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August 2008 als pdf herunterladen - Israelitische Kultusgemeinde ...

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Die machtübernahme der natio -<br />

nal so zialisten am 30. Januar 1933<br />

in Deutschland inzentierte einen his -<br />

torisch präzedenzlosen, singulären<br />

Pro zeß der sukzessiven politischen<br />

und rechtlichen Diskriminierung und<br />

Entrechtung unter dem rassischen Al -<br />

teritätsdiktat, der sozioökonomischen<br />

Deklassierung und Beraubung, der<br />

zwangsweisen Vertreibung, Konzen -<br />

tra tion und Deportation nach dem<br />

novemberpogrom 1938, welcher nach<br />

der Annexion Österreichs im märz<br />

1938 sowie durch die Extension des<br />

Dritten Reichs während des Zweiten<br />

Weltkriegs auf weite Teile Europas in<br />

der industriellen massenvernichtung<br />

des europäischen Judentums kulminierte.<br />

Die Zahl der von der nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Vernichtungsmaschinerie be -<br />

drohten Kinder in Europa beläuft sich<br />

auf etwa 1,6 mio., von ihnen überlebten<br />

lediglich 100.000. Konzentrierte<br />

sich die wissenschaftliche Forschung<br />

bislang vor allem auf die Erfahrung<br />

der Emigration und des Exils von Er -<br />

wachsenen, im besonderen von jüdischen<br />

Angehörigen der intellektuellen,<br />

kulturellen und künstlerischen Eliten<br />

Europas, ist die spezifische Situation<br />

von jüdischen Kindern und Jugend li -<br />

chen unter dem Dispositiv des nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Alteritäts- und Ver -<br />

n ich tungsdiktats, der Diskrimi nie rung,<br />

der Emigration, der Entwurze lung und<br />

der kulturellen Entfrem dung, noch<br />

weniger die weitere Ent wick lung ihrer<br />

Biographien in den Ländern der Emi -<br />

gration ein bislang vor allem in Erin -<br />

ne rungen, memoiren oder Autobio -<br />

gra phien repräsentiertes, von der Ge -<br />

schichts-, Literatur- und Sozial wis sen -<br />

schaft im Rahmen der Exilfor schung<br />

jedoch erst rudimentär erfasstes For -<br />

schungsgebiet. Dabei manifestieren<br />

sich nicht nur für das geistige und<br />

psychische Erleben jüdischer Kinder<br />

und Jugendlicher wesentliche Diffe -<br />

ren zen zur Situation von Erwach se -<br />

nen, sondern auch hinsichtlich der<br />

Voraussetzungen der Emigration wie<br />

ihrer langfristigen kulturellen, biographischen<br />

und psychischen Konse -<br />

quen zen. Für die majorität bedeutete<br />

es physischen und psychischen miss -<br />

brauch, Verfolgung, die Desintegra ti on<br />

und allzu oft die endgültige Ver nich -<br />

tung ihrer Familie, nicht nur ökonomischen<br />

Verlust, sondern den Verlust<br />

Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />

von Stabilität, Freunden und der<br />

identität <strong>als</strong> zukünftige Bürger ihres<br />

Geburtslandes.<br />

Jüdische Kinder unter dem<br />

Dispositiv wachsender Isolation<br />

und drohender Vernichtung.<br />

„Man trat auf die Straße und war in Fein -<br />

desland.“ So erinnert die Litera tur wis -<br />

senschafterin Ruth Klüger ihr Le ben<br />

<strong>als</strong> jüdisches Kind in Wien nach dem<br />

„Anschluss“ in weiter leben und be -<br />

nennt damit die zentrale Erfahrung<br />

jüdischer Kinder im Dritten Reich, die<br />

in Österreich eine wesentlich<br />

dramati schere Dynamik entfaltete,<br />

<strong>als</strong> hier die zuvor in Deutschland<br />

sukzessive, über fünf Jahre entwickelte<br />

und er prob te Politik der<br />

Diskriminierung, der Suspendierung<br />

von Bürgerrech ten, der ökonomischen<br />

Entrechtung so wie der<br />

Vertreibung in fünf monaten mit<br />

mehr <strong>als</strong> 250 offiziellen Verord nun gen<br />

durch die Regierungsbehörden nachgeholt,<br />

jede normalität öffentlichen<br />

und privaten Lebens für die jüdische<br />

in lediglich fünf monaten beendet<br />

wur de. Zu den alltäglichen Restrik ti o -<br />

nen und Erniedrigungen zählte so die<br />

isolation an und in Schulen, <strong>als</strong> jüdische<br />

Kindern, im Dritten Reich be reits<br />

seit dem April 1934 per Gesetz vom<br />

Besuch mittlerer und höherer Schulen<br />

ausgeschlossen und in Sam mel klas -<br />

sen isoliert, nach einem Erlass des 15.<br />

november 1938 vom Besuch deutscher<br />

Schulen ausgeschlossen, nur mehr<br />

zum Besuch eigener jüdischer Schulen<br />

zugelassen waren, während viele von<br />

ihnen zuvor immer wieder Schikanie -<br />

run gen und Drangsalie run gen durch<br />

nichtjüdische Schüler und Lehrer<br />

© Archiv<br />

aus gesetzt waren.<br />

in ihren Freizeitaktivitäten vom Be -<br />

such öffent licher Parks, Spiel- und<br />

Sport stätten, museen, Theater und<br />

Konzerthallen bereits weitgehend ein -<br />

geschränkt, mussten sie zusätzlich zur<br />

Auflösung der normalen Gesell schaftsund<br />

Lebensstruktur auch die sukzessive,<br />

existenzielle Desintegration der<br />

eigenen Familien erleben. Berufsver -<br />

bo te und der unter dem Euphemis mus<br />

der Arisierungen organisierte Raub<br />

jüdischen Geschäfts- und Privatei gen -<br />

tums hinterließen einen unauslöschli -<br />

chen Eindruck der beständigen Be dro -<br />

hung, während besonders die öffentlichen<br />

Demütigungen der Eltern, et wa<br />

durch die meist in erpresserischer Ab -<br />

sicht erfolgte inhaftierung der Väter<br />

in Gefängnissen und Lagern oder die<br />

gerade für Österreich typischen Sze -<br />

nen öffentlicher Entwürdigung das<br />

Weltvertrauen und das Vertrauen in<br />

die deutsche und österreichische Ge -<br />

sellschaft nachhaltig zerstörten. „Was<br />

mich wahrscheinlich am allermeisten<br />

scho ckiert hat, war der Anblick dieser jü -<br />

dis chen Frauen mittleren Alters und auch<br />

älter, wie sie auf die Knie gezwungen wur -<br />

den und den Gehsteig schrubben muss ten,<br />

während diese johlenden Raufbolde um<br />

sie herumstanden und dreckige Bemer kun -<br />

gen über sie machten. So etwas kann man<br />

einfach nicht vergessen,“ so ein ehemaliger<br />

Flüchtling.<br />

Zusätzlich zu diesen Traumatisie -<br />

run gen im Öffentlichen und Privaten,<br />

welche das Leben der bis dahin oftm<strong>als</strong><br />

in weitgehend geschützten, bürgerlichen<br />

Verhältnissen aufgewachsenen<br />

Kinder dramatisch veränderte, kam<br />

die Sorge um das finanzielle Aus kom -<br />

Wien 1938<br />

34 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768

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