserer Gemeinde, ist ja ein<br />
offenes Haus für alle – was es natürlich<br />
nicht immer leicht macht, die Hetero -<br />
ge nität seiner Besucher unter einen<br />
Hut zu bekommen. Aber wir versuchen<br />
auch hier das Angebot derart zu<br />
gestalten, dass für jeden etwas dabei<br />
sein kann.<br />
Ihre Frau wird sich <strong>als</strong>o der Kleinsten<br />
und ihrer Mütter annehmen – Sie stehen<br />
seit Beginn des Schuljahrs zwei Mal in<br />
der Woche Schülern <strong>als</strong> Ansprech -<br />
partner zur Verfügung. Wie wird dieses<br />
Angebot angenommen?<br />
Sehr gut. ich habe montags und mittwochs<br />
jeweils zwei Sprechstunden an<br />
der Zwi Perez Chajes-Schule. Die erste<br />
Stunde ist für Schüleranliegen reserviert,<br />
in der zweiten können sich Lehrer,<br />
aber auch Eltern an mich wenden.<br />
ich bin offen für alle. Gleichermaßen<br />
stehe ich natürlich auch für die persönlichen<br />
Anliegen der jüdischen Schü -<br />
ler anderer Schulen zur Verfü gung.<br />
Mit welchen Sorgen wenden sich<br />
Volksschüler an Sie?<br />
Oft mit dem Problem, dass sie glauben<br />
keine Freunde zu haben, dass sie ausgelacht<br />
werden. Es sind meistens Pro -<br />
bleme im Klassenverband, auch –<br />
aber normalerweise weniger - Schwie -<br />
rigkeiten mit Lehrern oder aber schulische<br />
Leistungsprobleme.<br />
Und wie können Sie hier helfen?<br />
manchmal reicht ein Gespräch. man -<br />
che Schüler kommen auch regelmäßig<br />
zu mir. Es freut mich, dass hier ein<br />
Vertrauen seitens der Kinder da ist.<br />
Sie wissen auch, dass ich nicht zu den<br />
Eltern gehe und alles erzähle. Das<br />
schei nen sie zu spüren und intuitiv<br />
zu wissen, dass ich, auch wenn ich<br />
die Sprechstunden an der Schule ab -<br />
halte, eine neutrale Person bin. Und<br />
wenn ich sehe, dass es hilfreich wäre,<br />
hier auch einen Psychologen um Rat<br />
zu fragen, verweise ich an die entsprechenden<br />
Stellen.<br />
Und mit welchen Problemen kommen<br />
Schüler der Sekundarstufe zu Ihnen?<br />
Hier sind es einerseits ebenfalls Kon -<br />
flik te zwischen Schülern, aber auch<br />
Schwierigkeiten mit Lehrern. Sehr<br />
häu fig sind es auch die allgemeinen<br />
Pro bleme, Sorgen und Ängste, denen<br />
sich viele junge menschen in der nicht<br />
immer ganz einfachen Übergangsphase<br />
zwischen Kindheit und Erwach sen -<br />
sein konfrontiert sehen. Und manche<br />
kommen auch zu mir, wenn sie Pro -<br />
bleme mit ihren Eltern haben. Es sind<br />
beispielsweise letzten monat zwei<br />
Jugendliche zu mir gekommen, die aus<br />
traditionellen Familien stammen und<br />
selbst nicht religiös sein wollen. Und<br />
dann gibt es drei andere Schüler aus<br />
säkularen Häusern, die gerne ein religiöses<br />
Leben führen würden, jedoch<br />
bei ihren Eltern auf Unverständnis<br />
stoßen.<br />
Wie gehen Sie mit diesem Problem<br />
des weniger- oder mehr-religiös-sein-<br />
Wollens um?<br />
mir geht es hier vor allem darum,<br />
zwi schen den legitimen Bedürfnissen<br />
der Kinder und dem Alltag der Eltern<br />
zu vermitteln. ich versuche in beiden<br />
Fällen einerseits auf der Seite der El -<br />
tern Verständnis für die Wünsche der<br />
Kinder zu schaffen und andererseits<br />
von Seiten der Kinder den Respekt für<br />
die Eltern zu erhalten beziehungsweise<br />
wieder zu schaffen. Vorausge -<br />
setzt, die Jugendlichen bitten mich<br />
darum, nehme ich hier auch direkt<br />
Kontakt mit den Eltern auf. meine<br />
oberste Priorität ist es, eine gemeinsa-<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 9
IN EIGENER SACHE<br />
me Lösung, unter Einbeziehung der<br />
El tern zu finden, um sowohl den Scha -<br />
lom Beis, <strong>als</strong>o den Hausfrieden, <strong>als</strong><br />
auch die soziale und vor allem emotionale<br />
Einheit der Familie zu bewahren.<br />
Ist es für Sie <strong>als</strong> Rabbiner schwierig, Ju -<br />
gend liche zu beraten, die nicht mehr<br />
religiös leben wollen?<br />
Auch solchen Jugendlichen bringe ich<br />
durchaus Verständnis entgegen. Zwar<br />
kann ich <strong>als</strong> Rabbiner das Bestreben<br />
eines Jugendlichen, nicht religiös zu<br />
werden, nicht <strong>als</strong> solches unterstützen,<br />
muss mich eines derartigen Anlie -<br />
gens aber selbstverständlich dennoch<br />
ernsthaft annehmen. in den allermeisten<br />
Fällen liegt für diese Jugendlichen<br />
das Problem mit der Religion überhaupt<br />
nicht an der Religion. nicht selten<br />
ist die inkonsequent „religiöse“<br />
Le bensführung der Eltern beziehungsweise<br />
deren, mit den jüdischen Wer -<br />
ten und halachischen Vorschriften un -<br />
vereinbares, mangelhaftes zwi schen -<br />
menschliches Verhalten die Wurzel des<br />
Problems für kritisch denkende Ju -<br />
gend liche.<br />
Das soll heißen: die Religion kann sehr<br />
leicht den Respekt in den Augen der<br />
Kinder verlieren, wenn sie tagtäglich<br />
sehen, dass zu Hause zwar auf die<br />
Kaschrut des Apfelsaftes, nicht aber<br />
auf die Kaschrut der Sprache und des<br />
Umgangstons zwischen den Eltern<br />
Wert gelegt wird. meine Aufgabe ist<br />
es, dies mit den Jugendlichen zusammen<br />
aufzuklären, aber gleichzeitig<br />
auch kritische Fragen zur jüdischen<br />
Religion logisch und verständlich zu<br />
beantworten.<br />
Sie arbeiten auch mit Jugendlichen im<br />
Rahmen der Bar- und Bat Mitzwa-Vor -<br />
Rabbiner Schlomo<br />
Eliezer Hofmeister und<br />
Vizeburgermeister<br />
Michael Ludwig<br />
betrachten das<br />
Gedenkbuch für die<br />
Opfer des Nation<strong>als</strong>o -<br />
zialis mus an der<br />
Universität Wien 1938<br />
be reitung. Wer kann diese in Anspruch<br />
nehmen?<br />
Jedes jüdische mädchen, jeder jüdische<br />
Junge. Die Vorbereitung dauert<br />
ein Jahr und beginn ein Jahr vor der<br />
Bar beziehungsweise Bas mitzwa. Der<br />
Unterricht findet für mädchen am<br />
mon tag nachmittag, für Buben am<br />
mitt woch nachmittag an der Zwi Pe -<br />
rez Chajes-Schule statt und ist natürlich<br />
kostenlos.<br />
Ersetzt dieser Unterricht die individuelle<br />
Bar- oder Bat Mitzwa-Vorbereitung?<br />
nein, es ist ein zusätzliches Angebot<br />
und hat nichts mit der Vorbereitung<br />
auf die Feierlichkeiten zur Bar oder Bas<br />
mitzwa zu tun. Hier geht es mir da -<br />
rum, praktisches jüdisches Leben zu<br />
vermitteln, vor allem Kindern, die<br />
nicht aus religiösen Familien stammen.<br />
Gerade jene Eltern sind für diese Art<br />
Ergänzung des Religionsunterrichts<br />
erfahrungsgemäß besonders dankbar.<br />
An Dienstagen und Donnerstagen<br />
geben Sie in der Seitenstettengasse ebenfalls<br />
Schiurim. An wendet sich dieser?<br />
Am Dienstag gibt es Unterricht für<br />
Kin der und Jugendliche ab einem Al -<br />
ter von etwa neun Jahren, am Don -<br />
ners tag für Erwachsene. Hier geht es<br />
um die Vermittlung von praktischer<br />
Halacha, aber auch um das Beant wor -<br />
ten allgemeiner Fragen zu jüdischen<br />
Themen sowie jüdischer Philosophie<br />
und Denkweise. Ein paar Beispiele<br />
für solche Fragen: wie können wir das<br />
Thema Evolution mit unserem Welt -<br />
bild vereinbaren? Wie ist Sterbe hilfe<br />
zu bewerten? Was sagt die Halacha<br />
zu Themen wie Empfängnisver hü tung<br />
und Abtreibung?<br />
Werden Mädchen und Burschen, Frauen<br />
und Männer hier ebenfalls getrennt<br />
unterrichtet?<br />
nein, sie sitzen nur jeweils auf einer<br />
Seite des Raums. Der Unterricht wendet<br />
sich übrigens an alle, egal ob sä -<br />
kular, traditionell oder streng religiös<br />
und wird auch von allen Gruppen gut<br />
angenommen. Und dabei zeigt sich,<br />
dass Fragen, die von säkularen men -<br />
schen gestellt werden, durchaus auch<br />
für Religiöse interessant sein können.<br />
Es werden in diesen Stunden übrigens<br />
immer sehr viele Fragen gestellt.<br />
Jugendarbeit macht einen großen Teil<br />
ihrer Arbeit hier in Wien aus. Welche<br />
Zielsetzung haben Sie hier vor allem im<br />
Auge?<br />
Es geht darum, die Zukunft der Ge -<br />
mein de zu sichern. Und gleichzeitig<br />
die gesamte Gemeinde mit ihren verschiedenen<br />
Synagogen auch in der<br />
Wahr nehmung aller unserer mitglie -<br />
der miteinander zu verbinden. Die<br />
Betreuung von Jugendlichen ist aber<br />
nur ein Teil meiner Arbeit. meine Auf -<br />
gaben erstrecken sich über alle Be rei -<br />
che des jüdischen Lebenszyklus, und<br />
somit kümmere ich mich um Gemein -<br />
demitglieder jeden Alters. Egal, ob es<br />
um die Beschneidung eines neugeborenen<br />
Buben geht, die bereits erwähnte<br />
Betreuung von Schülern und Jugend -<br />
li chen, Probleme vor und nach der<br />
Eheschließung, bis hin zur Betreuung<br />
Sterbender, wobei es gerade säkulare<br />
Gemeindemitglieder sind, die mich<br />
häufig darum bitten zu kommen, um<br />
mit ihnen oder ihren sterbenden An -<br />
ge hörigen die letzten Gebete zu sprechen.<br />
Dies ist eine ganz wichtige Sache<br />
und ich stehe für solche notfälle<br />
zu jeder Tages- und nachtzeit zur<br />
Verfügung.<br />
Das Besuchen von Kranken, vor al lem,<br />
wenn es sich um alleinstehende und<br />
mittellose, ältere Gemein demit glie der<br />
handelt, ist ebenfalls eine wichtige<br />
Aufgabe eines Gemeinderabbiners, die<br />
mir auch aus menschlicher Sicht sehr<br />
wichtig ist. Da dies aber im Allge mei -<br />
nen sehr zeitaufwändig und schwer<br />
in meinen sehr vollen Tages ab lauf<br />
einzufügen ist, kümmere ich mich da -<br />
rum meistens am Abend be zie hungs -<br />
weise an den freien Sonn ta gen.<br />
Und was zählt noch zu Ihren Aufgaben?<br />
Dazu gehört natürlich vor allem auch<br />
10 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
IN EIGENER SACHE<br />
die Arbeit im Rabbinat der Kultus -<br />
gemeinde, wobei ich für die gute Zu -<br />
sammenarbeit und das angenehme<br />
Arbeitsklima mit Oberrabbiner Paul<br />
Chaim Eisenberg sehr dankbar bin.<br />
Bisweilen vertrete ich ihn auch bei<br />
öffentlichen Terminen, wenn sein<br />
voller Terminkalender es ihm nicht<br />
möglich macht, zwei Veranstal tun gen<br />
gleich zeitig wahrzunehmen. Das reicht<br />
von der Teilnahme an politischen<br />
über interreligiöse bis zu kulturellen<br />
Terminen.<br />
Außerdem besuche ich regelmäßig die<br />
jüdischen Gemeinden in den Bun des -<br />
ländern, wobei es mir leid tut, dass<br />
ich nicht so oft fahren kann, wie es<br />
Be darf gäbe. Es gibt so viel zu tun –<br />
ich komme keinen Abend vor mitter -<br />
nacht ins Bett. Dennoch möchte ich<br />
immer für alle da sein: wer immer Rat<br />
sucht, stößt bei mir auf eine offene<br />
Tü re. Diese menschliche Seite der<br />
Gemeindearbeit ist mir sehr wichtig.<br />
Ob jemand persönliche, familiäre, be -<br />
rufliche oder finanzielle Probleme<br />
hat: ich habe immer ein offenes Ohr<br />
und werde mich um eine Lösung bemühen.<br />
Auch bei persönlichen Streitig<br />
keiten unter Gemeindemitgliedern<br />
wurde ich bereits mehrm<strong>als</strong> <strong>als</strong><br />
Schlich ter angerufen. Unbedingte Vor -<br />
aussetzung hierfür ist jedoch, dass<br />
mei ne involvierung auch tatsächlich<br />
von beiden Seiten erwünscht ist.<br />
Und wie ist es, auch äußerlich sichtbar <strong>als</strong><br />
Jude in den Straßen Wiens unterwegs zu<br />
sein?<br />
Auf der Straße werde ich regelmäßig<br />
beschimpft, vor allem abends in der<br />
Seitenstettengasse, da gibt es auf<br />
Grund der Lokale auch immer wieder<br />
Betrunkene, die dann pöbeln. im<br />
September war sogar eine Gruppe<br />
von neonazis unterwegs, die Fahnen<br />
schwenkten und „Heil Hitler“ riefen.<br />
Wie reagieren Sie, wenn Sie angepöbelt<br />
werden?<br />
ich lasse es zu keiner Konfrontation<br />
kommen. ich ignoriere das und gehe<br />
einfach weiter.<br />
Und wie begegnet man Ihnen bei<br />
offiziellen Terminen?<br />
Bei diesen Veranstaltungen werde ich<br />
immer äußerst respektvoll und<br />
freund lich aufgenommen. Daraus<br />
haben sich durchaus auch schon persönliche<br />
Kontakte entwickelt. •<br />
Sehr geehrte Gemeindemitglieder!<br />
Der iranische Präsident Ahmadinejad hielt wieder einmal eine seiner be -<br />
rühmt berüchtigten Reden vor der Generalversammlung der UnO, und<br />
die österreichische Delegation so wie 20 andere europäische Staaten blieb<br />
im Saal. Die israelitische Kultusgemeinde hat sich mit folgendem Brief<br />
an Bun des minister Dr. michael Spindelegger gewandt (Brief vom 16.<br />
Okto ber).<br />
Daraufhin kam es zu ei -<br />
nem Gespräch zwischen<br />
dem Präsidenten der Kul -<br />
tus gemeinde und dem<br />
Bundesmi nis ter. Die ser<br />
erklärte den Ab lauf wie<br />
folgt:<br />
Die EU einigte sich im<br />
Vorfeld (trotz Wider stan -<br />
des der schwedischen EU-<br />
Führung), dass bei Holo -<br />
caust-Leug nung, Aufruf<br />
zur Zerstörung israels<br />
und antisemitischen<br />
Äuße rungen durch Ah -<br />
madinejad bei der UnO-<br />
Gene ral ver sammlung auf<br />
Zeichen der schwedischen<br />
EU-Führung alle europäischen<br />
De legationen den<br />
Saal verlassen. Als Ah ma -<br />
dinejad dann diese drei<br />
Themen nicht spezifisch<br />
ansprach, blieb das Zeic -<br />
hen der schwedischen<br />
Delegation aus, obwohl<br />
die Rede von Rassismus<br />
und Anti-israel Bemer -<br />
kun gen durchsetzt war. Die österreichische Delegation, die nur von<br />
einem mitarbeiter an geführt war, traf daher keine eigenmächtige Ent -<br />
scheidung, den Saal zu verlassen.<br />
Bundesminister Spindelegger betonte, dass dies ein Fehler war und in<br />
Zu kunft nicht mehr vorkommen würde. Bei seiner Rede drei Tage später<br />
vor der Un-Generalversammlung nahm er zu diesem Vorfall konkret<br />
Stel lung: „Let me <strong>als</strong>o underline that Austria firmly rejects the unacceptable<br />
remarks by Pre sident Ahmadinejad during his speech on Wednesday. We reject<br />
any abuse of the UN General Assembly as a platform for intolerance, anti-<br />
Semitism, and racial hat red.”<br />
Der Bundesminister wiederholte dann diese Position und eindeutige<br />
Kritik in seinem bilateralen Gespräch mit dem iranischen Außenminister,<br />
und dies wurde auch in den Protokollen vermerkt.<br />
Die israelitische Kultusgemeinde hat wiederholt gegenüber dem Herrn<br />
Außenminister ihre Position betont, wonach Österreich eine moralische<br />
und historische Verpflichtung hat, bei jeder Form von Holocaust-<br />
Leugnung, Anti se mitismus und Rassismus an vorderster Front, dem<br />
deutschen Vorbild folgend, aufzutreten.<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 11
POLITIK • INLAND<br />
POLITIK<br />
Geplante Erregung<br />
Am 18. Oktober, einem Sonntag, warb ei -<br />
ne vermeintlich neue Partei namens RWT<br />
(Österreichs Partei für Recht Wür de und<br />
Tugend) in Zeitungsinseraten mit dem<br />
Slogan „Soziale Wärme statt Woar me“.<br />
Parteisymbol: ein Zahnrad mit Ru ne, bei -<br />
des im neonazistischen Eck in Ge brauch.<br />
Bald war geklärt: es handelt sich nicht<br />
um eine neue rechte Bewegung, sondern<br />
um eine Werbekampagne für einen Film.<br />
Doch: wie sinnvoll – und wie akzeptabel –<br />
ist solch ein Kampagne?<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Bei der Tageszeitung „Die Presse“ liefen<br />
an diesem Sonntag die Telefone<br />
heiß. Die Beschwerdeflut war groß.<br />
Auch per mail. So schrieb etwa Ro -<br />
land Kemer, der seinen Leserbrief in<br />
Kopie auch an die Redaktion der „Ge -<br />
meinde“ sandte: „Sehr geehrte Damen<br />
und Herren, <strong>als</strong> langjähriger Abonnent<br />
der Tageszeitung ‚Die Presse‘, auch <strong>als</strong><br />
Leser anderer Qualitätszeitungen, war ich<br />
erschüttert <strong>als</strong> mir die Anzeige auf Seite<br />
11 links unten ins Auge sprang. (…) Hat<br />
die Presse es denn nötig, solchen Orga ni -<br />
sationen eine Plattform zu bieten? (…)<br />
Solche Anzeigen haben NICHTS, aber<br />
auch GAR NICHTS in Tageszeitungen<br />
zu suchen, und das Mindeste was ich mir<br />
von Ihnen erwarte ist eine Distanzierung<br />
von solchem Gedankengut!“<br />
Doch auch nach der erfolgten Auflö -<br />
sung – seit <strong>als</strong>o klar ist, dass es sich<br />
bei dieser vermeintlichen Anzeige für<br />
eine Partei namens RWT um marke -<br />
ting für den Film „Blutsfreundschaft“<br />
von Peter Kern (mit Peter Berger in<br />
der Hauptrolle eines alten Homose -<br />
xu ellen, der einem jungen neonazi<br />
Unterschlupf gewährt) handelt, ge -<br />
hen die meinungen auseinander: ist<br />
diese Form der Werbung erlaubt? Vor<br />
allem, da es im Grundsujet keinerlei<br />
Auflösung, keinerlei Hinweis auf ein<br />
Kulturprojekt gab?<br />
Ganz im Gegenteil: die Homepage<br />
www.rechtwuerdetugend.at gab zu nächst<br />
ebenfalls vor, Webauftritt einer Partei<br />
zu sein, noch dazu einer, die nur mit<br />
einer Registrierung Zugriff auf in hal -<br />
te erlaubt. Ein in der rechtsextremen<br />
Szene durchaus übliches mittel, viele<br />
Seiten gewähren nur ihren registrierten<br />
mitgliedern nähere Einblicke auf<br />
den gebotenen Content.<br />
Franz novotny gegenüber „Die Ge -<br />
meinde“ auf die Frage, mit welchen<br />
Reaktionen das Filmteam nach der<br />
Schaltung der ersten inserate konfrontiert<br />
worden sei: „Mit berechtigter Em -<br />
pörung, dem integralen Bestandteil unserer<br />
Kampagne. Und es ist all jenen zu<br />
Recht Empörten für die Entrüstung zu<br />
dan ken, die aus dem ersten Teil der künstlerischen<br />
Intervention abreifte. Die Em pör -<br />
ten wurden Teil eines Widerstands gegen<br />
das Umsichgreifen menschenverachtender<br />
Parolen, die in der Stadtlandschaft in an de -<br />
ren Fällen beinahe schon <strong>als</strong> ‚ist halt hier<br />
so‘ hingenommen werden. Man denke an<br />
die unsäglichen FPÖ-Wahlkämpfe der Ver -<br />
gangenheit und besonders an die, die zu<br />
erwarten sind, oder an die ‚Ostküsten‘-<br />
Sager.“<br />
Berechtigte Empörung <strong>als</strong>o. Alles einkalkuliert.<br />
michael Fleischhacker,<br />
Chefredakteur der „Presse“ kommentierte<br />
die Kampagne am 21. Oktober<br />
unter dem Titel „Ein Lehrstück in<br />
medienkunde“. in Diskussionen mit<br />
Leserinnen und Lesern über das in -<br />
serat in der „Presse am Sonntag“ sei<br />
die Erklärung, dass es sich nicht um<br />
das Zulassen einer verabscheuungswürdigen<br />
Anti-Homosexuellen-Het ze<br />
handelte, sondern um die Unterstüt -<br />
zung eines Films, der diese Politik kri -<br />
tisch, aber unaufgeregt, eigentlich hu -<br />
mor voll behandelt, oft nicht akzeptiert<br />
worden.<br />
„Mit solchen Sachen, so das Gegenar gu -<br />
ment, triebe man keine Scherze, nicht einmal<br />
für einen guten Zweck“, sei gesagt<br />
worden und Fleischhacker weiter:<br />
„Das ist – so wie die Ablehnung der In hal -<br />
te der Anzeigen – ein nobler Standpunkt.<br />
Es war allerdings kein Scherz, sondern<br />
der sehr ernst gemeinte Versuch, die Wech -<br />
selwirkungen zwischen Politik, Me dien<br />
und Medienkonsumenten durchzuspielen.<br />
Er hat gezeigt, wie schnell Medien und<br />
Medienkonsumenten <strong>als</strong> Adressaten ag -<br />
gressiver politischer Kommunikation an<br />
die Grenzen ihres Entscheidungs spiel raums<br />
geraten: Soll/kann/darf ein Medium be -<br />
zahlte Anzeigen nach politischer Zu stim -<br />
mung oder Ablehnung selektieren? Wenn<br />
ja, nach welchen Kriterien? Was ist die<br />
an ge messene Reaktion auf Hetzpro pa -<br />
gan da?“<br />
Die Werbe-Kampagne <strong>als</strong>o nicht nur<br />
<strong>als</strong> Kampagne für den Film, sondern<br />
auch <strong>als</strong> gesellschaftspolitisches in -<br />
stru ment, um gegen rechte Ten den zen<br />
aufzustehen. So argumentiert auch<br />
novotny. Gefragt, warum in den ers -<br />
ten Sujets auf Hinweise auf den Film<br />
gänzlich verzichtet wurde, meinte<br />
der Filmproduzent: „Da die Pointe nicht<br />
schon am Anfang verraten werden darf.<br />
Weblink und Affichen führten aber nahezu<br />
unmittelbar von Medien unterstützt zu<br />
Kerns Film ‚Blutsfreundschaft‘, dessen<br />
Thema sich u.a. den von rechts genutzten<br />
Hetz-Mechanismen widmet. Weblinks,<br />
12 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
POLITIK • INLAND<br />
Plakate und die ‚Empörung gegen rechte<br />
Hetzparolen‘ ergaben zusammen mit dem<br />
Film das interventionistische Gesamt -<br />
kunst werk.“<br />
Die U-Bahn-Zeitung „Heute“ druckte<br />
das Sujet übrigens anders <strong>als</strong> „Die<br />
Presse“ ab: sie setzte einen großen<br />
roten Pfeil dazu, auf dem die Re dak -<br />
tion vermerkte, dass sie sich da von<br />
distanziert und dass es Werbung für<br />
einen Kinofilm sei. Abgesprochen sei<br />
das nicht gewesen, betont novotny.<br />
„Aber, ausgelöst durch unsere Kampa gne,<br />
wurde im Verein mit dieser ‚redaktionellen<br />
Distanzierung‘ ein neuer Wert geschaffen:<br />
Die Redlichkeit, die, führt man den Ge dan -<br />
ken zu einem logischen Schluss, fortan in<br />
allen Redaktionen Einzug halten müsste:<br />
dass sich Redaktionen ab sofort hetzerischen<br />
und Menschen verachtenden Ein -<br />
schaltungen verschließen und den Ab -<br />
druck ablehnen müssten.“ Und novot ny<br />
setzt nach: „Das wär doch was, wenn<br />
sich Redaktionen ebenso deutlich von der<br />
Blödmann-Poesie der Rechten à la ‚Pum-<br />
me rin statt Muezzin‘ distanzierten, Affi -<br />
che und Abdruck verweigerten.“<br />
Die Gewista verweigerte übrigens tat -<br />
sächlich das Affichieren von Pla katen<br />
mit den Sujets ohne Hinweis, dass es<br />
sich um ein Filmplakat handelt. FPÖ-<br />
Sujets werden im Gegenzug selbstverständlich<br />
aufgehängt: sie unterliegen<br />
den Regeln für politische Wer -<br />
bung. Regisseur Peter Kern sprach<br />
daraufhin in einem APA-interview<br />
von „Zensur“: „Es herrscht Zensur in<br />
die sem Land, die Kunst wird zensiert.“<br />
Die Aufregung um die Plakate rühre<br />
auch daher, „dass sich die Österreicher<br />
entdeckt fühlen in ihren geheimen Ge lüs -<br />
ten, den Strache (FPÖ-Chef, Anm.) doch<br />
toll zu finden“, so Kern weiter.<br />
nicht wenige nahmen die Werbung<br />
für die vermeintlich neue Partei <strong>als</strong>o<br />
für bare münze. Unter ihnen: die Em -<br />
pörten. Unter ihnen aber auch: die, die<br />
zustimmten. So traf in der mailbox<br />
der auf dem Werbesujet angegebenen<br />
mailadresse durchaus auch Zu stim -<br />
mendes ein. „Interessant schien“, so no -<br />
votny dazu, „dass in keinem der Pos tings<br />
gewagt wurde, sich der vorgegebenen<br />
Schwelle des Plakatinhalts an zu nähern<br />
oder seinen Level zu übertreffen. Die spärlichen,<br />
die dem Plakat im Töl pel sinne<br />
nahestanden, verloren sich in eher unterschwelligem<br />
Geraunze. Beispiel: „…<br />
offenbar WOLLEN bestimmte gruppen –<br />
egal wie – auf sich aufmerksam machen.<br />
Unterstellen aber dann dass SIE gehetzt<br />
werden! …“ oder „ … wenn das plakatiert<br />
worden wäre, hätten sich wieder die<br />
üblichen Verdächtigen entrüstet und<br />
Österreich hätte wieder einen ‚weltpolitischen<br />
Skandal‘.“<br />
Also: gelungene Kampagne – ja oder<br />
nein? Darf man mit derart rechtsextremen<br />
Sujets werben, und sei es auch<br />
nur für einen engagierten Film? Bei<br />
den medienkonsumenten herrscht<br />
hier keine Einigkeit. So schrieb der<br />
User ‘f l o’ im „Der Standard“-Forum<br />
unter dem Titel „problematisch“:<br />
„kunst muss schon auch mal aufrütteln<br />
und schockieren dürfen. Aber tatsache ist<br />
halt: hier wird werbung für rechtsradikales<br />
gedankengut gemacht, der anteil der<br />
leute, die erkennen, dass es sich hier um<br />
satire handelt, dürfte äußerst gering sein.<br />
Echte rechte fühlen sich wohl bestärkt.“<br />
Antwort von User ‘Umberto Lenzi’:<br />
„Die Kunst ist frei. Punkt. Und Ober leh -<br />
rer, selbst ernannte Zensoren und Besser -<br />
wisser, die irgendetwas problematisch fin -<br />
den, aber selbst offenbar keinen Sinn für<br />
Satire oder Persiflage haben, mögen schwei -<br />
gen (…).“ Darauf User ‘GreyPaladin’:<br />
„1. wär es <strong>als</strong>o auch eine Satire wenn ich<br />
ne Gaskammer einricht und leute reinsteck?<br />
so rein satirisch? 1:1 Kopien sind<br />
keine Satire!“<br />
Der Film „Blutsfreundschaft“ wurde<br />
schließlich Ende Oktober im Rahmen<br />
des Filmfestiv<strong>als</strong> „Viennale“ vor vollem<br />
Haus erstaufgeführt. Der Jubel<br />
des Publikums hielt sich dabei, wie der<br />
Filmkritiker markus Keuschnigg („Die<br />
Presse“, Radiosender Fm4) in sei nem<br />
„Vlog“ auf www.fm4.at be dauernd an -<br />
merkte, nicht nur in Gren zen, er blieb<br />
aus. „Wie immer wird dieser Regisseur<br />
gering geschätzt und verlacht. Von einem<br />
Publikum, das keine Verbindung herstellen<br />
kann zu dieser so brachial wie zärtlich<br />
inszenierten Geschichte von der Freund -<br />
schaft zwischen einem alten Homo sexu el -<br />
len und einem Jungen, der mit dem rechten<br />
Rand flirtet. Ich bin ratlos und versuche<br />
in den Stunden nach der Vorführung einen<br />
Grund für die verhaltene Reaktion auf<br />
diesen bedingungslosen Film zu finden.“<br />
Der Film „Blutsfreundschaft“ läuft<br />
übrigens seit 5. november regulär in<br />
österreichischen Kinos. An ihm werden<br />
sich wohl ebenso die Geister<br />
scheiden wie an der vorangegangenen<br />
Werbekampagne.<br />
www.rechtwuerdetugend.at<br />
www.peterkern.net<br />
©VLK/Udo Mittelberger<br />
Israelischer<br />
Botschafter besuchte<br />
Vorarlberg<br />
Antrittsbesuch bei LH Sausgruber<br />
Aviv Shir-On, seit Oktober <strong>2009</strong> neu er<br />
Botschafter des Staates israel in Ös -<br />
ter reich, absolvierte seinen Antritts -<br />
besuch in Vorarlberg. im Landhaus in<br />
Bregenz wurde er von Landes haupt -<br />
mann Herbert Sausgruber begrüßt.<br />
Aviv Shir-On wurde im Oktober 1952<br />
<strong>als</strong> Sohn einer deutschen Holocaust-<br />
Überlebenden in Tel Aviv geboren.<br />
1978 erfolgte sein Eintritt in den<br />
diplomatischen Dienst. Als Diplomat<br />
war Shir-On lange Jahre in den USA<br />
und in Deutschland tätig. Von 2003 bis<br />
2006 war er Botschafter in der Schweiz.<br />
Zuletzt arbeitete er <strong>als</strong> stellvertretender<br />
Generaldirektor im is ra e lischen<br />
Außenministerium in Jeru sa lem im<br />
Be reich medien und Öffentlichkeitsarbeit.<br />
im Oktober <strong>2009</strong> löste der drei fache<br />
Fa milienvater Dan Ashbel <strong>als</strong> is rae li -<br />
schen Botschafter in Wien ab.<br />
Die internationale jüdische<br />
EHE-PARTNER-VERMITTLUNG<br />
Weber José<br />
PF 180182<br />
D-60082 Frankfurt a.M.<br />
Telefon +49/69-597 34 57<br />
+49/17/267 14940<br />
Fax +49/69-55 75 95<br />
eMail: weber@simantov.de<br />
www.simantov.de<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 11
POLITIK • AUSLAND<br />
UNGARN<br />
„Rechtsextreme<br />
und Antisemiten<br />
haben das Sagen“<br />
Kertesz-Interview erzürnt<br />
Ungarns Rechte<br />
Ein interview des ungarischen Litera -<br />
tur-nobelpreis-Trägers Imre Kertesz in<br />
der deutschen Zeitung ‘Die Welt’ hat<br />
in seiner Heimat heftige Reaktionen<br />
ausgelöst. Funktionäre des ungarischen<br />
Schriftsteller-Verbandes und<br />
rechtsgerichtete Publizisten warfen<br />
Kertesz vor, Ungarn zu „verunglimpfen“.<br />
in dem interview aus Anlass seines<br />
80. Geburtstags (9. november) be -<br />
zeichnete der Schriftsteller die un ga -<br />
rische Hauptstadt Budapest <strong>als</strong> „voll-<br />
kommen balkanisiert“. Über Un garn<br />
sagte er unter anderem: „Rechts ex tre me<br />
und Antisemiten haben das Sa gen. Die<br />
alten Laster der Ungarn, ihre Ver lo gen heit<br />
und ihr Hang zum Verdrängen, ge dei hen<br />
wie eh und je.“ Kertesz bezog sich<br />
dabei auf das jüngste Erstarken der<br />
extremen Rechten und den seit Jah ren<br />
„salonfähigen“ - mehr oder weniger -<br />
codierten Antisemitismus, den auch<br />
medien der sogenannten rechten mit -<br />
te pflegen. Die Reaktionen auf die<br />
jüngsten Kertesz-Äußerungen scheinen<br />
dabei den in Berlin lebenden<br />
Schriftsteller sogar noch zu bestätigen.<br />
Die Tageszeitung ‘magyar Hirlap’,<br />
die dem oppositionellen rechts-konservativen<br />
Bund Junger Demokraten<br />
(FiDESZ) nahesteht, schrieb in einem<br />
Kommentar, Kertesz sei „wurzellos“ -<br />
eine unter Antisemiten geläufige Chiff -<br />
re zur Abstempelung jüdischer intel -<br />
lek tueller.<br />
Der Sekretär des von der Rechten kon -<br />
trollierten ungarischen Schrift steller -<br />
verbandes, Laszlo L. Simon, beanstandete<br />
im selben Blatt, dass „Kertesz das<br />
Land andauernd verunglimpft“. Die<br />
links-liberale Presse nahm den Lite ra -<br />
ten hingegen in Schutz. Die ungarische<br />
Öffentlichkeit müsse endlich so weit<br />
kommen, dass „sie auch jene heimische<br />
Größen gebührend würdigt, die sich ge -<br />
genüber dem Land ablehnend oder abfällig<br />
äußern“, schrieb der Literatur kriti ker<br />
Sandor Radnoti in der Tageszeitung<br />
‘nép szabadsag’. Kertesz selbst er -<br />
klär te im Fernsehsender Duna TV,<br />
seine Äußerungen seien in der von<br />
den ungarischen medien verwendeten<br />
Übersetzung „f<strong>als</strong>ch wiedergegeben“<br />
worden.<br />
Kertesz überlebte <strong>als</strong> Jugendlicher das<br />
Vernichtungslager Auschwitz. in seinem<br />
Hauptwerk, dem „Roman eines<br />
Schicksallosen“, verarbeitete er diese<br />
Erfahrungen auf literarisch gültige<br />
Weise. 2002 erhielt er den Literaturnobelpreis.<br />
Schon dam<strong>als</strong> hatte dies<br />
das rechte Lager in Ungarn reserviert<br />
aufgenommen.<br />
Die gleichfalls dem FiDESZ nahestehende<br />
Wochen zei tung ‘Demokrata’<br />
empfahl jüngst ihren Lesern, „private<br />
Komman do trupps“ zu bilden, um in<br />
den öffentlichen Bibliotheken des<br />
Landes die Bücher „un-ungarischer“<br />
Schriftstel ler wie Peter nadas, Peter<br />
Esterhazy oder György Konrad zu<br />
verschmieren und zu zerreißen. APA<br />
Rechtsextreme Parteien gründeten<br />
in Budapest EU-weiten Verband<br />
Jobbik kooperiert mit Schwesterparteien aus Frankreich, Italien,<br />
Schweden und Belgien - Verhandlungen auch mit FPÖ<br />
©EPA/Attila Kovacs<br />
(vlnr.)<br />
Luca Romagnoli, Vorsitzender der italienisch<br />
Vize-Vorsizender der französische Front N<br />
Die ungarische rechtsextreme Partei<br />
Jobbik hat in Budapest mit vier ausländischen<br />
Parteien den EU-weiten<br />
Verband der Europäischen nationa len<br />
Bewegungen gegründet, wie die Un -<br />
garische nachrichtenagentur mTi<br />
berichtet. Die Vereinbarung unterzeichneten<br />
außer Jobbik der französische<br />
Front National (Fn), die italienische<br />
Fiamma Tricolore, die schwedischen<br />
Nationaldemokraten sowie die belgische<br />
Nationale Front. Zu dieser Verbands -<br />
gründung kam es im Rahmen des<br />
sech sten Parteitages von Jobbik, das<br />
bei den EU-Wahlen im Juni drittstärkste<br />
Partei in Ungarn geworden war.<br />
Wie Jobbik-Parteivize Zoltan Balczo auf<br />
einer Pressekonferenz erklärte, soll<br />
der Verband der Europäischen na tio -<br />
nalen Bewegungen zu einer „offizi el len<br />
europäischen, national geprägten Par tei<br />
werden“, die wahrscheinlich in Bel gi en<br />
oder Straßburg eingetragen werden<br />
soll. Weiters habe laut Balczo auch die<br />
Britische Nationalpartei (BnP) ihre Bei -<br />
trittsabsicht erklärt. Verhand lungen<br />
würden darüber hinaus mit der FPÖ<br />
sowie mit spanischen und portugiesischen<br />
Parteien geführt. Laut Bal czo be -<br />
stehe die General bot schaft der Grün -<br />
dung darin, dass eu roskeptische Par -<br />
teien keine Gegner Europas seien.<br />
Die unterzeichnete po li tische Erklä -<br />
rung des neuen Ver ban des stimmt für<br />
die Schaf fung eines „Europa aus freien,<br />
unabhängigen, gleichberechtigten Staa ten“.<br />
Dabei werden alle Bestre bungen zu -<br />
rückgewiesen, die auf die Gründung<br />
eines über den europäischen natio -<br />
nen stehenden Staates drängten. Die<br />
Erklärung unterstreicht die Absich ten<br />
der Unterzeichner, Europa vor „Be dro -<br />
hungen wie Terrorismus sowie religiöser,<br />
politischer, wirtschaftlicher oder finanzi -<br />
el ler Imperialismus zu schützen“.<br />
Dabei wird den „Völkern des Konti nents<br />
empfohlen, gemeinsam gegen soziales<br />
Warendumping sowie die zerstörerischen<br />
Folgen der Globalisierung zu kämpfen“.<br />
Laut Jobbik-Vorsitzendem Gabor Vona<br />
seien mit der Gründung des Ver ban -<br />
des die „Märchen von der Isoliertheit von<br />
Jobbik in das Märchenbuch der Ge schich te<br />
eingegangen“. Die Partei stellt drei Ab -<br />
geordnete im EU-Par la ment. •<br />
14 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
POLITIK • AUSLAND<br />
Pierre-Patrick Cocriamont, belgische Nationale Front,<br />
en Fiamma Tricolore, Gabor Vona, Vorsitzender der ungarischen 'Jobbik', Bruno Gollnisch,<br />
ational (FN) und Mark Abramsson, Vorsitzender der schwedischen Nationaldemokraten.<br />
Jobbik will das Ver fassungsgericht<br />
zwecks Überprüfung der neuen Re -<br />
gierungsverordnung über das Verbot<br />
des Tragens der Uniformen der verbotenen<br />
Organisation anrufen, so die<br />
ungarische nachrichtenagentur mTi.<br />
Das Tragen von Uniformen sei eine<br />
Form der „freien Meinungsäuße rung“,<br />
meinte Janos Volner von Jobbik. Außer -<br />
dem würden die Gardisten nun im<br />
namen der neuen Ungarischen Gar de<br />
auftreten, die nichts mit der verbotenen<br />
Ungarischen Garde gemein habe.<br />
Deswegen betreffe das gerichtliche<br />
Ver bot die neue Bewegung für Kulturund<br />
Traditionspflege nicht, betonte<br />
Vol ner. Die neue Ungarische Garde<br />
rief zugleich hinsichtlich des Verbots<br />
zu zivilem Ungehorsam auf. Am vergangenen<br />
Wochenende war es in Sa jo -<br />
babony zu Zusammenstößen zwischen<br />
mitgliedern der Ungarischen Garde<br />
und Roma gekommen. in der nordostungarischen<br />
Gemeinde hatte Job bik<br />
ein Forum abgehalten, worauf sich<br />
200 bis 300 Roma vor dem Veran stal -<br />
tungsort versammelten. Zu den Hand -<br />
greiflichkeiten soll es gekommen sein,<br />
<strong>als</strong> Angehörige der Garde im Dorf<br />
erschienen.<br />
nach diesem Zwischenfall forderte die<br />
Landesselbstverwaltung der Roma<br />
(OCÖ) das Verbot der Jobbik-Partei<br />
und rief zum gesellschaftlichen Zu -<br />
sam menschluss von Roma und nicht-<br />
Roma auf. Dieser Zusammenschluss<br />
sei „angesichts der bürgerkriegsähnli chen<br />
Zustände nötig“, unterstrich der stellvertretende<br />
OCÖ-Vorsitzende Janos<br />
Kozak.<br />
APA<br />
Öffentliches Uniformverbot für<br />
rechtsextreme Gardisten in Ungarn<br />
Das Tragen von Uniformen der verbotenen<br />
rechtsextremen Ungarischen<br />
Garde ist ab 26. november in Ungarn<br />
per Regierungsverordnung verboten.<br />
Wer mit der schwarzen Garde-Uni -<br />
form auf öffentlichen Veranstaltun gen<br />
erscheint, kann laut der <strong>als</strong> „Lex Gar -<br />
de“ bezeichneten Rechtsregel mit ei -<br />
ner Geldstrafe von bis zu 50.000 Fo rint<br />
(187 Euro) belegt werden. Hintergrund<br />
des Verbots sind Aktio nen von Gar dis -<br />
ten, die uniformiert durch Roma-<br />
Sied lungen marschierten und Ängste<br />
unter den Angehörigen der größten<br />
ungarischen minderheit schürten.<br />
Die im August 2007 gegründete Un -<br />
garische Garde galt <strong>als</strong> paramilitärische<br />
Organisation der rechtsextremen<br />
Partei Jobbik und war im Juli <strong>2009</strong><br />
rechtskräftig verboten worden. Da rauf -<br />
hin war die neue Ungarische Garde<br />
gegründet worden. Es kam auch weiter<br />
zu Aufmärschen der uniformierten<br />
Gardisten.<br />
© Laszlo Balogh / Reuters<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 15
POLITIK • ISRAEL<br />
Palästinensische<br />
Demonstranten<br />
haben zum<br />
20. Jahrestag<br />
des Berliner<br />
Mauerfalls einen<br />
Teil des israelischen<br />
Sperr walls zu Fall<br />
gebracht. Nahe<br />
des Kontrollpunktes<br />
Kalandija im<br />
Westjordanland<br />
rissen sie mit Hilfe<br />
eines LKW ein<br />
Mauersegment<br />
nieder.<br />
Mauer ist nicht<br />
gleich Mauer<br />
KOMMENTAR VON ULRICH W. SAHM<br />
Seit Limes und chinesischer Mauer, der Ma gi not-Linie und dem Eisernen Vorhang,<br />
schwer befestigten entmilitarisierten Zonen in Viet nam und Korea, werden in<br />
aller Welt fleißig wei tere Mauern und Zäune hochgezogen, nicht nur um Vorgär -<br />
ten und Gefäng nis se. Sie dienen, je nach Geographie, zum Ein- oder Aussperren.<br />
Die nachfolgende Lis te erhebt keinen An spruch auf Vollstän dig keit.<br />
Marokko 2720 Km „Verteidigungs mau er“ gegen Polisario<br />
Südkorea „Barriere“ gegen Nordkorea<br />
Botswana elektrischer Zaun an Grenze zu Zimbabwe. Offiziell gegen<br />
Maul und Klau en seuche, tatsächlich, um Flüchtlin ge eth nischer<br />
Säube rungs-Massaker fernzuhalten<br />
Saudi Arabien Barriere, sieben Kilometer tief auf jemenitischem Territorium,<br />
ge gen „Infiltrationen“<br />
Saudi Arabien 700 Kilometer moderne Bar riere entlang Grenze zu Irak<br />
Zypern Mauer und Zaun zwischen türki schem Norden und griechischem<br />
Sü den<br />
Thailand ab 2007, 75 Kilometer Barriere an Grenze zu Malaysia gegen Ein -<br />
drin gen von Terroristen<br />
Pakistan 2400 Km Barriere an Grenze zu Afgha nis tan<br />
Indien Barrieren an Grenzen zu: Bangla desch, Kasch mir, Pakistan,<br />
Myanmar, teilwei se auf „feindlichem Territorium“ er rich tet<br />
Usbekistan Barriere zu Tadschikistan<br />
Vereinigte Arabische Emirate - Barriere an Grenze zu Oman<br />
Kuwait 215 Km Barriere zu Irak<br />
USA Barriere an Grenze zu Mexiko, um Arbeits suchende fernzuhalten<br />
Europa/Spanien befestigter Zaun um Ceu ta und Mellila, um hungernde Afri ka ner<br />
aus Europa fernzuhalten<br />
Irland, Belfast Mauern trennen zwischen Protestanten und Katholiken<br />
Zwanzig Jahre Fall der Berliner Mau er<br />
sind Anlass für pro-palästinensische<br />
„Frie densaktivisten“ in Deutsch land und<br />
Österreich, das Au genmerk auf die<br />
„Mauer“ in Nahost zu richten und ihren<br />
Abriss zu fordern, <strong>als</strong> gäbe es keine anderen<br />
Mau ern in der Welt, an den<br />
Außengren zen der EU, eine sau di sche<br />
Mauer auf jemenitischem Ter ri to ri um,<br />
entlang der Gren zen In diens und entlang<br />
der ame rika ni schen Gren ze zu Mexiko.<br />
Die Boll werke sollen Feinde, Terro ris ten<br />
oder arbeitssuchende Frem de aussperren,<br />
während die Ber liner Mau er er rich tet<br />
worden ist, um die Bevöl ke rung von<br />
einem Aus bruch aus ihrem DDR-Ge -<br />
fängnis abzu hal ten. Die Ber li ner Mau er<br />
fiel zu sammen mit dem Eisernen Vo -<br />
rhang. Nur in Ko rea wird bis heute noch<br />
ein Volk durch ei ne Mauer ge spalten. Der<br />
Fall der Ber li ner Mauer ist ein Symbol für<br />
viel ge wal tigere Vor gänge: das En de des<br />
Kal ten Krie ges und die Wie der ver ei ni -<br />
gung Deutsch lands. Solan ge die Eu ro päer<br />
nicht be reit sind, sich mit Mil lionen Afri -<br />
ka nern über schwem men zu lassen und die<br />
Is ra e lis nicht wieder in Stadt bussen ge -<br />
sprengt wer den wol len, ist es illusorisch,<br />
al lein den Fall der Sperr wälle zu fordern,<br />
die Ursa chen für de ren Errich tung aber zu<br />
ig norieren. Nicht die Ber liner Mauer ver -<br />
hin derte den „Frie den“, sondern die Tei -<br />
lung und der kom mu nis ti sche Staat in der<br />
„sowjetischen Besat zungs zo ne“.<br />
Es gibt weitere Gründe, weshalb die Ber -<br />
liner Mauer nicht mit der Mauer in<br />
Nahost verglichen werden kann. Is rael<br />
und die Palästinenser führen mit einander<br />
Krieg. Sogar im Gold sto ne-Report wird<br />
den Palästinen sern ein Recht auf bewaffneten<br />
Wide r stand, Krieg gegen Israel,<br />
zugestanden. Die israelische Regierung<br />
jedoch hält es für ihre Pflicht, das Leben<br />
ihrer Bür ger zu schützen. Die<br />
Palästinenser kämpfen seit der ersten<br />
Intifada ab 1987 für eine Grenze zwischen<br />
ihrem künftigen Staat und Israel. Und so<br />
wie die Zo nen grenze niem<strong>als</strong> eine „in-<br />
ternational an erkannte Grenze“ war, gibt<br />
es zwischen Israel und den be setz ten Ge -<br />
bie ten nur „Waffen stillstands linien“ aus<br />
dem Jahr 1949. Der Grenzverlauf muss<br />
noch ausgehandelt werden. Nicht die<br />
Mau er ist ein Hin dernis für den Frie den,<br />
sondern der Krieg. Die Mauer hat te zu<br />
einem Ende der Intifada ge führt und nach<br />
mehrjährigem Blut ver gießen wie der<br />
Gespräche zwischen der Au to no mie be -<br />
hörde und Is rael un ter Ehud Ol mert<br />
ermöglicht.•<br />
16 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
POLITIK • ISRAEL<br />
Palästinenser wollen Staat ausrufen<br />
Volkstänze in Ramallah, der Haupt -<br />
stadt der palästinensischen Autono -<br />
mie behörde. Anlass ist der Jahrestag<br />
der Ausrufung eines palästinensischen<br />
Staates 1988 in Algier durch<br />
Jas sir Arafat. Trotz Anerkennung<br />
durch über 100 Staaten, ist sie auf dem<br />
Papier geblieben. Arafats Tod vor<br />
fünf Jahren kurz zuvor in der mukata<br />
am mausoleum des in Paris gestorbenen<br />
Volksgründers gedacht. Obgleich<br />
Ramallah wie auch die anderen pa läs -<br />
tinensischen Städte mit Wachs tums -<br />
raten von über sieben Prozent boomen,<br />
gibt es in den selbstverwalteten<br />
palästinensischen Gebieten keinen<br />
echten Anlass zu Feiern. Der Osloer-<br />
Friedensprozess ist spätestens mit<br />
Ausbruch der El Aksa intifada Ende<br />
September 2000 gescheitert. Die<br />
Vision von Präsident George W. Bush,<br />
im jordanischen Akaba nach wochenlangen<br />
Geheimverhand lungen 2003<br />
verkündet, hat bis heute nicht zu<br />
„zwei Staaten für zwei Völker“ geführt.<br />
Die derzeit noch aktuelle Friedens ini -<br />
tiative „Roadmap“ mit dem offiziellen<br />
Titel „Ein ergebnisorientierter Fahr plan<br />
für eine dauerhafte Zwei-Staaten-Rege -<br />
lun g zur Beilegung des israelisch-palästinensischen<br />
Konflikts des Quartetts (EU,<br />
USA, Russische Förderation und die VN)“<br />
hängt unerfüllt im Raum. Die Kon tra -<br />
henten israel und die Palästinenser<br />
konnten nicht einmal die Präambel<br />
um setzen. Das Zieldatum, bis 2005<br />
einen „provisorischen palästinensischen<br />
Staat“ geschaffen zu haben, ist längst<br />
verstrichen. Der Annapolis-Friedens -<br />
prozess, von Präsident Bush ausgerufen,<br />
um Ende 2008 mit einem palästinensischen<br />
Staat in die Geschichte ein -<br />
zugehen, hat nie abgehoben. Und der<br />
arabische Friedensplan, 2002 in Bei -<br />
rut verkündet, hat israel nie so recht<br />
überzeugt.<br />
So kam jetzt der seit 20 Jahren „ewi ge“<br />
palästinensische Chefverhandler Saeb<br />
Erekat mit der keineswegs neuen idee<br />
auf, einseitig einen palästinensischen<br />
Staat auszurufen, auch ohne Friedens -<br />
vertrag mit israel. Der ge schei terte ehemalige<br />
Sicherheitschef der Fatah-Par -<br />
tei im Gazastreifen, Muham mad Dah lan,<br />
der den von israel 2005 geräumten<br />
Landstrich fast kampflos der Hamas-<br />
VON ULRICH W. SAHM<br />
Organisation überlassen hatte, drohte<br />
gar mit „Widerstand ge mäß dem internationalen<br />
Recht“, falls israel den<br />
Vorschlag Erekats nicht akzeptiere und<br />
jegliche Bautätigkeit in den Sied lun gen<br />
und in Jerusalem einstelle. Si cher -<br />
heits chef Dschibril Radschub und mi -<br />
nis ter Kadura Fares erklärten, dass jetzt<br />
erst mal internationale Unterstützung<br />
für die idee gesammelt werde, um sie<br />
dem UnO-Sicherheitsrat vorzutragen,<br />
obgleich die initiative dort wohl<br />
an einem ame rikanischen Veto scheitern<br />
werde.<br />
israelische Rechtsexperten und Poli ti -<br />
ker debattierten den palästinensischen<br />
Vorschlag mit Unbehagen. „Das ist<br />
doch Quatsch“, erklärte Alan Baker,<br />
ehemaliger Rechtsberater des israelischen<br />
Außenministeriums, der entscheidend<br />
an den Osloer Verträgen<br />
mitformuliert hatte: „Staaten werden<br />
nicht von der UNO anerkannt, sondern<br />
von anderen Staaten.“ minister präsi dent<br />
Benjamin netanjahu drohte mit „einseitigen<br />
israelischen Schritten“, falls die<br />
Palästinenser ihr Vorhaben wahrmachen<br />
sollten. Dann könnte israel die<br />
„Siedlungsblöcke“ im besetzten West -<br />
jordanland annektieren und andere<br />
maß nahmen ergreifen. Zudem entspräche<br />
eine einseitige Staatsverkün -<br />
dung einer Aufkündigung aller bestehenden<br />
Verträge zwischen israel und<br />
der PLO.<br />
Die palästinensische initiative gesellt<br />
sich zu einer diplomatischen Kam pa -<br />
gne in internationalen Gremien, der<br />
UnO, an kanadischen und amerikanischen<br />
Universitäten, bei britischen<br />
Gewerkschaften, wo zu einem Boy -<br />
kott israelischer Waren und Akade mi -<br />
ker aufgerufen wird und israelische<br />
Politiker <strong>als</strong> Kriegsverbrecher be zeich -<br />
net werden. Hinzu kommt die innenpolitische<br />
Krise in der Autonomie be -<br />
hörde. Entsprechend der Verfassung<br />
hatte Präsident mahmoud Abbas zu<br />
neuwahlen am 24. Januar aufgerufen.<br />
Doch die Hamas-Organisation will kei -<br />
ne Wahlen im Gazastreifen zulassen.<br />
Abbas hatte zuvor eine Fortsetzung<br />
der Friedensverhandlungen mit ne -<br />
tanjahu verweigert, indem er einen<br />
totalen Baustopp in den Siedlungen<br />
Chefverhandler<br />
Saeb Erekat<br />
©Nati Shohat/Flash90/JTA)<br />
zur Bedingung gemacht hatte. Abbas<br />
hatte sich damit in eine politische<br />
Sackgasse manövriert. Er hatte dem<br />
amerikanischen Präsidenten Barack<br />
Obama geglaubt, netanjahu von ei -<br />
nem Baustopp überzeugen zu können.<br />
israel forderte jedoch von Abbas, darüber<br />
„ohne Bedingungen“ zu verhandeln,<br />
anstatt Konzessionen auf dem<br />
Silbertablett durch amerikanischen<br />
Druck zu erwarten. Obama musste<br />
inzwischen einen Rückzieher ma chen,<br />
zumal die Saudis Konzes si onen an is -<br />
rael im Gegenzug zu einem Siedlungs -<br />
stopp verweigerten, israelische Flug -<br />
zeuge über ihr Territorium in den Fer -<br />
nen Osten fliegen zu lassen. „Jü di sche<br />
Flugzeuge dürfen nicht die Luft über<br />
Mek ka verpesten“, lautete die saudische<br />
Antwort an Obama. So hatte der noch<br />
unerfahrene amerikanische Prä sident<br />
f<strong>als</strong>che Hoffnungen ge weckt, anstatt<br />
sich im Voraus heimlich die Zustim -<br />
mung seiner „Freunde“ in Riad und<br />
Jerusalem einzuholen. Der gescheiterte<br />
Abbas verkündete derweil, nicht<br />
wieder für das Amt des Präsidenten<br />
kandidieren zu wollen. Ob er das ernst<br />
meint, oder ob auch das nur ein politisches<br />
Druckmittel gegen israel, die<br />
USA und den Rest der Welt ist, kann<br />
niemand bezeugen, nicht einmal<br />
Abbas nahestehende Palästinenser.<br />
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november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 17
POLITIK • ISRAEL<br />
Israelische Flagge<br />
weht in Abu Dhabi<br />
im arabischen Emirat Abu Dhabi<br />
wehte zum ersten mal die israelische<br />
Flagge. in der gleichnamigen Haupt -<br />
stadt der Vereinigten Ara bi schen Emi -<br />
rate waren zwei israelische Gesandte<br />
bei einem Treffen der mitglieder der<br />
„interna tio na len Agen tur für Erneu -<br />
erbare Ener gi en“ (iREnA) anwesend.<br />
„Trotz der Tatsache, dass Israel keine di -<br />
plomatischen Beziehungen mit den<br />
Vereinigten Arabischen Emiraten hat,<br />
wurden die israelischen Delegierten <strong>als</strong><br />
gleichwertige Mitglieder empfangen, und<br />
die israelische Flagge wehte zum ersten<br />
Mal in diesem Land“, hieß es in einer<br />
Erklärung des israelischen Außen mi -<br />
nis teriums.<br />
Am Treffen nahmen 150 Gesandte aus<br />
70 Staaten teil. israel wurde durch<br />
Avraham Arbiv vom mi nis te rium für<br />
infrastruktur und Simona Halperin<br />
vom Außen mi nis terium vertreten.<br />
iREnA wurde im Januar dieses Jah -<br />
res in Bonn gegründet, derzeit gehören<br />
ihr 137 Staaten an. Ziel der internationalen<br />
Regierungsor ga ni sa tion ist es,<br />
die Entwicklung und nachhaltige<br />
nutzung von erneuerbaren Energien<br />
weltweit zu fördern. Für den Haupt -<br />
sitz der Agen tur hatten sich auch Bonn<br />
und Wien beworben. Beide unterlagen<br />
jedoch Abu Dhabi. Die Haupt stadt<br />
der Vereinigten Arabischen Emi ra te<br />
hat jedoch nur vorrübergehend den<br />
Sitz inne. Dieser soll später in die noch<br />
im Bau befindliche Stadt mas dar vor<br />
den Toren Abu Dhabis verlegt werden.<br />
masdar soll die erste emissionsfreie<br />
Stadt der Welt werden. inn<br />
Israelische Armee twittert<br />
Die israelische Armee nutzt den in ter -<br />
net-Kurznachrichtendienst „Twitter“.<br />
Dort veröffentlicht sie aktuelle mel -<br />
dungen über ihre Vor gehensweise. Die<br />
Sprecher der israelischen Armee wollen<br />
sich den „neuen medien“ ge gen -<br />
über öffnen, berichtet der nach rich -<br />
ten dienst imRA. Durch „Twitter“ können<br />
interessierte sich über das mi litär<br />
und seine Aktivitäten informieren.<br />
in den so genannten „Tweets“ sind<br />
unter an derem Links zu Fotos und<br />
offiziellen Ankündigungen enthalten,<br />
die auf einem Weblog der Armee<br />
veröffentlich werden.<br />
Israelische Marine-Infanteristen der Son -<br />
dereinheit „Flottille 13“ haben vor Zypern<br />
ei ne Lieferung aus dem Iran an den Li ba -<br />
non abgefangen. An Bord des Frach ters<br />
be fanden sich Container mit Mu ni tion<br />
und Waffen. Iran, Syrien und die His bol -<br />
l ah-Milizen streiten jede Ver wick lung ab.<br />
Waffensch<br />
für Hisb<br />
Für israel war es ein „Geschenk des<br />
Himmels“. Ein Spezialkommando<br />
fing im mittelmeer einen Frachter ab,<br />
der nach Armeeangaben 36 Container<br />
mit Raketen, Panzerabwehrgranaten<br />
und reichlich munition aus dem iran<br />
zur verbündeten Hisbollah im Li ba -<br />
non bringen sollte. Dass die „Fran-<br />
cop“ einem deutschen Reeder gehört,<br />
mag in der Heimat für Schlagzeilen<br />
sorgen, spielt aber in israel überhaupt<br />
keine Rolle.<br />
Während die Hisbollah jegliche Ver -<br />
strickung bestreitet und israel Pira te rie<br />
in internationalen Gewässern vorhält,<br />
feiern die israelis den Coup. „Auf frischer<br />
Tat ertappt“, titelte die Tages -<br />
zei tung ‘Yediot Ahronot’. Denn nach<br />
dem Willen des Weltsicherheitsrates<br />
sind sowohl die Wiederbewaffnung<br />
der Hisbollah <strong>als</strong> auch der Waffen -<br />
han del mit dem iran verboten.<br />
Auch andere Blätter berichten seitenlang<br />
in Wort und Bild. „Ein Geschenk<br />
des Himmels“, zitiert die ‘maariv’<br />
einen Regierungsbeamten nach der<br />
Sit zung des Sicherheitskabinetts.<br />
„Un sere Aufgabe ist es jetzt, der Welt zu<br />
zeigen, mit wem es Israel zu tun hat. Die<br />
Fotos mit den Waffen und der Munition<br />
werden beweisen, dass sich Israel gegen<br />
einen grimmigen Terrorismus verteidigt,<br />
und Terror bekämpft man nicht mit<br />
Samthandschuhen.“<br />
Tagelang hatten israelische Sicher -<br />
heits kräfte den Frachter bereits im Vi -<br />
sier. Das Elitekommando schlug dann<br />
an jenem Tag zu, <strong>als</strong> die Un-Gene ral -<br />
versammlung mit der Diskussion des<br />
kritischen Un-Berichts über den is ra e -<br />
lischen Gazafeldzug vom Jahres wech -<br />
sel begann. An reinen Zufall wollten<br />
weder Kommentatoren im Libanon<br />
noch in israel glauben. „Öffentlichkeitsarbeit<br />
ist jetzt sehr wichtig und wir versuchen,<br />
einen Nutzen aus der günstigen<br />
Gelegenheit zu ziehen“, sagte Außen mi -<br />
nister Avigdor Lieberman dem israelischen<br />
Rundfunk. im Prinzip hat is ra -<br />
el mit dem Kapern des Waffen schif fes<br />
rund 160 Kilometer vor der eigenen<br />
Küste sogar zwei Fliegen mit einer<br />
Klappe geschlagen. Seit monaten<br />
trommelt ministerpräsident Ben ja min<br />
18 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
POLITIK • ISRAEL<br />
wirk lich Druck auf den Iran macht, die<br />
kriminellen Aktivitäten stoppt und Israel<br />
unterstützt, wenn es sich gegen Terro ris -<br />
mus und dessen Sponsoren verteidigt.“<br />
Wie im nahen Osten üblich, machen<br />
auch Verschwörungstheorien die<br />
Run de - dass israel beispielsweise den<br />
Coup inszeniert haben könnte. Außen -<br />
minister Lieberman sagte, die Be fra -<br />
gung der Crew, Dokumente an Bord<br />
des Schiffes sowie Geheimdienstin for -<br />
mationen seien zweifelsfreier Beweis,<br />
dass die „Francop“ mit Waffen für die<br />
Hisbollah unterwegs gewesen sei.<br />
Aber warum gerade ein Schiff? Für<br />
den Transport der 36 Container mit<br />
hunderten Tonnen Kriegsmaterial hät -<br />
te man sonst 20 Flugzeuge benötigt,<br />
schreibt die ‘Jerusalem Post’. Darüber<br />
hinaus sei ein Schiffstransport viel<br />
dis kreter, weil Starts und Landungen<br />
von Flugzeugen mehr Spuren für<br />
Geheimdienste hinterließen. Welch<br />
tödliche Fracht die „Francop“ an<br />
Bord hatte, verdeutlichen folgende<br />
Zahlen: Während des 33 Tage langen<br />
Libanon-Krieges vom Sommer 2006<br />
feuerten Hisbollah-Kämpfer nach is -<br />
raelischen Armeeangaben rund 4.000<br />
Raketen auf israel ab. An Bord der<br />
„Francop“ waren 3.000 Raketen. Das<br />
muggel<br />
ollah<br />
©IDF<br />
netanyahu, dass der iran eine viel<br />
größere Gefahr für die Welt ist <strong>als</strong> der<br />
ungelöste israelisch-palästinensische<br />
Konflikt. Seit monaten fordert ne tan -<br />
yahu schärfere Sanktionen. Jetzt spürt<br />
der Regierungschef Ober wasser: „Der<br />
Iran schickt diese Waffen Terrorgruppen,<br />
damit diese israelische Städte angreifen<br />
und Zivilisten töten. Es ist an der Zeit,<br />
dass die internationale Gemeinschaft<br />
© Amir Cohen / Reuters<br />
©IDF<br />
sind nach israelischen Schätzungen 15<br />
Prozent des gesamten Rake ten vor rats<br />
der Hisbollah. Die israelische Ar mee -<br />
führung geht davon aus, dass die His -<br />
bollah mit den Waffen von der „Fran-<br />
cop“ mindestens vier Wochen lang<br />
Krieg führen könnte. Hans Dahne/dpa<br />
©IDF<br />
36 Container mit 500 Tonnen<br />
Waffen wurden <strong>als</strong> zivile Fracht<br />
getarnt und zwischen anderen<br />
Containern versteckt:<br />
9.000 Mörser geschoße,<br />
3.000 Katjuscha-Raketen,<br />
mehr <strong>als</strong> 20.000 Granaten und<br />
gut eine halbe Million Patronen<br />
Munition für kleinere Waffen<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 19
POLITIK • ISRAEL<br />
Von von Braun zu<br />
Nasrallah<br />
VON MOSHE ARENS *<br />
in den letzten mo -<br />
naten des Zweiten<br />
Weltkriegs setzten<br />
die Deutschen ge -<br />
gen Groß britan ni en<br />
das ein, was Hit ler<br />
<strong>als</strong> die „Waffe der<br />
Rache“ bezeichnete.<br />
Die V-2-Rakete,<br />
die von Wern her<br />
von Braun und sei -<br />
nem Wissen chaft -<br />
ler team <strong>als</strong> Terror -<br />
waffe entwickelt<br />
worden war, wur -<br />
de Tag für Tag auf<br />
zi vile Ziele abgefeuert.<br />
Bis die Trup -<br />
pen der Alli ier ten<br />
die Ab schuss ba sen<br />
er reich ten, waren<br />
in Großbritannien<br />
1.400 Raketen nie -<br />
dergegangen, 500<br />
da von in London. 900 Einwohner<br />
Lon dons wurden von diesen Rake ten<br />
getötet.<br />
©wikimedia<br />
55 Jahre danach, während des ersten<br />
Golfkriegs, schickte der irak nach is -<br />
ra el Raketen, die nach dem modell<br />
der V-2-Raketen gebaut und aus der<br />
Sowjetunion und nordkorea importiert<br />
worden waren. Seit jenem Krieg<br />
wurden die Raketen zur bevorzugten<br />
Waffe der Feinde israels. Zehntau sen -<br />
de von ihnen, die Zahl wächst jeden<br />
Tag, sind im Gaza-Streifen und im<br />
Südlibanon stationiert worden und be -<br />
drohen alle Bürger israels. Was man<br />
in den Zeiten der auf den norden<br />
israels abgefeuerten Katyushas <strong>als</strong><br />
erträgliche Belästigung angesehen<br />
hat, ist zu einer strategischen Bedro -<br />
hung geworden. man darf die zivilen<br />
Verluste nicht unterschätzen, die<br />
israel im Falle eines Angriffs mit diesen<br />
Raketen erleiden würde.<br />
Die Rede ist von einer Terrorwaffe,<br />
klipp und klar. Je größer die Zahl dieser<br />
Raketen, desto mehr schreckt die<br />
israelische Regierung – die schwere<br />
Verluste unter ihren Bürgern befürchtet<br />
– vor einem effektiven Einschrei ten<br />
gegen die Bedrohung zurück. Die Stra -<br />
tegie der Terroristen ist einfach: Wenn<br />
sie über ein genügend großes Arsenal<br />
von Raketen verfügen, werden sie sie<br />
sporadisch auf israel ab feu ern oder<br />
andere provokative Akti o nen – wie die<br />
Entführung von Solda ten – durchführen,<br />
im Wissen, dass die Re gierung aus<br />
Furcht vor massivem Raketenbe schuss<br />
auf israelische Ort schaf ten zögern<br />
wird, hart zu reagieren.<br />
Das ist, was mit der Hisbollah im nor -<br />
den passiert ist. ihr ohne Un terlass<br />
wachsendes Raketenarsenal hinderte<br />
die letzten israelischen Re gierungen<br />
daran, maßnahmen zur Ausschal tung<br />
der Gefahr einzuleiten oder wenigs -<br />
tens effektiv auf die Pro vokationen<br />
zu reagieren. im zweiten Libanon krieg<br />
beschloss die Regie rung Ehud Ol merts<br />
letztlich mit außergewöhnlicher Här te<br />
zu reagieren, aber sie hat die Arbeit<br />
nicht zu Ende ge führt. Während des<br />
Kriegs wurde der norden des Landes<br />
schwer von Rake ten in mitlei den schaft<br />
gezogen, und den israelischen Vertei -<br />
di gungs streit kräf ten (ZAHAL) gelang<br />
es nicht, dem Beschuss ein Ende zu<br />
setzen. Heute ist das Raketenarsenal<br />
der Hisbollah noch um einiges größer.<br />
in Gaza hat die Hamas die Hisbollah<br />
imitiert. nachdem sie sich ein Ar se nal<br />
von Raketen aufgebaut hatte, feuerte<br />
sie sie über Jahre hinweg auf israelische<br />
Ortschaften ab, im Wissen, dass<br />
israel aus Furcht vor weiteren Rake -<br />
ten zögern würde zu reagieren. Diese<br />
Situation dauerte bis zur letzten mi li -<br />
täroperation in Gaza an, doch auch<br />
diesmal wurde die mission nicht vollendet.<br />
Heute verfügt die Hamas über<br />
ein noch größeres Raketenarsenal, und<br />
sie setzt dieselbe Strategie fort: Ab und<br />
an schickt sie einige Raketen nach is -<br />
rael, in der Annahme, dass die Re gie -<br />
rung nicht reagieren wird. Die Veröf -<br />
fentlichung des Goldstone-Be richts<br />
hat sie nur in ihrer Sicherheit be stärkt,<br />
dass israel sich weiter zu rück halten<br />
und keine Aktion einleiten wird.<br />
Es handelt sich hier um eine aus is ra -<br />
elischer Sicht unerträgliche Situation.<br />
Die Zivilbevölkerung israels wird von<br />
norden und Süden her von Terro ris ten<br />
<strong>als</strong> Geisel gehalten. Die Reichweite der<br />
Raketen deckt inzwischen sein ge sam -<br />
tes Territorium ab. Schwer zu glau ben,<br />
dass irgendein Staat bereit sein wür de,<br />
dies auf längere Sicht hin zunehmen.<br />
Als die Vereinigten Staa ten 1962 von<br />
der Stationierung sow jetischer Rake ten<br />
auf Kuba be droht wurden, forderte<br />
Präsident John F. Kennedy, der verstand,<br />
dass die permanente Gefahr<br />
von Raketen die nationale Sicherheit<br />
schwer beeinträchtigen würde, ihre<br />
Entfernung. in gleicher Weise ist die<br />
ständige Bedrohung durch Raketen<br />
von Seiten verantwortungsloser Ter -<br />
ro rorganisationen wie Hisbollah und<br />
Hamas eine handfeste Gefahr für die<br />
Sicherheit israels.<br />
Diese Gefahr muss ausgeschaltet<br />
wer den. in einem ersten Schritt muss<br />
die israelische Regierung klar ma chen,<br />
dass die Stationierung von Raketen<br />
nicht hinnehmbar ist, und fordern, dass<br />
jede weitere Lieferung sofort aufhören<br />
muss. Darüber hinaus muss die Re gie -<br />
rung betonen, dass das bestehende Ra -<br />
ketenarsenal früher oder später verschwinden<br />
muss. Haaretz, 18.1.09<br />
*<br />
Moshe Arens war Außen- und Verteidigungs minister<br />
des Staates Israel.<br />
Hamas-Gruppe bietet Kopfgeld für Entführung von Soldaten<br />
Eine der Hamas nahestehende Organisation im Gazastreifen verspricht is -<br />
ra elischen Arabern eine Belohnung von US$ 1,4 mio. (€ 940.000) für die Ent -<br />
führung eines israelischen Soldaten. Das Angebot der Waad-Gruppe, die<br />
vom Hamas-innenminister Fathi Hamad geleitet wird, wurde per E-mail an<br />
palästinensische medien verschickt. Damit reagierte Waad nach eigenen<br />
Angaben auf israelische Versuche, mit Geldgeschenken für die Bewohner des<br />
Gazastreifens den Aufenthaltsort des 2006 verschleppten Soldaten Gilad<br />
Sha lit ausfindig zu machen.<br />
Radikale palästinensische Gruppen haben schon mehrfach zur Entführung<br />
israelischer Soldaten aufgerufen. Sie haben bisher jedoch noch nie eine<br />
hohe Belohnung in Aussicht gestellt. Die Finanzmittel für Waad dürften<br />
Beo bach tern zufolge direkt von der Hamas kommen. Diese wiederum wird<br />
vermut lich vom iran unterstützt.<br />
Die israelische Stiftung "Born to Freedom" hat US$ 10 mio. für infor ma tio nen<br />
über vermisste israelische Soldaten angeboten.<br />
20 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
35 Nebenkläger bei<br />
Demjanjuk-Prozess<br />
Zu Beginn des Prozesses gegen den<br />
mutmaßlichen nS-Verbrecher John<br />
Demjanjuk Ende november in mün -<br />
chen wird ein Großaufgebot von<br />
nebenklägern erwartet. Rund 20 ne -<br />
benkläger wollen am 30. november<br />
zum Auftakt ins Landgericht mün -<br />
chen ii kommen, wie der neben klä -<br />
ger vertreter und Kölner Strafrechts -<br />
professor Cornelius Nestler der Deut -<br />
schen Presse-Agentur (dpa) sagte.<br />
ins gesamt seien mindestens 35 ne ben -<br />
kläger zugelassen. Sie alle haben im<br />
na zi-Vernichtungslager Sobibor im<br />
von Hitler-Deutschland besetzten Po -<br />
len nahe Angehörige verloren. Der ge -<br />
bürtige Ukrainer Demjanjuk soll dort<br />
<strong>als</strong> Wachmann geholfen haben, die in<br />
massentransporten ankommenden<br />
Ju den zu vergasen. Die Anklage wirft<br />
dem 89-Jährigen Beihilfe zum mord<br />
in 27.900 Fällen vor. Die nebenkläger<br />
wollten keine harte Strafe für Dem -<br />
jan juk, sondern Wahrheit und Gerech -<br />
tigkeit, sagte nestler, der zusammen<br />
mit mehreren Kollegen rund 30 der<br />
nebenkläger vertritt. „Der Weg ist das<br />
Ziel: Jeder, der verantwortlich war für die<br />
Morde an ihren Familienangehörigen,<br />
muss sich bis zum Lebensende seiner Ver -<br />
antwortung stellen.“ Die Zahl der ne -<br />
POLITIK • NS-ZEIT<br />
ben kläger könnte noch weiter steigen:<br />
Unter anderem bei einigen Überlebenden<br />
aus Sobibor ist laut nestler of -<br />
fen, ob sie den entsprechenden An trag<br />
beim Gericht stellen. Das Verfahren<br />
sei sehr ungewöhnlich, verglichen mit<br />
den bisherigen Prozessen gegen mutmaßliche<br />
nS- und Kriegsverbrecher.<br />
„Die Konstruktion der Anklage ist geradezu<br />
revolutionär im Vergleich zu allen<br />
anderen großen NS-Verfahren in der<br />
Vergangenheit.“ Früher sei immer auf<br />
die einzelnen Täter und ihre Exzesse<br />
geschaut worden. „Hier geht es um die<br />
Vernichtungsmaschinerie, in der Dem jan -<br />
juk eine Funktion gehabt hat.“<br />
insgesamt starben in Sobibor nach<br />
Schät zungen binnen zweieinhalb Jah -<br />
ren 250.000 menschen. Demjanjuk, <strong>als</strong><br />
Rotarmist in deutsche Gefangen schaft<br />
geraten, wurde im SS-Ausbil dungs -<br />
lager Trawniki zum Wachmann ausgebildet<br />
und kam nach Sobibor, wo ihn<br />
die nazis mit rund 100 anderen Traw -<br />
niki <strong>als</strong> Helfer ihrer Vernichtungsma -<br />
schi nerie einsetzten. Dass Demjanjuk<br />
Trawniki geworden sei, könnte man<br />
nachvollziehen, da er sich selbst retten<br />
wollte, sagte nestler. „Dass er in Sobi bor<br />
geblieben ist, hat mit retten nichts mehr<br />
zu tun“, betonte der nebenklä ger ver -<br />
tre ter. „Während ringsherum in Osteu -<br />
ro pa für alle die Gefahren des Krieges<br />
drohten, war das Leben in Sobibor für die<br />
Trawniki angenehm - um den Preis der<br />
Beteiligung an der fortwährenden Er mor -<br />
dung von Tausenden von Juden.“ Die<br />
Opfer-Angehörigen, die am Prozess -<br />
auf takt teilnehmen wollen, kommen<br />
aus den USA und aus israel, vor al lem<br />
aber aus den niederlanden. Vier der<br />
bisher zugelassenen nebenkläger wa -<br />
ren selbst in Sobibor und haben die<br />
Vernichtungsmaschinerie überlebt.<br />
ins gesamt leben noch neun ehemalige<br />
Häftlinge - bis auf einen kamen sie bei<br />
dem Gefangenen-Aufstand im Okto -<br />
ber 1943 frei, nach dem das Lager<br />
geschlossen wurde.<br />
Australien will<br />
mutmaßlichen<br />
Kriegsverbrecher an<br />
Ungarn ausliefern<br />
Die australische Regierung hat die<br />
Aus lieferung des mutmaßlichen<br />
Kriegs verbrechers Charles (Karoly)<br />
Zen tai nach Ungarn gebilligt. Laut<br />
dem australischen innenminister<br />
Bren dan O’Connor bedeute diese Ent -<br />
scheidung nicht, dass damit eine<br />
„Schuld oder Unschuld Zentais dokumentiert<br />
werden soll“. Es gehe vielmehr<br />
darum, dass Australien seine Pflich ten<br />
erfülle, die sich aus internationalem<br />
Recht ergeben.<br />
Zentai wird beschuldigt, <strong>als</strong> mitglied<br />
der mit Hitler verbündeten ungarischen<br />
Armee 1944 einen jungen Ju den<br />
getötet zu haben. Zentai befindet sich<br />
seit dem 22. Oktober in Australien in<br />
Po lizeigewahrsam. Der 88-Jährige<br />
hat te sich gegen eine Auslieferung<br />
nach Ungarn gewehrt, da er nach ei -<br />
ge ner Aussage kein Vertrauen „in die<br />
ungarische Demokratie“ hat.<br />
Der Ungar war nach dem Krieg nach<br />
Australien ausgewandert und lebt in<br />
Perth im Westen des Landes. Zentai<br />
wies stets die vom Simon-Wiesen thal-<br />
Zentrum erhobenen Kriegsver bre cher-<br />
Vor wür fe zurück. Die Budapes ter<br />
Regierung hatte bereits im märz 2005<br />
einen Auslieferungsantrag gestellt.<br />
Auf der aktuellen Liste der zehn<br />
meistgesuchten nazi-Kriegsver bre cher<br />
des Simon-Wiesenthal-Zentrums in<br />
Jerusalem nimmt Zentai den siebenten<br />
Platz ein.<br />
APA<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 21
POLITIK • ANTISEMITISMUS<br />
Aktion „Wiener Lichter“ gegen<br />
Burschenschafter-Festkommers<br />
Gegen den von 20. - 22. november statt -<br />
findenden Kommers der schlagenden<br />
Burschenschaften hat sich unter dem<br />
motto „Wiener Lichter“ ein breites<br />
zivilgesellschaftliches Bündnis formiert:<br />
Gemeinsam mit der Wiener SPÖ, der in -<br />
tegrationsstadträtin Sandra Frauen ber ger,<br />
der Sozialistischen Jugend Wien und der<br />
Jungen Generation in der SPÖ Wien sind<br />
darin vertreten nGOs wie „A Letter to<br />
the Stars“, ZARA - Zivilcourage und An ti-<br />
Rassismus-Arbeit, die Gemein nützi ge Ent -<br />
wicklungszusammenarbeit GmbH (GEZA),<br />
das Österreichische Nord-Süd-Institut<br />
(ÖnSi), sowie die Hochschüler Innen schaft<br />
Universität für angewandte Kunst (HU-<br />
FAK).<br />
Ziel der Aktion war es, die Wienerin nen<br />
und Wiener dazu aufzurufen, gegen<br />
die dunkle Vergangenheit - für die der<br />
Kommers der Ewiggestrigen steht -<br />
symbolisch eine Kerze anzuzünden<br />
und dieses Licht am Samstag, dem 21.<br />
november <strong>2009</strong> abends ins Fenster zu<br />
stellen.<br />
Die initiatorin von „Wiener Lichter“,<br />
SPÖ-nationalratsabgeordnete und Be -<br />
reichssprecherin für Umwelt und globale<br />
Entwicklung, Petra Bayr hielt im<br />
Vorfeld der Aktion fest: „‘Wiener Lich -<br />
ter’ ist selbstverständlich ein gewaltloser<br />
Protest der Zivilgesellschaft gegen das offene<br />
Zuschautragen von intoleranter, reaktionärer<br />
und revisionistischer Geistes hal -<br />
tung, die wir <strong>als</strong> längst überwunden glaub -<br />
ten. ‘Wiener Lichter’ richtet sich klar gegen<br />
das Weltbild der Burschenschaften, das<br />
beim Kommers völlig ungeniert in die<br />
Öf fent lichkeit getragen wird. Welche Ab -<br />
grün de sich da auftun, das macht ein Blick<br />
auf Homepage der Burschenschaft ‘Olym -<br />
pia’ deutlich: Da liest man unter Punkt 4<br />
im Menübereich ‘Aktuelles’: ‘Es ist in den<br />
meis ten Berei chen (z.B. Intelligenz, Medi -<br />
zin, Sport, etc.) von Relevanz, von welcher<br />
biologischen Abstammung ein Mensch ist’<br />
oder unter Punkt 9: ‘Niemand hat uns verboten,<br />
Menschen unserer Herkunft im täglichen<br />
Leben bevorzugt zu behandeln.’ Ge -<br />
gen diese ausgrenzende, inhumane und an -<br />
timoderne Geisteshaltung - die aus solchen<br />
Zitaten offensichtlich wird - muss ein ge -<br />
waltloses Zeichen gesetzt werden und<br />
zwar für Demokratie, Humanität und<br />
Toleranz! Dafür steht ‘Wiener Lichter’!“<br />
Neue Mauthausen-Guides zur Sensibilisierung der Jugendlichen<br />
nach den Ereignissen im Frühjahr in Ebensee - mehrere Jugendliche hatten<br />
Besucher der Gedenkfeier im ehemaligen KZ-nebenlager attackiert - hat das<br />
maut hausen Komitee Österreich (mKÖ) eine initiative für mehr von Expert in -<br />
nen begleitete Besuche von Schülerinnen und Jugendliche gestartet. in den ver -<br />
gangenen monaten wurden dreißig Personen - Studierende, Betriebsrätinnen,<br />
Jugendarbeiterinnen - zu neuen „mauthausen-Guides“ ausgebildet und zertifiziert.<br />
Damit können jährlich rund 300 zusätzliche Begleitungen für 7.500 Ju -<br />
gendliche stattfinden. Die Hälfte der Guides sind Frauen, ein Fünftel haben einen<br />
migrationshintergrund.<br />
Horst-Wessel-Lied<br />
auf Diensttelefon<br />
Die Verwendung des von den natio -<br />
n<strong>als</strong>ozialisten in Deutschland benutzten<br />
Horst-Wessel-Lieds <strong>als</strong> Klingelton<br />
auf seinem Diensthandy hat für einen<br />
Beamten aus Berlin dienstrechtliche<br />
Konsequenzen.<br />
Aufgefallen war der Klingelton mit<br />
der verbotenen früheren nSDAP-<br />
Hym ne durch einen Zufall: Der Staats -<br />
bedienstete war im Februar in ei nem<br />
Kaufhaus beim Diebstahl er wischt<br />
worden. Als der Dieb von Po lizisten<br />
verhört wurde, klingelte plötzlich<br />
sein Handy mit dem Horst-Wessel-<br />
Lied <strong>als</strong> Klingelton. Gegen die Be -<br />
schlag nahmung des Handys wehrte<br />
sich der mann mit der Bemer kung,<br />
das dürften die Polizisten nicht, er sei<br />
schließlich Beamter. Das Lied war wäh -<br />
rend der nS-Herrschaft (1933-1945)<br />
eine der wichtigsten nazi-Hymnen.<br />
Internetadressen kz.de und ss.de<br />
wurden in Deutschland vergeben<br />
Bei der erstmaligen Vergabe von in -<br />
ternetadressen mit nur zwei Buch sta -<br />
ben hat die deutsche Registrierungs -<br />
stel le Denic auch mehrere Domains<br />
mit brisanten Kürzeln wie „kz.de“<br />
oder „ss.de“ vergeben. Registriert wur -<br />
den zudem die Adressen „sa.de“ und<br />
„hj.de“, wie Abfragen der Denic-Da -<br />
ten bank ergaben. Denic-Chefin Sabine<br />
Dolderer sagte dem nachrich ten ma -<br />
ga zin „Focus“ nach einem Vorab be -<br />
richt, diese Ent schei dung sei bewusst<br />
getroffen worden. „Wir haben uns für<br />
eine Freigabe entschieden, da die Begriffe<br />
<strong>als</strong> solches nicht rechtswidrig sind.“ in<br />
Kombination mit entsprechenden in -<br />
halten könnten sie hingegen „durchaus<br />
der Aufklärung dienen“. Rechts ex -<br />
tre me Absichten wiesen die Betreiber<br />
von „kz.de“ und „ss.de“ auf Anfrage<br />
von „Focus“ zurück. Demnach soll<br />
„kz.de“, das von einer Gastronomie -<br />
ge sellschaft aus norddeutschland re -<br />
gistriert wurde, für eine Ferienver mitt -<br />
lung verwandt werden. Für „ss.de“ ist<br />
demnach ein Shoppingangebot ge -<br />
plant. internetadressen mit „de“-<br />
Endung und nur zwei Buchstaben<br />
sind erst seit gut einer Woche möglich.<br />
in den ersten Tagen hatte es<br />
einen großen Ansturm auf die neuen<br />
Domain-namen gegeben.<br />
22 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
©Alle Fotos: R. Engel<br />
Wasser<br />
und<br />
Wein<br />
Das israelische Unternehmen Netafim ist<br />
Weltmarktführer bei Tropfen-Bewässe -<br />
rung systemen – und hält auch im österreichischen<br />
Weinbau die klare Führungs -<br />
position. Ein Lokalaugenschein bei ei -<br />
nem Spitzenweingut.<br />
VON REINHARD ENGEL<br />
Josef Umathum spricht über seine Wein -<br />
stöcke wie ein anderer über ein ge -<br />
liebtes Haustier oder eines seiner zahl -<br />
reichen Kinder: „Die Pflanzen sind ja<br />
sehr intelligent,“ erklärt der Rotwein -<br />
bau er aus dem burgenländischen<br />
Frau enkirchen. „Man darf sie nicht verwöhnen,<br />
auch nicht mit Wasser. Sonst<br />
werden sie bequem und bilden ihre Wur -<br />
zelballen zurück.“<br />
Dennoch hat Umathum von seinen 25<br />
Hektar Weingärten im Seewinkel rund<br />
die Hälfte mit Bewässerungs systemen<br />
bestückt. „Das ist eine Art Versiche rung.<br />
Die letzten paar Jahre haben wir gar nicht<br />
WIRTSCHAFT<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 23
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
aufgedreht. Heuer war es nach dem regnerischen<br />
Sommer im Herbst dann so<br />
trocken, dass wir die Bewässerung ge -<br />
braucht haben.“ Zuerst war der Regen<br />
ausgeblieben, dann hätte ein warmer<br />
Südwind die Trauben beinahe vor der<br />
Reife schon am Stamm zu Rosinen<br />
gedörrt. mit der Bewässerung konnte<br />
der Weinbauer die Ernte retten – und<br />
<strong>2009</strong> sollte jetzt auch von der Qualität<br />
her ein gutes Ergebnis bringen.<br />
Umathum führt seine Anlage vor, die<br />
vom Weltmarktführer stammt, dem<br />
israelischen Unternehmen Netafim<br />
(siehe Kasten). Etwa auf Kniehöhe<br />
sind entlang der Reihen der Wein re -<br />
ben schwarze fingerdicke Schläu che<br />
gespannt. Warum liegen diese nicht<br />
direkt am Boden? „In manchen Län -<br />
dern wird mit Unkrautvertilgungs mittel<br />
gearbeitet, dort kann man die Schläuche<br />
auf die Erde legen. Wir haben eine biologische<br />
Arbeitsweise, da würden wir mit<br />
den Bearbeitungsgeräten die Schläuche<br />
zerstören,“ so Umathum. Jetzt sind sei -<br />
ne einzigen Feinde Plastikna schen de<br />
Feldmäuse und die zahlreichen Jäger,<br />
deren Schrotschüsse immer wieder<br />
auch anderes treffen <strong>als</strong> Rebhühner<br />
oder Fasane.<br />
Umathum nutzt eine eher einfache<br />
Version der Tröpfchen-Bewässerung.<br />
Er beobachtet seine Weingärten, mit<br />
eigenen Augen und auch mit meß-<br />
Sonden, das Wasser dreht er selber<br />
auf. Andere Anlagen verknüpfen die se<br />
Da ten und schalten sich selbst, automatisch<br />
ein, wenn die Sensoren zu<br />
wenig Bodenfeuchtigkeit melden.<br />
Alle 80 Zentimeter hat der schwarze<br />
Schlauch eine kleine Öffnung, aus<br />
dieser tropft dann das Wasser, nach ge -<br />
nau definierten mengen. „Bei uns sind<br />
das etwa 1,6 Liter pro Stunde.“<br />
Die Öffnungen entsprechen aber nicht<br />
genau dem Abstand der einzelnen<br />
Reb stöcke voneinander. Uma thum:<br />
„Wir legen eine Art Wasserstraße den<br />
Reihen entlang.“ Er pumpt das Grund -<br />
wasser selbst mit einer Pumpe herauf.<br />
Warum er das israelische System<br />
benutzt? „Vor allem, weil es wartungsfrei<br />
ist.“ Hinter den Löchern im<br />
Schlauch steckt das eigentliche Hightech-Geheimnis:<br />
Eine kleine mem -<br />
bran sorgt eben genau für die vorgegebene<br />
Wassermenge, und sollte sich<br />
dieses feine Gitter verstopfen, wird<br />
ein Vakuum aufgebaut, und die Sand -<br />
körner oder Kalkpartikel werden selb -<br />
ständig weggeschwemmt. Uma thum:<br />
„Die Anlage sollte etwa so lange halten<br />
wie der Weingarten alt wird, rund 30<br />
Jahre.“<br />
Umathum ist in Österreich nicht der<br />
einzige Weinbauer, der auf diese Tech -<br />
nologie setzt. „Heute ist sie bei uns im<br />
Seewinkel bei unseren sandigen Böden ei -<br />
gentlich schon Standard geworden. Prak -<br />
tisch alle jungen Weingärten haben Tröp -<br />
fchen-Bewässerung und ein Gutteil der<br />
älteren auch, wo es eben notwendig ist.“<br />
Schwarze fingerdicke Schläu che auf Kniehöhe<br />
Die Grundelemente: Wasserhahn, schwarze Schläuche mit regelmäßigen Löchern und die kleine Membran dahinter.<br />
24 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
Vom Kibbuz auf den Weltmarkt<br />
im Jahr 1965 errichtete der Kibbuz Hatzerim<br />
inmitten der israelischen Wüs te eine erste<br />
Produktionsstätte für Anlagen zur Tröp fc hen -<br />
bewässerung. Der Wassertechnik-ingenieur<br />
Simcha Blass hatte ein Patent für die regelmäßige<br />
Versorgung von Pflanzen mit dem<br />
lebensnotwendigen nass gefunden.<br />
Heu te ist netafim, an dem nach wie vor drei Kibbuzim beteiligt sind, aber<br />
auch private investmentfonds, ein globales Unternehmen. im Vorjahr wurden<br />
US$ 600 mio. umgesetzt, 2.300 mitarbeiter sind weltweit beschäftigt.<br />
netafim verkauft sein System in 121 Ländern, es gibt 30 Auslands-Töchter,<br />
darunter Produktionsstätten in den USA, in Australien, indien, Brasilien,<br />
Südafrika, China, Frankreich und der Türkei. Die Herzstücke der Anlagen,<br />
die membrane, stammen aber ausschließlich aus der israelischen Fabri ka tion.<br />
Der Weinbau ist wohl ein wichtiges Kundensegment von netafim, aber bei<br />
weitem nicht das einzige. Geliefert wird an Gemüse- und Obstbauern, für<br />
Olivenhaine, Kartoffelfelder und Gewächshäuser, in denen Tomaten oder<br />
Gurken gezogen werden. Die globalen Zahlen sind beeindruckend: 86 mrd.<br />
Tropfer sind weltweit im Einsatz, rund vier millionen Hektar landwirtschaftlicher<br />
Fläche werden mit den Anlagen des israelischen Unternehmens<br />
bewässert.<br />
Josef Glatt von der österreichischen<br />
Landwirtschaftskammer schätzt, dass<br />
von den 50,000 Hektar österreichischer<br />
Rebflächen „etwa zehn bis 15<br />
Prozent“ solche Anlagen installiert<br />
haben. „In manchen Gebieten regnet es<br />
ohnehin genug, etwa in der Steiermark,<br />
da brauchen sie es nicht.“ Franz Wanne -<br />
macher, der <strong>als</strong> Gebietsbetreuer der nie -<br />
derösterreichischen Firma Parga die<br />
mehrzahl der israelischen netafim-<br />
Bewässerungsanlagen im Burgenland<br />
verkauft hat, bestätigt diese Rech -<br />
nung: „Etwa die Hälfte der Weingärten<br />
in Österreich würde eine Bewässerung<br />
brauchen, aber nicht überall gibt es ge -<br />
nug Grundwasser oder Flüsse oder Bäche<br />
in der Nähe. Da trifft etwa auf das Wein -<br />
viertel zu. Insgesamt werden in Österreich<br />
rund 9000 Hektar bewässert.“ Damit<br />
liegt Österreich in Relation zur Reb -<br />
flä che international weit vorne, etwa<br />
deutlich vor südlichen Ländern wie<br />
Spanien oder italien. Und von diesen<br />
vielen Anlagen hat netafim mehr <strong>als</strong><br />
70 Prozent verkauft, den Rest teilen<br />
sich andere israelische Anbieter so wie<br />
solche aus italien, Frankreich und<br />
Aus tralien.<br />
Das Bewässern von Weingärten hat<br />
nicht nur Freunde. in manchen Län -<br />
dern, etwa in Frankreich, ist es überhaupt<br />
verboten. Das Argument dabei<br />
lautet, man verwässere den Wein qua -<br />
si schon am Stock. Qualitäts win zer<br />
Umathum gesteht zu, dass das prinzipiell<br />
möglich wäre: „Wenn ich den<br />
Pflanzen früh in ihrer Wachstumsphase<br />
viel Wasser gebe, dann entwickeln sie riesige<br />
Trauben, wie Luftballons. Aber die<br />
haben dann kaum Geschmack.“ Gerade<br />
in Österreich hat sich der Schwer punkt<br />
des Weinbaus nicht erst seit dem Wein -<br />
skandal deutlich weg von der mas sen -<br />
produktion und hin in Richtung hö -<br />
here Qualitäten verschoben. Und da<br />
bekommt die Bewässerung ganz an -<br />
dere Aufgaben, <strong>als</strong> bloß die mengen<br />
zu erhöhen. Umathum: „Wenn die<br />
Pflanze zu viel Trockenstress hat, dann ist<br />
sie für den Winter geschwächt, im schlimm -<br />
sten Fall kann sie auch kaputtgehen.“<br />
Die ersten, die in Österreich in den<br />
frühen 90er Jahren mit der Tröpfchen -<br />
be wässerung experimentierten, wa ren<br />
Wachauer Weinbauern, die auf ihren<br />
steinigen Terrassen über der Donau<br />
vor allem Rieslinge und Grüne Velt -<br />
liner auspflanzen. „Richtig losgegangen<br />
mit dem Boom ist es dann Ende der<br />
90er,“ erinnert sich der Lieferant Wannemacher.<br />
Ein großer Anreiz, in die<br />
neue Technologie zu investieren, kam<br />
von staatlichen und europäischen För -<br />
derungen. Das Burgenland war einige<br />
Jahre lang Ziel-Eins-Gebiet der EU, da -<br />
m<strong>als</strong> wurden 75 Prozent der Kosten<br />
ge fördert, den Bauern blieb nur ein<br />
Viertel, heute steht die Relation 50:50.<br />
Dabei kauften nicht alle Weinbauern<br />
eine eigene Einzel-Anlage wie Josef<br />
Umathum. manche schlossen sich zu<br />
Wassergemeinschaften zusammen, sei<br />
es in Abschnitten der Wachau, sei es<br />
im Burgenland, in Gols oder in ilmitz.<br />
Der Vorteil liegt darin, dass es nur<br />
einen einzigen Brunnen braucht, und<br />
wenn nicht alle gleichzeitig bewässern,<br />
sind auch nicht Rohre und Pum -<br />
pen der größten Kapazität notwendig.<br />
im Hintereinander liegt aber auch das<br />
Potential für Zank und Hader: Ge rade<br />
wenn es trocken ist, muss dann das<br />
eine oder andere mitglied der Genos -<br />
sen schaft warten, bis es endlich an<br />
der Reihe ist.<br />
Selbst wenn ein Großteil der Wein ber -<br />
ge, die das Wasser am notwendigsten<br />
haben, in Österreich bereits erschlossen<br />
ist, sieht der Anbieter Wanne ma -<br />
cher noch genug Potential für weitere<br />
Anlagen: „Unser Hoffnungsgebiet liegt<br />
jetzt südlich von Wien, in der Ther men -<br />
re gion.“ Kräftige Unterstützung kommt<br />
dabei von den Klimaveränderungen.<br />
Netafim-Gebäude im Kibbuz<br />
Hatzerim.<br />
„Es ist heute tatsächlich anders <strong>als</strong> vor 30<br />
Jahren,“ bestätigt Weinbauer Uma -<br />
thum. „Zwar fällt heuer im gesamten Jah -<br />
resverlauf nicht unbedingt weniger Re gen<br />
<strong>als</strong> dam<strong>als</strong>, aber das Wetter ist un be stän -<br />
diger geworden, auf heftige Un wet ter folgt<br />
dann wieder Trockenheit.“ Da mit er<br />
dann seine großen Roten – etwa den<br />
Haideboden – keltern kann, dreht er<br />
den Wasserhahn auf. Ohne die Reb -<br />
stöcke gleich zu verwöhnen.<br />
Josef Umathum liebt seine Weinstöcke –<br />
verwöhnt sie aber nicht.<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 25
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
Ab 2010 keine Zölle auf<br />
israelische Lebensmittel<br />
in der EU<br />
israel und die Europäische Union<br />
haben am 4.11.<strong>2009</strong> ein neues Land -<br />
wirt schaftsabkommen unterzeichnet.<br />
nach einem langen Verhand lungs -<br />
vor lauf aktualisiert es das ursprüngliche<br />
Abkommen von 1970.<br />
Der Zugang zu den märkten wurde<br />
für beide Seiten erheblich erleichtert.<br />
im verarbeiteten Agrarsektor werden<br />
nun 95% aller Produkte von Steuern<br />
und Abgaben befreit. im Frischwa ren -<br />
bereich entfallen die Zollbestim mun -<br />
gen für 80% der Produkte.<br />
Das Abkommen wurde von israels<br />
Botschafter bei der EU, Ran Curiel,<br />
und von Schwedens Botschafter Chris -<br />
tian Danielsson unterzeichnet. Es stellt<br />
ein weiteres Element in der langen<br />
Reihe bestehender Abkommen zwischen<br />
israel und der EU dar, zu der<br />
das israel-EU-Assoziierungsab kom -<br />
men und zahlreiche andere Partner -<br />
schaftsverträge gehören.<br />
Europa ist der bei weitem wichtigste<br />
Handelspartner israels im Agrar bereich.<br />
mehr <strong>als</strong> 25% aller landwirtschaftlichen<br />
Produkte und mehr <strong>als</strong><br />
75% aller Frischwaren aus israel werden<br />
in die EU exportiert.<br />
Start-Up Nation.<br />
The Story of Israel’s Eco -<br />
nomic Miracle heisst das<br />
Buch von Dan Senor<br />
und Saul Singer, das is -<br />
raels beispiellosen wirt -<br />
schaftlichen Erfolg er -<br />
klärt (erschienen bei<br />
Twelve Books, iSBn 978-0446539258).<br />
Einer der Gründe war der arabische<br />
Boykott israels. Er zwang die israelischen<br />
Unternehmen zur Entwicklung<br />
von extrem attraktiven Produkten,<br />
um weltweit die Angst vor den<br />
Boykottdrohungen zu überwinden.<br />
Avo ca do-Export <strong>2009</strong><br />
50.000 Tonnen erreicht israels Avo ca -<br />
do-Export <strong>2009</strong>. Die Steigerung um<br />
sagenhafte 50% gegenüber dem Vor -<br />
jahr führen Experten auf perfekte Wet -<br />
terbedingungen in israel, den außerordentlichen<br />
nährstoffgehalt und<br />
den biologischen Anbau zurück.<br />
© Dylan Schweizer<br />
Israels neuer Exportschlager<br />
Ganz unverhofft ist israel zum weltweit<br />
größten, ja eigentlich einzigen<br />
Ex portland von nilpferden geworden.<br />
Dahinter steht der beliebte Safari-Zoo<br />
in Ramat-Gan, der in den vergangenen<br />
monaten mehr <strong>als</strong> ein Dutzend<br />
der Paarhufer an Zoos auf der ganzen<br />
Welt verkauft hat.<br />
„Es gibt keinen Profit in diesem Export -<br />
be reich, aber ohne Zweifel sind wir ein<br />
ein zigartiger Zoo, denn normalerweise<br />
ha ben Zoos nur eine kleine Anzahl von<br />
Flusspferden“, sagt Sagit Horowitz,<br />
die Sprecherin des Rama Gan Safari-<br />
Parks unweit von Tel Aviv. Bei einem<br />
Bestand von mehr <strong>als</strong> 40 nilpferden<br />
und einer hohen Geburtsrate war der<br />
Zoo gezwungen einen Weg zu finden,<br />
um die Population herunterzuschrauben.<br />
Bislang sind 14 nilpferde auf dem<br />
Luft- oder Seeweg nach Kasachstan,<br />
Russland, Vietnam, in die Ukraine<br />
und in die Türkei geliefert worden.<br />
Und die nachfrage lässt nicht nach.<br />
Dabei gestaltet sich der Transport<br />
nicht immer einfach: Die bis zu 3.5<br />
Tonnen schweren Tiere können nur<br />
betäubt werden, wenn sie schlafen.<br />
Ansonsten rennen sie nach der Sprit ze<br />
ins Wasser, wo man sie dann nicht<br />
mehr fangen kann. Sobald das nil -<br />
pferd bewusstlos ist, wird es mit ei nem<br />
Bagger in einen Container verladen.<br />
Touristenrekord im Oktober<br />
Laut aktuellen Angaben des Tou ris -<br />
musministeriums sind im vergangenen<br />
Oktober 330.000 Urlauber nach<br />
israel gereist – ein bislang unerreichter<br />
Rekord. Gegenüber dem Vorjah res -<br />
mo nat bedeutet dies einen Anstieg<br />
von ganzen 9%.<br />
Seit Beginn des Jahres bis einschließlich<br />
Oktober waren in israel 2.3 mio.<br />
Touristen aus dem Ausland zu Gast;<br />
das sind so viele wie im gesamten<br />
Jahr 2007. im Jahr 2008 sind im gleichen<br />
Zeitraum allerdings noch mehr<br />
Urlauber zu verzeichnen gewesen.<br />
israels Tourismusminister Stas Mise -<br />
zh ni kov erklärte, noch ein größeres<br />
Wachstum der Branche erzeugen zu<br />
wollen. im marketing-Bereich gebe es<br />
noch nachholbedarf.<br />
ESL bald auch in Israel<br />
vertreten<br />
Die Welt weite Computerspiele-Liga<br />
Electronic Sports League (ESL) soll<br />
künf tig auch in israel vertreten sein.<br />
Ausgerichtet werden sollen die Tur -<br />
niere vom israelischen Gaming- und<br />
Jugendportal Vgames.<br />
Die ESL, Europas größte Liga für Com -<br />
puterspieler, ist bereits in zahlreichen<br />
Ländern vertreten. nun blickt man<br />
über den europäischen Teller rand und<br />
will ab Januar 2010 auch in israel<br />
eSport-Turniere ausrichten. im Rah -<br />
men der nun beschlossenen Koo pera -<br />
tion übernimmt Vgames <strong>als</strong> Li zenz part -<br />
ner Aufbau und Betreu ung einer isra -<br />
e lischen Sektion im weltweiten Por tal<br />
der Electronic Sports League (ESL).<br />
Künftig werden israelische Spieler sich<br />
auch für internationale Turniere wie<br />
die Intel Extreme Masters qualifizieren<br />
und dort um die (teilweise sehr be -<br />
achtlichen) Preisgelder spielen können.<br />
nach Angaben von Veranstalter<br />
Turtle Entertainment wird die ESL is -<br />
ra el „alle populären eSport-Titel unterstützen<br />
und sich an Gelegenheitsspieler<br />
und Profis gleichermaßen richten“. im<br />
Profi-Bereich werden wahrscheinlich<br />
vor allem Spiele wie Counter-Strike,<br />
Warcraft 3, aber auch FiFA gespielt<br />
werden, die sich in allen mitglie ds län -<br />
dern der ESL großer Beliebtheit er -<br />
freuen.<br />
26 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
Forschungsvertrag<br />
mit<br />
Ben-Gurion<br />
Universität<br />
Die curasan AG (Produzent und Ver -<br />
trei ber aus dem Bereich der Rege ne ra -<br />
tiven medizin) gab bekannt, dass sie<br />
einen Forschungs- und Entwick lungs -<br />
vertrag mit der Ben-Gurion Uni ver si -<br />
tät (BGU) in israel unterzeichnet hat.<br />
Wie der Spezialist für Knochen- und<br />
Geweberegeneration mitteilte, geht es<br />
in dem vom Bundesministerium für<br />
Bildung und Forschung geförderten<br />
Projekt um die Entwicklung spezieller<br />
Trä germaterialien zur Knochenregene ra -<br />
ti on. Unter der Leitung von Dr. Hanna<br />
Rapaport, Fakultät für Biotechnologie<br />
an der BGU, sei eine neue Eiweiß ma -<br />
trix entwickelt und patentiert worden,<br />
die den Knochenregenera tions pro zess<br />
erheblich beschleunigen könne. in<br />
Kooperation mit curasan solle diese<br />
matrix mit einem anorganischen Trä -<br />
ger verbunden werden, um daraus<br />
spä ter eine Reihe von Knochen rege -<br />
ne rationsmaterialien für den orthopädischen<br />
und zahnmedizinischen Ein -<br />
satz herzustellen.<br />
Wie die Gesellschaft mitteilte, wird sie<br />
von den 1,48 mio. Euro Förder gel dern<br />
900.000 Euro in die Arbeit des israelischen<br />
Forschungsteams investieren.<br />
im Gegenzug habe sich curasan für<br />
alle aus der Kooperation hervorgehenden<br />
Produkte das Vorrecht auf ex -<br />
klusive Lizenznahme gesichert.<br />
Wissenschaftliche Veröffent -<br />
lichungen: Platz 4 für Israel<br />
Was die Zahl wissenschaftlicher Ver -<br />
öffentlichungen pro Kopf angeht, be -<br />
legt israel weltweit den 4. Platz. Dies<br />
belegen Angaben, die der Rat für hö -<br />
here Bildung auf einer Konferenz an<br />
der Bar-ilan-Universität bekannt ge -<br />
geben hat.<br />
Die sich auf das Jahr 2005 beziehenden<br />
Daten positionieren israel gleich<br />
hinter der Schweiz, Schweden und<br />
Dä nemark. Dahinter folgen Finnland,<br />
die niederlande und Kanada. Die<br />
USA erreichen Rang 12 und Deutsch -<br />
land Rang 15.<br />
insgesamt wurden im Jahr 2005 6.309<br />
wissenschaftliche Aufsätze in israel<br />
publiziert; das sind 0.89% aller weltweit<br />
veröffentlichten Artikel. israels<br />
wissenschaftspublizistischer Ausstoß<br />
ist somit um 10 mal größer <strong>als</strong> sein<br />
Anteil an der Weltbevölkerung.<br />
noch beeindruckender ist die Fre -<br />
quenz, mit der israelische Artikel von<br />
Kollegen zitiert werden. So sind etwa<br />
die 148 Veröffentlichungen des Che mi -<br />
kers Avram Hershko vom Tech ni on in<br />
Hai fa, der 2004 den Chemie-no bel -<br />
preis gewann, mehr <strong>als</strong> 16.000 mal zi -<br />
tiert worden. „Der Wettbewerb um<br />
Stel len wächst in Israel, und die Beförde -<br />
rungs prozeduren sind sehr rigide, wes -<br />
we gen die Leute von vornherein viel<br />
publizieren“, sagt Meir Zadok, der Di -<br />
rektor der is rae li schen Aka demie der<br />
Wis sen schaf ten. „Außer dem gibt es sehr<br />
star ke Traditionen von Qualität an der<br />
israelischen Uni ver si tät.“<br />
Universität in der Eisenbahn<br />
Wer in israel an einer akademischen<br />
Vorlesung teilnehmen will, braucht<br />
ab sofort nicht mehr in die Univer si tät<br />
zu gehen. Er kann sich auch in einen<br />
Zug setzen und während der Fahrt<br />
wissenschaftliche Vorträge zu unterschiedlichen<br />
Themen hören. Bei dem<br />
Projekt arbeiten die Hebräische Uni -<br />
ver sität Jerusalem und die israe lische<br />
Bahn zusammen. Die Teilnahme<br />
selbst ist kostenfrei, bis auf den Preis<br />
für die Fahrkarte. Die Vorträge dauern<br />
20 minuten, dann ist etwa zehn mi -<br />
nuten lang Zeit für Fragen an den Do -<br />
zenten. Wer zu spät kommt, verpasst<br />
den Zug und damit auch die Vor le -<br />
sung. Der erste Vortrag in der Bahn, –<br />
Abfahrt 9.43 Uhr aus modi´in, An kunft<br />
um 10.28 Uhr in Tel Aviv – wude von<br />
Physikprofessor Hanoch Gottfreund ge -<br />
halten. Er sprach über die Liebes brie fe<br />
Albert Einsteins. „Jeder in diesem Wag -<br />
gon ist heute eine Versuchs maus, und ich<br />
bin ein Versuchs kanin chen“, sagte der<br />
frühere Rektor der He brä i schen Uni -<br />
ver sität in seiner ungewöhnlichen<br />
Vor lesung. „Wir haben niem<strong>als</strong> so etwas<br />
getan. Ich habe nie vor einem Publikum<br />
ge sprochen, in dem manche Leute mit<br />
dem Rücken zu mir saßen. Aber wir hoffen,<br />
dass wir, die wir normalerweise abgesondert<br />
an der Universität sind, auf diese<br />
Weise eine breitere Öffentlichkeit erreichen.“<br />
Bezug zwischen Relativitätstheorie und<br />
Eisenbahn<br />
Gottfreund fügte hinzu: „Die Rela ti vi -<br />
täts theorie ist immer mit Zügen verbunden.<br />
Einstein sagte, wenn wir in einem<br />
Zug sind, dessen Fenster abgedichtet sind<br />
(und dessen Gleise und Räder gut ge -<br />
schmiert sind), so dass die Passagiere die<br />
vorbeifliegenden Bäume nicht sehen, dann<br />
kann kein wissenschaftliches Experiment<br />
den Passagieren mitteilen, ob sie sich be -<br />
we gen. Diese Annahme Einsteins ist die<br />
Grundlage für alles, was folgte - einschließlich<br />
der ganzen Theorie von der<br />
speziellen Relativität, einschließlich der<br />
Formel E=MC². Es gibt <strong>als</strong>o wirklich<br />
einen besonderen Grund, in einem Zug<br />
über Einstein zu sprechen.“<br />
Die wissenschaftliche Arbeit des Phy -<br />
siknobelpreisträgers habe sich auch<br />
in dessen Liebesbriefen niedergeschlagen,<br />
teilte der Einstein-Experte<br />
mit. „Wir würden Briefe wie die von<br />
Einstein nicht in der Generation der Mo -<br />
bi ltelefon-Textnachrichten sehen. Ihre<br />
Ge neration verpasst dies.“ Er fuhr fort:<br />
„Neben den intimen Äußerungen in je dem<br />
Liebesbrief gibt es Zeugnisse seines Nach -<br />
sinnens über Themen aus der Welt der<br />
Phy sik, das er mit den Frauen teilte, die<br />
er liebte.“<br />
Öffentlichkeit und Akademie verbinden<br />
Aus der Hebräischen Universität hieß<br />
es laut der Tageszeitung ‘ma´ariv’:<br />
„Un ser Ziel ist es, den Campus zu verlassen<br />
und die breite Öffentlichkeit zu er -<br />
rei chen. Wir werden auch an unge wöhn li -<br />
chen Orten mit der Öffentlichkeit zu sam -<br />
mentreffen und sie mit dem verbinden,<br />
was in der Akademie geschieht. Aus Sicht<br />
der Bahn gibt es einen Mehrwert für die<br />
Passagiere, und aus unserer Sicht gibt es<br />
ein erwünschtes Zusammentreffen zwischen<br />
den Akademiechefs und der Öffentlichkeit.“<br />
Die Passagiere reagierten zufrieden<br />
auf die erste Eisenbahn-Vorlesung:<br />
„Vie le von uns haben davon geträumt,<br />
Uni versitätsvorlesungen zu hören, aber<br />
ha ben keine Zeit dafür“, sagte eine Rei -<br />
sende gegenüber der Zeitung ‘Ha´a-<br />
retz’. „Wenn die Universität zu uns<br />
kommt, umso besser.“ Ein anderer Pas -<br />
sagier bemerkte: „Ich habe den Zug um<br />
8.43 Uhr verpasst, aber ich habe dies ge -<br />
wonnen: Eine halbe Stunde lang, statt in<br />
der Zeitung zu lesen, gab es eine faszinierende<br />
Vorlesung.“<br />
Auf die Frage, wie viele Fahrten für<br />
einen akademischen Abschluss benötigt<br />
würden, antwortete Professor<br />
Gottfreund: „Es kommt darauf an, wie<br />
schnell der Zug fährt.“<br />
inn<br />
WISSENSCHAFT<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 27
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Panorama<br />
Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />
Quelle: JTA/Guysen u.a.; Übersetzung: Karin Fasching/Foto:©JTA u.a.<br />
JÜDISCHE WELT<br />
israel und indien vereinbaren<br />
waffenliefervertrag<br />
Die staatliche israel Aerospace indus -<br />
tries Ltd. wird bis 2017 das taktische<br />
Luftraumverteidigungssystem Barak 8<br />
im Wert von US$ 1,1 mrd. an indien<br />
liefern. israel ist indiens größter Lie fe -<br />
rant von Verteidigungseinrich tun gen.<br />
Erst im August war ein Vertrag zur<br />
Bereitstellung von 18 SPYDER Luft -<br />
raumverteidigungssystemen im Wert<br />
von US$ 1 mrd. unterzeichnet worden.<br />
erste torah für militärrabbiner<br />
Eine Gruppierung jüdischer militär -<br />
rab biner in den USA verfasst sechs<br />
klei ne, besonders leichte Torahrollen,<br />
die problemlos in Kriegsgebiete mitgenommen<br />
werden können. Her kömm -<br />
liche Torahrollen wären dafür zu<br />
schwer und zu sperrig.<br />
mehr <strong>als</strong> 10.000 jüdische männer und<br />
Frauen stünden derzeit im Dienst der<br />
US-Armee, sechs davon seien in den<br />
vergangenen 12 monaten bei militär -<br />
ein sätzen getötet worden, so die Grup -<br />
pierung.<br />
sydneys jüdisches zentrum<br />
wird geschlossen<br />
Der Hakoah Club, das soziale, kulturelle<br />
und sportliche Zentrum der Ju -<br />
den von Sydney, wird nach mehr <strong>als</strong><br />
30 Jahren geschlossen. Ein wachsender<br />
Schuldenberg und schwindende<br />
mitgliederzahlen haben das Ende der<br />
vierstöckigen institution nahe des<br />
Bondi Beach eingeläutet.<br />
Der Club war 1975 von Frank Lowy<br />
erbaut worden; 1982 explodierte dort<br />
eine vermutlich palästinensische Bom -<br />
be, zum Glück gab es weder Tote noch<br />
Verletzte; unter der Präsidentschaft<br />
von Frank Lowy avancierte die Ha -<br />
koah zu einer von Australiens besten<br />
Fußballmannschaften, das Zentrum<br />
florierte. 2007 wurde das Areal verkauft<br />
und soll nun in ein Strandhotel<br />
umfunktioniert werden. Für das jüdische<br />
Zentrum konnte bisher kein neu -<br />
er Standort gefunden werden.<br />
israelischer gesandter<br />
für Neuseeland<br />
Shemi Tzur wird der erste israelische<br />
Ge sandte in neuseeland seit der<br />
Schließung der Botschaft im Jahr 2002<br />
sein. Tzur war bereits <strong>als</strong> Botschafter<br />
in Zypern, Finnland und Estland tä tig.<br />
Die Botschaft in Wellington war 2002<br />
aus Kostengründen aufgelassen worden.<br />
Überdies waren die Beziehun gen<br />
zwischen israel und neuseeland 2004<br />
erkaltet, <strong>als</strong> zwei mutmaßliche mos -<br />
sad agenten für den Versuch der illegalen<br />
Erwerbung eines neuseeländischen<br />
Passes inhaftiert wurden.<br />
Kanada repräsentiert israel<br />
in Venezuela<br />
nachdem Venezuelas Regierung aufgrund<br />
des Gazakrieges die gesamte<br />
israelische Botschaft des Landes verwies<br />
und die Beziehungen zu israel<br />
einfror, war es für venezuelanische<br />
Juden ohne israelischen Pass schwierig<br />
gewesen, nach israel zu reisen. Sie<br />
mussten den Umweg nach Bogota,<br />
Co lombia oder miami machen, um<br />
ein Visum für israel zu erhalten.<br />
nun übernimmt die kanadische Bot -<br />
schaft in Venezuela diese Aufgabe<br />
und wird <strong>als</strong> Anlaufstelle für israel<br />
betreffende Anliegen fungieren.<br />
©GPO<br />
Präsident Peres und äthiopische<br />
Juden begehen sigd-feiertag<br />
Die in israel lebenden äthiopischen<br />
Ju den begingen den Sigd-Feiertag ge -<br />
meinsam mit israels Präsident Shi mon<br />
Peres in dessen Residenz in Je ru sa lem.<br />
Dies war das erste mal, dass ein israelischer<br />
Präsident den jüdisch-äthiopischen<br />
Feiertag, der die Sehn sucht nach<br />
der Rückkehr nach Jerusa lem und<br />
Zion markiert, würdigte.<br />
mehr <strong>als</strong> 250 Personen, darunter mi -<br />
nis ter, Knesset-Abgeordnete, Geist li -<br />
che uvm., nahmen an den Feierlich -<br />
kei ten teil.<br />
Jemenitische Juden evakuiert<br />
in einer Geheimaktion des US State<br />
Department sind seit Juli dieses Jah -<br />
res insgesamt 60 jemenitische Juden<br />
in die USA gebracht worden. Weitere<br />
100 sollen in den kommenden mo na -<br />
ten folgen.<br />
Vor der Operation lebten etwa 350 Ju -<br />
den im Jemen. Abgesehen von jenen,<br />
die in die USA gebracht werde, wollen<br />
weitere 120 nach israel ausreisen.<br />
nur 30 jemenitische Juden wollen in<br />
ihrem Heimatland bleiben.<br />
Die Situation für Juden im Jemen verschlechterte<br />
sich in den letzten Jahren<br />
zusehends, es kam zu Diskrimi nie rung<br />
und gewalttätigen Ausschreitungen.<br />
im Dezember 2008 wurde ein jemenitischer<br />
Jude durch einen moslem ge -<br />
tötet.<br />
Neue Chanukkabriefmarke <strong>2009</strong><br />
Die US-amerikanische Post brachte<br />
zum dritten mal eine Chanukka brief -<br />
marke mit einer Auflage von 35 mio.<br />
Stück heraus. Darauf ist das Foto ei -<br />
ner menorah mit neun entzüdeten<br />
Kerzen zu sehen.<br />
Die erste Chanukkabriefmarke zu eh -<br />
ren des jüdische Lichterfestes war 1996<br />
produziert worden, die zweite im<br />
Jahr 2004.<br />
historischer friedhof in Venezuela<br />
wird restauriert<br />
Der 177 Jahre alte jüdische Friedhof<br />
in Coro, Venezuela, etwa sechs Auto -<br />
stunden westlich von der Hauptstadt<br />
Caracas gelegen, soll nach 40 Jahren<br />
des Verfalls nun grundlegend restauriert<br />
werden. Die Venezuelanisch-is ra -<br />
elitische Vereinigung, das Zentrum für<br />
Sephardische Studien und das Bau un -<br />
ter nehmen Constructora Sam bil von<br />
Salomon Cohen beteiligen sich an<br />
28 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
dem Projekt. Von der ehem<strong>als</strong> 200<br />
mitglieder zählenden jüdischen Ge -<br />
mein de von Coro sind nur noch 2 mit -<br />
glieder übrig ge blieben. Die jüdische<br />
identität war Schritt für Schritt durch<br />
Assimilation verloren gegangen. Ältere<br />
Gemein den in Brasilien, Surinam und<br />
Curacao, deren Geschichte bis ins 18.<br />
Jahr hun dert zurückreicht, sind längst<br />
verschwunden.<br />
holocaust-Überlebende:<br />
erhöhtes Krebsrisiko<br />
Eine Studie der Universität von Haifa,<br />
die die Krebserkrankungen von<br />
300.000 in Europa geborenen Juden,<br />
die noch vor dem Zweiten Weltkrieg<br />
nach israel auswanderten mit den Da -<br />
ten jener verglich, welche erst nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg emigrierten,<br />
er gab für diese Gruppen ein wesentlich<br />
höheres Krebsrisiko, <strong>als</strong> bei anderen<br />
jüdischen und nichtjüdischen Be -<br />
völ kerungsgruppen in israel.<br />
So haben Holocaustüberlebende beider<br />
Geschlechter eine um 17 % höhere<br />
Wahrscheinlichkeit an allen Arten von<br />
Krebs – vor allem Brustkrebs, Lun gen -<br />
krebs und Kolorektalkrebs – zu er -<br />
kran ken. Je jünger die Person während<br />
des Holocaust war, umso höher ist<br />
auch ihr Krebsrisiko.<br />
anzügliche refaeli-Plakate ersetzt<br />
nach Beschwerden aus der Ortho do -<br />
xen Gemeinde wurden Plakate in Tel<br />
Aviv, die das israelische Topmodel Bar<br />
Refaeli, nur leicht mit einem Tuch ver -<br />
hüllt, im Bett mit „Survivor“-Star No am<br />
Tor zeigen, mit weniger anzügli chen<br />
motiven ersetzt. Tor und Re fa e li werben<br />
nun in Winter klei dung für eine<br />
be kannte Kleidermarke.<br />
Nachkommen chinesischer Juden<br />
in israel<br />
Sieben junge Erwachsene, nachfah ren<br />
von mitgliedern der jüdischen Ge mein -<br />
de von Kaifeng, kamen nach is ra el um<br />
dort ein Jahr lang Hebräisch zu studie -<br />
ren und zu konvertieren. Dies wurde<br />
von der Organisation Shavei is rael von<br />
michael Freund ermöglicht. Ge schätz te<br />
1.000 nachfahren chinesischer Juden<br />
leben heute in Kaifeng.<br />
libanon legt neuen<br />
guinnes hummus<br />
rekord vor<br />
Der bisher von einem<br />
israelischen Le bensmit tel unterneh men<br />
gehaltene Re kord im Hummusma chen<br />
wurde nun von ei nem libanesischen<br />
Team aus 250 Kö chen gebrochen. Das<br />
fertige Gericht aus eineinhalb Tonnen<br />
Ki chererbsen und weiteren Zutaten wie<br />
Zitronen saft, Sesampaste, Essig, Salz<br />
und Olivenöl wog zwei Tonnen.<br />
Der Libanon beansprucht die Erfin -<br />
dung von Hummus für sich und wirft<br />
israel vor, das Produkt gestohlen und<br />
widerrechtlich <strong>als</strong> israelisches Er zeug -<br />
nis vermarktet zu haben. Seine tatsächlich<br />
Herkunft ist unbekannt, wird aber<br />
dem arabischen Raum zugeschrieben.<br />
google-gründer Brin spendet<br />
us$ 1 mio. an hias<br />
Sergey Brin, mitbegründer des in ter net -<br />
riesen Google, hat der Hebräi schen im -<br />
migranten Hilfsorganisation HiAS ei ne<br />
million US$ gespendet. Die Or ga nisa -<br />
ti on hatte Brins Familie nach der Flucht<br />
aus der ehemaligen Sowjet uni on 1976<br />
geholfen und erhielt die Spen de an -<br />
lässlich des 30. Jahrestages seiner An -<br />
kunft in den USA. Beide Google-Grün -<br />
der, <strong>als</strong>o sowohl Sergey Brin <strong>als</strong> auch<br />
Larry Page, sind Juden.<br />
Auch andere jüdische Organisationen<br />
wurden bereits von Brin mit Spenden<br />
bedacht. HiAS ist die älteste Flücht -<br />
lings hilfe or ganisation der USA, sie<br />
wur de 1881 ge gründet. mehr <strong>als</strong> 4,5<br />
mio. Flücht lin ge konnten seither von<br />
dieser Hilfe profitieren.<br />
gaydamak arbeitete für<br />
französischen geheimdienst<br />
Laut dem ehemaligen französischen<br />
innenminister Charles Pasqua arbeitete<br />
der israelisch-russisch-französische<br />
milliardär Arcadi Gaydamak für<br />
den französischen Geheimdienst. Pas -<br />
qua, in seiner Stellung <strong>als</strong> innen mi -<br />
nister auch Geheimdienstchef, hat te<br />
Bestechungsgelder von Gay da mak<br />
und seinem Geschäftspartner Pierre<br />
Falcone angenommen.<br />
Gaydamak war zu sechs Jahren Haft<br />
und einer million Euro Strafe für mil -<br />
lionenschwere Waffengeschäfte mit<br />
An gola verurteilt worden. Er besitzt<br />
mehrere Sportclubs und medienun ter -<br />
nehmen und engagiert sich für israelische<br />
und jüdische Organisationen.<br />
Jerusalems Bürgermeister nahm<br />
am N.Y. marathon teil<br />
Jerusalems Bürgermeister nir Barkat,<br />
der schon an verschiedenen mara -<br />
thons in Berlin, Paris und israel teilgenommen<br />
hat, war auch beim diesjährigen<br />
new York City marathon am 1.<br />
no vember dabei. Er wollte damit die<br />
Aufmerksamkeit der Welt auf Je ru sa -<br />
lem <strong>als</strong> Top-Tourismusziel für Rei sen -<br />
de und Pilger richten, so Bar kat.<br />
wieder shabbat g´ttesdienste in<br />
polnischer synagoge<br />
Zum ersten mal seit dem Holocaust<br />
wurde in der Synagoge des polnischen<br />
Kielce wieder Shabbat-G´ttesdienste<br />
gefeiert. Die im Zweiten Welt krieg zer -<br />
störte Synagoge wurde wieder aufgebaut<br />
und ab 1951 <strong>als</strong> Bezirksar chiv<br />
ge nutzt.<br />
Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten et -<br />
wa 25.000 Juden in Kielce, 20.000 von<br />
ihnen wurden von den nazis ermordet.<br />
Traurige Bekanntheit erlangte die<br />
Stadt durch das letzte Pogrom, das in<br />
Polen durchgeführt wurde. 42 Juden<br />
wurden getötet, <strong>als</strong> mehr <strong>als</strong> ein Jahr<br />
nach Ende des Krieges, am 4. Juli<br />
1946, ein aufgebrachter mob das jüdische<br />
Gemeindezentrum attackierte.<br />
Vater der modernen<br />
anthropologie verstorben<br />
Claude Levi-Strauss, der das Konzept<br />
des Strukturalismus, das Finden ge -<br />
mein samer muster des Denkens und<br />
Verhaltens in verschiedenen menschlichen<br />
Gesellschaften und Aktivitä ten,<br />
in der Anthropologie einführte, verstarb<br />
100jährig in Paris.<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 29
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
in Brüssel, <strong>als</strong> Sohn einer französischjüdischen<br />
Künstlerfamilie geboren,<br />
wuchs Levi-Strauss nahe Versailles auf,<br />
wo sein Großvater <strong>als</strong> Rabbiner tä tig<br />
war. Er studierte in Paris, verließ<br />
Frankreich jedoch später aufgrund der<br />
antijüdischen Gesetze des Vichy Re -<br />
gi mes und kämpfte für die französischen<br />
Befreiungstruppen im Zwei ten<br />
Weltkrieg.<br />
Levi-Strauss lehrte an Universitäten in<br />
Paris, new York und Sao Paulo, forsch -<br />
te in Brasilien, arbeitete ebenso für die<br />
UnO und die französische Re gierung<br />
und war Autor verschiedener anthropologischer<br />
Grundla genwer ke.<br />
©Konrad Kurzacz<br />
auschwitz museum nun auch<br />
facebook vertreten<br />
Das polnische Auschwitz memorial<br />
museum ist nun mit einer offiziellen<br />
Seite auf der internetplattform Face -<br />
book vertreten. Schon eine Woche nach<br />
dem Start der Seite wurden 1.400 Un -<br />
terstützer verzeichnet. Auf diese Wei se<br />
soll ein jüngeres, breiter gefächertes<br />
Publikum angesprochen werden.<br />
mehr <strong>als</strong> eine million menschen ha ben<br />
<strong>2009</strong> das Auschwitz memorial mu se -<br />
um auf dem Gebiet des ehemaligen<br />
na zi-Todeslagers in Südpolen be sucht.<br />
Die Facebook-Seite beinhaltet infor -<br />
mationen über Auschwitz, ein Forum<br />
zum meinungsaustausch, Bilder und<br />
Weblinks. Auch verschiedene andere<br />
Seiten auf Facebook sind Auschwitz<br />
und dem Holocaustgedenken gewidmet.<br />
Koschere suppenküche in sydney<br />
nun auch für moslems „koscher“<br />
„Our Big Kitchen“, die koschere Sup -<br />
penküche des Yeshiva Center im australischen<br />
Sydney, darf nun auch ein<br />
Halal-Zertifikat ihr Eigen nennen, das<br />
moslemische Äquivalent zum Ko -<br />
scher-Zertifikat. Dies ermöglicht es so -<br />
mit auch gläubigen moslems, die Hil fe<br />
der „Big Kitchen“ in Anspruch zu neh -<br />
men und soll die Annähe run gen der<br />
verschiedenen Glaubensge mein schaf -<br />
ten begünstigen.<br />
Die Küche wird zur Armenspeisung<br />
und für die<br />
n o t f a l l s h i l f e<br />
verwendet.<br />
ungarische<br />
ge denk tafel<br />
restauriert<br />
Eine Ge denk tafel für den letzten<br />
Ober rabbiner des ungarischen makó,<br />
die erst kürzlich im Zuge eines antisemitischen<br />
Übergriffes zerstört worden<br />
war, ist nun restauriert worden.<br />
Der intellektuelle Ármin Kecskeméti<br />
(1874-1944) stand der einstm<strong>als</strong> pulsierenden<br />
jüdischen Gemeinden der<br />
süd ungarischen Stadt 46 Jahre lang <strong>als</strong><br />
Oberrabbiner vor, bevor er während<br />
des Holocaust ermordet wurde. 1989,<br />
nach dem Ende des kommunistischen<br />
Regimes, wurde ihm eine Ge denk ta fel<br />
gewidmet sowie eine Straße nach<br />
Kecskeméti benannt.<br />
schwedischer Journalist überdenkt<br />
organhandel-Bericht<br />
Donald Bostrom, der schwedische<br />
Jour nalist, der israelische Soldaten in<br />
einem Artikel in der schwedischen<br />
Zei tung „Aftonbladet“ beschuldigt<br />
hatte, Palästinensern illegal Organe<br />
ent nommen zu haben, will nun seine<br />
diesbezüglichen Aussagen überdenken.<br />
Er sagte seine Teilnahme an einer<br />
Konferenz in Beirut ab, nachdem er<br />
während eines israel-Aufenthaltes in<br />
Gesprächen die israelische Seite zum<br />
Thema kennengelernt hatte.<br />
„Der Besuch Israels und die Tatsache, dass<br />
dort ein fairer Dialog geführt werden<br />
konnte, hat mich die ganze Sache überdenken<br />
lassen,“ so Bostrom laut Ha´aretz.<br />
Während der Konferenz in Dimona<br />
gab der Journalist auch zu, dass der<br />
einzige Beweis, den er für den vermeintlichen<br />
Organraub erhalten hat te,<br />
die Anschuldigungen der palästinensischen<br />
Familien gewesen waren.<br />
israelischer film bei italienischem<br />
filmfestival ausgezeichnet<br />
Der Film „Eyes Wide Open“ des is -<br />
raelischen Regisseurs Haim Tabak man<br />
wurde mit dem „Eros und Psyche Preis“<br />
des 15. medFilm-Festiv<strong>als</strong> in Rom (7.-<br />
14. november) ausgezeichnet. Die<br />
israelisch-deutsch-frazösische Co-Pro -<br />
duktion erzählt die gleichgeschlechtliche<br />
Liebesgeschichte zwischen ei nem<br />
koscheren Fleischhauer und ei nem<br />
jun gen Außenseiter in der streng or -<br />
thodoxen Gemeinde von mea Shea rim<br />
in Jerusalem.<br />
Auch beim 36. internationalen Film -<br />
festival von Gent in Belgien war „Eyes<br />
Wide Open“ mit dem Hauptpreis<br />
bedacht worden.<br />
obamas halbbruder<br />
hat jüdische wurzeln<br />
Präsident Obamas Halbbruder, mark<br />
ndesandjo, hat eine jüdische mutter.<br />
Die dritte Frau von Obamas Vater,<br />
Ruth nidesand, ist eine amerikanische<br />
Jüdin. in dem semiautobiographischen<br />
Buch „nairobi to Shenzhen“<br />
beschreibt mark ndesandjo seinen Va -<br />
ter <strong>als</strong> oftm<strong>als</strong> gewalttätigen Trin ker.<br />
Neuer Präsident für el al<br />
Der Präsident und CEO der israelischen<br />
Fluggesellschaft EL AL der letz -<br />
ten fünf Jahre, Haim Romano, legt sein<br />
Amt nieder. Sein nachfolger wird ab<br />
Januar 2010 der vorige Luft waffen kom -<br />
mandeur (Bri ga de general d. Res.)<br />
Elieser Shkedi sein.<br />
Äthiopische Juden heiraten<br />
fast nur untereinander<br />
Eine Studie hat ergeben, dass äthiopisch-stämmige<br />
Juden zu 90 Prozent<br />
un tereinander heiraten: 93% der män -<br />
ner und 85% der Frauen heiraten in -<br />
ner halb ihrer Gemeinschaft. Dies geht<br />
gegen den allgemeinen Trend in is ra el,<br />
nach dem immer mehr Juden un ter -<br />
schiedlicher ethnischer Herkunft un -<br />
tereinander heiraten, insbesondere<br />
zwischen Aschkenasi (Juden europäischer<br />
Herkunft) und Sephardi (z.B.<br />
Juden aus arabischen Ländern). in is -<br />
ra el gibt es ca. 120.000 äthiopische Ju -<br />
den, davon 81.000 in Äthiopien und<br />
39.000 in israel geborene.<br />
30 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
KULTUR • INLAND<br />
Jüdische Abgeordnete im österreichischen<br />
Parlament 1861 - 1938<br />
@Bildagentur Zolles,Mike Ranz<br />
in der von der Projektleiterin und Uni -<br />
versitätsprofessorin Eva Kreisky mo de -<br />
rierten Podiumsdiskussion nahmen<br />
der stellvertretende Leiter des Zen -<br />
trums für jüdische Kulturgeschichte<br />
der Universität Salzburg, Albert Licht -<br />
blau, der Kurator des Jüdischen museums<br />
in Wien, Gerhard Milchram, die<br />
Projektmitarbeiterin Saskia Stacho -<br />
witsch (institut für Politikwissen -<br />
schaft) sowie Günther Schefbeck (Leiter<br />
des Parlamentsarchivs) teil.<br />
Die Inhalte des Forschungsprojekts<br />
Die Entwicklung des österreichischen<br />
Parlamentarismus und die politische<br />
Geschichte des Judentums in Österreich<br />
weisen zahlreiche Überschneidungen<br />
und Verknüpfungen auf. Das<br />
Abgeordnetenhaus des Reichsrats und<br />
später der nationalrat waren nicht<br />
nur Wirkungsstätten zahlreicher jüdischer<br />
Politikerinnen, sie stellten auch<br />
zentrale Räume für Artikulation und<br />
Verbreitung verschiedener Formen<br />
von Antisemitismus dar. Diese Zu sam -<br />
menhänge wurden im Rahmen des<br />
Forschungsprojekts „Jüdische Abge -<br />
ord nete im österreichischen Parla ment<br />
1861 bis 1938“ anhand von - derz eit -<br />
83 Biographien jüdischer manda tar -<br />
in nen bearbeitet.<br />
im konkreten ging es bei dem For -<br />
schungsprojekt zunächst darum, Bio -<br />
graphien jüdischer Parlamentarier in -<br />
nen zu recherchieren und in einer Da -<br />
ten bank zu sammeln. Aufgenom men<br />
wurden dabei nur jene Ab geordnete,<br />
die nachweislich mit glie der der jüdischen<br />
Religions gemein schaft waren,<br />
bzw. solche, die im Laufe ihres Le bens<br />
zum Christentum konvertierten oder<br />
vom Judentum austraten. Aufgrund<br />
der Quellenlage könne zu diesem Zeit -<br />
punkt kein Anspruch auf Vollstän dig -<br />
keit erhoben werden, schränken die<br />
Au torinnen ein. Die Datenbank enthält<br />
neben informationen zur Person<br />
(biographische Grunddaten, Beruf,<br />
Kon fession, etc.) auch informationen<br />
zur jeweiligen politischen und parlamentarischen<br />
Tätigkeit (mitglied schaft<br />
in Parteien, Parlamentsklubs und<br />
Verei nen, zentrale Wirkungsbereiche,<br />
Pu bli kationen, etc.). Bei der Recher che<br />
wurden verschiedene Quellen ausgewertet:<br />
allgemeine, judentums- und<br />
par lamentsspezifische biographische<br />
Ar chive und Lexika, meldedaten der<br />
Stadt Wien sowie Geburts-, Sterbe-,<br />
Hei ratsmatriken und Austrittsbücher<br />
der israelitischen Kultusgemeinde.<br />
Weiters wurde das Projekt „Parlamen-<br />
tarier in Österreich 1848-1918“ vorgestellt.<br />
Ausführlich dargestellt wird<br />
die Entwicklung jüdischer Partizipa -<br />
tion im Abgeordnetenhaus des Reichs -<br />
rats bzw. im nationalrat im historischen<br />
Verlauf. Ein Ergebnis der Un -<br />
ter suchungen ist, dass die jüdischen,<br />
konvertierten und vom Ju den tum aus -<br />
getretenen Abgeordneten zu keinem<br />
Zeitpunkt eine einheitliche po litische,<br />
nationale oder soziale Grup pe darstellten.<br />
Die Vertreibung und Er mor dung<br />
der österreichischen Juden durch das<br />
nS-Regime beendete die fast 100- jährige<br />
Beteiligung jüdischer Politiker in -<br />
nen am parlamentarischen Gesche hen<br />
in Österreich. nach 1945 waren jüdische<br />
Abgeordnete auch aufgrund un -<br />
genügender Bemü hun gen um die Re -<br />
mi gration von Jüdinnen und Juden<br />
nach Österreich nie mehr in diesem<br />
maße im Hohen Haus vertreten, resümieren<br />
die Autorinnen.<br />
RK<br />
Ausführlicher siehe die Homepage<br />
des Parlaments: www.parlament.gv.at<br />
wie dem iranischen<br />
regime begegnen?<br />
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KULTUR<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 31
KULTUR • INLAND<br />
Wie ein See die<br />
Vergangenheit<br />
zum Schweigen<br />
brachte<br />
Die Künstlerin Tatiana Lecomte wird in<br />
den nächsten Monaten rund 20.000mal<br />
„Ich bin gesund, es geht mir gut“ auf<br />
Postkarten schreiben und diese an Ein -<br />
woh ner von St. Pölten verschicken.<br />
Erinnerungsarbeit und Kunstprojekt:<br />
mehr <strong>als</strong> 60 Jahre nach Ende des NS-Re -<br />
gimes wird der Mantel des Schweigens<br />
von einem kleinen Flecken Erde gezogen,<br />
der eine schaurige Geschichte zu<br />
erzählen hat.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
im Frühjahr 2005 wollte der Krimi-<br />
Au tor manfred Wieninger wie jedes<br />
Jahr im Frühjahr im Auwäldchen am<br />
Trai senufer gegenüber von Wind pas -<br />
sing, einem Ortsteil von St. Pölten,<br />
Schnee glöckchen pflücken gehen.<br />
Doch der Traisenfluss hatte die kleine<br />
Feldwegbrücke bei Windpassing weg -<br />
gespült und so suchte er in einem ihm<br />
bis dahin gänzlich unbekannten Au -<br />
abschnitt in St.Pölten-Viehofen nach<br />
den Frühlingsblumen.<br />
„Ich bin dort auf jede Menge verrosteten<br />
Stacheldraht gestoßen, auf viele Zaun -<br />
pfei ler aus altem Beton, auf die Reste ei -<br />
nes hölzernen, ebenfalls mit Stacheldraht<br />
gesicherten Tores, auf von der Au fast ganz<br />
überwucherte Betonfundamente und auf<br />
einen halb verschütteten Bunker.“ Ei -<br />
nem anderen Spaziergänger stellte er<br />
die Frage nach dem Ursprung dieser<br />
Überreste. Das sei, meinte der mann,<br />
im Krieg ein Kriegsgefangenenlager<br />
mit lauter Franzosen gewesen, er ha be<br />
hier schon vor Jahren jede menge leerer<br />
Schneckenhäuser und Überreste von<br />
französischen Spielkarten gefunden.<br />
Wieninger ging der Sache auf den<br />
Grund. Die Archive der Stadt brachten<br />
zunächst wenig material zutage.<br />
mehr informationen konnte er sammeln,<br />
nachdem er in der Lokalpresse<br />
Zeitzeugenaufrufe veröffentlichen<br />
hat te lassen. Eine St. Pöltnerin, die zu<br />
Kriegszeit noch ein Kind gewesen war,<br />
erinnerte sich an ein Zwangsarbei ter -<br />
lager der Firma Glanzstoff. „Da sind<br />
nur die hingekommen, die Schrebergär ten<br />
gehabt haben. Sonst hat sich gar keiner<br />
hingetraut, denn da sind Soldaten mit<br />
Gewehr gestanden.“<br />
Und dann war da auch noch dieser<br />
Brief. Die Absenderin: eine alte Frau<br />
aus Szeged in Ungarn namens Rószo<br />
Halmos, zu diesem Zeitpunkt 77<br />
Jahre alt. 1997 hatte sie an die „Jüdi-<br />
sche Gemeinde St. Pölten Österreich“<br />
geschrieben: „Ich bitte Sie, wollen Sie<br />
mich informieren im nachstehde. Mein<br />
Vater Armin Wolf ist im Fierhofen, am 1.<br />
April 1945 War gesterbt, in dem Fried -<br />
hof-St.Pölten hat man begrabt. Ich möchte<br />
wissen, ob kann ich seines Grab – mit Ih rer<br />
Hilfe, auffinden, wenn ich reise in diesem<br />
Sommer zu St. Pölten, das konnte ich dort<br />
ein Nachtlicht zünden bei dem Grab. Ich<br />
bitte Sie wollen mich in der Obgenannte<br />
helfen.“ Der Brief landete nach postalischen<br />
irrwegen schließlich am „in-<br />
sti tut für Geschichte der Juden in<br />
Österreich“.<br />
Wieniniger stieß 2005 im Zug seiner<br />
Re cherchen auf dieses Schreiben, das<br />
in St. Pölten bis dahin Ratlosigkeit hervorgerufen<br />
hatte. Ein Grab eines Ar -<br />
min Wolf war nicht zu finden, vor<br />
allem nicht am Jüdischen Friedhof.<br />
Doch ebenfalls 2005 machte die His -<br />
torikerin Eleonore Lappin vom „insti-<br />
tut für Geschichte der Juden in Österreich“<br />
in den „Central Archives for the<br />
History of the Jewish People“ in Jeru -<br />
salem zufällig einen interessanten<br />
Fund: sie stieß auf einen handschriftlichen<br />
Brief der „Traisenregulierung<br />
St. Pölten, Lager Viehofen-Au“ an die<br />
„Jüdische Versorgungsstelle Wien“<br />
vom 9. September 1944, in dem stand:<br />
„Die Traisenregulierung St. Pölten – Her -<br />
zogenburg beschäftigt seit 11/VII. 1944 –<br />
126 Personen intern. Ungar. Juden, die<br />
im eigenen Lager Viehofen-Au untergebracht<br />
sind.“<br />
nach und nach kam – 60 Jahre nach<br />
Kriegsende! – die Wahrheit ans Licht.<br />
nahe des Zwangsarbeiter-Lagers für<br />
die Firma Glanzstoff hatte es ein zwei -<br />
tes Lager gegeben, betrieben vom in St.<br />
Pölten ansässigen Traisen-Wasser ver -<br />
band. Hier waren ungarische Ju den in -<br />
terniert. nachdem die Traisen im Be -<br />
reich von Viehofen 1940 und 1941 über<br />
die Ufer getreten war, versuchte man<br />
nun den Fluß zu regulieren. Zu nächst<br />
wurde dazu der Reichsar beits dienst<br />
eingesetzt, später waren es Kriegs- und<br />
Strafgefangene, bis Juli 1944 ukrainische<br />
Zwangsarbeiter und schließlich<br />
ungarische Juden, unter ih nen Kinder,<br />
Frauen, alte menschen. Viele von ih -<br />
nen starben an Erschöp fung.<br />
in den ersten Apriltagen 1945 war be -<br />
reits das Artilleriefeuer der Sowjet ar -<br />
mee zu hören und am 6. April verließ<br />
der Lagerführer mit seinen Getreuen<br />
den Ort. Einige wenige, darunter der<br />
jüdische Lagerarzt Ernst Balog und<br />
32 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
KULTUR • INLAND<br />
seine Familie, flüchteten daraufhin so<br />
rasch sie konnten aus dem Lager. Ei -<br />
ne weise Entscheidung, denn irgendwann<br />
in der ersten April-Hälfte 1945<br />
wurden die übrigen insassen zu Fuß<br />
Richtung mauthausen getrieben. Und<br />
wer für diesen Todesmarsch nicht fit<br />
ge nug war, der wurde bereits in Vie -<br />
hofen umgebracht.<br />
„Die Großmutter hat interessiert, was mit<br />
diesen Leuten passiert ist, und sie ist mit<br />
mir hingegangen gleich nach dem Krieg.<br />
Das waren so Sutten, Gruben rund um das<br />
Lager, da haben sie auch Schotter ausgehoben.<br />
In diesen Sutten lagen Leichen, et -<br />
li che Leichen, mit Laub bedeckt, gleich ne -<br />
ben dem Lager. Großmutter hat gesagt,<br />
dass die erschossen worden sind. Sie hat<br />
mich weggezogen, ist gleich wieder weggegangen<br />
mit mir“, erinnert sich ein<br />
Zeitzeuge.<br />
Heute kann man über dieses Areal<br />
nicht mehr einfach drüberspazieren.<br />
in den sechziger Jahren nahm dort<br />
eine Sand- und Schottergewinnungs -<br />
an lage ihren Betrieb auf. Der Abbau<br />
wurde von dem Pottenbrunner Un -<br />
ter nehmer Karl Paderta durchgeführt.<br />
„Die Schotteraufbereitungsanlage hatte<br />
eine Stundenleistung von 100 Tonnen.<br />
Da rin sind wohl die Reste des Zwangs -<br />
arbeiterlagers und vermutlich auch die<br />
Skelette der nicht gehfähigen Lagerin sas -<br />
sen gelandet“, schrieb Wieniniger in<br />
einem Artikel anlässlich des Gedenk -<br />
jahres 2005.<br />
Bis 1985 entstand durch den Schotter -<br />
ab bau der Paderta-See mit einer Flä -<br />
che von 19,8 Hektar und einer mittleren<br />
Tiefe von 3,3 metern. Der See ist<br />
heute beliebtes naher ho lungs gebiet<br />
der St. Pöltner. Welch schaurige Ge -<br />
schichte der Grund dieses Ge wäs sers<br />
zu erzählen hat, weiß kaum niemand.<br />
Als die Stadt St. Pölten und „Kunst<br />
im öffentlichen Raum nie der öster -<br />
reich“ dieses Jahr einen Wett bewerb<br />
für ein mahnmal Viehof ner See ausschrieben,<br />
hakten zwei Künst lerinnen<br />
bei genau diesem Freizeit- und Tou -<br />
ris musaspekt ein. Lecomte mit ihrer<br />
Postkarten-idee und Catrin Bolt mit<br />
ei nem Kozept, das die Auf stellung<br />
von informationstafeln in dem Gebiet<br />
vorsieht. Beide Künstle rin nen gingen<br />
schließlich <strong>als</strong> Siege rin nen hervor.<br />
insgesamt hatte die Jury aus 164 Ein -<br />
reichungen von Kunst schaffenden aus<br />
elf Ländern auszuwählen.<br />
nun geht es langsam in die Umset -<br />
zungs phase des Projekts. Dafür stehen<br />
insgesamt 80.000 Euro zur Verfü gung.<br />
Als eines von drei motiven für ihre<br />
Post karten hat Lecomte eine vordergründig<br />
idyllische Ansicht des Sees<br />
ge wählt. Der handgeschriebene Satz<br />
„Ich bin gesund, es geht mir gut“ erin -<br />
nert an die SS-Zeit: KZ-insassen wurden<br />
angehalten, diese Formulierung<br />
zu wählen, wenn sie nach Hause<br />
schrieben – so sie überhaupt Post an<br />
die Außenwelt richten durften.<br />
Auf der Postkarte wird aber auch<br />
eine internetadresse zu finden sein,<br />
Avishai Cohen<br />
«Aurora»<br />
auf der man sich über die Geschichte<br />
des Viehofener Lagers informieren<br />
kann. Und wenn nur ein Bruchteil der<br />
rund 20.000 St. Pöltner, die im öffentlichen<br />
Telefonbuch eingetragen sind<br />
und daher nun angeschrieben werden,<br />
die Seite anklicken wird, wird damit<br />
kollektive Erinnerungsarbeit geleistet<br />
werden. Oder, wie es die Stadt St. Pöl -<br />
ten formuliert: „Im Idealfall gelingt es<br />
ihr, bei vielen Menschen einen Denkpro -<br />
zess anzuregen, um das Geschehen nicht<br />
in Vergessenheit geraten zu lassen.“<br />
www.publicart.at<br />
Handlanger der Nazis?<br />
Die Geschichte des John Demjanjuk.<br />
Film von Sibylle Bassler, Angelica Fell und Christoph Röckerath<br />
ZDF/Mittwoch, 2. 12. <strong>2009</strong>, 0.35 Uhr<br />
Am 30. <strong>November</strong> <strong>2009</strong> beginnt in München der wohl letzte große NS-Kriegs ver bre cher pro zess.<br />
Ein knappes halbes Jahr soll vor dem Ober lan des gericht der Fall John alias Iwan Dem jan juk<br />
verhandelt werden. Der 89-Jährige gebürtige Ukrainer ist wegen Beihilfe zum Mord an 27.900<br />
Menschen angeklagt, angeblich be gan gen <strong>als</strong> KZ-Aufseher in dem deut schen Vernichtungslager<br />
Sobibor in Polen. War er ein Handlanger des To des, oder ist er - wie er beteuert - unschuldig und<br />
selbst ein Opfer des da maligen Nazi-Regimes? Wer ist die ser Mann, dessen Spuren nach Po len,<br />
Israel, Amerika und Deutsch land führen? Demjanjuk, Sol dat in der Roten Ar mee, war<br />
Kriegsgefangener der Deut schen, so viel ist sicher. Und das sei er bis zum Kriegsende auch geblieben,<br />
sagt er. Aber es gibt Zeu gen und Doku men te, die Demjanjuk <strong>als</strong> SS-Schergen im Prozess<br />
überführen könnten. So soll er <strong>als</strong> „freiwil liger Helfer“ im SS-Ausbildungslager Trawnik das<br />
Handwerk des Quälens und Mor dens in den Todeslagern der Nazis erlernt haben, ein sogenannter<br />
„Trawniki“ gewesen sein. Unter den „Trawnikis“ ist auch der Ukrainer A.N., eine<br />
Schlüsselfigur, der <strong>als</strong> Belastungszeuge gegen Demjanjuk aussagt. Im ZDF berichtet der 92-<br />
Jährige über gemeinsame Zeiten <strong>als</strong> Aufseher im KZ Flossenbürg/Bayern.<br />
Kann eine DNA-Untersuchung heute, 16 Jahre später, beweisen, dass sich hinter Demjanjuk<br />
doch der gefürchtete "Iwan" verbirgt? Die israelische Richterin Dalia Dorner ist bis heute fest<br />
davon überzeugt. Dagegen glaubt die ukrainische Gemeinde in Cleveland/Ohio fest an die<br />
Unschuld ihres beliebten Mitbürgers Demjanjuk. Zeitzeugen, Opfer, Zeugen, Wissenschaftler,<br />
Staatsanwälte und Verteidiger - sie alle stellen sich der Frage: Wer ist John alias Iwan<br />
Demjanjuk wirklich? Ein gerissener Kriegsverbrecher oder doch ein Opfer der Justiz? ZDF<br />
30. <strong>November</strong> <strong>2009</strong><br />
Wiener Konzerthaus<br />
21.00 Uhr<br />
Mozartsaal<br />
„Avi shai Cohen ist ein genialer Musiker, ein<br />
großartiger Komponist mit einer wirklich star -<br />
ken Vision von der Musik, die er ma chen will.<br />
Mit ihm zu arbeiten war außer gewöhnlich<br />
erfrischend.“ Chick Corea<br />
Avishai Cohens musik hat viele Ge -<br />
sichter: Sein name steht für multikulturellen<br />
Jazz höchster Qualität; seine<br />
vielseitigen Stücke vereinen spanische,<br />
nahöstliche und afrikanische Klän ge<br />
und erweisen zudem den Alt meis tern<br />
der Klassik ihre Reverenz. Und doch<br />
betont der israeli seine kulturellen<br />
Wur zeln wie kein anderer Jazzmu -<br />
siker der Spitzenklasse. nach dem er<br />
im vergangenen September im Rah -<br />
men von ‘Spot On: Jiddisch keit’ mit<br />
seinem Trio erstm<strong>als</strong> im Wie ner Kon -<br />
zerthaus zu erleben war, kehrt er nun<br />
mit seiner gefeierten Eas tern Unit<br />
hierher zurück.<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 33
KULTUR • INLAND<br />
Paradigmenwechsel im<br />
Umgang mit Täterorten<br />
Linz hat sich <strong>als</strong> Europas Kultur haupt stadt<br />
<strong>2009</strong> auch der eigenen Stadtge schichte<br />
gestellt: rund ein Drittel der heu tigen<br />
Wohn bauten wurden in der NS-Zeit<br />
geschaffen. Monumentale Bau ten wie<br />
die Brückenkopfgebäude, die Nibelun -<br />
gen brücke, viele Straßen, die spätere<br />
Verstaatlichte Industrie erinnern an die<br />
„Führerstadt“. Gemeinsam mit dem<br />
Maut hausen Memorial (Innenminis te ri -<br />
um) und der Österreichischen Aka de mie<br />
der Wissenschaften (ÖAW) lud die Stadt<br />
im September zum Sympo si um „DIS-<br />
TURBING REMAINS. Der Umgang mit<br />
den materiellen Überresten des Natio nal -<br />
sozialismus“ ins Alte Rathaus. Tenor un -<br />
ter den Experten: aus heutiger Sicht sind<br />
auch Täterorte unter Denk mal schutz zu<br />
stellen.<br />
Von Alexia Weiss<br />
Tafeln, um der Opfer des nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />
Unrechtsregimes zu ge -<br />
denken. Denkmäler, um das Unfass -<br />
bare nicht aus der Erinnerung zu entlassen,<br />
wie etwa die Skulptur des auf<br />
allen Vieren Straße waschenden Ju den<br />
von Alfred Hrdlicka vor der Alber ti na<br />
in Wien. Ehemalige Kon zentrations -<br />
la ger <strong>als</strong> memori<strong>als</strong>, Zeu gen einer bis<br />
heute unfassbaren Er niedrigungs- und<br />
Vernichtungs ma schinerie. Wo Jahr -<br />
zehn te lang der mantel des Schwei -<br />
gens drübergebreitet wurde, hat sich<br />
inzwischen verstärkt das Bemühen<br />
um die Erinnerung breit gemacht.<br />
Bis hin zu einer „commemoration<br />
industry“, wie die israelin Dana Ari eli-<br />
Horowitz von der Academy of Art and<br />
Design in Jerusalem bei der Tagung<br />
in Linz anmerkte. Die Verwendung<br />
des Begriffs „industrie“ in diesem<br />
Zu sammenhang will Horowitz übrigens<br />
nicht negativ verstanden wissen,<br />
wie sie auf nachfrage der „Ge mein -<br />
de“ versicherte. Es sei nur eben in -<br />
zwischen so, dass mit dem Erin nern<br />
auch Geld gemacht werde, eine Kom -<br />
merzialisierung stattgefunden habe.<br />
Beispiel Berlin: wenn Touristen hier<br />
den Folder aufmachen, der über an -<br />
gebotene Besichtigungstouren informiert,<br />
stünde da <strong>als</strong> erste Tour: „Fol-<br />
lowing the nazi Reich“. Tatsächlich<br />
haben die Berliner Sightseeing-An -<br />
bieter viel Einschlägiges im Pro gramm.<br />
So bietet www.berlinandmore.com die<br />
Tour „Berlin im Dritten Reich – Auf<br />
den Spuren des na tio nal so zialismus“<br />
an, www.berlin-starting-point.de die<br />
Stadtrundfahrt „national sozialismus<br />
– Drittes Reich“. Hier scheint allerdings<br />
auch bereits der zur Zeit statt -<br />
fin dende Paradigmenwech sel durch:<br />
nicht nur Opferorte werden besucht.<br />
Auch Täterorte gelangen zunehmend<br />
ins interesse des Be trach ters, Besu -<br />
chers, Wissenschafters, Denk mal -<br />
schüt zers.<br />
ist es aber zulässig, einen nS-Täterort<br />
unter Schutz zu stellen? Verleiht man<br />
ihm damit nicht eine Würde und Be -<br />
deutung, die ihm gesellschaftlich niem<strong>als</strong><br />
zukommen darf? Tatsächlich<br />
war der Umgang mit nS-Täterorten<br />
nach Ende des nS-Regimes zunächst<br />
durch Zerstören, Anonymisieren (Ab-<br />
montieren von Hakenkreuzen, Ad lern<br />
und anderen eindeutigen Symbolen),<br />
Unkenntlichmachen (begrünen, überwuchern<br />
lassen) gekennzeichnet.<br />
Die Bauten, die dam<strong>als</strong> in der un mit -<br />
telbaren Gegenwart standen, sind<br />
heute aber „in den Rang der Histori -<br />
zi tät gekommen“, betonte Eva-Maria<br />
Höhle, Generalkonservatorin im Bun -<br />
des denkmalamt. „Wir befinden uns nun<br />
an der Schwelle von der Phase der Erin ne -<br />
rung zur Übernahme der Hinterlassen -<br />
schaf ten durch ein kollektives Gedächt nis.“<br />
Dieses kollektive Gedächtnis aber be -<br />
darf immer wieder einer Verifizie rung.<br />
Und dazu wiederum bedürfe es des<br />
ursprünglichen materi<strong>als</strong>.<br />
„60 Jahre und länger stand das Symbol<br />
im Vordergrund“, sagte Höhne. „Jetzt<br />
ist das Material in den Vordergrund ge -<br />
treten. Den Alltag des Grauens haben die<br />
Opfer im Kopf gehabt.“ Die nachfolgenden<br />
Generationen verfügen allerdings<br />
nicht über diese persönlichen Erin ne -<br />
rungen. nun gehe es um die wissenschaftliche<br />
Aufarbeitung, die zeitgeschichtliche<br />
Aufarbeitung. Und dabei<br />
ist die Arbeit am konkreten Objekt un -<br />
er läss lich. Täterorte müsse man heute<br />
<strong>als</strong>o <strong>als</strong> „Zeugen der Zeit sehen“, so<br />
Höh le, „sie haben einen Dokumenta ti -<br />
ons wert. Alle Facetten, alle Objekte, die<br />
Aus sa gen über eine Zeit treffen, gehören<br />
be han delt und bedürfen daher einer<br />
Unterschutzstellung“.<br />
Wie schwer sich die Gesellschaft im -<br />
mer noch mit diesem Wandel tut, zeigen<br />
die Erfahrungen der Generalkon -<br />
servatorin. „Wenn man NS-Hinter las -<br />
senschaften unter Denkm<strong>als</strong>chutz stellen<br />
will, dann darf man nicht konfliktscheu<br />
sein. Das, was einem da entgegenschlägt,<br />
ist alles andere <strong>als</strong> harmlos.“ Sie betont<br />
allerdings, es sei eben nicht Aufgabe<br />
des Denkm<strong>als</strong>chutzes, interpretatio -<br />
nen vorzunehmen – sondern lediglich<br />
Objekte für die Zukunft und die Ar -<br />
beit mit ihnen in der Zukunft zu si -<br />
chern. „In 50 Jahren gibt es wahrscheinlich<br />
nochm<strong>als</strong> andere Fragestellungen <strong>als</strong><br />
heute.“<br />
„Wir erhalten daher solche Orte, auch<br />
wenn es manchmal schmerzhaft ist“, sag -<br />
te Höhle – Beispiel Bordellbaracke auf<br />
dem Gelände des ehemaligen Kon -<br />
zen trationslagers mauthausen. Die<br />
Erhaltung dieses Baus sei eben „keine<br />
l’art pour l’art“ – auch dieser Vorwurf<br />
34 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
KULTUR • INLAND<br />
komme immer wieder. Hier geht es<br />
um „das Wissen, wie es an diesem Origi -<br />
nal ort ausgesehen hat“. So könne es mit<br />
Orten dieser Art auch leichter zu ei -<br />
ner emotionalen Begegnung kommen.<br />
Auch Michael John, Historiker mit<br />
Schwerpunkt Erinnerungskultur an<br />
der Universität Linz, betonte, dass es<br />
wichtig sei, nS-Architektur zu erhalten.<br />
Vielfach sei sie heute immer noch<br />
nicht <strong>als</strong> solche ausgewiesen, wie et -<br />
wa der einzige noch in Linz erhaltene<br />
Hochbunker. Hier sei heute „die Erin -<br />
nerungskultur nicht gegeben: es ist nicht<br />
ordentlich gekennzeichnet, was es ist“.<br />
Die Löwen am Hauptbahnhof der<br />
Stadt (Auftragsarbeit des Bildhauers<br />
Jakob Adlhart) wiederum seien, ob -<br />
wohl „eindeutig Symbole aus der NS-<br />
Zeit“ mit einem großen Fest 2004 vor<br />
dem umgebauten Bahnhof wiederaufgestellt<br />
worden. Eine „Karneva li -<br />
sierung“ habe dabei stattgefunden,<br />
wie John meinte, sogar Plastiklöwen<br />
seien an diesem Tag erhältlich gewesen.<br />
Besonders stark gemacht hatten<br />
sich für diese Wiederaufstellung die<br />
Freiheitlichen.<br />
Den möglichen missbrauch von Tä ter -<br />
orten <strong>als</strong> Würdigungsstätte für na ti -<br />
o n<strong>als</strong>ozialisten durch Rechts ra dikale<br />
sehen die Experten heute übrigens<br />
nicht mehr <strong>als</strong> geeignetes Argu ment,<br />
um gegen die Unterschutzstellung<br />
von nS-Architektur zu protestieren.<br />
„Rechts radikale wissen auch so ganz ge -<br />
nau, welche Orte mit ihren Vorstellun -<br />
gen verbunden sind“, sagte Winfried<br />
Ner din ger, Professor für Architektur -<br />
ge schichte an der Technischen Uni -<br />
ver si tät münchen sowie Direktor des<br />
mün chner Architekturmuseums. „Das<br />
ist kein Argument gegen eine Kenn zeich -<br />
nung.“<br />
Auch das Jahrzehnte lange „Dogma<br />
der Trivialisierung“, wie Franz Son nen -<br />
berger, Direktor der museen der Stadt<br />
nürnberg, es formulierte, sei in den<br />
neunziger Jahren überwunden worden.<br />
Die Kongresshalle auf dem ehemaligen<br />
nürnberger Reichspar tei tags -<br />
gelände sei beispielsweise so wohl <strong>als</strong><br />
Lager des Versandhauses Quelle <strong>als</strong><br />
auch <strong>als</strong> Abstellort für abgeschleppte<br />
Fahrzeuge benutzt worden.<br />
Seit 2001 befindet sich auf diesem<br />
„kon taminierten Gelände“ ein Do ku -<br />
men tationszentrum, das jährlich an<br />
die 200.000 Besucher anzieht, die<br />
mei s ten von ihnen kommen aus der<br />
Re gi on. „An diesem düsteren Ort kann<br />
man deutlich machen, wie Vereinnah -<br />
mung funktioniert“, betonte Sonnen -<br />
ber ger. Das nächste Projekt in der<br />
Stadt: im Verhandlungssaal, in dem<br />
die nürnberger Prozesse stattfanden,<br />
soll ein memorial eröffnet werden.<br />
Wie aber geht man richtig vor, wenn<br />
ein Täterort in einen Erinnerungsort<br />
umgewandelt wird? „Es gibt verschiedene<br />
Ansätze, aber es gibt keine Lösung“,<br />
betonte nerdinger. „Was die Denkmal -<br />
pfle ge zu Recht sagt: die Dinge müssen<br />
reversibel sein. Die nächste Generation<br />
muss sagen können, wir wollen es wieder<br />
in einem anderen Zustand sehen.“ Ge nau<br />
hier setzt auch Höhle in der Dis kus si -<br />
on um die neugestaltung der Brücken -<br />
kopfgebäude in Linz an: geplant sind<br />
15 meter hohe Kuppeln, dazu müss -<br />
ten die Bauten auch innen entfremdet<br />
und ausgehöhlt werden. Das Bundes -<br />
denkmalamt sagt daher dazu nein.<br />
John zu diesem Thema: „Ich möchte kein<br />
politischer Entscheidungsträger sein,<br />
weil das alles nicht so einfach ist.“ Wie<br />
schwierig es mitunter sein kann, eine<br />
allseits befriedigende Lösung zu finden,<br />
zeigte eine Diskussion um die<br />
fehlenden Porträts der Bürgermeister<br />
der Stadt in der nS-Zeit im Renais san -<br />
cesaal des Alten Rathauses, in dem<br />
das Symposium stattfand. Die Ölporträts<br />
der Bürgermeister vor und nach<br />
dieser Zeit hängen hier an den Wän -<br />
den. Bilder von Josef Wolkerstorfer<br />
(1938-1939), Leo Sturma (1940-1943)<br />
sowie Franz Langoth (1944-1945) sind<br />
nicht zu sehen.<br />
Bewältigung der Geschichte durch<br />
Ver drängen, Vergessen. Wäre es besser,<br />
Bilder der Genannten ebenfalls<br />
aufzuhängen? Oder in einer Tafel zu<br />
vermerken, dass man bewusst auf das<br />
Aufhängen dieser drei Porträts verzichtet?<br />
Die einhellige Experten mei -<br />
nung: keine Lösung ist ideal. Auch<br />
nicht der jetzige Zustand, in dem die<br />
Zeit und diese Personen einfach überhaupt<br />
keine Erwähnung finden (wie<br />
übrigens in so vielen anderen österreichischen<br />
Orten auch).<br />
Auf der Homepage der Stadt Linz<br />
www.linz.at werden die nS-Bürger -<br />
meis ter übrigens unter der Überschrift<br />
„nS-Diktatur (1938 – 1945)“<br />
aufgelistet. Auch der internet-Auftritt<br />
der Stadt Wien, www.wien.gv.at, der<br />
alle Bürgermeister seit 1281 anführt,<br />
sind die drei Stadtoberhäupter während<br />
des nS-Regimes vermerkt (Her-<br />
mann neubacher, Philipp Wilhelm<br />
Jung, Hanns Blaschke). Und auf der<br />
Homepage der Stadt Klagenfurt<br />
www.klagenfurt.at, wird Friedrich von<br />
Franz <strong>als</strong> Bürgermeister in der nS-<br />
Zeit angeführt.<br />
Was in der Rubrik „Geschichte“ über<br />
die nS-Zeit in Klagenfurt zu lesen ist,<br />
ist aber mehr <strong>als</strong> rudimentär. Das Ka -<br />
pitel „neuzeit“ lautet wie folgt: „1863<br />
hielt die Neuzeit Einzug – der An schluss<br />
an das Eisenbahnnetz brachte neue wirtschaftliche<br />
Impulse. Klagenfurt wuchs<br />
weiter zum echten Zentrum Kärn tens.<br />
Dann kamen zwei Weltkriege. Kla genfurt<br />
wurde im ‚1000-jährigen Reich‘ zerbombt,<br />
tausende Mitbürger starben an<br />
den Fronten, viele andere in den Konzen -<br />
tra tionslagern der Nazis. Gleich nach<br />
Kriegs ende, noch in der englischen Besat -<br />
zungszeit, ging es tatkräftig an den Wie -<br />
deraufbau und schon bald war die südlichste<br />
Landeshauptstadt Österreichs<br />
wieder für Rekorde gut. (…)“<br />
insgesamt hinke Österreich Deutsch -<br />
land noch stark in Sachen Aufarbei -<br />
tung hinterher, betonte Höhle einmal<br />
mehr. in Bezug auf Täterorte sei nun<br />
die Grundlagenforschung gefragt.<br />
„Wir haben hier einen Nachholbedarf von<br />
60, 70 Jahren.“ noch sei in diesem Be -<br />
reich auch nichts zu Ende gedacht,<br />
meinte nerdinger. „Dass man negativ<br />
besetzte Bauten nun unter Schutz stellt<br />
und dafür Geld investiert, das ist etwas<br />
Neues, und wie man das macht und wie<br />
man das löst, das weiß man noch nicht<br />
und wahrscheinlich gibt es auch keine<br />
Lösung. Jede Generation geht hier anders<br />
heran.“<br />
Die Bahnhofslöwen von Linz<br />
www.linz09.at<br />
www.mauthausen-memorial.at<br />
www.oeaw.at<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 35
KULTUR • INLAND<br />
Der subjektive Zugang zu Erinnerungsarbeit<br />
Die einen arbeiten die eigene Famili en -<br />
geschichte auf, bleiben dann hängen, im<br />
Erinnern, Bewahren, Aufzeigen, Mah nen.<br />
Die anderen haben Kindheits-, Jugend er -<br />
in nerungen geprägt. Wieder andere treibt<br />
ein rein wissenschaftliches Interesse an<br />
der Vergangenheit, an dem Entstehen von<br />
Unrechtsstrukturen, an dem Verhindern<br />
neuerlicher Gräuel an. Sie alle kamen bei<br />
dem Symposium „Subjekt des Erin nerns?“<br />
zu Wort, abgehalten anlässlich des 25-<br />
jäh rigen Bestehens der Theodor Kramer-<br />
Gesellschaft im Literarischen Quartier<br />
Alte Schmiede in Wien.<br />
Bereits die Eröffnungsveranstaltung<br />
im Plenarsaal des nationalrats, zu der<br />
Parlamentspräsidentin Barbara Pram -<br />
mer (SPÖ) geladen hatte, endete be rüh -<br />
rend: der Wiener Schauspieler und Re -<br />
gisseur Otto Tausig, der die nS-Zeit <strong>als</strong><br />
Jugendlicher in Groß bri tan ni en <strong>als</strong><br />
Land- und Fabriksar bei ter über lebte,<br />
trug aus Texten von Theo dor Kra mer,<br />
Jura Soyfer, Stella Rotenberg, Berthold<br />
Viertel und Anna Krommer vor. Wie<br />
vorausschauend der eine und andere<br />
Dichter, Schriftsteller die na tio nal so zia -<br />
listische Zukunft vorher ge sehen, er -<br />
ahnt hatte, ließ den Zuhörer betroffen<br />
zu rück. Wie war das mit: wir haben<br />
nichts mitbekommen? Wir tragen kei -<br />
ne Schuld?<br />
Literaturnobelpreisträgerin Elfriede<br />
Jelinek hatte ihre Gefühle zum Thema<br />
erinnern zuvor in einer Grußbot schaft<br />
an die Kramer-Gesellschaft zum Aus -<br />
druck gebracht: „Das Vergangene kann<br />
ja auch keine Auszeit nehmen, denn die<br />
Zeit ist nie aus, sie hält nie an, und sie<br />
kann nichts mehr von dem zurücknehmen,<br />
was geschehen ist. Für die Vergangenheit<br />
gibt es kein Umtauschrecht. Woran sollen<br />
wir uns erinnern, was dürfen und was<br />
müs sen wir vergessen? Können wir et was<br />
vergessen, weil es nachträglich ja doch<br />
nicht zu ändern ist, im Sinne des ‚Glück-<br />
lich ist, wer vergisst?‘ Gibt es eine Be loh -<br />
nung und wäre sie nur ein glückliches<br />
Le ben, was heißt ‚nur‘, das ist eh das Beste,<br />
das man kriegen kann! fürs Ver ges sen?<br />
Und wird bestraft, wer sich erinnert?“<br />
Eva Kollisch hat sich erst sehr spät er -<br />
innert. „Erinnerung lebte in mir, versteckt<br />
wie eine kleine Maus. So konnte<br />
ich, wenn jemand mich in meiner Jugend<br />
und meinen mittleren Jahren fragte, gar<br />
nichts finden, was der Mühe wert war, zu<br />
erzählen. Kindertransport, Wiederver ei ni -<br />
gung mit den Eltern, dann wurde ich<br />
Trotz kistin. Erst <strong>als</strong> ich schon über sechzig<br />
war, empfand ich das starke Be dürf -<br />
nis, an meine Kindheit zurückzudenken.“<br />
Sie schrieb die Bücher „mädchen in<br />
Bewegung“ (2003) und „Der Boden<br />
unter meinen Füßen“ (2007). Vor al lem<br />
letzteres spricht „über vieles, das ich<br />
ver gessen hatte, vergessen wollte, unterdrückte<br />
oder zur Karikatur Österreichs vor<br />
und nach dem ‚Anschluss‘ vereinfacht<br />
hatte, wahrscheinlich damit ich unbeschwert<br />
ein neues Leben beginnen konnte“,<br />
erzählte die heute über 80-Jährige, die<br />
zu dem Symposium aus den USA<br />
nach Wien gereist war. Kollisch war<br />
1939 <strong>als</strong> 13-Jährige mit einem Kinder -<br />
transport über England in die USA<br />
ge langt, wo sie wieder auf ihre Eltern<br />
traf. im Austausch mit anderen Überlebenden<br />
in der Kindertransport-As -<br />
so ciation (KTA) erfuhr sie Jahrzehnte<br />
später, das nur wenigen ein Wie der -<br />
sehen mit ihrer Familie vergönnt war.<br />
mit ein Grund, warum sie selbst sich<br />
lange nicht <strong>als</strong> Opfer sah. Sie hatte<br />
überlebt, sie hatte ihre Familie.<br />
Warum sie mit dem sich erinnern so<br />
lan ge zugewartet habe? „Ich wollte<br />
mein Equilibrum nicht zerstören.“ Auf die<br />
Trotzkisten folgte in den sechziger und<br />
siebziger Jahren die Friedens be we -<br />
gung, sie stieß zu den Femi nis tin nen,<br />
schließlich zur Lesben-Bewe gung. Da -<br />
zwischen gescheiterte Ehen. „Und im -<br />
mer kam ich drauf, dass ich anders war<br />
<strong>als</strong> die anderen.“ Als sie bei einer De -<br />
monstration verhaftet wird, „sah ich in<br />
den Polizisten immer die SA, die SS, uniformierte<br />
Juden-Mordende. In der Zelle<br />
fürchtete ich mich, dass ich jeden Mo ment<br />
von meinen Kolleginnen getrennt und in<br />
einen anderen Raum gesteckt würde. Auch<br />
wenn ich nie den gelben Stern tragen<br />
musste, brannte er auf mir.“ Erst im Aus -<br />
tausch mit Gleichgesinnten im Rah -<br />
men der KTA entstand das Gefühl,<br />
„dass wir doch das Recht hatten, unsere<br />
Geschichte zu erzählen. Das war eine Be -<br />
freiung, das zu fühlen.“<br />
Der Schauspieler Miguel Herz-Kes tra nek<br />
hat die nS-Zeit selbst nicht erlebt,<br />
wurde 1948 in St. Gallen in der Schweiz<br />
<strong>als</strong> Sohn jüdischer Remi gran ten geboren.<br />
Schon <strong>als</strong> Kind habe aber auch er<br />
ein „nicht zuordenbares Ge fühl der Nicht -<br />
zugehörigkeit und des Heimwehs“ er lebt,<br />
erzählte der Künst ler. Das mündete<br />
schließlich in einen „fast sehnsüchtig<br />
prak tizierten persönli chen Umgang mit<br />
ös terreichischen 1938-Emigranten und<br />
ih ren Erzählungen, Befindlichkeiten“.<br />
Zunächst las er Exil-Biografien, später<br />
schrieb er zur Exil the matik und gab<br />
Texte dazu heraus. Heute ist Herz-Kes -<br />
tranek auch Vize prä sident der Ge sell -<br />
schaft für Exilfor schung. 2007 fungierte<br />
er <strong>als</strong> mithe raus geber der großen ös ter -<br />
reichischen Lyrikan thologie des Exils.<br />
Hannah Lessing hat nicht der Umgang<br />
mit Texten, sondern mit Überlebenden<br />
geprägt. Seit 14 Jahren leitet sie den<br />
nationalfonds der Republik Ös ter -<br />
reich, dabei wurde sie mit den Erin -<br />
nerungen von tausenden nS-Op fern<br />
konfrontiert, die es geschafft hatten,<br />
das Terrorregime zu überleben. Für sie<br />
persönlich habe das aber auch bedeutet:<br />
„Konfrontation mit der Vergangen heit<br />
meiner eigenen Familie, mit den eigenen<br />
Erinnerungen, das Bewusstsein, dass mir<br />
manche Erinnerungen für immer fehlen.<br />
Ich habe keine Erinnerungen an meine<br />
Großmutter, die Mutter meines Vaters –<br />
sie wurde in Auschwitz ermordet.“<br />
Wie auch Kollisch berichtet Lessing<br />
über das lange Schweigen. „Ich wuchs<br />
auf in einer Familie, die beherrscht war<br />
vom Schweigen über die Vergangenheit.<br />
Die ses Schweigen herrscht in vielen Fa mi -<br />
lien – in den Familien der Überlebenden,<br />
aber auch in den Familien von Täterin nen<br />
und Tätern. Diese gläserne Wand des<br />
Schweigens ist es, die heute noch den Men -<br />
schen unserer Gesellschaft gemeinsam ist<br />
und sie gleichzeitig voneinander trennt.“<br />
Der Schriftsteller Ludwig Laher ist vor<br />
16 Jahren in die 3.000-Einwohner-<br />
Gemeinde St. Pantaleon im innviertel<br />
gezogen, „der archaischen Schönheit<br />
des ibmer moores“ wegen. Die men -<br />
schen in dieser schönen Landschaft<br />
verhielten sich allerdings alles andere<br />
<strong>als</strong> schön – und was Jahrzehnte lang<br />
verschwiegen worden war, kam in<br />
den 1990-er Jahren durch drei alte Da -<br />
men wieder an die Oberfläche. Laher<br />
unterhielt sich mit ihnen, privat, und<br />
dabei erzählten sie von den grauenvollen<br />
Geschehnissen in den beiden<br />
„Reichsgaulagern“ der nS-Zeit im Ort.<br />
Laher begann zu recherchieren. Da -<br />
von zeugt heute eine Erinne rungs stät -<br />
te im Ort – und sein Roman „Herz-<br />
fleischentartung“.<br />
Als er aus diesem Buch in Ottawa las,<br />
saß im Publikum ein Herr in seinen<br />
Achtzigern, der vor den nazis aus<br />
Wien geflüchtet war und eben seine<br />
Autobiographie veröffentlichte. man<br />
36 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
KULTUR • THEATER<br />
kam ins Gespräch – und Laher wurde<br />
der Übersetzer dieser Lebenserinne -<br />
run gen des Psychiaters Hans Rei chen -<br />
fels, vom Englischen ins Deutsche.<br />
Reichenfels wiederum hat inzwischen<br />
begonnen, seinen ersten Roman zu<br />
schreiben – in deutscher Sprache, der<br />
einen seiner Vorfahren zum Thema<br />
hat, der in den Zeiten Josephs ii. am<br />
Zustandekommen des narrenturms in<br />
Wien Anteil hatte. „Diese späte, auch<br />
sprachliche Rückkehr hat mich sehr be -<br />
rührt“, erzählt Laher.<br />
Den Lehrer Martin Krist wiederum, der<br />
sich seit Jahren in seinem Ge schichts -<br />
un terricht um das Vermitteln des Ho -<br />
lo caust und zeitgeschichtli cher Zu sam -<br />
menhänge bemüht, hat ein Kind heits -<br />
erlebnis geprägt. „Als ich in den 1960-er<br />
Jahren die Volksschule be such te, wurde ich<br />
<strong>als</strong> ‚braver‘ Schüler ne ben einen ‚schlimmen‘<br />
gesetzt. Dieser – Sti peck hieß er –<br />
wur de von allen ausgegrenzt. Das verstand<br />
ich bald nicht mehr, denn ich konnte<br />
mich gut mit ihm unterhalten. Doch dann<br />
war er plötzlich weg – er war dort, wo er<br />
‚hingehörte‘: in der Sonder schu le. Erst<br />
Jah re später verstand ich: Sti peck war Rom<br />
– das reichte zur Stig ma tisierung. Seit<br />
da m<strong>als</strong> lässt mich das The ma der Außen -<br />
seiter in der Gesell schaft nicht mehr los.“<br />
Die Theodor Kramer-Gesellschaft, die<br />
sich seit 25 Jahren der österreichischen<br />
Exil-Literatur widmet, will alle Bei trä -<br />
ge der Tagung in einem Jahr buch herausbringen.<br />
Darin werden dann auch<br />
die persönlichen Bezüge zu dem The -<br />
ma „Subjekt des Erin nerns?“ von u.a.<br />
Evelyn Adunka (Histori ke rin, Publi ka -<br />
tionen zur jüdischen Ge schich te und<br />
Literatur), Primavera Gruber (Grün-<br />
derin des „Klangforum Wien“ sowie<br />
des „Orpheus Trust“, der sich vertriebenen<br />
und vergessenen Künst lern wid -<br />
mete), Hans Haider (AHS-Leh rer und<br />
Gründer des Vereins „Er in nern“ in<br />
Villach), Doris Ingrisch (Do zentin für<br />
Zeitgeschichte), Marina Jamritsch (AHS-<br />
Lehrerin, Erinne rungs projekte in Her -<br />
magor), Bern hard Ku schey (His toriker,<br />
Studien zu Ernst und Hilde Fe dern,<br />
letz te Zeugen der Grün derge ne ration<br />
der Psycho ana ly se), Eleonore Lappin-<br />
Eppel (institut für jü di sche Geschichte<br />
Österreichs), Karl Müller (Germanist<br />
und Vorsitzender der Kramer-Gesell -<br />
schaft), Vladimir Vert lib (in Leningrad<br />
geborener Schrift steller) und David<br />
Vys soki (ärztlicher Leiter von ESRA)<br />
nachzulesen sein.<br />
www.theodorkramer.at<br />
Perfekter hätte das Stück für den Auf -<br />
takt nicht gewählt werden können. „ha<br />
makom“, „der Ort“, nennt sich die<br />
neu belebte Spielstätte mitten im Zwei -<br />
ten. Der Ort, das Haus, der Schau platz,<br />
spielen mit, spielen eine Rolle in „Rück-<br />
kehr nach Haifa/ Small Talk“ des is ra e -<br />
lischen Erfolgs autors ilan Hatsor, das<br />
im Theater nestroyhof Hamakom<br />
An fang no vem ber seine österreichische<br />
Erstauf führung erlebte. Eine Pre -<br />
miere nach so vielen Jahrzehnten für<br />
dieses Wie ner Jugendstil-Theater ju wel,<br />
das un zugänglich hinter einem Su per -<br />
markt verborgen war und erst 1997<br />
wieder entdeckt wurde.<br />
Seine Geschichte ist eine Wiener jü di -<br />
sche Geschichte. 1898 vom Wiener jü -<br />
dischen Architekten Oskar marmo rek<br />
geplant, bis in die Dreißiger Jahre ein<br />
kulturelles jüdisches Zentrum, u. a. hat<br />
Karl Kraus hier Wedekind inszeniert,<br />
schließlich Arisierung, eine zwei fel -<br />
haf te Restitution und Zweck ent frem -<br />
dung. Wach geküsst und in die Gegen -<br />
wart zurückgeholt vom neuen künstlerischen<br />
Leiter Frederic Lion, der die<br />
Tradition des Hauses für sein Pro -<br />
gramm nutzen und es mit Lesun gen,<br />
Ausstellungen und Konzerten auf die<br />
Wiener Kulturlandkarte setzen möch te.<br />
Der Geist der „Jüdischen Künstler -<br />
spie le“, die bis 1938 hier be hei matet<br />
waren, soll dabei mitge dacht werden.<br />
Architektonisch hat der zweigeschossige,<br />
durch eine Glasdecke licht durch -<br />
flutete Saal mit dem originalen Ge -<br />
län der jedenfalls mehr <strong>als</strong> Potenzial.<br />
Er hat eine Seele.<br />
Der Hausherr Frederic Lion hat diese<br />
Seele mit der Stückauswahl und seiner<br />
inszenierung erstm<strong>als</strong> zum Schwin -<br />
gen gebracht. Und die Richtung vor -<br />
ge zeichnet, in die das Theater gehen<br />
will. Die nicht ausschließlich jüdischen<br />
Themen wie Heimat, Exil und Besitz<br />
sollen hier einen Ort der künstleri -<br />
schen Auseinandersetzung finden.<br />
„Mein Haus ist Ihr Haus“ begrüßt der<br />
Gastgeber, ein israelischer Wissen -<br />
schaft ler, einen Professor aus Ameri ka,<br />
der zu Recherchezwecken nach Haifa<br />
gekommen ist. Die Wahrheit dieser<br />
höflichen Floskel ist, wie sich heraus -<br />
stellen wird, der Zündstoff dieses Zeitund<br />
Familiendramas, in dem es um<br />
ideal und Wirklichkeit, um Lügen und<br />
Schutzbehauptungen, um Generatio -<br />
nen konflikte und nicht zuletzt um den<br />
Konflikt zwischen israelis und Paläs -<br />
ti nensern geht.<br />
Mehr <strong>als</strong> ein<br />
Schauplatz<br />
Mit „Rückkehr nach Haifa/<br />
Small Talk“ eröffnete das<br />
Theater Nestroyhof Hama kom<br />
VON ANITA POLLAK<br />
Liberal und engagiert in der Frie dens -<br />
bewegung lebt das intellektuelle Ehe -<br />
paar moris und Amalia mit zwei er -<br />
wachsenen Kindern in seinem stilvoll<br />
renovierten alten Haus in Haifa. Poli -<br />
tisch ist man links, was schon der ironische<br />
Titel „Small Talk“ - small heißt<br />
hebräisch links- <strong>als</strong>o eigentlich „Links-<br />
geschwätz“, andeutet. Professor Abli ni<br />
aus Yale wurde aus nicht ganz un ei -<br />
gen nützigen Gründen eingeladen, er<br />
soll indirekt die ins Stocken geratene<br />
Karriere des Gastgebers befördern und<br />
könnte auch für ein Projekt der ehr gei -<br />
zigen Ehefrau wichtig werden. Dass<br />
mit Ablini ein Palästinenser auf der Su -<br />
che nach seinen Wurzeln und konkret<br />
nach seinem Geburtsort quasi <strong>als</strong> trojanisches<br />
Pferd ins Haus gekommen<br />
ist, lässt bald die Diskrepanz zwischen<br />
ideologischer Theorie und gelebter Re -<br />
alität aufbrechen und bringt auch sonst<br />
ziemlich viel Wirbel ins Fami li en le ben,<br />
das stellenweise in ein Ehe dra ma à la<br />
„Wer hat Angst vor Vir gi nia Woolf“<br />
eskaliert.<br />
Fragen nach legitimen Ansprüchen auf<br />
verlorenen Familienbesitz finden gera -<br />
de in diesem einst arisierten The ater -<br />
raum ein fast gespenstisches Echo.<br />
Erst wenn alle enteigneten Häuser und<br />
Besitztümer dieser Welt wieder ihren<br />
rechtmäßigen Besitzern zurückgege -<br />
ben würden, das Haus ihrer mut ter in<br />
Warschau, die Villa ihres Vaters in Bag -<br />
dad, dann wäre auch sie bereit, dieses<br />
Haus, in dem sie nun wohnten, her -<br />
zugeben, meint Amalia.<br />
Die eher altmodische, aber durchaus<br />
stimmige inszenierung des aktuellen<br />
Thesenstücks setzt zu recht auf Hu mor<br />
und Satire und lässt das Ensemble<br />
(Doi na Weber, Fritz Hammel, Eduard<br />
Wild ner und Anwar Kashlan) seine Qua -<br />
litäten voll ausspielen. Einige szenische<br />
Straffungen hätten dem keinen<br />
Abbruch getan. Ein guter Anfang. mit<br />
etwas mehr mut könnte es noch besser<br />
werden.<br />
www.hamakom.at<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 37
Mélange Oriental<br />
Erich Oskar Hütter<br />
im Gespräch mit<br />
MARCUS G. PATKA<br />
Herr Hütter, Sie landen jedes Jahr bis zu<br />
fünfmal auf Ben Gurion Airport – wie<br />
kam es dazu?<br />
im Oktober 2003 nahm ich die Ein la -<br />
dung von Daniel Barenboim an, im<br />
Rahmen seines Projekts in Ramallah<br />
mit zuwirken, was ich dann zwei Jah re<br />
lang gemacht habe. mir war es wichtig,<br />
aus Österreich raus zu kommen,<br />
andere Kulturen und Gesellschaften<br />
kennenzulernen und nicht nur wie ein<br />
Tourist auf ein paar Tage zu bleiben,<br />
sondern mich wirklich auf das neue<br />
einzulassen. Auch will ich keinen fi -<br />
xen Job, sondern lieber in andere mu -<br />
sik kulturen eintauchen und junge Ta -<br />
lenten fördern, vor allem die musik in<br />
menschen wecken, wo dies bislang<br />
kaum statt findet, eine Art musikalische<br />
Entwicklungszusammenarbeit<br />
gestalten. Diese zwei Jahre waren<br />
zugleich eine ziemlich heiße Phase im<br />
nahost-Konflikt, ich habe den mau -<br />
er bau, den Hamas-Umsturz und den<br />
Tod Arafats hautnah miterlebt.<br />
KULTUR • MUSIK<br />
Wie haben sich die ersten Begegnungen<br />
in Ramallah gestaltet?<br />
Oh, schon am ersten Tag fielen etliche<br />
menschen über mich her um mich aus -<br />
zufragen, was ich hier wolle und ma -<br />
che, vor allem aber, um mir ihre Lei -<br />
densgeschichten zu erzählen. Aber das<br />
habe ich auch auf israelischer Seite<br />
erlebt – wenn auch in ganz anderer<br />
Form. Gleichzeitig blieben mir die<br />
menschen in Ramallah lange Zeit in -<br />
nerlich verschlossen, es war so eine mi -<br />
schung aus neugier und mißtrau en.<br />
Da habe ich verstanden, dass es nicht<br />
genügt, einfach mit guten Vorsätzen<br />
irgendwo hin zu gehen, um den „ar-<br />
men Kindern“ zu helfen. Erst nachdem<br />
ich sehr tief in ihre Kultur, ihre<br />
Sprache und ihre Alltagsprobleme<br />
eingetaucht war, hat sich ihr Zugang<br />
zu mir langsam verändert. man darf<br />
sich auch keine großartige Dank bar -<br />
keit erwarten, im Gegenteil, immer<br />
wie der wurden Wünsche an mich<br />
herangetragen, weil ich für sie natürlich<br />
ein Privilegierter war, der in eine<br />
andere Welt zurück kehren konnte.<br />
Danach folgte bald das erste „Sounding<br />
Jerusalem“-Festival.<br />
Ja, da kam uns 2006 die österreichische<br />
EU-Präsidentschaft zu Hilfe, die den<br />
Auf takt finanzierte. Etliche Diplomaten<br />
haben rasch erkannt, dass man bei<br />
einem Konzert viel unbeschwerter in<br />
Kontakt mit lokalen Würdenträgern<br />
kommt, <strong>als</strong> bei den üblichen Empfän -<br />
gen. Darüber hinaus sind wir eine Vi -<br />
si tenkarte europäischer Kultur ge wor -<br />
den und haben verschiedenste men -<br />
schen in einen Konzertsaal gebracht,<br />
die sich nicht an einen Tisch setzen<br />
würden.<br />
ich hatte über die Jahre Kontakte zu<br />
zahlreichen musikern auf beiden Sei -<br />
ten aufgebaut, denn ohne dieses Ver -<br />
trauen auf persönlicher Basis geht gar<br />
nichts. Dann kam das hinreißende<br />
Angebot von markus Bugnyar, dem<br />
Rektor des Österreichischen Hospizes<br />
in Jerusalem, der schon davor eine<br />
ähn liche idee zu einem Kammer mu -<br />
sik-Festival hatte. Alle musiker wohnen<br />
im Hospiz und werden auch dort<br />
verköstigt, ohne dieses einmalige<br />
Spon soring wäre das alles nicht möglich.<br />
Zudem findet sich dort ein Kon -<br />
zertsaal und auch zu den anderen Gäs -<br />
ten des Hospizes ergeben sich immer<br />
wieder interessante Kontakte.<br />
Weitere Konzertbühnen befinden sich<br />
in West- und Ost-Jerusalem, in Ein<br />
Kerem, Abu Gosh, mitunter spielen<br />
wir auch in nablus, Jericho und sogar<br />
in kleinen Dörfern. Den Höhepunkt<br />
bildet jedes Jahr das „Konzert auf den<br />
Dächern“ der Altstadt Jerusalmes: da<br />
sitzen musiker und Publikum auf Kir -<br />
chen, dem Hospiz und Wohnhäusern;<br />
Juden, moslems und Christen, jeder<br />
auf seinem Hausdach – und die mu sik<br />
wird vom einem zum anderen weitergegeben.<br />
Was ist die Idee hinter dem Festival?<br />
Unser primäres Anliegen ist es, niemanden<br />
auszuschließen. Wir sind we -<br />
der ein israelisches noch ein palästinensisches<br />
Festival. Aber das ist nur<br />
schwer in die Köpfe der menschen hi -<br />
nein zu kriegen, weil es so etwas vor<br />
Ort nicht gibt. man ist immer Ent we -<br />
der–Oder. Es gibt nur sehr wenige<br />
men schen in Jerusalem, die mit ei nem<br />
Bus nach Tel Aviv und mit einem ganz<br />
anderen nach Ramallah fahren. Daher<br />
wird man auch von beiden Seiten mißtrauisch<br />
beäugt. Vielfach wurde ver -<br />
sucht, uns zu vereinnahmen, aber wir<br />
lassen uns weder vor den einen noch<br />
vor den anderen politischen Karren<br />
spannen.<br />
Wie ich gehört habe, gab es auch diesen<br />
Sommer etliche heikle Situationen.<br />
Ja, wir mussten das Konzert in Ra mal -<br />
lah absagen, weil man uns vorwarf, im<br />
Sinne der „normalisation“ zu arbeiten<br />
– mit diesem Schlagwort wird neuerdings<br />
operiert. Es war ein langes Hin<br />
und Her, weil die Clans sich nicht eini -<br />
gen konnten, wir haben sogar Dro -<br />
hun gen erhalten. Daraufhin bin ich an<br />
diesem Tag dann an den Strand von<br />
Tel Aviv gefahren. Drei Tage danach<br />
gab es dann eine Fast-Absage in Ein<br />
Ke rem, weil im Vorfeld eine palästinensische<br />
Besucherin vom israelischen Ver -<br />
anstalter für den Fall ihres Kommens<br />
bedroht wurde. Daraufhin wurde der<br />
Standort des Konzertes auf eine andere<br />
Spielfläche 150 meter weiter oben am<br />
Hügel verlegt und es kamen zahlreiche<br />
Besucher aus beiden Teilen Jeru -<br />
sa lems. im Endeffekt war es das stimmungsvollste<br />
und athmosphärisch ge -<br />
lungenste Konzert in diesem Jahr.<br />
Ein ganz anderer Fall war das Kon zert<br />
in Gaza außerhalb des Festiv<strong>als</strong> im<br />
Jahr 2008, für das wir vielfach kritisiert<br />
wurden. niemand will einbekennen,<br />
dass wir mit unserer musik allen men -<br />
38 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
schen den Spiegel vorhalten, damit sie<br />
abseits der alltäglichen Raserei auch<br />
einmal zur Besinnung kommen. in Ga -<br />
za wurden wir viel freundlicher be -<br />
grüßt, <strong>als</strong> in der West-Bank, wo man<br />
sich an die Westler schon gewöhnt hat.<br />
in Gaza stießen wir auf viel weniger<br />
Vorurteile und teilweise auch große<br />
naivität, was die menschen natürlich<br />
auch manipulierbar macht. Da waren<br />
zwei verschleierte mädchen im Pu bli -<br />
kum, die drei Tage lang am Grenz -<br />
übergang hängen geblieben und dann<br />
direkt zum Konzert gekommen wa ren<br />
– für die war das ein starkes Zeichen<br />
der Hoffnung. Wir musiker waren<br />
danach bei einem sehr reichen mann<br />
in einer Art „Ghetto im Ghetto“ mit<br />
Swimming-Pool, vielen Autos und ei -<br />
ner hohen mauer rundherum eingeladen<br />
– es war reichlich absurd. man<br />
kann sich dort nicht positionieren, son -<br />
dern nur von allen Seiten Respekt,<br />
menschlichkeit und kritisches Den ken<br />
einfordern und die von menschen<br />
gesetzten Grenzen in Frage stellen.<br />
Was ist für nächstes Jahr geplant?<br />
„Sounding Jerusalem“ gibt es wieder<br />
im Juni/Juli 2010 und wir wollen verstärkt<br />
in den öffentlichen Raum vordringen,<br />
dabei eventuell auch eine kol -<br />
lektive Percussion-Session auf den Dä -<br />
chern der Altstadt organisieren. Auch<br />
suchen wir weiterhin die menschen<br />
einander näher bringen.<br />
Was erwartet uns beim Konzert im<br />
Jüdischen Museum am 10. Dezember?<br />
Unser neues Programm „mélange<br />
Oriental“ erlebt hier sozusagen seine<br />
Weltpremiere. Die vier Viertel der Alt -<br />
stadt von Jerusalem werden musikalisch<br />
vorgestellt, wobei wir von den<br />
stilistischen Ähnlichkeiten zwischen<br />
jüdischer, arabischer und armenischer<br />
musik verblüfft waren. Wir spielen<br />
Volkslieder, aber auch Vertonungen<br />
jü discher Gebete und mittelalterliche<br />
Psalmen der Kreuzritter. Hinzu kommen<br />
Einspielung von Klängen vor Ort:<br />
der muezzin, armenische mönche,<br />
das Stimmengewirr vor der Klagemau<br />
er – darüber improvisieren wir<br />
dann. Auch die musiker sind sehr<br />
unterschiedlich: der weithin bekannte<br />
Ud-Spieler Taiseer Elias ist ein christlicher<br />
Araber aus der Gegend von na -<br />
za reth, der an der Jerusalem Aca de -<br />
my unterrichtet; unser Bassist Ahmed<br />
Eid stammt aus Ramallah und studiert<br />
KULTUR • MUSIK<br />
derzeit in Köln, der multi in stru men -<br />
ta list Stefan Heckel kommt von der<br />
freien improvisation und ich von der<br />
Klassik. Die Tournee geht weiter nach<br />
Graz, Prag und London und eine CD<br />
davon wird auch produziert.<br />
Erich Oskar Huetter, Violoncello<br />
www.erichoskarhuetter.com<br />
www.soundingjerusalem.com<br />
Geboren 1973 in Graz (Österreich). Solis -<br />
ti sche Auftritte unter Daniel Baren boim<br />
so wie vielen Orchestern. Einla dun gen <strong>als</strong><br />
Solist zu renommierten Festiv<strong>als</strong> und<br />
Konzerten.<br />
• Seit 2004 Leitung der Cello-Klasse Da ni el<br />
Barenboims Musikprojekts in Ramal lah.<br />
• Meisterkurse in Stift Admont, Zypern, Is ra -<br />
el, China, Singapur und den USA. Mit glied<br />
des Arcus Ensembles Wien und Hype rion<br />
En sem bles. Kammermusik part ner in Re zi -<br />
t<strong>als</strong> ist der Pianist Paul Gulda.<br />
• Juni 2006 Gründung und Leitung des in -<br />
ter kulturellen Kammermusikprojekts „Soun-<br />
ding Jerusalem.<br />
• 11. September 2006: Urauf führ ung eines<br />
Werkes von Philipp Glass bei den 9/11 Ge -<br />
denkfeiern im UNO Haupt quartier in NY.<br />
• Gründer und künstlerischer Leiter des<br />
Stei rischen Kammermusikfestiv<strong>als</strong>.<br />
JÜDISCHES MUSEUM WIEN<br />
10.12. <strong>2009</strong>, 20.00 uhr<br />
Mélange Oriental<br />
Die vier Viertel und Traditionen der Alt -<br />
stadt von Jerusalem (Jüdisch, Christlich,<br />
Arme nisch, Muslimisch) werden auf mu -<br />
si ka li sche Weise durchwandert und mit<br />
vor Ort aufgenommenen Klangeinspie lun -<br />
gen sowie fotografischen Impressionen<br />
ver knüpft. Im Pro gramm befinden sich a -<br />
r menische Volks lie der, jüdisch-rituelle<br />
Mu sik, Musik aus der Zeit der Kreuzzüge<br />
und Stücke aus der arabischen Tradition.<br />
Taiseer Elias (Ud, Israel): Preisträger des<br />
is ra elischen Kulturminis te riums 2008, Pro -<br />
fes sor an der Jerusalem Mu sic Academy<br />
sowie an der Bar Ilan University<br />
Ahmed Eid: (Kontrabass, Ramallah)Hoch -<br />
ta len tierter Nachwuchskünstler aus den pa -<br />
lästinensischen Gebieten. Studiert momentan<br />
an der Musikhochschule Köln Jazz.<br />
Erich Oskar Huetter (Violoncello, Wien/<br />
Graz): Als Solist und Mitglied von Kam -<br />
mer mu sik ensembles regelmäßig auf den<br />
wichtigsten Bühnen der Welt zu Gast.<br />
Stefan Heckel (Akkordeon und Sounds,<br />
Wien/Graz): Improvisationskünstler, der das<br />
Spiel mit Genre und Stil liebt. Mitglied meh -<br />
rerer Ensembles, die sich auf Musik aus dem<br />
osteuropäischen Raum konzentrieren.<br />
Christian Jungwirth (Foto, Graz): Einer der<br />
arriviertesten Fotokünstler der heimischen<br />
und internationalen Szene.<br />
AUSZEICHNUNGEN<br />
Bun des eh renzeichen <strong>2009</strong> für Willi<br />
Mernyi. Willi Mernyi hat sich seit seiner<br />
frühesten Jugend gegen Rechts ex tre mis -<br />
mus engagiert und ist seit 2000 ehrenamtlicher<br />
Vorsitzender des Maut hau sen<br />
Komitee Österreich.<br />
Großes Ehren zei -<br />
chen für Eric<br />
Pleskow.<br />
1924 in Wien in<br />
eine jüdische<br />
Kauf manns fa mi lie<br />
geboren, muss te<br />
Pleskow, wie so<br />
viele andere, vor den Nazis flüchten und<br />
emigrierte mit sei ner Familie in die<br />
USA. Nach dem Krieg wurde er mit dem<br />
Wiederaufbau der Bavaria Studios be auf -<br />
tragt und blieb auch danach dem Film<br />
treu. In seiner Zeit <strong>als</strong> Präsident von Uni -<br />
ted Artists (ab 1973) erhielt dieses Stu dio<br />
Oskars für mehrere Filme, darunter für<br />
Milos Formans "Einer flog über das Ku -<br />
ckucks nest". 1978 gründete Pleskow Ori on<br />
Pictures, die u.a. den Film "Amadeus"<br />
produzierten. Ab 1998 Präsident der<br />
Viennale, wurde Pleskow 2007 Ehren -<br />
bürger von Wien.<br />
Andreas Maislinger wurde<br />
für sein Le bens werk vom Los<br />
An geles Holocaust-Mu seum<br />
aus gezeichnet.<br />
Der in St. Georgen bei Salz -<br />
burg geborene Mais lin ger<br />
gründete 1992 den Verein<br />
„Ge denk dienst“ und 1998 den Verein<br />
„Österreichischer Auslandsdienst“, dessen<br />
am tie render Vorsitzender er zu gleich<br />
ist. Der 54-jährige Politologe ist Ver fas ser<br />
zahlreicher zeitgeschichtlicher Pu bli ka -<br />
tio nen und Seminarleiter, wie etwa der<br />
Brau nau er Zeitgeschichte-Tage in Ober -<br />
öster reich.<br />
Theodore<br />
Bikel wur -<br />
de von Na -<br />
tio nal rats -<br />
prä si den tin<br />
Pram mer<br />
mit dem<br />
Eh ren kreuz für Wiss enschaft und Kunst in<br />
New York geehrt.<br />
Exil-Forscher Konstantin Kaiser erhielt<br />
im Wiener Rathaus das „Goldene Ver -<br />
dienstzeichen des Landes Wien“.<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 39
KULTUR • ISRAELISCHE AUTOREN<br />
Einmal<br />
Jenseits<br />
und retour<br />
Yoram Kaniuks<br />
autobiographischer<br />
Roman „Zwischen<br />
Leben und Tod“<br />
VON ANITA POLLAK<br />
Kein Tunnel, keine Lichter und das Le -<br />
ben zieht nicht an einem vorbei. Alles<br />
Unsinn, Mist, was da so erzählt wird<br />
vom Sterben, sagt einer, der es besser<br />
weiß. Rund drei Wochen war Yoram<br />
Kaniuk drüben, tot, am Ende, und er<br />
berichtet: Dort ist nichts. Und dann<br />
folg ten vier monate Halbschlaf, in de -<br />
nen er langsam ins Leben zurückkehrte.<br />
Eine Rückkehr, um die er nicht ge -<br />
beten hatte, denn Dort war Watte, hier<br />
ist Leid. Von Leben und Tod im wahrsten<br />
Wortsinn und von dem, was da -<br />
zwischen liegt, erzählt Yoram Ka ni uk.<br />
Einen autobiographischen Roman<br />
nennt er seinen Erfahrungsbericht,<br />
dem wir ihm nur staunend folgen<br />
können.<br />
74 war der israelische Autor, <strong>als</strong> er<br />
nach zwei Darmkrebsoperationen mit<br />
unerwarteten Komplikationen ins<br />
Koma fiel und quasi klinisch tot war.<br />
in seinem wochenlangen Erwachen in<br />
einem Tel-Aviver Krankenhaus hal lu -<br />
zi niert er, phantasiert er, erinnert sich.<br />
Die Rückkehr vom Tod war vielleicht die<br />
eindringlichste Erfahrung, die ich je ge -<br />
macht habe. Schade, dass mir all das so<br />
spät im Leben passiert ist. Ein Satz, der<br />
die Tonart anschlägt, in der da von den<br />
so genannten letzten Dingen gesprochen<br />
wird. Ohne Pathos, ohne Kli -<br />
schees, ohne Selbstmitleid, ohne Ta bus.<br />
nüchtern und sogar mit makabrem<br />
Humor und Selbstironie erzählt Ka ni -<br />
uk von sich und seinem alten, kranken<br />
Körper, seinem Krebs, der ja schließ -<br />
lich ein Teil von ihm war. muss er be -<br />
graben werden und wo? Eine der Fra -<br />
gen, die der Autor zu einer ebenso<br />
kun digen wie bizarren Auseinan der -<br />
set zung mit religiösen Vorschriften<br />
benützt. Religiös ist er aber keineswegs,<br />
plädiert wiederholt für die Feu -<br />
erbestattung, schon aus Platzgründen<br />
im kleinen israel, und wünscht sich,<br />
dass seine Ehefrau miranda neben ihm<br />
beigesetzt werde, obwohl sie kei ne<br />
Jüdin ist. miranda, die all die Wochen<br />
an seinem Spit<strong>als</strong>bett saß, nach all den<br />
Jahren, in denen er ein Scheißvater und<br />
ein Scheißehemann war, wie er rückblickend<br />
resümiert. Und so ist dieses<br />
Buch auch eine Liebeserklärung an<br />
die se Gefährtin, an ihre Schönheit und<br />
an ihre Leidensfähigkeit.<br />
Eine Liebeser klärung mit Ein schrän -<br />
kun gen ist es auch an sein Land, für<br />
das er 1948 kämpfte, verwundet wur -<br />
de und dabei <strong>als</strong> 18-jähriger das erste<br />
mal mit dem Tod konfrontiert war.<br />
Seine Freunde fielen neben ihm, er<br />
überlebte und wusste nicht, warum.<br />
Und er erinnert sich an all die Toten<br />
sei nes Lebens, die Verwandten, Leh -<br />
rer und nachbarn, die seltsamen<br />
Käuze seiner Kindheit, ein Panopti -<br />
kum von liebenswerten jüdischen<br />
Originalen. Wie in vielen israelischen<br />
Büchern seiner Generation ist dieser<br />
wehmütige Rückblick letztlich auch<br />
ein Abgesang, eine Art Kaddisch auf<br />
die Gründer, die Pioniere, auf ihre<br />
Hoffnungen, ihre Kämpfe und ihre<br />
Lieder. Eine Todeskrankheit ist vom Him -<br />
mel heruntergefallen und hat die meis ten,<br />
die ich gekannt habe, verschlungen.<br />
Das Überleben und das Leben und<br />
das Warum - die Sinnfrage schlechthin<br />
stellt und beantwortet Kaniuk<br />
nihilistisch und leidenschaftslos. Das<br />
nichts des Todes beendet für ihn die<br />
Sinnlosigkeit des Lebens. Bilanz zieht<br />
er über seine Jahre <strong>als</strong> Künstler, <strong>als</strong> ma -<br />
ler und Schriftsteller und diese Bilanz<br />
fällt erschreckend schonungslos und<br />
40 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
KULTUR • ISRAELISCHE AUTOREN<br />
hart aus. ist es Koketterie, wenn er sich<br />
<strong>als</strong> Scheiternder darstellt, ist es Ge -<br />
kränktheit, weil er so lange gerade in<br />
is rael um Anerkennung kämpfen<br />
muss te? das Buch ist ganz schön, sogar<br />
interessant, etwas deprimierend, schade,<br />
dass er sich nicht kürzer gefasst hat, es ist<br />
ein schlechtes Buch, ein wüster Schrift -<br />
steller …, nimmt er vorauseilend ein<br />
mög liches Urteil seiner Kritiker vorweg.<br />
nach soviel nichts muss etwas kommen.<br />
Und es kommt. Ungerufen<br />
kommt das Leben zurück und mit ihm<br />
kommt Schimon, sein groß gewachsener,<br />
starker, pünktlicher, einsamer<br />
und schweigsamer Begleiter, dessen<br />
Aufgabe es einzig und allein ist, mit<br />
dem wackeligen alten mann spazieren<br />
zu gehen. Schimon, man entnimmt<br />
es jedem Satz dieser wunderbaren<br />
Cha rakterstudie, ist Yoram Kaniuks<br />
letzte Liebe. Kein Plauderer und kein<br />
Leser, aber Menschen liest er mit der Ver -<br />
nunft eines Mannes, der nie das Bedürf nis<br />
verspürt hat, Bücher zu lesen. Jeden mor -<br />
gen geht das seltsame Paar seine Wege<br />
durch Tel-Aviv und über den Roth -<br />
schild-Boulevard und da wird noch<br />
eine Liebe spürbar. Die zur Stadt und<br />
zur Geschichte ihrer menschen, die<br />
sich auch in den Bauwerken spiegelt.<br />
Ein erlesener literarischer Stadtführer<br />
zum Abschied, den Kaniuk mit diesem<br />
Buch doch sehr deutlich nimmt.<br />
Yoram Kaniuk<br />
„Zwischen Leben und Tod“.<br />
Ein autobiographischer Roman.<br />
Deutsch von Ruth Achlama<br />
Claassen Verlag<br />
ZUM AUTOR<br />
Geboren 1930 in Tel-Aviv <strong>als</strong> Sohn des<br />
ersten Direktors des Tel-Aviv-Mu se -<br />
ums und einer Lehrerin, verließ Yo -<br />
ram Kaniuk mit 17 das Gymnasium,<br />
um unter Jizchak Rabin Palmach -<br />
kämpfer zu werden. Nachdem er 1948<br />
im Un ab hängigkeitskrieg verwundet<br />
wurde, ging er für zehn Jahre <strong>als</strong> Ma -<br />
ler nach New York, wo er seine Frau<br />
Miranda ken nen lernte. 1961 kehrte er<br />
<strong>als</strong> Schrift steller zurück und veröffentlichte<br />
seit her 16 Romane un ter ihnen<br />
„Adam Hun desohn“, Kurz ge schich -<br />
ten und Kinderbücher. Erst nachdem<br />
er längst international anerkannt war,<br />
nahm ihn auch Israel zur Kenntnis.<br />
Heute zählt er zu den be deutendsten<br />
Gegen wartsautoren des Landes.<br />
Überall & Nirgendwo<br />
P. Weinberger<br />
Das älteste jüdische Grab<br />
in New York (1708)<br />
Um new York kennen zu<br />
lernen genügt es nicht,<br />
einmal mit dem Schiff, mit<br />
der „Circle Line“, rund um<br />
man hattan zu fahren und<br />
gelegentlich in "Ahs" und<br />
"Ohs" auszubre chen, sich<br />
Blasen auf den Füßen vom<br />
He rum laufen in mid town<br />
zu holen, oder in das me -<br />
tro politan museum zugehen.<br />
man sollte zumindest<br />
einen halben Tag in der U-<br />
Bahn verbringen, z.B. eine<br />
Fahrt mit der Linie A, von<br />
der nordspitze manhattans bis an die At lantikküste von<br />
Brooklyn, unternehmen. Fahrzeit etwa zwei Stunden.<br />
Dann bekommt man zumindest einen op tischen Ein druck<br />
von der sozialen Schichtung in dieser Stadt. „Hispanos“<br />
steigen aus, „Afroamerikaner“ ein und wieder aus, da -<br />
nach gibt es Russen, zum Schluss überwiegt die „weiße<br />
mittelklasse“, man sieht vorwiegend „Ang los“.<br />
man kann auch, um ein ganz bestimmtes new York zu er -<br />
kunden, einen Ausflug auf die Roosevelt insel (mit der U-<br />
Bahn) unternehmen, um junge jüdische Familien, jeweils<br />
mit einem halben Dutzend kleinen Kindern, die männer<br />
mit seidenen Kaftans, Kniehosen und weißen Strümpfen<br />
angetan, zu sehen, die an nachmittagen die insel in Scha -<br />
ren besuchen. Den Ausflug kann man sich im Grunde<br />
genommen aber genauso gut ersparen, indem man sich<br />
das jeweilige nachbarschaftsverzeichnis anschaut. nimmt<br />
man sich z.B. das von Washington Heights, von einem<br />
Vier tel, das nicht <strong>als</strong> vorwiegend von Juden bewohnt gilt,<br />
dann gibt es dort immerhin neun orthodoxe Ge mein den<br />
und eine Reformgemeinde. Ob die orthodoxen Gemein den<br />
untereinander reden ist nicht bekannt. natürlich kann man<br />
auch historischen Spuren jüdischer Einwanderung nach -<br />
gehen und einen kurzen Blick durch einen eisernen Zaun<br />
auf das älteste jüdische Grab in new York (1708) werfen.<br />
Seit Joseph Hellers Romanen ist es wohlbekannt, dass so<br />
manche new Yorker Chinesen Jiddisch sprechen oder zu -<br />
mindest bestens verstehen. Selbst neu eingewanderten<br />
Pu ertorikanern werden rasch mit Ausdrücken wie „Toas-<br />
ted Challe“ konfrontiert, auch wenn sie manches mal<br />
nicht unbedingt wissen, was damit gemeint ist. manche,<br />
scheint es, haben allerdings „Spilkes in Toches“, so eilig<br />
sind sie unterwegs.<br />
Wer glaubt, sich in dieser Stadt in einem der hoch ent wi -<br />
c kelten industrieländer zu befinden, in einer der großen<br />
metropolen der Ersten Welt, dem sei dringend geraten,<br />
eine Fahrt mit dem Bus über die George Washington<br />
Bridge zu unternehmen. Ähnlichkeiten mit Busfahrten<br />
irgendwo in Lima oder Bogota drängen sich einem auf.<br />
Alle reden in voller Lautstärke, auf Spanisch natürlich, der<br />
Busfahrer mit eingeschlossen. Der Komfort im Bus steht<br />
übrigens dem in einem Bus in tiefsten Latein ame ri ka nicht<br />
im geringsten nach: alt, schäbig und dreckig, wie halt so<br />
manche U-Bahnstation. Das sollte man auf keinen Fall ver -<br />
gessen, wenn man, wie die meisten Besucher von new<br />
York, lediglich in midtown die gigantischen Glasfassa den<br />
der Hochhäuser oder die gusseisernen Fassaden in Lo -<br />
wer manhattan bewundert.<br />
Allerdings, um in die innerste Bewußtseinssphäre dieser<br />
Stadt vorzudringen muss man mit Leuten reden, mit ehe -<br />
maligen immigranten oder deren nachkommen etwa,<br />
oder schlicht und einfach mit mitfahrende in der U-Bahn,<br />
im Bus oder im Aufzug. Wenn dann etwa im november<br />
die Frage nach dem Datum von Erev Thanksgiving ge stellt<br />
wird, ja, dann beginnt man langsam die Sprach schi -<br />
zophrenie dieser Stadt zu begreifen: sie ist eben „nFT“<br />
(not For Tourists), so, wie hier der Stadtplan für Ein ge -<br />
weihte tatsächlich heißt.<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 41
KULTUR • KULTUR • SPORT<br />
Ankick für die Vorbereitungen<br />
zu den Makkabi Spielen 2011/Teil 2<br />
www.emg2011.eu/mission.html<br />
Eineinhalb Jahre vor dem Startschuss zu<br />
den 13. Europäischen Makkabi Spielen<br />
wird hinter den Kulissen bereits eifrig<br />
vorbereitet, organisiert, getüftelt. 2.000<br />
jüdische Sportler werden im Juli 2011 in<br />
Wien erwartet. Unterbringung, Verpfle -<br />
gung, zeitliche Koordination der Wett -<br />
kämpfe: alles muss perfekt funktionieren.<br />
„Die Gemeinde“ stellt Ihnen in dieser<br />
Ausgabe die weiteren Mitglieder des<br />
Organisationskomitees für die Spiele vor.<br />
Die erste Hälfte des ehrenamtlich arbeitenden<br />
Gremiums wurde bereits im<br />
Oktober-Magazin präsentiert.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
stellvertretender<br />
Vor sitzender des Or -<br />
ganisationsko mi tees<br />
ist Peter Teich ner. Er<br />
ist auch einer der<br />
Ge schäftsführer der<br />
für die 13. Euro pä -<br />
ischen makkabi<br />
Spie le ge gründeten<br />
g e m e i n n ü t z i g e n<br />
GmbH EmG2011. Seine Aufgaben<br />
innerhalb des Ko mi tees: Verhand lun -<br />
gen mit Behörden, Koor di nierung<br />
und Ent schei dungen über Anmie tun -<br />
gen, Ver gaben und Auf trä ge gemeinsam<br />
mit dem Ko mi tee-Vor sitzenden<br />
Oskar Deutsch. Als dabei zu bewältigende<br />
He rausfor de rung be zeichnet<br />
Teich ner „eine ordentliche und sehr effiziente<br />
Koordination zu etablieren, damit<br />
die Spiele reibungslos abgewickelt werden<br />
können und zum Erfolg führen“.<br />
Und so freut er sich auch vor allem auf<br />
das Ende der Spiele, „wenn alles reibungslos<br />
und erfolgreich beendet ist und<br />
alle zufrieden sind“. Sich hier zu engagieren,<br />
sieht er <strong>als</strong> Selbstverständ lich -<br />
keit. „Ich bin seit 50 Jahren in der jüdischen<br />
Sportbewegung tätig und bin überzeugt,<br />
dass diese Spiele für die Sportbe we gung<br />
in Österreich sehr wichtige Impulse ge ben<br />
werden.“ Deshalb sei es nötig, „in ner halb<br />
des Organisa tions ko mitees Aufga ben zu<br />
übernehmen“.<br />
Wichtig seien die Spiele aber auch für<br />
die jüdische Gemeinde. „Der Großteil<br />
der Gemeinde sollte mobilisiert werden, um<br />
mit uns diese einzigartige Chance wahrzunehmen,<br />
um der nichtjüdischen und jü -<br />
di schen Bevölkerung Österreichs zu zeigen,<br />
dass der jüdische Sport existiert.“<br />
Teichner (geb. 1943 in Budapest) ist seit jungen<br />
Jahren <strong>als</strong> selbstständiger Kauf mann tä -<br />
tig. Er übernahm zu nächst die Klei derer zeu -<br />
gung des Va ters, be trieb später einen Textil-<br />
Im port-Export Fernost und ist nun seit mittlerweile<br />
zehn Jahren In ha ber der Te le fon ge sel l -<br />
schaft TCN Be triebs ges mbH in Wien. Acht<br />
Jahre lang saß er im Kul tus vor stand der IKG,<br />
ist heute Bei rats vor sitzender des Hakoah<br />
Sport zen trums und im Maimonides zen trum.<br />
Teichner ist selbst seit seiner Jugend in der<br />
Ha koah aktiv, und zwar in den Sport arten<br />
Schwim men und Wasser ball sowie Tennis<br />
(Gründer der Sek tion sowie fünf Jahre lang ihr<br />
Leiter). Der Hakoah-Vize prä sident nahm zwei<br />
Mal <strong>als</strong> aktiver Schwim mer an der Mak kabia de<br />
in Is rael teil und war vier Mal Head of Dele ga -<br />
tion bei den Eu ro päischen Makkabi Spie len<br />
in Am ster dam, Glasgow, Antwerpen und Rom.<br />
Für die unter brin gung<br />
der an die 2.000 Sport -<br />
ler, die zu den 13. Euro -<br />
päi schen mak kabi Spie -<br />
len in Wien er wartet<br />
werden, ist Leon Widec ki verantwortlich.<br />
mit viel Ver hand lungs ge schick<br />
will er dabei in den Ge sprächen mit<br />
den Hotels „optimale Kon ditio nen<br />
herausholen“. Eine He raus forde rung<br />
werde es sein, die De le gationen und<br />
Teams auf die zu Ver fügung stehenden<br />
Hotels aufzuteilen.<br />
Die makkabi Spielen seien ohne den<br />
Beitrag ehrenamtlicher Helfer nicht<br />
zu bewerkstelligen, ist Widecki überzeugt.<br />
„Dieser Verantwortung möchte<br />
ich mich stellen und dazu beitragen, die<br />
Spiele in Wien zu einem erfolgreichen und<br />
für alle Beteiligten unvergesslichen Event<br />
zu machen.“ Er freut sich übrigens so -<br />
wohl auf die Eröffnungs- <strong>als</strong> auch die<br />
Abschlussveranstaltung. „Die Er öff -<br />
nung wird bestimmt spektakulär und sehr<br />
emotional.“ Und auf den Schluss event<br />
freut Widecki sich, „weil dann hoffentlich<br />
alles perfekt geklappt haben wird und<br />
alle zufrieden Bilanz ziehen werden“.<br />
Widecki (geb. 1956 in Warschau) studierte<br />
nach der Matura in Wien Volks wirtschaft. Be -<br />
ruflich zunächst bei der Security der Flug li nie<br />
El-Al tätig, später in den Bereichen Marke ting<br />
und Wer bung beziehungsweise Immo bil i en.<br />
Er ist Obmann des Herausgeber-Vereins des<br />
Mediums „Das Jüdische Echo“. Widecki spielt<br />
Tennis und Fußball und fährt Schi.<br />
Mimi Eisenberger ist bei den<br />
Spielen für das mar ke ting<br />
zu stän dig und leitet bis<br />
Jahresende das EmG 2011-<br />
Bü ro. Wa rum nur bis En de<br />
des Jahres? Dann nämlich<br />
kommt ihr zweites Kind zur Welt. Bis<br />
dahin versucht sie <strong>als</strong> Bü ro lei terin „vor<br />
allem die existierende Infor ma tion so<br />
trans pa rent wie möglich zu ma chen und na -<br />
tür lich den Vorstand – der zur Zeit den Groß -<br />
teil der Arbeit macht – zu unterstützen“.<br />
im Bereich marketing steht die Ver -<br />
mark tung der makkabi Spiele nach<br />
innen und außen auf ihrer Agenda.<br />
Das reicht „von banalen Dingen wie dem<br />
Briefpapier bis zu den ganz Span nenden,<br />
wie zum Beispiel Sponsoren zu gewinnen<br />
und die gesamte Gemeinde zum Mit ma -<br />
chen zu motivieren“. Denn: „Ohne die<br />
Hilfe jedes einzelnen Gemeindemitglieds<br />
werden wir es nur schwer schaffen.“ Ei -<br />
senberger hat bisher „mein Leben lang<br />
Dinge, Menschen und/oder Projekte or ga -<br />
nisiert“ und freut sich nun, ihre Er fah -<br />
rung „einem so großen und spannenden<br />
Unternehmen zur Verfügung zu stellen“.<br />
Eisenberger (geb. 1970 in Wien) besuchte<br />
das Lyçee Francais und ab solvierte den Lehr -<br />
gang für Wer bung und Verkauf an der Wirt -<br />
schaft uni ver sität Wien. Da nach zunächst Me -<br />
dia planerin und Kon tak te rin bei AUSTRIA 3<br />
TBWA Wer be agentur. 1996 Mitarbeit bei der<br />
Mauerbach-Ver stei gerung. Dann Über sied lung<br />
nach Is ra el, dort Marketing bei einigen High-<br />
Tech-StartUp-Unternehmen so wie bei COM-<br />
VERSE in Tel Aviv, schließlich im Client Ser vi -<br />
ce bei CHRIS TIE’s Is ra el tätig. Ge burt ihrer<br />
Toch ter und Rückkehr nach Wien.<br />
Daniel Kalbeck<br />
kümmert sich bei<br />
den mak ka bi Spie -<br />
len in Wien um den<br />
Be reich it. ihn reizt<br />
daran „die Mög lich -<br />
keit, moderne, selbst -<br />
be wuss te jüdische<br />
Iden ti tät zu leben<br />
und zu fördern“. Und er meint, „<strong>als</strong><br />
erste Ver an stal tung dieser Grö ßen ord -<br />
nung nach 1945 in Österreich ha ben die<br />
Spie le auch international eine ge wisse<br />
Sym bol wir kung“.<br />
Kalbecks Ziel: „Die Eta blie rung einer<br />
möglichst pro fessionellen Infrastruktur mit<br />
42 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
KULTUR • SPORT<br />
begrenzten budgetären Mitteln, die eine<br />
weitgehend reibungslose Abwick lung der<br />
Spiele ermöglicht und die Spielbe richt er -<br />
stat tung unterstützt“. Besonders freut<br />
sich der iT-Experte auf „das erste live<br />
ge schaltene Sportergebnis. Und na tür lich<br />
die Eröffnung“.<br />
Kalbeck (geb. 1976 in Wien) besuchte die Zwi<br />
Pe rez Chajes-Schule und studierte dann so -<br />
wohl an der TU (Infor ma tion und Ar chitek tur)<br />
<strong>als</strong> auch an der Uni Wien (Publizistik) und<br />
belegt schließlich das Stu dium irregulare „New<br />
Media De sign & En gi neering“. Art & Crea ti ve<br />
Director bei di ver sen New Media Agenturen<br />
in Österreich und Deutsch land, wissenschaftlicher<br />
Mitar bei ter bei EU-Forschungspro jek ten<br />
im Be reich Inter action Design und Human<br />
Com pu ter Inter ac tion. Lektor am In sti tut für<br />
Infor mation an der TU Wien, Geschäftsführer<br />
von kalbeck.media, einer Agentur für di gi tale<br />
Medien. Kalbeck nahm an Schwimm-Wett -<br />
kämp fen bei der Ha koah teil und spiel te Brid ge<br />
im österreichischen Ju gend-Nationalteam.<br />
natürlich spielt auch die<br />
sicher heit bei den mak ka -<br />
bi Spiele in Wien eine<br />
große Rolle. Diese Agen -<br />
den werden von einem in<br />
Secu ri ty-Fragen sehr er -<br />
fahrenen Ge mein de mit glied übernommen<br />
und in bewährter Diskre ti on<br />
vorbereitet und während der Spiele<br />
be treut, sodass sich jeder Sportler, je -<br />
der Zuschauer während die ses sportlichen<br />
Groß ereig nisses sicher fühlen<br />
kann.<br />
Den Bereich fi nan zen hat<br />
Ron Schwarz baum über -<br />
nommen. Er ist damit für<br />
die Sicherstellung der für<br />
die Durch füh rung der<br />
Spie le nö tigen Finanz mit tel verantwortlich.<br />
mo tivation ist ihm dabei<br />
„per sön lich zum Erfolg beizutragen“.<br />
Wichtig wer de es sein, „alle Teilbereiche<br />
koordiniert zu sam menzuführen, um einen<br />
perfekten, rei bungslosen Gesamtablauf der<br />
Spiele zu ge währleisten“. in den mak ka -<br />
bi Spie len sieht Schwarzbaum „eine<br />
his torisch ge se hen einmalige Chance, die<br />
Wiener jü di sche Gemeinde in einer ganz<br />
besonderen Art und Weise darzustellen“.<br />
Schwarzbaum (geb. 1973 in Wien) be such te zu -<br />
nächst das Lycée Fran çais, später die Ame ri can<br />
In ter na tio nal School. Stu di um der Handels wis -<br />
senschaft an der Wirt schafts uni ver si tät Wien.<br />
Von 1998 bis 2005 bei der Al vo ra da Kaffee -<br />
han dels GmbH beschäftigt, seit 2005 bei der<br />
Frankstahl Rohr- und Stahlhandels GmbH.<br />
Sport lich aktiv ist Schwarzbaum in den Sport -<br />
arten Schifahren, Schwimmen und Fitness.<br />
Die Verant wor tung für das Ca te ring<br />
der Euro päischen<br />
mak ka bi Spiele<br />
2011 in Wien ha ben<br />
Petra Winkel bau er-<br />
Acker mann und<br />
Han nes Win kel bau -<br />
er übernommen.<br />
„Da ich beruflich mit<br />
Nah rungs mit teln zu<br />
tun habe (ich importiere Lebensmittel aus<br />
der ganzen Welt nach Ös terreich) ist es<br />
nahe liegend, dass ich in diesem Be reich<br />
meine Hilfe an bieten kann“, so Hannes<br />
Win kel bauer. Seine Frau er gänzt, „mit<br />
acht Jahren habe ich beim SC Hakoah<br />
schwimmen gelernt und an nationalen<br />
Wett kämp fen teilgenommen, meine beiden<br />
Kin der (acht und elf Jahre) schwimmen<br />
auch bei diesem Ver ein. Sport gehört zu<br />
unserem Leben dazu, da her freue ich mich,<br />
an der Organisation dieses in ter nationa -<br />
len Wettkampfes teilzunehmen“.<br />
Die größte Herausforderung sieht sie<br />
„in der lückenlosen Abwicklung der Ver -<br />
kös tigung dieser großen Anzahl an Per -<br />
so nen, die oft gleichzeitig, dann wieder<br />
zeitversetzt oder durch Verlängerung von<br />
Wettkämpfen nicht zum vereinbarten Zeit -<br />
punkt die Mahlzeiten einnehmen wer den“.<br />
ihrem mann wiederum ist es zusätzlich<br />
zur Aufgabe, genug Essen und<br />
Trinken zu jeder Zeit zur Verfügung<br />
stel len zu können, ein besonders An -<br />
liegen, „dass es allen schmeckt“.<br />
Für Petra Winkelbauer-Ackermann ist<br />
Wien <strong>als</strong> Austragungsort der Spie le<br />
der „Beweis für ein funktionierendes und<br />
dynamisches Gemeindeleben“. ihr mann<br />
betont, dass die Entscheidung für<br />
Wien und Österreich „eine große Ehre<br />
für die jüdische Gemeinde“ ist. „Aus diesem<br />
Grund müssen wir alle Kräfte mo-bi -<br />
lisieren, dass die Spiele nicht nur für<br />
unsere Gemeinde ein einmaliges Erlebnis<br />
darstellt, sondern auch allen Teilnehmern<br />
ewig in Erinnerung bleibt. Wir leben in<br />
einer wunderschönen Stadt mit tiefen jüdi<br />
schen Wurzeln, die eine fantastische Ku -<br />
lisse für das Sportereignis abgeben wird.“<br />
Winkelbauer-Ackermann (geb. 1959 in Wien)<br />
be suchte das Lycée Fran çais und absolvierte<br />
anschließend ein Dol metsch stu dium für<br />
Fran zö sisch und Eng lisch an der Uni Wien.<br />
Von 1982 bis 1988 <strong>als</strong> Si mul tandol met scherin<br />
tätig, seit 1988 Textilkauffrau mit eigenem<br />
Shop <strong>als</strong> Fran chiseneh me rin für die Marke<br />
SISLEY (Be net ton). Von 1977 bis 1982 im Vor -<br />
stand der Vereinigung jüdischer Hoch schü -<br />
ler, von 1988 bis 1998 im Verein der Freunde<br />
des Elternheims (Maimoni des zentrum) so -<br />
wie <strong>als</strong> Extrania in der So zial kommission der<br />
IKG tätig. Seit 2002 ak tiv bei der Wizo Wien<br />
und seit 2007 Dele gierte der Wizo bei den NGO<br />
Komitees der UNO. Winkelbauer-Acker mann<br />
ist in den Sportarten Tennis, Schwim men, Jazz -<br />
tanz, Schifahren, Eislau fen und Squash aktiv.<br />
Winkelbauer (geb. 1964 in Wien) absolvierte<br />
eine Handelsaka de mie. Zu nächst Obsthänd ler<br />
im ersten Bezirk, dann Angestellter im Im port/<br />
Großhandel Obst & Gemüse, heute Ge -<br />
schäfts führer eines Le bens mit tel Import Un -<br />
ter neh mens. Er ist Tempelvorstand im Stadt -<br />
tem pel. Seine sportliche Aktivität be schreibt<br />
er mit den Worten „bester Zuseher aller Zeiten<br />
(Fan und Bewunderer der Mac cabi Jugend)“.<br />
FREIWILLIGE GESUCHT! CALL FOR VOLUNTEERS!<br />
Die 13. Europäischen Makkabi Spiele werden Wien eine Woche lang zu einer Be geg nungs stät -<br />
te jüdischer Sportler aus aller Welt verwandeln. Um die Spiele zu einem unvergessli chen<br />
Ereignis werden zu lassen, bedarf es vieler Helfer.<br />
Möchten Sie dabei sein? Wollen Sie sich diesen Event auf gar keinen Fall entgehen lassen?<br />
Wissen Sie vielleicht sogar schon, wie Sie konkret zum Gelingen der Spiele beitragen können?<br />
Dann melden Sie sich doch! Egal, wie alt oder jung, erfahren oder unerfahren, sportlich oder<br />
unsportlich Sie sind, ob Sie noch zur Schule gehen, mitten im Berufsleben stehen oder schon in<br />
Pension sind – hier zählen nur der Teamgeist und die Zahl der helfenden Hände!<br />
Im Gegenzug bedanken sich die Makkabi Spiele bei Ihnen mit freiem Zugang zu gewissen<br />
Programm punk ten, einer kostenlosen Mahlzeit pro Tag, einem Zertifikat <strong>als</strong> Aner ken nung<br />
und einem Souvenir, das Sie ein Leben lang daran erinnern wird, an der größten jüdischen<br />
Ver anstaltung in der österreichischen Geschichte teilgenommen und diese maßgeblich un -<br />
terstützt zu haben.<br />
Wenn Sie sich <strong>als</strong>o vorstellen können, <strong>als</strong> Freiwillige/r Teil der EMG 2011-Mannschaft zu wer den,<br />
dann tei len Sie uns bitte in einem kurzen Schreiben mit, ab wann Sie sich vorstellen können,<br />
den Spielen zur Ver fügung zu stehen und wieviel an Zeit Sie investieren können. Wenn Sie außer -<br />
dem schon wissen, dass Sie sich besonders für die Mitarbeit in einem be stimmten Bereich<br />
interessieren, können Sie uns das ebenfalls bekannt geben. Dieses Schrei ben sowie einen kurzen<br />
Lebenslauf schicken beziehungsweise mailen Sie bitte an:<br />
EMG 2011 GmbH,<br />
Desider Friedmannplatz 1, 1010 Wien<br />
r.gilkarov@emg2011.eu<br />
Herzlichen Dank!<br />
Die 13. Europäischen Makkabi Spiele freuen sich schon auf Sie!<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 43
KULTUR • SPORT<br />
mad Ali am Anfang seiner Kar ri ere.<br />
Harter Box-Weltmeister und einfühlsamer Rabbi<br />
Yuri Foreman kämpft auch gegen Antisemitismus<br />
VON MARTIN KRAUSS<br />
„Ich kann mich besser konzentrieren, zu<br />
mir zu finden“<br />
in dieser Reihe steht nun auch Fore -<br />
mans name. Er ist zwar nicht der ers -<br />
te jüdische Weltmeister, aber der erste<br />
israelische. Und der erste Rabbiner in<br />
spe. Diese Kombination drückt er mit<br />
einem Symbol aus, das auf seine Box -<br />
hose gestickt ist und das er <strong>als</strong> motiv<br />
auf T-Shirts und Basecaps vertreibt:<br />
ein Löwe, der listig und angriffslustig<br />
aus einem Davidstern schaut.<br />
Der boxende Rabbi – das macht<br />
Foreman für die Öffentlichkeit interessant,<br />
doch er selbst tut so, <strong>als</strong> gäbe<br />
es da keinen Grund zur nachfrage. mit<br />
leicht genervtem Unterton sagt er: „Ich<br />
schlage ja nicht wild um mich, sondern<br />
ich betreibe meinen Sport sehr ernsthaft.<br />
Es ist vielmehr so, dass mir mein Juden -<br />
tum bei meinem Sport hilft. Ich kann mich<br />
besser konzentrieren, zu mir zu finden.“<br />
Aber warum will er nicht bloß ein<br />
religiöser Boxer bleiben, warum muss<br />
es der Beruf des Rabbiners sein? „Das<br />
Rabbinatsstudium ist für mich die ganz<br />
große Chance, das Judentum zu studieren.<br />
Das gibt mir sehr viel.“ Dass die Re -<br />
geln, die für einen orthodoxen Juden<br />
gelten, ihn bei der Ausübung seines<br />
Sports behindern könnten, glaubt er<br />
nicht. Den Schabbat beispielsweise,<br />
den wöchentlichen Ruhetag, hat er bis -<br />
lang immer gehalten. „Die Kampfaben de<br />
sind ja nicht samstags tagsüber, sondern<br />
abends.“<br />
Rabbiner und Boxer – kann man das<br />
miteinander verbinden? immer wieder<br />
musste Yuri Foreman diese Frage<br />
beantworten. Und immer wieder gab<br />
der neunundzwanzigjährige die gleiche<br />
Antwort: „Nein, das ist kein<br />
Widerspruch.“ Seit letztem Samstag ist<br />
diese Frage Vergangenheit. Jetzt heißt<br />
es: Rabbiner und Box-Weltmeister –<br />
passt das überhaupt zusammen? Denn<br />
der gebürtige Weißrusse mit israelischem<br />
Pass ist nicht mehr nur Boxer.<br />
Seit Samstag ist der angehende Rabbi<br />
der erste israelische Boxweltmeister.<br />
Es ist ein spektakulärer Kampf, den<br />
die Zuschauer in der mGm Grand<br />
Garden Arena von Las Vegas geboten<br />
bekommen: Herausforderer Foreman<br />
gegen den Superweltergewichts-<br />
Welt meister der WBA, Daniel Santos.<br />
Schon in der zweiten Runde schickt<br />
Foreman den Titelträger auf den Ring -<br />
boden. in der dritten Runde drängt er<br />
den Weltmeister aus Puerto Rico in<br />
die Ringseile, Santos kann sich nur<br />
mit mühe auf den Beinen halten. Als<br />
Foreman in der vierten Runde mit<br />
einer harten Schlagkombination nach -<br />
setzt, scheint ein schnelles Kampf -<br />
ende nah. Doch Santos übersteht die<br />
volle Kampfdauer von zwölf Run den.<br />
Die Ringrichter sind sich in ihrem<br />
Urteil jedoch einig: Foreman siegt<br />
deutlich nach Punkten.<br />
Boxweltmeister ist Foreman <strong>als</strong>o be -<br />
reits, Rabbiner wird er wohl erst in<br />
zwei Jahren. Der orthodoxe Jude ab -<br />
solviert schon seit längerem am iyyuninstitut<br />
in new York eine Ausbildung<br />
zum jüdischen Geistlichen. „Morgens<br />
studiere ich die Tora“, beschreibt er seinen<br />
Tagesablauf. „Und nachmittags ge he<br />
ich in das Gleason’s Gym in Brooklyn.“<br />
im Gleason’s haben schon einige große<br />
Box-Weltmeister trainiert: Jake La mot -<br />
ta, mike Tyson und sogar mu ham -<br />
„Vater gefällt es, dass ich Rabbi werde<br />
und dass ich Boxer bin“<br />
Erst seit er in Amerika lebt, beschäftigt<br />
sich Foreman mit dem Judentum.<br />
mit Boxen hat Foreman angefangen,<br />
<strong>als</strong> er sieben Jahre alt war und die Fa -<br />
milie noch im weißrussischen Gomel<br />
lebte. in israel hat er dann weitergeboxt,<br />
mit 21 Jahren wanderte er nach<br />
Amerika aus, und ein Jahr später<br />
wur de er Profi. Sein Vater, der seit<br />
dem Tod der mutter alleine in Haifa<br />
lebt, sei zwar säkularer Jude, „aber es<br />
gefällt ihm, dass ich Rabbi werde und<br />
dass ich Boxer bin“.<br />
neben Foreman hat auch Dmitriy<br />
Salita, ein in new York lebender Ukr a -<br />
iner, <strong>als</strong> weiterer Jude in diesem Jahr<br />
die Chance auf einen Wm-Titel. Er<br />
könnte im Kampf gegen den Briten<br />
Amir Khan am 5. Dezember Su per -<br />
leichtgewichts-Weltmeister der WBA<br />
werden. Auch der in moskau geborene<br />
44 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
KULTUR • SPORT<br />
Schwergewichtler Roman Green berg<br />
wird immer wieder <strong>als</strong> „jü dische Hoff -<br />
nung“ gehandelt. Er hat einen israelischen<br />
Pass und lebt in London.<br />
„Wir müssen viel mehr gegen<br />
antisemitische Stereotype tun“<br />
Foreman, Salita und Greenberg sind<br />
gut befreundet, leben religiös und<br />
sind sich bewusst, dass sie in einer<br />
großen Tradition stehen. „Anfang des<br />
20. Jahr hunderts stammten in Amerika<br />
sehr viele Boxer aus jüdischen Familien“,<br />
sagt Foreman. Zu ihnen gehöre auch<br />
sein Vorbild Benny Leonard, der be -<br />
kannte Leichtgewichtler aus der Zeit<br />
vor dem Ersten Weltkrieg.<br />
Der Sporthistoriker Mike Silver, der<br />
eine Ausstellung über jüdisches Bo xen<br />
kuratiert und gerade ein Standard -<br />
werk zu diesem Thema vorgelegt hat,<br />
sieht gar eine Renaissance des jüdischen<br />
Boxens: „Durch die drei werden<br />
sich mehr Leute über diese jüdische Er -<br />
fahrung im Boxen bewusst, und das sollte<br />
auch gelehrt werden <strong>als</strong> Teil des jüdischen<br />
Immigrationserlebnisses.“ Fore man<br />
wünscht sich mehr jüdische Bo xer.<br />
„Wir müssen viel mehr gegen antisemitische<br />
Stereotype tun: zum Beispiel, dass<br />
Juden schwächlich seien.“<br />
100 Jahre S.C.HAKOAH<br />
DAS FEST<br />
man soll die Feste feiern, wie sie fallen<br />
– beim 100. Ge burtstag muss<br />
einem viel einfallen, nichts dem Zu -<br />
fall überlassen, damit es auffällig schön<br />
wird. Und das ist uns ge lun gen.<br />
Die Eröffnung erfolgte durch mädchen<br />
der rhythmischen Gymnastik (vom<br />
Allgemeinen Sportverband Österreichs),<br />
die mit ihren biegsamen Kör -<br />
pern schon sehr perfekt ihre Dar bie -<br />
tungen brachten und den Abschluss<br />
mit einem großen Davidstern bildeten,<br />
wobei einem ein Schauer der Freude<br />
über den Rücken lief. in dem vollen,<br />
mit vielen Lichtern, großer Bühne und<br />
riesigen Bildschirmen ausgestatteten<br />
Raum ging das Programm mit viel<br />
Tanz und At trak tionen weiter. Die<br />
musik des Frejlach-Ensembles heizte<br />
den Gästen ein, die Riesenbild schir -<br />
me waren nicht nur De koration und<br />
Hintergrund, sondern durch aktuelle<br />
und sinnige Bilder auch Stim mungs -<br />
macher.<br />
Auch fühlten sich s. E., Aviv Shir-On,<br />
der <strong>als</strong> neuer israelischer Botschafter<br />
in Wien einen seiner ersten öffentlichen<br />
Auftritte hatte, und natio nal -<br />
rats präsidentin Dr. Prammer sehr wohl<br />
bei uns. Sie gaben unserer Gala den<br />
festlichen Anstrich.<br />
Die größte und wohl berührendste<br />
Attraktion war wohl das Kerzenan -<br />
zün den – jeweils eine Kerze für ein<br />
Jahr zehnt – angezündet von Freun -<br />
den und mitgliedern der HA KOAH –<br />
mit dazugehörigen Films equenzen<br />
aus den 100 Jah ren mit anschließendem<br />
FEUERWERK!!!<br />
Die Zeit verging wie im Flug und <strong>als</strong><br />
um ca. 1 Uhr die Ha tik wah erklang,<br />
wussten wir alle, dass dieses Fest eine<br />
wund erbare Geburtstagsparty gewesen<br />
ist!! mit mAZEL TOV in die nächsten<br />
100 Jahre!<br />
Ruth Fuchs<br />
„Ich möchte noch fähig sein, mich mit<br />
meinen Kindern zu unterhalten“<br />
Dabei ist Foreman sportlich nicht un -<br />
umstritten. in internetforen wird er <strong>als</strong><br />
Yuri „Boreman“ gehandelt, <strong>als</strong> Lang -<br />
wei ler. Er boxe zu defensiv, ohne nennenswerten<br />
Punch. Gerade acht seiner<br />
29 Siege hat Foreman durch K.o. gesichert,<br />
der letzte K.o. liegt schon drei -<br />
ein halb Jahre zurück. Dem Fachblatt<br />
„The Ring“ gilt er <strong>als</strong> „stick-and-mo ve<br />
specialist“, <strong>als</strong> einer, der nach je dem<br />
Schlag wieder abtaucht. Daher hat das<br />
einflussreiche Blatt Foreman bislang<br />
nur auf Platz zehn seiner Welt rang -<br />
liste geführt.<br />
Auch sein Weltmeisterschaftskampf<br />
ge gen Daniel Santos wurde nicht <strong>als</strong><br />
Hauptkampf präsentiert, sondern war<br />
lediglich im Vorprogramm angesiedelt<br />
– Quote macht man mit dem orthodoxen<br />
Juden (noch) nicht. Yuri Foreman<br />
ist das gleichgültig. Wohl zu Recht,<br />
denn mit seiner Art zu boxen wurde<br />
er immerhin Weltmeister. Bei nahe trot -<br />
zig fügt er hinzu: „Ich den ke auch an<br />
meine Zukunft, und da möchte ich noch<br />
fähig sein, mich mit meinen Kindern zu<br />
unterhalten.“<br />
Ersterscheinung,16.11.<strong>2009</strong><br />
© F.A.Z. GmbH/www.faz-archiv.de.<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 45
JUDENTUM<br />
Kislew 5770<br />
(18. <strong>November</strong> - 17. Dezember)<br />
Historische Ereignisse & wichtige Tage<br />
Bitte beachten, dass alle jüdischen Tage mit dem<br />
Sonnenuntergang des Vortages beginnen!<br />
Der Monat Kislew, der dritte Monat des jüdischen<br />
Ziviljahres, welches mit Rosch Ha Scha -<br />
nah beginnt, hat meistens 30, in manchen Jah -<br />
ren jedoch nur 29 Tage.<br />
3. Kislew (20. <strong>November</strong>)<br />
• Vertreibung der Juden aus Pressburg durch<br />
Maria von Habsburg, vor 483 Jahren<br />
13. Kislew (30. <strong>November</strong>)<br />
• Jahrzeit von Rawina, dem Herausgeber der<br />
Ge marra des Babylonischen Talmuds, vor<br />
1510 Jahren<br />
23. Kislew (10. Dezember)<br />
• In Folge der Beschuldigung der Brunnen ver -<br />
giftung begann ein Jahr des Terrors und der<br />
Verfolgung für die Älsässer Juden, vor 661<br />
Jah ren<br />
• Pogrom gegen die Juden von Nürnberg, vor<br />
660 Jahren<br />
25. Kislew (12. Dezember)<br />
• Erster Tag von Chanukka, 1. Schabbos Cha -<br />
nuk ka<br />
26. Kislew (13. Dezember)<br />
• Ausrufung des ersten Kreuzzugs durch Papst<br />
Urban II, vor 914 Jahren, dem viele Tausende<br />
deutsche Juden durch Vertreibung und Er mor -<br />
dung zum Opfer fielen<br />
2. Tewes (19. Dezember)<br />
• Letzter Tag von Chanukka, 2. Schabbos<br />
Chanukka<br />
Addendum - In der letzten Ausgabe schrieb<br />
ich, dass eine Beschneidung, die von ei -<br />
nem Arzt durchgeführt wurde, der nicht<br />
ebenfalls ein jüdischer Mohel ist, im jüdischen<br />
Recht keine Gül tig keit <strong>als</strong> Brit Milah<br />
hat, und das Kind weiterhin <strong>als</strong> Orel (Un -<br />
be schnittener) gilt. Um Missver ständ nis se<br />
aus dem Weg zu räumen: jede Be schnei -<br />
dung, die von einem jüdischen Arzt <strong>als</strong> Brit<br />
Milah durchgeführt wurde ist selbstverständlich<br />
gültig, denn ein solcher Arzt wird<br />
Mo hel genannt; es ist keinesfalls erforderlich,<br />
dass der Mohel ein Rabbiner sein muss.<br />
Die meisten Mohelim sind keine Rab biner,<br />
und die meisten Rabbiner sind keine Mo -<br />
he lim! Ungültig ist, gemäss der Ha la chah,<br />
lediglich die Beschneidung durch einen<br />
nicht-jüdischen Arzt, sowie eine Be schnei -<br />
dung, die <strong>als</strong> rein chirurgischer Eingriff<br />
durchgeführt wurde. Aber auch dieses Pro -<br />
blem kann im Nachhinein jederzeit - diskret<br />
und schmerzlos - behoben werden. Un se -<br />
re Gemeinde ist in der glücklichen Situa ti -<br />
on, eine Auswahl von Mohelim verschiedener<br />
Berufsgruppen zu haben: Fleischer,<br />
Ärzte und Rabbiner - und wir vermitteln<br />
Euch gerne den Mohel Eurer Wahl.<br />
Schailos &Tschuwos<br />
ausgewählte halachische<br />
Fragen, beantwortet<br />
von Gemeinderabbiner<br />
Schlomo Hofmeister<br />
AskTheRabbi@ikg-wien.at<br />
FRAGE: „Awraham hatte zwei Söhne,<br />
der ältere war Jischmael und der jüngere<br />
Jizchak. Warum wird Jischmael scheinbar<br />
völlig ignoriert und Jizchak <strong>als</strong> der einzige<br />
Sohn Awrahams bezeichnet?<br />
AnTWORT: Die Torah nennt nicht<br />
Jischmael, sondern Jizchak <strong>als</strong> den<br />
Sohn und Stammhalter von Awra ham<br />
Avinu, obwohl beide seine biologischen<br />
Söhne sind und auch kein Zwei -<br />
fel besteht, welcher von beiden der<br />
Ältere ist. im Talmud Kidduschin 66b,<br />
sowie im Schulchan Aruch Ewen Ha -<br />
Eser lernen wir, dass der Sohn einer<br />
Schifcha (Hausmagd), dem gesetzli -<br />
chen Status der mutter folgt und recht -<br />
lich nicht <strong>als</strong> Sohn seines biologischen<br />
Vaters betrachtet wird. Das bedeutet<br />
keinesfalls, dass Awraham <strong>als</strong> biologischer<br />
Vater keine halachische und<br />
moralische Verantwortung für den<br />
Sohn seiner Hausmagd Hagar hatte,<br />
wohl aber, dass Jischmael nicht an der<br />
rechtlichen Erbfolge beteiligt war und<br />
somit Jizchak den gesetzlichen Status<br />
des ältesten Sohnes Awrahams hatte<br />
und in der Torah mehrfach <strong>als</strong> Awra -<br />
hams „einziger Sohn“ bezeichnet wird<br />
- obwohl der ältere Jischmael eben falls<br />
<strong>als</strong> sein Sohn erwähnt wird.<br />
FRAGE: „Sollen Buben und unverheiratete<br />
Männer ei nen Tallit beim Morgen ge bet tra -<br />
gen oder nicht? Wenn nein, warum nicht?“<br />
AnTWORT: Wie in vielen Bereichen<br />
der Halachah, so gibt es auch bezüglich<br />
dieser Frage unterschiedliche Tra -<br />
ditionen, und jeder sollte sich, wenn<br />
möglich, an der Herkunft seiner vä ter -<br />
lichen Familie orientieren. Unter ori -<br />
en talischen, jeminitischen, italienischen<br />
und sefardischen Juden ist es allgemein<br />
üblich, dass jeder Bub spätestens<br />
ab der Bar mizwa, wenn möglich schon<br />
früher, einen Tallit (Gebetsmantel) beim<br />
morgengebet trägt (Tur, Ram bam, Se fer<br />
HaChinuch, Schulchan Aruch, Ben Isch<br />
Chai, Raw Owadja Jossef, u. a.); bei deut -<br />
schen, französischen und einigen un -<br />
garischen Aschkenasim sogar schon ab<br />
einem Alter von 3 Jahren, vorausgesetzt<br />
das jeweilige Kind ist reif ge nug<br />
seinen Tallit und die Tsitsit (die an den<br />
vier Ecken des Tallit befestigten Fäden<br />
und Knoten) mit dem angemessenen<br />
Respekt zu behandeln (Tosfos, Maha -<br />
ram, Chassam Sofer, Raw S. R. Hirsch,<br />
u. a.) - und so war seit jeher auch der<br />
Minhag HaMokom (der lokale Brauch)<br />
in Wien. Unter chassidischen und an -<br />
de ren osteuropäischen Juden, hat sich<br />
jedoch der Brauch durchgesetzt, dass<br />
Unverheiratete, gleich welchen Al ters,<br />
keinen Tallit tragen. Einen Hinweis für<br />
diesen Brauch sehen manche im Tal -<br />
mud (Kidduschin 29b), sowie in der<br />
Aneinandereihung der beiden biblischen<br />
Verse: „Befästige Tsitsit an den vier<br />
Ecken“ (Deworim 22:12) direkt gefolgt<br />
von dem Vers beginnend mit den Wor -<br />
ten: „Wenn ein Mann sich eine Frau<br />
nimmt ...“ (22:13). Andere Autoritäten<br />
wiederum bezweifeln die halachische<br />
Legitimität, die Erfüllung eines derart<br />
wichtigen Gebots der Torah vorsätzlich<br />
zu unterlassen solange man unverheiratet<br />
ist, und führen praktische Grün -<br />
de wie die Armut unter den osteuropäischen<br />
Juden, die sich nicht für jedes<br />
Kind einen Tallit leisten konnten, <strong>als</strong><br />
praktische Erklärung für den Ur sprung<br />
dieses Brauchs an (Sch“Knesses Ha -<br />
Gadol 17:2, Ber Heitiw 17:4); manche<br />
fordern daher die Aufhebung dieses<br />
Min hags (Jechawe Daas IV, 2). Dies<br />
alles bezieht sich auf den Tallit Gadol,<br />
die mizwa sich beim morgengebet in<br />
den grossen Gebetsmantel zu hüllen.<br />
Alle Autoritäten sind sich jedoch ei nig,<br />
dass die mizwa von Tsitsit, in Form des<br />
wie ein Unterhemd permanent ge -<br />
tragenen Tallit Katan, von allen män -<br />
nern und Buben zu jeder Zeit erfüllt<br />
werden muss (Talmud Sukka 42a, Elija<br />
Rabba 17:3, u. a.); manche sagen ab ei -<br />
nem Alter von sechs Jahren (Bach, Je -<br />
cha we Daas), andere ab einem Alter von<br />
drei Jahren (Scharei Teschuwa, Aruch<br />
HaSchulchan 17:5), Rabbiner Jeschaja<br />
HaLewi Horowitz (1565-1630), be kannt<br />
<strong>als</strong> der Schlah HaKodesch, sagt jeder Bub<br />
soll einen Tallit Katan tragen, sobald<br />
er zu sprechen beginnt.<br />
Zu Chanukka bekam moische von sei ner<br />
Schwiegermutter zwei Pul lo ver geschenkt.<br />
Um ihr zu zeigen wie sehr er sich über dieses<br />
Ge schenk gefreut hat, entschloss er sich beim<br />
nächsten Besuch einen davon anzuziehen.<br />
Doch <strong>als</strong> die Schwiegermutter ihm die Tür<br />
öffnete wurde er nicht mit dem er warteten Lä -<br />
cheln empfangen. Statt dessen raunzte sie ihn<br />
an: „Was soll das denn? Der andere Pullover<br />
hat dir nicht gefallen?!?<br />
J<br />
46 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770
JUDENTUM<br />
Am 25. Kislew, der in diesem Jahr auf<br />
Freitag Abend, den 11. Dezember fällt,<br />
beginnen die acht Festtage von Cha -<br />
nuk ka, das „jüdische Lichterfest“. in<br />
Erinnerung an das berühmte Wun der<br />
im Jerusalemer Tempel, wo nach dessen<br />
erneuter Einweihung (hebr.: Cha -<br />
nukka) vor 2173 Jahren, nach dem phy -<br />
sischen wie spirituellen Sieg ge gen die<br />
hellenistischen Seleukiden, die Me no -<br />
rah (der siebenarmige Leuchter) mit<br />
einer einzigen Tagesration Öl, acht Ta ge<br />
lang brannte, etablierten unsere Wei -<br />
sen bereits im darauf folgenden Jahr<br />
das Gebot, dieser Ereignisse je des Jahr<br />
acht Tage lang feierlich zu ge den ken.<br />
An den acht Abenden von Chanukka<br />
werden in jedem jüdischen Haus acht -<br />
armige Leuchter, die sogenannten<br />
Cha nukkios, entzündet, wobei sich die<br />
meinung durchgesetzt hat, am ersten<br />
Abend mit einem einzigen Licht zu<br />
beginnen und jeden folgenden Abend<br />
ein weiteres hinzuzufügen, so dass am<br />
letzten Abend alle acht Lichter brennen.<br />
Wer genauer hinsieht wird be mer -<br />
ken, dass die Chanukkia noch einen<br />
zusätzlichen neunten Arm hat, der<br />
ebenfalls ein Licht trägt, das an allen<br />
acht Abenden brennt. Dieses <strong>als</strong> Scha -<br />
masch (Diener) bezeichnete Licht dient<br />
dazu die anderen Lichter zu entzünden<br />
sowie zur Beleuchtung des Raumes<br />
beizutragen, da man von den eigentlichen<br />
Chanukka Lichtern selbst keinerlei<br />
nutzen oder Gebrauch machen<br />
darf, weil diese ausschliesslich dem<br />
Zweck gewidmet sind an das Wun -<br />
der von Chanukka zu erinnern.<br />
Um unserer Dankbarkeit besonderen<br />
Ausdruck zu verleihen, verordneten<br />
un sere Weisen an allen acht Tagen von<br />
Chanukka während des morgen ge be -<br />
tes das Hallel-Gebet (Psalm 113-118)<br />
zu sagen, das sonst in dieser Form nur<br />
an Rosch Chodesch (neumondstag)<br />
sowie den biblischen Feiertagen Pes -<br />
sach, Schawuot, Sukkot und Schemini<br />
Aze ret/Simchat Torah gesagt wird.<br />
Chanukka ist, genauso wie Purim, kein<br />
Feiertag, sondern ein Festtag, und man<br />
begrüsst sich daher nicht mit „Gut<br />
Jom tow“ oder „Chag Sameach“, sondern<br />
wünscht sich stattdessen „Fröhlichen<br />
Chanukko“, beziehungsweise „Chanuk-<br />
ka Sameach“.<br />
Rabbiner Jisroel ben Elieser (1698-<br />
1760), besser bekannt <strong>als</strong> der Baal Schem<br />
Tow, der Gründer des osteuropäischen<br />
Chassidismus, misst Chanukka eine<br />
ganz besondere transzendente Be deu -<br />
tung bei.<br />
Das zentrale Thema von Chanukka<br />
ist Licht - ein Sinnbild für die Er leuch -<br />
tung der Seele und die Er wär mung<br />
des Herzens. Die Dunkel heit und Käl -<br />
te der Winternächte wird durch den<br />
warmen Schein der Cha nuk ka Lich ter<br />
in lebendige Helligkeit verwandelt.<br />
So wie Schalom (Frieden) nicht nur die<br />
Abwesenheit von Streit und Konflikt,<br />
sondern ein eigenes po si tives momen -<br />
tum darstellt, wie Rab biner Samson<br />
Ra phoel Hirsch (1808-1888) erklärt,<br />
ist auch Dunkel heit und Kälte, mystisch<br />
gesprochen, nicht mit der blosen<br />
Abwesenheit von Licht und Wärme zu<br />
verwechseln! Woher nehmen die Lich -<br />
ter der Chanukkia aber die Fähigkeit<br />
die kalte Dunkelheit nicht nur zu verdrängen,<br />
sondern selbst in warmes<br />
Licht umzuwandeln?<br />
Die ersten beiden hebräischen Buch -<br />
staben des Wortes Chanukka, „Ches“<br />
und „nun“, bilden das Wort Chen<br />
(Schön heit, Gefallen). Dieses Wort<br />
erscheint zum ersten mal in der Torah<br />
am Ende des Wochenabschnitts Be re -<br />
schis, wo es heisst: „Und Noach fand<br />
Chen in den Augen G’ttes“. Der name<br />
Noach wird im Hebräischen ebenfalls<br />
mit diesen beiden Buchstaben, wenn<br />
auch rückwärts, „nun“und „Ches“<br />
buch stabiert. An der buchstäblich sy -<br />
metrischen Gegenüberstellung der<br />
bei den Worte CH(e)n und n(oa)CH<br />
erkennen die Quellen der jüdischen<br />
mys tik einen Aspekt von Gleich ge -<br />
wicht und Symetrie in der tieferen Be -<br />
deutung des Wortes Chen, vor allem<br />
im Zusammenhang von zwei gegenteiligen,<br />
sich spiegelnden und so eine<br />
Einheit bildenden Bestandteilen. Die<br />
beiden das symetrische Gleich ge wicht<br />
von Chanukka bildenden Ge gen sätz -<br />
lich keiten sind Dunkelheit und Licht;<br />
oder wie es der Sohar (Haupt werk der<br />
Kabbalah) beschreibt: „Die Transfor ma -<br />
tion von Chaschocho (Dun kel heit) in<br />
Nahoro (Licht)“ - wobei die bei den An -<br />
fangs buchstaben widerum das Wort<br />
Chen bilden.<br />
Der mathematiker Felix C. Klein<br />
schrieb: „Reflexive Symetrie ist das Er -<br />
gebnis zweier gegensätzlicher Bestand tei le,<br />
die eine verborgene Verbindung zueinander<br />
haben, die ihre gemeinsame Grund la ge<br />
darstellt.“ Genauso verhält es sich mit<br />
Dunkelheit und Licht. So wie die Far be<br />
Schwarz „hervorscheint“, hat die<br />
Dun kelheit das Potential zur „Er leuch -<br />
tung“. Und wie helles Licht unsere<br />
Augen blenden kann, trägt es in sich<br />
das Potential von „Dunkelheit“. in<br />
Wahrheit bedeutet das, dass diese dem<br />
blendenden Licht innewohnende Dun -<br />
kelheit ein grösseres Potential an<br />
„dunkel“ hat <strong>als</strong> die eigentliche Dun -<br />
kel heit, und gleichermaßen birgt das<br />
verborgene Licht der Dunkelheit ein<br />
höheres Erleuchtungspotential <strong>als</strong><br />
das offene Licht.<br />
Das Wunder von Chanukka steht für<br />
die Fähigkeit jenen G’ttlichen Funken<br />
zu entzünden, den wir alle versteckt<br />
in uns tragen, egal ob wir uns seiner<br />
Existenz bewusst sind und egal wie<br />
weit wir uns von ihm entfernt haben.<br />
Das Geheimnis von Chen an Cha nuk -<br />
ka bedeutet, dass alle Juden, obwohl<br />
es oft scheint <strong>als</strong> herrsche permanenter<br />
Streit und Konflikt zwischen uns, in<br />
Wahrheit, im tiefsten inneren unserer<br />
Selbst, doch einig sind. Ein klassisches<br />
Beispiel sind die notorischen mei -<br />
nungs verschiedenheiten der beiden tal -<br />
mudischen Schulen Beis Schammai und<br />
Beis Hillel. Eine ihrer berühmtesten<br />
Aus einandersetzungen betrifft die<br />
Fra ge, in welcher Reihenfolge man die<br />
Chanukkia anzünden soll. Beis Hillel<br />
sagt, man beginne am ersten Abend<br />
mit einem Licht und füge jeden der<br />
folgenden Tage ein weiteres hinzu.<br />
Beis Schammai sagt, man solle es ge nau<br />
umgekehrt machen und am ers ten<br />
Abend alle acht Lichter anzünden und<br />
an jedem der folgenden Tage eins we -<br />
ni ger - bis am letzten Abend nur noch<br />
ein einziges Licht brennt. Wie in den<br />
allermeisten Fällen, so folgen wir auch<br />
hier, wie bereits erwähnt, der mei nung<br />
von Beis Hillel; und dennoch wissen<br />
wir, dass die Zeit kommen wird, wenn<br />
wir in allen Fällen der meinung von<br />
Beis Schammai folgen werden. Beide<br />
meinungen sind logisch überzeugend<br />
fundiert und entsprechen <strong>als</strong> solches<br />
der Wahrheit und sind Richtig - jede<br />
im Kontext ihrer jeweiligen Reali tä -<br />
ten, die zusammen eine geschlossene<br />
Einheit bilden.<br />
mögen wir alle erfahren, wie das Licht<br />
von Chanukka unsere Gegen sätz lich -<br />
keiten harmonisiert, die Dunkelheit<br />
in Licht verwandelt und uns in Chen<br />
vereint!<br />
Chanukka Sameach!!<br />
Fröhlichen Chanukko!!<br />
RABBinER SCHLOmO<br />
HOFmEiSTER
Mit der Fertigstellung des neuen Maimonides Zentrum wurde ein<br />
weiterer wichtiger Meilenstein für die Zukunft unserer Jüdischen<br />
Gemeinde gesetzt. Dass dies Reali tät werden konnte, ist der großartigen<br />
Unterstützung vieler Men schen in und außerhalb der jüdischen<br />
Gemeinde zu verdanken.<br />
Wir freuen uns,<br />
Sie zu einem feierlichen Festakt<br />
am Dienstag, den 15. Dezember <strong>2009</strong>,<br />
um 19.00 Uhr,<br />
in das neue Maimonides Zentrum<br />
Simon-Wiesenthal-Gasse 5, 1020 Wien<br />
einzuladen.<br />
Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, wird gemeinsam mit<br />
Botschafter Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses,<br />
Ehud Barak, Verteidigungsminister Israels und<br />
Dr. Michael Häupl, Bürgermeister der Stadt Wien,<br />
nach dem Festakt, im neuen Maimonides Zentrum<br />
die offizielle Eröffnung vornehmen.<br />
Im Anschluss laden wir Sie zu einem Umtrunk.<br />
Dr. Ariel Muzicant<br />
Präsident<br />
Eine verbindliche Anmeldung bis Mittwoch 9.12., ist unter Tel. +43 1 531 04-105, Fax +43 1 531 04-109, oder<br />
E-Mail: d.zimmermann@ikg-wien.at unbedingt erforderlich. Aufgrund der räumlichen Gege ben heiten wird der<br />
Festakt teilweise mit Videoübertragung in verschiedenen Bereichen des MZ stattfinden. Daher erfolgt die<br />
Zuteilung Ihres Sitzplatzes nach Eintreffen Ihrer Anmeldung.<br />
Anfahrtsplan: Öffentlich erreichbar mit der U2 (Station: Stadion) und anschließend 2 Stationen mit der Bus-<br />
Linie 84 A oder der Bus-Linie 77A (Station: Simon-Wiesenthal-Gasse/Ecke Wehlistraße). Es gibt 300 Parkplätze<br />
in der Wehlistraße (auf den Schienen), vor dem Hakoah-Sportzentrum und in der Tiefgarage.<br />
© Arch. T.Feiger