'Die Gemeinde' August 2008 als pdf herunterladen - Israelitische ...
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GEMEINDE<br />
DVR 0112305 € 2.-<br />
Nr. 629 September <strong>2008</strong><br />
Elul 5768<br />
Erscheinungsort Wien<br />
Verlagspostamt 1010 P.b.b<br />
eGZ 2.- 03Z034854 W<br />
Die Die<br />
OFFIZIELLES ORGAN DER ISRAELITISCHEN KULTUSGEMEINDE WIEN<br />
magazin
INHALT<br />
&<br />
HOHE FEIERTAGE<br />
Grußbotschaften 7<br />
Glückwünsche 11<br />
IN EIGENER SACHE<br />
MIRIAM TENNER<br />
Fundraising für die IKG? 35<br />
Neue Serie: Hinter den Kulissen der IKG<br />
Teil 1: Mitgliederservice 36<br />
POLITIK<br />
IN- UND AUSLAND<br />
ALEXIA WEISS<br />
Nationalratswahl - Wer<br />
wofür steht und was<br />
verspricht 38<br />
ALEXIA WEISS<br />
Muzicant warnt vor FPÖ-<br />
Regierungsbeteiligung 48<br />
Bundesheer unterstützt<br />
Ulrichsberg-Treffen 49<br />
STOP THE BOMB übt Kritik<br />
an ÖMV Iran-Sponsoring 50<br />
9/11: Weltweit Zweifel<br />
an den Schuldigen 51<br />
ISRAEL<br />
LESSLIE SUSSER<br />
Israel im Jahr 5768 52<br />
MARTA S. HALPERT<br />
Idealist auf gefährlichen<br />
Pfaden 54<br />
WIRTSCHAFT<br />
Österreichs Exporte<br />
nach Israel 56<br />
Steigende Immobilienpreise 56<br />
Kaviar aus Israel 56<br />
WISSENSCHAFT<br />
(ein)blick 58<br />
ReWalk - Gehhilfe aus Israel 60<br />
Digitalisierung der<br />
Schriftrollen vom<br />
Toten Meer 60<br />
Schneekanonen aus Israel 62<br />
GEMEINDE<br />
Täglich<br />
aktualisiert!<br />
www. ikg-wien.at<br />
@<br />
news<br />
events<br />
pinwand<br />
Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> Kultusgemeinde Wien.<br />
Zweck: Information der Mitglieder der IKG Wien in kulturellen, politischen<br />
und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />
Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 Wien, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />
Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />
Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 Wien<br />
Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />
Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />
Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak -<br />
tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />
Die<br />
Bedeitender Fund<br />
am Zionsberg 62<br />
JÜDISCHE WELT<br />
Offizielle Eröffnung der<br />
ZPC-Schule 63<br />
Panorama 64<br />
KULTUR<br />
ANITA POLLAK<br />
Der Erbe ohne Erben 66<br />
Torberg-Medaille für<br />
Georg Haber 67<br />
Torberg-Nachlese<br />
Neuerscheinungen 68<br />
MARTA S. HALPERT<br />
Erinnerungen an<br />
Lenny Bernstein 69<br />
PETER WEINBERGER<br />
Überall & nirgendwo 70<br />
Titelbild:<br />
Gebet an der Klagemauer<br />
© Kobi Gideon/Flash 90<br />
PLENARSITZUNGEN <strong>2008</strong><br />
Mittwoch, 24. September<br />
Dienstag, 28. Oktober<br />
Dienstag, 25. November<br />
Donnerstag, 04. Dezember<br />
Donnerstag, 18. Dezember<br />
Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem<br />
Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Global intelligence<br />
centre, Walla, Y-net, israelnetz (inn), nahostfocus<br />
(NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, u.v.a.<br />
LETZTE MELDUNGEN<br />
Tzipi Livni ist neue Kadima-<br />
Vorsitzende in Israel<br />
Nach ihrem knappen Sieg bei der Wahl um den Vorsitz<br />
der Kadima-Partei will die israelische Außenministerin<br />
Tzipi Livni „schnellstmöglich“ eine neue Regierung<br />
bilden. Das kündigte die 50-jährige Politikerin am 18.<br />
Sep tem ber in Jerusalem an. Kurz zuvor hatte die Wahl -<br />
kom mission bekanntgegeben, dass Livni bei der partei -<br />
internen Wahl des Nachfolgers von Ehud Olmert knapp<br />
vor ihrem Hauptkonkurrenten, Verkehrs mi nis ter Shaul<br />
Mofaz, landete. Die 50-Jährige hatte sich bei der Ab -<br />
stim mung über den Parteivorsitz mit einem knappen<br />
Vorsprung von nur 431 Stimmen durchgesetzt. Livni erzielte<br />
43,1% der Stimmen, Mofaz 42%. Die Wahlbe tei -<br />
ligung lag bei 53,7% der etwa 74.000 Parteimitglieder.<br />
Ahmadinejad wiederholt Israel-Kritik<br />
und bezeichnet Holocaust <strong>als</strong> Lüge<br />
Der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat Is -<br />
r a el erneut verbal attackiert und den Holocaust <strong>als</strong><br />
„Lü ge“ be zeichnet. „Wir haben kein Problem mit diesen<br />
Men schen (Israelis), aber sie sollten die besetzten Gebiete<br />
(Israel) verlassen, ihren rechtmäßigen Besitzern überlassen<br />
und in die Länder zurückkehren, aus denen sie stammen",<br />
sagte er am 18. Sep tem ber vor Journalisten in Teheran.<br />
„Wir werden we der eine is raelische Regierung noch eine<br />
israelische Nation anerkennen.“<br />
Zudem stellte Ahmadinejad zum wiederholten Male<br />
den Holocaust infrage - den Massenmord an den Juden<br />
durch die Nazis: „Der Holocaust ist eine Lüge, der wahre<br />
Holocaust wird an den Palästinensern verübt.“ Der iranische<br />
Präsident hatte in den vergangenen Jahren viele Male<br />
mit anti-israelischen Tiraden und der Leugnung des<br />
Holo caustes scharfen internationalen Protest hervorgerufen.<br />
APA/dpa<br />
4 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
HOHE FEIERTAGE<br />
Der Bundespräsident<br />
Die Nationalratspräsidentin<br />
Liebe Mitglieder<br />
der <strong>Israelitische</strong>n<br />
Kultusgemeinde!<br />
Liebe Leserinnen und Leser!<br />
In den letzten Jahren haben<br />
die kulturellen Aktivitäten<br />
des österreichischen Ju den -<br />
tums in Österreich zugenommen<br />
und auch die öffentliche<br />
Sichtbarkeit ist deutlich<br />
gewachsen. Das ist – neben<br />
vielen anderen Faktoren - auch das große Verdienst der<br />
Israe li tischen Kultusgemeinde und ihrer Zeitschrift „DIE<br />
GEMEINDE“.<br />
Wir verdanken dieser Zeitschrift ein wichtiges Fenster<br />
in die Welt aus jüdischer Perspektive. Durch ihre lebendige<br />
Berichterstattung ist „DIE GEMEINDE“ darüber hinaus<br />
auch eine wichtige Quelle internationaler Orientie rung in<br />
Österreich geworden.<br />
So ist es für mich <strong>als</strong> Bundespräsident ein Anliegen, der<br />
Redaktion meinen Dank und meine Anerkennung zum<br />
Ausdruck zu bringen. Ihnen allen, den Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern, sowie allen Leserinnen und Lesern<br />
innerhalb und außerhalb Österreichs sende ich zu den<br />
hohen Festtagen von Rosh-ha-Shana 5769 meine besten<br />
Glückwünsche.<br />
Mit große Freude und Zuversicht für das kommende Jahr<br />
grüße ich Sie mit einem herzlichen „Shalom“!<br />
© Ingo Pertramer<br />
Das Rosch-Haschana, das<br />
Neu jahrsfest, ist auch Anlass<br />
zu rückzublicken.<br />
Das Jahr <strong>2008</strong>, das Gedenk -<br />
jahr, war und ist durch die<br />
Er innerung an Ereignisse ge -<br />
kennzeichnet, die bis in die<br />
Gegenwart hineinwirken, die<br />
Staat und Verfassung, die<br />
die Politik und die Ge sell -<br />
schaft Österreichs geprägt<br />
haben und bis heute prägen.<br />
Die Auseinandersetzung da mit, was zu Stellung und<br />
Macht des Nation<strong>als</strong>ozia lis mus geführt hat, die Aus ein -<br />
an dersetzung mit Antisemi tismus, mit autoritärem<br />
Gedan ken gut muss daher gerade auch von uns Po liti ke -<br />
rinnen und Politikern immer wieder geführt werden.<br />
Denn nur wer die Geschichte kennt, wird in der Lage sein,<br />
autoritäre Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen, wird<br />
den Gefahren der Gegenwart und Zukunft auch mit de -<br />
mo kratisch legitimierten Mitteln entgegentreten.<br />
Entscheidend ist es dabei meines Erachtens, Jugendli chen<br />
zu vermitteln wie wichtig die Beschäftigung mit zeitge -<br />
schichtlichen Themen ist, wie wichtig es ist, nicht weg zu -<br />
sehen. Dies ist eine unerlässliche Voraussetzung dafür, um<br />
Gewalt und Verletzung der Menschenrechte und Men -<br />
schen würde, um aufkeimenden Antisemitismus und Ras -<br />
sis mus zu erkennen und dagegen aufzutreten.<br />
Aufklärungs-, Bildungs- und Informationsarbeit, nicht<br />
nur seitens der Politik, sondern <strong>als</strong> gesamtgesell schaft li che<br />
Aufgabe verstanden, eine an demokratischen Grundwer -<br />
ten und Menschenrechten orientierte, eine besonnene, zu -<br />
kunftsorientierte und soziale Politik sind nötig, um diesen<br />
menschenverachtenden Ideologien den Nährboden zu<br />
entziehen.<br />
Die Demokratie – das ist meine feste Überzeugung – ist<br />
mehr <strong>als</strong> die Summe von Institutionen einer Verfassung.<br />
Sie baut auf Prinzipien wie Toleranz, Respekt vor Min der -<br />
heiten, Achtung der Grund- und Freiheitsrechte, Zivil cou -<br />
rage und dem festen Bekenntnis, sich für diese Prinzipien<br />
einzusetzen.<br />
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein gutes, ein<br />
friedvolles und glückliches Neues Jahr 5769.<br />
Barbara Prammer<br />
Präsidentin des Nationalrates<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 5
HOHE FEIERTAGE<br />
Der Bürgermeister der Stadt Wien<br />
© Stadt Wien/Kurt Keinrath<br />
Den Leserinnen und Lesern<br />
der „Gemeinde“ in der Feier -<br />
tagsausgabe zum Neujahrs fest<br />
gratulieren zu dürfen, ist für<br />
mich <strong>als</strong> Wiener Bürger meis -<br />
ter eine liebgewordene Tra di -<br />
tion. Und gerade in Zei ten ei -<br />
nes Wahlkampfes freut es<br />
mich um so mehr, hier ab seits<br />
des tagesaktuellen „Ge schäf -<br />
tes“ eines Politikers Ge dan -<br />
ken über das vergangene Jahr<br />
aufgreifen zu dürfen, die einen<br />
größeren Bo gen spannen.<br />
Ein besonderer Höhepunkt war für mich heuer die Er -<br />
öff nung – oder genauer gesagt: die Wiedereröffnung – des<br />
jüdischen Sportvereins Hakoah 70 Jahre nach dem Raub<br />
durch das Nazi-Regime. Ich scheue mich nicht zu sagen,<br />
dass im März <strong>2008</strong> passiert ist, was schon vor 50 Jahren<br />
hät te passieren sollen – nämlich den einstm<strong>als</strong> weltgrößten<br />
Universal-Sportverein der jüdischen Gemeinde in würdigem<br />
Zustand zurück zu geben. Es tröstet mich allerdings,<br />
dass wir nicht nur die Restitution, sondern mit zusätzli -<br />
chen Mitteln der Stadt auch das von der Kultusgemeinde<br />
vorgeschlagene Konzept verwirklichen konnten: Schulen<br />
und Seniorenheim sind nun mit der Sportanlage verbunden<br />
und das ist in der Tat sinnvoll.<br />
Gar nicht sinnvoll – lassen Sie es mich in dieser Rück -<br />
schau sehr offen sagen – sind die oftm<strong>als</strong> kleingeistigen<br />
Reaktionen mancher Bundespolitiker, wenn es um das<br />
Thema der jüdischen Friedhöfe geht. Ein Thema, das un -<br />
würdig lange verschleppt wird. Im Rahmen des Eizenstat-<br />
Vertrages ist die Verpflichtung des Bundes zur Restaurie -<br />
rung der jüdischen Friedhöfe klar festgelegt. Ich habe, um<br />
den Bund an seine Pflicht zu „erinnern“, auch darüber hi -<br />
naus ein Angebot gemacht: Die Stadt Wien übernimmt nach<br />
der Renovierung die laufende Erhaltung der jüdischen<br />
Friedhöfe in Wien. Dazu stehe ich, denn es geht hier ebenso<br />
um Wiedergutmachung wie um die Erhaltung unseres ge -<br />
mein samen kulturellen Gutes.<br />
Um so mehr freut es mich in diesem Zusammenhang der<br />
Gemeinsamkeit, dass der Präsident der <strong>Israelitische</strong>n Kul -<br />
tus gemeinde, Ariel Muzicant, jüngst in einem Magazin gesagt<br />
hat: „In Österreich sind eine Zivilgesellschaft und ein Pro -<br />
zess der Bewusstseinsbildung entstanden, dieses ,Wir waren nur<br />
Opfer, und die Nazis waren alle böse Deutsche’ verschwindet<br />
langsam. An vielen Orten ist es ,in’, die jüdische Geschichte zu<br />
entdecken. (…) Und gleichzeitig gibt es ein Wiederaufblühen einer<br />
jüdischen Gemeindestruktur: Wir eröffnen in Wien eine Schule<br />
für 600 Kinder, die größte jüdische Schule auf dem Kontinent.“<br />
Dieser Befund berührt mich. Er berührt mich menschlich,<br />
er macht mich froh für diese Stadt und er gibt mir Hoff nung<br />
und Bestätigung auf dem Weg des Miteinander, den wir<br />
in Wien aus Überzeugung eingeschlagen haben und den wir<br />
uns für ganz Europa wünschen. Nicht zuletzt der – viel zu<br />
sehr in Vergessenheit geratene – traurige Jahrestag des Pra -<br />
ger Frühlings von 1968 hat auch in jüngster Geschichte noch<br />
gezeigt, welches Leid totalitäre Systeme über Men schen<br />
bringen. Die EU <strong>als</strong> größtes Friedensprojekt aller Zeiten ist<br />
daher in meinen Augen alternativlos, um ein demokratisches,<br />
respektvolles und sozial ausgewogenes Miteinan der<br />
aller Menschen – egal welcher Religion oder welcher Her -<br />
kunft – in unserem gemeinsamen Haus Europa zu erreichen.<br />
Lassen Sie mich dies zum Anlass nehmen, um Ihnen ein<br />
friedliches, glückliches Neues Jahr zu wünschen – und<br />
eines, in dem wir gemeinsam daran schreiten, diese unsere<br />
Stadt weiterhin lebens- und liebenswert zu gestalten.<br />
Dr. Michael Häupl<br />
ROSCH HASCHANA<br />
KINDERG’ TTESDIENST<br />
Für unsere Kleinen gibt es am 1. Tag Rosch Ha scha na,<br />
Dienstag, 30. September, um 10.00 Uhr, im kleinen<br />
Tempel in der Seitenstettengasse 4, einen Kin der g´ttes -<br />
dienst. Aanschließend Kuchen und Getränke.<br />
TASCHLICH<br />
Wir treffen wir uns am 1. Tag Rosch Haschana, am<br />
Dienstag, 30. September, um 18.00 Uhr, vor dem Wiener<br />
Stadttempel und gehen gemeinsam zum Do nau -<br />
kanal, um unsere Sünden los zu werden.<br />
KINDERBETREUUNG<br />
Damit Sie in Ruhe beten können, wird am 30. Sep -<br />
tem ber und am 1. Oktober von 10.00 - 13.00 Uhr<br />
sowie am 9. Okt ober von 10.00 - 14.00 Uhr eine<br />
Kin der gärtnerin im Sitzungssaal auf Ihre Kinder<br />
aufpassen und mit ihnen spielen.<br />
Im Tempel sollten Sie, bitte, selbst auf Ihre Kin der<br />
aufpassen.<br />
6 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
HOHE FEIERTAGE<br />
Der Botschafter des Staates Israel<br />
Liebe Gemeindemitglieder,<br />
liebe Freunde,<br />
die Klänge des wunderschönen<br />
Kantorenkonzerts im<br />
Wiener Konzerthaus tragen<br />
wir in diesen Tagen, vor Rosch<br />
Haschana, noch mit uns. War<br />
es doch ein sehr besonderer<br />
Abschied vom 60. Unab hän -<br />
gig keitsjahr des Staates Is ra el.<br />
Wien bekam eine Gelegen heit,<br />
die Vielfalt der jüdischen und<br />
israelischen Kultur kennen zu lernen. Von Giora Feidman<br />
über Chava Alberstein bis zu Idan Raichel und von Timna<br />
Brauer über Doron Rabonovici bis zu Tom Cohen, um nur<br />
einige der Künstler zu nennen, war es eine echte Feier des<br />
zeitgenössischen und weltumspannenden kulturellen<br />
Schaf fens. Der eindeutige Leitfaden war die enge Verbun -<br />
den heit zwischen dem jüdischen Volk und dem Staat Isra el.<br />
Der „SpotOn Jiddischkeit“ folgte auf den Fersen der Ausstellung<br />
„The White City of Tel-Aviv“ im Architek tur -<br />
zentrum Wien, des Films „Die Band von Nebenan“, der<br />
Aufführung der „Bat Sheva“ Tanzgruppe im Tanzquartier<br />
und vieler anderer kultureller Aufführungen in Österreich.<br />
Im Laufe des Jahres 5768 verging keine einzige Woche ohne<br />
eine Aufführung, ein Konzert oder eine Ausstellung aus Israel<br />
an verschiedenen Orten in Österreich. All diese Ereig -<br />
nis se und natürlich auch unsere „Israel Bim“, die weiter<br />
durch Wien fährt, sollen Israel Ihnen, liebe Freunde, und<br />
auch anderen näher bringen. Wir sind bemüht, allen die verschiedenen<br />
Facetten Israels zu zeigen und damit Neu gier de<br />
und Interesse an dem Land, dem Volk, der Kultur, der<br />
Wissenschaft und der Wirtschaft zu erwecken. Wir glau ben,<br />
dass das Kennenlernen die Menschen einander näher bringt<br />
und Brücken über die Gräben der Vergangenheit baut.<br />
Die kulturellen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und<br />
gesellschaftlichen Aktivitäten in Israel entwickeln sich wei -<br />
ter, trotz der noch immer bestehenden und täglichen Ge fahr<br />
für den Staat Israel. Auch in diesem Jahr bemühen sich die<br />
Feinde Israels, den Staat von der Weltkarte zu wischen. Der<br />
Iran droht mit seinen Raketen und unterstützt die Terror-<br />
Organisationen Hamas im Gaza Streifen und Hisbollah im<br />
Libanon dabei, ihre tödlichen Angriffe gegen Israel weiter<br />
zu führen.<br />
Im Sommer kehrten die durch die Hisbollah ermordeten<br />
Sol daten Eldad Regev und Ehud Goldwasser in Särgen in<br />
ihre Heimat zurück. Gilad Shalit wurde vor über 820 Ta gen<br />
in den Gaza Streifen entführt. Seit seiner Entführung hat<br />
ihn noch niemand gesehen. Auch das sind Realitäten, mit<br />
denen wir in Israel tagtäglich leben.<br />
Rosch Haschana und Jom Kippur sind Tage, an denen<br />
wir denken, gedenken und hoffen. Es ist leider noch immer<br />
so, dass wir uns nicht einfach freuen können oder unsere<br />
gesamte Kraft auf den Aufbau und das tägliche Schaffen<br />
konzentrieren können. Jeder von uns versucht ein normales<br />
Leben zu leben, mit dem Bewusstsein, dass wir dieses<br />
Leben auch weiter verteidigen müssen.<br />
Auch am Anfang des Jahres 5769 hoffe ich, dass uns dieses<br />
Jahr näher an den Frieden bringen wird und, dass wir<br />
uns endlich in Ruhe den Dingen widmen können, die un -<br />
ser Leben verbessern werden. Ich wünsche Ihnen allen<br />
liebe Freunde, ein gesegnetes und gutes Neues Jahr und<br />
verbleibe mit dem ewigen Wunsch SHANA TOVA!<br />
Ihr,<br />
Dan Ashbel<br />
Botschafter des Staates Israel<br />
Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg<br />
Die Steine<br />
Gedanken zum Neuen Jahr<br />
von Oberrabbiner Paul<br />
Chaim Eisenberg<br />
Zwei Juden treffen einander<br />
am Erev Rosch haSchana am<br />
Friedhof. Es ist Brauch, an<br />
die sem Tag oder an einem der<br />
Ta ge zwischen Rosch ha Sch a-<br />
na und Jom Kippur die Grä ber<br />
der Verstorbenen zu besu -<br />
chen.<br />
Der eine Jude trägt einen schweren Stein bei sich. Nach -<br />
dem sie einander ein gutes Neues Jahr gewünscht haben,<br />
fragt der andere ihn, wozu er denn diesen schweren Stein<br />
bei sich habe.<br />
Dieser antwortete: „Das letzte Jahr war doch sicher kein gu -<br />
tes, nicht anders <strong>als</strong> die Jahre davor! Deshalb habe ich es mir<br />
zum Brauch gemacht, jährlich vor Rosch haSchana das alte Jahr<br />
zu begraben und dies ist der dazugehörige „Grabstein“!<br />
Der andere darauf. „Auch ich habe jedes neue Jahr ein Projekt.<br />
Ich baue jedes Jahr ein ‘Haus des Neuen Jahres’ auf, um nicht nur<br />
enttäuscht an die Fehler des letzten Jahres erinnert zu werden, sondern<br />
konstruktiv und hoffnungsvoll eine „neues Blatt der Ge -<br />
schich te“ zu eröffnen. Und heute, am Tag vor Rosch haSchana<br />
lege ich den Grundstein hiezu!“<br />
Hierauf fragte der erste: “Aber wo ist denn Dein Grund stein?“<br />
Er sagte darauf: „Als Grundstein nehme ich Deinen Grabstein!“<br />
Wäre es nicht schön, wenn auch wir mit einer optimistische<br />
Haltung ins Neue Jahr gehen!<br />
Schana Tova umeworachat! Ein gesundes glückliches und<br />
gesegnetes Neues Jahr!<br />
Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 7
HOHE FEIERTAGE<br />
Präsident Dr. Ariel Muzicant<br />
Sehr geehrte<br />
Gemeindemitglieder!<br />
5768 war ein gutes, aber auch<br />
ein ereignisreiches Jahr.<br />
In Israel feierte man 60 Jahre<br />
Yom Haatzmaut in relativer<br />
Ruhe und die Raketenan grif fe<br />
im Negev und vor allem auf<br />
Sderot konnten durch einen<br />
Waffenstillstand mit der Ha -<br />
mas beendet werden. Es gibt kleine Fortschritte mit der Hisbolla,<br />
indirekte Friedengespräche mit Syrien und intensive<br />
Ver hand lungen mit den Palästinensern. Bei Letzteren verhindern<br />
zwei Probleme den Durch bruch, nämlich die Jeru -<br />
sa lem-Frage und die Hamas. Auch sonst blieben die ge -<br />
fürch teten Terroranschläge von Al Kaida und anderen Extre<br />
misten aus. Manche meinen, all diese Verhandlungen<br />
nützten nur dem Feind. Tatsache ist, dass auf israelischer<br />
Seite weniger Opfer zu beklagen waren.<br />
In Europa wurde das starke Wirtschaftswachstum durch Inflation<br />
und vor allem gestiege ne Energie- und Benzin prei se<br />
gedämpft. Die hohen Lebensmittelkosten treffen vor al lem<br />
die ältere Generation mit kargen Pensionen und kinderreiche<br />
Familien. Dabei ist es er schüt ternd mitzuerleben,<br />
dass gerade in unserer Wohlstandsgesellschaft die Soli da -<br />
ri tät ab nimmt und das Engagement für Arme, Kranke<br />
und Unterprivilegierte zu wünschen übrig lässt. Gerade<br />
unsere jüdische Tradition und jüdische Religion gebieten<br />
uns, mehr für die se Menschen zu tun, mehr Opfer- und<br />
Spendenbe reit schaft zu zeigen. Z’daka, ein in unseren Ge -<br />
be ten immer wieder vorkommendes Gebot, steht für<br />
Wohltätigkeit und Nächsten liebe, und wenn wir uns zu den<br />
hohen Feierta gen in den Synagogen versammeln, hoffe<br />
ich, dass jeder daran denkt, ob er auch seinen Beitrag für<br />
die Allgemein heit geleistet hat.<br />
Es war auch ein turbulentes Jahr in Österreich: Kultus rats -<br />
wah len, Jahrestage (70 Jahre „An schluss“, 60 Jahre Yom<br />
Haatzmaut), Eröffnung des Hakoah Sport- und Freizeit zen -<br />
trums und schließlich in den Tagen vor Rosch Haschana<br />
die lang ersehnte Eröffnung unserer neuen ZPC-Schule.<br />
Es gab wirklich viel zu Gedenken und zu Feiern.<br />
Und wie sieht die Zukunft aus? Die Errichtung des neuen<br />
Maimonides Zentrums wird fort gesetzt. Im November<br />
ge denken wir des 70. Jahrestages des November-Po groms.<br />
Der israelische Premierminister tritt im September zurück<br />
und nach nur zwei Jahren wählt Österreich im September<br />
ein neues Parlament. Bekommen wir in Israel eine neue<br />
Regie rung, die es endlich schafft, mit Syrien und Palästinen<br />
sern Frieden zu schließen? Gelingt es, die größte Bedrohung<br />
des jüdischen Volkes seit der Shoah, nämlich die<br />
Gefahr, dass der Iran mit atomaren Mitteln eine neuerliche<br />
Katastrophe über unser Volk und im ganzen Na hen Osten<br />
herbeiführt, zu beseitigen, oder schaffen es die Europä i-<br />
schen Regierungen fünf vor zwölf den Iran zur Vernunft<br />
zu bringen (ein so genanntes „Window of Oppor tu nity“<br />
schließt sich innerhalb der nächsten sechs Monate)?<br />
Bekommen wir endlich in Österreich eine Regierung, die<br />
bereit ist, die anstehenden Probleme in Österreich (Pflege,<br />
Gesundheitsreform, Schulreform, Bundesstaatsreform) zu<br />
lösen, oder bekommen wir noch instabilere Verhältnisse?<br />
Wird die neue österreichische Regierung unsere jahrzehntelangen<br />
Anliegen umsetzen (Wiesenthal-Institut, Sanie rung<br />
und Pflege der jüdischen Friedhö fe)? Werden die ös ter -<br />
reichischen Grenzen soweit geöffnet, dass wir es schaffen,<br />
mit Hilfe der öffentlichen Hand eine kontrollierte und mo -<br />
derate Einwanderung von Juden aus Euro pa auf die Beine<br />
zu stellen, um das Schrumpfen unserer Gemeinde in Österreich<br />
zu beenden und wieder eine vernünftige Mitglie -<br />
derzahl zu erreichen, um so jene kritische Masse zu erhalten,<br />
die die jüdische Gemeinde in Österreich stabilisiert?<br />
Ich hoffe, dass wir Antworten auf alle diese Fragen in<br />
Gesundheit und Frieden erleben werden und wünsche<br />
Ihnen und Ihren Familien besinnliche und frohe Feiertage<br />
und ein gesundes und erfolgreiches Jahr 5769.<br />
Ihr<br />
Dr. Ariel Muzicant<br />
<strong>2008</strong> • 5768/69<br />
ROSCH HASCHANAH<br />
30.09.-01.10.08<br />
YOM KIPPUR 09.10.08<br />
SUKKOT 14.-20.10.08<br />
SHEMINI ATZERET 21.10.08<br />
SIMCHAT THORA 22.10.08<br />
CHANUKKAH 22.-29.12.08<br />
PURIM 10.03.09<br />
PESSACH 09.-16.04.09<br />
SCHAVUOT 29.-30.05.09<br />
2009 • 5769/70<br />
ROSCH HASCHANAH<br />
19.09.-20.09<br />
YOM KIPPUR 28.09.09<br />
SUKKOT 07.-09.10.09<br />
SHEMINI ATZERET 10.10.09<br />
SIMCHAT THORA 11.10.09<br />
CHANUKKAH 12.-19.12.09<br />
PURIM 28.02.10<br />
PESSACH 30.03.-06.04.10<br />
SCHAVUOT 19.-20.05.10<br />
8 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
HOHE FEIERTAGE<br />
Liebe Freunde und Gemeindemitglieder!<br />
Ein Jahr ist wie im Flug vergangen. Zu gerne hätten wir Jimmys Hoch -<br />
zeit miterlebt, aber dieser Wunsch wurde uns verwehrt.<br />
Die Steinstellung<br />
für den von uns allen geliebten<br />
Jimmy<br />
findet am 5. Oktober <strong>2008</strong>, um 15.30 Uhr<br />
am Zentralfriedhof, Tor 4, statt.<br />
Anschließend wird um 17 Uhr im Stadttempel ein Gedenk-Gottes -<br />
dienst mit darauffolgendem Kiddusch zu Jimmys Ehren abgehalten.<br />
Die Familie Enukaschwili möchte sich hiermit bei allen Verant wort li -<br />
chen und Spendern für Jimmys Gedenktafel sehr herzlich bedanken.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 9
HOHE FEIERTAGE<br />
WIENER STADTTEMPEL<br />
MAIMONIDES ZENTRUM<br />
BADEN<br />
Kantor: Yair Barzilai<br />
Gebetszeiten Früh Abends<br />
Rosch Haschana<br />
Erev Montag, 29.9. 06.30 18.30<br />
RH 1. Tag Dienstag, 30.9. 08.30 18.40<br />
Taschlich 18.00<br />
RH 2. Tag Mittwoch, 01.10. 07.00 18.45<br />
Jom Kippur<br />
Erev Mittwoch, 8.10. 18.15<br />
J. Kippur Donnerstag, 9.10. 08.30 17.00<br />
Schofar 19.27<br />
Jiskor 11.30 Uhr<br />
Gebetszeiten Früh Abends<br />
Rosch Haschana<br />
Erev Montag, 29.9. 18.00<br />
RH 1. Tag Dienstag, 30.9. 09.00 18.10<br />
Taschlich 17.45<br />
RH 2. Tag Mittwoch, 01.10. 09.00 18.45<br />
Jom Kippur<br />
Erev Mittwoch, 8.10. 18.00<br />
J. Kippur Donnerstag, 9.10. 09.00 17.00<br />
Jiskor 12.00 Uhr<br />
Gebetszeiten Früh Abends<br />
Rosch Haschana<br />
Erev Montag, 29.09. 18.30<br />
RH 1. Tag Dienstag,13.09. 10.00 18.40<br />
RH 2. Tag Mittwoch, 01.10. 10.00 18.45<br />
Jom Kippur<br />
Erev Mittwoch, 08.10. 18.15<br />
J. Kippur Donnerstag, 09.10. 10.0 17.30<br />
Schofar 19.27<br />
Die Sitzplätze sind kostenlos!<br />
Tel.: +43 2252 25 25-300 Fax: 3030 office@juedischegemeinde.at,<br />
SICHERHEIT FÜR IHRE KINDER, FAMILIE UND FREUNDE<br />
RICHTIGES VERHALTEN ZU DEN HOHEN FEIERTAGEN<br />
Weltweit bleibt die Sicherheitslage für jüdische und is ra e lische Ein rich tun gen angespannt. Wir ersuchen Sie daher, auch wei ter -<br />
hin einige Ver hal tensregeln, insbesondere während der kom men den Feierta ge, zu beachten! So können Sie helfen, Notlagen<br />
zu verhindern!<br />
SEIEN SIE WACHSAM!<br />
Achten Sie auf Ihre Umge bung und ungewöhnliche Gegen stän de, Vor fäl le und Personen und melden Sie diese so fort dem Si cher -<br />
heitspersonal!<br />
VERHALTEN SIE SICH RICHTIG!<br />
• BRINGEN SIE KEINE IHNEN FREMDE PERSONEN IN DIE SYNAGOGE MIT!<br />
• VERMEIDEN SIE ES, SICH VOR DER SYNAGOGE AUFZUHALTEN!<br />
• LASSEN SIE IHRE KINDER NICHT VOR DER SYNAGOGE SPIELEN!<br />
• TASCHEN BZW. PERSÖNLICHE GEGENSTÄNDE SOLLTEN NICHT UNBEAUFSICHTIGT BLEIBEN!<br />
• MELDEN SIE JEDEN UNGEWÖHNLICHEN VORFALL UNSEREN SICHERHEITSKRÄFTEN!<br />
Beachten Sie die Anweisungen des Sicherheits per so n<strong>als</strong> und unterstützen Sie dieses nach Mög lichkeit!<br />
FALLS IHNEN EIN VERDÄCHTIGER ODER LIEGENGELASSENER GEGENSTAND AUF FÄLLT,<br />
IST FOLGENDES ZU BEACHTEN:<br />
• BERÜHREN SIE KEINESFALLS DEN GEGENSTAND !<br />
• VERLASSEN SIE SOFORT DEN RAUM ODER DEN ORT, WO SICH DER BETREFFENDE GEGENSTAND BEFINDET!<br />
• VERSTÄNDIGEN SIE SOFORT UNSERE SICHERHEITSKRÄFTE VOR ORT!<br />
SIE ERREICHEN UNS VON 0-24 UHR UNTER TEL. 369 85 26<br />
BITTE HELFEN SIE MIT, DIE GEFAHR SO GERING WIE MÖGLICH ZU HALTEN!<br />
SICHERHEITSHINWEIS FÜR ORTHODOXE SYNAGOGEN<br />
Falls Sie während des Gebetes Ihnen unbe kann te Personen in der Synagoge se hen,<br />
informieren Sie bitte so fort Ihren zuständigen Sicherheitsbeamten!<br />
10 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
IN EIGENER SACHE • FUNDRAISING<br />
Fundraising für die IKG?<br />
Eine Gratwanderung im Mikrokosmos<br />
unserer Gemeinde<br />
Der amerikanische Rabbiner und<br />
Re li gionswissenschaftler Arthur<br />
Hertz berg (s.A.) schrieb: „In den letzten<br />
zweihundert Jahren war der Pluralis -<br />
mus das einigende Prinzip des mo der nen<br />
Ju den tums; Juden, die auf theoretischer<br />
Ebene stark voneinander ab weichen, können<br />
in der Praxis aber trotzdem zusam -<br />
men arbeiten. Sie teilen noch immer die<br />
gleichen Überzeu gungen, die die jüdischen<br />
Frakti o nen schon vor zweitausend Jahren<br />
zu sammenhielten" und weiter: „Die<br />
Zio nisten, die Orthodoxen und die religiösen<br />
Liberalen von heute haben zwar un -<br />
terschiedliche Vorstellungen darüber, wie<br />
sich Juden verhalten sollten, aber sie alle<br />
verfol gen dasselbe Ziel - nämlich die Er -<br />
hal tung des jüdischen Volkes <strong>als</strong> etwas<br />
Ein zigar ti gem, Besonderem auf der Welt".<br />
Mir gefallen diese Zitate vor allem<br />
deshalb, da Hertzberg hier eine klare<br />
Sehnsucht zum Ausdruck bringt, die<br />
umfassender nicht sein könnte: Den<br />
Wunsch nach jüdischer Gemeinschaft<br />
basierend auf grundlegenden jüdischen<br />
Werten. An dieser Stelle möchte<br />
ich insbesondere drei Werte hervorheben,<br />
von denen ich glaube, dass sie<br />
wesentlich zu der Verbundenheit al ler<br />
jüdischen Gemeinden weltweit beitragen<br />
und eine Kraft jüdischen Le bens<br />
sind.<br />
Solidarität, Zedaka und Ahawat Israel<br />
Je nachdem wie stark diese Werte ge -<br />
lebt werden, sind sie das „Lackmus-<br />
papier“ unserer Vitalität. Die Dyna -<br />
mik geht nach innen. Gelten diese<br />
Werte nicht mehr, dann hat das un -<br />
weigerlich Auswirkungen auf die<br />
„Lebendigkeit“ jüdischen Lebens.<br />
Die Eröffnung der neuen ZPC Schule<br />
auf dem IKG Campus ist eines von<br />
vielen gelebten Beispielen in unserer<br />
Gemeinde für eine solche gemeinsame<br />
Anstrengung zu einem lebendigen<br />
jüdischen Leben. Gemeint ist hier<br />
nicht nur die großzügige finanzielle<br />
Unterstützung von privaten Spen dern,<br />
sondern auch und insbesondere der<br />
persönliche Einsatz vieler dieses Pro -<br />
jekt zu verwirklichen.<br />
Das Motto der Schule ist „Bildung<br />
jüdischer Gemeinschaft“. Das lässt<br />
sich nur <strong>als</strong> nachhaltiger Prozess verstehen,<br />
den die Kinder und Jugend li -<br />
chen aktiv erleben müssen, um es zu<br />
ihrem „Ding“ zu machen.<br />
Daher ist diese Schule so wichtig !<br />
Nun, warum der Untertitel „eine Gratwanderung…“<br />
?<br />
Als Fundraiserin für unsere Ge mein -<br />
de bewege ich mich auf ziemlich dünnem<br />
Eis: Einerseits gibt es das „Mega-<br />
projekt“ IKG Campus mit Schule, El -<br />
ternheim und Hakoah – andererseits<br />
gehen die Bedürfnisse der Mitglieder<br />
unserer Gemeinde noch weit über dieses<br />
Projekt hinaus und jeder/jede Einzelne<br />
hat unterschiedliche Vorstel lun -<br />
gen darüber, welche seiner/ihrer Be -<br />
dürfnisse zuerst und am ehesten<br />
zufriedenzustellen sind.<br />
Für was setze ich mich <strong>als</strong>o ein und für<br />
welches Projekt/Organisation spen de<br />
ich?<br />
Was bedeutet für mich Zedaka und<br />
Ahawat Israel ?<br />
Die Antwort ist jedenfalls eine sehr<br />
per sönliche und kann nur in der Ei gen -<br />
verantwortung von jedem selbst liegen.<br />
Viele unserer Mitglieder arbeiten eh -<br />
renamtlich in diversen jüdischen und<br />
israelischen Institutionen und Hilfs -<br />
organisationen. Noch mehr leisten zumindest<br />
einen finanziellen Beitrag für<br />
den einen oder anderen Zweck.<br />
Res pekt und Dank gebührt allen.<br />
Ich kann <strong>als</strong> Fundraiserin der IKG nur<br />
einen Bedarf mit einer dringenden<br />
Bitte an Sie kommunizieren. Ob dieser<br />
Bedarf mit Ihren Vorstellungen in Einklang<br />
zu bringen ist, entscheiden Sie!<br />
In diesem Sinne wünsche ich uns allen<br />
ein glückliches, gesundes und erfolgreiches<br />
Neues Jahr 5769!<br />
Herzlichst,<br />
Miriam Tenner<br />
Fundraising Management IKG Wien<br />
m.tenner@ikg-wien.at<br />
mobil +43/676 844 512 601<br />
Miriam Tenner verstärkt seit Juni<br />
<strong>2008</strong> das Fundraising-Team der IKG<br />
Wünsche?<br />
Probleme?<br />
Anregungen?<br />
Wenden Sie sich<br />
vertrauensvoll an unsere<br />
IKG-Ombudsleute<br />
Gustav Adler<br />
Tel: 0676 636 5118,<br />
Heinrich Ehlers<br />
Tel: 0676 421 3670<br />
DI Hans Gelbard<br />
Tel: 0699 11058 606<br />
Dr. Slawik Jakubow<br />
Tel: 0664 103 2349<br />
Prof. Dr. Franziska Smolka<br />
Tel: 531 04 -105<br />
fsmolka@chello.at<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 35
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
SERIE<br />
Hinter den Kulissen –<br />
Die IKG Wien stellt sich vor<br />
Teil 1: DAS MITGLIEDERSERVICE<br />
SERVICE<br />
Öffnungszeiten: Montag bis<br />
Donnerstag 9.00 Uhr bis 16.30 Uhr<br />
und nach Vereinbarung; Freitag<br />
9.00 Uhr bis 14.00 Uhr (Bei persönlichen<br />
Vorsprachen wird – auch<br />
wegen der Sicherheitskontrollen -<br />
um vorherige telefonische Termin -<br />
ver einbarung gebeten!)<br />
Erreichbarkeit Mitgliederservice:<br />
01/53 104 - DW 170, DW 171 oder<br />
DW 190; Fax DW 179;<br />
service@ikg-wien.at<br />
Erreichbarkeit Matrikenangele -<br />
gen heiten: 01/53 104 - DW 172;<br />
Fax DW - 179; w.eckstein@ikg-wien.at<br />
(Mag. Wolf-Erich Eckstein)<br />
„Ein schönes<br />
Gefühl,<br />
weiterhelfen<br />
zu können“<br />
Sie möchten sich in der Kultusge mein de<br />
<strong>als</strong> Mitglied eintragen lassen? Sie haben<br />
Fragen zu Ihrem Kultus bei trag? Oder<br />
brauchen Sie schlicht eine Auskunft und<br />
wissen nicht genau, an wen in der IKG<br />
Sie sich konkret wenden sollen? Dann<br />
sind Sie beim Mit glie derservice der IKG<br />
Wien an der richtigen Stelle. Geführt<br />
wird es seit seiner Gründung 1999 von<br />
Natalia Najder.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Natalia Najder (mi) mit ihrem Team:<br />
Sylvia Toegel, Avi Kihinashvili und<br />
Wolf-Erich Eckstein (vlnr)<br />
Die Telefone läuten, eine Nachricht<br />
nach der anderen trifft in der Mailbox<br />
ein und an der Tür klopft schon der<br />
nächste ausländische Gast, der sich in<br />
den Matrikenbüchern der Kultusge -<br />
meinde auf Spurensuche nach seinen<br />
Vorfahren aus Wien machen möchte:<br />
das ist der ganz normale Alltag im<br />
Mitgliederservice der IKG Wien. Im<br />
Schnitt beantworten die vier Mitar -<br />
beiter täglich je 20 telefonische Anfra -<br />
gen und beantworten 30 Mails. Zehn<br />
bis 15 Personen sprechen jede Woche<br />
persönlich im Büro im Parterre vor.<br />
Die Aufgaben des Mitgliederservi ce,<br />
das 1999 aus der Zusammenführung<br />
von Steuer- und Matrikelamt entstand,<br />
sind vielfältig: dazu zählen das Regis -<br />
trieren neuer Mitglieder, das Einhe ben<br />
der Kultusbeiträge, die Verwaltung<br />
der Tempelkarten, das Ausstellen von<br />
Bestätigungen, die Pflege der Mitglie -<br />
derdatenbank sowie der große Be reich<br />
der Matriken, <strong>als</strong>o der Geburts-, Hei -<br />
rats- und Sterbebücher der Jahre 1826<br />
bis 1938.<br />
Für letztere zuständig zeichnet<br />
Mag. Wolf-Erich Eckstein. Wer im mer<br />
nach Dokumenten seiner Vorfahren<br />
sucht, ist bei ihm richtig. Und die<br />
Nachfrage nach Ausstellung von entsprechenden<br />
Urkunden nehme nicht<br />
ab, sondern zu. „Gäste aus der ganzen<br />
Welt suchen hier nach ihren Wurzeln“,<br />
so die Leiterin des Mitglie der service.<br />
Ein weiterer großer Bereich der Ab -<br />
teilung: die Aufnahme von Mitglie derdaten<br />
der Jahre 1945 bis 1985 in die<br />
aktuelle Datenbank. Seit den achtziger<br />
Jahren werden die jeweils neuen<br />
Daten mit dem Computer erfasst.<br />
Nach und nach werden nun ältere<br />
Daten, die mit Hilfe von Karteikarten<br />
archiviert worden waren, in die Da -<br />
tenbank eingegeben. Darum kümmert<br />
sich hauptsächlich Sylvia Toegel, die<br />
seit 1977 in der Kultusgemeinde tätig<br />
und damit momentan die ältestgediente<br />
Mitarbeiterin der Gemeinde ist. Bis<br />
zum Buchstaben G hat sich Sylvia<br />
Toegel inzwischen vorgekämpft. Es ist<br />
kein leichtes Unterfangen, geht es doch<br />
darum, möglichst alle relevanten Da -<br />
ten miteinander zu verknüpfen – <strong>als</strong>o<br />
etwa die Mitgliederdaten mit jenen<br />
der Friedhofsdatenbank, die ebenfalls<br />
36 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
in den Aufgabenbereich von Natalia<br />
Najder und ihrem Team fällt.<br />
Der vierte und jüngste in diesem<br />
Team ist Avi Kihinashvili. Ist Wolf-<br />
Erich Eckstein einmal nicht da, weiß er,<br />
wie man mit den Matriken umgeht.<br />
Und auch bei allen anderen Aufgaben<br />
packt er mit an. Denn das Mitglieder -<br />
service ist ja nicht nur erste Anlauf -<br />
stel le nach außen, sondern kooperiert<br />
auch mit vielen anderen Abteilungen<br />
der IKG. „Wir unterstützen die Fund -<br />
rai sing-Abteilung“, betont Nata lia Naj -<br />
der hier <strong>als</strong> eine wichtige Aufgabe.<br />
Das Mitgliederservice hilft aber auch<br />
bei der Organisation der alle fünf<br />
Jahre stattfindenden Kultuswahlen,<br />
erstellt die Sterbeliste für die Zeitung<br />
bzw. informiert alle Interessierten<br />
über Begräbnistermine, erstellt die<br />
Geburtstagsliste (Mitglieder ab 70<br />
erhalten persönliche Glückwünsche),<br />
unterstützt die Friedhofsverwaltung<br />
etwa durch die Administration der<br />
Grab reservierungen und stellt schließlich<br />
auch noch das Adressmaterial der<br />
IKG für alle jüdischen Medien bereit.<br />
Letzteres macht insoferne Auf wand,<br />
<strong>als</strong> die IKG ihre Adressen nicht aus<br />
der Hand gibt. Das bedeutet, dass bei<br />
jedem einzelnen Verschicken einer<br />
Publikation das Mitgliederservice in<br />
diesen Vorgang eingeschaltet ist. Und:<br />
wer – aus Sicherheitsgründen oder<br />
aus welchem persönlichen Grund<br />
auch immer – keine Zuschrif ten mit<br />
<strong>als</strong> jüdisch ersichtlichem Absender<br />
bekommen möchte, erhält alle Zusen -<br />
dungen im neutralen Kuvert. Derzeit<br />
würden rund 30 Mitglieder dieses<br />
Service in Anspruch nehmen, erzählt<br />
die Leiterin des Mitgliederservice.<br />
Seit kurzem bieten Natalia Najder<br />
und ihre Mitstreiter übrigens ein weiteres<br />
Service an: mit einer neuen Da -<br />
ten bankfunktion ist es möglich, anzuge<br />
ben, welche Publikationen man er -<br />
halten will und welche nicht. So kann<br />
beispielsweise nur „Die Gemein de“<br />
sowie der „David“ oder nur „Die<br />
Gemeinde“ und „NU“ bezogen werden.<br />
Eine Mitteilung an das Mit glie -<br />
derservice reicht, und diese Infor ma -<br />
tionen werden in der Datenbank eingegeben<br />
und dann entsprechend<br />
berücksichtigt.<br />
Insgesamt appelliert Natalia Najder<br />
an alle derzeit rund 7.000 Mitglieder,<br />
stets ihre aktuellen Daten mitzuteilen.<br />
Egal, ob man umzieht und damit eine<br />
neue Anschrift hat oder sich Telefon -<br />
nummer oder E-Mail-Adresse ändert:<br />
ein kurzer Anruf oder ein Mail genügen<br />
und das Mitgliederservice kann<br />
seine Datenbank aktuell halten. Rat -<br />
sam ist es übrigens auch, beim Hin -<br />
terlassen von Nachrichten auf dem<br />
telefonischen Anrufbeantworter seinen<br />
Namen und seine Tele fon num -<br />
mer zu hinterlassen. „Immer wieder<br />
haben wir Mailboxnachrichten mit der<br />
Bitte um Rückruf, ohne dass Name und<br />
Telefonnummer angegeben werden“,<br />
plaudert Natalia Najder aus dem<br />
auch teils amüsanten Alltag. In die<br />
Rubrik „Anekdotisches“ fallen auch<br />
jene E-Mail-Anfragen aus den USA,<br />
mit denen ohne Angabe eines Namens<br />
nach Vorfahren gesucht wird. Wenn<br />
dann nicht einmal eine Telefonnum -<br />
mer oder andere Kontaktmöglichkeit<br />
angegeben wird und das Ver sen den<br />
an die Mailadresse – „wie das leider oft<br />
mit amerikanischen Mail-Adressen der<br />
Fall ist“ – nicht funktioniert, versandet<br />
die Anfrage leider im Nichts.<br />
Und das tut Natalia Najder weh,<br />
denn sie versteht sich <strong>als</strong> Servicestelle<br />
und findet es „ein schönes Gefühl, wei -<br />
terhelfen zu können“. Auch dann, wenn<br />
Mitglieder „nach der Telefon num mer<br />
der Gemeinde auf den Bahamas fragen“<br />
oder sich schlicht nach den aktuellen<br />
Gebetszeiten erkundigen. „Und falls<br />
es uns nicht möglich ist, eine Anfrage zu<br />
beantworten, dann möchten wir wenigstens<br />
an die richtige Stelle verweisen“,<br />
betont Natalia Najder. Damit das auch<br />
funktioniert, brauche man ein motiviertes<br />
Team, so die Leiterin, „und ich<br />
habe ein tolles Team“. Ihr Credo: „Das<br />
Team ist nur so motiviert, wie der Leiter<br />
ZUR PERSON<br />
oder die Leiterin.“ Das viele positive<br />
Feedback zeigt, dass sie den richtigen<br />
Weg eingeschlagen hat. Persönlich<br />
ma che ihr die Aufgabe trotz zeitweiliger<br />
massiver Arbeitsüberlastung<br />
„großen Spaß“. Interessant findet sie<br />
vor allem die Abwechslung. Denn im<br />
Mitgliederservice ist kein Tag wie der<br />
vorhergehende.<br />
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Natalia Najder, geb. 1957 in Warschau, verbrachte ihre Schul zeit in War -<br />
schau und London. Nach der Matura 1975 zunächst fünf Semester<br />
Studium orientalischer Spra chen in Warschau, von 1978 bis 1981 Chef -<br />
sekretärin der Iberistik-Ab tei lung der Uni War schau.<br />
Seit Oktober 1981 in Österreich, von 1983 bis 1988 Mitarbeiterin der Steu -<br />
er abteilung der IKG. Danach bis Herbst 1989 in Griechenland, anschließend<br />
für Fa. Forel tätig. Seit Mai 1991 wieder in der Kul tus gemeinde. Ab<br />
1. Ja nu ar 1999 Leitung des Mitgliederservice.<br />
Najder ist zudem ehrenamtlich im Tauchbetrieb ihres Ehemannes Pe ter<br />
Käfer böck tätig, der auch im mer wie der Veranstaltungen in Koope ra tion<br />
mit dem Sommercamp der Zwi Peres Chajes-Schule durchführt.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 37
POLITIK • INLAND<br />
Wer wofür steht und was verspricht<br />
Nichts geht mehr: die SPÖ-ÖVP-Regierung beschloss diesen Sommer ihr frühes Ende.<br />
Nach nicht einmal zwei Jahren Regierungsarbeit wird Ende September wieder zur Wahl ur ne<br />
gerufen.<br />
„Die Gemeinde“ bat die Spitzenkandidaten von SPÖ, ÖVP, Grünen und LIF für die bevorstehende<br />
Nationalratswahl um Antworten auf Fragen, die die Mitglieder der <strong>Israelitische</strong>n<br />
Kultusgemeinde bewegen. Wer wird endlich die Verantwortung für die Erhaltung der jüdischen<br />
Friedhöfe übernehmen? Warum kommt der NS-Kriegsver bre cher Milivoj Asner ungeschoren<br />
davon? Und wie sieht Gedenken im Jahr <strong>2008</strong> aus?<br />
Fritz Dinkhauser, der ursprünglich ebenfalls zusicherte, für ein Gespräch zur Verfü gung zu<br />
ste hen, fand schlussendlich leider keine Zeit dafür. Dafür fand IKG-Prä si dent Ariel Muzi cant<br />
in einem Pressegespräch klare Worte hinsichtlich einer angesichts der Umfragen (Stand<br />
Anfang September) nicht unwahrscheinlichen Regie rungs beteiligung der FPÖ.<br />
EIN DOSSIER VON ALEXIA WEISS<br />
„Die Gemeinde“: Heuer sollte daran<br />
gedacht werden, wie vor 70 Jahren der<br />
NS-Terror in Öster reich seinen Anfang<br />
nahm. Warum fiel das of fizielle Gedenken<br />
durch die Repu blik un ter einem SPÖ-<br />
Kanzler derart verhalten aus?<br />
Werner Faymann: Es gab eine Reihe<br />
von Gedenkver an stal tungen zu „1938<br />
– <strong>2008</strong>“ beziehungsweise „1918 – 1938<br />
– <strong>2008</strong>“. Die für September ge plante<br />
Ausstellungs er öffnung „1918 – 38 –<br />
<strong>2008</strong>“ wurde wegen den Natio nal -<br />
ratswahlen auf November verschoben,<br />
weil wir si cher gehen wollen,<br />
dass die Ausstel lung die Aufmerk -<br />
sam keit bekommt, die ihr zusteht.<br />
„Jüdische Gemeinde<br />
bei ihrer Entwicklung<br />
unterstützen“<br />
SPÖ-Spitzenkandidat We r ner<br />
Faymann über den Um gang<br />
mit NS-Kriegsverbre cher Asner,<br />
den Zustand der jüdischen<br />
Fried höfe und seine Linie in<br />
der Nahost-Politik<br />
Werner Faymann<br />
©SPÖ<br />
POLITIK<br />
Viele Gemeindemitglieder schmerzt es,<br />
dass mit Milivoj Asner ein bekannter<br />
NS-Kriegsverbrecher ruhig seinen<br />
Lebens abend in Österreich verbringen<br />
kann, ohne dass ihm der Prozess<br />
gemacht wird. SPÖ-Justizministerin<br />
Maria Berger hat zwar mit dem<br />
Aussetzen eines Kopfgeldes auf die<br />
beiden vermutlich noch lebenden österreichischen<br />
Kriegsverbrecher Alois<br />
Brunner und Aribert Heim ein Zeichen<br />
gesetzt, sagt aber, dass ihr im Fall Asner<br />
auf Grund der geltenden Rechtslage die<br />
Hände gebunden seien. Warum gibt es<br />
seitens der SPÖ dann keine Initiativen,<br />
rechtlich Möglichkeiten zu schaffen, hier<br />
einzugreifen?<br />
Gegen Milivoj Asner wurden Ge -<br />
richts verfahren eingeleitet. Am 22. Dezem<br />
ber 2004 wurde das Kärntner<br />
Lan desgericht aktiv und leitete Vorer -<br />
he bungen wegen Verdacht auf Völ -<br />
ker mord ein. Diese wurden auf Basis<br />
von Gutachten hinsichtlich der nicht<br />
gegebenen Vernehmungsfähigkeit von<br />
Asner immer wieder unterbrochen.<br />
So weit mir bekannt ist, wurde nun<br />
ein Experte aus der Schweiz, Marc<br />
Graf, gebeten, Asner zu untersuchen.<br />
Ich hof fe, dass es durch diese Ex per ti -<br />
se zu einer endgültigen Klärung der<br />
Rechtslage kommen wird.<br />
Es verwundert auch, dass den Aussagen<br />
des Kärntner Landeshauptmannes Jörg<br />
Haider (BZÖ), wonach es sich bei den<br />
Asners um „eine nette Familie“ handelt,<br />
kein Aufschrei der politischen Mitbewer -<br />
ber gefolgt ist. Auf Bundesebene haben<br />
lediglich die Grünen Protest eingelegt.<br />
Warum hat sich die Bundes-SPÖ hier<br />
nicht zu Wort gemeldet?<br />
Die SPÖ Kärnten hat die Aussagen<br />
Hai ders <strong>als</strong> entbehrlich und ge -<br />
schmack los kritisiert, er hat damit dem<br />
Image des Landes großen Schaden zugefügt.<br />
Sie erinnerte Haider daran,<br />
dass Asner wegen Völkermordes an -<br />
ge klagt wurde und zu den laut Wie senthal-Zentrum<br />
meistgesuchten Na zi-<br />
Verbechern zählt. Ich gehe davon aus,<br />
dass diese Aussagen in Abstim mung<br />
mit der Bundesorganisation ge macht<br />
wurden. Für die Zukunft nehme ich<br />
für mich mit, dass wir hier deutlicher<br />
und auf allen Ebenen der Bewegung<br />
reagieren müssen.<br />
38 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • INLAND<br />
Als ebenso schmerzlich empfinden viele<br />
Juden, dass die jüdischen Friedhöfe weiter<br />
verfallen, und das trotz entsprechender<br />
Verpflichtung Österreichs durch das<br />
Washingtoner Abkommen von 2001,<br />
die Gräber instand zu setzen und zu<br />
erhalten. Im Nationalrat liegt zusätzlich<br />
ein Initiativantrag der Grünen, hier<br />
endlich tätig zu werden. Außer einer<br />
Studie zum Währinger Friedhof, für die<br />
National- und Zukunftsfonds 300.000<br />
Euro aufbringen, ist nichts passiert.<br />
Warum handelt die SPÖ nicht? Ist es<br />
hier wirklich der Weisheit letzter<br />
Schluss, dass das Thema wie eine heiße<br />
Kartoffel zwischen Bund und Ländern<br />
hin- und hergeschoben wird?<br />
Mir ist bewusst, dass der Anspruch<br />
sein muss, dass jeder jüdische Fried hof<br />
in einem Zustand ist wie der Zen tral -<br />
friedhof, IV. Tor. Wir müssen den jü -<br />
dischen Stätten ihrer Tradition der Unveränderlichkeit<br />
und Beständigkeit<br />
entsprechen. Ich weiß, dass beispielsweise<br />
der jüdische Friedhof in Wäh -<br />
ring sich in einem Zustand befindet,<br />
der nicht tragbar ist. Grundsätzlich ist<br />
es so, dass die Gräberbetreuung bei<br />
den Ländern angesiedelt ist. Die Stadt<br />
Wien ist bei der Gräberfinan zie rung<br />
beispielsweise sehr großzügig. Der von<br />
Ihnen angesprochene Initiativ-An trag<br />
wurde von den Grünen erst am 7. Mai<br />
<strong>2008</strong> eingebracht und konnte - wegen<br />
der Aufkündigung der Koalition und<br />
der Neuwahlen - nicht mehr im<br />
Ausschuss behandelt werden.<br />
(Nationalratspräsidentin, Anm.) Bar -<br />
ba ra Prammer hat nun ein Pilot pro -<br />
jekt im Währinger Park gestartet, wie<br />
groß der tatsächliche Sanierungs be darf<br />
ist. Es braucht hier wesentlich mehr<br />
<strong>als</strong> einen Gärtner, der das Gras mäht<br />
und die Sträucher stutzt. Die Grab -<br />
mä ler sind zum Teil sehr aufwändig<br />
gestaltet und müssten dementsprechend<br />
restauriert werden. Ich werde<br />
den Dialog auf der Seite des Bundes<br />
vorantreiben, um hier zu kon kreten<br />
Ergebnissen zu kommen.<br />
Empfinden Sie es <strong>als</strong> wichtig für die<br />
heutige österreichische Gesellschaft,<br />
dass es eine lebendige jüdische<br />
Gemeinde gibt? Gibt es hier auch eine<br />
Verpflichtung der öffentlichen Hand,<br />
etwas zur dafür nötigen Infrastruktur<br />
bzw. deren Erhaltung beizusteuern?<br />
Wo beginnt und wo endet für Sie<br />
diese Verpflichtung?<br />
Ja, ich empfinde es <strong>als</strong> sehr wesentlich,<br />
eine lebende jüdische Gemeinschaft<br />
zu haben. Wir haben hier eine Ver -<br />
pflichtung, die sich nicht nur aus der<br />
Geschichte ableitet. In jüngster Zeit<br />
konnten Signale gesetzt werden, wie<br />
zum Beispiel die Rückgabe des Neu -<br />
baus am Hakoah-Platz in Wien. Auch<br />
die höchst begrüßenswerten Initia ti -<br />
ven des Jewish Welcome Service werden<br />
unterstützt.<br />
Eine lebendige jüdische Gemeinde, das<br />
heißt auch: gelebtes Judentum. Könnte<br />
die heute 7.000 Mitglieder zählende<br />
Gemeinde durch Zuzug vergrößert<br />
werden, sähe die Zukunft rosiger aus.<br />
Die rigi den Einwanderungsbestimmun<br />
gen, die schon zu Zeiten der<br />
SPÖ-Kanz ler schaft in den neunziger<br />
Jahren erlassen wurden, schieben hier<br />
aber einen Riegel vor. Sehen Sie<br />
Möglichkeiten, jüdischen Zuzug zu<br />
ermöglichen? Haben Sie auch den<br />
politischen Willen, hier etwas zu tun?<br />
Wir müssen uns in dieser Frage ei nem<br />
offenen Dialog stellen. Meine grundsätzliche<br />
Linie ist, dass wir die jüdische<br />
Gemeinde bei ihrer Entwicklung<br />
unterstützen wollen. Es gab in Österreich<br />
Beispiele erleichterten Zugangs,<br />
die auf dieser Basis diskutiert werden<br />
können. Dabei müssen wir die Grundregeln<br />
des Zusammenlebens auf dem<br />
Fundament der Gleichberechtigung<br />
für alle und demokratischer Grund -<br />
prin zipien im Auge behalten.<br />
Die Situation in Israel wird auch von<br />
der jüdischen Gemeinde in Österreich<br />
genau verfolgt. Als unverständlich<br />
empfinden viele Juden, dass beim Thema<br />
Nahost-Konflikt vor allem von Vertre -<br />
tern linker Parteien oft mehr Sympathie<br />
für die Anliegen der Palästinenser <strong>als</strong><br />
für jene der ständig von Terror bedrohten<br />
Israelis zu kommen scheint.<br />
Der SPÖ-EU-Abgeordnete Johannes<br />
Swoboda etwa hat sich wiederholt für<br />
eine Anerkennung der palästinensischen<br />
radikalislamischen Hamas <strong>als</strong><br />
Gesprächs partner der EU und damit<br />
deren Einbindung in politische<br />
Gespräche zur Lösung des Nahost kon -<br />
flikts ausgesprochen. Wie positionieren<br />
Sie sich hier? Und für wie zuträglich<br />
halten Sie für die SPÖ wiederholte<br />
Ausritte von Fritz Edlinger gegen Israel,<br />
etwa <strong>als</strong> er 2006 im Zug des Libanon-<br />
Kriegs Israel in einem TV-Gespräch<br />
gegenüber dem israelischen Botschafter<br />
Dan Ashbel <strong>als</strong> „Verbrecher“ bezeichnete?<br />
Die SPÖ tritt für eine friedliche Lö -<br />
sung des Nahostkonflikts ein. Europa<br />
muss sich stärker in die Nahost-<br />
Agen den einbringen, nicht nur mit<br />
wirtschaft lichen Initiativen, sondern<br />
auch durch ein stärkeres diplomatisches<br />
En gagement. Klar ist aber auch,<br />
dass es nur einen beschränkten Be we -<br />
gungsspielraum aufgrund der Not -<br />
wen digkeit „doppelter Verhandlun -<br />
gen“ gibt: Nicht nur das Gegenüber<br />
muss überzeugt werden, sondern<br />
auch auf der jeweiligen innenpolitischen<br />
Ebene die eigenen Mitstreiter.<br />
Das Existenzrecht Israels ist für uns<br />
dabei eine unabdingbare Tatsache.<br />
Al lerdings muss es auch für das palästinensische<br />
Volk eine friedliche Per -<br />
spektive geben mit den Stichwörtern<br />
Road Map und Zwei-Staaten Lösung.<br />
Ausritte sind in dieser Situation nicht<br />
zuträglich.<br />
Sorge bereitet vielen Juden auch die<br />
derzeitige Führung des Iran.<br />
Ankün di gungen von Mahmud<br />
Ahmadi nedschad, Israel von der<br />
Landkarte auslöschen zu wollen, werden<br />
<strong>als</strong> Bedrohung empfunden. Wie ist dem<br />
aktuellen iranischen Regime aus<br />
Ihrer Sicht zu begegnen?<br />
Die Situation im Iran ist sehr schwierig.<br />
Es gilt jedenfalls zu verhindern,<br />
dass der Iran zu einer Atommacht<br />
wird. Die Leugnung des Holocaust<br />
durch den iranischen Präsidenten ist<br />
auf das Schärfste zu verurteilen. Pro -<br />
blematisch ist aber auch die Haltung<br />
des Iran zu den Menschenrechten, insbesondere<br />
zu den Rechten der Frau en,<br />
den Gewerkschaften und den ethnischen<br />
und religiösen Minderheiten.<br />
Österreich setzt aber auch in dieser<br />
Frage auf den Dialog und den diplomatischen<br />
Weg via UNO und IAEO.<br />
Halten Sie Geschäfte der ÖMV mit<br />
dem Iran für vertretbar?<br />
Die vorliegenden Rahmenbedin gun -<br />
gen der ÖMV-Vorhaben müssen sorgfältig<br />
geprüft werden. Vor dem Hin -<br />
tergrund der langjährigen Tradition<br />
Österreichs <strong>als</strong> vermittelnde und friedensfördernde<br />
Kraft im Nahen Osten<br />
gilt für mich, dass die Existenz des<br />
Staates Israels in keinem Fall gefährdet<br />
werden darf.•<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 39
POLITIK • INLAND<br />
„Die Gemeinde“ Hohle Worte und keine<br />
Taten: diesen schalen Nachgeschmack<br />
droht das Ge denk jahr <strong>2008</strong> zu hinterlassen.<br />
Die unter ÖVP-Kanzler Wolfgang<br />
Schüssel 2001 im Washingtoner<br />
Abkommen verankerte Ver pflich tung<br />
Österreichs, für die Erhaltung der jüdischen<br />
Friedhöfe zu sorgen, wurde bis<br />
jetzt nicht umgesetzt. Man hat den Eindruck,<br />
das Thema wird zwischen Bund<br />
und Ländern wie eine heiße Kartoffel<br />
hin- und hergeschoben. Warum hat die<br />
ÖVP hier trotz Kanzlerschaft bis 2007<br />
und Be tei ligung an der amtierenden<br />
Regierung (mit Ausnahme einer eben in<br />
Auftrag ge ge benen Studie für den<br />
Währinger Fried hof mit Mitteln aus<br />
National- und Zukunftsfonds in Höhe<br />
von 300.000 Euro) nichts getan?<br />
Wilhelm Molterer: Eine Bundesregie -<br />
rung unter Führung der ÖVP wird<br />
auch die Frage der Er haltung der jüdischen<br />
Grabstätten noch lösen. Das ist<br />
eine rechtliche und eine moralische<br />
Pflicht. Bisher hat al ler dings die Ge -<br />
meinde Wien, die et wa für den Fried -<br />
hof Währing nach un se rer Bundes verfassung<br />
zuständig ist, eine faire Tei lung<br />
der Finanzie rung glatt abgelehnt. Die<br />
ÖVP-geführten Bundes-re gie run gen<br />
seit dem Jahr 2000 haben schon bisher<br />
für die Opfer des Nation<strong>als</strong>o zialismus<br />
bei Restitution, Entschädigung, Wie -<br />
dergut ma chungs gesten, Gedenk pro -<br />
jekten, sozialrechtlichen Regelungen<br />
und Verbesse run gen sowie direkte Un -<br />
terstützung an Überlebende mehr be -<br />
wirkt, <strong>als</strong> alle anderen Regierungen<br />
der 2. Re pu blik.<br />
Nicht zu Wort gemeldet hat sich Ihre<br />
Partei auf Bundesebene im aktuellen<br />
Fall des NS-Kriegsverbrechers Milivoj<br />
Asner, der seinen Lebensabend<br />
unbehelligt in Kärnten verbringt.<br />
Warum schweigt die ÖVP zu diesem<br />
Thema? Sehen Sie Bedarf, hier rechtliche<br />
Möglichkeiten zu schaffen, um Asner<br />
und andere noch lebende NS-Kriegs -<br />
verbrecher endlich vor Gericht stellen<br />
zu können? Und warum hat die Bundes-<br />
ÖVP auf Aussagen des Kärntner<br />
Landeshauptmannes Jörg Haider (BZÖ),<br />
wonach es sich bei den Asners um<br />
„eine nette Familie“ handelt, nicht<br />
reagiert hat. Warum werden solche<br />
Aussagen Haiders von Ihnen einfach<br />
hingenommen?<br />
Schwere Kriegsverbrechen wie im kon -<br />
kreten Fall der Vorwurf des Völ ker -<br />
„Erhaltung der<br />
Friedhöfe rechtliche<br />
und moralische<br />
Pflicht“<br />
ÖVP-Spitzenkandidat Wilhelm<br />
Molterer über Gedenkkultur,<br />
Vergangenheitsbewältigung<br />
und die Iran-Position seiner<br />
Partei<br />
mor des verjähren nicht, Kriegs ver brecher<br />
müssen bestraft werden. Das gilt<br />
für alle, auch für Milivoj Asner. Die<br />
ÖVP hat den Kärntner LH wegen der<br />
zitierten Äußerung heftig kritisiert<br />
und die Auslieferung Asners verlangt,<br />
zuletzt am 22. Juli <strong>2008</strong>. Die rechtli -<br />
chen Möglichkeiten dafür bestehen,<br />
es ist eine Frage des politischen Wil lens<br />
der Justizministerin mehr zu tun <strong>als</strong><br />
symbolische Handlungen vorzunehmen.<br />
Die SPÖ sollte endlich einen<br />
Schlussstrich unter fragwürdige Ali bi-<br />
Methoden wie etwa im Fall des Pri marius<br />
Grosz ziehen.<br />
Vergangenheitsbewältigung wird<br />
damit jedenfalls noch viele Jahre ein<br />
Thema sein. Schöne Reden und Worte<br />
bei gleichzeitig offenbar fehlendem<br />
Willen, etwa endlich für die Pflege der<br />
Friedhöfe zu sorgen, lösen bei Opfern<br />
und ihren Nachkom men inzwischen<br />
eher Kopfschütteln aus <strong>als</strong> das Gefühl,<br />
verstanden und unterstützt zu werden.<br />
Wie kann man aus Ihrer Sicht<br />
Gedenkkultur wieder so gestalten,<br />
dass sie nicht <strong>als</strong> leer und sinnlos<br />
empfunden wird?<br />
Kritische Auseinandersetzung, differen<br />
zierte Betrachtungsweise und eine<br />
Gedenkkultur, die Lebendigkeit und<br />
Aktualität von Geschichte und ihre<br />
Relevanz für Gesellschaft und Politik<br />
aufzeigt, halte ich für ganz wesentlich.<br />
Dabei sind auch der öffentliche und<br />
po litische Umgang mit Ge schich te<br />
wesentliche Parameter einer Gedenk -<br />
kultur. Anzusetzen gilt es jedoch be -<br />
reits für jeden von uns zu Hause, in<br />
unserem Umfeld und in der Schule,<br />
von Anfang an bei Jugendlichen ein<br />
Sensorium für historische Zusam menhänge<br />
zu schaffen und ihnen damit<br />
Wilhelm Molterer<br />
© ÖVP<br />
auch ein Verständnis und Interesse für<br />
Gedenkkultur zu vermitteln.<br />
Ich halte es <strong>als</strong>o für ganz zentral, Ge -<br />
denkkultur nicht abzuwerten, sondern<br />
<strong>als</strong> selbstverständlichen Teil politischer<br />
Bildung – ab nun ja bereits im Lehr -<br />
plan der Sekundarstufe I <strong>als</strong> eigenes<br />
Pflichtfach Geschichte und politische<br />
Bildung vorgesehen - und der Er wachsenenbildung<br />
zu verankern und <strong>als</strong><br />
Teil gesellschaftspolitische Auseinan -<br />
der setzung wahrzunehmen. Deshalb<br />
meine Unterstützung für „A Letter to<br />
the Stars“.<br />
Erreichen Gedenkveranstaltungen<br />
herkömmlichen Zuschnitts überhaupt<br />
noch das wichtigste Zielpublikum –<br />
die Jugendlichen? Oder halten Sie das<br />
Gedenken an die NS-Zeit überhaupt<br />
für obsolet?<br />
Viele Initiativen und Projekte der letz -<br />
ten Jahre und Monate - auch im Zusam<br />
menhang mit den beiden Ge denk -<br />
jahren 2005 und <strong>2008</strong> zeigen, wel che<br />
vielfältigen Möglichkeiten und Ideen<br />
es gibt, Gedenken so zu gestalten, dass<br />
tatsächlich auch eine inhaltliche Be -<br />
schäf tigung und aktive Erinnerungsund<br />
Gedenkarbeit stattfindet und so<br />
die Aufmerksamkeit auf historische<br />
Zu sammenhänge und Geschehnisse<br />
gelenkt wird. Gerade für den Schul bereich<br />
gibt es hier für Lehrerinnen und<br />
Lehrer seit vielen Jahren ja zum Bei -<br />
spiel herausragende Weiterbil dungs -<br />
möglichkeiten in Yad Vashem.<br />
Letztendlich ist jeder von uns aufgerufen,<br />
einen verantwortungsvollen<br />
Umgang mit Geschichte weiterzugeben<br />
und zu leben und Jugendlichen<br />
Verständnis und Interesse für Ge denkkultur<br />
und historische Entwicklun gen<br />
40 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • INLAND<br />
mitzugeben. In diesem Sinne darf ich<br />
Eli Wiesel zitieren, der beeindrukkend,<br />
eindringlich und prägnant formuliert<br />
hat: „Memory is our fortune,<br />
our only fortune.“<br />
Empfinden Sie es <strong>als</strong> wichtig für die<br />
heutige österreichische Gesellschaft,<br />
dass es eine lebendige jüdische Gemeinde<br />
gibt? Um die Gemeinde in ihrer Größe<br />
von derzeit rund 7.000 Mitgliedern zu<br />
erhalten oder sogar noch zu vergrößern,<br />
wäre Zuzug nötig, der auf Grund der<br />
strikten Einwanderungsbestimmungen<br />
kaum stattfinden kann. Das Innen -<br />
minis terium ist derzeit in Ihrer Hand.<br />
Gibt es Ihrerseits den politischen Willen,<br />
jüdische Zuwanderung zu erleichtern<br />
oder sehen Sie dazu keinen Bedarf?<br />
Eine lebendige und aktive jüdische Gemeinde<br />
in Österreich ist ein wichtiges<br />
Element in der Tradition unterschiedli<br />
cher Religionsgemeinschaften in Österreich,<br />
das unser Land reicher macht.<br />
Die jüdischen Mitbürgerinnen und<br />
Mitbürger bereichern Österreich in<br />
vielfältiger Art und Weise. Die 2005<br />
im österreichischen Parlament mit<br />
großer und parteiübergreifender<br />
Mehr heit beschlossenen Zuwande -<br />
rungs bestimmungen ermöglichen den<br />
geregelten Zuzug unter objektiven<br />
Ge sichtspunkten.<br />
Ebenfalls ÖVP-besetzt ist derzeit das<br />
Außenministerium. Wie positioniert<br />
sich die ÖVP im Nahost-Konflikt,<br />
welche Rolle sollte Österreich spielen,<br />
welche die EU? Werden Geldflüsse der<br />
EU an die Palästinensergebiete aus Ihrer<br />
Sicht ausreichend kontrolliert, um zu<br />
verhindern, dass damit radikalislamische<br />
Terrorgruppen finanziert werden?<br />
Österreich hat zweifellos seine Ver -<br />
trau ensbasis im Nahen Osten in den<br />
letzten Jahren ausbauen können. Das<br />
gute persönliche Verhältnis zwischen<br />
Außenministerin Ursula Plassnik und<br />
der israelischen Außenministerin<br />
Tzi pi Livni ist dabei Ausdruck der<br />
freundschaftlichen Beziehungen zwischen<br />
Österreich und Israel.<br />
Gleichzeitig treten wir für die Ver wirklichung<br />
eines unabhängigen und le -<br />
bens fähigen palästinensischen Staa -<br />
tes ein, neben dem Israel in Frieden<br />
und Sicherheit leben kann. Deshalb<br />
engagiert sich die EU auch nachhaltig<br />
beim Aufbau der Rechtsstaatlichkeit<br />
und der zivilen Polizeikräfte in den<br />
Das offizielle Gedenken 1938 – <strong>2008</strong><br />
Relativ verhalten fiel heuer – 70 Jahre nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hit -<br />
ler-Deutschland - das Gedenken an die Gräuel des NS-Regimes aus. Der Na tio -<br />
nalrat gedachte zwar ebenso der Opfer des Nation<strong>als</strong>ozialismus’ wie die Land -<br />
tage, es gab Gedenkfeiern im ehemaligen KZ Mauthausen, in Gusen, Hart heim,<br />
Ebensee und Melk, es wurden hier und dort neue Gedenktafeln angebracht so -<br />
wie Kränze niedergelegt und „Letter to the Stars“ ließen am Hel den platz in einer<br />
„Nacht des Schweigens“ 80.000 Kerzen anzünden - der große Pauken schlag war<br />
aber nicht zu vernehmen. Fast scheint es, <strong>als</strong> wäre das Land nach dem großen Ge -<br />
denk jahr 2005 etwas müde geworden des Erinnerns, Trauerns und War nens.<br />
Als eine der emsigsten Mahnerinnen wider das Vergessen trat Nationalrats -<br />
prä si den tin Barbara Prammer (SPÖ) auf. Sie lud zu Buch- und DVD-Präsen ta -<br />
tio nen ins Hohe Haus, öffnete die Türen für eine Matinee des Volkstheaters<br />
und sprach sich im Rahmen der alljährlich abgehaltenen Gedenkveranstaltung<br />
im historischen Sitzungssaal des Parlaments gegen einen „Schlussstrich“ bei<br />
der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit aus.<br />
Und ihr Parteikollege, Verteidigungsminister Norbert Darabos, selbst ausgebildeter<br />
Historiker, drängte gerade im heurigen Jahr auf eine intensive Auseinan -<br />
der set zung innerhalb des Bundesheeres mit dem Jahr 1938, aber auch mit<br />
1918. So wurde u.a. dreier im April 1945 hingerichteter militärischer Wider -<br />
stands kämp fer gedacht. In der Khevenhüller-Kaserne in Klagenfurt wird ein NS-<br />
Fresko künstlerisch bearbeitet, um dessen historischen Zusam men hang aufzuzeigen.<br />
Am Grund der Belgier-Kaserne in Graz wird nach dort vermuteten,<br />
ermordeten NS-Opfern gesucht, um eine würdige Beisetzung zu ermöglichen.<br />
Und auch die Grünen hielten nicht nur Reden, sondern ließen Taten sprechen.<br />
Sie stellten im Nationalrat einen Antrag, mit dem endlich die Sanierung der<br />
jü di schen Friedhöfe beschlossen und Lücken in der Gesetzgebung zur Kunst restitution<br />
geschlossen werden sollten. Sie forderten zudem im heurigen Ge denkjahr<br />
eine Einmalzahlung von 5.000 Euro an NS-Opfer. Die vorgezogenen Neu -<br />
wah len verhinderten allerdings eine Behandlung des von den Grünen vorgeschlagenen<br />
Pa kets im Plenum.<br />
Als Schuss nach hinten erwies sich eine Gedenkveranstaltung des ÖVP-Parla -<br />
ments klubs. Als Gastredner hatte die Volkspartei Otto Habsburg geladen. Die -<br />
ser unterstrich mit seiner Aussage, es gäbe keinen Staat in Europa, der mehr<br />
Recht habe, sich <strong>als</strong> Opfer zu bezeichnen, <strong>als</strong> Österreich einmal mehr die<br />
Opferthese, und verglich den Auftritt Adolf Hitlers am Heldenplatz verharmlosend<br />
mit ei nem Fuß ballspiel. Die ÖVP-Granden applaudierten. Einige Tage später<br />
bemühte sich an ge sichts der massiven Kritik von SPÖ, Grünen und LIF allerdings<br />
Vizekanzler Wi l helm Molterer nach einer Sitzung des Ministerrats zu kalmieren<br />
und betonte, „die politische und moralische Verurteilung des National -<br />
sozia lismus ist längst gesprochen. Das ‚Niem<strong>als</strong> wieder’ ist in unserem Gemein we sen<br />
unverrückbarer Grund konsens, der immer wieder bestätigt und erneuert werden muss“.<br />
In der zuvor stattgefundenen Regierungssitzung war nach langem Stillstand in<br />
die ser Frage die Einrichtung des Simon Wiesenthal-Zentrums, basierend auf dessen<br />
hinterlassenen Archiv, beschlossen worden. Das Zentrum werde „Mahn mal<br />
für dieses ‚Niem<strong>als</strong> wieder’ und ‚Niem<strong>als</strong> vergessen’“ sein, so Molterer.<br />
ÖVP-Gastredner Otto<br />
Habsburg im Parlamnet<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 41
POLITIK • INLAND<br />
palästinensischen Gebieten. Die EU<br />
kontrolliert selbstverständlich ganz<br />
genau, wohin ihre Gelder gehen, so -<br />
dass sie nicht missbräuchlich ver wen -<br />
det werden können. Unser Ziel ist<br />
eine umfassende Friedenslösung. Das<br />
Vertrauenskapital, das wir auf beiden<br />
Seiten genießen, wollen wir da für weiter<br />
einsetzen. Die EU ist auch bereit,<br />
im Rahmen einer zukünftigen Frie -<br />
dens regelung ihren aktiven Bei trag<br />
zu leisten.<br />
Sorge bereitet vielen Gemeindemitglie dern<br />
auch die derzeitige Führung des Iran.<br />
Ankündigungen von Mahmud Ahma -<br />
dinedschad, Israel von der Landkarte<br />
auslöschen zu wollen, wirken bedrohlich.<br />
Wie ist dem aktuellen iranischen Regime<br />
aus Ihrer Sicht zu begegnen?<br />
Die ÖVP-Haltung zu den unakzeptablen<br />
Ausfällen des iranischen Präsi -<br />
denten ist eindeutig. Außenminis te rin<br />
Plassnik hat sie wiederholt öffentlich<br />
verurteilt. Das Existenzrecht Israels<br />
und seine Sicherheit dürfen nicht in<br />
Frage gestellt werden. Daher wollen<br />
wir auch keinen nuklear bewaffneten<br />
Iran. Die EU arbeitet daher im Rah men<br />
der sogenannten E3+3-Verhand lun gen<br />
unter EU-Chefdiplomat Solana an ei -<br />
ner Einstellung des iranischen Anrei -<br />
che rungsprogramms. Das ist eine For -<br />
de rung der gesamten internationalen<br />
Staatengemeinschaft, der durch zielgerichtete<br />
UNO-Sanktionen Nachdruck<br />
verliehen wird. Außenministerin Plassnik<br />
hat zudem vorgeschlagen, An la gen<br />
zur Anreicherung von Nu kle arma te -<br />
rial unter internationale Kontrolle –<br />
etwa der IAEO – zu stellen. So würden<br />
nationale Anreicherungspro gramme<br />
wie jene im Iran überflüssig und der<br />
Gefahr des militärischen Missbrauchs<br />
ein Riegel vorgeschoben werden.<br />
Halten Sie in diesem Kontext Geschäfte<br />
der ÖMV mit dem Iran für vertretbar?<br />
Was die ÖMV anlangt, haben wir sie<br />
wis sen lassen, dass ihre Entschei dun -<br />
gen weit reichende politische Konse -<br />
quenzen haben können.•<br />
Währinger Friedhof<br />
Jüdische Friedhöfe<br />
Österreichweit gibt es an die 60 jüdische Friedhöfe. Sie zu restaurieren und zu pflegen schaffen die Kultusgemeinden<br />
nicht. Im Washingtoner Abkommen wurde daher 2001 festgehalten, dass sich die Republik Österreich verpflichtet, hier<br />
einzuspringen – passiert ist freilich wenig bis nichts.<br />
Von den derzeit 61 bekannten Friedhöfen befinden sich 26 in Niederösterreich, 15 im Burgenland, sechs in Wien, drei in<br />
Oberösterreich, sechs in der Steiermark, einer in Kärnten, einer in Salzburg sowie drei in Tirol und Vorarlberg. 2006 hat<br />
die IKG den Zustand der Friedhöfe erhoben: sechs Standorten wurde dabei ein „ausgezeichneter“ Zustand attestiert,<br />
dreien ein „guter“, ebenfalls dreien ein „nicht genügender“. Im Sommer <strong>2008</strong> wurden die Friedhöfe erneut besichtigt.<br />
Ernüchternder Befund: die Zahl der Ruhestätten, deren Zustand mit „nicht genügend“ angegeben wurde, ist alleine in diesen<br />
zwei Jahren auf zehn angestiegen.<br />
Zu diesen zehn Friedhöfen in sehr schlechtem Zustand zählt auch der Währinger Friedhof in Wien sowie das Erste Tor am<br />
Zentralfriedhof. Von National- und Zukunftsfonds wurden nun immerhin auf Betreiben von Nationalratspräsidentin<br />
Barbara Prammer (SPÖ) 300.000 Euro zur Verfügung gestellt, um die wissenschaftlichen Vorarbeiten für die Sanierung<br />
des Währinger Friedhofs in Angriff zu nehmen. Die eigentliche Sanierung wird allerdings ein Vielfaches kosten – die IKG<br />
geht hier von einem nötigen Betrag von weit über zehn Millionen Euro aus. Ansonsten spielen die beiden Noch-<br />
Regierungsparteien ÖVP und SPÖ allerdings den Ball den Ländern zu und diese passen retour zum Bund.<br />
Einzig von den in Opposition befindlichen Grünen kam eine Initiative – sie brachten im Nationalrat einen Antrag ein, mit<br />
dem die Friedhofserhaltung auch real umgesetzt werden sollte. Der Antrag fand in dieser Legislaturperiode allerdings<br />
nicht mehr den Weg auf die Tagesordnung einer Parlamentssitzung.<br />
Der Standpunkt der Kultusgemeinde lautet daher: genug gewartet. IKG-Präsident Ariel Muzicant will sich daher nun in<br />
den USA dafür einsetzen, den Vergleich, der auf Basis des Washingtoner Abkommens geschlossen wurde, wieder zu öffnen.<br />
Die IKG hatte sich in die damalige Sammelklage <strong>als</strong> amicus curiae eingeschalten (siehe auch Kasten zu<br />
Washingtoner Abkommen). Nun wurden die Anwälte in den USA beauftragt, die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen<br />
die Republik Österreich zu betreiben.<br />
42 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • INLAND<br />
„Rechte<br />
Regierungsbeteiligung<br />
verhindern“<br />
LIF-Spitzenkandidatin<br />
Heide Schmidt über die<br />
nötige raschere Umsetzung des<br />
Washingtoner Abkommens,<br />
den Fall Milivoj Asner und<br />
das iranische Atomprogramm<br />
„Die Gemeinde“: Sie haben die Perfor -<br />
man ce der letzten Regierungen <strong>als</strong><br />
außer parlamentarische Fraktion erlebt.<br />
Waren die Initiativen im Bereich<br />
Restitution für Sie befriedigend? Wo<br />
sehen Sie noch Handlungsbedarf?<br />
Heide Schmidt: Das Washingtoner Abkommen<br />
und das daraus resultierende<br />
Entschä di gungs fondsgesetz waren<br />
wichtige und bedeutende Schritte in<br />
der österreichi schen Restitutionspo li -<br />
tik. Dennoch passiert die tatsächliche<br />
Arbeit im Na tionalfonds nur schleppend.<br />
Teil zeit-Beschäftigte Volontäre<br />
sehen sich mit einer Vielzahl von An -<br />
trägen konfrontiert, die bei weitem<br />
nicht bewältigt werden können. Abge -<br />
sehen da von, dass die gesetzlichen<br />
Regelungen zum Teil sehr eng gefasst<br />
sind (wie zum Beispiel Naturalres ti -<br />
tu tion von Im mobilien nur unter be -<br />
son deren Vor aussetzungen - die in<br />
den meisten Fällen schwer erfüllbar<br />
sind) erfolgt die Bearbeitung oft erst<br />
nach Jahren – wenn die Antragsteller<br />
schon tot sind. Die Umsetzung des<br />
Washingtoner Ab kommen müsste so -<br />
mit massiver vorangetrieben werden.<br />
Trist sieht es auf den jüdischen<br />
Friedhöfen aus. Trotz der Verpflichtung<br />
Österreichs durch das Washingtoner<br />
Abkommen von 2001, diese zu pflegen,<br />
passiert nichts. Würde diese Aufgabe<br />
unter einer LIF-Regierungsbeteiligung<br />
endlich in Angriff genommen?<br />
Selbstverständlich werden sich die Li -<br />
be ralen für die Umsetzung des Wa -<br />
shingtoner Abkommens einsetzen,<br />
weil wir das <strong>als</strong> wichtigen Akt unserer<br />
Verantwortung sehen. Im Hinblick auf<br />
die unterschiedlichen Auffassun gen<br />
Heide Schmidt<br />
© LIF<br />
über Art und Umfang der Erfül lung<br />
des Abkommens scheint uns eine<br />
gesetzliche Regelung erstrebenswert.<br />
Das Simon Wiesenthal Center in<br />
Jerusalem unter der Leitung von Efraim<br />
Zuroff jagt im Zug der „Operation<br />
Last Chance“ nach den letzten noch<br />
lebenden NS-Kriegsverbrechern. In<br />
Kärnten lebt die Nummer vier der von<br />
Zuroff aufgestellten Liste, Milivoj<br />
Asner, mit Unterstützung des dortigen<br />
Landeshauptmanns Jörg Haider (BZÖ).<br />
Sehen Sie <strong>als</strong> Juristin hier eine<br />
Möglich keit, Asner doch noch vor<br />
Gericht zu stellen? Bräuchte es dazu<br />
mehr politischen Willen?<br />
Mit Sicherheit ist nicht vorhandener<br />
politischer Wille mit ein Grund dafür,<br />
dass Personen wie Milivoj Asner bis<br />
heute ungestraft unter uns leben.<br />
Jedenfalls kann Asner nur vor Gericht<br />
gestellt werden, wenn er <strong>als</strong> prozessfähig<br />
gilt. Solange Sachverständige<br />
das verneinen, wird er auch weiterhin<br />
Interviews geben können, ohne zur<br />
Rechenschaft gezogen zu werden. Ich<br />
bedaure das und hoffe auf objektive<br />
Gutachter.<br />
In Gedenkveranstaltungen wird immer<br />
das „Nie mehr wieder“ beschworen –<br />
gleichzeitig fühlen sich Opfer und deren<br />
Angehörige durch Aussagen wie jener<br />
des Kärntner Landeshauptmannes,<br />
bei der Familie Asners handle es sich<br />
um eine nette Familie, verhöhnt.<br />
Machen Gedenkveranstaltungen mit<br />
Reden, denen keine Taten folgen,<br />
überhaupt noch Sinn? Braucht es eine<br />
neue Gedenkkultur?<br />
Es wäre schlimm würde man die ös -<br />
ter reichische politische Kultur mit<br />
jener des Kärntner Landshaupt man nes<br />
gleichsetzen. Natürlich machen Ge -<br />
denk veranstaltungen Sinn und ich<br />
bin auch überzeugt, dass mittlerweile<br />
eine Generation in Österreich aufgewachsen<br />
ist, die sensibler mit diesem<br />
Thema umgeht <strong>als</strong> noch vor einigen<br />
Jahren. Nicht zuletzt deswegen treten<br />
wir heuer an, um regierungspolitische<br />
Verantwortung zu übernehmen um<br />
eine rechte Regierungsbe teili gung zu<br />
verhindern.<br />
Was bedeutet Vergangenheits bewälti gung<br />
für Sie? Wird dieser Prozess jem<strong>als</strong><br />
abgeschlossen sein? Sollte er überhaupt<br />
jem<strong>als</strong> abgeschlossen sein? Tritt das LIF<br />
hier für neue Initiativen ein?<br />
Ich verwende den Begriff „Vergan genheitsbewältigung“<br />
nicht gerne, weil er<br />
quasi diese Abgeschlossenheit insinuiert.<br />
Auseinandersetzung mit un se rer<br />
Vergangenheit heißt für mich vor al -<br />
lem, Anfänge und Zusammenhänge<br />
zu erkennen, um daraus einerseits die<br />
Verantwortung für Opfer zu spüren<br />
und andererseits ein Sensorium für<br />
Unmenschlichkeiten zu entwickeln.<br />
Denn wie will man den Anfängen wehren,<br />
wenn man sie nicht erkennt? Die<br />
Erziehung zu Verantwortungs fä hig -<br />
keit, Solidarität und Zivilcourage sind<br />
für mich wichtige Schlussfolgerun gen<br />
und eine nie endende gesellschaftliche<br />
Aufgabe.<br />
Empfinden Sie es <strong>als</strong> wichtig für die<br />
heutige österreichische Gesellschaft, dass<br />
es eine lebendige jüdische Gemeinde<br />
gibt? Um die Gemeinde in ihrer Größe<br />
von derzeit rund 7.000 Mitgliedern zu<br />
erhalten oder sogar zu vergrößern, wäre<br />
Zuzug nötig, der auf Grund der strikten<br />
Einwanderungsbestimmungen kaum<br />
stattfinden kann. Sehen Sie Bedarf für<br />
Zuzug, wenn ja, tritt das LIF hier für<br />
eine Lösung ein? Wie könnte diese aussehen?<br />
Ich sehe es <strong>als</strong> moralische Verpflich -<br />
tung und viel mehr noch <strong>als</strong> Bereiche -<br />
rung für unsere Gesellschaft eine vi tale<br />
jüdische Gemeinde zu unterstützen.<br />
Aufgrund der unter der Schüssel-<br />
Regie rung mit SPÖ-Unterstützung<br />
erfolgten Verschärfung des Fremden -<br />
rechts ist ein Zuzug erschwert worden,<br />
der mit Sicherheit notwendig für<br />
die Aufrechterhaltung der jüdischen<br />
Gemeinde wäre. Generell fordern wir<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 43
POLITIK • INLAND<br />
schon lange eine Reform der Einwan -<br />
derungsbestimmungen auch in wirtschaftspolitischer<br />
Hinsicht. So treten<br />
wir vehement für einen Verlänge -<br />
rungs stopp der Übergangsbestimmungen<br />
für Arbeitskräfte aus den<br />
neuen EU-Mitgliedsländern nach<br />
2009 ein, ein gesetzliche Verankerung<br />
des Rechtes auf Familienzusam men -<br />
führung und eines Bleiberechtes bei<br />
positiver Integrationsprognose.<br />
Wie positioniert sich das LIF im<br />
Nahost-Konflikt? Welche Rolle sollte<br />
Österreich hier spielen, welche die EU?<br />
Der Dialog <strong>als</strong> Mittel zur Konflikt -<br />
lösung muss weiter forciert werden.<br />
Dabei sind vertrauensbildende Maß -<br />
nahmen von beiden Seiten notwendig.<br />
Hier sollte Österreich mit seinen gu -<br />
ten Kontakten zu beiden Seiten eine<br />
wesentliche Rolle <strong>als</strong> Vermittler spielen.<br />
Wir verurteilen die Selbstmord -<br />
attentate der Palästinenser bzw. jede<br />
Art von Terror aufs Schärfste. Die<br />
Sied lungspolitik Israels halten wir für<br />
f<strong>als</strong>ch.<br />
Wie beurteilen Sie Geldflüsse der<br />
EU an Palästinenserorganisationen,<br />
sollten diese hinsichtlich ihrer<br />
Verwendung einer noch stärkeren<br />
Kontrolle unterliegen?<br />
Leider kommen die Geldflüsse der EU<br />
oft nicht zu den Menschen, die das<br />
Geld zur Armutsbekämpfung und<br />
För derung der Infrastruktur am dringend<br />
sten benötigen. Hier bedarf es<br />
einer Sicherstellung und weitreichender<br />
Kontrolle seitens der EU, mit de ren<br />
finanzielle Unterstützung nicht in<br />
Waffenkäufe und dergleichen fließt.<br />
Sorge bereitet vielen Juden die derzeitige<br />
Führung des Iran. Ankündigungen von<br />
Mahmud Ahmadinedschad, Israel von<br />
der Landkarte auslöschen zu wollen,<br />
wirken bedrohlich. Wie ist dem aktuellen<br />
iranischen Regime aus Ihrer Sicht zu<br />
begegnen? Wie ist mit dem Thema<br />
Iran und Atomwaffen umzugehen?<br />
Die Aussagen von Mahmud Ahma di -<br />
nedschad und seiner Gefolgsleute<br />
sind absolut zu verurteilen. Ich teile<br />
die Bedenken der westlichen Welt, ob<br />
Irans Atomprogramm anlässlich solcher<br />
Aussagen tatsächlich nur friedliche<br />
Hintergründe bezweckt. Ich teile<br />
die Sorge der israelischen Bevölke rung.<br />
Trotz allem glaube ich sind di plo ma ti -<br />
sche Verhandlungen der Er folg verspre<br />
chendste Weg, um hier eine friedli -<br />
che Lösung zu erzielen. Ob wirt schaftspolitische<br />
Sanktionen zum ge wünschten<br />
Ziel führen, ist zu hin ter fra gen. Es<br />
wäre vernünftiger die offenen Kräfte<br />
im Iran – die ja in sehr großem Aus -<br />
maß bestehen – zu unterstützen.•<br />
Das Washingtoner Abkommen<br />
Österreich begegnete Sammelklagen aus den USA 2001 mit einem Ent schä di -<br />
gungs paket für unter dem NS-Regime Vertriebene sowie Juden und andere Op -<br />
fer, denen von den Nation<strong>als</strong>ozialisten das Vermögen entzogen worden war.<br />
Die Ver handler – darunter Vertreter der Republik Österreich, der USA, von Op -<br />
fer orga ni sa tionen und der Kultusgemeinde – setzten am 17. Jänner in Wa shing -<br />
ton nach zä hen Gesprächen und wenige Tage vor dem US-Präsi den ten wechsel<br />
(George W. Bush folgte auf Bill Clinton) ihre Unterschrift unter das Ab kom men.<br />
Hauptsäule dabei war die Einrichtung des „Allgemeinen Entschädi gungs fonds“.<br />
Aus diesem wurden zunächst entzogene Mietrechte mit einem Pauschal be -<br />
trag von US$ 7.000 entschädigt und danach Individualansprüche behandelt.<br />
Ge speist worden war der Fonds mit US$ 360 Mio. (davon US$ 150 Mio. für die<br />
pauschalierte Entschädigung von Mietrechten). Das Gros dieser Mittel wurde<br />
in zwischen ausbezahlt, eine kleine Anzahl von Fällen ist aber immer noch nicht<br />
entschieden.<br />
Die zweite Säule sah die Rückgabe von Grundstücken und Immobilien vor, die<br />
in der NS-Zeit enteignet wurden und sich noch in staatlichem Besitz befanden.<br />
Dazu wurde eine Schiedsinstanz eingerichtet. Sie entschied in der Zwi -<br />
schenzeit u.a. über die Rückgabe des Sanatoriums Fürth in der Schmidgasse in<br />
Wien-Josef stadt, das Palais der Familie Bloch-Bauer in der Elisabethstraße in<br />
der Wiener City, das im Eigentum der ÖBB stand, und ein Haus in der Weih -<br />
burg gasse, in dem das AMS untergebracht war. Zahlreiche Anträge harren<br />
noch einer Entscheidung.<br />
Weiters schrieb das Abkommen fest: Sozialmaßnahmen wie die Ausweitung<br />
des Pflegegeldes auch für im Ausland lebende Opfer des NS-Regimes, die Fort -<br />
füh rung der schon vor 2001 eingeleiteten Restitution von Kunst, die von den<br />
Nation<strong>als</strong>o zia listen enteignet worden war, und die Wiedererrichtung des Ha -<br />
ko ah-Sportplatzes (wurde inzwischen im Prater im baulichen Verbund mit dem<br />
neuen Standort der jüdischen Schule und des Maimonides-Zentrums er rich tet).<br />
Und schließlich verpflichtete sich Österreich auch, sich der Restaurierung und<br />
Erhaltung der jüdischen Friedhöfe in ganz Österreich anzunehmen. Hier ist<br />
allerdings bisher so gut wie nichts geschehen.<br />
Restituiertes Haus in der Weihburggasse<br />
44 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • INLAND<br />
„Gedenken und<br />
Eventkultur vertragen<br />
sich nicht“<br />
Grünen-Spitzenkandidat<br />
Alexander Van der Bellen über die<br />
Aufarbeitung der österreichischen<br />
NS-Vergangenheit, den Umgang<br />
von SPÖ und ÖVP mit den jüdischen<br />
Friedhöfen und die Iran-Geschäfte<br />
der ÖMV<br />
„Die Gemeinde“: Die jüdische Gemeinde<br />
wurde erst jüngst durch den Fall Mili voj<br />
Asner erneut mit der schmerzhaften<br />
NS-Vergangenheit erinnert. Dass hier<br />
ein NS-Kriegsverbrecher einmal mehr<br />
ungeschoren davon kommen wird, ist<br />
für Schoa-Überlebende und deren<br />
Nachkommen nicht verständlich. Fehlt<br />
hier politischer Wille? Gäbe es unter<br />
einer Grünen Regierungsbeteili gung<br />
Initiativen, hier etwas zu ändern?<br />
Welche konkrete Idee hätten Sie?<br />
Alexander Van der Bellen: Österreich<br />
hat sich bekanntlich bei der Verfol gung<br />
von NS-Kriegsver bre chern nicht mit<br />
Ruhm bekleckert. Nur in der un mit -<br />
telbaren Nachkriegszeit gab es tatsächlich<br />
das Bemühen, für Recht und Ge -<br />
rechtigkeit zu sorgen. Jedoch schon<br />
ab 1949 mit der Amnestie für Min der -<br />
belastete und der Zulassung der VdU<br />
war diese kurze Periode vor bei. Der<br />
Abschluss des Staatsver tra ges und der<br />
damit verbundene Abzug der Alliierten<br />
korrelierte mit einem im mer<br />
schwä cher werdenden politischen<br />
Wil len zur Verfolgung von Kriegs- und<br />
NS-Verbrechen. Das zeigt sich auch<br />
recht deutlich an der 1957 beschlossenen<br />
sogenannten NS-Amnestie, was<br />
u.a. das Ende des Kriegsverbre cher -<br />
ge setzes bedeutete. Die zum Teil skan -<br />
dalösen Freisprüche von NS-Tätern<br />
ta ten ihr Übriges, Holocaust-Überlebende<br />
und deren Nachkommen zu<br />
brüskieren.<br />
Obwohl ich der Meinung bin, dass hier<br />
Initiativen eigentlich Jahrzehnte zu<br />
spät kommen, kann ich mir vorstellen,<br />
eine spezielle Ermittlungs ein heit für<br />
Justiz und Polizei zur Verfolgung von<br />
NS-Straftätern einzurichten. Ös ter reich<br />
Alexander Van der Bellen<br />
darf kein Paradies für NS-Ver brecher<br />
sein. Auch der Blick über die Grenze<br />
zeigt Möglichkeiten: In Deutschland<br />
hat das Sozialministerium einen Re -<br />
cher cheauftrag für die Suche nach NS-<br />
Tätern unter den deutschen Kriegs ver -<br />
sehrten-Rentnern vergeben. Der Er -<br />
folg war zwar überschaubar – nur ei -<br />
nigen Verurteilten wurden die Ren ten<br />
gestrichen –, aber die Initiative vermittelte<br />
allen, dass Kriegsverbrechen<br />
tatsächlich keine Verjährung kennen.<br />
Wann wird man sagen können, dass<br />
Österreich seine braune Vergangenheit<br />
restlos bewältigt haben wird? Wie kann<br />
man diesen Prozess beschleunigen? Wo<br />
sehen Sie Hindernisse auf diesem Weg?<br />
Ich denke nicht, dass es ein lohnendes<br />
und vor allem realistisches Ziel sein<br />
kann, sagen zu können, Österreich<br />
ha be seine nation<strong>als</strong>ozialistische Ver -<br />
gan genheit restlos bewältigt. Solange<br />
die Erhaltung der jüdischen Fried hö fe,<br />
die Restitutionsgesetzgebung, die Re -<br />
habilitierung der Wehrmachts de ser -<br />
teure und anderer vergessener be zie -<br />
hungsweise zum Schweigen gebrachter<br />
Opfergruppen, jede Novelle beim<br />
National- und Entschädigungsfonds,<br />
die kleinsten Verbesserungen in der<br />
Opferfürsorge und vieles mehr so umstritten<br />
und langwierig sind, müssen<br />
wir uns über eine allfällige „restlose<br />
Be wäl tigung“ keine Gedanken ma -<br />
chen. Hindernisse sehe ich vor allem<br />
dann, wenn zu Dummheit und Igno -<br />
ranz auch noch die mangelnde Bereit -<br />
schaft tritt, sich mit den Verbrechen<br />
der Nation<strong>als</strong>ozialisten und ihren Fol -<br />
gen auseinanderzusetzen. Hier sollte<br />
auch in den nächsten Jahren eine<br />
Schwer punktsetzung in der Täterfor -<br />
schung erfolgen.<br />
„Taten statt Worte“ wünschen sich viele<br />
Mitglieder der Kultusgemeinde, wenn es<br />
ums Thema Vergangenheitsbewältigung<br />
geht. Der Tenor: was nützen Gedenk -<br />
veran staltungen mit schönen Reden,<br />
wenn dann tatsächlich nichts passiert.<br />
Das betrifft den Umgang mit<br />
ehemaligen NS-Kriegsverbrechern<br />
ebenso wie den Umgang der Republik<br />
mit den jüdischen Friedhöfen.<br />
Verstehen Sie den Unmut?<br />
Ja, ich verstehe den Unmut. Für die<br />
Grünen nehme ich in Anspruch, dass<br />
wir uns in den angesprochenen Be rei -<br />
chen seit vielen Jahren um konkrete<br />
Taten bemühen und diese immer wieder<br />
von den politischen Mitbewer -<br />
bern vehement einfordern.<br />
Für mich ist Gedenken vor allem et -<br />
was, das wir den Ermordeten schulden.<br />
Dabei ist jede Generation, jeder<br />
Einzelne aufs Neue gefordert. Der Er -<br />
kenntnisgewinn fällt einem dabei<br />
nicht in den Schoß, sondern muss im -<br />
mer wieder neu erarbeitet werden. Es<br />
kann nicht nur um Emotionen gehen.<br />
In welcher Form macht Gedenken für<br />
Sie Sinn? Was halten Sie dabei von<br />
Initiativen wie „A Letter to the Stars“,<br />
wo Schüler in Events mit dem Thema<br />
Schoa konfrontiert werden?<br />
Die Grünen haben sich nach ausführli<br />
cher Diskussion entschlossen, die<br />
diesjährige Aktion von „A Letter to<br />
the Stars“ nicht zu unterstützen. Wir<br />
teilen großteils die insbesondere von<br />
DÖW, ESRA, JWS, IKG und zahlreichen<br />
namhaften Historikern vorgebrachten<br />
Kritikpunkte. Allzu plakative<br />
Vergangenheitspolitik produziert mei -<br />
nes Erachtens eher Stereotypen, Ex -<br />
ter nalisierung und Verdrängung. In<br />
diesem Zusammenhang bin ich ein bekennender<br />
Konservativer: Geden ken<br />
und Eventkultur vertragen sich nicht.<br />
Stichwort jüdische Friedhöfe: Jüdische<br />
Gräber dürfen nicht aufgelöst werden.<br />
Der heute kleinen Gemeinde ist es damit<br />
unmöglich, die Gräber einer ehem<strong>als</strong><br />
über 180.000 Mitglieder umfassenden<br />
Gemeinde zu pflegen. 2001 hat sich<br />
Österreich im Washingtoner Abkommen<br />
verpflichtet, für die Instandsetzung und<br />
-haltung der jüdischen Friedhöfe zu<br />
sorgen. Jahre lang passierte nichts.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 45
POLITIK • INLAND<br />
Ein Antrag Ihrer Fraktion im National -<br />
rat, dieser Verpflichtung nachzukommen,<br />
wurde inzwischen an den zuständigen<br />
Ausschuss weitergeleitet. Wer steht hier<br />
auf der Bremse?<br />
Der angesprochene Antrag wurde ge -<br />
mein sam mit Vertretern der Kultusge -<br />
meinde in gegenseitigem Respekt und<br />
Vertrauen erarbeitet und präsentiert,<br />
was mich sehr freut. Wir sind mit ei -<br />
nem Gesetzesvorschlag, der sich an<br />
der Kriegsgräberfürsorge orientiert,<br />
in Vorlage gegangen. Die Reaktion<br />
da rauf war Ignoranz. Auffallen der -<br />
wei se herrscht hinsichtlich der Frage<br />
der jüdischen Friedhöfe Einigkeit zwi -<br />
schen den Koalitionspartnern. Wie der<br />
einmal folgt eine Regierung der Prä -<br />
misse, „die Sache in die Länge zu ziehen“.<br />
Und so wird die Frage der jüdischen<br />
Friedhöfe auf unwürdige Weise<br />
zwischen Bund und Stadt Wien hinund<br />
hergeschoben. Es ist eine Frech -<br />
heit, aber leider auch bezeichnend für<br />
Österreich, dass eine gesetzliche Re ge -<br />
lung, die für Soldatengräber seit 1947<br />
gut funktioniert, für die jüdischen<br />
Gräber offenbar nicht umzusetzen ist.<br />
Und wie sehen Sie den Wert einer<br />
lebendigen jüdischen Gemeinde für die<br />
heutige österreichische Gesellschaft?<br />
Gibt es hier auch eine Verpflichtung<br />
der öffentlichen Hand, etwas zur dafür<br />
nötigen Infrastruktur bzw. deren<br />
Erhaltung beizusteuern? Wo beginnt<br />
und wo endet für Sie diese Verpflich tung?<br />
Die jüdische Gemeinde ist ein we sentlicher<br />
Teil der österreichischen Ge sell -<br />
schaft. Ihr Wirken, wie etwa im Be reich<br />
des interkonfessionellen Aus gleichs<br />
oder der Gedächtnis- und Erin ne -<br />
rungs politik, zeigt ihr vielfältiges En -<br />
ga gement. Dies alles ist aber nur<br />
mög lich, wenn sich Österreich dauerhaft<br />
zur Finanzierung und Erhaltung<br />
der dafür nötigen Infrastruktur verpflichtet<br />
– für ein lebendiges Schulund<br />
Ausbildungswesen, für die Be -<br />
treu ung älterer Menschen und nicht<br />
zu letzt für die Renovierung und<br />
Erhaltung der jüdischen Friedhöfe in<br />
Österreich. Österreich darf die Finan -<br />
zie rung der jüdischen Gemeinde<br />
nicht nur <strong>als</strong> lästige, aber notwendige<br />
Pflicht sehen, die immer wieder neu<br />
verhandelt werden muss, sondern soll<br />
großzügig und dauerhaft das jüdische<br />
Leben in Österreich ermöglichen.<br />
Eine lebendige jüdische Gemeinde, das<br />
heißt auch: gelebtes Judentum. Könnte<br />
die heute 7.000 Mitglieder zählende<br />
Gemeinde durch Zuzug vergrößert<br />
werden, sähe die Zukunft rosiger aus.<br />
Die rigiden Einwanderungs bestimmun -<br />
gen schieben hier aber einen Riegel vor.<br />
Können Sie sich hier eine Lockerung<br />
vorstellen?<br />
Ja, selbstverständlich! Wir sind die einzige<br />
Partei, die sich überhaupt zu sa -<br />
gen traut, dass Österreich ein Ein wanderungsland<br />
ist und Einwanderung<br />
braucht. Wir haben dem Frem den -<br />
rechts paket 2005, welches die Basis für<br />
die aktuelle Abschottungs- und Ab -<br />
schiebepolitik ist, im Unterschied zu<br />
ÖVP, SPÖ, FPÖ und BZÖ nicht zugestimmt.<br />
Konkret heißt das, dass wir<br />
ein wanderungswilligen Menschen<br />
nach rechtstaatlich und menschenrechtlich<br />
einwandfreien und transparenten<br />
Kriterien eine Chance geben<br />
wollen. Auch sehen unsere Konzepte<br />
beispielsweise beim Familiennachzug<br />
keine Quote mehr vor. All das würde<br />
auch für die zahlenmäßige Entwick -<br />
lung der jüdischen Gemeinde von<br />
Vor teil sein. Insbesondere aber haben<br />
wir schon im Jahr 2001 im Parlament<br />
Anträge zur spezifischen Begünsti -<br />
gung des Zuzugs jüdischer Einwan -<br />
de rer gestellt – dam<strong>als</strong> noch unter Fe -<br />
derführung von Terezija Stoisits, der<br />
heutigen Volksanwältin. SPÖ und ÖVP<br />
ließen uns abblitzen. Wir stehen nach<br />
wie vor dazu.<br />
Juden aus aller Welt verfolgen genau die<br />
Situation in Israel – das tut auch die<br />
jüdische Gemeinde in Österreich. Der<br />
Nahost-Konflikt steht so bald nicht vor<br />
einer Lösung. Als irritierend empfinden<br />
viele Juden, dass vor allem von<br />
Vertretern linker Parteien oft mehr<br />
Sympathie für die Anliegen der<br />
Palästinenser <strong>als</strong> für jene der ständig<br />
von Terror bedrohten Israelis zu kommen<br />
scheint. Auch die außenpolitische<br />
Sprecherin Ihrer Partei, Ulrike Lunacek,<br />
stellte sich in der Vergangenheit immer<br />
wieder eher auf die Seite der<br />
Palästinenser, etwa <strong>als</strong> sie 2007 die<br />
„Verhältnismäßigkeit“ israelischer<br />
Militäraktionen in Gaza <strong>als</strong> Reaktion<br />
auf den zuvor erfolgten Raketenbeschuss<br />
Israels kritisierte. Wie positionieren Sie<br />
sich persönlich im Nahost-Konflikt?<br />
Und welche Position würde im Fall<br />
einer grünen Regierungsbeteiligung die<br />
österreichische Außenpolitik einnehmen?<br />
Die Grünen, und das schließt auch unsere<br />
außenpolitische Sprecherin, mei -<br />
ne Kollegin Ulrike Lunacek ein, sind<br />
stets eindeutig für das Exis tenz recht<br />
Israels eingetreten. Das bedeutet nicht,<br />
dass wir mit allen politischen Ent schei -<br />
dungen der jeweiligen israeli schen Re -<br />
gierungen einverstanden sind. Wir<br />
sind auch in Österreich keineswegs<br />
mit allen Entscheidungen der jeweiligen<br />
Regierung einverstanden – siehe<br />
oben! In diesem Sinne ist auch die von<br />
Ihnen zitierte Aussage der „Ver hält nismäßigkeit“<br />
israelischer Mi li tär aktio -<br />
nen in Gaza zu sehen. Ulrike Lu na cek<br />
kri tisierte in der erwähnten Aus sen -<br />
dung auch massiv das Vor ge hen der<br />
Ha mas.<br />
Im Nahost-Konflikt befürworten wir<br />
eine Zweistaaten-Lösung, die das Existenzrecht<br />
Israels anerkennt und einen<br />
(wirtschaftlich) überlebensfähigen palästinensischen<br />
Staat ermöglicht. Leid er<br />
sind unsere Hoffnungen aber eher ge -<br />
dämpft, dass die jüngste diplomatische<br />
Initiative der USA nach der Kon fe renz<br />
in Annapolis Erfolge zei tigt. Es wäre<br />
ein ermutigendes Zeichen, bis Ende<br />
<strong>2008</strong> ein Abkommen zu erreichen, je -<br />
doch erscheint dieses Ziel derzeit<br />
wenig realistisch. Die Grünen haben<br />
sich bereits davor für eine Nahost-<br />
Sicherheitskonferenz nach dem Vor -<br />
bild der KSZE ausgesprochen. In der<br />
Vorbereitung einer solchen Konferenz<br />
könnte Österreich eine konstruktive<br />
Vermittlerrolle spielen.•<br />
46 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • INLAND<br />
Sozialdemokratische Partei Österreichs – SPÖ<br />
Spitzenkandidat: Werner Faymann<br />
Persönlicher Leitspruch des Spitzen kan didaten: „Die Wahrheit ist dem Menschen<br />
zumutbar“ (Ingeborg Bach mann)<br />
Nationalratswahl 2006: 35,34 % der abgegebenen gültigen Stimmen; 68<br />
Mandate<br />
Ziel Faymanns für die National rats wahl <strong>2008</strong>: „Österreich braucht eine stabile Regie -<br />
rung, die wir bereit sind, zu führen. Der alles überschattende Streit muss der Vergan -<br />
gen heit angehören.“<br />
Thematische Schwerpunkte des Wahl kampfs: Teuerungsausgleich, Bil dung,<br />
Gesundheit, soziale Gerechtigkeit<br />
Bereitschaft, Regierungsverant wor tung zu übernehmen: ja<br />
Mit welchen Fraktionen ist die SPÖ be reit, zu koalieren: alle außer FPÖ und BZÖ<br />
Mit welchen Fraktionen ist die SPÖ nicht bereit, zu koalieren: FPÖ, BZÖ<br />
Die Grünen<br />
Spitzenkandidat: Alexander Van der Bellen<br />
Persönlicher Leitspruch des Spitzen kan didaten: „Ich habe keinen persönli chen<br />
Leitspruch. Mir gefällt jedoch das Zitat von Václav Havel: ‚Hoffnung ist eben nicht Optimismus,<br />
ist nicht Überzeu gung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass<br />
etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.’“<br />
Nationalratswahl 2006: 11,05 % der abgegebenen gültigen Stimmen; 21 Mandate<br />
Ziel Van der Bellens für die Natio nal rats wahl <strong>2008</strong>: „Die Umfragewerte liegen zwischen<br />
14 und 16 %, was für eine europäische Grünpartei eine Sen sation ist. Wenn uns,<br />
was ich sehr hoffe, die Wähler und die Wählerinnen in dieser Weise bestätigen, dann<br />
stehen wir sehr gut da.“<br />
Thematische Schwerpunkte des Wahl kampfs: Energiewende, Vertei lungsge rech tig -<br />
keit, Grundrechte, Gleich stel lung und Selbstbestimmung, Gratis-Kinder garten, Neue<br />
Schule, Uni-Mil li ar de<br />
Bereitschaft, Regierungsverantwor tung zu übernehmen: Ja, sofern Wahl- und Ver -<br />
hand lungsergebnis passen.<br />
Mit welchen Fraktionen sind die Grü nen bereit, zu koalieren: Grundsätz lich mit<br />
allen Parteien, die in den Natio nal rat einziehen – immer unter der Vor aussetzung,<br />
dass das Verhand lungs ergebnis passt –, mit der unverrück baren Ausnahme von<br />
FPÖ und BZÖ.<br />
Mit welchen Fraktionen sind die Grü nen nicht bereit, zu koalieren: FPÖ, BZÖ<br />
Liberales Forum – LIF<br />
Spitzenkandidatin: Heide Schmidt<br />
Persönlicher Leitspruch der Spitzen kan didatin: „Leben ist Problemlösen“ von Sir<br />
Popper.<br />
Nationalratswahl 2006: nicht zur Wahl angetreten, aber mit Alexander Zach <strong>als</strong><br />
Abgeordneter auf SPÖ-Mandat im Nationalrat vertreten<br />
Ziel Schmidts für die Nationalrats wahl <strong>2008</strong>: 4 bis 6% und mehr be ziehungs wei se<br />
7 bis 11 Mandate und mehr<br />
Thematische Schwerpunkte des Wahlkampfs: Fairness in die Regierung, be din -<br />
gungs loses Grundeinkommen, nachhaltige Steuer- und Gesund heits reform, Mi -<br />
gra tion, Bildungspolitik, Eu ropa<br />
Bereitschaft, Regierungsverantwor tung zu übernehmen: ja<br />
Mit welchen Fraktionen sind die Grü nen bereit, zu koalieren: Kommt auf die<br />
Verhandlungergebnisse an<br />
Mit welchen Fraktionen ist das LIF nicht bereit, zu koalieren: FPÖ, BZÖ<br />
Österreichische Volkspartei –<br />
ÖVP<br />
Spitzenkandidat: Wilhelm Molterer<br />
Persönlicher Leitspruch des Spitzen -<br />
kan didaten: „Man muss überall ein<br />
zwei tes Mal hingehen können.“<br />
Nationalratswahl 2006: 34,33 % der<br />
abgegebenen gültigen Stimmen; 66<br />
Man da te<br />
Ziel Molterers für die Nationalrats wahl<br />
<strong>2008</strong>: „Ich habe <strong>als</strong> klares Ziel formuliert,<br />
<strong>als</strong> Nummer eins aus diesem Wahl -<br />
kampf hervorzugehen. Die Mandats -<br />
zahl ist sekundär. Wichtig ist ein klarer<br />
Auftrag der Wählerinnen und Wähler<br />
an die ÖVP,Verantwortung für Österreich<br />
zu übernehmen.“<br />
Thematische Schwerpunkte des Wahl -<br />
kampfs: Arbeitsmarktpolitik, Be kämp -<br />
fung der Teuerung und Entlastung der<br />
Menschen, Pflege und Betreu ung,<br />
Sicherheit, Eu ro pa.<br />
Bereitschaft, Regierungsverantwor tung<br />
zu übernehmen: ja<br />
Mit welchen Fraktionen ist die ÖVP<br />
be reit, zu koalieren: Grundsatz der<br />
ÖVP ist es, keine Partei, die durch den<br />
Wählerwillen demokratisch legitimiert<br />
wurde, auszugrenzen. Wer al ler dings<br />
den Austritt aus dem Frie dens- und Zukunftsprojekt<br />
Eu ropäische Union er -<br />
wägt, nimmt sich selbst aus dem Spiel,<br />
und kann daher für die Österreichische<br />
Volkspartei kein Part ner sein.<br />
Mit welchen Fraktionen ist die ÖVP<br />
nicht bereit, zu koalieren: Siehe vo ri ge<br />
Frage.<br />
Der Kultusrat der IKG bekräftigte<br />
auf seiner letzten Sitzung die po -<br />
litische Unabhängigkeit der IKG.<br />
Hinsichtlich der kommenden Na -<br />
tio nal ratswahlen besteht ein Infor -<br />
ma ti ons bedürfnis einzelner Ge -<br />
mein de mit glieder, hinsichtlich der<br />
Haltung der wahlwerben den Grup -<br />
pen bezüglich die jüdische Ge mein -<br />
de betreffender Fragen.<br />
Es wurde daher beschlossen mit<br />
Ver tretern der wesentlichen wahlwer<br />
benden Parteien (ausgenommen<br />
BZO und FPÖ) entsprechen de<br />
Inter views durchzuführen.<br />
Der Kultusrat<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 47
POLITIK • INLAND<br />
Wahlplakate der FPÖ zur bevorstehenden Nationalratswahl am 28. September<br />
©APA/Georg Hochmuth<br />
Muzicant warnt vor<br />
Regierungsbeteiligung der FPÖ<br />
Anfang September ließen Umfragen zu bevorstehenden Nationalratswahl<br />
befürchten, eine künftige Regierung werde nicht ohne Beteiligung der FPÖ<br />
zustande kommen. IKG-Präsident Ariel Muzicant, sein Stellvertreter Oskar<br />
Deutsch sowie Gener<strong>als</strong>ekretär Raimund Fastenbauer warnten davor, wieder in<br />
eine Situation zu kommen wie im Jahr 2000.<br />
Eines machte Muzicant gleich zu Be -<br />
ginn des Pressegesprächs klar: die IKG<br />
sei eine Religionsgemeinschaft und<br />
dürfe <strong>als</strong> solche in einem Wahlkampf<br />
nicht Partei ergreifen. Bei gravierenden<br />
Anlässen müsse man aber das Wort<br />
ergreifen. Der gravierende Anlass in<br />
diesem Fall: die Sorge, dass die freiheitliche<br />
Partei in der zukünftigen<br />
Bun desregierung vertreten ist. Wobei<br />
Muzicant betonte: die FPÖ dürfe nicht<br />
ausgegrenzt werden. Auch seien die<br />
FPÖ-Wähler nicht allesamt Nazis oder<br />
Rechtsextreme, wie dies gern in ausländischen<br />
Medien dargestellt werde.<br />
Aber: „Uns stört der rechtsextreme harte<br />
Kern der Partei, damit meine ich die Funk -<br />
tionäre, jene, die diese Partei machen, die<br />
die Partei sind“, betonte der IKG-Prä -<br />
si dent. Da gebe es Treffen mit rechtsex<br />
tremen Parteien im Ausland und<br />
Funk tionäre, „die immer wie der übers<br />
Ziel hinausschießen“. Zur Un ter maue -<br />
rung legte Fas ten bauer Unter la gen vor,<br />
die diese Grenz über schrei tun gen<br />
dokumen tieren, da runter die Aussa ge<br />
des freiheitlichen EU-Ab ge ord ne ten<br />
2004 in „Zur Zeit“, wo nach der USame<br />
ri ka ni sche Bei trag zur Befreiung<br />
Eu ro pas von der NS-Ge walt herr schaft<br />
ein „Kreuz zug“ gegen die „deut sche<br />
Mitte“ gewesen sei. Oder die For -<br />
derung von Par tei chef Heinz-Chris ti -<br />
an Stra che nach einem Museum über<br />
„die schreckliche und grau same Zeit (Ho -<br />
locaust und Bom ben ter ror) zwischen<br />
1939 und 1945“ statt einem Holo caust-<br />
Mahnmal am ehe ma li gen As pang-<br />
Bahnhof in Wien-Land stra ße. Er wol le<br />
nicht mit einem „weiteren Mil lionen<br />
Euro teuren Groß pro jekt in Rich tung<br />
Mahn mal-Inflation (...) ge hen“. Strache<br />
darf übrigens laut ei nem Ur teil des<br />
Oberlandesgerichts Wien „Nähe zu<br />
na tion<strong>als</strong>ozialistischem Geda n ken gut“<br />
attestiert werden. Drit tes Bei spiel: der<br />
steirische FPÖ-Chef Ger hard Kurz -<br />
mann meinte im Juli 2006: „Der Juden -<br />
staat muss endlich anerkennen, dass sich<br />
die zivilisierte Staaten ge mein schaft von<br />
Staats terroristen nicht länger auf der Na se<br />
herumtanzen lässt.“<br />
„Jede blonde blauäugige Frau, das heißt jede Frau mit deutscher Mutter -<br />
sprache, braucht drei Kinder, weil sonst holen uns die Türkinnen ein“.<br />
Aussage von OÖ-FP-Landes par tei ob mann und<br />
FP-Spitzenkan di dat Lutz Weinzinger (Quelle: OÖN)<br />
Größtes Problem sei die „ständige Un -<br />
schärfe“, betonte Muzicant weiter.<br />
Wenn Strache sich wenigstens (angesichts<br />
belastender Fotos, Anm.) zu seinen<br />
Jugendsünden bekennen wür de,<br />
wäre das besser, <strong>als</strong> von „Paintball-<br />
Spielen“ oder „drei Bier“ zu sprechen.<br />
„Genau das ist es, was uns so stört.“<br />
Fazit: „Wir brauchen eine Regierung, die<br />
keine FPÖ enthält“, so Muzicant. Wenn<br />
die Umfragen Recht behalten, sehe es<br />
aber so aus, <strong>als</strong> ob ein Ka bi nett nur<br />
mit Beteiligung der Frei heit lichen –<br />
oder indirekter Unterstützung im Fall<br />
einer Minderheitsre gierung – zu bilden<br />
sein werde. „Das ist eine Gefahr.“<br />
Wird das BZÖ ebenfalls <strong>als</strong> Gefahr gesehen?<br />
In den ersten Monaten nach der<br />
Abspaltung des BZÖ von der FPÖ sei<br />
ihm <strong>als</strong> IKG-Präsidenten in Ge sprächen<br />
mit BZÖ-Regierungs mit glie dern (et wa<br />
im Sozialbereich, Anm.) jedenfalls<br />
signalisiert worden, einer der Gründe<br />
für die Trennung sei ge we sen, um<br />
sich „von den Ultrarechten zu trennen“.<br />
Darüberhinaus habe man nun den Ein -<br />
druck, der Kärntner Lan des haupt -<br />
mann und BZÖ-Spit zen kan di dat Jörg<br />
Haider versuche „den Elder Sta tesman<br />
zu geben“. Insgesamt gebe es doch „graduelle<br />
Unterschiede“ zwischen FPÖ und<br />
BZÖ, betonte Mu zi cant.<br />
48 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • INLAND<br />
Aufruf zum Ul richsberg<br />
tref fen auf der<br />
Ho me pa ge der ‘germa<br />
ni schen Welt -<br />
netz ge mein schaft’.<br />
Bundesheer<br />
unterstützt weiterhin<br />
Ulrichsberg-Treffen<br />
Zum 49ten Mal lädt heuer die Ul richs -<br />
berggemeinschaft (UBG), ein Zusam -<br />
men schluss aus diversen Hei mat- und<br />
Kameradschaftsverbänden zur Feier<br />
am Ulrichsberg ein.<br />
Mit Nazi-Regime und NS-Ideologie<br />
wollen die Veranstalter nichts zu tun<br />
haben, wur de bei einer Presse kon fe -<br />
renz in Klagenfurt versichert, bei der<br />
der Ob mann der Ulrichsbergge mein -<br />
schaft, Pe ter Steinkellner, allerdings<br />
mit ei nem historischen Vergleich aufhorchen<br />
ließ, in dem er Tito mit Hitler<br />
und Stalin verglich.<br />
Die „Kameradschaft IV“, die das Doku<br />
mentationsarchiv des Österreichi -<br />
schen Widerstandes <strong>als</strong> „rechtsextreme<br />
Veteranenorganisation ehemaliger Ange -<br />
hö riger der Waffen-SS" bezeichnet, sei<br />
in die Organisation nicht eingebunden,<br />
betonte der ehemalige SPÖ-LHStv. Ru -<br />
dolf Gallob. Die umstrittene Grup pie -<br />
rung sei seit dem Jahr 2001 nicht mehr<br />
dabei: „Seit fünf Jahren ist die Ka merad -<br />
schaft IV auch aus dem Ös ter rei chi schen<br />
Kameradschaftsbund ausgeschlossen."<br />
Dass einzelne Mitglieder an der Ver an -<br />
staltung teilnehmen, sei jedoch “nicht<br />
auszuschließen“. "Wir haben ihre In ten ti on<br />
der Art, wie die Feier vor sich ge hen soll,<br />
nicht übernommen", sagte Gal lob.<br />
Entgegen den Bestimmungen des<br />
„Tra ditionserlasses“, der die Tra di ti -<br />
ons pfle ge des Bundes hee -<br />
res regelt, werden auch<br />
heuer wieder Rekruten<br />
und Offi ziere am um strittenen<br />
Tref fen am Ul richs -<br />
berg teil neh men. Alle<br />
Jah re wieder treffen sich<br />
ehemalige SS-Veteranen<br />
und andere an Kriegsver -<br />
bre chen beteilig<br />
te Wehr -<br />
m a c h t s v e r -<br />
bän de und<br />
v e r s i c h e r n<br />
sich ih rer Un -<br />
ter stüt zung in<br />
Staat, Po litik<br />
und Heer.<br />
Auch heuer,<br />
wird das Bun -<br />
des heer wie -<br />
der we sent li che Un ter stüt -<br />
zung bei tra gen: Of fi zie re<br />
nehmen <strong>als</strong> Eh ren schutz<br />
teil, die Bun des heer-Ka -<br />
pelle spielt ‘Ich hat‚ einen<br />
Kamerad’, der Bundes -<br />
heer-Fuhr park bringt die<br />
an rei sen den Gäs te auf den<br />
Berg, Ge denk tafeln des<br />
Bun des hee res hängen ne ben Ge denk -<br />
ta feln für SS-Ver bän de und NS-Or ga -<br />
ni satio nen und Re kru ten hal ten<br />
Ehrenwache vor Kränzen und Ge -<br />
denk t a feln für verbrecheri sche Wehr -<br />
machts- und SS-Or ga ni sationen.<br />
Im Rahmen einer Kundgebung vor<br />
der Rossauer Kaserne am 15. Sep tem -<br />
ber forderte der Kulturspre cher der<br />
Grü nen, Wolfgang Zinggl, Vertei di -<br />
gungs minister Norbert Darabos zum<br />
wiederholten Male dazu auf, dem Bun -<br />
desheer endlich die Teilnahme am<br />
Kärntner Ulrichsberg-Treffen zu un -<br />
ter sagen. „Wenn das Ministerium heute<br />
endlich an kündigt, dass die Bundesheer-<br />
Gesehen<br />
in der Wiener<br />
Innenstadt im<br />
Sommer <strong>2008</strong><br />
Gedenk ta feln verhängt werden sollen, ist<br />
das zwar ein erster Schritt in die richtige<br />
Rich tung, aber in Summe unzureichend“,<br />
meinte Zinggl. „Es bedarf einer offiziellen<br />
Distanzierung des Bundesheeres vom Ul -<br />
richsberg-Treffen. Und es ist nicht zu to le -<br />
rieren, dass ehemalige SS-Angehörige in<br />
Haflingern des Bundesheeres auf den<br />
Ges pensterhügel gekarrt werden.“<br />
Flämischer Neonazi posiert vor einer<br />
SS-Gedenktafel am Ulrichsberg<br />
©AK gegen den kärntner Konsens<br />
Darabos habe immerhin bereits 2007<br />
die Teilnahme von Bundesheer-An ge -<br />
hö rigen am revisionistischen Ge birgsjägertreffen<br />
im bayrischen Mitten wald<br />
verboten. „Auch am Ulrichsberg hat das<br />
Bundesheer nichts verloren“, erklärte<br />
Zinggl. „Das soll Darabos endlich klarstellen.“<br />
AK gg. Kärntner Konsens/red<br />
Weiter Informationen unter www.u-berg.at<br />
Seit 1958 findet im Oktober auf der kleinen Wiese<br />
neben dem Kreuz eine Gedenkfeier für die Opfer<br />
beider Weltkriege und des Kärntner Abwehr kamp fes<br />
mit bis zu 2.500 Teilnehmern statt. Die Kame radschaft<br />
IV veranstaltet traditionell am Vorabend ein<br />
inoffizielles Treffen in Krumpendorf, bei dem ne ben<br />
ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS auch Neo -<br />
na zis zu Gast sind.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 49
Das überparteiliche Bündnis STOP<br />
THE BOMB, das sich mit einer internationalen<br />
Unterschriftenaktion und<br />
Aktivitäten in Wien gegen Geschäfte<br />
mit dem iranischen Regime engagiert,<br />
übt scharfe Kritik am bekannt gewordenen<br />
massiven Sponsoring der ÖMV<br />
für die „Iran-Gas-Export-Kon ferenz“,<br />
die am 4. und 5. Oktober in Teheran<br />
stattfinden wird. Simone Dinah Hart -<br />
mann, die Sprecherin von STOP THE<br />
BOMB, stellt fest: „Der österreichische<br />
Multi will offensichtlich nicht nur mit<br />
sei nem geplanten Milliardengeschäft die<br />
iranische Diktatur am Leben halten, sondern<br />
geht jetzt zur Direktfinanzierung von<br />
Wirtschaftsfördermaßnahmen des iranischen<br />
Terrorregimes über.“<br />
Auch auf politischer Ebene scheint<br />
Österreich die Isolierung des iranischen<br />
Terrorregimes aktiv zu un ter -<br />
lau fen. Laut einem Bericht der „Pres se“<br />
setzt sich Österreich auf EU-Ebene<br />
ak tiv gegen weitere Sanktio nen ein.<br />
Ira nische Quellen behaupten gar, dass<br />
der österreichische Botschafter in Te -<br />
he ran, Michael Postl, verlautbart hat,<br />
so wohl Österreich <strong>als</strong> auch die EU sei -<br />
en am Ausbau der wirtschaftli chen Be -<br />
ziehungen mit dem Iran interessiert.<br />
Die österreichische Außenhan dels stel le<br />
in Teheran schickt ei gens ihren Han -<br />
dels delegierten nach Wien, um österrei<br />
chische Firmen in Einzel ge sprä chen<br />
die Marktchancen im Iran der Mul lahs<br />
zu erläutern. Österreichische Firmen<br />
werden sich zahlreich an Industrieund<br />
Handels mes sen im kommenden<br />
Herbst in Teheran beteiligen.<br />
Wirtschaftskammer-Präsident Leitl<br />
und sein Vize Schenz haben dieses Jahr<br />
den Iran bereits besucht. Und für Ok -<br />
tober ist eine österreichische Wirt -<br />
schafts mission im Iran der Ajatollahs<br />
angekündigt. Hiwa Bahrami, Österreich-Repräsentant<br />
der Demokra ti -<br />
schen Partei Kurdistan-Iran, die im<br />
STOP THE BOMB-Bündnis mitarbeitet,<br />
streicht die Sonderrolle Österreichs<br />
heraus: „Während sich international<br />
immer mehr Staaten über die Bedrohung<br />
bewusst werden, die vom iranischen Atomprogramm<br />
ausgeht und dementsprechend<br />
schärfere Maßnahmen gegen das Regime<br />
POLITIK • INLAND<br />
STOP THE BOMB kritisiert<br />
Iran-Sponsoring der ÖMV<br />
in Teheran fordern, scheint Wien noch den<br />
Ausbau der Beziehungen anzustreben.“<br />
STOP THE BOMB kündigte an, bei<br />
den Wahlkampfveranstaltungen ihre<br />
Kritik den Parteivertretern präsentieren<br />
zu wollen, beginnend mit einem<br />
Infor ma tionsstand beim SPÖ-Wahl -<br />
kampf auftakt in der Wiener Stadt hal le.<br />
Das Bündnis will die SPÖ-Mitglieder<br />
mit der Frage konfron tieren, ob man<br />
Iran-Geschäften wie der ÖMV-Deal an -<br />
gesichts des Nuklearprogramms, der<br />
Ver nichtungsdrohungen gegen Israel<br />
und der Regierungspraxis im Iran, wo<br />
in den letzten 30 Jahren Sozial de mo -<br />
kra ten, Gewerkschafter und andere<br />
Re gimegegner zu Zehntausenden er -<br />
mor det und gefoltert und zu Hun dert -<br />
tau sen den ins Exil getrieben wurden,<br />
nicht die Unterstützung entziehen<br />
und statt dessen auf die Unter stüt zung<br />
der säkularen Opposition setzen sollte.<br />
Ähn liche Aktionen bei anderen Par tei -<br />
en sollten folgen. ww.stopthebomb.net<br />
Mossad-Agenten auf Mengele-<br />
Ergreifung bewusst verzichtet<br />
Israelische Geheimdienstagenten ha -<br />
ben 1960 bewusst auf eine Festnahme<br />
des berüchtigten KZ-Arztes Josef<br />
Men ge le verzichtet, um die Entfüh -<br />
rung Adolf Eichmanns aus Süd ame -<br />
rika nicht zu ge fährden. Die Mossad-<br />
Agenten hätten dam<strong>als</strong> auch Men -<br />
gele aufgespürt, jedoch befürchtet, mit<br />
einer Fest nah me die geplante Ent füh -<br />
rung des Ho lo caust-Chef organi sa tors<br />
Eichmann aufs Spiel zu setzen, sagte<br />
ein Mit glied des damaligen Mossad-<br />
Teams, der heutige Mi nister für Rent -<br />
ner-An ge le genheiten Rafi Eitan, der<br />
der Einsatz lei ter bei der Entführung<br />
des 1962 in Israel hingerichteten Na zi-<br />
Verbre chers Adolf Eichmann war.<br />
Mengele, einer der meistgesuchten<br />
NS-Kriegs ver brecher, flüchtete 1949<br />
nach Argentinien und wur de 1959<br />
Staats bürger von Paraguay. Der Chef -<br />
arzt des Vernichtungslagers Au schwitz<br />
soll 1979 gestorben sein. Das Simon-<br />
Wiesenthal-Zentrum versucht im Rahmen<br />
seiner „Operation: Letzte Chance“,<br />
in vier Ländern Südamerikas alle noch<br />
lebenden NS-Verbrecher aufzuspüren.<br />
Integration von Migranten: Österreich Schlusslicht<br />
Österreich ist das schwarze Schaf des Westens, wenn es um die Integration<br />
von Migranten geht. Zu diesem Schluss kommt Pro Austria-Zentrum für Mi -<br />
grationspolitik, eine neu gegründete, parteiunabhängige Institution, die sich<br />
die Versachlichung der Debatte über Migration zum Ziel gesetzt hat, in einer<br />
Broschüre. So liegt etwa Österreich bei einem durch die Migration Policy<br />
Group (Brüs sel) durchgeführten Vergleich der Integrationspolitik von 28 Ländern<br />
zu sam men mit Zypern auf dem vorletzten Platz; nur Lettland rangiert<br />
dahinter.<br />
Beim Unterschied der Arbeitslosenraten von Aus- und Inländern ist Ös ter -<br />
reich laut OECD am viertletzten Platz unter 17 Ländern. Und unter 18 Län -<br />
dern, in denen die Fortschritte der Migranten der zweiten Generation in der<br />
Lesefähigkeit nach der PISA-Methode untersucht werden, zeigt nur Deutsch -<br />
land schlechtere Ergebnisse <strong>als</strong> Österreich.<br />
Auch die soziale Diskriminierung des Zugangs zur Hochschulausbil dung<br />
ist in Österreich besonders stark. Darunter leiden sowohl sozial schwache<br />
Inländer <strong>als</strong> auch Migranten. In einem in der Studie „Eurostudent“ durchgeführten<br />
Vergleich von zehn EU-Ländern belegt Österreich hier den vorletzten<br />
Platz vor Portugal.<br />
Um diese schlechte internationale Position Österreichs zu verbessern, ist ei -<br />
ne positivere Grundhaltung gegenüber Migranten notwendig, so Pro Aus -<br />
tria. Dies würde den Weg freimachen für eine Politik, die es zum Ziel hat, die<br />
Ta lente und Kenntnisse der Migranten für die österreichische Ge sell schaft zu<br />
nutzen.<br />
Die Broschüre steht unter www.proaustria.org zum Download zur Verfü gung.<br />
50 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • AUSLAND<br />
Sieben Jahre nach den Terroranschlägen vom<br />
11. September 2001 in New York und Wa -<br />
shing ton sind die Menschen hinsichtlich der<br />
Schuld frage geteilter Meinung. Laut einer veröffentlichten<br />
Umfrage von „WorldPublic Opi ni -<br />
on Poll“ war in nur neun von 17 Staaten eine<br />
Mehr heit davon überzeugt, dass das Terror netzwerk<br />
Al-Qaida für die Anschläge<br />
verantwortlich ist. Im Gesamtdurchschnitt<br />
gaben 46% der Teil nehmer an, Al-Qaida habe<br />
die Anschlä ge ausgeführt. 15% der Befragten<br />
machten die US-Re gie rung und 7% Israel für<br />
den Terror verantwortlich. 25% gaben an, nicht<br />
zu wissen, wer hinter den Anschlägen stecke.<br />
Deutsche überzeugt von<br />
Al-Qaida-Schuld<br />
In Deutschland waren 64% der Befragten davon<br />
überzeugt, dass Al-Qaida die Anschläge verübt<br />
hat, 23% verdächtigten die US-Regierung. Da mit<br />
kam Deutschland auf Platz vier der Länder, die<br />
die USA selbst verantwortlich machen und liegt<br />
hinter der Türkei (36%), Mexiko (30%) und den<br />
Palästinensischen Autonomiegebieten (27%).<br />
Ein Prozent der Deutschen gab an, Israel habe<br />
die Anschläge ausgeführt, 9% sagten, sie wüss -<br />
ten keine Antwort.<br />
In Großbritannien gaben 57% der Befragten Al-<br />
Qaida, 5% der US-Regierung und ebenfalls 1%<br />
Israel die Schuld.<br />
Naher Osten macht Israel und<br />
die USA verantwortlich<br />
Im Nahen Osten sah die Mehrheit der Befragten<br />
in Israel oder der US-Regierung die Drahtzieher.<br />
In den Palästinensischen Autonomiegebieten<br />
mach te mit 42% noch die Mehrzahl der Teil neh -<br />
mer Al-Qaida verantwortlich. 27% der Palästi -<br />
nen ser gaben die USA und 19% Israel <strong>als</strong> die<br />
Täter an. In Ägypten war die Mehrheit, 43%,<br />
der Befragten davon überzeugt, dass Israel die<br />
Anschläge verübt habe, 12% gaben die USA und<br />
16% Al-Qaida <strong>als</strong> Schuldigen an. In Jordanien<br />
waren lediglich 11% von der Schuld des Terror -<br />
netz werkes überzeugt, 17% sahen in der US-<br />
Regierung und 31% in Israel die Drahtzieher.<br />
Die Mehrheit der Um fra geteilnehmer, 36%, gab<br />
an, es nicht zu wissen.<br />
Geteilte Meinungen in Asien<br />
Überraschend waren einige Zahlen aus Asien.<br />
So gaben in China und Indonesien 56% beziehungsweise<br />
57% der Teilnehmer an, nicht zu<br />
wissen, wer die Anschläge ausgeführt habe.<br />
32% der Chinesen und 23% der Indonesier wa -<br />
ren der Meinung, Al-Qaida sei verantwortlich.<br />
In Taiwan und Südkorea war die Mehrheit der<br />
Befragten, jeweils über 50%, von der Schuld Al-<br />
Qaidas überzeugt.<br />
TERRORANSCHLAG 9/11:<br />
Weltweit Zweifel an den<br />
Schuldigen<br />
© Reuters/Sean Adair<br />
Am meisten überzeugt von der Verantwortung des Ter ror netz wer kes<br />
waren die Befragten in Kenia und Nigeria. Über 70% der Menschen<br />
dort glaubten, dass Al-Qaida die Anschläge ausgeführt habe. 4% in<br />
Kenia und 7% in Nigeria machten die US-Regierung verantwortlich.<br />
Die Umfrage wurde zwischen dem 15. Juli und dem 31. <strong>August</strong> von<br />
„WorldPublicOpinionPoll“ in Zusammen ar beit mit lokalen Mei nungs -<br />
forschungsinstituten durchgeführt. Befragt wurden 16.063 Men schen.<br />
Die Fehlerquote liegt bei 3 bis 4%.<br />
Bei den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das<br />
Verteidigungsministerium in Washington waren 2.975 Menschen<br />
getötet worden. Auch die 19 Täter starben.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 51
POLITIK • ISRAEL<br />
Israel im Jahr 5768<br />
– Ein Überblick<br />
© Michal Fattal /FLASH90<br />
VON LESLIE SUSSER, JTA<br />
Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />
Für Israel war das jüdische Jahr 5768<br />
geprägt von vielschichtigen Frie dens -<br />
be mühungen, der wachsenden Be -<br />
sorg nis über das Atomprogramm des<br />
Iran und einen Premierminister, der<br />
aufgrund einer Korruptionsaffäre<br />
immer mehr in Bedrängnis geriet.<br />
Nach der von den USA initiierten<br />
Nah ost-Friedenskonferenz in Anna polis<br />
im November 2007 nahmen Israel<br />
und die de facto Führung der Paläs ti -<br />
nenserbehörde erneut Ver hand lun gen<br />
auf. Auch Syrien verkündete im Mai<br />
<strong>2008</strong>, es unterhalte indirekte Frie dens -<br />
verhandlungen mit Israel, bei denen<br />
die Türkei <strong>als</strong> Vermittler auftrat. Bald<br />
darauf, im Juni, einigten sich schließlich<br />
auch Israel und Ha mas auf einen<br />
von Ägypten in die Wege geleiteten<br />
Waffenstillstand.<br />
Doch aufgrund der anhaltenden,<br />
durch einer Korruptionsaffäre be ding -<br />
te Schwäche des israelischen Pre mier -<br />
ministers, Ehud Olmert, und dessen<br />
beharrlichem Kampf, an der Macht zu<br />
bleiben, verstärkte sich immer mehr<br />
der Verdacht, dass die Friedens be mü -<br />
hungen eher dazu gedacht waren, sein<br />
politisches Leben zu sichern, <strong>als</strong><br />
einen grundlegenden diplomatischen<br />
Durchbruch zu erzielen.<br />
Das ganze Jahr hindurch warfen<br />
Olmerts Schwierigkeiten Schatten auf<br />
seine strategischen und diplomatischen<br />
Bemühungen.<br />
Noch bevor Olmert und Palästi nen -<br />
ser präsident Mahmoud Abbas in An -<br />
napolis aufeinander trafen, äußerten<br />
Friedensbefürworter die Befürch tung,<br />
dass die beiden zu schwach wären, um<br />
ein dauerhaftes Friedensabkommen zu<br />
erzielen. Bei der Konferenz, die eine<br />
eindrucksvolle Liste an arabischen<br />
Teil nehmern aus dem gesamten Mitt -<br />
le ren Osten aufwies, gelobten schließlich<br />
beide Seiten, bis<br />
zum Ende des Jahres<br />
<strong>2008</strong> eine endgültige<br />
Einigung auszuverhandeln<br />
– eine An -<br />
kün di gung, die in -<br />
zwi schen bis auf Wei -<br />
te res hintangestellt<br />
wurde.<br />
Dabei hatten sich<br />
die USA schwer ins<br />
Zeug gelegt: Präsi dent<br />
Bush kam so wohl im<br />
Januar <strong>als</strong> auch im<br />
Mai nach Israel, Aus -<br />
sen minis te rin Con do -<br />
leezza Rice unternahm<br />
ebenfalls mehrere<br />
Rei sen, um den<br />
Verlauf der Ver hand -<br />
lun gen zu verfolgen. Dem ehemalige<br />
britische Premier mi nister Tony Blair,<br />
<strong>als</strong> Sondergesandter des Nahost-Quartetts<br />
(USA, EU, UNO und Russ land),<br />
gelang es, mehr <strong>als</strong> US$ 7 Mrd. zur<br />
An kurbelung der schwachen palästinensischen<br />
Wirt schaft aufzutreiben.<br />
US-General Keith Dayton bildete die<br />
palästinensischen Truppen aus, die<br />
für die Sicherheit im West jor danland<br />
sorgen sollten.<br />
Blockade und Waffenstillstand<br />
Doch da die Hamas immer noch den<br />
Gazastreifen unter ihrer Kon trol le<br />
hatte, blieb ein umfassender Frieden<br />
ein aussichtsloses Ziel. Israelisches Gebiet<br />
wurde unablässig vom Gaza strei -<br />
fen aus beschossen, während Is ra el auf<br />
mit gezielten Angriffen auf die Mili zen<br />
und einer Land- und See-Blockade in<br />
Gaza Vergeltungs maß nah men setzte<br />
und den verzweifelten Men schen im<br />
Süden dennoch keine Er leichterung<br />
ih rer ständig gefährdeten Lebens si tu a-<br />
tion verschaffen konnte.<br />
Stattdessen zog es internationale<br />
Kri tik auf sich, indem es Gaza zum<br />
„feindlichen Territorium“ erklärte<br />
und ihm die Energie- und Treibstoff -<br />
ver sorgung abschnitt.<br />
Ende Jänner brach daraufhin die Ha -<br />
mas Israels Blockade, indem sie ein<br />
Loch in den Grenzzaun zwischen Ga -<br />
za und Ägypten sprengte und da mit<br />
hunderttausenden Paläs ti nen sern den<br />
Weg nach Ägypten frei machte. Nach<br />
Wiederherstellung der Grenze durch<br />
die Ägypter eskalierten die Kämpfe<br />
zwi schen Israel und den mi li tanten<br />
Palästinensern. Die Hamas feuerte Ra -<br />
keten mit großer Reich wei te auf Ash -<br />
ke lon und veranlasste Isra el dazu,<br />
An fang März in den Gazastrei fen einzumarschieren.<br />
Erst in den letzten Junitagen legten<br />
sich die Kämpfe wieder und ein Waf -<br />
fenstillstand kam zustande. Doch die<br />
Hamas hielt an ihrer Weigerung, Is ra -<br />
els Existenzrecht anzuerkennen und<br />
einen dauerhaften Frieden mit dem<br />
jüdischen Staat zu vereinbaren, fest.<br />
52 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • ISRAEL<br />
Gleichzeitig konnte dafür an einer<br />
an deren Verhandlungsfront Fort schritte<br />
erzielt werden: Syrien stimmte in -<br />
di rekten Friedensgesprächen mit Is -<br />
rael unter Vermittlung der Türkei zu.<br />
Diesbezüglich hatte das Jahr vorerst<br />
schlecht begonnen – nach einem<br />
israelischen Luftangriff auf eine mutmaßliche<br />
syrische Nuklearanlage und<br />
dem Anschlag auf Hisbollah-Chef<br />
Imad Mughniyeh auf syrischem Bo -<br />
den schienen die Voraussetzungen<br />
für Gespräche denkbar ungüngstig.<br />
Dennoch verlautbarten beide Par tei -<br />
en am 21. Mai in einem gemeinsamen<br />
Statement, das zeitgleich in Jerusa lem,<br />
Damaskus und Ankara ausgestrahlt<br />
wurde, die Wiederaufnahme der Frie -<br />
densverhandlungen. Bedingung da für<br />
sei eine Entfernung Syriens aus dem<br />
ira nischen Einflussbereich und die<br />
Rück gabe der Golanhöhen durch Is -<br />
ra el.<br />
Verhinderung des Atom pro gramms<br />
So war Israels Fokus im Jahr 5768<br />
auch gar nicht auf einem Frieden mit<br />
den Palästinensern und Syrien, sondern<br />
vielmehr ging es hauptsächlich<br />
um die Verhinderung des Atom pro -<br />
gramms des Iran.<br />
Sein Lobbying zur Ächtung des Iran<br />
innerhalb der internationalen Ge -<br />
meinschaft musste jedoch im Dezem -<br />
ber letzten Jahres einen schweren<br />
Rück schlag hinnehmen, <strong>als</strong> der US-<br />
Geheimdienst in einem Bericht feststellte,<br />
dass der Iran bereits 2003 sein<br />
geheimes Atomwaffenprogramm nie -<br />
dergelegt hatte. Nach Israels Überzeu<br />
gung war das genaue Gegenteil,<br />
näm lich dessen Ausbau und Intensi -<br />
vie rung, der Fall, doch es musste bald<br />
erkennen, dass die USA und der Wes -<br />
ten immer mehr von einer Konfron -<br />
tation mit dem Iran abrückten.<br />
So wurden Israels Ankündigungen<br />
immer harscher. Transportminister<br />
Shaul Mofaz erlärte, ein israelischer<br />
Angriff auf den Iran sei praktisch un -<br />
vermeidbar.<br />
Großangelegte Manöver der israelischen<br />
Luftwaffe, die einen Luftangriff<br />
auf iranische Nuklearziele simulieren<br />
sollten, wurden im Juni durchgeführt<br />
und schürten die Ängste der internationalen<br />
Gemeinschaft vor einem Prä -<br />
ventivschlag Israels.<br />
Gleichzeitig zeigten sich zahlreiche<br />
Mit glieder der Knesset und israelische<br />
Intellektuelle darüber besorgt, dass<br />
Olmert durch die Korruptionsaffäre zu<br />
geschwächt sein könnte, um sich entsprechend<br />
auf die iranische Bedro -<br />
hung zu konzentrieren. Rücktrittsfor -<br />
de rungen wurden laut und erreichten<br />
Ende Mai ihren Höhepunkt, <strong>als</strong> Mor ris<br />
Talansky, amerikanisch-jüdischer<br />
Fund raiser und Geschäftsmann, aussagte,<br />
Olmert hätte, unter dubiosen<br />
Um ständen, Zahlungen von etwa US$<br />
150.000,-, verteilt über 15 Jahre vor sei -<br />
ner Wahl zum Regierungschef, von<br />
ihm angenommen. Olmert musste nun<br />
endgültig seinen Rücktritt - bzw. seine<br />
Nicht-Kandidatur bei den Ka dima-Vor -<br />
wahlen am 17. September - er klä ren,<br />
hatte sein Image ja auch bereits durch<br />
den Zweiten Libanonkrieg im Jahr<br />
2006 Schaden genommen. Die Ope ra -<br />
tion hatte unzählige Leben auf beiden<br />
Seiten gekostet, doch die beiden Sol -<br />
daten, deren Entführung den Krieg<br />
ausgelöst hatte, blieben dennoch verschwunden.<br />
Erst im Juli <strong>2008</strong> kam erneut Bewe -<br />
gung in die Sache – durch Diplomatie<br />
anstatt Gewalt.<br />
Ende Juni, fast zwei Jahre nach Aus -<br />
bruch des Zweiten Libanon krie ges,<br />
einigten sich Israel und die Hisbollah<br />
auf einen Gefangenenaustausch. Im<br />
Juli lieferte die Hisbollah daraufhin<br />
die sterblichen Überreste der israelischen<br />
Reservisten Eldad Regev und<br />
Ehud Goldwasser an Israel aus, während<br />
der jüdische Staat im Gegenzug<br />
dazu die Leichen von 200 libanesischen<br />
und palästinensischen Ge fan -<br />
ge nen sowie fünf lebende libanesische<br />
Terroristen, darunter Samir Kuntar, an<br />
die Hisbollah übergab. Der Aus tausch<br />
rief positive wie negative Reak tionen<br />
in den israelischen Medien hervor und<br />
wurde gemeinhin <strong>als</strong> Sieg für die His -<br />
bollah angesehen.<br />
Trotz aller politischen Turbulenzen<br />
blieb Israels Wirtschaft im jüdischen<br />
Jahr 5768 relativ stabil. Im ersten<br />
Quar tal <strong>2008</strong> sanken die Arbeitslo sen -<br />
zahlen auf ein 13-Jahres-Tief von 6,3%,<br />
das Bruttoinlandsprodukt pro Ein -<br />
woh ner 2007 stieg auf US$ 31.767,- und<br />
war mit dem von europäischen Staa ten<br />
wie Frankreich oder Italien vergleichbar.<br />
Allerdings schwächte die Stärke des<br />
Shekel gegenüber dem US-Dollar die<br />
israelischen Exportzahlen und ließ,<br />
zum ersten Mal seit Jahren, wieder<br />
Zei chen einer beginnenden Inflation<br />
erkennen.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 53
POLITIK • ISRAEL<br />
Ein Idealist auf gefährlichen Pfaden<br />
„Im Namen Allahs“ heißt das spannende<br />
Reportagebuch des Nahost experten<br />
Wolfram Eberhardt. Seit zehn Jahren<br />
bereist er für das Focus Magazins die<br />
Region: Sein Befund ist ernüchternd.<br />
VON MARTA S. HALPERT<br />
Über Gläubige, Fanatiker und Ter -<br />
ro ris ten im nahöstlichen Raum<br />
zu schreiben, ist weder ein leichtes<br />
noch ein ungefährliches Unterfangen.<br />
Doch der 44-jährige deutsche Jour na -<br />
list Wolfram Eberhardt mit exzellenten<br />
Arabischkenntnissen scheut kein Ri si -<br />
ko. Er wagt den Blick hinter die Ku lis -<br />
sen des Alltagsgetöses, trifft sich zu<br />
Gesprächen mit Islamisten der Ha mas,<br />
mit Hisbollah-Kidnappern aber auch<br />
mit welterobernden Dschihadisten,<br />
orthodoxen Gelehrten und säkularen<br />
Politikern. Denn er sucht eine Ant wort<br />
auf die entscheidenden Fragen unserer<br />
Zeit: Wie lässt sich ein Kulturkampf<br />
zwischen dem Westen und der arabisch-muslimischen<br />
Welt noch verhin -<br />
dern? Gibt es überhaupt eine Ba sis,<br />
um ein Miteinander zu ermöglichen?<br />
Wer <strong>als</strong> geduldeter „Ungläubiger“,<br />
<strong>als</strong>o Nicht-Muslim, zwischen Gaza<br />
und Rafah solche Fragen stellt, erntet<br />
oft Hohn und Spott.<br />
Attallah Abu As-Sabah, Kulturmi nis ter<br />
der Hamas, begegnet Eberhardts Fra -<br />
ge, ob eine Zweistaatenlösung mit<br />
friedlichen Mitteln möglich sei, mit<br />
Ver ärgerung. Ob er vielleicht ein Zio -<br />
nist sei, wollte er zuerst klären. Doch<br />
dann rief er verächtlich und mit einer<br />
wegwerfenden Handbewegung aus:<br />
„Sie sind ja ein Idealist!“ Er, Sabah, set ze<br />
lieber auf den Kampf, den Allah na -<br />
tür lich unterstütze. „60 Jahre seit der<br />
Gründung des Zionisten-Staates sind doch<br />
nichts im Laufe der Geschichte. Wir werden<br />
auch nach Bush und Scharon da sein“,<br />
verkündete er selbstbewusst.<br />
Eberhardt musste zur Kenntnis nehmen,<br />
dass der Staat Israel für den Mi -<br />
nis ter nicht existiert. Stattdessen hat<br />
As-Sabah eine eigene kulturelle Idee<br />
entwickelt, über die sogar viele Mus lime<br />
staunen: Jerusalem soll 2009 Kul -<br />
tur hauptstadt aller arabischer Staaten<br />
werden. Dass dort Israel regiert, blendet<br />
er vollkommen aus. Er ist überzeugt,<br />
dass Allah schon einen Weg fin -<br />
den wird, wenn nicht 2009, dann 2019<br />
oder 2190. Auch solche Zeiträu me sind<br />
für Islamisten wie As-Sabah keine<br />
Ewigkeit.<br />
Allah dienen, heißt sich opfern<br />
Der Journalist aus dem badischen<br />
Frei burg mag im positiven Sinn ein<br />
Idealist sein, doch naiv ist er sicher<br />
nicht. Und Illusionen über die friedfer<br />
tigen Muslime hat er längst nicht<br />
mehr: Hunderte Video-Clips hat er <strong>als</strong><br />
Nahost-Redakteur schon auf youtube<br />
oder islamistischen websites ge -<br />
sichtet. „Mich und jeden halbwegs nor -<br />
malen Westler stößt derlei Gewaltver herrlichung<br />
zutiefst ab, natürlich auch die<br />
westlichen Truppen“, erzählt Eber hardt,<br />
„denn die Clips sagen uns vorerst nichts,<br />
wirken die Dschihad-Kämpfer doch wie<br />
verrückte Mitglieder einer Satanssekte, die<br />
den Tod anbeten. Erst im Laufe der Jahre<br />
lernte ich verstehen, dass sie eine Bot schaft<br />
an die Muslime in sich tragen, die man so<br />
zusammenfassen könnte: Wenn Du Allah<br />
wirklich dienen willst, opfere dich für ihn.<br />
Vertreibe alle Ungläubigen von muslimischen<br />
Boden oder besser noch greif sie<br />
gleich in New York, Madrid, London oder<br />
Berlin an.“<br />
Daher legte Eberhardt seine Rei se -<br />
rou te zwischen den beiden Krisen her -<br />
den Palästina und Irak an, denn er<br />
hegte den Verdacht, dass hier für die<br />
Muslime die Verlockung am größten<br />
sein müsste, sich den Dschihad-Kämpfern<br />
anzuschließen.<br />
„Wie sonst ließe sich erklären, dass heute<br />
im Irak Algerier, Saudis, Ägypter, Liba nesen,<br />
Palästinenser und Jordanier ge mein -<br />
sam in Auftrag Allahs kämpfen?“<br />
Da es in den Ländern des Nahen Os -<br />
tens keine offene Diskussion über Ge -<br />
walt fördernde Elemente ihres Glau -<br />
bens gibt, wurde auch der aufgeschlossene<br />
Journalist immer wieder<br />
mit Floskeln abgespeist: Der Islam sei<br />
ohnehin friedlich, hieß es da – Ende<br />
der Diskussion. Der erfahrene Repor -<br />
ter ließ sich aber nicht abwimmeln<br />
54 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
POLITIK • ISRAEL<br />
und fragte beharrlich weiter. „Wer sich<br />
Zeit nimmt und Vertrauen schafft, kann<br />
zumindest hinter verschlossenen Türen<br />
Erstaunliches hören.“<br />
So erlebt Eberhardt immer wieder<br />
die größten Widersprüche bei seinen<br />
exponierten und prominenten Ge -<br />
sprächs partnern: Etwa wenn Mohammed<br />
Habib, eine wichtige Führungs fi -<br />
gur in der islamistischen Muslim bru -<br />
derschaft Ägyptens, zwar eine fried -<br />
liche Islamisierung basierend auf dem<br />
Recht der Scharia anstrebt, aber<br />
gleichzeitig den Dschihad der Pa -<br />
lästinenser in den Autonomie ge bie ten<br />
gegen Israel unterstützt. Oder wenn<br />
der jordanische Unesco-Preis trä ger<br />
Shalabi die Verbrüderung mit Europa<br />
herbeisehnt, um im gleichen Atemzug<br />
die Demokratie des Wes tens abzulehnen,<br />
da sie nicht islamgerecht sei.<br />
„Nur wenn man die Religion zur Be ur tei -<br />
lung einbezieht, kann man die widersprüchlichen<br />
Aussagen verstehen“, be -<br />
richtet der Nahost-Spezialist. Er habe<br />
bei seinen Unterhaltungen mit Ver -<br />
schleierten, Säkularen, Hamas- und<br />
Hisbollah-Mitgliedern, Islamge lehr ten<br />
oder Studenten immer auf den islamischen<br />
Unterton geachtet: „Denn nach<br />
wie vor gibt ihnen der Islam Anwei -<br />
sungen für jede Lebenslage. Die Motive<br />
und Handlungen der Muslime sind ohne<br />
das Wissen über den Islam nicht zu verstehen.<br />
Für die Eindämmung des Terrors<br />
ist dies unerlässlich.“ Der rein militärische<br />
Krieg gegen den Terror unterschätzt<br />
die Rolle des Islam. „Bildlich<br />
ge sprochen sitzen die Generäle des Wes tens<br />
in einem Flugzeug, dessen Armatu ren sie<br />
nicht kennen und doch drücken sie auf<br />
alle Knöpfe.“<br />
Was bringt eine Wertediskussion?<br />
Die meisten Fragen stellte sich Eber -<br />
hardt nach seinen ausgedehnten Rei -<br />
sen: Darf man in einen Dialog mit<br />
Hisbollah-Scheich Nasrallah, Hamas-<br />
Regierungschef Haniya oder dem<br />
Mus limbruder Habib eintreten? Sie<br />
pro pagieren doch allesamt Gewalt <strong>als</strong><br />
Mittel – natürlich immer nur zur Ver -<br />
teidigung – gegen den Westen oder<br />
Israel. „Hat es Sinn, sich mit jemanden<br />
auseinanderzusetzen, der an eine festgeschrie<br />
bene göttliche Wahrheit glaubt“<br />
sin nierte der Journalist, „die nur ihm<br />
ge hört und weit über dem menschlich-ra -<br />
tio nalen steht? Werden Islamisten und<br />
Dschihadisten so durch den Dialog nicht<br />
aufgewertet und erhalten weiter Zulauf?<br />
Oder sollte man versuchen, sie zu isolieren<br />
oder mit der Waffe in der Hand zu bekriegen.“<br />
Eberhardt stößt auf die unangenehme<br />
Wahrheit, dass wir gar nicht<br />
die Mittel besitzen, sie zu isolieren.<br />
„Die Scheichs und Imame sind keine kleine<br />
Pastoren, die man leicht ins Abseits<br />
schieben könnte. Sie beeinflussen Freitag<br />
für Freitag ihre Gläubigen. Ob wir wollen<br />
oder nicht, wir müssen den schwierigen<br />
Dialog mit ihnen aufnehmen“.<br />
Denn, so Eberhardts Fazit, selbst ein<br />
moderater gläubiger Muslim hat in<br />
der Regel viel mehr gemein mit einem<br />
Mitglied der islamistischen Muslim -<br />
brüderschaft <strong>als</strong> mit einem demokratischen<br />
Parlamentarier des Westens.<br />
Auf die Frage, warum sich ein Eu -<br />
ro päer auf den Kampf der Werte mit<br />
den Muslimen einlassen soll, hat der<br />
Redakteur des Münchener Focus Ma -<br />
ga zins eine er schreckend einfache<br />
Ant wort: „Weil dieser Krieg der Werte<br />
schon längst hier tobt!“<br />
Abbas will bis 2010 im Amt bleiben - Hamas-Widerstand erwartet<br />
Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas (Abu Mazen) will bis 2010 im Amt<br />
bleiben. Er wolle die Präsidenten- und Parlamentswahlen im Jänner 2010<br />
parallel abhalten, sagte Abbas der Zeitung ‘Haaretz’. Die Entscheidung des<br />
Palästinenser-Präsidenten dürfte die Konflikte mit der radikal-islamischen<br />
Hamas verschärfen. Sie ist der Meinung, Abbas Amts zeit ende bereits im<br />
Januar 2009. Hamas-Mitglieder erklärten, sie würden Abbas ab Januar nicht<br />
mehr <strong>als</strong> Präsident anerkennen. In der Vergangenheit hatten sie für diesen<br />
Fall auch gewalttätigen Widerstand angekündigt.<br />
Laut Gesetz dauert die reguläre Amtszeit des Präsidenten vier Jahre. Der<br />
2005 gewählte Abbas beruft sich jedoch auf ein palästinensisches Wahl ge -<br />
setz, nach dem Präsidenten- und Parlamentswahlen zusammen abgehalten<br />
werden sollen. Die Hamas, die Abbas Fatah-Partei bei den Parlaments wah -<br />
len 2006 besiegte, kritisiert den Präsidenten vor allem wegen seiner Frie -<br />
dens gespräche mit Israel. Sollte er bis 2010 im Amt bleiben, bliebe ihm mehr<br />
Zeit, mit dem israelischen Ministerpräsident Ehud Olmert ein Friedensab -<br />
kom men zu erreichen.<br />
„Forbes“: Livni unter<br />
mächtigsten Frauen<br />
der Welt<br />
Die israelische Außenministerin Tzipi<br />
Livni findet sich erneut in der Rang -<br />
liste der 100 einflussreichsten Frauen<br />
der Welt. Die Anwärterin auf den<br />
Vor sitz der Kadima-Partei belegt in<br />
der Aufstellung des US-Magazin<br />
„Forbes“ Platz 52.<br />
Nachdem Livni vergangenes Jahr<br />
auf Platz 39 kam, reihte das renommierte<br />
Wirtschaftsmagazin die Außenministerin<br />
nun zum zweiten Mal un -<br />
ter die 100 mächtigsten Frauen der<br />
Welt, berichtet die Tageszeitung ‘Ha´-<br />
aretz’. Dominiert wird die Liste von<br />
Bank- und Konzernchefinnen, die<br />
jedoch wenig in der Öffentlichkeit<br />
ste hen. 65 der 100 ausgezeichneten<br />
Frauen leiten große Konzerne, 55<br />
stammen aus den USA.<br />
Platz 1 der Rangliste belegte bereits<br />
im dritten Jahr in Folge die deutsche<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr<br />
folgen Sheila Bair, Chefin des staatli -<br />
chen Einlagenfonds der US-Banken<br />
(FDIC), auf Platz 2 und auf Platz 3 In -<br />
dra Nooyi, Firmenchefin von "Pepsi-<br />
Co". US-Außenministerin Condo leez za<br />
Rice, die im Vorjahr noch Platz 4 be -<br />
legte, landete nur auf Rang 7. Die demo<br />
kratische Senatorin Hillary Clinton<br />
sank nach ihrer Niederlage im Vor -<br />
wahl kampf um die US-Präsident -<br />
schafts kandidatur gegen Barack<br />
Obama von Rang 25 auf Rang 28 ab.<br />
Das ‘Forbes Magazine’ ist bekannt<br />
für seine Ranglisten zu verschiedenen<br />
Themen. Neben der jährlich veröffent<br />
lichten Liste der „World’s Bil lio -<br />
nai res“ („Die Milliardäre der Welt“),<br />
veröffentlicht das US-Ma gazin Rang -<br />
listen der 2.000 größten Unterneh men<br />
der Welt, der 13 meistverdienenden<br />
Toten („Top 13 Dead “) oder der weltweit<br />
erfolgreichsten Unter neh men.<br />
Seit 2004 veröffentlicht ‘Forbes’ jährlich<br />
auch eine Liste der „100 mächtigsten<br />
Frauen der Welt“ („The World’s<br />
100 Most Powerful Wo men“). Zu den<br />
Be wer tungskrite rien der Macht zählen<br />
das Auftreten in den Medien,<br />
gemessen an Presse-Zitaten, sowie<br />
der politische und wirtschaftliche<br />
Einfluss.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 55
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
Israel feiert am 30. September <strong>2008</strong><br />
den Beginn des neuen Jahres - nach<br />
jüdischem Kalender das Jahr 5769. Alltagsleben,<br />
Wirtschaft und auch das<br />
Budgetjahr Israels richten sich aber<br />
nach dem gregorianischen Kalender.<br />
„Ein Rückblick auf die vergangenen Mo -<br />
na te des Jahres <strong>2008</strong> zeigt, dass sich Isra els<br />
Wirtschaft weiterhin auf einem schon seit<br />
Jahren anhaltenden, soliden Wachstums -<br />
pfad befindet“, sagt Christi an Lassnig,<br />
österreichischer Han delsde legierter<br />
in Tel Aviv.<br />
Israel feiert das neue Jahr 5769 -<br />
Österreichs Exportwirtschaft darf mitfeiern<br />
Österreichs Exporte nach Israel zeigen eine rasante<br />
Aufwärts be wegung. Israel ist einer der wichtigsten Han -<br />
delspartner in der Re gi on.<br />
WIRTSCHAFT<br />
Seit den Krisenjahren 2001 und 2002<br />
wuchs Israels Wirtschaft jährlich um<br />
mehr <strong>als</strong> 5%, eine ambitionierte Steu -<br />
er reform mit einer stufen weisen Sen -<br />
kung der Körper schafts-, Ein kom -<br />
mens- sowie der Mehr wert steu er, die<br />
zu einem Kaufkraft zu wachs und<br />
einem starken Anstieg des privaten<br />
Konsums führte, wird im nächsten<br />
Jahr abgeschlossen sein. Gleichzeitig<br />
konnte das Budget de fi zit von 5,4% des<br />
BIP im Jahr 2003 in einen Überschuss<br />
von 0,7% im Jahr 2007 gedreht werden.<br />
Die öffentliche Verschul dung sank im<br />
gleichen Zeit raum von 101,7% des<br />
BIP auf 80,8%.<br />
Der israelische Schekel entwickelte<br />
sich zu einer Hartwährung, dessen<br />
Kurs gewinne gegenüber dem US-Dol -<br />
lar und - in geringerem Ausmaß - dem<br />
Euro nicht nur positive Reak tio nen<br />
der israelischen Wirtschafts trei ben den<br />
hervor rief.<br />
Trotz weiterhin guter Wirtschafts la -<br />
ge hat Israel mit den bekannten Pro -<br />
blemen zu kämpfen. Die gestiegenen<br />
Rohstoffkosten, insbesondere der<br />
Preisanstieg bei fossilen Energie trä -<br />
gern, führt auch in Israel zu einer hö -<br />
heren Inflation, die für das Ge samt jahr<br />
<strong>2008</strong> mit 3,9% prognostiziert wird. Die<br />
schwächeren Wachstums prog no sen<br />
einiger der wichtigsten Han dels part -<br />
ner Israels (USA und EU) schrauben<br />
auch die Erwartungen für das israelische<br />
Exportwachstum nach unten,<br />
dennoch soll im Jahr <strong>2008</strong> ein Export -<br />
wachstum von 6,4% erreicht werden.<br />
Insgesamt wird die israelische Wirt -<br />
schaft im Jahr <strong>2008</strong> um 4,2% wachsen,<br />
getragen von weiterhin stabilem privaten<br />
und öffentlichen Konsum so wie<br />
stark ansteigenden Dienst leis tungs -<br />
ex porten. Lassnig: „Das Jahr 2007 war<br />
äußerst erfolgreich für österreichische Ex -<br />
por te nach Israel - 208 Mio. Euro, +37%<br />
ge genüber 2006 - und auch im 1. Halbjahr<br />
<strong>2008</strong> konn te diese überdurchschnittliche<br />
Dynamik mit einer Stei ge rung von<br />
29% auf 125 Mio. Euro beibehalten werden.“<br />
Die wich tigsten Warengruppen in<br />
der ös terreichischen Exportstruktur<br />
sind Ma schinen und Anlagen, Metall -<br />
wa ren, Kunst stof fe, Chemische Pro -<br />
dukte, Ge tränke sowie Holz, Papier<br />
und Pappe. Der anhaltende Auf -<br />
schwung wird auch von österreichischen<br />
Großliefe run gen für die israelische<br />
Eisenbahn getragen.<br />
„Für österreichische Unternehmen werden<br />
sich auch in Zukunft viele Chancen<br />
im Export und im Ausbau der bilateralen<br />
Handelsbeziehungen ergeben“, so Lass -<br />
nig. Etwa bei anstehenden Infra struk -<br />
turprojekten, denn Israel investiert<br />
schon seit einigen Jahren massiv in<br />
den Ausbau von Straße und Schiene.<br />
Der öffentliche Nahverkehr, besonders<br />
in den Ballungsräumen Tel Aviv<br />
und Jerusalem wird ausgebaut, um<br />
den Individualverkehr einzudämmen.<br />
Im Energiesektor soll die Ab hän -<br />
gig keit von fossilen Brenn stoffen<br />
(98% der elektrischen Energie wird mit<br />
Kohle, Gas und Öl produziert) vermindert<br />
werden. Dafür soll die So lar -<br />
energie verstärkt genutzt werden und<br />
auch das inzwischen weltbekannte<br />
israelische Elektroauto-Pro jekt soll<br />
dazu beitragen.<br />
Der Um weltschutz nimmt eine im -<br />
mer wichtigere Stellung ein, wobei<br />
Israelische Elektroauto-Pro jekt<br />
Ab was ser be handlung und Luftrein -<br />
haltung sowie Müllverbrennung und<br />
Recycling wich tige Themen für die<br />
nächsten Jah re darstellen.<br />
Die israelische Wasser wirtschaft<br />
steht vor großen Herausforderungen,<br />
da zu geringe Regenfälle und extensive<br />
Nutzung der Ressourcen zu Was serknappheit,<br />
besonders in der Land -<br />
wirtschaft führt. Entsalzungsanlagen<br />
und Programme zur Wassereinspa -<br />
rung sollen das Pro blem lindern. Die<br />
Austrocknung des Toten Meeres soll<br />
durch einen Kanal zwischen dem Ro -<br />
ten und dem Toten Meer verhindert<br />
werden. Dieses gigantische Pro jekt,<br />
für das in nächster Zeit Mach bar keits -<br />
studien erarbeitet werden, soll in Zu -<br />
sammen ar beit mit den Nach barn<br />
Jordanien und der Palästi nen sischen<br />
Autono mie realisiert werden und Kosten<br />
von ca. US$ 5 Mrd. verursachen.<br />
Um der positiven Entwicklung der<br />
bilateralen Wirtschaftsbeziehungen<br />
zwischen Österreich und Israel weitere<br />
Impulse zu geben, plant die Aus -<br />
sen wirtschaft Österreich (AWO) an -<br />
lässlich des offiziellen Staatsbe suchs<br />
von Bundespräsident Heinz Fischer<br />
vom 14. - 17. Dezember <strong>2008</strong> eine<br />
Markt sondierungsreise, um ös terrei -<br />
chi schen Firmen weitere Export chan -<br />
cen zu eröffnen.<br />
Quelle: Wirtschaftskammer Österreich -<br />
Außenhandelsstelle Tel Aviv (BS)<br />
56 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
Immer höhere Immobilienpreise<br />
Die Immobilienpreise in israelischen<br />
Großstädten steigen derzeit in unermessliche<br />
Höhen. Selbst Vororte von<br />
Tel Aviv und Jerusalem sind betroffen.<br />
Der Grund: Wohlhabende Juden wandern<br />
aus Frankreich und den USA ein<br />
und nehmen Einfluss auf den Immo -<br />
bilienmarkt.<br />
„Wir erleben seit etwa zwei Jahren eine<br />
ständig steigende Nachfrage nach<br />
Wohnr aum in erstklassiger Lage“, sagte<br />
Dganit Ofek, Immobilienmaklerin in<br />
Tel Aviv, der Deutschen Presse-<br />
Agentur (dpa). „Und unsere Kunden<br />
sind bereit, viel Geld zu bezahlen.“ Das<br />
ausreichend vorhandene Kapital treibe<br />
die Preise nach oben. „Eine normale<br />
Vier-Zimmer-Wohnung in Tel Aviv ist<br />
kaum noch unter einem Kaufpreis von einer<br />
Kaviar aus Israel<br />
Wissenschaftlern von der He brä -<br />
ischen Universität in Jerusalem ist es<br />
gelungen, den ersten israelischen<br />
Stör zu züchten. Auf große<br />
Geschäfte mit dem Kaviar hofft<br />
jetzt der Kibbutz Dan in Nord israel<br />
– dort werden zur Zeit rund 40.000<br />
Störe in Außenteichen gezüchtet.<br />
Bislang ist das Kaspische Meer<br />
Hauptlieferant des Störs. Durch<br />
Überfischung und Umweltver -<br />
schmut zung ist die Ausbeute in den<br />
vergangenen Jahren jedoch stark<br />
zurückgegangen.<br />
Wie die Universität bekannt gab,<br />
hatten die Wissenschaftler Berta<br />
Levavi-Sivan und Avschalom Hur vitz<br />
vor acht Jahren mit der Auf zucht<br />
begonnen. Da m<strong>als</strong> hatten sie be -<br />
fruchtete Stör-Eier aus dem Kaspi -<br />
schen Meer nach Is rael ge bracht.<br />
Erst nach vier Jahren kann das Ge -<br />
schlecht des Fisches festge stellt wer -<br />
den. Die männlichen Tiere werden<br />
dann auf dem Markt verkauft, die<br />
weiblichen Tie re werden weiter in<br />
den Tei chen gehalten. Im Alter von<br />
etwa acht Jahren, beginnen sie mit<br />
der Kaviarproduktion. Ein Weib chen<br />
kann im Durch schnitt Kaviar im<br />
Wert von US$ 3.000 produzieren.<br />
Der Geschäftsführer von „Caviar<br />
Million Schekel (umgerechnet 200.000<br />
Euro) zu bekommen. Für die Lu xusklasse<br />
zahlen die Käufer 600.000 Euro und<br />
mehr.“<br />
Im Jahr 2006 sind etwa 2.400 französische<br />
und 2.200 amerikanische Ju -<br />
den nach Israel immigriert - insgesamt<br />
kamen knapp 20.000 Ein wan -<br />
derer. Die Franzosen kaufen gerne<br />
Wohnraum in Wassernähe, beispielsweise<br />
in Tel Aviv. Die Amerikaner<br />
sind oft religiös und siedeln sich be -<br />
vorzugt in Jerusalem an, wo sich die<br />
heiligen Stätten wie die Klagemauer<br />
befinden.<br />
Neuer Wohnraum der Luxusklasse<br />
Die Nachfrage sei größer <strong>als</strong> das An -<br />
gebot, so die Jerusalemer Maklerin<br />
Galilee“<br />
im Kib butz Dan<br />
geht davon aus, dass<br />
das Un ter nehmen ab dem Jahr 2010<br />
einen jährlichen Um satz von US$<br />
7,3 Mio. machen wird.<br />
Obwohl es in Israel unter den russischen<br />
Einwanderern eine große<br />
Nach fra ge nach dem „schwarzen<br />
Gold“ gibt, zielt die Firma überwiegend<br />
auf Exporte nach Europa und<br />
Nordamerika ab.<br />
Da noch nicht eindeutig ge klärt<br />
wurde, ob der Stör koscher ist, stellen<br />
die jüdischen Israelis noch kei -<br />
ne Zielgruppe dar. Koschere Fische<br />
müssen sowohl über Schuppen <strong>als</strong><br />
auch über Flossen verfügen, das ist<br />
beim Stör augenscheinlich nicht der<br />
Fall. Levavi-Sivan ist unterdessen<br />
über zeugt davon, dass der Fisch koscher<br />
ist - sie könne nachweisen,<br />
dass der Stör Schuppen habe. Diese<br />
seien jedoch winzig und könnten<br />
nur mit einem Stereoskop gesehen<br />
werden, heißt es in der Presse mi t -<br />
teilung der Universität.<br />
inn<br />
GALA HOCHZEITSPACKAGE - All inclusive +<br />
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Alyssa Friedland. „Dadurch steigen<br />
die Preise. Und neuer Wohnraum der<br />
Luxusklasse entsteht, den unsere<br />
Kunden auch zu zahlen bereit sind.“<br />
Laut dpa ist Wohnraum im Zentrum<br />
der großen Städte für „norm<strong>als</strong>terbliche<br />
Israelis“ kaum noch erschwinglich.<br />
Zudem entstehen so genannte „Geis-<br />
ter städte“. Diese Bezeichnung trägt<br />
beispielsweise das Viertel Ma mil la<br />
westlich der Jerusalemer Alt stadt.<br />
Dort verbringen viele ausländische<br />
Investoren nur ihre Sommerferien. In<br />
der restlichen Zeit stehen die Woh -<br />
nun gen leer. Wegen des fehlenden<br />
sozia len Umfelds ziehen Israelis<br />
nicht gerne dorthin.<br />
Doch die Maklerinnen gehen da -<br />
von aus, dass der Preisanstieg auf<br />
dem israelischen Immobilienmarkt<br />
demnächst ein Ende finden wird.<br />
Bald werde ein Limit erreicht sein,<br />
bei dem auch Wohlhabende aus dem<br />
Ausland nicht mehr zahlen wollten,<br />
meint Ofek. Und auch der gesunkene<br />
Wechselkurs vom Dollar zum Sche kel<br />
sowie die Immobilienkrise in den<br />
USA würden sich auf die Preise in<br />
Israel auswirken, vermutet Fried -<br />
land.<br />
inn<br />
©JTA<br />
Proteste in der „Geisterstadt“<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 57
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
WISSENSCHAFT<br />
Hebräische Universität<br />
weltweit auf Rang 65<br />
Im internationalen Vergleich von 500<br />
Hochschulen belegt die Hebräische<br />
Uni versität in Jerusalem den 65. Platz.<br />
Die drei besten Universitäten befinden<br />
sich in den USA - allen voran und<br />
seit Jahren ungeschlagen liegt Har -<br />
vard, gefolgt von Stanford und der<br />
"University of California", Berkeley.<br />
Platz fünf belegte die Universität<br />
Cambridge in Großbritannien. Es folgen<br />
vier weitere US-amerikanische<br />
Hochschulen, bevor mit Oxford auf<br />
Rang zehn wieder eine europäische<br />
Universität punktet. Das geht aus der<br />
diesjährigen Veröffentlichung des<br />
„Shanghai-Ranking“ der Universität<br />
Jiaotong in Shanghai hervor.<br />
Die Plätze elf bis 18 werden ebenfalls<br />
von US-amerikanischen Hochschu len<br />
belegt. Rang 19 hat die Universität<br />
Tokio in Japan inne.<br />
Im Vergleich mit den Hochschulen<br />
in Asien kam die Hebräische Uni ver -<br />
sität auf Rang vier, in Israel ist sie die<br />
beste.<br />
Beste deutsche Hochschule ist die<br />
Universität in München. Sie landete<br />
auf Platz 55 und belegte im nationalen<br />
Vergleich Platz eins sowie im<br />
europäischen Vergleich Platz 13.<br />
Im „Shanghai-Ranking“ vergleicht<br />
die Universität Jiaotong in Shanghai<br />
seit 2003 weltweit 500 Hochschulen<br />
anhand von sechs Indikatoren. Unter<br />
anderem werden die Anzahl publizierter<br />
Artikel und die Zahl der Nobel -<br />
preisträger berücksichtigt.<br />
inn<br />
Anti-Viren Programme<br />
bald überflüssig?<br />
Ein Israelischer Wissenschaftler entwickelte<br />
ein neues Programm, das<br />
bald alle Anti-Viren Programme und<br />
deren lästigen Updates überflüssig<br />
machen sollen.<br />
So soll das kostenlose Programm „Korset“<br />
dem Betriebssystem selbst hel fen<br />
ungewöhnliche Prozesse zu finden<br />
und diese zu unterbinden. Zur Zeit<br />
gibt es die Software nur für das Be -<br />
triebssystem Linux. Jedoch werden<br />
die meisten Web- und E-Mail-Server<br />
auf Linux Systemen auf der ganzen<br />
Welt installiert.<br />
Quelle: yahoo<br />
Gute Stimmung gegen<br />
Brustkrebs<br />
Traumatische Ereignisse erhöhen<br />
das Brustkrebsrisiko bei<br />
jungen Frauen, glückliche Er -<br />
eignisse und Optimismus verringern<br />
es. Ein Team unter Leitung<br />
von Prof. Ronit Peled an der Ben-Gu -<br />
rion Universität in Be‘er Sheva konnte<br />
die Evidenz in einer umfassenden<br />
Studie nachweisen. (Veröffentlicht in<br />
der britischen Zeitschrift BMC Cancer)<br />
medizin<br />
Gute Diagnostik gegen den<br />
„Stillen-Killer“<br />
Bauchspeicheldrüsenkrebs macht nur<br />
3% aller Karziome aus, ist aber für 6%<br />
der tödlichen Krebserkrankungen verantwortlich<br />
– meist innerhalb einem<br />
Jahr nach Diagnose: daher die Be zeichnung<br />
<strong>als</strong> Stiller-Killer. Der israelische<br />
Molekularbiologe Prof. Avraham Hoch -<br />
berg von der Hebräischen Univer sität<br />
Jerusalem, Mitbegründer und Chef-<br />
Wissenschaftler bei „BioCancell“, entwickelte<br />
eine komplementäre Diag -<br />
nose-Therapie-Technik, bösartige<br />
Krebs zellen der Bauchspeicheldrüse<br />
zu entdecken und zu bekämpfen. Die<br />
„Silber Kugel Methode“ sucht nach<br />
Zellen mit dem bei Krebs häufig auftretenden<br />
H19-Gen und ermöglicht<br />
ih re gezielte Abtötung.<br />
Aktive Konfliktbewältigung<br />
- in der Familie oder am Arbeitsplatz -<br />
beeinflusst Demenzerkrankungen.<br />
Dies zeigen israelische Forscher in ei -<br />
ner neuen Studie, die bei der Inter na -<br />
tionalen Konferenz für Alzheimer Er -<br />
krankungen vorgestellt wurde. „Das<br />
Nachdenken über Probleme und de ren<br />
Lö sungen ist eine spezifische Form der<br />
Hirn aktivität und kann ein Schutz vor<br />
Demenz sein“, sagt Dr. Ramit Ravon-<br />
Springer von der Gedächtnis-Klinik des<br />
Sheba Centers am Tel-Aviver Kran ken -<br />
haus Tel-Hashomer.<br />
Protein des Gedächtnisses<br />
Forscher der Haifaer Universität entdeckten<br />
ein Protein, das für die Konso<br />
lidierung von Gedächtnisinhalten<br />
verantwortlich ist. Die Konsoli die -<br />
rung ist der erste Prozess, der in neurodegenerativen<br />
Erkrankungen wie<br />
Alzheimer und Parkinson betroffen<br />
wird. Die israelische Entdeckung trägt<br />
(ein)blick<br />
zum Verständnis der biologischen Me -<br />
chanismen des Gedächtnisses bei und<br />
somit auch zur Behandlung solcher<br />
Erkrankungen. (Nature Neuro science).<br />
Sicherer Gang<br />
Methylphenidat (Ritalin) wird seit<br />
Jahren bei der Behandlung hyperaktiver<br />
Kinder (ADHS) eingesetzt. Jetzt<br />
konnten Forscher der Tel Aviver Uni -<br />
versität nachweisen, dass die Sub stanz<br />
sturzgefährdeten älteren Menschen<br />
mehr Sicherheit beim Gehen verleiht.<br />
Journal of the American Geriatric Society<br />
Genial einfach gegen Übergewicht<br />
FDH (friss‘ die Hälfte) ist leicht ge -<br />
sagt. Die israelische Firma „Nobe si ty“<br />
aus Haifa macht es leicht. Sie entwikkelte<br />
eine Klammer, die zwischen den<br />
Zähnen an beiden Kiefern befestigt<br />
wird und zu kleineren Bissen und<br />
längerem Kauen zwingt.<br />
Mucoviszidose<br />
Forscher des Hadassah Medical Cen -<br />
ter in Jerusalem entwickelten ein Prä -<br />
pa rat, das bei der bisher unheilbaren<br />
Mucoviszidose hilft. Das Medi ka ment<br />
„PTC124“ wird oral verabreicht, verbessert<br />
den Chloridionentransport<br />
durch Zellmembranen und die Lungen<br />
funktion, Symptome wie Husten<br />
nehmen ab. Noch erstaunlicher: Ne -<br />
ben wirkungen treten kaum auf. (The<br />
Lancet).<br />
Parkinson<br />
Tevas Parkinson-<br />
Medikament Azilect<br />
verlangsamt das<br />
Fortschreiten der neurodegenerativen<br />
Krankheit. Dies hat das israelische<br />
Pharmaunter neh men nun im<br />
Anschluss an die letzte klinische<br />
Testphase mitgeteilt. Alle Ziele seien<br />
dabei erreicht worden.<br />
Azilect, in seiner generischen Form <strong>als</strong><br />
Rasagilin bekannt, ist ein genuines Produkt<br />
von Teva. Dass es die Symptome<br />
der Parkinson-Krankheit erfolgreich<br />
behandelt, war bereits früher bewiesen<br />
worden. Dem israelischen Arz neimittelhersteller<br />
ging es zuletzt da rum,<br />
die offizielle Kennzeichnung seiner<br />
Anwendungen durch US-amerikanische<br />
und europäische Regulierungs -<br />
behörden auszuweiten.<br />
58 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
Nach der klinischen Versuchsreihe<br />
„Adagio“ steht nun fest, dass Azilect<br />
das weltweit einzige Medikament ist,<br />
das nicht nur die Symptome von Par -<br />
kinson behandelt, sondern auch die<br />
Krankheit selbst eindämmt. An der<br />
Adagio-Studie haben 1.175 Patienten<br />
in 14 Ländern teilgenommen.<br />
Der Absatz von Azilect hat sich im<br />
zweiten Quartal von <strong>2008</strong> auf US$ 42<br />
Mio. belaufen, was einen Anstieg von<br />
50% bedeutet. Teva hofft nun, dass die<br />
Verkäufe im kommenden Jahr mindestens<br />
eine Milliarde US$ erreichen.<br />
Schnelltest<br />
Der neue Diagnostik-Kit der israelischen<br />
Chemikerin Dr. Dorit Arat entdeckt<br />
innerhalb weniger Minuten den<br />
Zytomegalie-Virus (CMV). Er verursacht<br />
bei Föten die häufigste Infektion<br />
und kann zum Tod führen. Eine kleine<br />
Speichel- oder Blutprobe genügt.<br />
„Mamaherb“<br />
ist eine internationale Online-Da ten -<br />
bank für alternative Heilmittel und<br />
Methoden. Tamir Goren aus Tel Aviv<br />
sammelt umfangreiche Informatio nen<br />
weltweit, vor allem aus China, Indien<br />
und Südamerika, wo alternative Praktiken<br />
weit verbreitet sind. Zudem bietet<br />
Mamaherb eine Plattform für<br />
Betroffene, um sich über Erfahrungen<br />
austauschen zu können.<br />
Mit dem Zweiten sieht man besser<br />
Einem Team um Dr. Daniel Brisko vom<br />
Meir Medical Center in Kfar Saba ge -<br />
lang ein sensationeller Durch bruch:<br />
das Augenlicht eines 78-jährigen konn -<br />
te wieder hergestellt werden. 1963<br />
wurde er bei einer Militäraktion verwundet<br />
und war seither auf dem linken<br />
Auge blind.<br />
Jerusalem- und<br />
Tel Aviv-Feeling<br />
Tolle Fotos und virtuelle Spa -<br />
ziergänge durch Jerusalem er -<br />
möglicht die neu gestaltete Website<br />
des israelischen Fotografen<br />
Ron Peled. Zurzeit auf Englisch,<br />
in Kürze auch auf Deutsch.<br />
http://www.feeljerusalem.com/<br />
und http://www.visit-tlv.com<br />
wissenschaft<br />
Das deutsch-israelische Jahr<br />
der Wissenschaft und Technologie<br />
wird in der neuen zweisprachigen<br />
Website des Bundesministeriums für<br />
Bildung und Forschung dargestellt<br />
unter http://www.gist<strong>2008</strong>.com/ Schwerpunktthemen:<br />
Meeres- und Geowis -<br />
sen schaften, Biotechnologie, Umwelt -<br />
forschung, Material- und Nanofor -<br />
schung, Optische Technologien, IT<br />
und Kommunikation, Neuroscience,<br />
Krebstherapien & Wassertechno lo gi en.<br />
Israelis beim Urknall<br />
40 Wissenschaftler und Techniker aus<br />
Israel sind beim gigantischen Teil -<br />
chen beschleuniger-Project, Large Had -<br />
ron Collider (LHC) in Genf beteiligt.<br />
Ihr Schwerpunkt: die Entwicklung<br />
ei ner ultrapräzisen und schnellen op -<br />
tischen Kommunikation zwischen<br />
den Anlagen und der gigantischen<br />
Computer-Infrastruktur.<br />
Mit einem Klick<br />
bietet „ebiz Mobility“ aus Israel si che -<br />
res Einkaufen im Internet an - oh ne<br />
Weitergabe von Kreditkartenin for ma -<br />
tionen. Bei Unternehmen, Banken,<br />
Telefongesellschaften etc., richtet der<br />
User einen Account ein. Beim Einkauf<br />
wählt er die ebiz-Option („one touch<br />
purchasing“) aus. Danach übernimmt<br />
die autorisierte Gesellschaft die<br />
Trans aktion.<br />
Firma entwickelt Rohre aus<br />
Recycling-Papier<br />
Das israelische Unternehmen „Ame ri -<br />
can Israeli Paper Mills Group Ltd.“<br />
(AIPM) - Israels größte Papier fabrik -<br />
hat einen neuen Verwen dungs zweck<br />
für recyceltes Papier und Plastik entdeckt.<br />
Ihr ist es gelungen, aus den<br />
Materialien Rohre herzustellen. Laut<br />
dem Geschäftsführer Avi Brener seien<br />
diese fast so robust wie Stahlrohre.<br />
Dem Ergebnis seien zehn Jahre For -<br />
schung vorausgegangen. Laut dem<br />
Be richt bestehen die neu entwickelten<br />
Rohre aus 60 bis 70% recyceltem Pa -<br />
pier und Plastik. Die Firma selbst<br />
nutze sie <strong>als</strong> Kern für ihre Papier rol -<br />
len, von denen jede 20 Tonnen wiege.<br />
Wie Brener weiter mitteilte, werden<br />
bislang in Israel lediglich 25% des be -<br />
nutzten Papiers sowie 1,5% Plastik<br />
recycelt. Er hoffe, dass das Papier re -<br />
cycling in den kommenden Jahren auf<br />
50% erhöht werden könne. Dann<br />
wäre Israel wettbewerbsfähig mit den<br />
hochentwickelten Ländern Europas.<br />
Kluge Köpfe<br />
Bei der Internationalen Physik-Olym -<br />
piade im türkischen Izmir erhielten<br />
israelische Schüler von der Lehman-<br />
High-School in Dimona, einer Klein -<br />
stadt im Negev, den ersten Platz.<br />
Logistik von Rafael<br />
Gemeinsam mit „General Dy na mics“<br />
wird die israelische Fir ma „Rafael“<br />
die Truppen-Fahr zeuge der US-Army<br />
mit mo dern ster Logistik ausrüsten.<br />
Umfang des De<strong>als</strong>: US$ 32 Mio<br />
Ausgesucht<br />
Unter den 50 Start-Up Firmen, die zur<br />
Teilnahme an der „TechCrunch50 Con -<br />
ference <strong>2008</strong>“ in San Francisco eingeladen<br />
wurden, stehen auch vier aus Is -<br />
ra el. Erstmalig 2007 veranstaltet, hat<br />
die Konferenz das Ziel, junge Firmen<br />
mit herausragenden Erfolgschancen<br />
vorzustellen und zu promoten.<br />
http://www.techcrunch50.com/<strong>2008</strong>/conf<br />
erence/index.php<br />
Energie aus Rizinusöl<br />
In einem neuen Joint-Venture werden<br />
die israelischen Firmen „Ormat“ und<br />
„Evogene“ gemeinsam mit „Biofuel<br />
Namibia“ Biodiesel aus der Castor -<br />
boh ne (Rizinus) in Namibia produzieren<br />
und vermarkten.<br />
1. Internationaler Kongress<br />
für weibliche Offiziere<br />
Schon lange setzen die israelischen<br />
Streitkräfte Maßstäbe in<br />
Gleich be rech tigung. Auf dem<br />
viertägigen Kon gress in Tel<br />
Aviv sollen nun Vor teile der<br />
Präsenz von Frauen in den<br />
Streit kräften diskutieren werden.<br />
Dazu reisen Teilnehmer aus 11<br />
Nationen an.<br />
gesellschaft<br />
Barrierefrei<br />
Anstatt sie auszugrenzen, integriert<br />
Israel Behinderte uneingeschränkt in<br />
die Gesellschaft. Ein einzigartiges Projekt<br />
der Armee ermöglicht nun Be -<br />
hinderten wirklich Teil der Ge sell -<br />
schaft zu sein. Videobericht: http://<br />
www.jerusalemonline.com/speci<strong>als</strong>10.asp<br />
Arbeit fördert Frieden<br />
10.000 neue Arbeitsplätze für Pa l läs -<br />
tinenser und 2.000 für Israelis entstehen<br />
2009 in einem israelisch-palästinensischen<br />
Industriepark im Norden<br />
Israels – unterstützt von den USA<br />
und der EU. Quellen: ILI, JTA, inn, nai, u.a.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 59
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
Die israelische Firma Argo Medical Technologies hat ein Gerät<br />
hergestellt, das Gehbehinderten zum aufrechten Gang verhilft.<br />
Entwickelt wurde es von Amit Goffer, dem Gründer<br />
und Generaldirektor des Unternehmens, der selbst seit ei -<br />
nem Autounfall ge lähmt ist.<br />
ReWalk (siehe Gemeinde 427 (ein) blick), so der Name der<br />
Er fin dung, sieht aus wie eine Mischung aus einem Krebs -<br />
gerippe und dem Mantel der bekannten Comic-Figur Iron<br />
Man. Beingelähmte können damit aufrecht stehen, gehen<br />
und sogar Treppen steigen. Voraussetzung für den Ge -<br />
brauch ist jedoch die volle Einsatzfähigkeit der Hände.<br />
© EPA/Jim Hollander<br />
Das Gerät besteht aus zwei Krücken zur Herstellung des<br />
Gleichgewichts, motorisierten Beinstützen, Sensoren und<br />
einem Rucksack, in dem die Bat terien und die Kontroll ar -<br />
matur verwahrt sind. Der Benutzer wählt mi tels einer<br />
Fern bedienung am Handge lenk einen bestimmten Modus<br />
– Stehen, Sit zen, Gehen, Abstieg oder Aufstieg – und lehnt<br />
sich dann nach vorne, um die an den Körper angeschlossenen<br />
Sen soren in Betrieb zu setzen und die Be wegung der<br />
Roboterbeine zu starten.<br />
„Die Maschine erhebt Leute aus ihrem Rollstuhl und ermöglicht<br />
ihnen, aufrecht zu stehen“, sagt Goffer. „Das ist nicht nur<br />
eine Frage der Gesundheit, sondern auch der Würde.“ Radi<br />
Kiuv, ein früherer Fall schirmjäger, der seit 20 Jahren an<br />
den Beinen gelähmt ist und ReWalk ausprobiert hat, äußert<br />
sich begeistert: „Nie hätte ich geträumt, dass ich wieder laufen<br />
könnte. Nach dem ich verletzt wurde, habe ich völlig vergessen,<br />
wie das ist. Nur wenn man mich hinstellt, kann ich fühlen,<br />
wie groß ich bin und mit den Leuten auf Augenhöhe sprechen,<br />
nicht von unten.“<br />
ReWalk soll voraussichtlich 2010 auf den Markt kommen<br />
und um die US$ 20.000 kosten.<br />
Haaretz<br />
Weitere Informationen unter http://www. argomedtec.com/<br />
ReWalk –<br />
Medizinische<br />
Gehhilfe<br />
aus Israel<br />
Schriftrollen vom Toten Meer werden digitalisiert<br />
wich tigsten archäologischen Fun de<br />
überhaupt. 1947 wurden sie zufällig<br />
von einem Beduinenhirten entdeckt.<br />
Einige größere Auszüge der Rollen<br />
werden dauerhaft im Jerusalemer<br />
Israel-Museum ausgestellt.<br />
Israelische und amerikanische<br />
Wis sen schaftler haben damit begonnen,<br />
die berühmten Schriftrollen<br />
vom Toten Meer zu digitalisieren.<br />
Unter den Experten, die der Is ra e -<br />
lischen Al tertumsbehörde (IAA)<br />
dabei be hilflich sind, ist auch ein<br />
Mitar bei ter der US-amerikanischen<br />
Luft- und Raumfahrtbehörde<br />
NASA.<br />
Die antiken Manuskripte, die<br />
beinahe die gesamte hebräische Bibel<br />
enthalten, sind mehr <strong>als</strong> 2000<br />
Jahre alt. Sie gelten <strong>als</strong> einer der<br />
Die IAA teilte mit, dass die digitale<br />
Reproduktion der mehreren<br />
Tau send Fragmente etwa fünf Jah re<br />
dauern werde. Nach Abschluss der<br />
Arbeiten sollen sie der Öffentlichkeit<br />
im Internet zugänglich ge macht<br />
werden.<br />
Von der High-Tech-Bildverar bei -<br />
tung soll nicht zuletzt die Wissen -<br />
schaft profitieren. Die IAA erwartet,<br />
dass sie das Ausmaß, in dem Wis -<br />
senschaftler die Rollen entziffern<br />
können, mittels der Infrarot-Foto -<br />
gra fie erheblich erweitern wird<br />
(Fo to).<br />
Haaretz<br />
60 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
T-Mobile Business Service<br />
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September <strong>2008</strong>/Elul 5768 61
Schneekanonen<br />
aus Israel sorgen<br />
für Ski-Spaß im<br />
Alpengebiet<br />
Die Zermatt-Bergbahnen in der<br />
Schweiz und die Pitztaler Gletscher -<br />
bahnen in Österreich wollen für einen<br />
pünktlichen Start der diesjährigen<br />
Skisaison sorgen und Schnee si cher -<br />
heit gewährleisten. Geschehen soll<br />
dies mit Hilfe einer temperaturunabhängigen<br />
Schneekanone aus Israel.<br />
Aufgrund Schneemangels in den<br />
vergangenen Jahren und einem daraus<br />
resultierenden Rückgang der Be -<br />
su cherzahlen in den beliebten Skige -<br />
bieten haben beide Betreiber im Vor -<br />
jahr den „IDE Snowmaker“ in Israel<br />
bestellt. Im Oktober dieses Jahres sollen<br />
die Schneekanonen zum Einsatz<br />
kommen.<br />
„Im Spätherbst reicht die Gletscher pis te<br />
nur bis 500 Meter vor die Bahnstation -<br />
die verbleibende Strecke muss zu Fuß zu -<br />
rück gelegt werden“, sagte Christen<br />
Baumann von der Zermatt-Bergbah -<br />
nen AG. Das soll sich nun ändern: In<br />
dieser Saison, soll das entsprechende<br />
Stück durch die Schneekanone be -<br />
schneit werden, heißt es auf der Inter -<br />
netseite von „IDE Snowmaker“.<br />
Vor der Verschiffung in die Alpen regionen<br />
war die Schneekanone An fang<br />
Juli bei mehr <strong>als</strong> 30° Celsius in der<br />
Nähe von Netanja erfolgreich getestet<br />
worden. Sie hatte für Begeisterung<br />
unter israelischen Skifahrern gesorgt.<br />
Kunstschnee ohne Chemikalien<br />
Das israelische Gerät macht erstm<strong>als</strong><br />
die Schneeproduktion bei Plusgraden<br />
von mehr <strong>als</strong> 30° Celsius bei niedrigem<br />
Energieverbrauch möglich. Zu -<br />
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
dem funktioniert es ohne chemische<br />
Zusatzstoffe. Täglich können bis zu<br />
2000 Kubikmeter Schnee produziert<br />
werden. Die Schneekanone wiegt et wa<br />
30 Tonnen und ist daher nicht mobil,<br />
sondern muss fest installiert werden.<br />
Sie kostet rund 1,5 Mio. Euro, heißt es<br />
in einem Bericht der Tageszeitung<br />
„Jediot Aharonot“.<br />
Ähnliche Geräte hatten bisher Kunst -<br />
schnee bei Plusgraden nur in geringen<br />
Mengen und durch Zusatz von Che -<br />
mi kalien erzeugt. Ursprünglich wur de<br />
der „IDE Snowmaker“ <strong>als</strong> Entsalzungs<br />
anlage entwickelt. Später hätten<br />
die Entwickler entdeckt, dass das Ge -<br />
rät Kunstschnee produzieren könne.<br />
Die Schneekanonen werden bereits seit<br />
Jahren <strong>als</strong> Kühlanlagen in südafrikanischen<br />
Diamantenminen eingesetzt.<br />
Das Unternehmen „IDE Techno lo -<br />
gien“ wurde 1965 im Auftrag der is ra -<br />
elischen Regierung für die Ent wick -<br />
lung von Entsalzungsanlagen ge -<br />
gründet. Heute ist es einer der Welt -<br />
marktführer in diesem Bereich sowie<br />
auf dem Gebiet der Wasserreinigung<br />
und der Konstruktion von Kühlungs-,<br />
Eis- und Schneeanlagen.<br />
inn/red<br />
Kontakte und Auskünfte:<br />
Vertretung Österreich, Deutschland,<br />
Schweiz, Südtirol:<br />
Firma SEC – Ing. Felix Viehauser,<br />
+43/(0)6432/3849, office@seilbahn.net<br />
(SEC ist die Vertretung der israelischen Fir ma IDE-<br />
Technologies aus Israel im deutsch sprachigen Raum)<br />
Weitere Informationen:<br />
www.ide-snowmaker.com<br />
Bedeutender Mauerfund<br />
am Zionsberg<br />
Bei Ausgrabungen am Zionsberg<br />
sind Reste der südlichen Stadtmauer<br />
Jerusalems aus der Zeit des zweiten<br />
Tempels (200 v. Chr. Bis 70 n. Chr.) so -<br />
wie der byzantinischen Periode (320-<br />
640 n. Chr.) freigelegt worden. Die<br />
Linien dieser Befestigungsanlagen<br />
umrissen die Stadt vom Süden her<br />
zur Zeit ihrer größten Ausdehnung.<br />
Die neuen Funde wurden auf einer<br />
Pressekonferenz am Zionsberg der Öffentlichkeit<br />
präsentiert. Die Ausgra -<br />
bungsarbeiten unter der Leitung von<br />
Yehiel Zelinger von der Israelischen<br />
Al tertumsbehörde (IAA) sind bereits<br />
seit eineinhalb Jahren im Gange.<br />
Finanziell unterstützt werden sie von<br />
der Ir David Foundation.<br />
Das Projekt ist Teil eines groß angelegten<br />
Plans für den Jerusalemer<br />
Stadt mauer-Nationalpark, der die Ge -<br />
gend um die Altstadt für touristische<br />
Zwe c ke erschließen soll. Die nun freigelegten<br />
Mauerreste werden zukünftig<br />
in eine Promenade integriert werden,<br />
die an der Südseite des Zions -<br />
bergs entlang bis hin zur Stadt Da -<br />
vids (Ir David) verläuft.<br />
Yehiel Zelinger bemerkte u. a.: „Die<br />
Tat sache, dass sich die Reste der ersten<br />
Stadt mauer bis zu einer Höhe von drei<br />
Me tern über 2100 Jahre hinweg erhalten<br />
haben, ist erstaunlich. Dies ist eines der<br />
schönsten und vollständigsten Relikte<br />
der hasmonäischen Bauweise, das sich in<br />
Jerusalem finden lässt.“<br />
© Yossi Zamir Flash 90.<br />
Weitere Informationen zu dem Mau -<br />
erfund finden sich unter dem folgenden<br />
Link: http://www.mfa.gov.il/MFA/<br />
Israel+beyond+politics/Southern-wall-<br />
of-Jerusalem-discovered-in-excavations-3-<br />
Sep-<strong>2008</strong>.htm<br />
62 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
JÜDISCHE WELT<br />
Alle Fotos: © Dieter Werderitsch<br />
Im Beisein zahlreicher Prominenter aus Politik und Kultur<br />
wurde am 17. September <strong>2008</strong> die Zwi Perez Chajes<br />
Schule in der Simon-Wiesenthal-Gasse offiziell eröffnet.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 63
JÜDISCHE WELT •AUSLAND<br />
Panorama<br />
Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />
Quelle: JTA/Guysen u.a.; Übersetzung: Karin Fasching/Foto:©JTA u.a.<br />
Kantorenschule in Berlin eröffnet<br />
Mit einem Konzert und Workshops<br />
wurde nun, unter Anwesenheit internationaler<br />
Gäste, die Berliner Kan to ren<br />
Schule des Abraham Geiger Kol legs an<br />
der Universität Potsdam eröffnet. Ei ne<br />
enge Zusammenarbeit mit dem Jüdi -<br />
schen Institut für Religion am He brew<br />
Union College in Jerusalem soll beim<br />
Unterricht der zukünftigen Kantoren<br />
verwirklicht werden. Zwar beginnt<br />
der erste vierjährige Kurs erst im kommenden<br />
Jahr, doch besuchen bereits<br />
jetzt drei Stundenten ei nen Vorbe rei -<br />
tungskurs.<br />
Deutschland, dessen jüdische Bevöl -<br />
ke rung seit den 1990ern durch die<br />
verstärkte Zuwanderung aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion auf 190.000<br />
Menschen mehr <strong>als</strong> vervierfacht hat,<br />
braucht dringend jüdische Geistliche.<br />
Weniger <strong>als</strong> 30 Rabbiner betreuen insgesamt<br />
etwa 80 Synagogen, Kantoren<br />
gibt es noch weniger.<br />
Der Siddur für das iPhone<br />
Der Siddur, ein jüdisches<br />
Gebetsbuch, kann nun auf<br />
iPhone oder iPod Touch<br />
geladen werden. Die Soft -<br />
ware enthält Gebete ashkenasischer<br />
und sephardischer Traditi on, er mit -<br />
telt die örtlich variablen Gebetszeiten<br />
für den iPhone-Besitzer und enthält<br />
eine Datenbank umliegender Syna go -<br />
gen. Zu finden im Apple iTunes Store<br />
für US$ 9,99.<br />
Pflege-Treffen für jüdische<br />
Gedenkstätten<br />
In der kleinen polnischen Stadt<br />
Zdunska Wola nahe Lodz trafen sich<br />
mit der Erhaltung jüdischer Gedenk -<br />
stätten beauftragte nichtjüdische Vo -<br />
lontäre unter der Leitung der Akti -<br />
vistin Kamila Klauzinska, Absolventin<br />
des Instituts für Jüdische Studien an<br />
Krakaus Jagiellonian Universität. Or -<br />
ganisiert wurde das Treffen von der<br />
Historischen Gesellschaft Yachad, die<br />
sich der Erhaltung des jüdischen Er -<br />
bes von Zdunska Wola verschrieben<br />
hat, und ist dem Gedenken an Ire ne usz<br />
Slipek gewidmet, der bis zu seinem<br />
Tod im Jahr 2006 zwanzig Jahre lang<br />
um den jüdischen Friedhof seiner<br />
Heimatstadt Warta kümmerte.<br />
Brad Pitt spielt jüdischen Soldaten<br />
US-Schauspieler Brad Pitt wird im<br />
neuen Film von Kultregisseur Que n tin<br />
Tarantino, „Inglorious Bastards“, einen<br />
jüdischen Soldaten im Zweiten Welt -<br />
krieg spielen, der eine Gruppe von acht<br />
jüdischen Amerikanern bei einem Ra -<br />
cheakt gegen die Nazis im besetzten<br />
Frankreich anführen soll. Die Drehar -<br />
bei ten in Deutschland beginnen im<br />
Oktober.<br />
Amos Gitai in Locarno geehrt<br />
Der israelische Filmregisseur Amos<br />
Gitai, bekannt für Filme wie „Kip pur“<br />
oder „Kadosh“, wurde beim 61.<br />
Internationalen Filmfestival von Lo carno<br />
mit dem Ehrenleoparden geehrt.<br />
Sein neuester Film „Plus tard, tu comprendras...“<br />
(„Eines Tages wirst du verstehen...“)<br />
wurde beim Festival gezeigt,<br />
ebenso eine Retrospektive seiner wichtigsten<br />
Filme aus früheren Jahren.<br />
Mehr jüdische<br />
Hochzeiten in Israel<br />
Innerhalb eines Jah -<br />
res, zwischen 2005<br />
und 2006, stieg die<br />
Zahl jüdischer<br />
Hoch zeiten in Israel<br />
um 8,3 %, berichtet<br />
das Statistische Zen tralbüro in Israel<br />
anlässlich des jüdischen Tages der<br />
Liebe, Tu B´Av, am 16. <strong>August</strong>. Die<br />
Zahl der moslemischen Hoch zei ten<br />
wie derum stieg im selben Zeit raum<br />
um 12 %. Bei den jüdischen Männern<br />
lag das Durchschnittsalter bei ihrer<br />
Hoch zeit bei 28,2 Jahren (Frauen 25,7),<br />
moslemische Männer waren durchschnittlich<br />
26,4 Jahre alt, Frauen 20,8.<br />
Dennoch wird es zunehmend zum<br />
Trend, unverheiratet zu bleiben. Bei<br />
den 25 bis 29-Jährigen erhöhte sich der<br />
Prozentsatz der JunggesellInnen von<br />
38 % 1986 auf 57 % im Jahr 2006. Bei<br />
Frauen zwischen 20 und 24 sind es gar<br />
70 %.<br />
Oslo eröffnet jüdisches Museum<br />
Ein neues, am Standort einer ehemaligen<br />
Synagoge errichtetes Museum im<br />
norwegischen Oslo ist der jüdischen<br />
Kultur und Tradition Norwegens ge -<br />
widmet, die mit den ersten jüdischen<br />
Einwanderern vor 150 Jahren ihren<br />
Ursprung nahm.<br />
Die erste Ausstellung beschäftigt sich<br />
mit dem jüdischen Einfluss auf die<br />
norwegische Kultur und dem Schick -<br />
sal der jüdischen Gemeinde während<br />
der deutschen Besatzungszeit im<br />
Zwei ten Weltkrieg.<br />
Norwegen, in dem heute etwa 1.500<br />
Juden leben, war lange einer der letzten<br />
europäischen Staaten ohne jüdisches<br />
Museum in seiner Hauptstadt.<br />
Nur in der zentralnorwegischen Stadt<br />
Trondheim existierte bisher ein Mu se -<br />
um, das dem Judentum gewidmet war.<br />
Vertreter des libyschen Exiljudentums<br />
gestorben<br />
Raffaello Fellah, ein ranghoher Vertre ter<br />
des libyschen Exiljudentums, verstarb<br />
im Alter von 73 Jahren in Rom. Der in<br />
Tripoli geborene Fellah und 6.000<br />
wei tere libysche Juden flüchteten 1967<br />
vor der Vorfolgung in ihrer Heimat,<br />
die meisten zog es nach Israel, doch etwa<br />
2.000 von ihnen siedelten sich, wie<br />
Fellah, in Italien an. Der Geschäftsmann<br />
avancierte zu einem wichtigen<br />
Teil des italienischen Judentums, er<br />
war früher Präsident der Weltor ganisation<br />
libyscher Juden und Mitglied<br />
der Sephardischen Weltföderation.<br />
Ehemalige bosnische Synagoge<br />
trotz Protesten abgerissen<br />
Eine ehemalige Synagoge in der bosnischen<br />
Stadt Travnik musste einem<br />
Shoppingcenter weichen. Sie war 1860<br />
anstelle einer älteren Synagoge aus<br />
dem 18. Jahrhundert errichtet worden.<br />
Der letzte G´ttesdienst fand im Jahr<br />
1941 statt, bevor sie im Zweiten Welt -<br />
krieg beschädigt und in den 1950ern<br />
von der bosnisch-jüdischen Gemein de<br />
an die Stadt verkauft wurde. Danach<br />
be herbergte das Gebäude über Jahr -<br />
zehnte Metallarbeiter.<br />
Als nun im <strong>August</strong> <strong>2008</strong> Gerüchte um<br />
die Zerstörung der ehemaligen Syna -<br />
goge laut wurden, formte sich eine<br />
letzt endlich leider erfolglose Protest -<br />
gruppe, die das G´tteshaus <strong>als</strong> Mahn -<br />
mal für Bosniens multikulturelles<br />
Erbe erhalten wollte.<br />
64 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
HIAS erlangt UN-Status<br />
Der Hebräischen Hilfsgesellschaft für<br />
Immigranten (HIAS) wurde vom<br />
UNO-Komitee für NGOs (Non-Go -<br />
vern mental Organizations) ein Kon -<br />
sultativ-Status <strong>als</strong> akkreditierte NGO<br />
zuerkannt. Die 1881 in den USA ge -<br />
gründete Organisation setzt sich in -<br />
zwischen weltweit für die Rechte von<br />
Immigranten ein.<br />
Größter koscherer Supermarkt<br />
der USA eröffnet<br />
Der New Yorker Stadtteil Brooklyn<br />
darf nun den wohl größten koscheren<br />
Supermarkt der Vereinigten Staaten<br />
sein Eigen nennen. Der „Pomegra -<br />
nate“-Markt (Englisch für Granat ap -<br />
fel) erstreckt sich über ein etwa sechs<br />
Quadratkilometer großes Gelände<br />
und setzt auf gehobene Qualität.<br />
Jüdische US-Wissenschafter erhalten<br />
hohe US-Auszeichnung<br />
Vier jüdisches Wissenschafter und<br />
Ingeneure gehören zu den acht Aus -<br />
er wählten, die in diesem Jahr mit der<br />
höchsten Auszeichnung der USA für<br />
Wissenschaft und Technologie geehrt<br />
werden. In einer Zeremonie im<br />
Weißen Haus am 29. September wird<br />
Präsident George W. Bush die „Na -<br />
tional Medal of Science“ überreichen.<br />
Zwei der Geehrten waren <strong>als</strong> Kinder<br />
mit ihren Familien vor der Verfol -<br />
gung durch die Nazis nach Amerika<br />
geflüchtet: Andrew J. Viterbi aus San<br />
Diego wurde in Bergamo, Italien, ge -<br />
boren und ist bekannt <strong>als</strong> Vater der<br />
Handy-Technologie. Er gründete den<br />
US-Handy-Giganten Qualcomm und<br />
ist ein großzügiger Unterstützer jüdischer<br />
Vereinigungen.<br />
Auch Fay Ajzenberg-Selove kam <strong>als</strong><br />
Flüchtling in die USA. Sie wurde in<br />
Berlin in eine russisch-jüdische Fami-lie<br />
geboren und arbeitet heute <strong>als</strong> Nu kle -<br />
ar physikerin an der Universität von<br />
Pennsylvania.<br />
Der aus New York stammende Leonard<br />
Kleinrock ist Professor für In for -<br />
matik an der Univercity of Cali fornia<br />
Los Angeles (UCLA) und ein Pionier<br />
der Internet-Technologie.<br />
Und auch Robert J. Lefkowitz, ebenfalls<br />
gebürtiger New Yorker, wird die Me -<br />
dail le erhalten. Er ist Physiker und ein<br />
Vorreiter der Biochemie an der Duke<br />
University.<br />
Jüdisches Literaturfestival in Rom<br />
Italiens erstes Internationales Festival<br />
für Jüdische Literatur fand vom 20.<br />
bis 24. September in Rom statt. Ita li e -<br />
nische, amerikanische, israelische u. a.<br />
Autoren stellten dort für Lesungen<br />
und Diskussionen ihrer Werke zur<br />
Verfügung, außerdem wurde ein Preis<br />
für die beste Kurzgeschichte aus dem<br />
jüdischen Themenkreis verliehen.<br />
Erste Reformrabbiner in Holland geweiht<br />
Die ersten fünf Absolventen des Ro -<br />
bert A. Levisson Instituts wurden in<br />
der spanisch-portugiesischen Syna goge<br />
der Reformgemeinde von Den<br />
Haag geweiht. Die fünf Holländer<br />
haben einen fünfjährigen berufsbegleitenden<br />
Lehrgang absolviert.<br />
Aktuell leben etwa 40.000 Juden in<br />
Hol land, von denen ca. 4.000 einer<br />
Reformgemeinde angehören.<br />
Fotosammlung von Anne Frank<br />
restauriert<br />
Jene Fotos, die die Wände des Ver -<br />
stecks von Anne Frank zierten wurden<br />
in einem zehn Jahre dauernden<br />
Prozess restauriert. Die 60 Jahre alten<br />
Bilder von bekannten Personen wie<br />
Greta Garbo, den Lane Sisters, Sonja<br />
Henie und Queen Elizabeth hatte das<br />
Mädchen, das durch ihre Tagebücher<br />
traurige Berühmtheit erlangte, aus ei -<br />
nem Frauenmagazin ausgeschnitten.<br />
Keine Frauen bei Knesset-Chor-Auftritt<br />
Ein Auftritt des Knesset-Chors bei ei -<br />
nem Plenum mit dem britischen Pre -<br />
mier Gordon Brown musste ohne sei -<br />
ne weiblichen Mitglieder stattfinden,<br />
um ihre streng-orthodoxen Kollegen<br />
nicht zu brüskieren. Nach konservativen<br />
Interpretationen des jüdischen<br />
Rechts, darf ein Mann eine Frau nicht<br />
singen hören, um das Erwecken von<br />
körperlicher Lust zu vermeiden.<br />
Laut dem Generaldirektor der Knes set,<br />
Avi Balashnikov, dürfen Frauen niem<strong>als</strong><br />
im Plenum singen. Lediglich Mäd chen<br />
unter 13 Jahren hatten kürzlich bei<br />
einem Auftritt für Frankreichs Prä si -<br />
dent Nikolas Sarkozy mitgewirkt.<br />
Tatsächlich treten jedoch immer wieder<br />
Sängerinnen in der Chagall Halle<br />
der Knesset auf, wo streng religiöse<br />
Abgeordnete einfach den Saal verlassen<br />
können, wenn sie den Gesang <strong>als</strong><br />
nicht angebracht empfinden.<br />
Radweg Jerusalem-Tel Aviv<br />
Der Jerusalemer Nationalfonds er rich -<br />
tet anlässlich Israels 60jährigem Be -<br />
ste hen einen 120 km langen Radweg,<br />
der Jerusalem und Tel Aviv verbinden<br />
soll. Auf der Strecke, die in etwa ei nen<br />
halben Jahr fertig gestellt wird, kommt<br />
man an zahlreichen Wäldern und his -<br />
torischen Stätten vorbei. Die Kosten<br />
dafür betragen geschätzte US$<br />
400.000,-. Wer von Jerusalem nach Tel<br />
Aviv unterwegs ist hat Glück: Die<br />
Fahrt wird etwa lediglich fünf Stun -<br />
den betragen, da es hier hauptsächlich<br />
bergab geht. In die andere Richtung<br />
wird es wohl ein wenig länger dauern<br />
– aber für regelmäßige Gelegen hei ten,<br />
Rast zu machen und sich zu erholen,<br />
ist gesorgt.<br />
Jüdisches Filmfestival in Rio de Janeiro<br />
Beim vierten, jährlich stattfindenden<br />
Festival des Jüdischen Films im brasilianischen<br />
Rio de Janeiro wurden den<br />
Interessierten 14 Filme mit Israel- und<br />
Judentum-Bezug aus verschiedenen<br />
Län dern geboten. Für die jüdische Ge -<br />
meinde Brasiliens sei dies die wichtigste<br />
Veranstaltung des Jahres, erklärt<br />
Sergio Niskier, Präsident der staatlichen<br />
jüdische Föderation von Rio de<br />
Janeiro. Jeder Film werde von einer<br />
anderen jüdischen Institution unterstützt<br />
und gerade jene Filme, die man<br />
üblicherweise nicht so leicht zu Ge -<br />
sicht bekomme, seien bei Juden und<br />
Nichtjuden besonders begehrt, so<br />
Nis kier weiter.<br />
Siebenfache Großmutter<br />
zum 19. Mal Mutter<br />
In Israel hat eine siebenfache Groß -<br />
mutter ihr 19. Kind zur Welt gebracht.<br />
Das Baby erblickte in einem Kran ken -<br />
haus in Safed das Licht der Welt.<br />
Es sei eine Überraschung gewesen,<br />
erklärte die 47-jährige Sima Zal ma nov.<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 65
KULTUR • LITERATUR<br />
DER ERBE OHNE ERBEN<br />
KULTUR<br />
„Ich rauche, trinke schwarzen Kaffee,<br />
schlafe zu wenig, mache zuwenig Bewe -<br />
gung und bin auf diese Weise 70 Jahre alt<br />
geworden. Vielleicht wäre ich bei gesünderer<br />
Lebensführung heute schon 75 oder<br />
80, aber das läßt sich schwer feststellen.“<br />
Nein, Friedrich Torberg wäre wohl<br />
nicht 100 geworden, wie es anlässlich<br />
seines Geburtstags am 16. September<br />
vielfach zu lesen war. Daran waren<br />
nicht nur seine starken „Ägyptischen“<br />
schuld, das Rauchen, auf das er „<strong>als</strong><br />
geistig schaffender Mensch nicht verzichten“<br />
konnte, Torberg schätzte e ben<br />
die Intensität des Lebens mehr <strong>als</strong> dessen<br />
Dauer, hat sich nicht geschont<br />
und seinen „ungesunden Lebens wandel“<br />
durchaus in vollen Zügen genossen.<br />
„Essen war seine Lieblingsspeise“<br />
sollte auf seinem Grab stehen und in<br />
Jerusalem wollte er begraben werden.<br />
„Sollte mir jedoch die Gemeinde Wien ein<br />
Ehrengrab widmen, dann bleiben meine<br />
Gebeine in Wien“, verfügte er an seinem<br />
71. Geburtstag, wenige Wochen vor<br />
sei nem Tod. Quasi <strong>als</strong> Draufgabe ist<br />
auch sein gigantischer Brief nach -<br />
lass an seine Geburtstadt und da -<br />
mit an die Wienbibliothek im<br />
Rat haus gelangt. Die mehr <strong>als</strong><br />
50.000 Briefe, die größte Samm -<br />
lung von Korrespondenzen der<br />
österreichischen Nachkriegs zeit,<br />
bilden jetzt die Basis der laufenden<br />
Torberg-Ausstellung im Jü di -<br />
schen Museum Wien, die pünkt -<br />
lich zum 100. Geburtstag eröffnet<br />
wurde.<br />
Nicht nur quantitativ ist diese<br />
Sammlung einzigartig. Torberg<br />
war ein fast manischer, genialer<br />
und leidenschaftlicher Briefschrei<br />
ber. Tagebuch hat er nicht<br />
geführt, die Briefe waren gleichsam<br />
auch seine Tagebücher.<br />
„Nach meinem demnächst erfolgenden<br />
Ableben wird sich herausstellen,<br />
dass zwei Drittel dessen, was ich im<br />
Zu Friedrich Torbergs „Gefahren der Vielseitigkeit“<br />
im Jüdischen Museum<br />
VON ANITA POLLAK<br />
Leben geschrieben habe, Briefe wa ren“,<br />
sah er in einem Schreiben an Her mann<br />
E. Helmrich im Oktober 1978 voraus.<br />
Gleichzeitig war Torberg auch ein pe -<br />
nibler Archivar seiner ausufernden<br />
Korrespondenz. Die Durchschläge<br />
sei ner eng maschingeschriebenen Sei -<br />
ten hat er ebenso aufbewahrt wie die<br />
Antworten seiner Korrespondenz part -<br />
ner, zu denen die Autoren- und Künstler<br />
elite seiner Zeit zählte wie etwa<br />
Her mann Broch, Max Brod, Martin<br />
Buber, Fritz Grünbaum, Peter Hand ke,<br />
Hermann Hesse, Ephraim Kishon,<br />
Ro bert Neumann, Arnold Schoen berg,<br />
Nelly Sachs, Manes Sperber, Franz<br />
Werfel und dessen Frau Alma, um nur<br />
die prominentesten Namen zu nennen.<br />
Um Per sön liches, um Sorgen im amerikanischen<br />
Exil, Sehnsucht nach der<br />
Heimat, um Gesellschaft, Politik, Kul -<br />
tur und Literatur geht es in diesen<br />
Briefen, die zwischen den Kontinen -<br />
ten, oft aber auch nur in ein und derselben<br />
Stadt gewechselt wurden.<br />
„Die halbe Tante Jolesch hat er schon in<br />
Anekdoten in diesen Briefen erzählt“,<br />
weiß Marcus Patka, der gemeinsam<br />
mit Marcel Atze die Ausstellung ku -<br />
ratiert und den umfangreichen Kata -<br />
log dazu herausgegeben hat.<br />
Und wo bleiben die privatesten, die<br />
intimen, die Liebesbriefe des Frauen -<br />
helden Torberg? „Wahrscheinlich hat<br />
Marietta alle weggeschmissen“, vermutet<br />
Patka. Auch im Fotonachlass finden<br />
sich fast keine Bilder seiner Geliebten,<br />
unter ihnen Johanna von Koczian und<br />
Paola Löw. Marietta, von der sich Tor -<br />
berg 1962 scheiden ließ, hat er zur<br />
Nachlasswalterin eingesetzt und die<br />
hauptamtliche Witwe dürfte diesen<br />
vorsorglich „gesäubert“ haben, bevor<br />
er in andere Hände gelangen konnte.<br />
Ausnahme ist der über 30 Jahre dauernde<br />
Briefwechsel mit Marlene Diet -<br />
rich, der kürzlich <strong>als</strong> eigener Band<br />
erschienen ist.<br />
Auch sein Biograf David Axmann,<br />
nach Mariettas Tod Alleinherrscher<br />
über Torbergs literarischen Nachlass,<br />
ist, was Torbergs Amouren betrifft,<br />
äußerst diskret und zurückhaltend.<br />
Ganz im Gegensatz dazu sind die vielen<br />
anderen Seiten des Vielseitigen<br />
besser bekannt, dokumentiert, teilweise<br />
aber auch durch Klischees verstellt.<br />
So der Wassersportler Torberg, der<br />
seine diesbezügliche Karriere unterm<br />
Davidstern (am Hakoah-Schwimm -<br />
trikot) noch unter seinem Geburts -<br />
namen „Schani“ Kantor startete. Tor -<br />
berg nannte er sich dann am Beginn<br />
seiner frühen literarischen Laufbahn.<br />
Erst 21-jährig gelang ihm mit der Ver -<br />
arbeitung eigener Schulqualen im<br />
Roman „Der Schüler Gerber hat ab -<br />
sol viert“ ein Raketenstart in den da -<br />
maligen Literaturhimmel, was auch<br />
die ersehnte Aufnahme in die exklusiven<br />
Wiener Kaffeehausstamm ti sche<br />
bedeutete.<br />
Ein ähnlicher Best - und Longseller,<br />
freilich ohne den literarischen An -<br />
spruch des Erstlings, sollte ihm erst<br />
Jahrzehnte mit seiner Anekdoten -<br />
sammlung „Die Tante Jolesch“ gelingen.<br />
Geradezu reflexhaft wird Tor berg<br />
seit dam<strong>als</strong> mit diesem Erfolgstitel<br />
assoziiert und die Aussprüche seiner<br />
„Tante“, mit der er nicht einmal verwandt<br />
war, sind längst ein geliebter<br />
Teil des österreichischen Zitaten -<br />
schat zes.<br />
Dass aber gerade der Roman, in den<br />
er den meisten Dichter-Schweiß und<br />
wohl auch das meiste Herzblut inves-<br />
66 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
KULTUR • LITERATUR<br />
tiert hatte, bestenfalls ein Achtungs er -<br />
folg, in Wirklichkeit aber nicht einmal<br />
das war, ist eine Tragik seines Au -<br />
torenlebens, die ihm auch schmerzlich<br />
bewusst war. Denn im Minne -<br />
sänger „Süßkind von Trimberg“ sah<br />
Torberg den ersten Autor der deutschjüdischen<br />
Symbiose, sich selbst stilisierte<br />
er gern <strong>als</strong> den letzten und da -<br />
her lag ihm diese Figur und deren<br />
von ihm erzählte fiktive Biografie<br />
besonders am Herzen.<br />
Womit wir schon bei einer weiteren<br />
Seite des Vielseitigen wären, die er, wie<br />
immer, selbst am treffendsten er -<br />
kannte und benannte: „Der Jud vom<br />
Dienst“. Es war nicht seine Lieblings -<br />
rolle, aber auch keine, in die er nur<br />
gedrängt wurde, vielmehr war sein<br />
Ju dentum von Kindheit an ein we -<br />
sentlicher, nie geleugneter Teil seiner<br />
Identität. Und später auch so etwas<br />
wie eine Mission, die er <strong>als</strong> Persön lichkeit<br />
des öffentlichen Lebens in Österreich<br />
und <strong>als</strong> Publizist in vielen Medien<br />
sich zu erfüllen auferlegt hatte.<br />
Dazu gehörte auch sein Engage ment<br />
für Israel. Wie viel Torberg an Image -<br />
pflege für das Land allein durch seine<br />
genialen Kishon-Übersetzungen ge -<br />
leistet hat, ist gar nicht abzuschätzen.<br />
„Er war sich keiner seiner Identitäten<br />
so sicher wie der jüdischen“, ist Marcus<br />
Patka überzeugt. Weshalb diese literarische<br />
Ausstellung im Jüdischen<br />
Museum auch ganz richtig angesiedelt<br />
ist. „Torbergs Haltung zum Ju den -<br />
tum war etwas Besonderes. Er war einer<br />
der wenigen, die zurück gekommen sind<br />
und gerade in dieser Zeit <strong>als</strong> Jude beispielgebend“,<br />
so Patka.<br />
Weniger beispielgebend war die pole<br />
mische Rolle, die der Publizist Tor -<br />
berg <strong>als</strong> engagierter Anti-Kommunist<br />
im so genannten „Brecht-Boykott“,<br />
einem Aufführungsverbot für Brecht-<br />
Stücke im Österreich der 50er Jahre,<br />
gespielt hatte. Spät erkannte er „Man<br />
wird’s mir bis zum Lebensende nicht verzeihen“.<br />
Ein Vielseitiger hat eben auch<br />
seine Schattenseiten.<br />
„Die Gefahren der Vielseitigkeit“, das<br />
wa ren seine vielen Begabungen, die<br />
einer einzigen im Weg standen. Als<br />
Autor scheiterte er nicht zuletzt am<br />
eigenen Anspruch.<br />
In Texten, Original-Manuskripten,<br />
Bildern und Hörbeispielen - die wun -<br />
derbare Stimme des geborenen Er -<br />
zählers ist immer wieder ein Erlebnis<br />
- spiegelt diese Ausstellung ein Multi-<br />
Talent und eine mit diesem Exemplar<br />
endgültig ausgestorbene Spezies: Die<br />
gelungene Melange von altösterreichischer<br />
Tradition und jüdischem<br />
Geist, Esprit, Wortwitz und Wort -<br />
gewalt. Ein legitimer Erbe von Karl<br />
Kraus und Tante Jolesch, der selbst<br />
keine Erben hat.<br />
Die Ausstellung läuft bis 1. Februar 2009<br />
im Jüdischen Museum Wien<br />
Katalog hg. von<br />
Marcel Atze und Marcus Patka<br />
„Die Gefahren der Vielseitigkeit“.<br />
Friedrich Torberg 1908-1979<br />
Holzhausen-Verlag,<br />
Eröffnung der Friedrich Torberg-Schau<br />
im Jüdischen Museum:<br />
Dir. Haber erhält Friedrich<br />
Torberg-Medaille der IKG<br />
„Es gibt keinen besseren Anlass <strong>als</strong> Friedrich Tor -<br />
bergs 100. Geburtstag, um einen Mann zu würdigen,<br />
der fast zwei Jahrzehnte für die Geschicke des<br />
Jüdischen Museums entscheidend mitverantwortlich<br />
war", sagte Dr. Ariel Muzicant, der Präsi -<br />
dent der <strong>Israelitische</strong>n Kultusgemeinde, in seiner<br />
Laudatio für den Geschäftsführer des Jüdi-schen<br />
Museums DI Georg Haber. Diese fand im Rah -<br />
men der Eröffnung der Friedrich Tor berg Aus -<br />
stellung im Palais Eskeles statt. Im überfüllten<br />
Saal des Jüdischen Museums hatten zuvor die<br />
beiden Direktoren der Wien bi bli othek und des<br />
Jüdischen Museums, Dr. Sylvia Mattl-Wurm<br />
und Dr. Karl Albrecht-Weinberger, die gute Zu -<br />
sammenarbeit der beiden Institutionen beim<br />
Torberg-Projekt gewürdigt. Die Verleihung der Torberg-<br />
Medaille war der abschließende Höhe punkt des Fest -<br />
aktes, zu dem zahlreiche Ehrengäste erschienen waren.<br />
Marietta und Friedrich Torberg-Medaille für DI Georg Haber<br />
In der Würdigung des Torberg-Preisträgers heißt es<br />
unter anderem: „Die Marietta und Friedrich Torberg-Me -<br />
daille dient dem Andenken an den bedeutenden Schriftsteller<br />
Torberg, den großen Humanisten und rastlosen Streiter für<br />
Demokratie und Menschenrechte. Sie dient <strong>als</strong> Torbergs Ver -<br />
Dr. Muzicant, DI Haber und Dr. Albrecht-Weinberger<br />
mächtnis, der Erinnerung an jene ermordete jüdische Welt,<br />
die das Gesicht dieser Stadt so entschieden mitgeprägt hat. DI<br />
Georg Haber ist ein würdiger Empfänger dieser Auszeich -<br />
nung. Ver mittelt er doch durch sein Kooperatives Wesen und<br />
seine nach Synergien suchende Persönlichkeit genau jenes<br />
Zusammen le ben, welches Torbergs größter Wunsch war. Jude<br />
sein in einem ös terreichischen Umfeld. Der Einsatz seiner<br />
Position aber auch seiner persönlichen Möglichkeiten erfüllt<br />
uns alle mit Hochachtung. Von seinen Fähigkeiten können wir<br />
nur lernen und von ihnen in den höchsten Tönen sprechen."<br />
© Foto Votava<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 67
KULTUR • LITERATUR<br />
TORBERG-NACHLESE<br />
Neuerscheinungen anlässlich des 100. Geburtstags<br />
„Mein ist die Rache“<br />
Die 1943 erstm<strong>als</strong> in einem kleinen<br />
Exil-Verlag in Los Angeles erschienene<br />
Novelle ist ein nahezu unbekanntes<br />
kleines literarisches Meisterstück.<br />
Nach fast 40 Jahren wurde sie jetzt <strong>als</strong><br />
dtv-Taschenbuch von Marcel Atze<br />
kommentiert herausgegeben.<br />
Eingebettet in eine Rahmenhand -<br />
lung, die im Amerika des Jahres 1940<br />
spielt, lässt Torberg einen entflohenen<br />
KZ-Häftling von einem sadistischen<br />
Lagerkomman dan ten und dessen<br />
grauenhaften, perfiden Praktiken<br />
berichten. Mo ra lisch geht es darin um<br />
die Frage, ob die Juden ihr Schick sal<br />
auf sich nehmen und Gott die Rache<br />
überlassen oder selbst den Kampf<br />
aufnehmen sollen. Im konkreten Fall:<br />
darf der Gequälte seinen Peiniger<br />
töten, wenn sich ihm die Mög lich keit<br />
dazu bietet?<br />
Beklemmend aus heutiger Sicht ist<br />
Torbergs damalige Kenntnis der<br />
Gräuel in einem Konzentrationslager,<br />
die auf genauen Recherchen aus seinem<br />
amerikanischen Exil grün den<br />
müssen. Sein Vorbild war ein kleineres<br />
KZ nahe der holländischen<br />
Grenze. Wenn Torberg bereits dam<strong>als</strong><br />
an derartige Informationen gelangen<br />
konnte, so mussten wohl auch andere<br />
Menschen Bescheid gewusst haben.<br />
Seine No velle ist eine frühe Vorläu -<br />
ferin der Holocaust-Literatur, wie wir<br />
sie aus der Nachkriegszeit kennen.<br />
Ihr Entstehungs- und Erschei nungs -<br />
datum macht sie über das Lite ra ri sche<br />
hinaus beängstigend einzigartig. A.P.<br />
Friedrich Torberg:<br />
„Mein ist die<br />
Rache“,<br />
Novelle.<br />
Hg. von<br />
Marcel Atze<br />
dtv<br />
„Schreib. Nein, schreib nicht“<br />
„Liebe, Liebste, Geliebte“ fleht er.<br />
„Na, mein Süsser“ , antwortet sie.<br />
Über 30 Jahre lang, von 1946 bis zu<br />
Torbergs Tod 1979 , haben sie Briefe<br />
gewechselt. Der Autor und die Film -<br />
diva. Der Torberg und die Dietrich.<br />
Ihre schriftliche Unter hal tung, die<br />
nun von Marcel Atze in einem wunderschönen<br />
und klug kommentierten<br />
Text-Bildband aus dem Nachlaß herausgegeben<br />
wurde, ist eine wahre<br />
Schatzhebung. Wert voll nicht nur für<br />
Biografen und Exilforscher, sondern<br />
durchaus eine amüsante und aufschlussreiche<br />
Lektüre.<br />
Wann sie einander kennen gelernt<br />
ha ben, weiß man nicht so genau.<br />
Eben so wenig wird klar, in welchem<br />
„Ver hält nis“ sie zueinander standen.<br />
Sie war die ältere, berühmtere und hat<br />
ihn um viele Jahre überlebt. Anfäng -<br />
lich sind seine Briefe lang und länger,<br />
sie antwortet lakonisch und oft erst<br />
spät, im Telegrammstil oder gar in<br />
Telegrammform.<br />
„Von Dir bekomm ich gar nichts… Du<br />
lässt mich verhungern.“, wirft er ihr<br />
1950 vor. Viele Jahre später tadelt sie<br />
ihn „Ge lieb ter, na so was von ausschweigen“.<br />
Was zur Sprache kommt, ist ebenso<br />
aufschlussreich wie das, was nicht zur<br />
Sprache kommt. Von Freunden und<br />
Fein den, von beruflichen Ups and<br />
Downs ist die Rede, vom Exil „Nur mit<br />
Dir war Europa hier“, klagt Dietrich<br />
aus Amerika nach Wien. Es wird er -<br />
wogen, wo und wann sie einander<br />
kurz treffen könnten auf ihren Tour -<br />
neen. Ehefrau Ma riet ta ist freundschaft<br />
lich eingebunden (die Dietrich<br />
kochte bei den Torbergs in New York),<br />
Marlene erzählt auch von ih ren Män -<br />
nern und Affären, später von Tochter<br />
und Enkel kin dern.<br />
Als er über Arbeitsüberlastung klagt,<br />
fragt sie 1959 un verblümt von New<br />
York nach Wien „Was machst Du denn<br />
mit der Liebe? Hier und da?“. Themen<br />
und Sprachen wechseln, die Dietrich<br />
schreibt zunehmend auf Englisch.<br />
Miss verständnisse, Entfremdungen,<br />
Versöhnungen - alles bleibt brieflich<br />
und, wie es schon das Titel gebende<br />
Zitat andeutet, ambivalent. A.P.<br />
„Schreib. Nein,<br />
schreib nicht“.<br />
Marlene Dietrich/<br />
Friedrich Torberg.<br />
Briefwechsel<br />
1946-1979<br />
Hg. von Marcel Atze<br />
Eine Veröffentlichung<br />
der Wienbibliothek<br />
im Verlag SYNEMA-<br />
Publikationen<br />
AUSSERDEM ERSCHIENEN:<br />
Ephraim Kishon, Friedrich Torberg<br />
Dear Pappi – My beloved Sargnagel<br />
Eine Freundschaft in Briefen<br />
LangenMüller Verlag<br />
David Axmann<br />
Friedrich<br />
Torberg<br />
Die Biografie<br />
von David<br />
Axmann.<br />
1. Auflage<br />
<strong>2008</strong>,<br />
mit Bildteil<br />
LangenMüller<br />
Verlag<br />
Die erste umfassende Biographie. Leben,<br />
Werk und Einfluß des bedeutenden österreichischen<br />
Schriftstellers.<br />
Blick in die Ausstellung<br />
68 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
KULTUR • MUSIK<br />
Erheiternde<br />
Erinnerungen<br />
an Leonard<br />
Bernstein<br />
Leonard Bernstein wäre in diesen<br />
Tagen 90 Jahre alt geworden. Keine<br />
Wiener Institution, auch nicht „seine<br />
geliebten“ Philharmoniker, dachte<br />
daran dieses einzigartigen Mu sikers,<br />
Komponisten, Pianisten und begnadeten<br />
Pädagogen in ir gendeiner Form zu<br />
gedenken. Auch die Stadt Wien,<br />
deren Ehrenbürger Bern stein war, hat<br />
ihn vergessen. Wahr scheinlich muss<br />
man doch erst 100 Jahre tot sein und<br />
umtriebige Witwen hinterlassen, um<br />
in der Gedenk sta tis tik aufzuscheinen.<br />
Dennoch kamen mehr <strong>als</strong> hundert<br />
Gäste ins Österreichische Theatermu -<br />
se um am Lobkowitzplatz, um sich<br />
gemeinsam dieses außergewöhnli -<br />
chen Menschen zu erinnern und Ge -<br />
danken über ihn auszutauschen.<br />
Ermöglicht wurde das nur durch die<br />
private Initiative und den finanziellen<br />
Einsatz einer persönlichen Freun -<br />
din Bernsteins. „Ich musste ein Fest für<br />
Lenny machen, denn die wunder baren<br />
Stunden und musikalischen Er lebnisse,<br />
die er mir geschenkt hat, dürfen nicht vergessen<br />
werden“, sagte Renate Wunderer,<br />
ehemalige Mitarbeiterin des Molden-<br />
© Peter Hautzinger<br />
Verlages und Mitgestalterin des le gendären<br />
„Café Central“ im ORF – und<br />
schritt zur Tat.<br />
Wunderers Elan und Zielstrebigkeit<br />
wirkte dann auch auf viele internationale<br />
Weggefährten Bernsteins anstekkend<br />
und zahlreiche Persönlichkeiten<br />
waren bereit, an diesem Abend mitzuwirken.<br />
Der Direktor des Kunst his -<br />
torischen Museums und Hausherr des<br />
Theatermuseums, Wilfried Seipel, stellte<br />
die Räumlichkeiten zur Verfügung<br />
und dankte der engagierten Initia to -<br />
rin. Peter Dusek, der langjährige Chef<br />
des ORF-Archivs, steuerte kostbare fil -<br />
mische Dokumente aus Lennys Wir ken<br />
in Österreich bei. Bei dieser Vor -<br />
führung meinte man Bernsteins Geist<br />
und Seele im überfüllten Saal zu spüren:<br />
Seine Dirigate und Einstudierun<br />
gen mit weltberühmten Sängern<br />
brachten der hier versammelten einge -<br />
schworenen Fangemeinde sein un -<br />
bändiges Temperament, seine mensch -<br />
liche Größe und den warmherzigen<br />
Humor unfassbar nahe.<br />
Renate Wunderer moderierte ein Gespräch<br />
mit Weggefährten „ihres Len -<br />
ny“. Dazu gehörten Christa Lud wig,<br />
Otto Schenk, Maximilian Schell, Peter<br />
Weiser und Ernst Wolfram Marboe. Ein<br />
buntes Mosaik aus vielen unterschiedlichen<br />
aber durchwegs erheiternden<br />
Erinnerungssteinchen fügte sich hier<br />
in das Bild eines außergewöhnlich be -<br />
gabten und begnadeten Künstlers.<br />
Renate Wunderer, die in ihrem Er -<br />
in nerungsbuch „Venus von Kilo“ (Otto<br />
Müller Verlag) ausführlich ihre Be -<br />
gegnungen mit Bernstein be schreibt,<br />
hatte auch einen Vertreter des Israel<br />
Ernst Wolfram Marboe, Maximillian Schell, Otto Schenk,<br />
Renate Wunderer, Christa Ludwig, Peter Weiser (vlnr)<br />
Philharmonic Orchestra zu ihrem<br />
Fest nach Wien eingeladen. „Leider<br />
konnte niemand aus Tel Aviv kommen,<br />
aber Avi Shoshani, der Gener<strong>als</strong>ekretär<br />
des IPO, hat mir eie Grußbotschaft für<br />
die Feier verfasst.“<br />
Doch statt des IPO verwöhnten zu -<br />
erst Natasha Korsakova und Kira Ratner<br />
mit Bernsteins Serenade für Violine<br />
und Klavier nach Platons „Sympo si -<br />
on“ das Publikum. Fünf Solisten der<br />
Wiener Philharmoniker hatten sich<br />
spontan und unentgeltlich angeboten<br />
bei diesem Fest zu musizieren: Kon -<br />
zert meister Rainer Küchl, Cellist Franz<br />
Bartolomey sowie Eckhard Sei fert,<br />
Tobias Lea und Peter Schmidl. Sie setzten<br />
den musikalischen Schluss punkt<br />
mit Mozarts Klarinetten quin tett für<br />
Len nys Freunde, Kollegen und Be -<br />
wun derer. Dazu zählten sich nicht<br />
nur an diesem Abend der neue US-<br />
Botschafter, sowie Lotte Tobisch, Cle mens<br />
Hellsberg, Ioan Holender, Andreas Mai -<br />
lath-Pokorny, Brigitte Hamann, Fritz<br />
Mol den, Elisabeth Pittermann und Heinz<br />
Zednik.<br />
Marta S. Halpert<br />
September <strong>2008</strong>/Elul 5768 69
KULTUR • KOLUMNE<br />
Überall & nirgendwo<br />
Matriken an<br />
Kultusgemeinde übergeben<br />
Die Stadt Innsbruck hat der Israeli ti -<br />
schen Kultusgemeinde für Tirol und<br />
Vor arl berg die Matriken überlassen.<br />
Sie beinhalten die Daten (Personen -<br />
stands ver zeichnisse über Geburt,<br />
Trauungen und Sterbefälle) der jüdischen<br />
Bürger von 1855 bis 1938 der<br />
Ge meinden Innsbruck und Hohen -<br />
ems. Die feierliche Übergabe der<br />
neun Bücher durch Bürgermeisterin<br />
Hilde Zach und dem Leiter des Stan -<br />
des amtes, Eduard Vetter, an die Prä -<br />
sidentin der Isra eli tischen Kultus ge -<br />
meinde, Dr. Esther Fritsch(mi), fand am<br />
2. September im Büro der Bürger -<br />
meis- terin statt.<br />
Schildkröte auf Rollen<br />
Eine Landschildkröte im Biblischen<br />
Zoo hat eine Gehhilfe erhalten. Das<br />
durch die Lähmung seiner Hinter bei -<br />
ne stark eingeschränkte Tier kann sich<br />
nun mit Hilfe eines Metallska te boards<br />
wieder fortbewegen.<br />
Die zehn Jahre alte Schildkröte Arava<br />
kam vor einigen Mona ten aus einem<br />
Streichelzoo im Süden Is raels in den<br />
Jerusalemer Zoo. Das schwe re Tier<br />
konnte sich aufgrund seiner Behin de -<br />
rung nicht selbstständig fortbewegen<br />
und fand keinen Partner. Daraufhin<br />
baute das Zoopersonal eine zweiräd -<br />
riges Ge stell aus Metall, das der<br />
Schildkröte um den Bauch gebunden<br />
wurde.<br />
Ha´aretz<br />
In der deutschen Sprache gibt es etliche Worte, die mit der Silbe „Rück“ beginnen.<br />
Zwei davon, nämlich „Rückgrat“ und „Rückgabe“ scheinen sich allerdings<br />
in Österreich bei manchen nicht besonders großer Beliebtheit zu erfreuen.<br />
Eines dieser beiden Wörter, nämlich “Rückgabe”, hat man sogar offensichtlich<br />
in Kärnten gänzlich aus dem offiziellen Sprachgebrauch gestrichen. In der<br />
Stellungnahme des Landes Kärntens zu der vom Bundesministerium für Unter -<br />
richt und Kunst ausgesandten Novelle zum Kunstrückgabegesetz, wird vorsorg<br />
lich von „Weitergabe öffentlichen Sammlungsgutes“ gesprochen und<br />
über dies ein „Endzeitpunkt“ für Antragstellungen zu einem solchen „Weiter -<br />
ge ben“ gefordert. Es sei dahin gestellt, ob es sich dabei lediglich um eine weitere<br />
Abkoppelung des Landes durch Besonders Zersetzende Ötzis, kurz BZÖ,<br />
vom restlichen Bundesgebiet handelte, in dem bekanntlich die österreichische<br />
Verfassung peinlichst genau eingehalten wird, oder um einen Kryptoantise mi -<br />
tis mus <strong>als</strong> Wahlpropaganda. Als gezielte Provokation erfüllte diese Stellung -<br />
nah me seinem bewusst gesetzten politischen Zweck. „Endzeit punkte“ und an -<br />
dere Formulierungen von „Schlußstrichsetzung“ bedürfen keinerlei weiteren<br />
Erörterung, die Intention ist mehr <strong>als</strong> eindeutig. Das Wort „Weitergabe“ allerdings<br />
wurde ziemlich heimtückisch verwendet: es impliziert indirekt den recht -<br />
mäßigen Besitz eines Gutes bevor die tatsächliche Handlung des Weitergebens<br />
erfolgen kann. Alles klar? Erstens soll angedeutet werden, dass „eh“ alles<br />
rechtmäßig und in Ordnung ist, und zweitens, wenn schon (wieder) Unan -<br />
nehm lichkeiten ins Haus stehen, dann bitte zeitlich beschränkt.<br />
Weniger klar ist, was der Herr Vizekanzler (Molterer, sollten einige nicht wissen,<br />
wer gemeint ist) bezweckte, in der Stellungnahme des Finanzminis te riums<br />
zu verlangen, die wesentlichsten Intentionen des Kunstrückgabegesetzes zu -<br />
rück zunehmen. Die Novelle soll sich seinen Vorstellungen entsprechend, nicht<br />
auf ausgegliederte Institutionen beziehen, und, im Klartext, nicht die Samm -<br />
lung Leopold betreffen. War es ebenfalls Wahlpropaganda, so wie die immigrationsfeindlichen<br />
Plakate, die zur Zeit überall die Strassen zieren, oder bloß<br />
ein Gruß an Gleichgesinnte nach Kärnten?<br />
Selbst auf die Gefahr hin, dass sich so manche Gutmenschen in der ÖVP wieder<br />
zum Leserbriefschreiben hinreißen lassen, mit dieser Stellungnahme hat diese<br />
Partei damit eindeutig gezeigt, was sie von (ernst zu nehmender) Kunstresti -<br />
tu tion hält: wenig bis nichts. In der Bibliothek der Universität Wien, kurz UB,<br />
sind seinerzeit zehntausende, arisierte Bücher abgelagert worden. Die UB wäre<br />
zum Beispiel nach den Vorstellungen des Obmanns der ÖVP vor eventuellen<br />
Rück gaben geschützt. Es ist wohlbekannt, dass viele staatliche Stellen, Bot -<br />
schaften, Finanzämter, etc., die im allgemeinen Sprachgebrauch nicht <strong>als</strong> Bun des -<br />
museen bezeichnet werden, sehr wohl über durchaus bedeutende Kunstwerke<br />
verfügen. Eine Dokumentation der Vorbesitzer dieser Kunstwerke ist vielfach<br />
nicht vorhanden, in manchen Fällen kann man sehr wohl von Raubkunst sprechen,<br />
wie das jüngste Beispiel eines Egger-Lienz Bildes zeigt.<br />
Ist es wirklich so, dass mit den Absichtserklärungen von BZÖ/ÖVP zur Schä -<br />
bigkeit der 50er- und 60er-Jahre zurückgekehrt werden soll? Grüne und SPÖ<br />
haben lobenswerterweise sofort gegen derartige Absichten protestiert. Es wurde<br />
sogar von einer „historischen Pflicht der Restitution“ gesprochen. Es ist durch -<br />
aus <strong>als</strong> gesellschaftlicher Fortschritt zu werten, wenn nicht alle so denken wie<br />
so manche in der ÖVP und (vermutlich alle) im Umkreis der Politötzis.<br />
Peter Weinberger<br />
70 September <strong>2008</strong>/Elul 5768
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September <strong>2008</strong>/Elul 5768 71
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73
EIN HISTORISCHES DOKUMENT: Ein Brief<br />
von (Elias) Eliyahu Sasson, einem leitenden<br />
israelischen Diplomaten, an Azzam Pasha,<br />
dem Gener<strong>als</strong>ekretär der Ara bi schen Liga,<br />
vom 5.12.1947<br />
3. Dezember 1947<br />
Lieber Azzam Pasha,<br />
Ich habe Ihnen bereits in der Vergangenheit seit<br />
einiger Zeit schreiben wollen, aber ich habe damit<br />
gezögert, weil ich erst die Entscheidung der<br />
Verein ten Nationen zu Palästina abwarten wollte.<br />
Jetzt, nachdem der Schritt vollzogen worden ist<br />
und ein neues Kapitel beginnt, will ich dies nicht<br />
länger auf die lange Bank schieben, vor allem im<br />
Licht von dem, was in der Presse in den ver -<br />
gangenen wenigen Tagen geschrieben worden ist,<br />
und was sich auf Ihre kürz lichen Äuße rungen<br />
über Palästina und die Entscheidung der Ver -<br />
samm lung der Verein ten Nationen bezieht.<br />
Wir sind nicht vom Siegeswillen vergiftet, lieber<br />
Azzam Pasha, trotz der Tat sa che, dass wir nach<br />
dem anstrengendsten politischen Kampf, den wir<br />
je m<strong>als</strong> er tragen mussten, nach der ausführlichsten<br />
Untersuchung unseres Proble mes, der wir uns<br />
gegenüber gestellt sahen, die Mehrheit der zivilisierten<br />
Mensch heit die Recht mäßigkeit unserer Sache<br />
anerkannt hat. Wir wissen, dass vor uns noch eine<br />
aussergewöhnliche Aufgabe liegt. Diese besteht in<br />
dem Be mü hen, eine Nation zu formen, wofür es in<br />
der Geschichte der Menschheit kein Bei spiel gibt.<br />
Wir müssen Hindernisse überwinden, denen sich<br />
Quelle: State of Israel and World Zionist Organization, politische<br />
Paul Dean (StoneColdCrazy), in September 2007, and shows<br />
the Kindertransport memorial, by Frank Meisler, which stands<br />
outside Liverpool Street Station.<br />
I give permission for this image to be shared and used under<br />
the terms of the Creative Commons license (ie, please credit<br />
me as author, but no payment necessary).<br />
„Das Primärgefühl der<br />
Fassungslosigkeit bewahren“<br />
Saul Friedländer beschreibt den<br />
Holocaust<br />
Von L. Joseph Heid<br />
In seinem im Herbst 2006 erschienenen<br />
Opus magnum Die Jahre<br />
der Vernichtung (<strong>als</strong> 2. Bd. von<br />
„Das Dritte Reich und die Juden“,<br />
C.H. Beck, München 1998/2006) -<br />
ein For-schungsprojekt, an dem er<br />
sechzehn Jahre arbeitete - hat er<br />
eine ganz neue Erzählform gefunden:<br />
Er warf einen mikroskopisch<br />
genauen Blick auf die<br />
Mordhandlungen, die sich in<br />
sämtlichen besetzten und mit<br />
Deutschland verbündeten Ländern<br />
gleichzeitig voll zogen, und rückte<br />
sie in einen großen internationalen<br />
Kontext. Das war der wohl<br />
anspruchsvollste Versuch, den<br />
Judenmord zu verstehen. Nie<br />
zuvor sind die Perspektiven von<br />
Täter- und Op fergeschichte historiographisch<br />
so integral<br />
zusammengeknüpft worden. Und<br />
<strong>als</strong> dritte Seite gilt sein Blick der<br />
Ebene der Kollaborateure – die<br />
Bevöl kerung, die Eliten und selbstverständ<br />
lich die Kirchen. Vieles in<br />
seinem Haupt werk Dargestellte<br />
integriert der Apostrophierte in<br />
sein jüngstes Werk, in dem er sich<br />
ein weiteres Mal bemüht, den<br />
Holocaust zu erklären.<br />
Der Holocaust lässt ihn seit seinen<br />
Kindheitstagen nicht in Ruhe.<br />
Wie sollte er auch? Er selbst, dessen<br />
Eltern 1942 aus Vichy-<br />
Frankreich verschleppt und in<br />
Auschwitz ermordet wurden, überlebte,<br />
streng katholisch erzogen, in<br />
einem französischen Internat.<br />
Pavel Friedländer, wie er dam<strong>als</strong><br />
hieß, war während des Krieges<br />
Priester schü ler, doch nach seiner<br />
Befreiung spürte er in sich<br />
Jüdischkeit und aus dem christka-<br />
Als David Ben-Gurion vor 60 Jahren Is -<br />
raels Unabhängigkeit erklärte, be stand<br />
dessen Armee aus lediglich 29.000<br />
Sol daten, verfügte über keinerlei Pan -<br />
zer und nur vier Messerschmitt<br />
Kampf flugzeuge. Als sieben arabische<br />
Heere sich auf den<br />
Einmarsch vorbereiteten,<br />
sagte der angesehene<br />
britische<br />
General Ber nard<br />
Montgomery voraus, dass die Juden<br />
dem keinesfalls länger <strong>als</strong> ein paar<br />
Wochen würden standhalten können.<br />
Ben-Gurions ei ge ne Generäle bezifferten<br />
Israels Über lebenschancen mit<br />
50:50.<br />
Heute hat der jüdische Staat eine stehende<br />
Streitmacht von 187.000 Mann<br />
und geschätzte 450.000 Reservisten,<br />
hun derte Panzer und modernste<br />
Kampf flugzeuge, was Israels militärische<br />
Kraft größer <strong>als</strong> die Großbritan -<br />
ni ens macht und von den meisten Ex -<br />
per ten <strong>als</strong> die stärkstes Potential im<br />
gesamten Mittleren Osten angesehen<br />
wird. Auch von einem Nuklear waf fenarsenal<br />
ist inoffiziell die Rede.<br />
Gravierende existenzielle Bedrohungen<br />
Natürlich kann man Israels Militär<br />
von einst und jetzt nicht vergleichen.<br />
Aber ist jener Staat, der <strong>als</strong> der sichere<br />
Hafen für das jüdische Volk gedacht<br />
war, heute tatsächlich sicherer <strong>als</strong> noch<br />
am 14. Mai 1948, <strong>als</strong> Ben-Gurion Is ra -<br />
els Unabhängigkeitserklärung in Tel<br />
Aviv verlas?<br />
Trotz seines<br />
enormen Auf -<br />
gebotes an Waf -<br />
fen, diplomatischen<br />
sowie wirtschaftlichen Errun -<br />
gen schaf ten, sieht sich der Staat auch<br />
heute noch gravierenden existenziellen<br />
Be drohungen gegenüber.<br />
Die offensichtlichste Bedrohung stellt<br />
der Iran dar. Ein mit Nuklearwaffen<br />
ausgestattetes radikales schiitisches<br />
Wie kann Israel seine Zukunft sichern?<br />
von Leslie Susser, JTA; Übersetzung: Karin Fasching<br />
74