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August 2008 als pdf herunterladen - Israelitische Kultusgemeinde ...

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GEMEINDE<br />

DVR 0112305 € 2.-<br />

nr. 627 august <strong>2008</strong><br />

Aw 5768<br />

Erscheinungsort Wien<br />

Verlagspostamt 1010 P.b.b<br />

eGZ 2.- 03Z034854 W<br />

Die Die<br />

offizielles organ der israelitischen <strong>Kultusgemeinde</strong> wien<br />

magazin


INHALT<br />

&<br />

AUS DEM BÜRO DES<br />

PRÄSIDENTEN<br />

Wenn wir es nur wollen,<br />

ist es kein Märchen 5<br />

POLITIK<br />

IN- UND AUSLAND<br />

Warnung vor „sekundärem<br />

Antisemitismus“ 8<br />

Ring-rund mit der Israelbim 9<br />

Erklärung der Religions -<br />

gemeinschaften für fairen<br />

Wahlkampf 10<br />

Goebbels wäre dankbar 11<br />

Zentralrat der Juden<br />

fordert NPD-Verbor 11<br />

Skandal um<br />

antisemitische T-Shirts 12<br />

Polen größter Produzent<br />

von NS-Symbolen in Europa 12<br />

Jankowski predigt wieder 12<br />

Briten schwiegen über<br />

NS-Kriegsverbrechen 13<br />

Antisemitismus in Litauen 13<br />

JOHN R. BOLTON<br />

Während die Diplomaten<br />

zaudern, ... 14<br />

Statoil zieht sich aus<br />

Iran-Geschäft zurück 14<br />

Iran startet Trägerrakete<br />

„Safir“ 16<br />

Chavez empfängt erstm<strong>als</strong><br />

jüdische Vertreter 17<br />

ISRAEL<br />

ULRICH W. SAHM<br />

Der Waffenstillstand<br />

geht dem Ende zu 18<br />

Israel hilft iranischer<br />

Kernindustrie 20<br />

Demnächst OECD-<br />

Mitgliedschaft Israels 20<br />

ULRICH W. SAHM<br />

Eklat um Obama-Gebet 21<br />

Längerer Reservedienst 21<br />

Illegale Einwohner 22<br />

ULRICH W. SAHM<br />

Kommentar zu Olmert 23<br />

GEmEinDE<br />

Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> <strong>Kultusgemeinde</strong> Wien.<br />

Zweck: Information der Mitglieder der IKG Wien in kulturellen, politischen<br />

und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />

Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 Wien, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />

Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />

Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 Wien<br />

Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />

Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />

Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak -<br />

tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />

Die<br />

60 JAHRE ISRAEL<br />

SHLOMO AVINERI<br />

Die wahre Nakba 24<br />

WIRTSCHAFT<br />

EU und Israel: Liberalisierung<br />

von Agrarprodukten 27<br />

Neue Verhandlungen<br />

mit British Gas 27<br />

Israel ist ausgebucht! 28<br />

Teva und der deutsche Markt 28<br />

Israel im Vollzugsrat<br />

des Weltpostvereins 29<br />

WISSENSCHAFT<br />

(ein)blick 30<br />

Gesundheit-Le chaim! 32<br />

SCHWERPUNKT 08/38<br />

MICHAELA LEHNER S.A.<br />

In den Augen jüdischer<br />

Kinder 33-38<br />

JÜDISCHE WELT<br />

IDA LABUDOVIC<br />

Robert Menasse –<br />

Gespräch mit einem nicht<br />

typischen Wiener Autor 39<br />

MARTA S. HALPERT<br />

Atid statt Austritt –<br />

Berlins jüdische Gemeinde 42<br />

Panorama 44<br />

KULTUR<br />

MICHAELA LEHNER S.A.<br />

Kein guter Platz für die Nacht 45<br />

ALEXIA WEISS<br />

Niem<strong>als</strong> vergesen 46<br />

Einstein-Preis für Bill Gates 46<br />

PETER WEINBERGER<br />

Überall & nirgendwo 47<br />

Titelbild: Tallit-Kauf für die<br />

kommen den Hohen Feiertage.<br />

© Lara Savage/Flash 90<br />

Ein Tallit (Gebetsschal) ist ein viereckiges<br />

Tuch aus Wolle, Baumwolle oder Seide.<br />

Besonderes Charakteristikum des Tallit sind<br />

die Zizit. Dies sind vier lange weiße Fäden<br />

aus Wolle, die mehrfach geknotet sind<br />

und für die 613 Gebote und Verbote, an<br />

die sich ein Jude zu halten hat stehen.<br />

Dienstag, 02. September<br />

(IKG-Campus)<br />

Mittwoch, 24. September<br />

Dienstag, 28. Oktober<br />

Dienstag, 25. November<br />

LETZTE MELDUNG<br />

PLENARSITZUNGEN <strong>2008</strong><br />

Donnerstag, 04. Dezember<br />

Donnerstag, 18. Dezember<br />

Rotes Kreuz setzt in Kenia auf<br />

israelische Cholerabekämpfung<br />

Das Rote Kreuz hat in Kenia ein einzigartiges Pro gramm zur<br />

Choleraprävention zum Einsatz gebracht, das von Studenten der<br />

He bräischen Universität Jerusalem entwickelt worden ist. Das Pro -<br />

gramm wurde während der letzten politischen Krise in Flücht lings la -<br />

gern angewandt und hat sich dabei <strong>als</strong> höchst effektiv erweisen. Das<br />

In ternationale Rote Kreuz und auch der Rote Halbmond wollen mit<br />

ihm nun auch über die Lager hinaus die Cholera bekämpfen.<br />

Obwohl sie zu den besterforschten und vermeidbaren Krankhei ten<br />

gehört, hat es laut Schätzung der Weltge sund heitsorganisation<br />

(WHO) allein 2007 etwa 180.000 Fälle von Cholera gegeben.<br />

Mediziner aus Kenia, Äthiopien, Nigeria, Kolumbien, Usbekistan,<br />

Indien und den USA haben im Rahmen des Legacy-Heritage In ter -<br />

national Masters in Public Health Program (IMPH) für ein Jahr an<br />

der Hebräischen Universität studiert und dabei das Programm ent -<br />

worfen, das sich vor allem auf langfristige Vorsorge- und Kon troll -<br />

maß nahmen konzentriert. Das IMPH hat in seinem 30jährigen<br />

Bestehen bereits 700 Stu denten aus 85 Ländern angezogen – von<br />

der Palästinensischen Au tonomiebehörde bis in die Mongolei<br />

oder Kamerun. Viele der Absolventen sind in ihren Heimat län dern<br />

zu führenden Vertretern des Gesundheitswesens aufgerückt.<br />

Täglich<br />

aktualisiert!<br />

www. ikg-wien.at<br />

@<br />

news<br />

events<br />

pinwand<br />

Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem<br />

Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Global intelligence<br />

centre, Walla, Y-net, israelnetz (inn), nahostfocus<br />

(NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, u.v.a.<br />

4 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


Wenn wir es nur wollen,<br />

ist es kein Märchen *<br />

AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />

ich schrieb 1978 einen Artikel in der<br />

‘Gemeinde’, den ich mit diesem Zitat be -<br />

en dete. Da m<strong>als</strong> ging es um die Er rich tung<br />

eines jüdischen Gemeinde zen trums in<br />

der Seitenstetten gasse und unseren<br />

Kampf, ein solches Zentrum bei der Füh -<br />

rung der iKG durchzusetzen. Heute är -<br />

gern sich viele Gemein demit glie der, wa -<br />

rum das Gemeindezentrum so klein ist …<br />

1979 erhielt ich vom Anwalt der iKG<br />

eine Auf forderung, meine Spenden ak ti -<br />

vi täten für eine jü di sche Schule unter<br />

Klags an dro hung einzustellen (siehe Fak -<br />

si mi le und meine „Überreaktion“ an IKG<br />

Präsident Pick darauf.)<br />

Kurz davor saßen einige junge Ehepaare<br />

in meiner Wohnung in der Bockkel ler -<br />

gasse und diskutierten, wie man dieses<br />

jü dische Zentrum ausbauen und mit Le -<br />

ben erfüllen könnte. Mag. Moskovics<br />

schlug vor, eine jüdische Schule zu er -<br />

rich ten. Die Reaktionen waren zwie späl -<br />

tig. Die Einen zweifelten an der Finan -<br />

zier barkeit, die Anderen, ob wir überhaupt<br />

genug Kinder für so eine Schule<br />

finden werden. Einige Wenige glaubten<br />

an diese idee, doch am 1. September 1980<br />

wurden in der Seitenstettengasse die<br />

ers ten drei Klassen eröffnet (ich erinnere<br />

mich noch zu genau, wie wir eigenhändig<br />

die letzten Handgriffe anlegten und<br />

gespannt warteten, ob die Eltern auch<br />

wirklich ihre Kinder schicken würden).<br />

Hätten wir dam<strong>als</strong> Fachleute und Ex per -<br />

ten gefragt, hätten die einen uns geantwortet<br />

„So ein Projekt ist nicht finanzierbar“,<br />

die zweiten „Profis“ hätten uns vor der<br />

zu geringen An zahl jüdischer Kinder in<br />

Wien gewarnt, die dritten Experten hätten<br />

uns gefragt: „Wozu braucht man eine<br />

jüdische Schule in Wien und welche jüdischen<br />

Eltern würden schon ihre Kinder in<br />

eine Schule ohne jegliche Reputation oder<br />

Tradition schicken?“. ich denke heute noch<br />

mit Schre cken an unseren mut und un -<br />

se re Unbekümmertheit, alle Bedenken<br />

ig noriert zu haben und die ses Projekt<br />

‘Jüdische Schule’ gegen alle Vernunft<br />

und alle guten Rat schläge von Ex per ten<br />

und Profis realisiert zu haben. Die weitere<br />

Entwicklung ist be kannt: Beflügelt<br />

von unserem Erfolg, bauten wir 1983 die<br />

mittelschule in der Castellez gas se und<br />

schließlich 1991 die AHS Ober stufe.<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 5


AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />

Heute, 28 Jahre später, am 1. September <strong>2008</strong>, übersiedeln wir 400 Kinder in eine der<br />

größten und schönsten jüdischen Schulen Europas. Dies ist ohne Zweifel eine<br />

Erfolgsstory, über die man nicht oft genug berichten kann.<br />

Was war es <strong>als</strong>o, was Zweifler, nörgler und Pessimisten nicht verstanden haben, und was<br />

macht eine jüdische Schule zu so einer besonderen institution?<br />

Erstens, eine hervorragende österreichische Schule, die den Kindern den gesamten österreichischen<br />

Lehrplan bestmöglich vermittelt und ihnen den Besuch von nationalen und<br />

in ter nationalen Universitäten ermöglicht.<br />

Zweitens, gilt es, den Kindern ein profundes und breites jüdisches Wissen in den Berei -<br />

chen Hebräisch, Religion und jüdische Geschichte zu geben, ein Wissen, das wertfrei und<br />

oh ne religiösen Druck vermittelt wird.<br />

Drittens, wachsen unsere Kinder in einer jüdischen Schule in einem Umfeld auf, in dem<br />

sie gerade in ihrer Kindheit vor Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, aber auch vor<br />

den, in vielen modeschulen grassierenden „Seuchen“ wie Drogen und Gewalt, so gut es<br />

nur geht, geschützt werden.<br />

Viertens, sollen die jungen menschen über das jüdische Wissen hinaus einen festen Halt<br />

im Judentum finden, eine jüdische identität und Selbstbewusstsein erhalten, um sich<br />

später <strong>als</strong> Erwachsene in einer zum Teil noch immer judenfeindlichen Umwelt <strong>als</strong> Juden<br />

behaupten zu können.<br />

Lassen Sie mich den Sprung ins Jahr <strong>2008</strong> machen und die Frage stellen: Sind alle diese Zie -<br />

le erfüllt worden? ich höre bereits vereinzelte Kritiker: „Die Kinder sollten noch besser in<br />

He bräisch, noch mehr in Religion unterrichtet werden“. Auch in der ZPC-Schule sind Diszi -<br />

plin lo sig keit und Aggression einzelner Kinder zum Problem geworden. Hat die ZPC-<br />

Schule das höchstmögliche niveau? Die Antwort lautet: „Wir können Stolz auf unsere<br />

Schule sein“. macht man nämlich den Gesamtvergleich, so haben wir es geschafft, mehr <strong>als</strong><br />

1.200 Kinder in unserer Schule auszubilden, über 400 Kinder haben in der ZPC-Schule<br />

seit 1992 maturiert und anschließend an fast allen Universitäten Österreichs, aber auch<br />

in israel, Großbritannien, den USA und vielen anderen hervorragenden Universitäten<br />

studiert. Sie sprechen hebräisch, haben ein Basiswissen in jüdischer Religion, Tradition<br />

und Ge schich te und sind im Judentum fest verankert!<br />

Jetzt übersiedeln wir in eine neue ZPC-Schule, die drei mal so groß ist wie die Castellez -<br />

gas se, eine Schule mit 8.000 m² Schulraum, in der für 600 Kinder Platz ist, mit den<br />

schöns ten und besten Sport- und Freizeiteinrichtungen, die sich eine Schule nur wünschen<br />

kann, mit einem Lehrkörper von über 80 qualifizierten Lehrern, die mit Leib und<br />

Seele bei der Sache sind, mit einem Kindergarten mit 8 Gruppen, der seit 4. <strong>August</strong> von<br />

123 Kin dern besucht wird; eine Schule mit einem fest etablierten Schulverein, hervorragenden<br />

Direktoren und einer top qualifizierten Verwaltung, die den schwierigen Prozess<br />

des Schul neubaues und der Übersiedlung mustergültig organisiert hat.<br />

Also, was können wir von der Geschichte lernen: Wir sollten weniger auf Kritiker und so<br />

genannte Experten hören; wir sollten manchmal größere Risiken in Kauf nehmen und ver -<br />

stehen, dass man große Ziele nur erreicht, wenn man bereit ist, große Schritte zu setzen, wenn<br />

man bereit ist, die Veränderungen zu akzeptieren und für seine Visionen zu kämpfen.<br />

Es erfüllt mich mit großer Freude, Jahr für Jahr den maturanten unserer Schule zu gratu -<br />

lieren und mitzuerleben, dass heute die nächste Generation die Stafette übernommen<br />

hat und sich bei der Realisierung der neuen Schule mit ganzer Kraft einbringt. Kurz, die<br />

Lektion der letzten 30 Jahre: manchmal muss man träumen, muss Visionen ausleben,<br />

auch wenn nicht alle diese Visionen teilen. Sie mögen die Hindernisse und Schwierig kei -<br />

ten sehen und sich auf die Probleme konzentrieren, sie mögen alle Probleme aufzeigen,<br />

aber man muss davon überzeugt sein, dass man in der Lage ist, seine Träume wahr werden<br />

zu lassen. Dies geschah vor 30 Jahren, und heute eröffnen wir den iKG Campus und<br />

sind stolz und froh, es geschafft zu haben.<br />

* in Abwandlung Theodor Herzl’s Zitat<br />

Dr. Ariel muzicant<br />

6 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


IN EIGENER SACHE<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 7


POLITIK • INLAND<br />

DÖW-Leiterin warnt vor<br />

„sekundärem Antisemitismus“<br />

POLITIK<br />

Die wissenschaftliche Leiterin des<br />

Dokumentationsarchivs des Österreichischen<br />

Widerstandes (DÖW), Bri -<br />

git te Bailer-Galanda, ist alarmiert über<br />

einen „sekundären Antisemitismus“,<br />

der heute auch in Teilen der politischen<br />

Linken zu beobachten sei.<br />

nach Auschwitz sei es zwar tabuisiert,<br />

über „die Juden“ herzuziehen, doch<br />

könne man antisemitische Agitation<br />

immer auf bestimmte „Kernstereo ty pe“<br />

reduzieren, wie die idee einer jü di -<br />

schen Weltverschwörung oder die idee<br />

des Juden, der im Finanzge schäft versiert<br />

ist und die Weltfinanz lenkt, sag te<br />

die Universitätsdozentin für Zeit ge -<br />

schichte in einem interview mit der<br />

APA - Austria Presse Agentur.<br />

Weltverschwörung und<br />

Finanzjudentums<br />

Beide Stereotype - die Weltverschwö -<br />

rung und die Dominanz des Finanz -<br />

ju dentums - finde man im alten An ti -<br />

se mitismus, aber ebenso beim neuen<br />

Antisemitismus, sagte Bailer-Galan da.<br />

„Es erschreckt mich in hohen Maßen,<br />

wenn ich heute in verstärktem Ausmaß<br />

antisemitische Klischees und antisemitisch<br />

konnotierte Äußerungen von Menschen<br />

höre, die ich zuvor für kritische Geister<br />

ge halten habe. Das muss ich ganz klar sa -<br />

gen“, betonte Bailer-Galanda.<br />

Anzeichen für den neuen Antisemi -<br />

tismus seien „eine einseitige, völlig un -<br />

differenzierte, pauschalierende Kritik an<br />

Israel, den Israelis oder den Juden“ so -<br />

wie Pauschalierung, Verzicht auf Dif fe -<br />

renzierung und ein anti-israelischer<br />

„profil“: Österreicher<br />

mehrheitlich für Verfolgung<br />

von NS-Tätern<br />

Wie das nachrichtenmagazin „profil“<br />

kürzlich berichtete, sprechen sich<br />

74% der Österreicher dafür aus, dass<br />

nS-Verbrecher auch heute noch vor<br />

Ge richt gestellt werden sollen. 20%<br />

der Befragten lehnen dies laut der im<br />

Auftrag von „profil“ vom meinungs -<br />

for schungsinstitut OGm durchgeführten<br />

Umfrage ab. 6% wollten sich<br />

dazu nicht äußern.<br />

„manichäismus“. Dieser Hinweis auf<br />

antisemitische muster bedeute aber<br />

kei neswegs, dass man israel nicht<br />

kritisieren dürfe, wandte sich Bailer-<br />

Galanda gegen ein beliebtes Argu ment<br />

der sogenannten „israel-Kritiker“.<br />

Selbstverständlich könne man die<br />

Politik israels kritisieren, doch sei das<br />

pauschalierende Wort von der „Isra el-<br />

Kri tik“ bereits entlarvend, weil niemand<br />

auf die idee käme von „Italien-<br />

Kritik“ zu sprechen, wenn man Kritik<br />

an Premier Silvio Berlusconi oder der<br />

neofaschistischen Duce-Enkelin Ales -<br />

san d ra mussolini anbringe. „Im Falle<br />

Israels aber kritisiert man nicht Olmert<br />

oder Barak, sondern Israel <strong>als</strong> pauschale<br />

En tität, die es gar nicht gibt. Kein Land ist<br />

eine homogene Menge von Men schen.“<br />

israel sei eine lebendige Demokratie<br />

mit vielschichtigen internen Konflik -<br />

ten und Problemen.<br />

Anti-Zionismus<br />

Die idee der Welt ver schwörung und<br />

einer Ver schwörung israels mit den<br />

USA finde sich im modernen Anti-<br />

Zionismus wieder, der leider auch bei<br />

manchen Globalisierungskritikern he -<br />

rumgeistere. Hinter dem Schlag wort<br />

Anti-Zionismus verberge sich zu oft<br />

das Bestreben, die Existenz des Staa tes<br />

israel infrage zu stellen. Ei ni ge „antizionistische<br />

Gruppierungen“ - wie et wa<br />

die Antiimperialistische Koor di na ti on<br />

(AiK) - vertreten eine Ein-Staa ten-Lö -<br />

sung für Juden wie Araber in Pa lä s ti na,<br />

wo den Juden die Rolle einer angeblich<br />

geduldeten min derheit in einem<br />

arabischen Staat zu gedacht werde. Bai -<br />

ler-Galanda: Dies sei „die raf finierteste<br />

Methode, das Exis tenzrecht Israels zu<br />

leug nen.“ Die Pro ble me der Globa li sie -<br />

rung, die in ihrer Komple xi tät schwer<br />

zu verstehen sei en, würden rasch auf<br />

Finanzmachen schaften reduziert -<br />

„dann sind wir ganz schnell bei den Wall -<br />

street-Juden. Es gibt offenbar einen Bo den -<br />

satz antisemitischer Stereo type, der sehr<br />

leicht abrufbar ist“, sagte Bailer-Galan da.<br />

„Da haben wir uns in den 70er- und 80er-<br />

Jahren ge täuscht, <strong>als</strong> wir gedacht haben,<br />

der Anti se mitismus sei tot und kein The ma<br />

mehr. Heute müssen wir erkennen, dass er<br />

im Untergrund über lebt hat und in an de ren<br />

Zusammen hängen wieder abrufbar wird.“<br />

NS-Propagandaplakat, März 1933<br />

Terror ist nicht Widerstand<br />

Auch in der unkritischen Unterstüt -<br />

zung mancher Gruppen für die Pa läs -<br />

tinenser könne man antisemitische<br />

Ten denzen ausmachen. Bailer machte<br />

im Hinblick auf den „palästinensischen<br />

Widerstand“ klar, dass legitimer Wi der -<br />

stand nicht wahllos den Tod un schul -<br />

di ger Zivilisten in Kauf nehmen dür fe.<br />

„Für mich endet eine Befreiungs be we gung<br />

dort, wo jemand <strong>als</strong> Attentäter möglichst<br />

viele unbeteiligte Zivilisten be wusst in den<br />

Tod mitreißt. Das ist vor allem seit der zwei -<br />

ten Intifada eine massive Bedrohung der is -<br />

ra elischen Bevölke rung.“ Widerstand<br />

müsse sich gegen die bewaffneten<br />

Kräf te eines ver meintli chen Unter -<br />

drüc kungs sys tems richten, aber<br />

keines falls gegen Zivilisten. „Eine<br />

Bombe in einem Auto bus unter Zivilisten<br />

und Schu l kindern zu zünden, ist einfach<br />

durch nichts zu rechtfertigen. Das hat<br />

nichts mehr mit Wider stand zu tun“,<br />

betonte die wissenschaftliche Leiterin<br />

des DÖW.<br />

Das Gespräch führte Ambros Kindel/APA<br />

Brigitte Bailer-Galanda (geboren 1952 in Wien),<br />

studierte Sozial- und Wirtschafts wis sen schaf -<br />

ten sowie Geschichte an der Uni ver sität Wien.<br />

Seit 1979 ist sie <strong>als</strong> wissenschaftliche Mit ar -<br />

bei terin des DÖW tätig, seit 2003 Uni ver si täts -<br />

dozentin am Institut für Zeitge schich te der<br />

Uni versität Wien. Von 1998 bis 2003 war sie<br />

stellvertretende Vorsitzende der Histo riker -<br />

kom mission der Republik Öster reich. 1992<br />

er hielt Bailer-Galanda den Käthe-Leich ter-Preis<br />

für die Frauengeschichte der Arbei terinnenund<br />

Arbeiterbewegung, 1996 den Willy-und-<br />

Helga-Verkauf-Verlon-Preis für ös ter reichi sche<br />

antifaschistische Pu bli zis tik und 1999 den<br />

8 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • INLAND<br />

Ring-rund<br />

mit der<br />

Israelbim<br />

Wien – Voraussichtlich bis Ende Oktober - jeden dienstag, freitag und sonntag von 16.00 bis 17.30 uhr - ist die<br />

„is rael straßenbahn“ am Ring unterwegs. in Kooperation mit den Wiener Linien wurde anlässlich des 60-jährigen Be -<br />

ste hens des Staates israel, ein Straßenbahntriebwagen werbemäßig mit israelischen motiven - „israel - liebe auf<br />

den zweiten Blick“ - beklebt. interessiertes Publikum kann an den Haltestellen Oper/Kärntner Ring, Schottentor und<br />

Schwedenplatz zusteigen.<br />

Das Projekt der israelischen Botschaft möchte -mit musik und Filmen, Highlights aus Kultur, Wissenschaft,<br />

Forschung, Unter hal tung, Clubbing und Strandleben- viele unbekannte Bereiche israels einem breiten Publikum<br />

zugänglich machen. Abfahrt ist jeweils um 16.00 Uhr vom Karlsplatz Haltestelle Otto Wagner Pavillon. nähere<br />

infos finden Sie auch unter: www.goisrael.de oder www.israelischebotschaft.at<br />

Islam- und Israelitengesetz<br />

soll modernisiert werden<br />

Das von ministerin Claudia Schmied geleitete<br />

Ku l tus amt will zwei Religionsgemeinschaften<br />

be treffende Gesetze auf den neuesten Stand<br />

brin gen.<br />

Dem Vernehmen nach sollen sowohl das Islam -<br />

gesetz von 1912 sowie das Israeliten ge setz von 1890<br />

novelliert werden, da die Rechtsgrund la gen<br />

nicht mehr „zeitgemäß“ seien und nicht mehr<br />

der Verfassungsrealität entsprechen würden.<br />

Das „israelitengesetz“ stellt das Verhältnis<br />

der verschiedenen <strong>Kultusgemeinde</strong>n zum Staat<br />

auf eine einheitliche Rechtsgrundlage. 1984<br />

wurde es zuletzt novelliert.<br />

Jüdische Friedhöfe: <strong>Kultusgemeinde</strong><br />

will Erhalt durch Staat einklagen<br />

Die israelitische <strong>Kultusgemeinde</strong> (iKG) will die von der Republik<br />

Österreich zugesagte Sanierung der jüdischen Friedhöfe einklagen.<br />

Österreich hat sich im Washingtoner Abkommen 2001 zum Erhalt<br />

der Grabstätten verpflichtet, ungeklärt ist allerdings, ob Bund oder<br />

Länder dafür zuständig sind.<br />

iKG-Präsident Ariel muzicant kündigt Ende Juli in der „Presse“<br />

eine Klage gegen die Republik an. im Außenministerium heißt es<br />

da ge gen, es handle sich beim Washingtoner Abkommen um eine<br />

völ kerrechtliche Vereinbarung, die nur der Vertragspartner USA ein -<br />

kla gen könne. nationalratspräsidentin Barbara Prammer hatte im<br />

April angekündigt, die Zuständigkeitsfrage - <strong>als</strong>o, ob Bund oder<br />

Län der die Sanierung bezahlen müssen - binnen zwei Jahren klären<br />

zu wollen. in dieser Zeit sollte es erste Schritte zur Sanierung des<br />

vom Verfall bedrohten jüdischen Friedhofs Währung geben.<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 9


POLITIK • INLAND<br />

Religionsgemeinschaften für fairen Wahlkampf<br />

Gemeinsame Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich,<br />

der Islamischen Glaubensgemeinschaft und der <strong>Israelitische</strong>n <strong>Kultusgemeinde</strong><br />

Der Ökumenische Rat der Kirchen in Ös ter reich, die isla -<br />

mi sche Glaubens ge mein schaft und die israelitische Kul tus -<br />

gemeinde ha ben am 21. Au gust in einer gemeinsamen Er -<br />

klärung für ei nen fairen Wahlkampf zur na tio nal ratswahl<br />

plädiert. insbesondere wird in der gemeinsamen Er klä -<br />

rung dazu aufgerufen, Auslän dern und eingebürgerten<br />

Österreichern ausländischer Herkunft auch in der Wahl -<br />

aus ein an dersetzung mit „Achtung und Mensch lich keit“ zu<br />

begegnen. Das verfassungsmäßig geschützte Recht der<br />

frei en Reli gi onsausübung dürfe nicht zum „Ge gen stand<br />

bil liger Polemik“ gemacht werden. Die gemeinsame Er klä -<br />

rung hat folgenden Wortlaut:<br />

„Die Repräsentanten der Religionsge meinschaften appellieren<br />

an die wahl werbenden Parteien, den Wahlkampf in<br />

Fairness abzuwickeln.<br />

Die Wahl werbung und die folgende praktische Politik<br />

müssen an den ethi schen und moralischen Werten einer<br />

de mokratischen und humanistischen Gesellschaft ausgerichtet<br />

werden.<br />

in diesem Zusammenhang fordern die Unterzeichner<br />

die wahlwerbenden Gruppierungen auf, sich aller mani -<br />

fes tationen der religiösen intoleranz, des Antisemitismus<br />

Anlässlich der Jahrzeit<br />

meines unvergesslichen<br />

Gatten<br />

Adalbert Szmuk<br />

findet bei seinem Grab<br />

am Zentralfriedhof, 4. Tor,<br />

am Sonntag, dem<br />

7. September <strong>2008</strong><br />

um 11.30 Uhr,<br />

eine Gedenkfeier statt.<br />

Roszi Smuk<br />

und der infrage stel lung der Shoah sowie der islam feind -<br />

lichkeit zu enthalten.<br />

Den Religions ge meinschaften ist mit Achtung zu be -<br />

gegnen. Das verfassungsmäßig ge schütz te Recht der frei -<br />

en Religions aus übung darf nicht zum Gegenstand bil liger<br />

Polemik gemacht werden.<br />

Dies betrifft auch das Recht auf Zei gen religiöser Sym -<br />

bole in der Öffentlichkeit, in amtlichen Räumen und in<br />

Schulen sowie das Recht zur Errich tung von Gottes häu -<br />

sern.<br />

Ausländern und eingebürgerten Ös terreichern ausländischer<br />

Her kunft, die oft Aufgaben erfüllen, die andere<br />

scheu en, ist mit Achtung und mensch lichkeit zu begegnen.<br />

Aus ländische Staatsbürger, die in Österreich leben,<br />

haben An spruch auf Schutz durch die Gesetze; sie sind<br />

Träger von Pflichten, aber auch von Rechten.<br />

in der öffentlichen Diskussion ist klar zwischen Asyl<br />

und Zuwanderung zu unterscheiden. Das Asylrecht ist<br />

ein mensch liches Grundrecht, das bereits in den biblischen<br />

Schrif ten und dem Koran erwähnt ist. Der Status<br />

von Flücht lingen ist rasch zu entscheiden; humanitärer<br />

Auf ent halt ist großzügig und nach klaren Kriterien zu<br />

bewilli gen.<br />

Neuer Präsident für Internationales<br />

Forum Mauthausen<br />

Auf Vorschlag von innenminister Günther Platter wurde<br />

Mag. Dr. Kurt Scholz vom internationalen Forum maut hau -<br />

sen (iFm) <strong>als</strong> neuer Präsident einstimmig bestätigt. Der 60-<br />

jährige ehemalige Präsident des Wiener Stadtschul ra tes löst<br />

Prof. Dr. Wolfgang neugebauer in dieser Funktion ab.<br />

Das iFm wurde im Februar 2004 vom damaligen innen -<br />

mi nister Dr. Ernst Strasser zur Beratung in grundsätzli chen<br />

Angelegenheiten der KZ-Gedenkstätte mauthausen ge -<br />

grün det. Die mitglieder des iFm setzen sich zusammen<br />

aus Überlebenden der Konzentrationslager, nationalen und<br />

internationalen Wissenschaftlern und Leitern von Ge denk -<br />

stätten und diplomatischen Vertretern der USA, Frank -<br />

reichs, Polens und Russlands sowie Personen und in sti tu -<br />

ti o nen, die an der Erhaltung der Gedenkstätte interesse<br />

ha ben. Das iFm soll beratend mitwirken, das ehemalige KZ<br />

mauthausen und dessen Außenlager <strong>als</strong> Orte des Geden -<br />

kens an die dort begangenen Verbrechen sowie <strong>als</strong> Orte der<br />

pädagogischen Vermittlung historischen Wissens bewahren,<br />

sie wissenschaftlich begründet gestalten und in geeigneter<br />

Weise der Öffentlichkeit zugänglich machen.<br />

Dr. Scholz war von 1975-1984 Referatsleiter für Zeit ge schich te und<br />

politische Bildung im Unterrichts mi nisterium, und von 1992-2001<br />

Prä sident des Stadt schul rates für Wien. Seit 2001 ist er Son der beauf -<br />

trag ter der Stadt Wien für Res ti tu tions- und Zwangs arbeiter fra gen und<br />

hat sich somit in langjähriger Ar beit zum The ma National so zi a lis mus<br />

verdient ge macht.<br />

10 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • AUSLAND<br />

DEUTSCHLAND:<br />

Verbot der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ gefordert<br />

Goebbels wäre dankbar<br />

Nazi-Sympathisanten zeigten in<br />

Ungarn „Jud Süß“ ohne Rechte<br />

Eine von ungarischen nazi-Sym pa -<br />

thi santen organisierte Vorfüh rung<br />

des antisemitischen deutschen Pro -<br />

pa gan dafilms „Jud Süß“ (1940) in<br />

Bu da pest erfolgte ohne den Er werb<br />

der dafür nötigen Rechte. Dies er -<br />

klärte ein Sprecher der Wies ba de ner<br />

Fried rich-Wilhelm-mur nau-Stif tung,<br />

die sich im Besitze dieser Rechte<br />

befindet, der ungarischen nach rich -<br />

ten agen tur mTi. man wer de juristische<br />

Schritte prüfen, fügte er hin zu,<br />

und habe in diesem Zu sammen -<br />

hang bereits das deutsche Außen -<br />

mi nisterium um Hil fe e r sucht.<br />

„Jud Süß“ von Veit Harlan, ein<br />

mach werk, das der nation<strong>als</strong>ozialistische<br />

Propagandaminister Jo seph<br />

Goebbels in Auftrag gegeben hat te,<br />

war Anfang Juli zweimal in einem<br />

Buda pester Kel lerraum abgespielt<br />

worden. Zu den Vorführungen, für<br />

die auch Eintritt kassiert wurde,<br />

konnte man sich über einschlägige<br />

rechtsextreme Web-Por ta le anmelden.<br />

Als Veranstalter wurden der<br />

rechtsextreme Verlag der Brüder Ge de<br />

sowie die Gattin des rechtsextremen<br />

reformierten Pfarrers Lo rant<br />

He ge düs jr. genannt. Ein Reporter<br />

der linken Tageszeitung ‘népszava’,<br />

der sich Zugang zu einer der<br />

beiden Vor führungen verschafft<br />

hatte, beschrieb das Publikum <strong>als</strong><br />

eher gutbürgerlich. Die Teilneh mer<br />

hätten Szenen, in de nen die gängigen<br />

Vorurteile gegenüber den Ju -<br />

den dargestellt wurden, mit zu stim -<br />

men den Äußerungen und Zwi -<br />

schen rufen quittiert.<br />

nach der Auflösung eines Ferien la -<br />

gers der rechtsradikalen „Heimat -<br />

treuen Deutschen Jugend“ (HDJ) im<br />

nordostdeutschen Bundesland meck -<br />

len burg-Vorpommern hat sich auch<br />

der Vorsitzende des Bundestags-in -<br />

nenausschusses, Sebastian Edathy,<br />

erneut für ein Verbot des Ver eins ausgesprochen.<br />

Die Koalition werde dies<br />

in Kürze beantragen, sagte Edathy<br />

der „Frankfurter Rund schau“. innen -<br />

minister Wolfgang Schäuble „dürfte<br />

sich schwer tun, Gründe zu finden, diesen<br />

Ver ein nicht zu verbieten“.<br />

Edathy hatte das Verbot dem Be richt<br />

zufolge bereits vor einem Jahr gefordert.<br />

Da m<strong>als</strong> hatte ein Sprecher von<br />

Schäub le erklärt, dass der Verfa s sungs -<br />

schutz material über die HDJ sammle.<br />

Falls es für ein Verbotsver fah ren ausreiche,<br />

werde dies auch erfol gen. Der<br />

innenminister kann rechtsradikale<br />

Gruppen aus eigener Amts voll macht<br />

verbieten. Dagegen ist das Verbot von<br />

Parteien Sache des Bun des ver fas -<br />

sungs gerichts.<br />

Die HDJ gilt <strong>als</strong> nachfolgeorga nisa -<br />

ti on der verbotenen Wiking-Jugend,<br />

der eine „Wesensverwandtschaft“ mit<br />

Zentralrat der Juden fordert<br />

NPD-Verbot<br />

Die Präsidentin des Zentralrats der Ju -<br />

den in Deutschland, Charlotte Knob loch,<br />

erneuerte ihre Forderung nach einem<br />

Verbot der nPD. „Die Umtriebe der<br />

brau nen Banden in der Öffentlichkeit<br />

müs sen ein Ende haben“, sagte sie laut<br />

mitteilung. Es sei außerdem eine Far ce,<br />

wenn eine rechtsextremistische Partei<br />

auch noch die Wahlkampf kos ten er -<br />

stattet bekomme, wenn sie auf mehr<br />

<strong>als</strong> ein Prozent der Wähler stim men<br />

komme.<br />

der nSDAP und der Hitler-Jugend<br />

be scheinigt worden war. Laut Berli -<br />

ner Verfassungsschutz will die HDJ<br />

Kin der und Jugendliche indoktrinieren<br />

und mit militärischem Drill zum<br />

Rechtsextremismus erziehen.<br />

Bei Durchsuchungen in dem HDJ-Fe -<br />

ri en camp im mecklenburgischen Güs t -<br />

row war rechtsradikales Propaganda -<br />

material gefunden worden. Zudem<br />

ermittelt die Po lizei in nieder sach sen,<br />

weil bereits im Ja nuar in einem ähnlichen<br />

Camp in der nähe von Osna -<br />

brück „Rassen schu lun gen“ für Ju gend -<br />

liche organisiert worden sein sollen.<br />

Verfassungsgericht verbietet<br />

Heß-Gedenkmarsch<br />

Das deutsche Bundesverfas sungsge -<br />

richt hat einen von Rechtsradikalen ge -<br />

planten Gedenkmarsch für den Hit ler-<br />

Stellvertreter Rudolf Heß verboten.<br />

Die Richter lehnten in Karls ru he eine<br />

einstweilige Anordnung ge gen das<br />

Demonstrationsverbot ab. Die Rechts -<br />

radikalen hatten im bayerischen Wun -<br />

siedel anlässlich des Todestages von<br />

Heß aufmarschieren wollen. Heß war<br />

1987 in der Haft <strong>als</strong> verurteilter Kriegs -<br />

verbrecher gestorben.<br />

Zwar seien eine Reihe grundsätzli -<br />

cher Rechtsfragen zum Verbot der Heß-<br />

Gedenkdemonstrationen noch nicht<br />

ab schließend entschieden, er klärten die<br />

Richter. im Zweifel müsse der Ge denk -<br />

marsch allerdings verboten bleiben,<br />

weil sonst die Gefahr be stehe, dass der<br />

„öffentliche Friede“ gestört werde.<br />

in der Umgebung Wunsiedels sorgen<br />

sich Kommunalpolitiker zudem, dass<br />

Anhänger der rechtsextremen nPD ein<br />

Hotel in Warmensteinach <strong>als</strong> Treff -<br />

punkt ankaufen könnten.<br />

APA<br />

Der Film wurde seinerzeit gezielt<br />

SS-Soldaten vor Einsätzen in Kon -<br />

zen trationslagern gezeigt, um de ren<br />

Aggressionsbereitschaft gegen Ju -<br />

den zu steigern.<br />

red<br />

Wunsiedel 2004<br />

© JTA<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 11


POLITIK • AUSLAND<br />

POLEN:<br />

Umstrittener polnischer<br />

Geistlicher predigt wieder<br />

FRANKREICH:<br />

Skandal um antisemitische T-Shirts<br />

in einem Geschäft in Paris sind T-Shirts mit einem antisemitischen Aufdruck<br />

verkauft worden. Sie zeigen ein Verbotsschild für Juden aus der nazizeit, aus<br />

dem damaligen Ghetto der polnischen Stadt Lodz. Darauf stand auf Deutsch<br />

und Polnisch: „Juden Eintritt in die Parkanlagen verboten”und „Zydome wstep do<br />

parku wzbroniony“<br />

Die französische Justiz ermittelt jetzt gegen eine Chinesin – der der Laden<br />

gehört – und ihre Tochter, die dort verkauft. Es gehe um mögliche Anstiftung<br />

zum Rassenhass oder Beihilfe dazu, sagt ein Polizeisprecher. Die beiden müssten<br />

sich vor Gericht verantworten.<br />

Der Hinweis auf die T-Shirts kam von einem Passanten. Die Verkäuferin<br />

wusste nach eigener Aussage nicht, was der Aufdruck bedeutet...<br />

Polen ist größter Produzent<br />

von NS-Symbolen in Europa<br />

Gesetz stellt nur Verbreitung von Ideologie unter Strafe, nicht von Gegenständen<br />

Polen ist nach Angaben der Zeitung<br />

„Polska“ der größte Produzent und<br />

Exporteur von nS-Symbolen in Euro -<br />

pa. Wie das Blatt berichtete, versorgen<br />

polnische Hersteller nicht nur einheimische<br />

Händler, sondern auch neo -<br />

nazis in Deutschland und den skandinavischen<br />

Ländern. SS-Abzeichen,<br />

Hakenkreuze, Hitler-Büsten und an de -<br />

re nS-Devotionalien würden sowohl<br />

im internet <strong>als</strong> auch auf Flohmärkten<br />

angeboten. Erinnerungsstücke an das<br />

Dritte Reich verkauften sich sehr gut,<br />

zitierte „Polska“ einen Verkäufer.<br />

Laut der Zeitung bleiben die Händ ler<br />

straffrei, weil sie eine Lücke im pol ni -<br />

schen Strafrecht nutzen. Verbo ten sei<br />

zwar die Verbreitung nation<strong>als</strong>ozialistischer<br />

ideologie, nicht aber der<br />

Han del mit historischen oder nachgemachten<br />

Gegenständen aus der nS-<br />

Zeit. Der ehemalige Vorsitzende der<br />

pol nischen Kommission zur Verfol -<br />

gung der Verbrechen gegen die polnische<br />

nation, Witold Kulesza, sprach sich<br />

unterdessen für eine Verschärfung der<br />

Vorschriften aus. Die entsprechenden<br />

Paragrafen müssten geändert werden,<br />

damit die Produzenten und Händ ler<br />

wirksam bestraft werden könnten.<br />

Der wegen antisemitischer Äußerungen<br />

umstrittene polnische Geistliche<br />

Henryk Jankowski predigt wieder. Der<br />

neue, <strong>als</strong> konservativ geltende Erz -<br />

bischof von Gdansk (Danzig), Slawoj<br />

Glodz, hob offenbar das Predigt ver bot<br />

für Jankowski auf, das sein Vor gän ger<br />

Tadeusz Goclowski erlassen hatte.<br />

Jankowski sprach in den vergangenen<br />

Wochen wieder von der Kanzel<br />

in der Danziger Brigitten-Kirche, wo<br />

er bis 2004 Gemeinde-Pfarrer war.<br />

nach informationen des TV-Senders<br />

TVP info behielt er auch seine antisemitische<br />

Rhetorik bei. in einem inter -<br />

view mit dem internet-Service des Sen -<br />

ders bezeichnete er den Schrift stel ler<br />

Pawel Huelle <strong>als</strong> „abstoßenden Ju den-<br />

Bengel“.<br />

Jankowski hat viele Anhänger in der<br />

Brigitten-Gemeinde in Gdansk, die<br />

2004 seine Absetzung durch Demon -<br />

stra tionen zu verhindern versuchte.<br />

Umstritten war der Geistliche vor al -<br />

lem wegen Aussagen wie, ei ne „jüdische<br />

Minderheit in der Regierung nicht<br />

geduldet“ werden dürfe.<br />

Außerdem ermittelte die Staats an -<br />

walt schaft gegen ihn wegen Kindes -<br />

miss brauchs. Das Verfahren wurde<br />

zwar eingestellt, im Laufe der Ermitt -<br />

lun gen kam jedoch ans Tageslicht, dass<br />

Jankowski regelrechte Sauforgien von<br />

messdienern im Gemeindehaus nicht<br />

nur tolerierte, sondern unterstützte.<br />

Die Kurie in Gdansk will die Rück -<br />

kehr von Jankowski auf die Kanzel<br />

nicht kommentieren. Dies sei eine „in-<br />

nere Angelegenheit der Gemeinde und<br />

der Diözese“, sagte Erzbischof Glodz<br />

gegenüber TVP. Jankowski hofft wei -<br />

terhin, auch auf seinen alten Posten<br />

<strong>als</strong> Gemeindepfarrer zurückzukehren.<br />

Gegen seine Abberufung hatte er<br />

beim Vatikan Einspruch eingelegt,<br />

über den nach medieninformationen<br />

noch nicht entschieden wurde. APA<br />

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12 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • AUSLAND<br />

„Spiegel“: Briten schwiegen über NS-Kriegsverbrechen<br />

Grund für die Zurückhaltung war Sorge um Bekanntwerden umstrittener Abhörmethoden<br />

Die britischen Geheimdienste haben<br />

einem Bericht des "Spiegel" zufolge<br />

die Strafverfolgung von nS-Verbre -<br />

chern nach Kriegsende erschwert, weil<br />

sie ihre me tho den der infor ma ti ons -<br />

beschaffung nicht preisgeben wollten.<br />

Das geht aus einer Stu die des englischen<br />

Historikers Stephen Tyas hervor,<br />

wie das magazin berichtet. Flächen -<br />

deckend seien Kriegsge fan gene aus<br />

Deutschland befragt und in ihren Un -<br />

ter künften abgehört worden. Die Er -<br />

kennt nisse seien nach dem Krieg <strong>als</strong><br />

„streng geheim“ eingestuft worden,<br />

weil die englischen Geheimdienste befürchtet<br />

hätten, dass ihnen die Abhör -<br />

praxis bei Bekanntwerden untersagt<br />

wer den könnte.<br />

in den nach Befragungen und Ab hör -<br />

aktionen angefertigten mehr <strong>als</strong> 20.000<br />

Protokollen gebe es zahlreiche Hin wei -<br />

se auf nS-Verbrechen wie massener -<br />

schießungen, den Einsatz von Gaswa -<br />

gen und die Gaskammern in Au schwitz.<br />

in dem englischsprachigen Journal<br />

„Holocaust and Genocide Studies“, in<br />

dem auch aus Protokollen zitiert wird,<br />

schreibt Tyas: „Ausgiebige Recherchen<br />

ha ben keine Hinweise erbracht, dass diese<br />

Eichmann-Prozess in Israel<br />

Be richte über die Gespräche an Untersu -<br />

chungs kommissionen der Alliierten zu<br />

Kriegsverbrechen weitergeleitet wurden.“<br />

Erst 30 Jahre später seien die Un ter la -<br />

gen veröffentlicht worden.<br />

Der „Zentra len Stelle der Landes jus -<br />

tiz verwaltungen zur Aufklärung na tio -<br />

nal-sozialistischer Verbrechen“ in Lud -<br />

wigsburg liegt laut dem „Spiegel“-Be -<br />

richt zwar ein Teil der Papiere vor. Bis -<br />

her fehle es aber an Personal, um die se<br />

systematisch auszuwerten, hieß es.<br />

Antisemitismus in Litauen<br />

Yad Vashem kritisiert Umgang mit einstigen<br />

jüdischen Partisanen<br />

©/JTA<br />

Der Leiter der Jerusalemer Gedenk -<br />

stätte Yad Vashem, Avner Shalev, ist be -<br />

sorgt über wachsenden Antise mi tis -<br />

mus in Litauen. in einem Brief an den<br />

litauischen Premierminister Ge di mi nas<br />

Kirkilas kritisiert Shalev, dass die Jus -<br />

tizbehörden des postsowjetischen Lan -<br />

des über die Partisanen ver gan genheit<br />

jüdischer Holocaust-Über lebender im<br />

Zweiten Weltkrieg ermitteln.<br />

Trotz zahl reicher<br />

Pro tes te von Yad<br />

Va shem und anderen<br />

Ein rich tun gen<br />

werde die juristische<br />

Ver fol gung<br />

der einstigen jüdischen<br />

Par ti sanen<br />

fortgesetzt, die den<br />

Kampf ge gen die deutschen Besatzer<br />

aufgenom men hatten.<br />

Dies passe in ein Klima des wiedererstarkenden<br />

Revisionismus in Li tau -<br />

en, so Shalev. in der jüngsten Vergan -<br />

gen heit hätten antisemitische Zwi -<br />

schen fälle in Litauen zugenommen.<br />

So seien kürzlich Gebäude jüdischer<br />

Or ganisationen in der Hauptstadt Vil -<br />

nius mit Graffiti und Hakenkreuzen<br />

besprüht worden.<br />

Litauen war vor dem deutschen<br />

Über fall auf die Sowjetunion 1941 ei -<br />

nes der europäischen Länder mit dem<br />

höchsten jüdischen Bevöl ke rungs an -<br />

teil. Vilnius galt <strong>als</strong> das "litauische<br />

Jerusalem".<br />

Zwischen 1941 und 1944 wurden<br />

jedoch fast alle der 200.000 litauischen<br />

Juden von deutschen nation<strong>als</strong>o zia -<br />

listen und einheimischen Helfern er -<br />

mordet. Das Simon-Wiesenthal-Zen -<br />

trum in Jerusalem hat den Behörden<br />

des baltischen Landes nach der Er lan -<br />

gung der staatlichen Un ab hän gigkeit<br />

1991 immer wieder vorgeworfen, die<br />

juristische Aufarbeitung bewusst zu<br />

blockieren oder zu verschleppen. KAP<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 13


POLITIK • AUSLAND<br />

Während die Diplomaten zaudern,<br />

baut der Iran Atomsprengköpfe<br />

Von John R. Bolton<br />

Der österreichische Botschafter in<br />

Teheran, Michael Postl, hat sich dafür<br />

ausgesprochen, die EU-Wirtschafts -<br />

be ziehungen und insbesondere die<br />

Be ziehungen seines Landes zum iran<br />

zu fördern. Dies berichtete die iranischen<br />

nachrichtenagentur iSnA.<br />

Von einer intensivierung der Trans -<br />

aktionen würden sowohl die EU <strong>als</strong><br />

auch der iran profitieren, erklärte Postl<br />

Am vergangenen Wochenende ist<br />

eine weitere ‚Deadline’ abgelaufen,<br />

innerhalb derer der iran erkennen lassen<br />

sollte, ob er ernsthaft bereit da zu<br />

sei, über die Einstellung seines Stre -<br />

bens nach Atombomben zu dis ku tie -<br />

ren. Wie so viele andere Dead li nes je -<br />

ner fünf Jahre europäisch ge führ ter<br />

Verhandlungen ist auch diese in Stille<br />

abgelaufen; Brüsseler Diplo ma ten sag -<br />

ten, niemand habe mit wirk licher Ar -<br />

beit an einem Samstag gerechnet.<br />

Die Tatsache, dass die Europäer<br />

Recht haben – diese letzte Deadline ist<br />

Will Österreich Wirtschaftsbeziehungen<br />

mit Iran fördern?<br />

bei einem Treffen mit Firmenchefs in<br />

der nordwestiranischen Stadt Tabriz.<br />

Tabriz’ enormes wirtschaftliches Po ten -<br />

tial und die einzigartige geographische<br />

Lage, nahe der Grenze zur Tür kei, ei -<br />

nem EU-Beitrittskandidaten, ha be den<br />

Weg für eine Förderung der Be zie hun -<br />

gen zu Österreich bereitet.<br />

Der Botschafter äußerte auch die<br />

Hoff nung, dass die Bemühungen des<br />

iran und der EU, die bilaterale Zu -<br />

sammenarbeit zu erhöhen, fruchtbare<br />

Handelsergebnisse nach sich ziehen<br />

würden. Der iranische Botschafter in<br />

Österreich, Ebrahim Sheibani, hat un -<br />

terdessen erklärt, das Handels vo lu men<br />

zwischen Teheran und Wien ha be ei ne<br />

milliarde Dollar erreicht.<br />

ICEJ<br />

Statoil zieht sich aus Iran-Geschäft zurück<br />

Die norwegische Ölgesellschaft StatoilHydro hat sich gegen weitere investitio -<br />

nen im iran entschieden und damit entsprechendem Druck aus den USA nachgegeben.<br />

Sie folgt mit diesem Schritt ähnlichen Entscheidungen der französischen<br />

bzw. niederländischen Energieunternehmen Total und Royal Dutch Shell.<br />

Der ehemalige Staatsbetrieb Statoil, dessen Anteile sich zu 62.9% noch im mer<br />

in der Hand der norwegischen Regierung befinden, hatte in Verhandlungen<br />

über die Entwicklung des riesigen Azar-Ölfeldes im iran gestanden. Konzern -<br />

chef Helge Lund kündigte an, auch die involvierung des Unter neh mens in<br />

dem Projekt South Pars 6-8 Gas zu reduzieren. Financial Times, 01.08.08)<br />

Originaltext: http://www.ft.com/cms/s/0/e291c944-5f62-11dd-91c0-000077b07658.html<br />

keine wirklich große neuigkeit -, ist<br />

ge nau das Problem bei ihren Ver -<br />

hand lungen und der stillschweigenden<br />

Hin nahme dieses Bemühens<br />

durch die Bush-Administration.<br />

Die Rationalität andauernder westlicher<br />

Verhandlungen mit dem iran<br />

hängt entscheidend von zwei Annah -<br />

men ab: dass der iran weit genug entfernt<br />

vom Besitz von Atomwaffen ist<br />

und wir somit keine übermäßigen Ri -<br />

siken mit den Gesprächen eingehen;<br />

und dass wir durch die Gespräche<br />

die Option des Einsatzes von militärischer<br />

Gewalt nicht wesentlich behindern.<br />

Letzterer Punkt impliziert die<br />

weitere Annahme, dass die militärische<br />

Op ti on statisch ist – dass sie in<br />

einem Jahr noch gleichermaßen gültig<br />

ist wie heute.<br />

Keine dieser Annahmen ist korrekt.<br />

Können wir glauben, dass wir weiterhin<br />

„rechtzeitig“ eine militärische Ak -<br />

tion zur Verhinderung iranischer<br />

Atom waffen ergreifen können, falls die<br />

Diplomatie scheitert? Die „Gerade<br />

noch rechtzeitig“-nichtverbreitung<br />

setzt einen Grad an geheimdienstli -<br />

cher Gewissheit in Bezug auf das iranische<br />

Atomprogramm voraus, vor<br />

der uns die jüngste Geschichte eindeutig<br />

warnen sollte.<br />

Jeder Tag, der vorübergeht, gestattet<br />

es dem iran, die von ihm ausgehende<br />

Bedrohung zu steigern, und währenddessen<br />

sinkt die Viabilität der militärischen<br />

Option. Es gibt eine Anzahl<br />

von Gründen, warum dem so ist.<br />

Erstens: Während die europäisch ge -<br />

führten Verhandlungen voranschreiten,<br />

setzt der iran die Umwandlung<br />

von Uran vom Festkörper (Uranoxid,<br />

U3O8, auch gelber Kuchen genannt)<br />

zu einem Gas (Uranhexafluorid, UF6)<br />

in seiner Uranumwandlungsanlage in<br />

isfahan fort. Obgleich es sich hier um<br />

einen rein chemischen Prozess handelt,<br />

ist die Umwandlung komplex und<br />

bringt Gesundheits- und Sicherheits -<br />

risi ken mit sich.<br />

Je mehr jedoch der andauernde Be -<br />

14 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • AUSLAND<br />

trieb in isfahan den UF6-Bestand und<br />

die technische Expertise erhöht, desto<br />

geringer wird der Effekt einer Zer stö -<br />

rung der Anlage. Der iran häuft Vor -<br />

rä te von UF6 an, das er dann selbst<br />

während eines Wiederaufbaus von is -<br />

fahan nach einem Angriff oder im Fall<br />

des Baus einer neuen Umwand lungs -<br />

anlage anderswo anreichern kann.<br />

Zweitens: Eine Verzögerung er laubt<br />

es dem iran, seinen Vorrat an niedrig<br />

angereichertem Uran (LEU) zu vergrößern<br />

– UF6-Gas, bei dem die U235-<br />

isotop-Konzentration (die für nukleare<br />

Reaktionen sowohl in Reak toren <strong>als</strong><br />

auch Waffen entscheidende Form von<br />

Uran) von ihrem natürli chen Grad von<br />

0.7% auf etwa 3 bis 5% er höht wird.<br />

Je mehr die LEU-Vorräte wachsen,<br />

des to mehr wächst auch die Fähig keit<br />

Teherans den nächsten Schritt zu neh -<br />

men und sie zu waffenfähigen Kon -<br />

zen trationen von mehr <strong>als</strong> 90% (hoch<br />

angereichertes Uran oder HEU) an -<br />

zu reichern. Einige in nuklearfragen<br />

Un bewanderte schätzen die Diffe renz<br />

in den LEU-HEU-Konzen trations gra -<br />

den gering ein. Die Wahrheit ist weit<br />

davon entfernt. Die Anreicherung von<br />

natürlichem Uran durch Zentri fu gen<br />

zu LEU nimmt etwa 70% der Arbeit<br />

und Zeit in Anspruch, die für seine<br />

Anreicherung zu HEU benötigt wird.<br />

insofern eliminiert eine Zerstörung<br />

der Anreicherungsanlage in natanz<br />

nicht das existierende angereicherte<br />

Uran (LEU), das sich nach Ein schät -<br />

zung der internationalen Atomener -<br />

gie behörde (iAEA) im mai <strong>2008</strong> auf<br />

die Hälfte dessen beläuft, was für eine<br />

Atombombe benötigt wird. Der iran<br />

hat <strong>als</strong>o mit jedem Kilogramm von<br />

auf LEU-Grad angereichertem Uran<br />

bereits mehr <strong>als</strong> zwei Drittel des We ges<br />

zu waffenfähigem Uran zurück ge legt.<br />

Und so wie der LEU-Bestand wächst,<br />

so steigt auch das Risiko, dass bei ei -<br />

nem militärschlag ein oder mehrere<br />

Speichertanks getroffen werden und<br />

damit erhebliche mengen von radioak -<br />

tivem Gas in die Atmosphäre strömen.<br />

Drittens: Obwohl man es nicht si cher<br />

wissen kann, weist alles darauf hin,<br />

dass der iran seine nuklearanlagen auf<br />

unbekannte Orte verteilt, womit er<br />

IRAN:<br />

Kampfflugzeuge erreichen nun auch Israel<br />

Angeblich 3.000 Kilometer Reichweite<br />

Die iranische Luftwaffe hat nach eigenen<br />

Angaben die Reichweite ihrer<br />

Kampfflugzeuge so weit verbessert,<br />

dass sie auch israel erreichen und<br />

wieder zu ihrer Heimatbasis zurückkehren<br />

können.<br />

General Ahmad Mighani sagte dem<br />

staatlichen Fernsehen zufolge, die<br />

Flug zeuge könnten 3.000 Kilometer<br />

oh ne Auftanken zurücklegen. israel<br />

liegt rund 1.000 Kilometer vom iran<br />

Gut geschützte Anreicherungs anlage in Natanz<br />

entfernt.<br />

Um welche Kampfflugzeuge es sich<br />

genau handelte und wie dies erreicht<br />

wurde, sagte der General nicht. Auch<br />

israel nannte er nicht beim namen.<br />

nach Einschätzung von Experten<br />

könnte die längere Reichweite durch<br />

Zusatztanks ermöglicht werden, die<br />

an den Tragflächen oder dem Rumpf<br />

be festigt und schließlich abgeworfen<br />

werden, wenn sie leer sind.<br />

Luft angriffe gegen die bereits be -<br />

kannten „erschwert“, und tiefer vergrabene<br />

Anlagen an bekannten Orten<br />

für zukünftige Operationen vorbereitet.<br />

Das bedeutet, dass die Erfolgs aus -<br />

sichten etwa gegen die Anreiche rungs -<br />

anlage in natanz geringer werden.<br />

Viertens: Augenscheinlich steigert der<br />

iran seine Verteidigungsfähigkeiten<br />

durch den Erwerb russischer S-300-<br />

Flugabwehrsysteme (auch bekannt <strong>als</strong><br />

SA-20), direkt oder über Weißruss land.<br />

Ende Juli haben Verteidigungs mi nis ter<br />

Robert M. Gates und sein Sprecher is -<br />

ra elischen Behauptungen widerspro -<br />

chen, wonach die neuen Flugab wehr -<br />

sys teme noch dieses Jahr in Betrieb<br />

ge hen würden. Wenn das Pentagon<br />

Recht hat, würde seine eigene Ein -<br />

schät zung des Timings das Argument<br />

für einen israelischen Schlag lieber<br />

früher <strong>als</strong> später noch verstärken.<br />

Fünftens: Der iran baut die An griffs -<br />

fä higkeiten von Stellvertretern wie<br />

Sy rien und Hisbollah weiter aus; bei de<br />

haben ein Raketenpotential, das nach<br />

israel herüberreicht, und bedrohen die<br />

US-Truppen und Freunde und Ver bün -<br />

dete der USA in der Region. Es könnten<br />

durchaus Syrien und die Hisbol lah<br />

sein, die nach einem israelischen An -<br />

griff auf iranische nuklearanlagen Ver -<br />

geltung üben und dadurch weitere<br />

Schlä ge gegen den iran zumindest<br />

kurzfristig erschweren würden.<br />

Der iran verfolgt zwei Ziele gleichzeitig,<br />

beide sind in komfortabler Reich -<br />

weite. Das erste – die für eine verfügbare<br />

Atomwaffe nötigen Fähigkeiten<br />

zu erlangen – lässt sich nahezu sicher<br />

nicht mehr diplomatisch verhindern.<br />

Daher wird irans zweites Ziel entschei -<br />

dend: dafür zu sorgen, dass die Risi -<br />

ken eines militärischen Angriffs ge gen<br />

ihn zu groß und die Wahrschein lich -<br />

keit des Erfolgs einer Zerschlagung<br />

des Programms zu niedrig sind. Beim<br />

Erreichen dieser Ziele hat der iran die<br />

Zeit auf seiner Seite. US-amerikanische<br />

und europäische Diplomaten sollten<br />

dies bedenken, wenn sie am Telefon<br />

auf einen Anruf des iran warten.<br />

The Wall Street Journal, 05.08.08<br />

John Bolton ist Senior Fellow am American<br />

En terprise Institute und früherer UN-Bot -<br />

schaf ter der USA.<br />

Originaltext: http://online.wsj.com/public/<br />

article_print/SB121789278252611717.html<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 15


POLITIK • AUSLAND<br />

Der iran hat am 17. <strong>August</strong> eine<br />

Ra ke te zum Abschuss eines Sa -<br />

tel liten ge testet: Präsident mah mud<br />

Ah madi ned schad hat den Start im ira -<br />

ni schen Weltraumzentrum verfolgt<br />

und persön lich den Countdown herun -<br />

ter ge zählt, so ein Regierungs spre cher<br />

laut iranischer nachrichten a gen tur<br />

Fars.<br />

Die islamische Republik will dem -<br />

nächst seinen ersten eigenen Satel li -<br />

ten mit namen "Omid" (Hoffnung)<br />

ins All schießen. Zunächst hatte das<br />

iranische Fernsehen berichtet, es sei<br />

der Satellit ins All geschossen worden.<br />

Spä ter hieß es dann offiziell, es sei<br />

erst m<strong>als</strong> eine Rakete mit einem Satel -<br />

liten-Dummy erfolgreich getestet<br />

worden.<br />

Die USA und Russland hatten sich<br />

zu Beginn des Jahres nach ähnlichen<br />

Tests besorgt über dass iranische Welt -<br />

raumprogramm gezeigt und nach<br />

den tatsächlichen Zielen gefragt. Die<br />

Ra ke tentechnologie für Satelliten<br />

kann auch zum Abschuss von Atom -<br />

waffen genutzt werden. Wegen des<br />

um stritte nen iranischen Atom pro -<br />

gramms ha ben die Un be reits dreimal<br />

Sank ti onen ge gen die isla mische Re -<br />

publik verhängt. Grund für die<br />

Sanktionen ist die Wei gerung des iran,<br />

sein Atom pro gramm zu stoppen. Die<br />

Un verdächtigt den iran unter dem<br />

Deckmantel der Ener gie er zeugung<br />

nach Atom waf fen zu streben.<br />

Israel reagiert alarmiert<br />

Der Start der iranischen Trägerrakete<br />

hat in der israelischen Öffentlichkeit<br />

gemischte Reaktionen von Besorgnis<br />

bis zum Herunterspielen möglicher<br />

Gefahren ausgelöst. Während einige<br />

israelische Experten ihre Landsleute<br />

vor Angstmache und Panik warnten,<br />

ist aus Sicht von Kommentatoren ei ne<br />

weiterer Teil der strategischen Bedro -<br />

hung israels durch den iran sichtbar<br />

geworden.<br />

nach den Worten von Re gie rungs -<br />

spre cher mark Regev wird die israelische<br />

Regierung den Test der zeit nicht<br />

kommentieren. Der israe lische Rund -<br />

funk zitierte einen Regie rungsbeam -<br />

ten, wonach der erfolgreiche Test der<br />

weiterentwickelten Trägerrakete kein<br />

Grund zur Panik bedeute. Der Test sei<br />

eher eine Warnung für Europa <strong>als</strong> für<br />

israel, das sich bisher schon in Reich -<br />

weite iranischer ballistischer Raketen<br />

befunden habe. „Wer einen Satelliten<br />

ins All schießen kann, kann auch schwere<br />

Last an sehr weit entfernte Orte bringen“,<br />

wird der Experte zitiert.<br />

Der Knesset-Abgeordnete der Ka d i -<br />

ma-Partei und ehemalige Direktor der<br />

israelischen Raumfahrtbehörde, Yiz hak<br />

Ben-Israel, sagte dem Rund funk, dass<br />

der iran sowohl die USA <strong>als</strong> auch is -<br />

ra el von einem Angriff auf die eigenen<br />

Atomanlagen abhalten wolle. Des halb<br />

spiele „die übertriebene Angst“ in der<br />

israelischen Öffentlichkeit in die Hän -<br />

de der Führung in Teheran. Die Tages -<br />

zeitung ‘maariv’ zitiert Raumfahrt ex -<br />

per ten, wonach es sich bei dem Rake -<br />

tenstart um eine Raumfahrt-Show<br />

handle und der iran noch weit davon<br />

entfernt sei, einen Satelliten zu bauen<br />

und ins All zu schießen.<br />

israelische Experten beunruhige am<br />

meisten, dass wieder ein Stück aus ei -<br />

Iran startet<br />

Trägerrakete „Safir“<br />

Satellitenaufnahmen sollen<br />

zur Früherkennung von<br />

Naturkatastrophen dienen<br />

USA verhängen Sanktionen über iranische Firmen<br />

Die US-Regierung hat Sanktionen über fünf weitere iranische Firmen verhängt,<br />

die sie der mitwirkung am Atomprogramm der islamischen Re pu blik<br />

bezichtigt. Das amerikanische Finanzministerium teilte mit, dass es die Ver -<br />

mö genswerte der betreffenden Firmen in den USA einfrieren und es<br />

amerikani schen Unter neh men und individuen verbieten würde, geschäf t li -<br />

che Be zie hungen mit ihnen zu un terhalten. Bei den fünf indizierten Firmen<br />

han delt es sich um das Nuclear Research Cen ter for Agriculture and Medicine, das<br />

Esfahan Nuclear Fuel Research and Pro duction Cen ter, Jabber Ibn Hayan, Safety<br />

Pro cu rement Co. und Joza Indus tri al Co.<br />

http://www.ustreas.gov/press/releases/hp1113.htm<br />

© EPA/Fars News Agency<br />

nem riesigen Puzzle der strategischen<br />

Bedrohung sichtbar geworden sei,<br />

kom mentiert die Tageszeitung ‘Ye di -<br />

oth Ahronoth’. Jeder, der noch daran<br />

glaube, mit einem oder zwei Luft schlä -<br />

gen die iranische infrastruktur zer -<br />

schla gen zu können, mache sich il lu -<br />

si onen. Die US-Regierung hat is ra el<br />

nach informationen der Tageszeitung<br />

‘Haaretz’ vor einem militärschlag ge -<br />

gen den iran gewarnt. Ein solcher<br />

Angriff würde den interessen der USA<br />

schaden, hieß es vergangene Woche in<br />

dem Zeitungsbericht. Die US-Re gie -<br />

rung habe außerdem die Bitte is ra els<br />

nach Lieferung von militärischer Aus -<br />

rüs tung abgelehnt, die für einen An -<br />

griff auf iranische Atomanlagen ge -<br />

nutzt werden könnte. Die USA woll ten<br />

israel auch wegen des Wider stan des<br />

der Führung in Bagdad keine Über -<br />

flug rechte über irakisches Territo ri um<br />

gewähren.<br />

reu/red/APA<br />

16 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • AUSLAND<br />

Al-Jazeera entschuldigt sich bei Israel<br />

Der arabische Fernsehsender Al-Ja zee ra hat sich offiziell bei israel entschuldigt.<br />

Die Berichterstattung über die Freilassung des libanesischen Terro ris ten Sa mir<br />

Kuntar habe die ethischen maßstäbe des Senders verletzt. Das Einge ständ nis<br />

kam in Rektion auf die Drohung des Presseamts der israelischen Regierung<br />

(GPO), den Satel li tenkanal zu boykottieren, falls er sich nicht entschuldige.<br />

in einem offiziellen Brief, von dem eine Kopie an ‘Haaretz’ weitergeleitet<br />

wur de, schreibt Generaldirektor Khan far Wadah, dass „Elemente der Sen dung“<br />

vom 19. Juli, in der Kuntar <strong>als</strong> Held geehrt worden war, den ethischen Co de<br />

seines Senders verletzt hätten und er selbst diese Verletzung sehr ernst neh me.<br />

Der Programmdirektor sei angewiesen, solche Vorfälle in Zukunft zu<br />

unterbin den. Kuntar war von Al-Jazeera mit einer Sondersendung bedacht<br />

worden, in der er u. a. <strong>als</strong> „panarabischer Held“ bezeichnet wurde.<br />

VENEZUELA:<br />

Chavez empfängt erstm<strong>als</strong> jüdische Vertreter<br />

© Reuters/Ho New<br />

© Ono Academic College<br />

Rechtswissenschaftlerin Prof. Gabriela<br />

Shalev wird <strong>als</strong> erste Frau das Amt der<br />

israelischen Un-Botschafterin übernehmen.<br />

Zur Zeit ist Prof. Shalev Rek -<br />

to rin an einer privaten Hochschule in<br />

Kirjat Ono, dem Ono Academic Colle -<br />

ge in israel. in den kommenden Wo -<br />

chen wird sie für ihre sechs jährige<br />

Amtszeit nach new York ziehen.<br />

BAHRAIN:<br />

König von Bahrain ruft<br />

Juden zur Rückkehr auf<br />

Miraflores Palast, 13. <strong>August</strong> <strong>2008</strong> – Hugo Chavez (l) im im Gespräch Ronald Lauder (r)<br />

Erstm<strong>als</strong> in seiner zehnjährigen Amts -<br />

zeit hat der venezolanische Staats chef<br />

und iran-Verbündete Hugo Chavez<br />

Ver tre ter der jüdischen Ge meinde<br />

emp fan gen. Das Treffen fand im Prä si -<br />

den tenpalast in Caracas statt.<br />

Die außerordentliche Zusammen -<br />

kunft war von der argentinischen Prä -<br />

si den tin Cris tina Fernandez de Kirch ner<br />

vermit telt worden, in deren Land die<br />

größ te jüdische Gemeinde Latein -<br />

ame rikas zu Hause ist. Unter den<br />

Gästen wa ren der Präsident des Jüdi -<br />

schen Welt kon gresses, Ronald Lauder,<br />

sein Ver treter für Lateiname ri ka, Jack<br />

Ter pins, sowie Repräsen tan ten der jü -<br />

dischen Ge meinde Vene zue las.<br />

Terpins sagte, das Treffen sei für die<br />

Juden weltweit von sehr großer Be -<br />

deu tung gewesen. Alle missver ständ -<br />

nis se seien aus dem Weg ge räumt<br />

wor den. „Jetzt wissen wir, dass wir ei nen<br />

weiteren Freund in La tein ame ri ka ha ben“,<br />

sagte Terpins weiter.<br />

Auch Venezuelas Außenminister<br />

Ni colas Maduro zeigt sich „sehr zufrieden“<br />

über die Gespräche und versprach,<br />

mit jüdischen Ver tre tern im<br />

ständigen Dialog zu bleiben.<br />

Chavez hatte bisher ein angespanntes<br />

Verhältnis zur jüdischen Ge mein -<br />

de, die dem Links po pulisten Antise -<br />

mi tis mus vorwarf. Der Staats chef verurteilte<br />

wiederholt das Vor ge hen der<br />

israeli schen Armee im nah ost-Kon -<br />

flikt und drückte seine Un ter stüt zung<br />

für das ira nische Atom pro gramm<br />

aus.<br />

APA/AFP/red<br />

König Hamad Bin isa Al-Khalifa rief<br />

im <strong>August</strong> die Juden, die diese Golf -<br />

na tion verließen dazu auf, wieder in<br />

ihre Heimat zurückzukehren. Der<br />

König und der bahrainische minister -<br />

präsident Scheich Khalifa Bin Salman<br />

Al Khalifa trafen sich in London mit<br />

einer Gruppe von ehemaligen Juden<br />

ih res Landes, die jetzt in Groß bri tan -<br />

ni en leben. Solch ein Treffen ist für<br />

den König sehr ungewöhnlich, je doch<br />

hatte er im mai dieses Jahres Huda<br />

Azra Ibrahim Nunu, ein jüdisches mit -<br />

glied des bah rainischen Parla ments,<br />

<strong>als</strong> Botschafterin des Landes in Wa -<br />

shington erwählt. Bei dem Treffen<br />

mit den Juden in London wurden in -<br />

terne Angelegenheiten des Landes<br />

diskutiert und die Bemühungen zur<br />

mordernisierung.<br />

„Dieser König liebt die Juden, deshalb<br />

bat er die Juden in Bahrain darum, die von<br />

dort stammenden und jetzt in Israel le -<br />

ben den Juden aufzufordern, in ihr Ge -<br />

burts land zurückzukehren“, so natan<br />

Aluf, einer der aus Bahrain stammenden<br />

und in israel lebenden Juden.<br />

(siehe auch Gemeinde Nr. 623/Juni<strong>2008</strong>: „Die<br />

kleine jüdische Gemeinde von Bahrain:Ein<br />

Leben zwischen den Kulturen“<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 17


POLITIK • ISRAEL<br />

Der Waffenstillstand geht<br />

dem Ende zu<br />

von Ulrich W. Sahm<br />

Sderot im Mndschein<br />

„Die Spannung liegt in der Luft. Der Waf -<br />

fen stillstand wird bald vorbei sein“, sagt<br />

Ruti vom „israel Project“ während ei -<br />

ner spontanen Führung durch Sderot.<br />

Auf einem Hügel am westlichen<br />

Rand der israelischen Grenzstadt Sde -<br />

rot zeigt sie auf die Lichter von Beth<br />

Hanoun. „Von dort schießen die Pa läs ti -<br />

nenser ihre Raketen. Vor drei Tagen landete<br />

wieder eine in einem Feld, ohne Sch a den<br />

anzurichten.“ Über ihr zirpt eine Hoch -<br />

spannungsleitung. „Ich habe Angst.<br />

Noch nie habe ich den Strom so laut fließen<br />

gehört“, sagt die junge is raeli aus<br />

netiv Haasara, hart an der Grenze<br />

nördlich des Gazastreifens. „Je des un -<br />

ge wohnte Geräusch versetzt uns in<br />

Schrecken.“ Seit sieben Jahren ist die<br />

Kleinstadt Sderot fast täglichem Ra -<br />

ke tenhagel ausgesetzt. in ihrem Dorf<br />

ist Rutis nachbarin Dana Galga ko -<br />

witsch bei einem Raketenangriff getötet<br />

worden. in ihrem Büro hat Ruti<br />

ne ben Fotos der neun Toten von Sde -<br />

rot durch Kassam-Raketen auch ein<br />

Foto von Dana aufgehängt.<br />

„Die Menschen sind psychologisch zermürbt.“<br />

Experten reden von „post-trau -<br />

matischen Symptomen“ bei etwa 90<br />

Prozent der Bewohner. „Aber wie kann<br />

man von Post-Trauma reden, wenn sich das<br />

Trauma täglich wiederholt?“ fragt Ruti.<br />

Offiziell leben in Sderot 24.000 men -<br />

schen. „Etwa 5.000 haben die Stadt verlassen,<br />

aus Angst, weil ihre Kinder den<br />

Stress nicht mehr durchhalten oder weil<br />

ihre Geschäfte pleite gegangen sind.“ nie -<br />

mand könne eine genaue Zahl nennen.<br />

Einige wagen aus Patriotis mus nicht,<br />

ihre Adresse im Personal aus weis zu<br />

ändern. Andere leben in Sderot, ga ben<br />

aber eine Adresse außerhalb von Sde -<br />

rot an, damit ihre Kinder jenseits der<br />

Reichweite der Kassam-Raketen die<br />

Schule besuchen können.<br />

Vom Hügel aus wirkt Sderot wie<br />

eine idylle. Der Vollmond beleuchtet<br />

die kleinen Einfamilienhäuser mit<br />

den roten Ziegeldächern. Hier leben<br />

vor allem neueinwanderer. „Übrigens<br />

gibt es in Sderot auch Araber. Wie viele<br />

arabische Familien es sind, weiß ich<br />

nicht. Es ist auch einmal ein arabisches<br />

Haus von einer Rakete getroffen worden.“<br />

Ruti tut sich schwer, die „Spannung<br />

in der Luft“ zu erklären und warum<br />

sie glaubt, dass der mitte Juni von<br />

Ägypten zwischen israel und der Ha -<br />

mas vermittelte Waffenstillstand bald<br />

nicht mehr halten werde. „Meine Freun -<br />

de in Kerem Schalom, einem Kibbuz im<br />

Länderdreieck Ägypten, Gaza, Israel, wer -<br />

den heute viel öfter wegen Sicher heits alarm<br />

gestört <strong>als</strong> vor dem Waffenstillstand“, er -<br />

zählt Ruti. Der Sicherheitsbeauf trag te<br />

in Kerem Schalom, Jay, wird konkret:<br />

„Mit dem Fernglas sehen wir, wie die Ha -<br />

mas sich aufrüstet. Häufiger schicken sie<br />

Kinder und Unbewaffnete, teilweise um 3<br />

Uhr morgens, zum Grenz zaun. Sie prü fen<br />

unsere Aufmerksamkeit und proben die<br />

Fähigkeit, nach Israel einzudringen.<br />

Wenn wir sie schnappen, behaupten sie,<br />

Arbeit in Israel zu suchen oder zu einem<br />

Verwandten nach Hebron zu wollen.“ Für<br />

Jay ist klar, dass die Tahdija, die<br />

„zeitwei lige Beruhigung“, mit einem<br />

„gros sen Bum“ enden wird, und, dass<br />

der Krieg dann noch intensiver wei ter -<br />

geht.<br />

Über fieberhafte Vorbereitungen „für<br />

die nächste Runde“ im Gaza strei fen,<br />

berichtet auch Paula Han cocks von<br />

Cnn. mit verbundenen Augen wur -<br />

de sie zu einer Raketenfabrik gefahren.<br />

Trotz Kopftuch und „züchtiger<br />

Kleidung“ musste sie sich einen sackartigen<br />

Jalabija überziehen. in ei nem<br />

winzigen Raum kochten Kämp fer der<br />

„Volkswider stands komitees“ mit ei -<br />

nem defekten Gas kocher Spreng stoff<br />

aus Zucker und Kunstdünger. Die<br />

neuesten Raketen modelle könnten so -<br />

gar Ashdod und Kirjat Gat treffen, wo<br />

intel Chips für Computer herstellt. Die<br />

Widerstands komitees reklamieren für<br />

sich die Entführung des israelischen<br />

Soldaten Gilad Schalit vor zwei Jah ren.<br />

mit Ruti geht es zurück ins Stadt -<br />

zen trum. An jeder Ecke stehen Beton -<br />

klötze. „Wenn der Alarm „Rote Farbe“<br />

kommt, sollte man sich innerhalb von 15<br />

18 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • ISRAEL<br />

Volkswiderstandskomitees<br />

„Popular Resistance Committees“<br />

Das Volkswiderstandskommitee (PRC) wur de Ende 2000 von Jamal Abu<br />

Sam ha dana, einem vorherigen Mitglied der Fa tah und der Tanzim, gegründet.<br />

Die Bewe gung vereint Kämp fer aus den Organi sa tionen Fatah, Ha mas,<br />

Is la mi scher Dschihad und den al-Aqsa-Brigaden.<br />

Die palästinensische Terrororga nisa ti on dem Gaza-Streifen hat im<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong> seine neuen „Nasser-4“-Raketen präsentiert und sie auch<br />

Journalisten vorgestellt. Die Reichweite von „Nasser-4“ - mit einer<br />

Reich weite von ca. 25 km - geht erheblich über die üblichen Modelle hinaus<br />

und könnte selbst die israelische Küstenstadt Ashdod erreichen.<br />

Gleichzeitig protzten sie damit, dass die neue Rakete nur ein Tropfen<br />

im Meer der Überraschungen sei, die man für Israel bereithalte.<br />

Israels Regierungssprecher Mark Regev bezeichnete die Aufrüstung<br />

im Wind schat ten der Waffenruhe <strong>als</strong> schwere Ver let zung der Vereinba -<br />

run gen zwischen Ha mas und Israel von Seiten der Paläs ti nenser.<br />

Kassam-Museum im Hof der Polizeistation in Sderot<br />

Sekunden in so einen Betonklotz retten<br />

oder flach auf den Boden werfen.“ Der<br />

Student im Sapir College sei auf dem<br />

Parkplatz durch Splitter getötet worden,<br />

weil er sich nicht auf den Boden<br />

geworfen habe. Zum Pflichtbesuch in<br />

Sderot gehört ein Abstecher ins Kas -<br />

sam-museum in Hof der Polizeista ti -<br />

on. Vor zwei monaten waren da noch<br />

über zweitausend verbogene Rake ten -<br />

reste auf Blechregalen gestapelt. „Die<br />

Polizei hat aufgeräumt. Jetzt liegen hier<br />

nur noch ein paar Hundert. Die Polizei<br />

rechnet fest damit, dass sich dieses Lager<br />

bald wieder füllt.“ Wann das passiert,<br />

kann niemand vorhersehen. Aber Ruti<br />

hat eine böse Ahnung: „Vielleicht schon<br />

in zwei Wochen, wenn die Schul zeit wieder<br />

beginnt.“ Bis zum Waffen still stand<br />

explodierten Rake ten fast täglich ge -<br />

gen 7 Uhr morgens in der Stadt, wenn<br />

sich die Kinder schutzlos auf der<br />

Straße be finden, auf dem Weg zur<br />

Schu le. Es gab auch Voll treffer auf<br />

Schul ge bäu de und Kin der gärten. nur<br />

Alle Fotos: © U.W.Sahm<br />

durch ein Wun der gab es keine Toten.<br />

„Über die Ha roeh-Schule wurde ein halbrundes<br />

Schutz dach errichtet. Es nützt<br />

heute nichts mehr. Denn das Dach wurde<br />

gegen Ra ke ten mit ma xi mal drei Kilo<br />

Spreng stoff kon zipiert. Heute befördern<br />

die Ra keten mindestens sechs Kilo Spreng -<br />

stoff und noch dazu M-16 Ge w ehr ku geln.<br />

Nach dem Aufschlag und der Ex plo sion<br />

gehen die Gewehr ku geln los. Die Raketen<br />

Zum 40. Mal<br />

Waffenstillstandsbruch<br />

Verteidigungsminister Ehud Barak<br />

hat angeordnet die Gaza über gän -<br />

ge am 12.08. geschlossen zu halten,<br />

nach dem tags zuvor eine Kassam-<br />

Rakete auf Sderot abgefeuert wur -<br />

de.<br />

Dies war bereits der dritte Kas -<br />

sam-Beschuss in einer Woche und<br />

insgesamt der 40. Waffen still stands -<br />

bruch seit 19. Juni von Seiten des<br />

Gaza strei fens, obwohl die Hamas<br />

wie derholt be tont, die dafür Ver -<br />

ant wortlichen zu bestrafen. Unter<br />

den Störenfrieden des Abkom -<br />

mens stechen besonders der Paläs -<br />

ti nensische islamische Dschihad PiJ<br />

und die Vereinigung Fatah/Al-Aq sa<br />

märtyrer Brigaden im Gazastrei -<br />

fen hervor.<br />

Die Hamas wirft israel vor, den<br />

Waffenstillstand zu brechen, da die<br />

Wiedereröffnung der Rafah-Gren ze<br />

nach Ägypten Teil des Abkom mens<br />

sei. israel bleibt beständig und sagt,<br />

dass die Voraussetzung dafür die<br />

Freilassung des entführten Soldaten<br />

Gilad Shalit sei. Die Ha mas wie -<br />

derholte, dass Shalit erst dann freigelassen<br />

werde, wenn is ra el sei -<br />

nen Teil des Abkommens erfülle<br />

und be tonte auch, dass es an Ge -<br />

sprä chen über die Freilassung Sha -<br />

lits bis dahin nicht interessiert sei.<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 19


POLITIK • ISRAEL<br />

Israel<br />

hilft iranischer<br />

Kernindustrie<br />

USA verärgert über<br />

iranische Pistazien-<br />

Importe nach Israel<br />

Die USA werfen israel vor, „illegal“<br />

die iranische Pistazienkern in dustrie zu<br />

unterstützen. in dieser „verstörenden<br />

Angelegenheit“ hat der US-Botschaf -<br />

ter in Tel Aviv, Richard H. Jones, am 3.<br />

Juni einen scharfen Brief an den israelischen<br />

Finanzminister geschickt und<br />

per Kopie an minis ter präsident Ehud<br />

Olmert sowie an zwei weitere minis -<br />

ter. Wie die Zeitung ‘Yedioth Ahro -<br />

noth’ berichtete, erhielt die Affäre ei ne<br />

besondere Dring lich keit. Denn wäh -<br />

rend der Euro-Fuß ball spiele würden<br />

israelis besonders große mengen Pis -<br />

tazien verbrauchen und nicht ahnen,<br />

dass sie dabei einen Feind unterstützen.<br />

„Jede Pistazie bringt den Iran einen<br />

Schritt weiter in seinen Fähigkeiten in der<br />

Kernindustrie“, schreibt der be kannte<br />

politische Ana ly tiker Nachum Barnea,<br />

wobei er sich bewusst des Wortspiels<br />

mit „Kern“ bediente.<br />

Wie sich heraus stellt, haben die is ra -<br />

elis den weltweit höchsten Pro-Kopf-<br />

Ver brauch an Pis ta zienkernen und<br />

stellen deshalb mit geschätzten US$<br />

20 mio. (12,97 mio. Euro) im Jahr ei nen<br />

„wichtigen markt“ für Pistazien-Pro -<br />

duzenten dar. in seinem auszugswei se<br />

<strong>als</strong> Faksimile in einer israelischen Zei -<br />

tung veröffentlich ten Brief erklärt der<br />

amerikanische Botschafter, dass von<br />

den beiden größ ten Pistazien-Pro du -<br />

zen ten der Welt, USA und iran, allein<br />

die Amerikaner zollfreien Zu gang zum<br />

israelischen markt hätten. mit dem<br />

iran hingegen, so der Bot schaf ter, ge be<br />

es ein israelisches Ver bot des Han dels<br />

mit „Fein deslän dern“, ge gen das hier<br />

verstoßen werde.<br />

„Beweismittel legen nahe, dass die<br />

meis ten in Israel verbrauchten Pista zien -<br />

kerne aus dem Iran stammen und illegal<br />

importiert werden.“ Trotz der engen po -<br />

litischen und wirtschaftlichen Bezie -<br />

hun gen zwischen israel und den USA<br />

stelle sich heraus, dass amerikanische<br />

Pistazienproduzenten nur fünf Pro zent<br />

des israelischen marktes beliefern.<br />

Die Angelegenheit sei schon mehrfach<br />

bei Gesprächen mit israel aufgeworfen<br />

worden. Doch israel habe ge -<br />

genüber den Amerikanern behauptet,<br />

dass 83% der von israel importierten<br />

Pistazien aus der Türkei stammen.<br />

Das könne nicht stimmen, be hauptet<br />

der Botschafter aufgrund eingehender<br />

amerikanischer Prüfun gen. „Ein<br />

Löwenanteil, wenn nicht alles, stammt<br />

aus dem Iran“, behauptet Jones und be -<br />

klagt, dass so dem iran harte Devisen<br />

aus israel zugute kämen, auf Kosten<br />

der amerikanischen Pista zien kern -<br />

industrie und im deutlichen Wi der -<br />

spruch zu israelischen Gesetzen wie<br />

der Außenpolitik. in der offiziellen<br />

amerikanischen note wird Fi nanz mi -<br />

nister Roni Bar-On aufgefordert die ei -<br />

genen Gesetze zu befolgen. Zu sätz lich<br />

bieten die Amerikaner Hilfe an. Sie<br />

wollen israelische Zöllner schu len,<br />

zwischen iranischen und amerika ni -<br />

schen Pistazien zu unterscheiden.<br />

nachfragen bei offiziellen israelischen<br />

Sprechern, ob der iran tatsächlich<br />

und offiziell von israel zum<br />

„Feindes land“ erklärt worden sei, mit<br />

dem kein Han del getrieben werden<br />

dürfe, brachte keine konkreten Er geb -<br />

nisse. Der Spre cher des Außen mi nis -<br />

te ri ums, Ari eh Me kel, sagte auf An -<br />

frage: „Selbst ver ständ lich ist der Iran ein<br />

Feind, wenn der uns vernichten will.“<br />

Doch von ei nem formalen Beschluss<br />

und einem entspre chenden Handels -<br />

ver bot wuss te er nichts.<br />

Auch die Sprecherin des Finanz mi -<br />

nisteriums konnte nicht bestätigen,<br />

ob Handel mit dem iran tatsächlich<br />

verboten sei, zumal israel stillschweigend<br />

und teilweise heimlich einen<br />

blühenden Handel mit feindseligen<br />

arabischen Staaten, darunter auch Sy -<br />

rien, betreibe. Dem amerikanischen<br />

Bot schafter scheint es deshalb weniger<br />

um illegale israelische Unterstüt zung<br />

der iranischen Kernindustrie zu ge -<br />

hen, <strong>als</strong> vielmehr um den Versuch,<br />

amerikanischen Pistazienherstellern<br />

zu besseren Geschäften zu verhelfen.<br />

Ulrich W. Sahm/APA<br />

Central Park für Jerusalem<br />

Die Behörde für Stadtentwicklung in<br />

Jerusalem (JDA) gestaltet den „Park<br />

der Unabhängigkeit“ (Gan Ha’azmauth)<br />

nach dem Vorbild des new Yorker<br />

Central Park um. neben verbesserten<br />

Beleuchtungsanlagen werden neue<br />

Cafés und Verkaufsstände sowie eine<br />

Bühne für Kulturveranstaltungen<br />

gebaut, der muslimische Friedhof res -<br />

tauriert und ein Wasserpark errichtet.<br />

Mit ‘Korean Air’ nach Tel Aviv<br />

mehr <strong>als</strong> 40.000 Koreaner besuchten<br />

israel vergangenes Jahr. Jetzt springt<br />

Korean Air auf den Trend und fliegt<br />

<strong>als</strong> erste asiatische Airline is rael an.<br />

Drei Flüge von Seoul nach Tel Aviv<br />

starten wöchentlich ab Ok to ber.<br />

Israels OECD-Mitgliedschaft rückt näher<br />

israel hat die erste Stufe für den Bei tritt zur Organisation für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit und Ent wicklung (OECD) erfolgreich hin ter sich ge -<br />

bracht. in diesem Stadium hat sich das Land die recht lichen Grundlagen für<br />

die mit gliedschaft in Bezug auf Politik, Ge setzgebung und Umsetzung zu Ei -<br />

gen gemacht.<br />

Die OECD hatte israel im mai 2007 dazu eingeladen, den Bei tritts prozess<br />

zu starten. Es ist beabsichtigt, die Standards der Organisa ti on bis Ende 2009<br />

vollständig zu erfüllen. Finanzminister Ronnie Bar-On teilte mit, dass die<br />

Tat sa che, dass israel die erste Stufe während einer Periode wirtschaftlicher<br />

Un si cherheit hinter sich gebracht hat, seine wirtschaftlichen Vorteile unterstreiche.<br />

israel sei bereits seit Jahren den höchsten internationalen Stan -<br />

dards verpflichtet.<br />

Haaretz<br />

Weitere Informationen stellt das israelische Finanzministerium unter dem folgenden Link<br />

zur Verfügung: http://www.oecd.gov.il/<br />

20 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • ISRAEL<br />

Eklat um<br />

Obama-Gebet<br />

Ulrich W. Sahm<br />

Als „Lausbubenstreich“ bezeichnete<br />

ein frommer Talmudschüler die Ent -<br />

fer nung eines privaten Gebets des Se -<br />

na tors Brack Obama aus einer Ritze in<br />

der Jerusalemer Klagemauer. Un -<br />

kennt lich gemacht gestand der reuige<br />

Schüler im 2. israelischen Fernseh ka -<br />

nal, den Zettel der Zeitung ‘maariv’<br />

übergeben zu haben, die ihn mitsamt<br />

Abbildung und vollem Text veröffent -<br />

lichte. Die Konkurrenzzeitung ‘Ye di -<br />

ot Achronot’ verzichtete aus „Pietät“<br />

darauf, den Brief zu veröffentlichen.<br />

Obamas Gebet, auf einem Briefbo -<br />

gen des King David Hotels handschriftlich<br />

geschrieben, lautete: „Herr,<br />

schütze mich und meine Familie, vergebe<br />

mir alle Sünden und behüte mich vor<br />

Stolz und Verzweiflung, lass mich ge recht<br />

und fair sein und mache mich zu einem<br />

Werk zeug Deines Willens."<br />

Die Entwendung und Veröffent li -<br />

chung des „privaten Kontakts mit<br />

dem Schöpfer“ wurde vom<br />

verantwort lichen Rabbiner der<br />

Klagemauer, Shmuel Rabinowitz, <strong>als</strong><br />

„Sakrileg“ verurteilt. Eine israelische<br />

Zeitung be hauptete gar, dass Obama<br />

eine Kopie seines Briefes im Hotel<br />

hinterlassen habe, damit er veröffentlicht<br />

werde. Obamas Delegation habe<br />

auf den Frevel nicht reagiert. in der<br />

internationalen Presse machte<br />

Obamas Brief an den lieben Gott große<br />

Schlag zei len.<br />

Während der Originalbrief Obamas<br />

inzwischen an die verwantwortliche<br />

„Kla gemauer Erbstiftung“ zurückgegeben<br />

worden sei, damit er ganz tief<br />

in eine der Ritzen zwischen den herodianischen<br />

Steinquadern gesteckt<br />

werde, machen sich die Kla ge mau er -<br />

behörden weiterhin Sorgen um den<br />

Ver trauensbruch. Das hat auch finanzielle<br />

Gründe, denn verschiedene Fir -<br />

men bieten an, per Email oder Fax ge -<br />

schickte „Briefe an Gott“ entgegen zu<br />

nehmen und in eine Ritze zu stecken.<br />

Eine britische Firma bietet diesen<br />

Post botendienst zum göttlichen Post -<br />

fach für „nur“ 9,99 US-Dollar pro<br />

Zettel an, bezahlbar mit Kreditkarte<br />

oder Paypal.<br />

nach Angaben von Rabbi Rabi no -<br />

witz, dienen die Zettel einem intimen<br />

Dialog des Gläubigen mit seinem<br />

Schöpfer und dürften nicht von anderen<br />

menschen angeschaut werden.<br />

Zweimal im Jahr vor jüdischen Fei er -<br />

tagen werden die Ritzen geleert und<br />

die Zettel zu einem bewachten Auf -<br />

be wahrungsort gebracht.<br />

Zettel mit persönlichen Fürbitten<br />

an Gott in die Ritzen<br />

Längerer<br />

der Klagemauer<br />

Reservedienst<br />

Der Knesset-Aus schuss<br />

für Außen po litik und<br />

Sicherheit entschied,<br />

dass das Höchstalter<br />

für den Reser ve dienst<br />

in der israelischen Ar -<br />

mee bei einigen Be rufs -<br />

zweigen heraufgesetzt<br />

wird.<br />

Laut Gesetz können Soldaten bis<br />

zum Alter von 40 Jahren eingezogen<br />

werden, Offiziere bis 45. Auf Antrag<br />

von Verteidigungsminister Ehud Ba rak<br />

wurde dies nun ausgeweitet. Be trof -<br />

fen sind Berufs grup pen, an de nen in<br />

der Armee mangel herrscht oder die<br />

in besonderer Weise Fach wis sen und<br />

Erfahrung vorweisen. Dies be zieht<br />

sich auf alle me di zinischen Spar ten,<br />

mi li tärrabbiner, Fahrer und Techni ker,<br />

berichtet die Tageszeitung ‘ma’ ariv’.<br />

Für die kommenden drei Jahre soll<br />

das Höchstalter der Offizie re bei 49<br />

Jah ren liegen. nach dem Reserve -<br />

dienst gesetz vom April <strong>2008</strong> sollen<br />

einfache Soldaten in dieser Zeit bis zu<br />

zu stecken, sei eine „alte jüdische Sit te“.<br />

Gleichwohl wurde die Klage mau er<br />

erst ab 1520 Bestandteil jüdischer<br />

Gläu bigkeit. Vorher beteten Juden an<br />

anderen Stellen ihrem eigentlichen<br />

Heiligtum zugewandt, dem von den<br />

Römern im Jahr 70 zerstörten Tempel<br />

auf dem Tempelberg.<br />

Obama hatte am frühen morgen die<br />

Klagemauer aufgesucht, unmittelbar<br />

vor seinem Abflug in Richtung Ber lin.<br />

54 Tagen dienen. Für Soldaten mit Füh -<br />

rungsaufgaben liegt die Obergrenze<br />

bei 70 Tagen, für Offiziere bei 84 Ta gen.<br />

Ein Reservist soll höchstens ein einziges<br />

mal in diesen drei Jahren für<br />

einen tatsächlichen militärischen Ein -<br />

satz rekrutiert werden. Sonst stehen<br />

Übungen und ähnliches auf dem Pro -<br />

gramm. Eine Ausnahme ist möglich,<br />

wenn die Sicherheitslage einen Ein -<br />

satz der Reservedienstler erfordert.<br />

Dann kann diese Regel aufgehoben<br />

werden, wenn der Ausschuss einen<br />

ent sprechenden Entschluss fasst. in ei -<br />

nem akuten notfall können Regie rung<br />

und Verteidigungsminister über dies<br />

weitere Reservisten einziehen inn<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 21


POLITIK • ISRAEL<br />

Ein vermeintliches Friedensan ge -<br />

bot des israelischen Regierungs -<br />

chefs Ehud Olmert an die Palästi nen ser<br />

hat in eu ro päischen medien schon zu<br />

Hoffnun gen und Analysen über Sinn<br />

oder Un sinn der initiative geführt.<br />

Doch im Augenblick gibt es gar keinen<br />

Frie dens plan, sondern nur einen Zei -<br />

tungs artikel von Aluf Benn in ‘Haa-<br />

retz’.<br />

Olmerts vermeintliches<br />

Friedensangebot – ein Ladenhüter<br />

Analysen erübrigen sich<br />

September 2002 - Israelische<br />

Caterpillar zerstören die Reste<br />

von Yassir Arafat's Mukata.<br />

Dem Autor wurde angeblich ein Pa -<br />

pier der von israels Außenmi nis te rin<br />

Tzipi Livni mit dem ehemaligen pa -<br />

läs tinensischen minis ter präsi den ten<br />

Ahmed Korei streng geheim geführten<br />

Verhandlungen zugespielt. nicht aus -<br />

zuschließen ist, dass dieses Papier bei<br />

einem der regelmäßigen Treffen von Ol -<br />

mert mit dem palästinensischen Prä si -<br />

denten mahmoud Abbas ausgetauscht<br />

oder mitgeschrieben worden ist.<br />

Eigentlich erübrigen sich jegliche<br />

Ana lysen, nachdem Abbas den Vor -<br />

schlag <strong>als</strong> „gänzlich inakzeptabel“<br />

be zeichnet hat. Chefverhandler Saeb<br />

Erekat ging noch einen Schritt weiter<br />

und bezeichnete den von ‘Haaretz’<br />

veröffentlichen Geheimplan <strong>als</strong> „Hau -<br />

fen von Halbwahrheiten, zusammengebastelt<br />

aus Bruchstücken der Verhand lun gen“.<br />

neben der völligen Ablehnung des<br />

ver meintlichen Angebots und nach in -<br />

fra ge stellung des Wahrheits ge halts<br />

Ständiges<br />

Wachstum<br />

illegaler<br />

Einwohner<br />

israels migrations- und<br />

Einwohner be hör de mel -<br />

dete, dass in israel<br />

250.000 illegale Ein woh -<br />

ner leben und deren<br />

Zahl mo nat lich um 2.000<br />

wächst. in der Statistik<br />

einbegriffen sind 90.000<br />

menschen, die in israel<br />

<strong>als</strong> Touristen eingereist<br />

der Angaben in dem ‘Ha a retz’-Arti kel<br />

wir ken auch die ver öf fent lichten in -<br />

halte nicht sehr neu.<br />

Aus alt mach neu<br />

Die idee, dass israel den Paläs ti nen sern<br />

93 Prozent der Fläche des besetzten<br />

Westjordanlandes überlässt und den<br />

Rest mit den Großsiedlungen an nek -<br />

tiert, ist eine uralte idee. Sie war schon<br />

in einem kurz gefassten Frie dens plan<br />

In Neve Sha'anan, einem Viertel beim Bus-Bahn hof in Tel Aviv,<br />

befindet sich das Rotlicht-Milieu und der Treffpunkt für Arbeits -<br />

suchende ohne Arbeitserlaubnis.<br />

sind, 120.000 Arbei ter ohne Arbeitserlaubnis und 10.000 illegale Grenz über -<br />

gänger. Über die fehlenden 30.000 Leute machte die Behörde keine Anga ben.<br />

Jedes Jahr überziehen 5.000 Tou risten ihre Visa, hieß es. Jeden monat<br />

infiltrieren 400 bis 500 illegale Grenz übergänger israels südliche Grenze.<br />

Wei ter hin hieß es in dem Bericht, dass eine Sonderabteilung die Ehen zwischen<br />

is raelis und Personen, die ei nen legalen Status in israel beantragt ha -<br />

ben, prüft. Von 100 geprüften Fällen hätten sich 70 <strong>als</strong> Scheinehen herausgestellt.<br />

© BP<br />

© Gili Yaari / FLASH 90 s<br />

von US-Präsident Bill Clin ton enthalten,<br />

der am 23. Dezember 2000 veröffentlicht<br />

worden ist. israel ak zep tierte<br />

grundsätzlich das Papier, wäh rend<br />

Prä sident Yasser Arafat es zu nächst ab -<br />

lehnte und dann doch im April 2002<br />

akzeptierte, <strong>als</strong> die israelis sein Haupt -<br />

quartier, die mukata in Ra mal lah, ge -<br />

stürmt und halb zerstört hatten. Auch<br />

die idee, dass israel ein entsprechend<br />

großes Gebiet bei Gaza den Palästi nen -<br />

sern im Tausch überlas se, ist nicht neu.<br />

US-Präsident George W. Bush hatte<br />

dem ehemaligen israeli schen Premier<br />

Ariel Sharon schriftlich zugestanden,<br />

dass die großen Sied lungs blöcke auf<br />

be setztem Gebiet bei israel bleiben<br />

dürften.<br />

Weiter berichtete ‘Haaretz’ über ein<br />

israelisches Zugeständnis einer Land -<br />

verbindung zwischen dem Ga za-Strei -<br />

fen und dem Westjordanland. Eine<br />

solche „sichere Passage“ wurde schon<br />

im Rahmen der Oslo-Verträge zwischen<br />

Arafat und Premier Yitzhak<br />

Rabin ausgehandelt. Die dam<strong>als</strong> aufgestellten<br />

Straßenschilder stehen heu te<br />

noch. Die drei alternativen Pas sa gen<br />

wurden jedoch nie verwirklicht, da die<br />

Palästinenser „aus Gründen der Ehre“<br />

verlangten, dass palästinensische Po li -<br />

zisten israelisches Territo rium mitsamt<br />

ihren Dienstwaffen ungeprüft passieren<br />

dürften. nachdem zwei palästinensische<br />

Polizisten mit ihren Dienst -<br />

waf fen tödliche Anschläge in Je rusa -<br />

lem ausgeführt hatten, erübrigte sich<br />

die weitere Umsetzung der „si che ren<br />

Passage“.<br />

22 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • ISRAEL<br />

15 Jahre Verhandlungen -<br />

Unausgewogene Bereitschaft<br />

Auch die anderen vermeintlich „neu-<br />

en“ Vorschläge erweisen sich <strong>als</strong> La -<br />

den hü ter. Sie wurden mehrm<strong>als</strong> aus -<br />

dis ku tiert oder scheiterten bei der Ver -<br />

wirk lichung. israelis und Palästi nen ser<br />

verhandeln nun schon seit 15 Jahren.<br />

Die zwingenden Gesetze der Geo gra -<br />

fie lassen nur wenig Spiel raum. Die<br />

Wirklichkeit schafft ständig neue Hin -<br />

dernisse: der Aufstand der zwei ten<br />

intifada, der Hamas-Putsch in Gaza<br />

und die ständige Ausweitung der is -<br />

ra elischen Siedlungen im West jor -<br />

dan land. Die Kernpositionen in entscheidenden<br />

Fragen wie „Rück kehr<br />

der Flüchtlinge“ oder Jerusalem bleiben<br />

unverändert. Deshalb sind wohl<br />

auch in Zukunft keine große Überraschungen<br />

zu erwarten.<br />

Dennoch wird im mer wieder nur<br />

is ra el wegen mangelnden nach ge bens<br />

kritisiert, ob gleich ein palästinensischer<br />

Friedensplan noch nie veröffent -<br />

licht worden ist. Bekannt sind nur die<br />

palästinensischen maximalfor de run -<br />

gen, zumal die Palästinenser behaupten,<br />

ihre „großen Konzessionen“<br />

doch längst gemacht zu haben, ind em<br />

sie den Staat israel „auf ihrem Land“<br />

akzeptiert hätten. So bleibt es bei den<br />

üblichen Forderungen nach einem to -<br />

talen israelischen Rückzug hinter die<br />

sogenannte „Grenze von 1967“ (die<br />

frei lich nur eine israelisch-jordanische<br />

Waffenstillstandslinie war), ei nem<br />

Ab bau aller Siedlungen, der Über ga -<br />

be von ganz Ostjerusalem und einer<br />

Rück kehr aller Flüchtlinge nach Kernisrael<br />

und nicht etwa in den künftigen<br />

palästinensischen Staat. Wäh rend ei -<br />

ne israelische „Friedens be reit schaft“<br />

in den Verhandlungen am Aus maß der<br />

Konzessionen an die Paläs tinenser<br />

ge messen wird, gibt es nach Ansicht<br />

ihrer Kritiker keine vergleich bare<br />

mess latte für die „Frie dens b e reit -<br />

schaft“ der palästinensischen Seite.<br />

Ulrich W. Sahm<br />

Olmert geht und bleibt<br />

Kommentar von Ulrich W. Sahm<br />

Die Opposition hat die Aufgabe, den amtierenden Ministerpräsidenten zu stürzen. So<br />

sieht man es in Israel. Das ist ein krankes Demokratiever ständ nis, zumal in Israel alle<br />

Mittel recht sind, den Sturz des Premiers herbeizuführen. Da reicht schon eine Be -<br />

schwer de bei der Polizei oder auch nur ein Zeitungsartikel. Die goldene Regel des sub<br />

judice, <strong>als</strong>o während Er mittlungen oder Verfahren nichts zu veröffentlichen, ist in Is -<br />

ra el längst abgeschafft. Zeitungen drucken Wort protokolle von Verhören ab und das<br />

Fernsehen bringt Mitschnitte der Po li zeikameras. So wurde Olmert öffentlich vorverurteilt,<br />

noch ehe die Polizei genügend Belastungsmaterial gesammelt hat, um eine An -<br />

kla ge gegen ihn zu formulieren. Ähnlich erging es auch schon Olmerts Vorgängern im<br />

Amt.<br />

Das Aufatmen über Olmert Versprechen, nach der Wahl eines neuen Vorsitzenden<br />

der Kadima-Partei und dessen Ernennung zum Regierungschef sein Amt aufzugeben,<br />

währte nur kurz. Denn ganz schnell stellte sich heraus, dass Olmert möglicherweise<br />

noch viele Monate, vielleicht gar bis Februar oder März im Amt bleiben könnte, <strong>als</strong> un -<br />

stürzbarer „Übergangspremier“, der nicht einmal dem Parlament Rechenschaft schuldig<br />

wäre.<br />

In einer Region, wo jederzeit Krieg aus -<br />

brechen kann, wo ein Mili tär schlag ge gen<br />

Iran debattiert wird, wo Frie dens ge sprä -<br />

che geführt werden, deren Kon se quen zen<br />

oder voreilige Konzessionen das Schick sal<br />

von Millionen Menschen be siegeln könn -<br />

ten, ist eine derartige In sta bilität be son -<br />

ders an der Spitze Is raels ein extrem<br />

gefährlicher Zustand.<br />

Die Israelis sollten ihre Minis ter prä -<br />

sidenten wegen ihrer Politik beurteilen<br />

und kritisieren. Korruptionsverdacht, so schlimm der auch sein mag, sollte erst öffentlich<br />

debattiert werden, sowie da tatsächlich etwas nachgewiesen wurde. Es ist absurd,<br />

dass Olmert politisch das Debakel des <strong>als</strong> Niederlage empfundenen Libanonkriegs über -<br />

stehen konnte, jetzt aber wegen nicht nachgewiesener Korruption den Hut nehmen<br />

muss und dennoch mindestens ein halbes Jahr lang im Amt bleiben könnte.<br />

Israel ist nicht irgend ein Land. Die ins politische System Israels eingebaute Unver -<br />

ant wortlichkeit kann verheerende Auswirkungen auf die ganze Region und damit der<br />

Welt haben.<br />

Neue Behörde für Einwanderung und Grenzkontrollen<br />

israel hat eine neue Behörde für die<br />

Kontrolle seiner Grenzen einrichtet.<br />

in der „Nationalen Einwanderungs be -<br />

hörde“ würden die Kontrollen der<br />

Grenzüber tritte und der Einwande -<br />

rung zusammengefasst, teilte ein Spre -<br />

cher des innenminis te riums, Hanan<br />

Schlain, in Jerusalem mit. Ziel der<br />

Schaffung der neuen Be hör de sei es,<br />

die „nationale Sicherheit“ zu erhöhen.<br />

Die Behörde untersteht den Angaben<br />

zufolge innenminister Meir Sheetrit<br />

und ist in 16 verschiedene Unter or -<br />

ganisationen gegliedert.<br />

Sheetrit habe „keinen Zweifel, dass so<br />

besser kontrolliert wird, wer nach Israel<br />

ein- und ausreist“. Die Einwande rungs -<br />

behörde umfasse mehr <strong>als</strong> tausend<br />

mit ar bei ter: Polizisten, Grenzbeamte<br />

und Beamte des innenministeriums.<br />

Zudem verfüge das Amt über ein<br />

zen trales Computersystem. in israel<br />

kommen zunehmend Flüchtlinge aus<br />

Afrika an, die mit Hilfe von Schlep pern<br />

über den Sinai ins Land gelangen.<br />

Dutzende Flüchtlinge waren in den<br />

vergangenen monaten von der ägypti -<br />

schen Polizei festgenommen worden.<br />

Einige wurden bei ihrem Versuch,<br />

über die Grenze zu gelangen, getötet.<br />

Lediglich 600 Flüchtlinge aus Darfur<br />

genießen in israel Asyl. APA/AFP<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 23


Die wahre Nakba<br />

Von Shlomo Avineri<br />

POLITIK • ISRAEL<br />

Al-Arroub Flüchtlingslage in der Nähe von Hebron, 15. Mai <strong>2008</strong> – Die Palästinenser begehen<br />

„Nakba“, in ihren Augen den „Tag der Katastrophe“.<br />

Wenn die Palästinenser am 15. mai<br />

an das erinnerten, was sie die „nak -<br />

ba“ (Katastrophe) nennen, täten sie<br />

gut daran, in Betracht zu ziehen, dass<br />

ihr wahres Versagen nicht im Jahr<br />

1948 stattfand: Es fand bereits früher<br />

statt. Und auch heute noch findet es<br />

statt. Die wahre nakba geschieht je -<br />

den Tag und zu jeder Stunde vor<br />

unseren - und ihren - Augen. Und der<br />

gewalttätige Putsch der Hamas im<br />

Gaza-Strei fen ist nur das jüngste Bei -<br />

spiel dafür.<br />

Während sich Palästinenser - nicht<br />

ganz zu Unrecht - <strong>als</strong> die Opfer der<br />

zio nistischen Bewegung und deren<br />

er folgreicher Gründung eines jüdischen<br />

Staates im Land israel sehen,<br />

sollten die Gründe für ihr historisches<br />

Versagen anderswo gesucht werden,<br />

nämlich in der Unfähigkeit der paläs -<br />

tinensischen nationalbewegung, ein<br />

politisches und soziales institutionelles<br />

Rahmenwerk zu schaffen, das die<br />

notwendige Basis für jeden Aufbau<br />

einer nation ist. Die Geschichte na -<br />

tionaler Bewegungen lehrt uns, dass<br />

nationales Bewusstsein - so stark es<br />

auch sein mag - nicht ausreicht: Be we -<br />

gungen, die kein institutionelles Sys -<br />

tem schaffen konnten, das<br />

lebenswich tig für ihren Erfolg ist,<br />

sind gescheitert.<br />

Es wäre ein Fehler, die Stärke der<br />

pa lästinensischen nationalbewegung<br />

zu unterschätzen, wie es nicht wenige<br />

mitglieder des zionistischen Lagers<br />

in der Vergangenheit taten. Und auch<br />

heute noch machen viele diesen Feh -<br />

ler. Es war Chaim Arlozoroff - dam<strong>als</strong><br />

ein junger mann Anfang 20 -, der be -<br />

reits 1921 erkannte, dass die zionistische<br />

Bewegung nicht etwa einer<br />

Reihe gewalttätiger Ereignisse gegenüberstand,<br />

sondern einer nationalbewe<br />

gung.<br />

Die palästinensische nationalbe we -<br />

gung wurde jedoch von vielen Feh lern<br />

begleitet, die in der Unfähigkeit wurzelten,<br />

ein Rahmenwerk aus Konsens<br />

und Solidarität zu bilden. Diese Feh -<br />

ler schwächten und zersplitterten die<br />

Bewegung. Und es scheint, dass dies<br />

ein Problem ist, das die Palästinenser<br />

bis heute nicht lösen konnten.<br />

Die erste und schärfste manifestie -<br />

rung dieses Fehlers ereignete sich in<br />

den Jahren 1936 bis 1939 während des<br />

palästinensischen Aufstandes gegen<br />

die britische Herrschaft. Diese Re bel -<br />

lion scheiterte nicht nur, weil sie brutal<br />

von den britischen Kolonialbehör<br />

den unterdrückt wurde oder weil<br />

es den Truppen der Haganah (der vor -<br />

staatlichen Untergrundarmee) ge lang,<br />

den Yishuv (die jüdische Ge mein -<br />

schaft in Palästina) zu verteidigen.<br />

Son dern sie versagte, weil die Pa läs -<br />

tinenser nicht fähig waren, insti tu ti o -<br />

nen zu errichten, die von allen Teilen<br />

der arabischen Gesellschaft im Land<br />

akzeptiert wurden. Und <strong>als</strong> interne<br />

Streitigkeiten wegen der natur des<br />

Kampfes aufkamen, entwickelte sich<br />

aus der Rebellion ein inner-palästinen -<br />

sischer Bürgerkrieg. Es starben mehr<br />

Palästinenser durch rivalisierende be -<br />

waffnete Palästinensermilizen <strong>als</strong><br />

durch Kämpfe mit der britischen Ar -<br />

mee oder der Haganah. innerhalb der<br />

palästinensischen Gesellschaft gibt es<br />

die Tendenz, die Erinnerung an diesen<br />

gewaltsamen Kampf, der zwischen<br />

den milizen der Husseinis und denjenigen<br />

der nashashibis stattfand, zu<br />

unterdrücken. Doch die Unter drüc -<br />

kung dieser Erinnerung verstärkt nur<br />

das Versagen und macht es schwerer,<br />

aus den Fehlern zu lernen.<br />

Ein ähnlicher Fehler ereignete sich<br />

im Jahr 1948: Obwohl die mehrheit der<br />

palästinensischen Gesellschaft gegen<br />

den Teilungsplan war, wie er am 29.<br />

no vember 1947 von den Vereinten<br />

nationen verabschiedet worden war,<br />

erwiesen sich die Palästinenser <strong>als</strong> un -<br />

fähig, einen vereinten militärischen<br />

und politischen Apparat für die Kon -<br />

frontation mit dem Yishuv zu schaffen.<br />

Das Arabische Höhere Komitee<br />

war niem<strong>als</strong> mehr <strong>als</strong> eine Gruppe<br />

traditioneller Würdenträger. Und es<br />

beaufsichtigte kein effektives System,<br />

das mit dem „Staat im Werden“ des<br />

Yishuv vergleichbar gewesen wäre.<br />

Der gewalttätige palästinensische Wi -<br />

derstand gegen den Teilungsplan be -<br />

24 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


POLITIK • ISRAEL<br />

stand aus Angriffen durch bewaffnete<br />

milizen in der Gegend von Je ru salem,<br />

in Galiläa und in Yafo, mi lizen, die<br />

oh ne zentrale Koordination und Füh -<br />

rung operierten.<br />

Die palästinensische niederlage<br />

war zum großen Teil das Ergebnis ei -<br />

ner Unfähigkeit, ein zentrales mili tär -<br />

kommando einzurichten. Die Führer<br />

der milizen - Abdel Qader al-Husseini,<br />

Fawzi al-Qawuqji, Hassan Salameh -<br />

gehorchten niem<strong>als</strong> irgendeiner zentralen<br />

Autorität. Und wenn der Yi shuv<br />

die milizen „Banden“ nannte, so hat te<br />

dieser Begriff natürlich einen propagandistischen<br />

Wert, doch er enthielt<br />

auch eine menge Wahrheit.<br />

Jeder, der mit der Geschichte des Yi -<br />

shuv vertraut ist, mag nun – zu Recht<br />

- sagen, dass die Juden ihre eigenen<br />

Splittergruppen hatten, die sich weigerten,<br />

die Autorität der mehrheit, die<br />

sich selbst „der organisierte Yishuv“<br />

nannte, anzuerkennen. Dies ist natürlich<br />

wahr. Doch in kritischen mo men -<br />

ten war es David Ben-Gurion, der<br />

schicksalhafte Entscheidungen traf<br />

und somit die Einheit des Kom man dos<br />

und der politischen Legitimität si -<br />

cherte. Der Altalena-Fall (eine gewalttätige<br />

Konfrontation im Jahr 1948<br />

zwischen den neu gegründeten israe -<br />

li schen Verteidigungsstreit kräften<br />

und der irgun, einer der vorstaatli chen<br />

milizen) war der Wendepunkt in dieser<br />

Angelegenheit. Und somit garantierte<br />

der flügge gewordene Staat, was<br />

der deutsche Soziologe max Weber<br />

<strong>als</strong> Wesensmerkmal der staatlichen<br />

Sou veränität definierte: die Existenz<br />

eines monopols, das auf der legitimen<br />

Anwendung von Gewalt basiert. in der<br />

arabischen Gemeinschaft im Palästi na<br />

von 1948 geschah dies nicht.<br />

Die Konsequenzen waren schnell<br />

zu sehen: Es gab nicht nur Versagen im<br />

Kampf mit dem Yishuv, sondern auch<br />

eine Unfähigkeit, aus der niederlage<br />

wenigstens einen Rest an nationaler<br />

Autorität herauszuziehen. Hätte die<br />

arabische Gemeinschaft eine Führung<br />

mit deutlicher Legitimität gehabt,<br />

wäre sie wahrscheinlich fähig gewesen,<br />

eine palästinensische nationale<br />

Einheit in den Teilen Palästinas zu<br />

schaf fen, die unter arabischer Kon trol -<br />

le geblieben waren. Doch selbst <strong>als</strong> man<br />

eine „Ganz-Palästina-Regie rung“ in<br />

Gaza mit dem mufti <strong>als</strong> Oberhaupt<br />

gründete, war dies nur eine ägyptische<br />

marionettenregierung, die niem<strong>als</strong><br />

ihre Autorität im Westjordanland<br />

durchsetzen konnte, das dam<strong>als</strong> un -<br />

ter jordanischer Kontrolle war. Und<br />

somit verschwand diese Regierung<br />

bald. Die palästinensische Geschichte<br />

wäre wohl anders verlaufen, wenn<br />

die Palästinenser-institutionen und ein<br />

Organisationssystem gehabt hätten,<br />

die fähig gewesen wären, die ägyptische<br />

Besatzung des Gaza-Streifens und<br />

die jordanische Annexion des West jor -<br />

danlandes zu konfrontieren und die<br />

versucht hätten, selbst aus den Trüm -<br />

mern der niederlage von 1948 einen<br />

palästinensischen Staat aufzubauen.<br />

Wenn sie dieser Reihe von Fehlern<br />

ge genüberstehen, tendieren die Pa läs -<br />

tinenser dahin, sie ihrer eigenen<br />

Schwäche und den schwierigen Be -<br />

din gungen, die nach der militärischen<br />

niederlage durch israel vorherrschten,<br />

zuzuschreiben. Gewissermaßen mag<br />

dies wahr sein, doch es ist irrelevant.<br />

nationale Bewegungen werden nicht<br />

unter vorteilhaften Bedingungen ge -<br />

gründet. Sie stehen immer einem<br />

Feind, fremden Herrschern, einer Be -<br />

satzung gegenüber. Wir müssen nicht<br />

sehr weit gehen, um das palästinensische<br />

Scheitern mit dem Erfolg der al -<br />

ge rischen nationalbewegung zu vergleichen.<br />

Letztere trat einem Besat -<br />

zung s regime gegenüber, das weitaus<br />

stärker und grausamer war <strong>als</strong> die zionistische<br />

Bewegung. Und doch ge lang<br />

es ihr, ein organisatorisches, diplo ma -<br />

tisches und militärisches System zu<br />

schaffen, das nicht nur erfolgreich die<br />

Franzosen konfrontierte, sondern auch<br />

fähig war – allerdings nicht ohne Pro -<br />

bleme –, einen unabhängigen algerischen<br />

Staat zu gründen.<br />

Der De-facto-Bruch der palästinensischen<br />

Autonomiebehörde, der dem<br />

Hamas-Putsch im Gaza-Streifen folgte,<br />

ist die Ausweitung des palästinensischen<br />

Versagens. Doch selbst jetzt nei -<br />

gen die Palästinenser dazu, israel, den<br />

Amerikanern, der internationalen<br />

Ge meinschaft die Schuld zu geben.<br />

Wahr ist jedoch, dass die wesentliche<br />

Verantwortung ultimativ bei den Pa -<br />

läs tinensern selbst liegt. Wahlen wurden<br />

abgehalten. Die Hamas gewann,<br />

die Fatah verlor – und beide Gruppen<br />

waren unfähig, einen Rahmen aufzurichten,<br />

dessen Legitimität von beiden<br />

Seiten akzeptiert worden wäre. Fatah<br />

und Hamas sind schließlich nicht nur<br />

zwei Parteien, die innerhalb eines de -<br />

mo kratischen Konsenses operieren.<br />

Sie sind auch bewaffnete milizen, und<br />

ihre Stärke bei den Wahlen wurzelt<br />

zum großen Teil in ihrer militärmacht.<br />

Alle pan-arabischen Versuche, sie zu<br />

ver einen - wie das mekka-Ab kom men,<br />

das im vergangenen Jahr von Saudi-<br />

Arabien ausgehandelt wurde -, scheiterten<br />

angesichts dieser Realität, die<br />

zeigt, dass die macht in der palästinensischen<br />

Gesellschaft im Grunde aus<br />

dem Gewehrlauf kommt (wie mao Tse-<br />

Tung einmal in einem anderen Zu sam -<br />

menhang sagte).<br />

Der gewalttätige militärputsch der<br />

Hamas im Gaza-Streifen gegen etwas,<br />

von dem angenommen worden war,<br />

es sei der Ort der palästinensischen Le -<br />

gi timität, ist nur eine Wiederholung -<br />

unter anderen Bedingungen - der pa -<br />

läs tinensischen Bandenkriege aus den<br />

Jahren 1938 und 1939. Die Tatsache,<br />

dass es kein modell für einen folgenden<br />

arabischen demokratischen Staat<br />

gibt, hilft ebenfalls nicht eben weiter.<br />

Um es klar zu machen: Diese Worte<br />

werden nicht geschrieben, um die Le -<br />

gi timität der palästinensischen Bewe -<br />

gung oder das Recht der Palästi nen ser<br />

auf einen Staat in Frage zu stellen. Sie<br />

sind dazu gedacht, ein tief liegendes<br />

internes gesellschaftliches Versagen<br />

aufzuzeigen. Die Palästinenser vermeiden<br />

es, sich diesem Versagen zu<br />

stellen, und viele israelis ignorieren<br />

dies, denn oft wird der israelische Dis -<br />

kurs über das palästinensische The ma<br />

aus der begrenzten Perspektive der<br />

Sicherheitsbedenken geführt. Darü ber<br />

hinaus vermeiden es Teile der israelischen<br />

Linken - die zu Recht durch die<br />

andauernde Besatzung aufgewühlt<br />

sind - aus Gründen der political<br />

correct ness, die Palästinenser selbst<br />

für ihre Situation verantwortlich zu<br />

halten. Doch solch eine<br />

Bevormundung ist nicht hilfreich für<br />

die Palästinenser.<br />

Was jetzt im Gaza-Streifen geschieht,<br />

ist die wahre palästinensische nakba:<br />

die Tendenz, äußeren Faktoren die<br />

Schuld zu geben, lässt die Konturen<br />

verschwimmen. Die palästinensische<br />

Gesellschaft ist eindeutig in not, und<br />

zu großen Teilen auf Grund der 40jäh -<br />

rigen Besatzung. Doch dies ist eine zu<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 25


POLITIK • ISRAEL<br />

einfache Ausrede: in den Jahren nach<br />

1945 wäre es für den Yishuv einfach<br />

gewesen, der britischen Herrschaft,<br />

der arabischen Opposition und dem<br />

Trauma der Schoah die Schuld zu ge ben<br />

und sich im Sumpf der Selbst ge rech -<br />

tig keit zu suhlen und dabei zu erklären,<br />

warum ein jüdischer Staat unter<br />

solch schwierigen Bedingungen nicht<br />

gegründet werden könnte. Doch das<br />

von Herzl geschaffene Rahmenwerk<br />

der zionistischen Bewegung mit ihren<br />

gewählten institutionen, ihrer mehr -<br />

par teienvielfalt, die in einer grundsätzlichen<br />

Solidarität verankert war,<br />

und der Formulierung einer nationalen<br />

Autorität trotz Fällen von Unstim -<br />

mig keiten und Absplitterungen – all<br />

dies lieferte eine organisatorische und<br />

institutionelle Basis, die es möglich<br />

mach te, die menschlichen und<br />

wirtschaft lichen Ressourcen einzusetzen,<br />

die nötig waren, um mit der harten<br />

Re a lität, die auf die Un-Teilungs -<br />

re so lution folgte, umzugehen.<br />

Das Schicksal der Palästinenser ist<br />

nun in der Schwebe, und es liegt in<br />

ih ren eigenen Händen. Diejenigen, die<br />

auf die palästinensische Ge schich te<br />

blicken, werden sich nur schwer vorstellen<br />

können, dass Fatah und Ha -<br />

mas ihren Streit niederlegen und ein<br />

gemeinsames, legitimes Rahmen werk<br />

schaffen werden. Vielleicht können<br />

Ägypten oder Saudi-Arabien die Un -<br />

terzeichnung des einen oder anderen<br />

Schriftstückes - wie z. B. das mekka-<br />

Abkommen - fördern. Doch entscheidend<br />

ist nicht ein Stück Papier, sondern<br />

ein effektives Schultern der Last<br />

einer gemeinsamen Legitimität, die<br />

notwendig ist, um eine nation aufzubauen.<br />

Solch ein Rahmenwerk muss<br />

die Entwaffnung von milizen<br />

beinhal ten und das Betrauen einer<br />

nationa len Autorität mit dem<br />

monopol über die Anwendung von<br />

Gewalt. Ohne dies wird es auch keine<br />

möglichkeit eines Abkommens mit<br />

israel geben, was wichtig für die<br />

Gründung eines palästinensischen<br />

Staates ist.<br />

Diese Dinge sollten deutlich gesagt<br />

werden, so schwer sie auch sein mö -<br />

gen: Wenn die Palästinenser keinen<br />

Weg finden, sich selbst aus ihrer harten<br />

historischen Realität zu be freien,<br />

werden sie am Ende keinen Staat ha -<br />

ben. Dies wird sowohl für sie <strong>als</strong> auch<br />

für israel schlecht sein.<br />

Haaretz/Newsletter israelische Botschaft, Mai <strong>2008</strong><br />

Shlomo Avineri ist Emeritus für Politi sche<br />

Wissenschaften an der Hebräi schen Uni ver -<br />

si tät Jerusalem.<br />

Die<br />

STEINSTELLUNG<br />

f r<br />

SIMON WIDECKI,<br />

den wir alle sehr vermis -<br />

sen,<br />

findet am Sonntag,<br />

21.SEPTEMBER <strong>2008</strong><br />

11.30 Uhr,<br />

statt.<br />

Judith Widecki<br />

Familie Widecki<br />

Familie Feyer<br />

Skeptisch, aber loyal - neuer Demokratie-Index veröffentlicht<br />

Das Guttman Center am israel Democracy institute (iDi) hat Präsident Shimon Peres den Demokratieindex für<br />

<strong>2008</strong> vorgelegt. Er basiert auf einer Umfrage unter 1200 israelis über 18.<br />

Besorgniserregend sind dabei die sinkenden Vertrauenswerte in Hinsicht auf staatliche Einrichtungen, insbesondere<br />

die Regierung (33%) und den Obersten Gerichtshof (69%). Demgegenüber ist das Vertrauen in die israelische<br />

Armee im Vergleich zum Vorjahr leicht gewachsen und liegt nun bei 71%. Die Präsidentschaft von Peres hat das<br />

Ansehen des höchsten Amtes im Staat stark gefördert (47%, im Vorjahr 22%). Das Vertrauen in die Knesset ist hingegen<br />

von 33 auf 29% gesunken. Als primärer Hüter der Demokratie gelten in der Öffentlichkeit die medien.<br />

Peres meinte nach Empfang des indexes: „Die Demokratie in Israel ist in einem guten Zustand, aber unsere demokratischen<br />

Institutionen befinden sich in einer Krise.“ Trotz einiger beunruhigender Statistiken ist die grundsätzliche<br />

Zufriedenheit mit der Demokratie in israel jedoch um knapp 10% gestiegen und liegt nun bei 43%. Dabei sind 80%<br />

stolz darauf, israeli zu sein. 83% gaben an, dass sie langfristig weiterhin in israel zu leben gedenken. Yedioth Ahronot<br />

26 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


Die EU und israel haben ein vorläufiges<br />

Abkommen zur Liberalisierung<br />

ihres Handels mit Agrarprodukten,<br />

ver arbeiteten Agrarprodukten und<br />

Fischereierzeugnissen beschlossen.<br />

Dies teilte die Europäische Kom mis -<br />

sion mit. Das Abkommen folgt einer<br />

vorherigen Übereinkunft beider Sei -<br />

ten vom 30. April <strong>2008</strong> im israelischen<br />

Bet-Dagan, deren technische Einzel -<br />

heiten in den vergangenen monaten<br />

verhandelt wurden.<br />

Diese Vereinbarung sieht eine weit<br />

reichende Reduzierung von bilateralen<br />

Zöllen vor. Auf Grundlage der<br />

Ent scheidung von April müssen auf<br />

beiden Seiten 95% aller verarbeiteten<br />

Agrarprodukte einer vollen Libera li -<br />

sie rung des Handels unterliegen. Bei<br />

den übrigen 5% der sensiblen Pro -<br />

duk te, die rund 5% des Wertes der ge -<br />

han delten Güter ausmachen, habe es<br />

Veränderungen der Einfuhrquoten<br />

und eine Reduzierung der Zölle ge ge -<br />

ben. Hierzu zählen zum Beispiel Ge -<br />

bäck, Wermutwein oder Trauben -<br />

schnäp se. Bei Fisch und Fischerei pro -<br />

dukten sei ebenfalls eine Liberalisie -<br />

rung des Handels beschlossen worden.<br />

Bei eher sensiblen Produkten wie<br />

Früchten, Zucker und Gemüse werde<br />

es Erleichterungen beim markt zu gang<br />

auf beiden Seiten geben, teilte die<br />

Kommission weiter mit. Für Expor -<br />

teu re aus den EU-Län dern bedeute<br />

das Abkommen zahlreiche neue mög -<br />

lichkeiten, den israelischen markt<br />

wettbewerbsfähig zu bedienen.<br />

Der Energiekonzern British Gas (BG) hat<br />

mitgeteilt, dass er wieder mit israel über<br />

den Verkauf der Erdgas vor kom men an<br />

der Küste Gazas verhandeln will. Das<br />

Unternehmen hatte nach dem Schei tern<br />

der Verhandlungen im Ja nu ar israel ver -<br />

lassen. Sowohl das Finanz- <strong>als</strong> auch das<br />

infrastrukturministerium haben sich<br />

seit dem um eine Wieder aufnahme der<br />

Verhandlungen bemüht, um der drohenden<br />

Gasknappheit und der Abhängig -<br />

keit von ägyptischen Liefe run gen Ein -<br />

halt zu gebieten.<br />

„Ich richte mich auf einen langwierigen<br />

Prozess ein“, sagte BG-Generaldirektor<br />

Frank Chap man und verwies auf die<br />

Schwie rig kei ten, die mit dem derzeitigen<br />

Gaspreis zusam men hängen.<br />

BG hatte Ende der 90er-Jahre die<br />

WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />

EU und Israel beschließen<br />

Liberalisierung von Agrarprodukten<br />

Die neue Vereinbarung ist eine<br />

grund legende Änderung der für den<br />

beiderseitigen Handel mit verarbeiteten<br />

Agrarprodukten geltenden Grund -<br />

sätze. Bislang unterlagen die verarbei -<br />

teten Agrarprodukte Handels hem m -<br />

nissen, falls sie nicht auf einer Liste<br />

der von Beschränkungen freigestellten<br />

Positionen stehen. nach in kraft treten<br />

des neuen Abkommens gilt das um -<br />

gekehrte Prinzip: Pro duk te, die nicht<br />

auf der jeweiligen nega tivliste stehen,<br />

kommen in den Genuss der zwi schen<br />

der EU und israel generell geltenden<br />

Freihandels bestim mun gen.<br />

DJ<br />

Wieder Verhandlungen mit British Gas<br />

Kon zession für die Suche nach Öl und<br />

Gas vor der Küste israels erhalten und<br />

im Jahr 2000 ein potentielles Gasfeld,<br />

Gaza Marine, gefunden, das Schät zun -<br />

gen zu folge 30 mrd. m 3 Erdgas ent hält.<br />

Der damalige israelische mi nis -<br />

terpräsident Ehud Barak hatte sich seinerzeit<br />

große Kri tik eingehandelt, <strong>als</strong> er<br />

auf israelische Ansprüche verzichtete<br />

und es da durch der Palästinensischen<br />

Auto no mie be hör de ermöglichte, einen<br />

Anteil von 10% an dem Projekt zu halten,<br />

an dem sich außerdem zu 60% BG<br />

und zu 30% das christlich-libanesische<br />

Unter neh men CCC beteiligen sollten.<br />

Wegen finanzi eller Uneinigkeiten, technischer<br />

Schwie rig keiten und nicht<br />

zuletzt der Sicher heitslage in Gaza ist<br />

das Projekt bis her nicht in Gang<br />

Investition in Israel<br />

investitionen in die israelische Wirt -<br />

schaft zahlen sich aus. Unter dem folgenden<br />

Link stellt das staatliche<br />

Zentrum für investitionsförderung<br />

ausführliche multimediale infor ma ti -<br />

o nen für investoren zur Verfügung:<br />

http://www.investinisrael.gov.il/NR/exe-<br />

res/94C96807-3F40-4981-AA0D-<br />

F9CEFF74F4D2.htm<br />

NASDAQ: Israel überholt China<br />

Was die Zahl der an der nASDAQ<br />

ge handelten Unternehmen angeht,<br />

hat israel nun China überholt. ins ge -<br />

samt sind 75 israelische und weitere<br />

30 mit israel verbundene Firmen an<br />

der nASDAQ registriert. Damit ist is -<br />

ra el die ausländische nation mit den<br />

meisten nASDAQ-Unternehmen.<br />

israelische Firmen werden jedoch<br />

nicht nur an der nASDAQ gehandelt,<br />

sondern repräsentieren auch die<br />

nASDAQ-Börse OmX in israel.<br />

Tel Aviv teuerste Stadt in Nahost<br />

Das Leben in Tel Aviv ist teurer ge -<br />

wor den: in einer Studie über die Le -<br />

bens haltungskosten in insgesamt 143<br />

Großstädten weltweit landete die is -<br />

raelische Küstenmetropole auf Platz<br />

14 – im vergangenen Jahr war sie<br />

noch auf Rang 17.<br />

Damit ist Tel Aviv die teuerste Stadt<br />

im nahen Osten. Das geht aus der<br />

veröffentlichten „Studie über die weltweiten<br />

Lebenshaltungskosten <strong>2008</strong>“ der<br />

Beratungsfirma „mercer“ hervor.<br />

WIRTSCHAFT<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 27


WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />

Die israelische Tourismusbranche<br />

ist auf dem besten Weg, die von<br />

ihr gesetzte Zielmarke von 2,8 mio.<br />

aus ländischen Urlaubern in diesem<br />

Jahr zu erreichen. Dies wäre ein his to -<br />

rischer Rekord. Die höchste Zahl von<br />

Touristen war im Jahr 2007 erreicht<br />

worden. Dam<strong>als</strong> besuchten 2,7 mio.<br />

menschen das Land.<br />

Allein im monat Juli kamen 260.000<br />

ausländische Besucher ins „Heilige<br />

Land“. Das waren 22% mehr <strong>als</strong> im<br />

gleichen monat des Vorjahres und 75%<br />

mehr <strong>als</strong> im Juli 2006, so das Wirt -<br />

schaftsmagazin „Globes“.<br />

Das Tourismusministerium ist un -<br />

ter dessen ständig darum bemüht, seinen<br />

Service für israel-Besucher zu<br />

ver bessern.<br />

Auch die israelische Hotelbranche<br />

ist zu frieden: Von nord bis Süd sind<br />

90% der Hotelzimmer und Ferien woh -<br />

nun gen (Zimerim) belegt, und Tel Aviv<br />

entpuppt sich <strong>als</strong> die Urlauberstadt<br />

des Landes.<br />

Ausgebuchte<br />

Hotelzimmer –<br />

Israel-Tourismus<br />

auf Rekordkurs<br />

© Olivier Fitoussi /Flash90<br />

Teva steigert Aktivitäten<br />

auf dem deutschen Markt<br />

Das israelische Pharmaunternehmen<br />

Teva bemüht sich darum, seine Stel -<br />

lung auf dem deutschen Arzneimit -<br />

tel markt weiter auszubauen. noch<br />

nicht offiziell bestätigten meldungen<br />

nach befindet man sich derzeit in<br />

Verhand lungen über den Kauf der<br />

Firma Sta da Arzneimittel, die über<br />

einen Börsen wert von 1.8 mrd. Euro<br />

verfügt.<br />

Zuvor war bekannt gegeben worden,<br />

dass Teva sich bei der nächsten<br />

Ausschreibung der AOK um die Ak -<br />

qui sition von zusätzlichen Wirkstof -<br />

fen bewerben will. Teva-Präsident<br />

Shlomo Yanai hatte be reits vor einigen<br />

mo na ten die Attrak ti vität des deutschen<br />

mark tes hervorgehoben:<br />

„Deutsch land ist der größte Ge nerika-<br />

Markt in Europa. Wir haben ihn markiert<br />

und prüfen kontinuierlich die dortigen<br />

Möglichkeiten, einschließlich von<br />

Akquisitionen.“<br />

Durch den Aufkauf des US-Konzerns<br />

Barr ist Teva auf dem europäischen<br />

markt ohnehin präsenter <strong>als</strong> je zuvor.<br />

Der Vizepräsident des Unternehmens<br />

für Europa, Gerard van Odijk, versprach<br />

nach der Akquisition: „Tevas Produkte<br />

werden auf den Regalen jeder deutschen<br />

Apotheke zu finden sein.“<br />

Rekordeinnahmen<br />

Das Pharmaun ter neh men hat im letzten<br />

Quartal einmal mehr Rekord ein -<br />

nah men ge macht. Wie mitgeteilt<br />

wurde, beläuft sich der Umsatz auf<br />

US$ 2.82 mrd. Das be deu tet gegenüber<br />

dem Vorjah res ver gleichs zeitraum<br />

einen Zu wachs von 18%. Der Rein -<br />

gewinn liegt für das zwei te Quartal<br />

<strong>2008</strong> bei US$ 539 mio. (5% mehr <strong>als</strong><br />

im Vorjahr).<br />

Teva-Präsident und Generaldirek tor<br />

Shlomo Yanai sagte: „Unsere starken<br />

fi nan ziellen Ergebnisse wurden angetrieben<br />

von unseren Produkteinfüh rungen<br />

in den USA, robusten Verkaufszahlen<br />

auf den schnell wachsenden internationalen<br />

Märk ten und der fortdauernden<br />

Führungsrolle von Copaxone auf dem<br />

weltweiten Mul ti ple Sklerose-Markt.“<br />

Allein die Copa xo ne-Verkäufe stiegen<br />

um 29%.<br />

Weiterhin sind die USA der Haupt -<br />

ab satzmarkt des größten israelischen<br />

Un ternehmens. Dort wurde im zweiten<br />

Quartal <strong>2008</strong> ein Umsatz von US$<br />

1.505 mrd. Dollar gemacht. in Europa<br />

belief sich der Umsatz immerhin auf<br />

US$ 762 mio.<br />

Globes<br />

http://www.tevapharm.com/pr/<strong>2008</strong>/pr_777.asp<br />

28 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />

Israel in den Vollzugsrat des Weltpostvereins gewählt<br />

Erstm<strong>als</strong> in der knapp 60jährigen Ge -<br />

schichte der Organisation ist die is ra e -<br />

lische Postgesellschaft in den Voll -<br />

zugs rat des Weltpostvereins (UPU)<br />

gewählt worden. nach der Wahl auf<br />

dem 24. internationalen Postkongress<br />

in Genf wird sie israel nun für vier<br />

Jahre vertreten. israel ist bereits seit<br />

Carl Zeiss AG übernimmt<br />

israelisches Unternehmen<br />

De zember 1949 mitglied des Welt post -<br />

vereins, hat bisher jedoch nie deren<br />

professioneller Körperschaft angehört,<br />

die die Entscheidungen trifft.<br />

Die Zuwahl israels in internationale<br />

Organisationen ist aufgrund der antiisraelischen<br />

Atmosphäre innerhalb der<br />

institutionen der Vereinten nationen<br />

Die deutsche Carl Zeiss AG kauft das israelische High-Tech-Unternehmen<br />

Pixer Technologies für eine Summe von US$ 70 mio. Pixer entwickelt technologische<br />

Lösungen zur Auffindung und Korrektur von Defekten in der<br />

Halb lei terproduktion und zur Verbesserung der Qualitätskontrolle.<br />

Die Firma wird zu einer israelischen Zweigstelle des deutschen<br />

Feinmecha nik- und Optik-Unternehmens werden. Die Akquisition wird den<br />

Geschäfts be trieb im galiläischen Karmiel dabei nicht beeinträchtigen.<br />

Die Geschichte von Pixer begann vor einem Jahrzehnt, <strong>als</strong> Hagay Sitri<br />

auf der Suche nach Technologie für das Schleifen von künstlichen<br />

Edelsteinen nach Russ land reiste. Während diese Suche erfolglos blieb, traf er<br />

zwei Wissen schaft ler der Universität St. Petersburg, mit denen er gemeinsam<br />

ein in Glas eingelas senes 3D-Bild entwickelte. Daraus entstand die<br />

Firma UC-Laser, deren Pro duk te man heute in vielen Geschenk- und<br />

Souvenirläden findet.<br />

UC-Laser wurde 2006 an einen amerikanischen Konkurrenten verkauft.<br />

Sitri und das Entwicklungsteam verließen die Firma, um Pixer zu gründen.<br />

Sie kon zentrierten sich auf Lithographie, speziell den Einsatz von Licht zum<br />

Druck von Transistoren auf Silikon-Halbleiterscheiben, erst um Chips zu<br />

produzieren, dann um defekte Chips zu korrigieren.<br />

Haaretz<br />

Weitere informationen zu Pixer: http://www.pixertech.com/<br />

und vielen ihrer mitgliedsstaaten beinahe<br />

unmöglich. Daher ist jede Stim -<br />

me das Ergebnis eines komplexen<br />

Pro zesse bilateraler Verhandlungen<br />

im multilateralen Kontext. Auch der<br />

Wahl in den Weltpostverein waren<br />

zweijährige Vorarbeiten unter mit wir -<br />

kung des israelischen Außenminis te -<br />

riums vorangegangen.<br />

Yitzhak Levanon, israels Un-Bot -<br />

schaf ter in Genf sagte: „Dies ist eine<br />

bedeutende Errungenschaft für Israel im<br />

Rahmen der UN-Einrichtungen. Wir<br />

kom men nicht in den Genuss vieler solcher<br />

Ereignisse, und der Erfolg lässt mich<br />

für die Zukunft hoffen. Ich hoffe, dass dies<br />

weitere Errungenschaften für Israel bei<br />

den UN-Behörden in Genf nach sich ziehen<br />

wird.“ Außenministerium des Staates Israel<br />

1.000 neue<br />

Millionäre in Israel<br />

in israel gab es im vergangenen Jahr<br />

8.200 millionäre - das waren 1.000<br />

mehr <strong>als</strong> im Jahr 2006. Das geht aus<br />

dem im Juli vorgelegten „World<br />

Wealth Report <strong>2008</strong>“ hervor.<br />

Am höchsten stieg die Zahl der mil -<br />

lionäre in den Schwellenländern. An<br />

der Spitze liegt In dien, dort gab es im<br />

vergangenen Jahr 22,7% mehr Dollarmillionäre<br />

<strong>als</strong> 2006. An zweiter Stelle<br />

lag China mit einem Zuwachs von<br />

20,3%, gefolgt von Brasilien mit 19,1%.<br />

Die Wachs tumsrate in Europa lag bei<br />

3,7%.<br />

Weltweit stieg die Zahl der millio nä -<br />

re um 6% auf 10,1 mio. an. im „World<br />

Wealth Re port“ gilt <strong>als</strong> millionär, wer<br />

über ein netto finanzvermögen von<br />

einer million Dollar verfügt. Der<br />

Bericht wird jährlich von der weltweit<br />

tätigen Beratungsgesellschaft Cap ge -<br />

mini und dem US-Vermö gens ver wal -<br />

ter merrill Lynch erstellt<br />

Neue Jobs<br />

112.000 neue Jobs schuf die israelische<br />

Wirt schaft in den letzten fünf Jahren.<br />

Die Arbeits losig keit fiel damit auf 6,1<br />

Prozent, den niedrigsten Stand seit 19<br />

Jah ren.<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 29


WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

WISSENSCHAFT<br />

Israel engagiert<br />

sich im UN Global<br />

Compact<br />

Das israelische Außenministerium hat<br />

am 16. Juli gemeinsam mit Maala –<br />

Business for Social Responsibility den<br />

Be ginn von israels aktiver Teilnahme<br />

an dem United Nations Global Compact<br />

ge feiert. Bei diesem handelt es sich<br />

um das Rahmenwerk der Ver einten<br />

na tio nen für soziale und ökolo gische<br />

Ver pflichtung von Unter neh men, das<br />

sol chen Firmen internationale Aner -<br />

kenn ung verleiht, die seine Kriterien<br />

erfüllen.<br />

Außenministerin Tzipi Livni hat die -<br />

sen weiteren Schritt der integration<br />

is raels in die internationale Gemein -<br />

schaft mit einer Eröffnungsrede ge -<br />

würdigt: „Das globale Dorf hat viele Be -<br />

deutungen, ganz gewiss auch wirtschaft -<br />

liche und soziale. Als Außen minis terin<br />

ist es mir wichtig, Themen voranzubringen,<br />

die nicht nur mit Israels besonderen<br />

Herausforderungen zu tun haben, sondern<br />

auch mit internationalen He raus -<br />

for derungen, die die gesamte internationale<br />

Gemeinschaft betreffen, denn Israel<br />

ist ein Teil dieses Dorfes. Israel ist unendlich<br />

stolz auf seine Errungenschaften<br />

und da rauf, dass es eine Menge beizutragen<br />

hat. Wir möchten etwas beitragen,<br />

weil wir glauben, dass wir sowohl die<br />

Situation verbessern <strong>als</strong> auch Israels<br />

Image verändern können.<br />

Vor einigen Wochen habe ich mich mit<br />

dem ersten weiblichen israelischen Offi -<br />

zier ge troffen, der auf eine Mission der<br />

UN-Frie denstruppen geschickt wur de –<br />

auch etwas, was Israel zum ersten Mal ge -<br />

macht hat. Erstm<strong>als</strong> haben die Verein ten<br />

Na tio nen in diesem Jahr eine Resolution<br />

zu rein technologischen Angelegenheiten<br />

verabschiedet, ohne jede Beziehung zu dem<br />

Konflikt. Und nun treten wir diesem Ab -<br />

kom men bei, dem bereits mehr <strong>als</strong> 4.000<br />

Unternehmen aus 120 Ländern <strong>als</strong> Mit -<br />

glie der angehören. Wir treffen die Di rek -<br />

toren von Unter nehmen in Israel und Ver -<br />

treter der Orga ni sa tionen in dem Ver ständ -<br />

nis, dass wir eine gemeinsame Mis sion<br />

haben.“ Außenministerium des Staates Israel<br />

informationen zu maala finden sie<br />

un ter dem Link: http://www.maala.org.il/<br />

eng/home/about/01/default.asp?ContentID=333<br />

2000 Kinder in Israel geheilt<br />

Die israelische humanitäre<br />

Hilfs orga ni sation Save a Childs<br />

Heart (SACH) gab bekannt, dass<br />

ein 3-jähri ger Junge aus Angola<br />

das 2.000 Kind aus dem Aus -<br />

land wurde, dass in is ra el eine Herz -<br />

be hand lung be kam und sein Leben ge -<br />

rettet wurde. Die meisten dieser Ope -<br />

ra tionen werden am Wolf son-Me di zin -<br />

zentrum von Ho lon durch ge führt.<br />

Bisher wurden herzkranke Kinder<br />

aus 33 Ländern zur Behandlung nach<br />

israel gebracht, hauptsächlich auch<br />

aus den israel noch feindlich gesinnten<br />

nachbarländern. immer werden<br />

diese Kinder von zumindest einem<br />

ih rer Eltern begleitet und diese sind<br />

schockiert, dass die Schauer ge schich -<br />

ten über die kaltblütigen und herzlosen<br />

israelis die in ihren Ländern verbreitet<br />

werden, unwahr sind.<br />

medizin<br />

Hoffnung für Nieren-Patienten<br />

Patienten mit chronischem nieren -<br />

ver sagen müssen oft sehr lange auf<br />

Transplantationen oder Dialysen war -<br />

ten. Die israelische Firma „Nephera“<br />

entwickelte jetzt den weltweit ersten<br />

nieren-Schrittmacher. Das implantat<br />

besteht aus einer mini-Pumpe und<br />

hält die normale nierenfunktion um<br />

vier bis fünf Jahre aufrecht.<br />

Hadassah wieder Vorreiter<br />

Zum ersten mal wurde bei einer 30-<br />

jäh rigen Familiären-Dysautonomie-<br />

Patientin eine niere transplantiert.<br />

Dys autonomie ist eine angeborene Ent -<br />

wicklungsstörung des vegetativen<br />

ner vensystems. Das Hadassah Kli ni -<br />

kum in Jerusalem ist neben der Uni -<br />

versitätsklinik new York das einzige<br />

auf der Welt für die Behandlung der<br />

Krankheit. Die nieren-Transplan ta ti on<br />

gilt unter Experten <strong>als</strong> Sensation.<br />

Israelisches Parkinson-Medikament<br />

auf Erfolgskurs<br />

Die israelische Parkinson-Gesell schaft<br />

hat mit „Begeisterung und Freude“<br />

auf die Ergebnisse einer Studie reagiert,<br />

in der sich das israelische Parkinsonmedikament<br />

Azilect <strong>als</strong> effektiv bei der<br />

Verzögerung der chronischen neurologischen<br />

Krankheit erwiesen hat.<br />

im Rahmen der „Adagio-Studie“ wur -<br />

den 1.176 Patienten im frühen Par kin -<br />

(ein)blick<br />

son-Stadium in 129 Kranken häu sern<br />

in 14 Ländern über einen Zeit raum<br />

von 18 monaten mit Azilect behandelt.<br />

Den Fortschritt verglich man dann<br />

mit Kontrollgruppen. Die Parkinson-<br />

Krankheit ist eine de ge nerative Ge hirn -<br />

störung, deren Symp tome Tre mor, Steif -<br />

heit, Be we gungsverlang samung und<br />

Gleichge wichts verlust einschließen.<br />

Weltweit leiden darunter schätzungsweise<br />

vier millionen menschen,<br />

vorwie gend im Rentenalter.<br />

Azilect (Rasagilin) wurde von Prof.<br />

Moussa Youdim und Prof. John Finberg<br />

am Technion in Haifa entwickelt und<br />

wird von dem israelischen Phar ma -<br />

unternehmen Teva vertrieben, das die<br />

beeindruckenden Ergebnisse be kannt<br />

gegeben hat. Es könnte nun das erste<br />

Parkinson-medikament werden, das<br />

das Etikett „Krankheits modifizie rung“<br />

führen darf.<br />

Jerusalem Post<br />

Weitere informationen zu Azilect: http://<br />

www.tevapharm.com/pr/<strong>2008</strong>/pr_766.asp<br />

Atmen statt schlucken<br />

Ein von der israelischen Firma „Aes -<br />

pir onics“ entwickelter inhalator in<br />

Kreditkartengröße macht die konventionelle<br />

Einnahme von medika men ten<br />

überflüssig. Die normale Atmung ak -<br />

tiviert eine kleine Turbine, mit der die<br />

Wirkstoffe direkt in die Lunge befördert<br />

werden. Selbst für Diabetiker<br />

Typ i können injektionen überflüssig<br />

werden.<br />

Kinderwunsch<br />

Ca. 25.000 in-Vitro-Fertilisationen<br />

werden in israel jährlich durchgeführt.<br />

im Vergleich: Europa ca. 10.000,<br />

USA ca. 5.000. Seit Jahren lassen sich<br />

im mer mehr Frauen aus der ganzen<br />

Welt in israel behandeln.<br />

30.000 Patienten<br />

in Äthiopien mit landestypischen Ge -<br />

sundheitsproblemen wurden von is ra -<br />

elischen medizinern erfolgreich be han -<br />

delt. Prof. Zvi Bentwich, mediziner und<br />

Leiter des Zentrums für Tropische<br />

Krank heiten und AiDS an der Ben Gu -<br />

rion Universität in Beer Sheva, konnte<br />

mit äthiopischen immigran ten in isra -<br />

el spezifische Erfahrungen sammeln<br />

und Heilmethoden für Äthi opien entwickeln.<br />

30 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

Wieder Gehen<br />

können Querschnittgelähmte bald<br />

mit Hilfe eines revolutionären Sys -<br />

tems aus israel. Zu seinen Kompo -<br />

nen ten ge hö ren eine Vielzahl intelligent<br />

ge steu er ter Elektromotoren, eine<br />

fortschrittliche Sensorik und ein<br />

softwa re basiertes Kon trollsystem.<br />

Ent wic kelt von der is raelischen Firma<br />

„ARGO Medical Tech nologies“ verhilft<br />

das „ReWalk“-Sys tem Quer schnitts -<br />

gelähmten zu neuer Lebensqualität.<br />

http://www.argomedtec.com/<br />

Hüftgelenkimplantate<br />

werden immer häufig benötigt, bei<br />

immer jüngeren Patienten. in israel<br />

wurde ein innovatives implantat entwickelt,<br />

das in Konsistenz und „Ver-<br />

halten“ menschlichen Knorpeln beispiellos<br />

nahe kommt. Es basiert auf<br />

weichem Polycarbonat, hält starke<br />

Belastungen aus und reduziert das<br />

Risiko auf Osteolyse, eine infektion,<br />

die bei Gelenkimplantaten erhöht vor -<br />

kommt. Hersteller: „Active Plants“<br />

Jasmonat gegen Krebs<br />

israelische Forscher der Firma „Sepal“<br />

konnten in einer Studie nachweisen,<br />

dass Jasmonat auf Grund seiner<br />

chemi schen Eigenschaften den Tod<br />

von Krebszellen herbeiführt. Bereits in<br />

Per sien galt Jasmin <strong>als</strong><br />

Volksheilmittel ge gen Husten und<br />

H<strong>als</strong>schmerzen. Die Pflanze enthält<br />

das Stresshormon Jasmonat, das sie<br />

vor Verletzungen schützt.<br />

Impfung gegen Hautkrebs<br />

israelische Wissenschaftler am On ko -<br />

logie institut des Hadassa-Kran ken -<br />

hau ses in Jerusalem, deren Forschung<br />

durch den israelischen Krebsverband<br />

ge fördert wurde, haben eine impf me -<br />

thode entwickelt, die Melanoma, eine<br />

Art Hautkrebs, bekämpfen kann. Es<br />

handelt sich um eine Krebsart, die oft<br />

auftritt bei menschen, die ihre Haut zu<br />

lange der Sonne aussetzen. Das impf -<br />

mittel wird mit den entfernten Zellen<br />

eines bereits bestehenden Haut krebses<br />

angefertigt und soll dafür sor gen,<br />

dass ein weiteres Auftreten der Krank -<br />

heit verhindert werden kann.<br />

Mehr Organtransplantationen<br />

Die Zahl der transplantierten Organe<br />

in israel ist im Vergleich zum Vorjahr<br />

um 62% gestiegen. Wie das nationale<br />

Zentrum für Organtransplantationen<br />

gestern mitgeteilt hat, ist damit ein<br />

eindeutiger Trend bezeichnet. Gegen -<br />

über 90 Transplanta tio nen im Jahr<br />

2007 sind in diesem Jahr 146 solcher<br />

Operationen durchgeführt worden.<br />

Der Trend kommt auch in der Zahl<br />

der transplantierten Organe zum<br />

Ausdruck, die von 98 im Jahr 2007 auf<br />

173 im Jahr <strong>2008</strong> angestiegen ist (bei<br />

manchen Operationen werden den<br />

Kranken gleich mehrere Organe<br />

trans plantiert).<br />

im Zentrum führt man den Anstieg<br />

auf das erhöhte Bewusstsein für das<br />

Thema in der israelischen Öffentlichkeit<br />

zurück. Etwa eine halbe million<br />

israelis haben eine ‚Adi-Karte’ unterschrieben,<br />

mittels derer sie im Todes -<br />

fall ihr Einverständnis zur Verwer tung<br />

ihrer Organe für Transplantationen bei<br />

Kranken bestätigen. in der ersten<br />

Jahreshälfte von <strong>2008</strong> haben 50.000<br />

Per sonen diese Karten unterzeichnet.<br />

Ein großer Teil von ihnen (43.000) ma -<br />

chen dabei einen Paragraphen geltend,<br />

der den Ärzten vorschreibt, bei der<br />

Feststellung ihres Todes einen Rab bi ner<br />

oder eine andere religiöse Au to rität<br />

hinzuzuziehen, bevor die Orga ne entnommen<br />

werden.<br />

Überraschungsseife<br />

Ein Team aus israel hat bei dem<br />

diesjährigen Europawett be -<br />

werb für Ju nior-Unternehmen<br />

im schwedischen Stockholm<br />

Platz vier belegt. Für den Wett -<br />

bewerb gründen Schü ler ab der<br />

9. Klasse ein Unternehmen, besetzen<br />

dort alle Funktionen selbst und<br />

entwi c keln und vermarkten eine Ge -<br />

schäfts idee.<br />

Das israelische Team, bestehend aus<br />

vier mädchen, hatte das Un ter neh men<br />

wirtschaft<br />

„Schamaim“ (Himmel) ge gründet. ihr<br />

Geschäftsmodel sieht die Hers tel lung<br />

einer Art Überraschungsseife für Kin -<br />

der her - genannt „Soap ri se“. Jedes<br />

Sei fen stück enthält ein kleines Spiel -<br />

zeug, das jedoch erst zum Vor schein<br />

kommt, wenn die Seife aufgebraucht<br />

ist. Da durch sollen Kinder da zu an -<br />

geregt wer den, sich öfter und gründlich<br />

ihre Hände zu waschen. An dem<br />

Europa wett be werb nahmen Teams<br />

aus 33 Ländern teil.<br />

Bio-Motorrad für Philippinen<br />

Das israelisch-amerikanische Un ter -<br />

nehmen Energtek entwickelte einen<br />

Drei zylinder-mo tor für ein Yamaha<br />

RS100T motor rad mit Seitenwagen,<br />

der mit na türlichem Gas getankt wird.<br />

mit der Philippinischen natio na len<br />

Ölgesellschaft wurde eine Übereinkunft<br />

unterzeichnet, innerhalb von drei bis<br />

vier Jahren eine hal be millio nen mo -<br />

tor räder entsprechend umzurüsten.<br />

Grüner Strom für Spanien<br />

kommt vom israelischen Unter neh men<br />

Gilatz. Auf 72.600 m 2 errichtet es in<br />

der nähe von Cuenca, ca. 150 km südöstlich<br />

von madrid, einen hochmo der -<br />

nen Sonnenpark mit der verblüf fen den<br />

Leistung von 3.84 mega watt-Stun den.<br />

Konferenz für Export und Kooperation<br />

Vom 11. - 13. november findet in Je ru -<br />

salem die 7. Prime Minister’s Con fe rence<br />

for Export and International Coo pe ration<br />

statt. 60 Jahre nach Staatsgrün dung<br />

werden israels wirtschaftliche Errun -<br />

gen schaften präsentiert. Hochrangige<br />

Teilnehmer lassen einen qualifizierten<br />

Verlauf er warten.<br />

Elektronische Brieftasche<br />

mit „Cell-Cash“ ist es möglich, Bar geld<br />

über das Handy zu überweisen. Die<br />

israelische Firma Cell-Apps entwickelte<br />

einen Bluetooth-Stecker (Dong le) mit<br />

höchster Sicherheit beim Transfer.<br />

http://www.cell-apps.com<br />

Unschätzbar<br />

sind Wissen und Werte in den führenden<br />

Bibliotheken der Welt. Sortiert,<br />

ar chiviert und verwaltet werden sie<br />

von einem intelligenten System der<br />

is raelischen Firma Ex Libris. Ende<br />

2007 implementierte die Universität<br />

Ox ford das israelische System. Jetzt<br />

un terzeichnete Ex Libris weitere Ver -<br />

trä ge mit Universitätsbiblio the ken in<br />

Frank reich, England, China, Spa ni en<br />

und der nationalbibliothek der Do mi -<br />

nikanischen Republik.<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 31


WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

Gesundheit-Zum Wohl-Le chaim!<br />

Rotwein<br />

ist gesund<br />

israelische Forscher<br />

haben nachgewiesen,<br />

dass bei der Kör per -<br />

auf nahme von Rot -<br />

wein die darin<br />

enthal tenen Antioxi -<br />

dan tien erst im<br />

magen wirksam werden.<br />

Bis lang war<br />

unklar, wie die<br />

Antioxidanten vom<br />

Körper aufgenom men<br />

werden, mel det die<br />

Online aus gabe der<br />

Ta ges zei tung ‘Die<br />

Welt’.<br />

Anhand von Versu chen mit La bor -<br />

ratten haben israelische Forscher<br />

nachgewiesen, dass Rot wein die Ent -<br />

ste hung giftiger neben pro dukte bei<br />

der Fettverdau ung bremst. Bei den<br />

Versuchstieren bildeten sich weniger<br />

Zellgifte, <strong>als</strong> ihnen neben rotem Fleisch<br />

zusätzlich ein Rotweinextrakt verabreicht<br />

wurde. Rotwein enthält sogenannte<br />

Polyphe nole (wirksame Anti -<br />

oxi dantien), die bei den Versuchen zu<br />

einer Verringe rung der Zellgifte in den<br />

mägen führten. Außerdem wurde<br />

durch die Rotwein-Verbindungen die<br />

Aufnah me von Zellgiften über den<br />

Ver dauungs trakt ins Blut gehemmt.<br />

Der Auslöser der Versuche war die<br />

Unklarheit, wie die Antioxidantien im<br />

Körper aufgenommen werden.<br />

israelische Forscher um Joseph Kanner<br />

vom Forschungszentrum des israelischen<br />

Landwirtschaftsministeriums<br />

„Volcani Center“ in Bet Dagan bei Tel<br />

Aviv konnten dabei nachweisen, dass<br />

der günstige Effekt erst im magen auf -<br />

trat. Das Ergebnis der Versuche wur -<br />

de nun im ‘Journal of Agricultural<br />

and Food Chemistry’ vorab im inter -<br />

net veröffentlicht.<br />

Bereits 2004 vermuteten Forscher<br />

um Janet L. Stan ford vom ‘Fred Hut -<br />

chin sons Cancer Research Center’ in<br />

Seattle, dass Antioxi dan ti en vor bösartigen<br />

Ge schwulsten bewahren.<br />

Außerdem würden dadurch beson -<br />

ders aggressive Sub stan zen im Kör -<br />

per entschärft, „die unter anderem das<br />

Erbgut schädigen und so Krebs auslösen<br />

können“, meldete die On li ne aus gabe<br />

von ‘Fo cus’.<br />

Weißwein wird<br />

„gesund“ hergestellt<br />

israelischen Wis sen schaftler ist es<br />

gelungen, ei nen Weißwein her -<br />

zustellen, der ähnlich vie le An tioxi -<br />

dan ti en wie Rotwein enthält. Der<br />

Wein wurde an der Tech ni schen<br />

Universität in Haifa entwickelt.<br />

Einem Bericht der Tageszei tung ‘Je-<br />

ru salem Post’ zufolge lag der<br />

Schlüs sel zum Erfolg in der<br />

Haut der Trau ben. Diese ent -<br />

hält die höchste Kon -<br />

zen tra tion an An -<br />

ti oxi dan ti en, die<br />

unter an de -<br />

rem ent zündungsh<br />

e m -<br />

mend wir -<br />

ken so wie<br />

freie Radi ka le<br />

bekämpfen und<br />

da durch die Zell al te -<br />

rung verlangsamen.<br />

Während bei der Rotwein -<br />

her stel lung der Traubensaft samt Bee -<br />

ren haut und Stielen vergoren wird,<br />

wird die Haut bei der Weißwein her -<br />

stellung vor der Vergärung ent fernt.<br />

Dadurch ge lan gen wesentlich weniger<br />

Anti oxi dan ti en in den Wein.<br />

Die Wissenschaftler haben bei ihren<br />

Versuchen gequetschte Trau ben für bis<br />

zu 18 Stunden in Alkohol gelagert, be -<br />

vor sie die Beerenhaut entfernten. Der<br />

anschließend hergestellte Weiß wein<br />

habe sechs mal mehr mengen an An ti -<br />

oxidantien enthalten <strong>als</strong> bei der herkömmlichen<br />

Herstellung.<br />

Wie es in dem Bericht weiter heißt,<br />

habe der Weinhersteller Binjamina be -<br />

reits damit begonnen, Weißwein nach<br />

dem neuen Verfahren herzustellen.<br />

Der Wein unterscheide sich weder im<br />

Geschmack oder im Aroma noch in der<br />

Farbe von „normalem“ Weiß wein. Bis<br />

Ende <strong>2008</strong> soll er in den USA auf den<br />

markt kommen.<br />

inn<br />

Hebräische Universität<br />

erstm<strong>als</strong> mit Rektorin<br />

Die Arabistin Sarah Stroumsa wird<br />

neue Rektorin der Hebräischen Uni -<br />

versität Jerusalem. Erstm<strong>als</strong> in der<br />

Geschichte der Universität ist damit<br />

eine Frau in dieses Amt gewählt worden.<br />

Stroumsa, die am 1. Oktober die<br />

nach folge von Chaim D. Rabinowitch<br />

antreten wird, studierte in Jerusalem<br />

und Paris und promovierte 1984 an<br />

der Hebräischen Universität, wo sie<br />

heute Professorin in den Abteilungen<br />

für Arabische Sprache und Literatur<br />

und Jüdische Philosophie und Geis -<br />

tes geschichte ist. ihr Forschungs -<br />

schwer punkt sind Philosophie und<br />

religiöses Denken der islamischen<br />

Welt im mittelalter, v. a. der intellektuelle<br />

Austausch zwischen jüdischen<br />

und muslimischen Denkern.<br />

Zwischen 2003 und 2006 amtierte<br />

sie <strong>als</strong> stellvertretende Rektorin. Sie ist<br />

verheiratet und hat zwei Kinder. nach<br />

ihrer Wahl sagte sie: „In meiner Rolle<br />

<strong>als</strong> Rektorin werde ich danach streben, die<br />

Stellung der Hebräischen Universität <strong>als</strong><br />

führende akademische Einrichtung in Is ra -<br />

el aufrecht zu erhalten und ihre Stellung<br />

in der Welt zu stärken, wo sie zu den führenden<br />

Universitäten gezählt werden sollte.<br />

Angesichts wachsenden wirtschaftli -<br />

chen Drucks müssen wir das akademische<br />

Ansehen der Hebräischen Universität <strong>als</strong><br />

Elite-Universität stärken. Dies ist unsere<br />

Verpflichtung und unsere Verant wor tung<br />

gegenüber der Gesellschaft.“ HUJ/red<br />

Israelische Wassermelone<br />

auf dem Weg ins Guinness<br />

Buch der Rekorde<br />

© Anna Kaplan / Flash90<br />

Ein Landwirt aus Ramat HaSharon in<br />

der nähe von Tel Aviv hat eine 29 Ki lo -<br />

gramm schwere Wassermelone ge -<br />

züchtet, die ins Guinness Buch der Re -<br />

korde aufgenommen werden könnte.<br />

Der Boden, auf dem die Wasserme -<br />

lone angebaut wurde, ist <strong>als</strong> einer der<br />

reichsten des Landes bekannt.<br />

32 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />

1938<br />

<strong>2008</strong><br />

In den Augen jüdischer Kinder<br />

von Michaela Lehner<br />

Kindertransport-Memorial von Frank Meisler vor der Liverpool Street Statio in London<br />

© Paul Dean<br />

Die Emigration aus dem Dritten Reich, amerikanische Erfolge<br />

und versteckte Traumata jüdischer Kinder und Jugendlicher<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 33


Die machtübernahme der natio -<br />

nal so zialisten am 30. Januar 1933<br />

in Deutschland inzentierte einen his -<br />

torisch präzedenzlosen, singulären<br />

Pro zeß der sukzessiven politischen<br />

und rechtlichen Diskriminierung und<br />

Entrechtung unter dem rassischen Al -<br />

teritätsdiktat, der sozioökonomischen<br />

Deklassierung und Beraubung, der<br />

zwangsweisen Vertreibung, Konzen -<br />

tra tion und Deportation nach dem<br />

novemberpogrom 1938, welcher nach<br />

der Annexion Österreichs im märz<br />

1938 sowie durch die Extension des<br />

Dritten Reichs während des Zweiten<br />

Weltkriegs auf weite Teile Europas in<br />

der industriellen massenvernichtung<br />

des europäischen Judentums kulminierte.<br />

Die Zahl der von der nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Vernichtungsmaschinerie be -<br />

drohten Kinder in Europa beläuft sich<br />

auf etwa 1,6 mio., von ihnen überlebten<br />

lediglich 100.000. Konzentrierte<br />

sich die wissenschaftliche Forschung<br />

bislang vor allem auf die Erfahrung<br />

der Emigration und des Exils von Er -<br />

wachsenen, im besonderen von jüdischen<br />

Angehörigen der intellektuellen,<br />

kulturellen und künstlerischen Eliten<br />

Europas, ist die spezifische Situation<br />

von jüdischen Kindern und Jugend li -<br />

chen unter dem Dispositiv des nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Alteritäts- und Ver -<br />

n ich tungsdiktats, der Diskrimi nie rung,<br />

der Emigration, der Entwurze lung und<br />

der kulturellen Entfrem dung, noch<br />

weniger die weitere Ent wick lung ihrer<br />

Biographien in den Ländern der Emi -<br />

gration ein bislang vor allem in Erin -<br />

ne rungen, memoiren oder Autobio -<br />

gra phien repräsentiertes, von der Ge -<br />

schichts-, Literatur- und Sozial wis sen -<br />

schaft im Rahmen der Exilfor schung<br />

jedoch erst rudimentär erfasstes For -<br />

schungsgebiet. Dabei manifestieren<br />

sich nicht nur für das geistige und<br />

psychische Erleben jüdischer Kinder<br />

und Jugendlicher wesentliche Diffe -<br />

ren zen zur Situation von Erwach se -<br />

nen, sondern auch hinsichtlich der<br />

Voraussetzungen der Emigration wie<br />

ihrer langfristigen kulturellen, biographischen<br />

und psychischen Konse -<br />

quen zen. Für die majorität bedeutete<br />

es physischen und psychischen miss -<br />

brauch, Verfolgung, die Desintegra ti on<br />

und allzu oft die endgültige Ver nich -<br />

tung ihrer Familie, nicht nur ökonomischen<br />

Verlust, sondern den Verlust<br />

Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />

von Stabilität, Freunden und der<br />

identität <strong>als</strong> zukünftige Bürger ihres<br />

Geburtslandes.<br />

Jüdische Kinder unter dem<br />

Dispositiv wachsender Isolation<br />

und drohender Vernichtung.<br />

„Man trat auf die Straße und war in Fein -<br />

desland.“ So erinnert die Litera tur wis -<br />

senschafterin Ruth Klüger ihr Le ben<br />

<strong>als</strong> jüdisches Kind in Wien nach dem<br />

„Anschluss“ in weiter leben und be -<br />

nennt damit die zentrale Erfahrung<br />

jüdischer Kinder im Dritten Reich, die<br />

in Österreich eine wesentlich<br />

dramati schere Dynamik entfaltete,<br />

<strong>als</strong> hier die zuvor in Deutschland<br />

sukzessive, über fünf Jahre entwickelte<br />

und er prob te Politik der<br />

Diskriminierung, der Suspendierung<br />

von Bürgerrech ten, der ökonomischen<br />

Entrechtung so wie der<br />

Vertreibung in fünf monaten mit<br />

mehr <strong>als</strong> 250 offiziellen Verord nun gen<br />

durch die Regierungsbehörden nachgeholt,<br />

jede normalität öffentlichen<br />

und privaten Lebens für die jüdische<br />

in lediglich fünf monaten beendet<br />

wur de. Zu den alltäglichen Restrik ti o -<br />

nen und Erniedrigungen zählte so die<br />

isolation an und in Schulen, <strong>als</strong> jüdische<br />

Kindern, im Dritten Reich be reits<br />

seit dem April 1934 per Gesetz vom<br />

Besuch mittlerer und höherer Schulen<br />

ausgeschlossen und in Sam mel klas -<br />

sen isoliert, nach einem Erlass des 15.<br />

november 1938 vom Besuch deutscher<br />

Schulen ausgeschlossen, nur mehr<br />

zum Besuch eigener jüdischer Schulen<br />

zugelassen waren, während viele von<br />

ihnen zuvor immer wieder Schikanie -<br />

run gen und Drangsalie run gen durch<br />

nichtjüdische Schüler und Lehrer<br />

© Archiv<br />

aus gesetzt waren.<br />

in ihren Freizeitaktivitäten vom Be -<br />

such öffent licher Parks, Spiel- und<br />

Sport stätten, museen, Theater und<br />

Konzerthallen bereits weitgehend ein -<br />

geschränkt, mussten sie zusätzlich zur<br />

Auflösung der normalen Gesell schaftsund<br />

Lebensstruktur auch die sukzessive,<br />

existenzielle Desintegration der<br />

eigenen Familien erleben. Berufsver -<br />

bo te und der unter dem Euphemis mus<br />

der Arisierungen organisierte Raub<br />

jüdischen Geschäfts- und Privatei gen -<br />

tums hinterließen einen unauslöschli -<br />

chen Eindruck der beständigen Be dro -<br />

hung, während besonders die öffentlichen<br />

Demütigungen der Eltern, et wa<br />

durch die meist in erpresserischer Ab -<br />

sicht erfolgte inhaftierung der Väter<br />

in Gefängnissen und Lagern oder die<br />

gerade für Österreich typischen Sze -<br />

nen öffentlicher Entwürdigung das<br />

Weltvertrauen und das Vertrauen in<br />

die deutsche und österreichische Ge -<br />

sellschaft nachhaltig zerstörten. „Was<br />

mich wahrscheinlich am allermeisten<br />

scho ckiert hat, war der Anblick dieser jü -<br />

dis chen Frauen mittleren Alters und auch<br />

älter, wie sie auf die Knie gezwungen wur -<br />

den und den Gehsteig schrubben muss ten,<br />

während diese johlenden Raufbolde um<br />

sie herumstanden und dreckige Bemer kun -<br />

gen über sie machten. So etwas kann man<br />

einfach nicht vergessen,“ so ein ehemaliger<br />

Flüchtling.<br />

Zusätzlich zu diesen Traumatisie -<br />

run gen im Öffentlichen und Privaten,<br />

welche das Leben der bis dahin oftm<strong>als</strong><br />

in weitgehend geschützten, bürgerlichen<br />

Verhältnissen aufgewachsenen<br />

Kinder dramatisch veränderte, kam<br />

die Sorge um das finanzielle Aus kom -<br />

Wien 1938<br />

34 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />

men der Familie und die Organisa ti on<br />

von Emigration und Exil, in welcher<br />

Kindern plötzlich eine zentrale Funk -<br />

tion in einer dramatisch transformierten<br />

Familienstruktur zukam. Viele<br />

von ihnen waren so gezwungen im<br />

Kampf der Familie um Überleben und<br />

Visa die Funktion von Ernährern,<br />

nach rich tenübermittlern, informan ten<br />

oder ganz einfach des Platzhalters in<br />

den täglichen Warteschlangen vor<br />

den Konsulaten einzunehmen, der<br />

nicht nur den Reifeprozess von Kin -<br />

dern und Jugendlichen unumkehrbar<br />

beschleunigte, sondern sie bereits in<br />

Deutsch land und Österreich auf die<br />

Erfahrun gen der Emigration und des<br />

Exils vor bereitete. Es bedeutete das ab -<br />

rupte, viel zu frühe Ende der Kind heit.<br />

Letzte Zuflucht Großbritannien. Der<br />

jüdische Kindertransport 1938/39.<br />

Die jüdische Emigrationsbewegung<br />

aus Deutschland und Österreich wur -<br />

de vor allem durch zwei Faktoren be -<br />

grenzt, zum einen durch die ökonomische<br />

und berufliche Verankerung<br />

der jüdischen Bevölkerung in Europa,<br />

die den Entschluss zur Emigration<br />

ver zögerte, bis es oftm<strong>als</strong> durch den<br />

Ausbruch des Zweiten Weltkriegs be -<br />

reits zu spät war, zum anderen durch<br />

die restriktive immigrationspolitik<br />

nicht nur der europäischen Staaten;<br />

so limitierten etwa auch die USA in den<br />

Jahren vor dem Kriegseintritt Ame ri -<br />

kas die Zahl der zur immigration zu -<br />

gelassenen jüdischen Flüchtlinge so<br />

stark, dass noch nicht einmal die<br />

Quo te für Deutschland und Österreich<br />

erfüllt war. Chaim Weizmann charakterisierte<br />

die fatale Situation der jüdischen<br />

Bevölkerung Europas im Man -<br />

ches ter Guardian vom 23. mai 1936<br />

knapp und treffend: „The world see med<br />

to be divided into two parts – those places<br />

where the Jews could not live, and those<br />

where they could not enter.“<br />

in dieser perspektivenlosen und<br />

ver zweifelten Lage eröffnete eine kon -<br />

zertierte initiative des 1933 von prominenten<br />

mitgliedern der britischen<br />

jüdischen Gemeinde gegründeten,<br />

1939 in Central Council for Jewish Re fu -<br />

gees umbenannten Jewish Refugees Com -<br />

mittee, des Women’s Appeal Com mit tee<br />

for German and Austrian Women and<br />

Chil dren, der West End London Syna go -<br />

gue und der christlichen Society of<br />

Friends (Quäker) jüdischen Eltern oh -<br />

© Archiv<br />

ne Aussicht auf eines der begehrten<br />

Visa für die gesamte Familie, zumindest<br />

ihre Kinder aus dem Dritten Reich<br />

zu retten. Wenige Tage nach dem no -<br />

vem berpogrom 1938 gelang es einer<br />

De legation dieser im Inter-Aid Com mit -<br />

tee for Children from Germany vereinten<br />

Organi sa tio nen nach Verhand lun gen<br />

mit dem britischen innenministe ri um<br />

einen Wandel in der bislang eben so<br />

restriktiven britischen immi gra tions -<br />

po litik zu erwirken. nach einer De -<br />

batte im englischen Parlament am 21.<br />

november proklamierte die britische<br />

Regierung die Absicht einer<br />

unlimitier ten Zahl von jüdischen<br />

Kindern und Jugendlichen bis zum<br />

Alter von siebzehn Jahren aus<br />

Deutschland, Ös terreich und der<br />

annektierten Tsche-chos lowakei eine<br />

Einreiseerlaubnis für Großbritannien<br />

zu erteilen, für die Details, Planung,<br />

Organisation wie auch die<br />

Finanzierung diese mit Aus nahme<br />

der niederlanden singuläre Ret -<br />

tungsaktion jüdischer Kinder und<br />

Jugendlicher sollte das Inter-Aid Com -<br />

mit tee for Children from Germany verantwortlich<br />

zeichnen. Dabei war den<br />

Verantwortlichen der Kinder trans por -<br />

te die doppelte Problematik angesichts<br />

der katastrophalen Lage der jüdischen<br />

Bevölkerung im Dritten Reich sowie<br />

des drohenden Kriegsausbruchs be -<br />

wusst, wie sich Lola Hahn-Warburg<br />

erinnert: „In der kurzen Zeit, die uns zur<br />

Verfügung stand, mußten wir zuerst an die<br />

Rettung der größtmöglichen Anzahl Kin -<br />

der denken. Anfang 1939 konnte niemand<br />

mehr die Tatsache verkennen, dass wir<br />

ge gen die Zeit arbeiteten. Die Zeichen an<br />

der Wand waren bedrohlich genug – und<br />

der Kriegsausbruch würde die Kin der -<br />

trans porte endgültig vereiteln.“ Trotz -<br />

dem gelang es den Organisatoren über<br />

Spenden und private initiativen nicht<br />

Musik im Zug<br />

nur die erforderlichen finanziellen<br />

mittel, sondern nach einem öffentli chen<br />

Appell des ehemaligen britischen<br />

Premierministers, Lord Baldwin, auch<br />

zahlreiche Pflegefamilien, internate<br />

und Wohnheime zur Aufnahme insgesamt<br />

rund 10.000 jüdischer Kinder<br />

und Jugendlicher aus Deutschland<br />

und Österreich zu motivieren. Die Ver -<br />

breitung der nachricht über die be vor -<br />

stehenden Kindertransporte er folg te<br />

zuerst über mundpropaganda, über<br />

die noch existierenden jüdischen me -<br />

dien, welche die verzweifelten Eltern<br />

auch angesichts der Angst vor kindli -<br />

cher Verlust- und Entfremdungser fah -<br />

rung zu beruhigen suchten, sowie über<br />

die <strong>Kultusgemeinde</strong>n, denen für die<br />

Kollation der Anträge eine wesentliche<br />

Funktion zukam; so verfügte et wa die<br />

Wiener israelitische <strong>Kultusgemeinde</strong><br />

über eine eigene Abteilung „Kinder -<br />

aus wanderung“, in welcher die Regis -<br />

trierung der Kinder und Jugend li chen<br />

für einen Transport erfolgte. Die um -<br />

gehende Weiterleitung der Anträge<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 35


Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />

an das britische Home Office zur Er -<br />

langung von Einreisevisa, Einreise -<br />

kar ten und Permitnummer übernahmen<br />

hingegen die englischen Quäker;<br />

nach der – in vielen Fällen trotz intensiver<br />

Bemühungen nicht erfolgreich<br />

ab geschlossenen – Erledigung der For -<br />

malitäten erhielten die Eltern meist<br />

zwischen zwei und vierzehn Tagen<br />

vor dem Abreisetermin die offizielle<br />

information über den Kinder trans port.<br />

Wie verzweifelt und dramatisch sich<br />

diese Situation für betroffene Eltern<br />

und Kinder gestaltete, beschreibt Lo re<br />

Segal in ihrem autobiographischen<br />

Roman „Wo andere Leute wohnen“: „An -<br />

fang Dezember gab es ein Gerücht über<br />

einen versuchsweisen Kinder trans -<br />

port, der nach England gehen sollte.<br />

mein Vater nahm mich zur Jü di schen<br />

<strong>Kultusgemeinde</strong> mit, die ihren Sitz in<br />

den leeren Tempel verlegt hat te. Was<br />

wie tausende Kinder und Eltern aussah,<br />

bewegte sich unten durch aus -<br />

gebrannte Gemäuer der Halle und<br />

stand in einer Schlange entlang der<br />

Em pore, wo die Frauen zu den Hohen<br />

Feiertagen mit ihren Hüten und<br />

schwar zen Gewändern gesessen wa -<br />

ren. […] in der Elektrischen auf dem<br />

Heimweg hielt mein Vater meine<br />

Hand. Er sagte: ‚Du fährst nach Eng -<br />

land.‘ ich sagte: ‚Allein?‘, und ich<br />

erinnere mich deutlich an dieses Ge -<br />

fühl, <strong>als</strong> habe man mir plötzlich die<br />

Eingeweide herausgerissen. Gleich zei -<br />

tig klang mir dieses ‚nach-Eng land-<br />

Gehen‘ sehr mutig. ‘nicht ganz al lein!‘<br />

sagte mein Vater. ‚Es fahren noch<br />

sechs hundert andere Kinder.‘ ‘Wann?‘<br />

fragte ich. ‘Donnerstag‘, sagte mein<br />

Vater. ‚Übermorgen.‘ Dann spürte ich<br />

diesen eisigen Schauer gleich unter<br />

der Brust, dort wo ich vorher meine<br />

Ein geweide gehabt hatte.“ Emotio nen,<br />

die Lore Segal mit unzähligen der<br />

10.000 jüdischen Kinder und Ju gend -<br />

li chen teilte.<br />

(Über)Leben in Großbritannien.<br />

Die psychische Situation aller Betei -<br />

lig ten, sowohl der Eltern <strong>als</strong> auch der<br />

Kinder war so selbstverständlich über -<br />

aus ambivalent, zur simultanen Er -<br />

leic h terung und Verzweiflung der<br />

Eltern trat die mischung aus Ver zweif -<br />

lung, Destabilisierung und manchmal<br />

auch Aufregung angesichts der<br />

Reise auf Seiten der Kinder. “meine<br />

mutter liebte mich nicht mehr. ich<br />

war ihr völlig egal; darum hatte sie<br />

mich verstoßen. Es vergingen viele<br />

Jahre, bis ich ahnte: diese Frau hatte<br />

mir ein zweites mal das Leben ge -<br />

schenkt, indem sie mich zu völlig<br />

Frem den gab,“ erinnert sich Ruth Ru -<br />

binstein. Diese tiefe Traumatisie rung<br />

manifestierte sich gerade bei jenen, die<br />

ihre Eltern nicht mehr wiedersahen, in<br />

lebenslangen Schuldgefühlen. Hinzu<br />

kam die radikale Veränderung der<br />

Le benssituation für die Kinder und<br />

Jugendlichen in Großbritannien, die<br />

über die Problematik der Akkultu ra -<br />

tion an ein fremdes Land, eine fremde<br />

Sprache und unbekannte Kultur hinaus<br />

durch das Leben in bis dahin völlig<br />

fremden Pflegefamilien, die Tren -<br />

nung von Freunden und allzu oft auch<br />

von Geschwistern, in vielen Kindern<br />

verständlicherweise Gefühle der<br />

Angst, des Verlorenseins und des im mi -<br />

nenten, durch die verbreitete Praxis sie<br />

mit neuen, anglisierten namen aus zu -<br />

statten beförderten identi tätsver lus tes<br />

auslösten. Die aus der plötzlichen, die<br />

Kinder überfordernden Konfronta ti on<br />

mit völlig neuen Lebensumständen<br />

resultierende Traumatisierung wurde<br />

nicht nur durch das ihnen mitunter<br />

trotz ihrer jüdischen identität entge -<br />

gen gebrachte antideutsche Resse n t i -<br />

ment, die Bemühungen um die Auf -<br />

rechter hal tung des Kontaktes mit den<br />

Eltern und der selten erfolgreichen<br />

Be schaf fung von Visa für diese, oder<br />

die Probleme in der Fortsetzung ihrer<br />

Schulausbildung, sondern auch durch<br />

die oftm<strong>als</strong> neue Transferierung in<br />

Heime oder zu neuen Pflegefamilien<br />

während der Bombardierung Groß bri -<br />

tanniens durch die deutsche Luft waffe<br />

verstärkt und vertieft, auch wenn die<br />

mehrheit der Kinder von grundsätzlich<br />

© Archiv<br />

positiven Erfahrungen in ihren Pfle ge -<br />

familien berichten.<br />

Der Ausbruch des Krieges zwang<br />

auch die Organisatoren der Kinder -<br />

trans porte die Problematik der Re mi -<br />

gration zu überdenken. Ursprünglich<br />

war man davon ausgegangen, dass<br />

die mehrzahl der Kinder und Jugend -<br />

li chen in andere Länder weiter emigrieren<br />

würden, 1941 stellte sich je doch<br />

heraus, dass etwa die Hälfte von ih nen<br />

in England bleiben würde. Ein Teil<br />

der Kinder und Jugendlichen je doch<br />

re migrierte allein oder mit ihren El tern<br />

in die USA, deren kollektive Bio gra -<br />

phie Gerhard Sonnert und Ge rald<br />

Hol ton in ihrer am 24. Juni <strong>2008</strong> an<br />

der Universität Wien im Rahmen der<br />

Wiener Vorlesungsreihe „AB SCHIE DE<br />

1938. Die Vernichtung des geistigen Wien“<br />

präsentierten Studie „Was geschah mit<br />

den Kindern? Erfolg und Trauma jun ger<br />

Flüchtlinge, die von den Natio nal s o zia lis -<br />

ten vertrieben wurden“ erstm<strong>als</strong> sozialwissenschaftlich<br />

und historisch fundiert<br />

dokumentierten und analysierten.<br />

„I became the parent, they became<br />

the children.“ i Emigration in die USA<br />

„Sie alle waren Flichtlinge. […] Die bei -<br />

den Jungen Wolfy und Bernhard wa -<br />

ren ohnehin noch zu klein, um zu wis -<br />

sen, was sie waren. Sie wußten al ler -<br />

dings, daß sie in Panik aufgebrochen<br />

und in Züge gestiegen und tausendmal<br />

hochgehoben und wieder abgesetzt<br />

worden waren. Dann war’s auf<br />

ein Schiff gegangen, und plötzlich wa -<br />

ren sie woanders, an einem Ort, an<br />

dem ihre Eltern Flichtlinge und manch -<br />

mal auch Flichtlingspack genannt wurden.“<br />

Zvi Jagendorfs literarische Cha -<br />

rakteristik der Situation des Exils in<br />

36 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />

Groß britannien in Die fabelhaften Stru -<br />

delbakers weist zahlreiche Analo gi en<br />

zur Situation der jüdischen Emi gran -<br />

ten in den USA auf, <strong>als</strong> sie nicht nur<br />

mit der restriktiven offiziellen im mi -<br />

gra tionspolitik der Vereinigten Staa ten,<br />

sondern auch mit antisemitischem<br />

Res sentiment aus einer noch unter den<br />

sozioökonomischen Folgen der großen<br />

Depression leidenden und für im mi -<br />

granten wenig Empathie zeigenden<br />

amerikanischen Bevölkerung konfron -<br />

tiert waren. Ambivalent war auch die<br />

Position des amerikanischen Ju den -<br />

tums, <strong>als</strong> man zum einen ein An stei gen<br />

des Antisemitismus durch die ver -<br />

stärkte Präsenz jüdischer Flücht lin ge<br />

aus Europa fürchtete, zum an deren je -<br />

doch gerade private jüdische institu -<br />

tionen und Organisatio nen eine zentrale<br />

Rolle in der Organisie rung von<br />

Vi sa für Exilanten, der politischen Auf -<br />

klärung über das nation<strong>als</strong>ozialistische<br />

Regime ebenso wie in ihrer finanziellen<br />

und gesellschaftlichen Unterstüt -<br />

zung zukam. Zeigten sich für die Kin -<br />

der und Jugendlichen in den USA ähn -<br />

liche Erfahrungen der Entfremdung,<br />

Entwurzelung und Trau matisierung<br />

durch Flucht, Ver treibung und die Ak -<br />

kulturations pro blematik an eine ih nen<br />

aufgrund ih rer mitteleuropäisch-jüdischen<br />

Sozia lisation fremde amerikanische<br />

Kultur, verschärfte sich im amerikanischen<br />

Exil das bereits aus dem<br />

Dritten Reich bekannte Phänomen der<br />

Verände rung der Familienstruktur, die<br />

mitunter zu einer Umkehr des Ver hält -<br />

nisses von Eltern und Kinder führte.<br />

An ge sichts des absoluten Kontroll -<br />

ver lustes der Eltern, der häufig<br />

schmerz haften gesellschaftlichen De -<br />

klassierung der in ihrer majorität zu vor<br />

in Deutsch land und Österreich dem<br />

Bürgertum angehörenden Familien,<br />

waren auch Kinder und Jugendliche<br />

ge zwungen, größere Verantwortung<br />

und oftm<strong>als</strong> eine mittlerposition zwischen<br />

der amerikanischen Kultur, an<br />

welche sie sich nicht nur durch ihr jüngeres<br />

Alter, son dern auch den Schul -<br />

be such schnel ler akkulturierten, und<br />

den Eltern zu übernehmen.<br />

Dies legte jedoch einen Teil des Fun -<br />

da ments für den im Vergleich mit an -<br />

de ren immigrantengruppen oder ge -<br />

bür t igen Amerikanern überproportional<br />

hohen sozioökonomischen Er folg<br />

dieser Gruppe. Denn obwohl die Be -<br />

din gungen anfangs keineswegs ideal<br />

waren, entwickelten sich viele der Kin -<br />

der und Jugendlichen außerordentlich<br />

gut und zu herausragenden Schülern<br />

und Studenten, deren Verhältnis zu<br />

den Eltern selten von Rebellion, sondern<br />

vielmehr von enger Bindung und<br />

tiefem Verantwortungsgefühl getragen<br />

war, wie sich ein ehemaliger Emi grant<br />

erinnert: „meine Schwester und ich<br />

haben immer, bis zum heutigen Tag,<br />

alles darangesetzt, ständig unser Bes -<br />

tes zu geben … ich glaube das auch<br />

des halb so, weil wir unseren Eltern<br />

nicht noch zusätzliche Sorgen bereiten<br />

wollten … Wir hatten das Gefühl, dass<br />

das eine möglichkeit war, das Leben für<br />

sie ein bisschen leichter zu ma chen.“<br />

Kinder, die versuchten Eltern durch<br />

ihre Erfolge für die erlittenen<br />

Demütigungen zu entschädigen.<br />

„But there is a cost.“ ii Sozioökonomische<br />

Erfolge der jugendlichen Emigranten in<br />

den USA<br />

Exzeptionell im negativen Sinne wa ren<br />

nicht nur die Kindheitserfahrungen<br />

der Diskriminierung und Vertreibung<br />

jüdischer Kinder und Jugendlicher aus<br />

dem nation<strong>als</strong>ozialistischen Deutsch -<br />

land und Österreich, exzeptionell im<br />

positiven Sinne ist in ihrer weiteren<br />

Entwicklung auch der außerordentliche<br />

sozioökonomische Erfolg, das er -<br />

staunlich hohe kollektive Bildungs ni -<br />

veau und der erreichte soziale Sta tus,<br />

der sie demographisch von anderen<br />

immigrantengruppen oder gebürtigen<br />

Amerikanern abhebt. Die Diskon ti -<br />

©Flor Kent<br />

nuität des Exils, der Verfolgung und<br />

des sozialen Abstiegs in der Genera ti on<br />

ih rer Eltern scheint in den Biogra phi en<br />

ihrer Kinder keine Kontinuität zu finden.<br />

Sonnert und Holton führen diesen<br />

Umstand in ihrer Studie, die dafür ne -<br />

ben interviews und Fragebögen die<br />

sta tistischen und soziodemographischen<br />

Daten des U.S. Census von 1970,<br />

des National Jewish Population Survey<br />

1970 und des Who’s Who vergleichend<br />

untersucht, nicht ausschließlich auf das<br />

frühe Ende der Kindheit durch die na -<br />

tion<strong>als</strong>ozialistische Vernichtungs dro -<br />

hung oder den allgemeinen ökonomischen<br />

Aufschwung der USA nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg zurück, von dem<br />

die eingebürgerten Emigranten ebenso<br />

profitierten wie gebürtige nichtjüdische<br />

und jüdische Amerikaner, sondern<br />

besonders auf das von Pierre Bour di eu<br />

entwickelte Konzept des „kulturellen<br />

Kapit<strong>als</strong>“ zurück, das die jüdischen<br />

Emi granten aus den deutschen und<br />

ös terreichischen Gesellschaften <strong>als</strong> in -<br />

korporiertes, unveräußerliches Kul tur -<br />

kapital mit in die Emigration brach ten,<br />

zu dem gerade die Erziehung und Bil -<br />

dungsorientierung zählten, während<br />

das objektive oder instituti o na lisierte<br />

kulturelle Kapital, gewisse be rufliche<br />

Qualifikationen, Lizenzen oder Titel<br />

für die Elterngeneration in vielen Fäl -<br />

len nicht konvertierbar war.<br />

Besonders die Bedeutung intellek tu -<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 37


Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />

el ler interessen, das Konzept einer<br />

um fas senden humanistischen Bil dung<br />

sowie die gehobene Qualität der deut -<br />

schen und österreichischen Schul bil -<br />

dung waren entscheidende Faktoren<br />

dafür, daß sich in der Gruppe der<br />

emigrierten Kinder und Jugendlichen<br />

eine so große Zahl herausragender<br />

Per sönlichkeiten findet, deren Leis tun -<br />

gen nicht zuletzt einen unschätzbaren<br />

Beitrag zum wissenschaftlichen, in tel -<br />

lektuellen, politischen und ökonomischen<br />

Leben der USA beitragen sollten.<br />

Carl Djerassi, Peter Gay, Geoffrey<br />

Hartmann, Henry Kissinger, Gerda<br />

Ler ner, Lore Segal und Fritz Stern sind<br />

nur einige wenige der bekanntesten<br />

unter ihnen, zu denen auch Ge rald<br />

Holton, einer der Autoren der Studie<br />

Was geschah mit den Kindern, zählt. Die<br />

natur- und Sozialwissenschaften stellen<br />

einen jener Bereiche dar, dem sich<br />

besonders viele jugendliche Emigran -<br />

ten zuwandten, da diese zum einen<br />

durch ihre Expansion und rapide Wei -<br />

terentwicklung in der nachkriegszeit<br />

viele Berufschancen boten, zum an de -<br />

ren Emigranten aufgrund ihrer Bio gra -<br />

phie ein geschärftes Bewusst sein für<br />

soziale Phänomene oder die iden ti täts -<br />

problematik besaßen. Die natur wis -<br />

senschaften boten sich jedoch noch aus<br />

einem weiteren, sprachlich-pragma ti -<br />

schen Grund an nach Gerald Hol ten:<br />

„It’s easier to go into science with a bad<br />

accent.“ iii<br />

Der Preis des kollektiven<br />

sozioökono mischen Erfolgs und auch<br />

des nut zens für die amerikanische<br />

Gesell schaft war allerdings ein hoher.<br />

Denn unter der an der Oberfläche <strong>als</strong><br />

Er folgs ge schich te lesbaren kollektiven<br />

Bio gra phie bleiben lebenslange<br />

Trau ma ta zurück, das Gefühl existentieller<br />

Entfremdung und Einsamkeit,<br />

Ängste, Unsicherheiten, das von vielen<br />

Op fern der Schoah geteilte<br />

Schuldgefühl der Überlebenden und<br />

nachhaltige, von äußeren Erfolgen<br />

unbeeinflussbare minderwer -<br />

tigkeitsgefühle.<br />

„Ich liebe die Stadt meiner Kindheit<br />

noch immer, nicht aber ihre<br />

Bewohner.“ iv<br />

Die rasche und vollständige Akkul tu -<br />

ration war nicht nur ein von außen<br />

erwartetes und durch das verbreitete<br />

Ressentiment gegenüber immigran ten<br />

befördertes, sondern auch von den<br />

Emigranten selbst verfolgtes Ziel, das<br />

mit dem Spracherwerb begann, der<br />

den Kindern und Jugendlichen, wie zu<br />

erwarten, leichter fiel <strong>als</strong> den Eltern,<br />

zumal sie durch ihren Bildungshin ter -<br />

grund oder die Emigrationserfahrung<br />

äußerst polyglott waren und die Er fah -<br />

rung der Vertreibung und drohenden<br />

Vernichtung der deutschen Spra che<br />

und identität äußerst kritisch ge gen -<br />

über standen. Trotz der mitunter en -<br />

thusiastisch verfolgten Akkulturation<br />

erfolgte jedoch keine vollständige An -<br />

passung an die amerikanische Kul tur,<br />

gerade im Hinblick auf das kulturelle,<br />

jüdisch-europäische Erbe, das sich<br />

über alltagskulturelle Phänomene wie<br />

etwa über die lebenslange Ver bun den -<br />

heit mit der deutschen und österreichischen<br />

Küche vor allem in Präfe ren -<br />

zen für kulturelle interessen, traditionelle<br />

Werte und normen manifestiert.<br />

„Klassischer Geschmack in Bezug auf<br />

musik, Literatur und Dichtkunst. Be -<br />

geisterung für das Erlernen vieler ver -<br />

schiedener Fremdsprachen, für Rei sen<br />

um die ganze Welt und das Erfor schen<br />

mir fremder Kulturen. Liebe zur<br />

Schön heit der natur – im Freien zu<br />

sein um der Sache selbst willen, nicht<br />

um Sport zu betreiben oder etwas für<br />

die Gesundheit zu tun,“ schreibt ei ner<br />

der Teilnehmer von Sonnert und Hol -<br />

tons Studie. Damit bringt er wohl auch<br />

die lebenslange Zerrissenheit vie ler<br />

jüdischer Emigranten auf den Punkt,<br />

die beinahe unsichtbare Gren ze, die<br />

sie, jüdisch-europäisch sozialisiert, von<br />

anderen Amerikanern wie auch amerikanischen<br />

Juden trennte, einer vollständigen<br />

Akkulturation zuwider lief,<br />

auch wenn sich fast die Hälfte der Be -<br />

fragten <strong>als</strong> Amerikaner bezeichnete.<br />

Die Bikulturalität schien denn auch<br />

ein Wesenszug der kollektiven iden ti -<br />

tät der vertriebenen jüdischen Kinder<br />

und Jugendlichen zu sein.<br />

Wie tief verwurzelt und auch schmerz -<br />

haft diese ist, zeigte die Präsentation<br />

der Studie Was geschah mit den Kin dern?,<br />

selbst. Gerald Holton, einer der Au to -<br />

ren, wurde wie auch seine Frau, die<br />

Bildhauerin nina Holton, von seinen<br />

Eltern auf einen der rettenden Kin der -<br />

transporte nach Großbritannien ge -<br />

schickt. Teil seines Vortrags war eine<br />

in ihrer Präzision berührende Schil de -<br />

rung des kindlichen Erlebens der An -<br />

nexion Österreichs durch das Drit te<br />

Reich, der alltäglichen nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Diskriminierung, des Ab -<br />

schieds von den Eltern am Wiener<br />

West bahnhof, der Reise quer durch Eu -<br />

ropa und schließlich der Ankunft in<br />

Großbritannien, wo ein BBC-Re por ter<br />

die erschöpften Kinder bat, doch ein<br />

Lied zu singen. in der Erin ne rung des<br />

Liedes, das die Kinder für das eng -<br />

lische Radiopublikum sangen, zitterte<br />

Gerald Holton, bis dahin be Denkmal herrscht,<br />

distinguiert und durch sei nen am Wiener englischen<br />

Vortrag wohl auch Westbahnhof sprachlich<br />

distanziert, die Stimme. Es war Wien,<br />

Wien, nur du allein.<br />

© APA<br />

Gerhard Sonnert u. Gerald Holton: Was geschah mit den<br />

Kindern? Erfolg und Trauma junger Flücht lin ge, die von den<br />

Nation<strong>als</strong>ozialisten vertrieben wurden. Wien: LIT <strong>2008</strong> (=<br />

Emigration – Exil – Kontinuität. Schrif ten zur zeitgeschicht -<br />

lichen Kultur- und Wissen schaftsforschung 9)<br />

Zum jüdischen Kindertransport:<br />

Rebekka Göpfert: Der jüdische Kindertransport von Deutsch land<br />

nach England 1938/39. Geschichte und Erinne rung. Frankfurt am<br />

Main u. New York 1999<br />

Mark Jonathan Harris, Deborah Oppenheimer u. Jerry Hofer:<br />

Kinder transport in eine fremde Welt. München 2000<br />

Claus-Dieter Krohn: Kindheit und Jugend im Exil – ein Gene ra tion -<br />

enthema. München: Edition Text und Kritik 2006 (= Exil for -<br />

schung 24)<br />

„Der olle Hitler soll sterben!“ Erinnerungen an den jüdischen<br />

Kindertransport nach England. Hg. v. Anja Salewsky. Mit ei nem<br />

Vorwort v. Michel Friedmann. München: Claassen 2001<br />

Barry Turner: Kindertransport. Eine beispiellose Ret tungs aktion.<br />

Mit einer Einleitung v. Lucie Kaye. Übers. v. Anna Kaiser. Ger -<br />

lin gen 1994<br />

Zur Situation der jüdischen Schulen im NS-Deutschland:<br />

Ruth Röckler: Die jüdische Schule im nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Deutschland 1933-1942. Frankfurt am Main 1992<br />

i Gerald Holton bei der Präsentation des Bandes Was ge schah<br />

mit den Kindern? Erfolg und Trauma junger Flücht lin ge, die von<br />

den Nation<strong>als</strong>ozialisten ver trieben wurden am 24. Juni <strong>2008</strong> an<br />

der Univer si tät Wien im Rahmen der Vor trags rei he „AB SCHIE -<br />

DE 1938. Die Vernichtung des geistigen Wien“.<br />

ii Gerald Holton bei der Präsentation des Bandes Was geschah<br />

mit den Kindern? Erfolg und Trauma junger Flüchtlinge, die von<br />

den Nation<strong>als</strong>ozialisten vertrieben wurden am 24. Juni <strong>2008</strong> an<br />

38 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


JÜDISCHE WELT • INLAND<br />

Sie sind mit zwei Identitäten aufgewachsen,<br />

auch auf zwei Kontinenten.<br />

Welche Erfahrungen haben sie gesammelt<br />

und wel cher Charakter ist daraus<br />

entstan den?<br />

Wenn man auf einen anderen Kon -<br />

ti nent kommt und nach vielen Jahren<br />

wieder nach Hause kommt, dann hat<br />

man eines gelernt, und zwar gleich<br />

doppelt: Alles mit großer Distanz zu<br />

betrachten. Alles was ich bin oder<br />

den ken kann oder erzählen kann,<br />

kann ich nur deshalb, weil ich gelernt<br />

habe, lernen musste, alles mit großer<br />

Distanz zu sehen, und heute gar nicht<br />

mehr anders kann. Als ich nach Bra si -<br />

lien kam, war alles für mich sehr span -<br />

nend, alles, was ich sah, war neu und<br />

anders und allein deshalb sehr<br />

faszinie rend. Aber diese Distanz kann<br />

man nicht verlieren, auch wenn man<br />

sich möglichst gut einleben und assimilieren<br />

will. Und das wollte ich. ich<br />

hätte in Sao Paulo Taxi fahren können,<br />

kann te diese riesige Stadt besser <strong>als</strong><br />

die meisten Einheimischen, weil es<br />

mein Anspruch war, und trotzdem<br />

war nach acht Jahren klar, dass ich nie<br />

ein Bra si lianer werde. Und <strong>als</strong> ich<br />

dann nach acht Jahren nach Österreich<br />

zurück kam, war mir Österreich<br />

mittlerweile völlig fremd geworden,<br />

ich hatte so viel angenommen von<br />

der lateinamerikanischen mentalität.<br />

Was für alle Wiener selbstverständlich<br />

ist, war mir nicht mehr selbstverständlich,<br />

ich hatte zu lange ganz<br />

anders gelebt, andere Er fahrungen<br />

gemacht. Und so habe ich gemerkt,<br />

dass ich jetzt hier dieselbe Distanz<br />

habe. Und das war gut. ich be griff,<br />

dass das ein enormes schriftstellerisches<br />

Kapital ist: Die Distanz, die es<br />

einem erst ermöglicht, seine Welt zu<br />

überblicken und zu hinterfragen. ich<br />

wollte das nie mehr verlieren und ich<br />

glaube, ich habe es nie mehr verlo ren.<br />

Was denken Sie über Migration und mul -<br />

ti konfessionelle, multiethnische Städte?<br />

Eine Stadt, die das nicht ist, die kei ne<br />

Anziehungskraft auf menschen ve r -<br />

schiedenster Welthaltungen, Kultu ren,<br />

Konfessionen, Lebensvorstellungen<br />

hat, ist in Wirklichkeit keine Stadt.<br />

Eine Stadt ist ein Ort, der wie ein mag -<br />

net auf die Vielfalt des Lebens wirkt,<br />

<strong>als</strong>o auf ein im breitesten Sinn gefasstes<br />

Umland. Eben deshalb war Wien<br />

zur Jahrhundertwende vom 19. zum<br />

20. Jahrhundert so ein spannender Ort,<br />

Robert<br />

Menasse –<br />

ein nicht<br />

typischer<br />

Wiener Autor<br />

mit Sehnsucht<br />

nach Liebe und<br />

Gerechtigkeit<br />

von Ida Labudovic<br />

wo die europäische moderne begonnen<br />

hat in der Kunst, Architektur, me -<br />

dizin, Literatur. Das war, weil Wien<br />

ein großer magnet für menschen aus<br />

Galizien, Serbien, Ungarn, italien, aus<br />

allen Richtungen und Kulturen war.<br />

ich kann nicht verstehen, wie es möglich<br />

ist, dass die Erben dieser Stadt, die<br />

mit diesem Erbe Tourismuswerbung<br />

machen und von diesem Erbe leben,<br />

solche Aggressionen haben gegenüber<br />

jenen, die diese Stadt heute wieder <strong>als</strong><br />

Stadt ernst nehmen, <strong>als</strong> magnet, <strong>als</strong><br />

Ort für Lebenschancen. Eine unfähige<br />

Politik, menschlich verrottete Poli ti ker<br />

betrügen Wien heute doppelt: Sie be -<br />

trü gen die sogenannten Einheimi -<br />

schen, weil sie ihnen eine Stadt versprechen,<br />

die keine Stadt wäre, und<br />

sie betrügen die Zuwanderer, weil sie<br />

ihnen nicht die Stadt geben, die dem<br />

Bild entspricht, das sie von dieser Stadt<br />

in der Welt verbreitet haben.<br />

Wie steht es mit dem Antisemitismus in<br />

Wien. Ist Antisemitismus noch latent<br />

vor handen?<br />

Den klassischen Antisemitismus gibt<br />

es in Wien fast nicht mehr. Keiner<br />

würde heute laut und deutlich sagen<br />

„Die Juden sind unser Unglück“, „An<br />

allen Problemen sind die Juden schuld“,<br />

„Die Juden müssen ausgegrenzt oder gar<br />

vernichtet werden.“ Es ist klar geworden,<br />

dass man sich damit selbst schädigt<br />

© Ida Labudovic<br />

und das will keiner. Aber es gibt, meiner<br />

meinung nach, zwei neue Formen<br />

des Antisemitismus. Die eine ist der<br />

„selektive Antisemi tis mus“, der sich<br />

sich nur gegen Juden richtet, die –<br />

wienerisch gesagt: - keine Ruhe ge ben.<br />

Das sind menschen, die haben jüdische<br />

Bekannte oder Geschäftskol le gen,<br />

und sie nicken betulich bei den Sonn -<br />

tagsreden, wenn es heißt, dass wir aus<br />

der Geschichte lernen müssen und<br />

sich das nicht mehr wiederholen darf,<br />

und sie glauben ehrlich, dass sie kei -<br />

ne Antisemiten sind, aber wenn einer<br />

auffällig wird, dann ist es nicht konkret<br />

dieser bestimmte mensch, sondern<br />

ein Jude. Und typisch Jude. Das<br />

versteckt sich hinter Philosemi tis mus,<br />

und jeder hat viele Beweise dafür, dass<br />

er kein Antisemit ist. Die se menschen<br />

würden nie sagen, dass Ju den ausgegrenzt<br />

werden müssen, aber sie wollen,<br />

dass einzelne, ganz be stimmte<br />

ausgegrenzt werden, nur je ne, die<br />

ihnen auffallen. Und die andere Form<br />

des neuen Antisemitismus ist das, was<br />

ich den „Übertragungs-Antisemitis mus“<br />

nenne. Er richtet sich gegen men schen,<br />

die gar keine Juden sind, auf die aber<br />

die mechanismen des klassischen An -<br />

ti semitismus angewandt werden. Wie<br />

zum Beispiel jetzt Türken, Asylwer ber<br />

oder menschen, die vor Kriegen flüch -<br />

ten. Die kommen hierher nicht aus Jux<br />

und Tollerei, aber sie werden <strong>als</strong><br />

Schmarotzer, <strong>als</strong> Fremdkörper gese-<br />

JÜDISCHE WELT<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 39


JÜDISCHE WELT • INLAND<br />

hen, und sie werden verfolgt und<br />

aus gegrenzt, nicht mit physischer Ge -<br />

walt, aber mit gesellschaftlich atmosphärischer<br />

und bürokratischer Ge -<br />

walt. man muss den Antisemitismus -<br />

be griff heute eigentlich radikal ausweiten<br />

und klar sagen: Jeder, der mit<br />

den mitteln und methoden, die wir<br />

vom klassischen Antisemitismus kennen,<br />

verfolgt wird, ist Jude.<br />

Was ist ihre Meinung über die jüdische<br />

Gemeinde?<br />

ich habe keinen Kontakt zur Ge -<br />

mein de, höchstens mit einzelnen<br />

menschen, die sich darin engagieren.<br />

ich bin ja kein Jude, weil ich keine<br />

jüdische mutter habe. ich bin nur ein<br />

Feuilleton- und Kulturjude. ich weiß<br />

<strong>als</strong>o wenig vom innenleben der Ge -<br />

meinde, aber ich bin froh, dass es sie<br />

gibt und ich bin der meinung, dass es<br />

ein Skandal ist, dass die Stadt in der<br />

sie einmal zerstört wurde - politisch<br />

und physisch zerstört wurde -, dass<br />

die se Stadt nicht historische Verant -<br />

wor tung übernimmt und sie besser<br />

unterstützt.<br />

Der Roman „Selige Zeiten, brüchige<br />

Welt“ thematisiert sehr stark Indivi du a -<br />

lis mus und Einsamkeit. Warum musste<br />

Judith, die weibliche Hauptfigur, am<br />

Ende sterben?<br />

Der Roman „Selige Zeiten, brüchige<br />

Welt“ thematisiert nicht die Ein -<br />

samkeit, sondern den größten An -<br />

spruch: die Welt zu verstehen, seine<br />

Zeitgenossenschaft zu begreifen. Das<br />

führt, wenn man sehr konsequent ist,<br />

zu Einsamkeit. Das führt zu Selbst -<br />

zer störung. Dazu kommt der Ge -<br />

schlech terkampf. Judith wurde er -<br />

mordet, von Leo, dem mann an ihrer<br />

Seite, der ihr Werk <strong>als</strong> seines ausgeben,<br />

mit ihrer Arbeit seinen Profit machen<br />

wollte. ich wollte von einem Leben<br />

erzählen, das konsequent und kompromisslos<br />

geführt wird, so sehr, dass<br />

es Selbstzerstörung und das eigene<br />

Verschwinden in Kauf nimmt. Und<br />

der mord steht dafür, wie mit einem<br />

solchen Werk umgegangen wird:<br />

menschen, die schwächer sind und<br />

kompromissbereiter, eignen es sich an.<br />

Der Einsatz ist groß, die Wirksamkeit<br />

dürftig, am Ende ist das Gequatsche.<br />

Judith ist eine autobiographische Fi gur,<br />

ich habe sie mit all meinen Eigen -<br />

schaften ausgestattet. Leo, ihr männlicher<br />

mit- und Gegenspieler, ist ein<br />

Typus, den ich beobachtet habe, mit<br />

dem ich immer wieder Erfahrungen<br />

ma che, aber ich bin Judith, Judith ist<br />

ich.<br />

Sie sind sehr beschäftigt, auch überall in<br />

den Medien präsent, wie passt dass zu<br />

Familie und was denken Sie überhaupt<br />

über die heutige Familie?<br />

Es gibt Berufe, die immer wieder zu<br />

Tren nungen von der Familie führen,<br />

Vertreter, matrosen oder männer, die<br />

monatelang auf einer Bohrinsel arbeiten.<br />

Und der Schriftstellerberuf ist<br />

auch so einer. im Grunde arbeite ich<br />

auf einer Bohrinsel. ich habe Vor trags -<br />

reisen, oder ich muss eine Zeit lang wo<br />

anderes leben, weil ich recherchiere.<br />

„Die Vertreibung aus der Hölle“<br />

spielt teilweise in Amsterdam, teilweise<br />

in Lissabon und ich musste in<br />

beiden Städten eine Zeit lang leben,<br />

um dort in Archive zu gehen und die<br />

Stadt kennen zu lernen. So einen Ro -<br />

man kann man nicht zuhause in Wien<br />

schreiben, mit einem Reiseführer am<br />

Schreibtisch, und am Abend sitzt man<br />

mit der Familie beim Abendessen und<br />

erzählt, was man erlebt hat. Das Pro -<br />

blem ist nicht die Trennung, sondern<br />

wie man damit umgeht, ob die Fa mi lie<br />

das akzeptiert und versteht oder nicht.<br />

ich habe die These, nein, die Er fah -<br />

rung, dass Trennungen, kurzfristige<br />

Trennungen geradezu die Vorausset -<br />

zung dafür sind, dass man mit jemandem<br />

gerne zusammen ist und bleibt.<br />

ich glaube, dass die Ehen heute, wenn<br />

sie überhaupt funktionieren, nur mit<br />

großen Freiräumen funktionieren<br />

kön nen. Wenn man zu sehr aneinander<br />

klebt, führt das irgendwann zu großen<br />

Aggressionen, zum Gefühl, in einem<br />

verrostenden Käfig zu leben. in meiner<br />

Generation sind alle meine Freun de<br />

geschieden.<br />

Sie haben schon viele Erfahrungen ge -<br />

macht, schreiben über Frauen, über<br />

Erotik. Wo finden Sie Inspiration und<br />

Herausforderungen im täglichen Leben?<br />

Bei allem was ich schreibe, Romane,<br />

Essays oder Theaterstücke, versuche<br />

ich immer zu verstehen, wie eine Ge -<br />

sell schaft in meiner Lebenszeit funktioniert,<br />

das heißt, ich versuche mich<br />

in meiner Zeitgenossenschaft zu über -<br />

prüfen. Jede Epoche hat eine fixe idee,<br />

darüber definiert sie sich. Wenn sich<br />

die fixe idee ändert, hat man eine neue<br />

Epoche. Die Zeit unserer Großeltern<br />

war besessen von der idee nationaler<br />

© Ida Labudovic<br />

identität und Größe. Die Elterngene -<br />

ra tion hatte die fixe idee von Un schuld,<br />

von unschuldigem Wohlstand! meine<br />

Generation hatte die fixe idee, alles<br />

zu befreien. Alles musste befreit werden,<br />

auch die Sexualität. Durch die<br />

Enttabuisierung der Sexualität sollte<br />

ein Freiraum geschaffen werden, der<br />

die allgemeine Befreiung befördern<br />

konnte. Da konnten ein junger mann<br />

und eine junge Frau nicht miteinander<br />

ins Bett gehen, ohne gleich die sexuelle<br />

Revolution zu machen. Sie haben sich<br />

nicht einfach geliebt, sie haben die Se -<br />

xu alität befreit. Wie lächerlich das heu -<br />

te klingt! Das zeigt, die Zeit ist vorbei.<br />

in meinem letzten Roman, wo es um<br />

Lie be und Sexualität geht, habe ich<br />

nicht versucht, einen neuen Liebesro -<br />

man zu schreiben, sondern mich ge -<br />

fragt: Was ist da passiert und was ist<br />

daraus geworden, dass die Liebe und<br />

die Sexualität eine Zeit lang im mit -<br />

telpunkt des gesellschaftlichen inter -<br />

es ses standen wie nie zuvor in der Ge -<br />

schichte? Die menschen lieben jetzt<br />

anders <strong>als</strong> vorher, die Erwartungen<br />

sind andere, die Hoffnungen, die Vor -<br />

stel lungen, wie es sein soll, sind an -<br />

dere, die Enttäuschungen sind größere<br />

und gleichzeitig hat diese Entta bui -<br />

sie rung dazu geführt, dass eben Se xu -<br />

alität oder sexuelle Reize plötzlich allgegenwärtig<br />

geworden sind. Was<br />

heute an Werbung mit diesen sexuellen<br />

und erotischen Signalen möglich ist,<br />

war vor fünfzig Jahren undenkbar.<br />

Was macht das mit den menschen, wie<br />

verändert das die Köpfe, wie verändert<br />

das die Gefühle, wie verändert<br />

das die Geschlechtswerkzeuge? Des -<br />

we gen ist das kein Liebesroman, sondern<br />

ein kleiner Epochenroman. Die se<br />

fixe idee von sexueller Befreiung exis -<br />

40 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


JÜDISCHE WELT • INLAND<br />

tiert nicht mehr. Die fixe idee heute ist<br />

Sicherheit, die menschen sind heu te<br />

bereit, Freiheit zu Gunsten von Si cher -<br />

heit aufzugeben. Also haben wir eine<br />

neue Epoche und wenn eine Epoche zu<br />

Ende ist, kann man von ihr erzählen.<br />

Eine Szene mit Chili in „Don Juan de la<br />

Mancha“ hat heftige Reaktionen in den<br />

Medien ausgelöst. Leben wir eigentlich<br />

in einer scharfen Gesellschaft und<br />

warum ist sie scharf?<br />

Scharf ist in der heutigen Gesell -<br />

schaft eigentlich nur der Überlebenskampf,<br />

sowohl der der Konzerne <strong>als</strong><br />

auch der jedes einzelnen. Ein brutaler<br />

Kampf, der mit aller Schärfe geführt<br />

wird. Aber in der gesellschaftlichen<br />

Selbstdarstellung wird so getan, <strong>als</strong><br />

wäre es die schiere Lust, zu leben und<br />

zu konsumieren. Die ökonomischen<br />

Zwänge werden hinter allgegenwärtigen<br />

erotischen und sexuellen Reizen<br />

versteckt. Als wären die Zerschla gung<br />

des Sozi<strong>als</strong>taats, das Zerreißen sozialer<br />

netze, das Öffnen der Schere zwischen<br />

Arm und Reich, die Verteilungsunge -<br />

rechtigkeit einfach nur sexy. Und<br />

jeder, der sich da im Überlebenskampf<br />

abstrudelt, glaubt, dass nur<br />

mit ihm allein etwas nicht stimmt.<br />

Sie provozieren sehr viel, besonders wenn<br />

Sie es mit Autoritäten zu tun haben, Sie<br />

widersetzen sich dagegen. Manchmal<br />

habe ich das Gefühl, dass Sie verbittert<br />

und sehr für Gerechtigkeit sind. Woher<br />

kommt das und ist das wirklich ihr<br />

Temperament oder nur Ihr Image?<br />

Das ist keine Entscheidung die man<br />

trifft, aber ein bisschen schon auch.<br />

meine Eltern haben sich scheiden lassen,<br />

<strong>als</strong> ich ein Kind war, und schon<br />

mit sechs Jahren bin ich ins internat<br />

gekommen. Von meinem sechsten bis<br />

zum achtzehnten Lebensjahr bin ich in<br />

einer geschlossenen Anstalt gewesen,<br />

die noch dazu sehr autoritär war. Als<br />

ich raus gekommen bin, war ich ein<br />

voll kommen verschüchterter, ängstli -<br />

cher junger mensch. ich kam auf die<br />

Uni und hinein in diese Freiheitsbe we -<br />

gung nach Achtundsechzig. mich hat<br />

das fasziniert, dieses Rotzige, An ti au to -<br />

ritäre mit dem Anspruch auf Selbst be -<br />

stimmtheit. Und ich habe mir ge dacht,<br />

ja, so will ich sein, ich will nie wieder<br />

kuschen, mich ducken und buc keln,<br />

mich klein machen. in die Schule<br />

muss te ich gehen, aber an die Uni ver -<br />

Die internationale j dische<br />

EHE-PARTNER-VERMITTLUNG<br />

Weber Jos<br />

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D-60082 Frankfurt a.M.<br />

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si tät konn te ich frei gehen. ich habe<br />

diese Freiheit genossen und die Chan -<br />

cen, die wir dam<strong>als</strong> hatten: Selbst be -<br />

stimmt zu lernen. Die Universität in<br />

den 70er-Jahren war ein historisches<br />

Fenster, durch das wir die schönsten<br />

Aussichten hatten. Die Universität war<br />

nicht mehr autoritär und noch nicht<br />

verschult. Und sie war bewegt von<br />

der idee der Chancengleichheit und<br />

sozialer Gerechtigkeit. ich finde Un -<br />

ge rechtigkeit wirklich schwer zu er tra -<br />

gen und kann da wirklich wütend<br />

werden. Umgekehrt ist diese Wut ganz<br />

nahe an der Liebessehnsucht. im Grun -<br />

de will man lieben und geliebt werden.<br />

Tag der offenen Tür im S.C.HAKOAH<br />

Karl Haber Sport & Freizeitzentrum<br />

21. September von 11.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eingang: 1020 Wien, Wehlistraße 326<br />

Ein Ort zum Wohlfühlen<br />

An einem heißen Sommertag ist ein erfrischendes Bad im Pool genau das Richtige! Die weitläufige<br />

Rasenfläche und die Terrasse des Restaurants laden ein, hier so richtig zu entspannen.<br />

Auf den Tennisplätzen wird bereits eifrig gespielt, ein Multifunktionsplatz und ein<br />

Beachvolleyballplatz laden zum Sport ein.<br />

Im Innenbereich steht neben dem Fitnesscenter und dem Wellnessbereich die 3-Fachsporthalle für<br />

beinahe alle Indoor-Sportaktivitäten zur Verfü gung. Da ist für jeden etwas dabei.<br />

Spaß für die ganze Familie, ein Ort der Begegnung.<br />

Alle HAKOAH Sektionen stellen sich am Tag der offenen Tür im Sportzentrum vor – Basketball,<br />

Boxen, Judo, Karate, Ringen, Schwimmen, Tennis und Tischtennis.<br />

Lustige Mitmach-Aktionen, jede Menge Spaß für Kids, alle sind willkommen!<br />

Für beste Verpflegung sorgt das Restaurant HAKOAH-Simchas.<br />

An diesem Tag werden auch die Mesusot im Sport zentrum angebracht. Spenden Sie dafür Ihre<br />

ganz persönliche Mesusa! Sie können Ihre Spende direkt über unser Spendenportal abgeben:<br />

http://www.hakoah.at/shop.asp<br />

Wir freuen uns ganz besonders auf Ihr Kommen!<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 41


Atid statt Austritt<br />

lautet das neue Motto der<br />

Jüdischen Gemeinde in Berlin<br />

Von Marta S. Halpert<br />

JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

Die schicken Lokale in der sonnigen<br />

Oranienburgstrasse sind noch fest<br />

ver schlossen, die Stühle und Bänke<br />

sicher mit den Tischbeinen verkettet.<br />

Um zehn Uhr Vormittag schlafen<br />

noch jene Lebenskünstler, die hier die<br />

halbe nacht verbracht haben. Doch<br />

gleich neben dem „Restaurant Silber -<br />

stein“ stehen schon menschen schlan -<br />

gen. Sie warten in bunter Frei zeit klei -<br />

dung geduldig auf den Ein tritt ins<br />

Centrum Judaicum der neuen Syna -<br />

go ge Berlin, Oranien burg.<br />

Drei Aus stel lun gen kön nen sie in<br />

im Sommer <strong>2008</strong> in der 1866 von<br />

Architekt Eduard Knoblauch (1801-<br />

1865) erbauten Ora nien burg-Sy na go ge<br />

besuchen: „Tuet auf die Pfor ten“<br />

nennt sich die ständige Aus stellung,<br />

die einen Überblick über die reiche<br />

jüdische Geschichte Berlins im ausgehenden<br />

19. und 20. Jahrhundert bis<br />

zur Shoah ermöglicht. Obwohl sehr<br />

wenige Ob jekte aus der ursprüngli -<br />

chen Synago ge gerettet werden konnten,<br />

gibt es viele Dokumente und Fo -<br />

tos, die das blühende Gemein de le ben<br />

von dam<strong>als</strong> do kumentieren. 3.200 Sit -<br />

ze hatte die Sy nagoge, die dem Stil<br />

der Alhambra in Granada, Spanien,<br />

nachempfunden ist: Die drei unterschiedlich<br />

ho hen vergoldeten Zwie bel -<br />

türme überragen mit einer Höhe von<br />

50 meter die Ge bäu de des gesamten<br />

Bezirkes. in der no vem ber pogro m -<br />

nacht von 1938 blieb das Got teshaus<br />

verschont, doch Bom ben tref fer während<br />

des Zweiten Welt kriegs zerstörten<br />

das innere des Bau werks. Erst<br />

1995 wurden die zwei Haupt fassaden<br />

zur Strasse renoviert und ein Teil des<br />

Gebäudes zu einem Kul turzentrum<br />

mit reichlich Ausstel lungs fläche ausgebaut.<br />

Der Fußball-Euro 08 wurde mit ei -<br />

nem Rückblick auf die Erfolge der be -<br />

rühm ten deutsch-jüdischen Sportler<br />

Reverenz erwiesen. Und ähnlich wie in<br />

der Wiener Staats oper zeigte man im<br />

Centrum Judaicum und in der Deut -<br />

schen Staatsoper die Schau „Ver -<br />

stumm te Stim men – Die Vertreibung<br />

der ‚Juden’ aus der Oper 1933-1945“.<br />

Berlin <strong>als</strong> Magnet<br />

im neuen Teil dieses Kom plexes sind<br />

die Büros der Jü di schen Gemeinde un -<br />

ter ge bracht. Michael Ger shom Joachim<br />

(64), Vorsitzender der Reprä sen tan ten -<br />

ver sammlung der Jüdi schen Ge mein de<br />

zu Berlin, empfängt uns hier zum Ge -<br />

spräch. „Man muss einen Aus flug in die<br />

Geschichte machen, ob wohl ich nicht bei<br />

1671 anfangen will“, lacht der ehemalige<br />

Rektor einer Grund schu le in Ber -<br />

lin-Zehlendorf. Er wird uns Ak tu elles<br />

über die Gemeindear beit er zäh len,<br />

aber „dass die ersten 50 Grün dungs -<br />

familien aus Österreich hier in Preußen<br />

Die orthodoxe Synagoge amFraenkelufer<br />

© Aechiv<br />

© Aechiv<br />

aufgenommen wurden“, findet er schon<br />

er wähnens wert. Sie mussten zwar<br />

dem Berliner Kurfürsten für die An -<br />

siedlung erhebliche Summen zahlen,<br />

aber erreichten bald eine relative Au to -<br />

nomie.<br />

Berlin wurde daraufhin zum mag -<br />

net, sodass mit der Zeit 175.000 Juden<br />

in den Wohnbereichen Charlot ten burg,<br />

Prenzlauerberg, Kreuzberg und im<br />

Scheunenviertel, entlang des Kan<strong>als</strong>, an -<br />

sässig wurden. Zwischen 1880 und<br />

1930 wurde das Scheunenviertel (be -<br />

nannt nach den einfachen Pferde stal -<br />

lungen) das Zuzugsgebiet für Juden<br />

aus Westrussland und Polen, die groß -<br />

teils orthodoxe kleine Händler und<br />

Bett ler waren. Erst ab 1913/14 entstan -<br />

den am Kanal feste kleine Häuser mit<br />

erfolgreichen Geschäftsleuten. „Al lein<br />

in Kreuzberg gab es einen Tempel mit 2.000<br />

Sitzen. Mehr <strong>als</strong> 40 Synagogen wurden in<br />

der Pogromnacht geschändet und abgeris -<br />

sen“, so Joachim.<br />

Joachim: „Unseren Stall<br />

in Ordnung bringen“<br />

michael Joachim ist seit über vier Jah -<br />

ren Gabbaj in der Synagoge Fraen kel -<br />

42 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

ufer und seit Frühjahr 2004 mitglied<br />

im Kultus- und Schulausschuss der<br />

Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Seine<br />

40-jährige Erfahrung im Berliner<br />

Schul dienst mag seine guten nerven<br />

er klären: Denn er gehört zu jener<br />

neuen Grup pierung ATiD (Zu kunft),<br />

die in der seit vielen Jahren zerstrittenen<br />

jü dischen Ge mein de Berlins auf<br />

einen neuan fang setzen. „Entweder<br />

wir schaf fen es noch einmal, oder diese<br />

Ein heitsgemeinde bricht we gen weiterer<br />

Aus tritte ausein ander“, ist der verheiratete<br />

Vater eines er wach se nen Soh nes<br />

über zeugt. mit rund 12.000 mitglie dern<br />

ist die Ber liner Gemeinde die größte<br />

in Deutschland. im ganzen Land<br />

leben heu te 110.000 Juden.<br />

im november 2007 begannen mit<br />

dem Slogan „Atid statt Austritt“ die<br />

Bemühungen der Gruppe um Lala<br />

Süss kind, der langjährigen Vorsitzen -<br />

den der WiZO, zum Erhalt der Ein -<br />

heits gemeinde und der Überwindung<br />

der Grabenkämpfe. „Überraschenderweise<br />

gingen wir aus der Wahl <strong>als</strong> klarer<br />

Sieger hervor. Wir haben jetzt 13 von<br />

insge samt 21 Sitzen und Frau Süsskind<br />

ist die neue Vorsitzende.“<br />

Auch bei der Ursachenfor schung<br />

nach den Querelen in der Gemeinde,<br />

macht Joachim, ein ruhiger und be -<br />

son nener Freund der musik und des<br />

Sports, einen Exkurs in die Vergan gen -<br />

heit: „Mitte der 70er Jahre gab es eine Zu -<br />

wande rungs welle aus der Sowjetu nion, die<br />

einen positiven Aufschwung brachte, die<br />

Mitgliederzahl stieg von 33.000 auf<br />

110.000. Doch Anfang der 90er Jahre ka -<br />

men auch viele ältere Personen, darunter<br />

hoch qualifizierte Wissen schafter und et li -<br />

che Musiker. Die konnten leider nicht Fuß<br />

fassen, weil es keinen Bedarf gab.“ Joa -<br />

chim nimmt an, dass etliche der Zu -<br />

wan derer vorher in diversen ‚Funk -<br />

tio närs stellungen’ im Sowjetreich tä tig<br />

waren. „Irgendwie witterten die hier Mor -<br />

genluft. Ihr klassischer Ausspruch lautete:<br />

‚Jetzt sind wir mal dran’. Sie drängten an<br />

die Fleischtöpfe Ägyptens: Sie brachten<br />

diese Mentalität ein, dass die Geldflüsse<br />

jetzt umverteilt werden müssten. Diese<br />

Gruppe wählte vorrangig nur ihre Leute<br />

und kochte ihr eigenes Süppchen.“<br />

Verschlechtert hat sich besonders das<br />

Verhältnis zu den Behörden, Verein -<br />

ba rungen mit Politikern wurden nicht<br />

eingehalten. „Es brach eine richtige Eis -<br />

zeit aus“, bedauert Joachim rückblikkend.<br />

„Das war eine Situation, wo viele<br />

potente Steuerzahler aus dem gutbürgerlichen<br />

Berliner Milieu das Gefühl hatten,<br />

die Gemeinde verkomme zu einem russischen<br />

Folkloreverein.“ Streitereien und<br />

Chaos im Vorstand waren die Folge.<br />

Die Spaltung der Gemeinde, die schon<br />

zu 80% aus Zuwanderern aus ehemaligen<br />

GUS-Staaten besteht, droh te.<br />

Prominente Juden wie der His toriker<br />

Ju lius H. Schoeps hatten der Ge mein de<br />

schon den Rücken ge kehrt.<br />

Studie bestätigt neuen<br />

Antisemitismus<br />

„Uns ist es mit dem Team um Frau Süss -<br />

kind gelungen, in 120 Tage die Türen zu<br />

den politischen Parteien, dem Berliner<br />

Senat wieder zu öffnen. In kürzester Zeit<br />

wurden wir wieder zu Gesprächen eingeladen“,<br />

freut sich Joachim. Atid hat<br />

jetzt die gestaltende mehrheit, musste<br />

aber mit einem desaströsen Defizit <strong>als</strong><br />

Altlast in den neustart gehen. Das<br />

Schulgeld für über 800 Schüler muss te<br />

erhöht werden, der Schulbus trans port<br />

konnte nicht mehr subventioniert<br />

werden. Auch immobilien, die an die<br />

Gemeinde restituiert wurden, sind in<br />

schlechtem Zustand und daher nur<br />

ei ne Belastung, derer man sich entledi -<br />

gen will. „Erst wenn wir unseren Stall<br />

selbst in Ordnung bringen, bestätigte mir<br />

auch Oberbürgermeister Klaus Wowereit,<br />

können wir mit öffentlicher Unter stüt zung<br />

rechnen.“ Und darauf kann man hier<br />

nicht verzichten: Um die acht Syna -<br />

go gen, vier Friedhöfe, die Altenbe treu -<br />

ung und vieles Andere bewältigen zu<br />

können, verfügt die Gemeinde nur<br />

über eine million Euro Steuerauf kom -<br />

men pro Jahr. Weitere 25 mio Euro<br />

kom men vom Land Berlin, das sich da -<br />

zu über Staatsverträge verpflichtet hat.<br />

„Politisch werden wir gehegt und ge -<br />

pflegt, aber in der Gesellschaft haben wir<br />

große Probleme mit einem neuen Antise -<br />

mi tismus, der sich unter dem Deckmantel<br />

des Antizionismus verbirgt,“ zeigt sich<br />

Joachim besorgt. Er zitiert eine neue<br />

Studie der Fried rich Ebert-Stiftung,<br />

wo nach 25% der Bevölkerung <strong>als</strong> er -<br />

klärt ausländerfeindlich, antizionis -<br />

tisch und antisemitisch eingestuft<br />

werden.<br />

ist das der Antizionismus ausschließ -<br />

lich von Links? „Nein, das kann man so<br />

nicht sagen. Georg Gysi von der „Lin ken“<br />

hat erst jüngst eine Erklärung zu Israel<br />

abgegeben, da ist uns vor Stau nen der<br />

Atem weggeblieben. Er hat nicht nur das<br />

Existenzrecht Israels, sondern dessen<br />

Pflicht zur Selbstverteidigung von Staat<br />

und Menschen hervor gestrichen.“ Wo -<br />

rauf ist dieser Wandel zurückzuführen?<br />

Joachim ist überzeugt, dass die<br />

Einsicht mit der großen Bedro hung<br />

israels durch den iran und die Hamas<br />

zusammenhängt und diesen Paradig -<br />

menwechsel verursacht hat. „Sie sehen<br />

ihre eigenen Neonazis und wol len deren<br />

schlimmen Argumente nicht noch unterfuttern.“<br />

michael Joachim ist gebürtiger Ber -<br />

li ner, er hofft, dass er mit seinem En -<br />

gagement für die Gemeinde den richtigen<br />

Schritt gesetzt hat. „ Ich hoffe,<br />

dass wir <strong>als</strong> Gruppe zusammenbleiben und<br />

die Geschicke in Berlin wieder so auf den<br />

Weg bringen, wie es diese Gemeinde verdient.<br />

Wir haben sehr wertvolle Mit glie -<br />

der aus allen beruflichen, sozialen und<br />

gesellschaftlichen Schichten. Das ist eine<br />

Bereicherung für die Berliner.<br />

© Aechiv<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 43


KULTUR •<br />

Panorama<br />

Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />

Quelle: JTA/Guysen u.a.; Übersetzung: Karin Fasching/Foto:©JTA u.a.<br />

die Plakatierung im freien<br />

des neuen “Sex and the City-Films”<br />

wur de in Jerusalem und Petah Tikva<br />

wegen des Wortes „Sex“ auf den Pla -<br />

katen verboten. Der Filmverleih, Fo -<br />

rum Films, sagte dazu: „Wir finden es<br />

lächerlich, eine Mar ke zu bewerben, ohne<br />

sie beim Namen nennen zu dürfen.“<br />

israelische historiker<br />

haben sich mit ihren europäischen<br />

Kollegen zusam mengeschlossen, um<br />

in Albanien zu erforschen, wie das<br />

Land während der Schoa seine Juden<br />

gerettet hat. Un gefähr 1.200 Juden<br />

wurden von albanischen Familien ver -<br />

steckt, wo durch dies die einzige Ge -<br />

meinde im besetzten Europa war, die<br />

während des Krieges gewachsen ist.<br />

ein einzigartiges Konzert<br />

zu Ehren des 60. Jahrestages der<br />

Gründung is ra els wird im September<br />

in Jerusalem stattfinden. Bei „Violinen<br />

der Hoff nung“ werden Orchester aus<br />

istanbul und Raanana, dirigiert von<br />

Shlomo mintz, mitwirken. Bei dem<br />

Konzert wird auch auf einigen restaurierten<br />

Vio linen, die in befreiten Kon -<br />

zen tra tionslagern und Ghettos gefunden<br />

wurden, gespielt werden. Der Er -<br />

lös wird für soziale und humanitäre<br />

Pro jekte in israel gespendet werden.<br />

650.000 israelis im ausland<br />

Von den 650.000 israelis, die im Aus -<br />

land leben, sind ein Viertel mit nicht -<br />

juden verheiratet. 73% der Diaspo -<br />

rajuden gehören keiner Synagoge an<br />

und 88% von ihnen sprechen nur noch<br />

selten Hebräisch. nun startet is rael<br />

ein 140 mio. niS teures Programm,<br />

um sie nach israel zurückzulocken.<br />

fast jeder zehnte israeli ist<br />

Vegetarier.<br />

in israel wird im Vergleich zu anderen<br />

westlichen Ländern eher wenig Fleisch<br />

konsumiert. Einer Studie des israelischen<br />

Gesundheitsministeriums zu fol -<br />

ge bezeichnen sich 8.5% aller israelis<br />

<strong>als</strong> Vegetarier oder Veganer. Dabei liegt<br />

der Anteil bei Frauen mit 9.8% höher<br />

<strong>als</strong> bei männern (7.2%). Die größte<br />

Vegetarierrate findet man bei jüdischen<br />

Frauen der Altersgruppe 35-54<br />

(12.7%), die niedrigste bei gleichaltrigen<br />

arabischen männern (1.6%).<br />

Anders <strong>als</strong> in israel sind in den USA<br />

nur 2.5% der erwachsenen Bevölke -<br />

rung Vegetarier. in Kanada sind es 4%<br />

und in Großbritannien 7.6%.<br />

nach Angaben des Wirtschaftsinforma<br />

tionsunternehmens Dun & Brad -<br />

street werden in israel jährlich durchschnittlich<br />

72 Kilogramm Fleisch pro<br />

Kopf verzehrt. in Frankreich sind es<br />

84.4, in Argentinien 88.5 und in den<br />

USA gar 97.8 Kg. Dabei liegt der<br />

Hauptunterschied hinsichtlich des<br />

Fleischkonsums zwischen israel und<br />

anderen Ländern vor allem in den An -<br />

teilen des Verbrauchs von Rind fleisch,<br />

Geflügel und Fisch. So bestehen 78%<br />

des in israel konsumierten Fleisches<br />

aus Geflügel.<br />

„samengesetz“ soll ordnung schaffen<br />

Der Knesset ist eine neue Gesetzes ini -<br />

tiative vorgelegt worden, die in al len<br />

Belangen, die mit Samenspenden in<br />

israel zusammenhängen, Ordnung<br />

schaf fen will. Ziel der initiative ist es,<br />

die Pro ze duren von Samenbanken in<br />

israel rechtlich zu verankern. So soll<br />

nun ein landes weites Register in allen<br />

is ra elischen Sa men bänken an gelegt<br />

werden, um somit die Samen vorräte<br />

für die po tentiellen Eltern zu er wei tern<br />

und zu beobachten. Samen spen der<br />

sollen in Zukunft ge nauer überprüft<br />

werden und dafür eine mindest sum -<br />

me von 750 Shekel für jede Spende<br />

erhalten. Außerdem will der Geset -<br />

zes vorschlag eine Ant wort für die<br />

zahl reichen Proble me bieten, die sich<br />

im Zusammenhang mit Samen spe -<br />

nden aus dem jüdischen Reli gi ons ge -<br />

setz (Halacha) ergeben.<br />

Kreativer schrecken gegen alkohol<br />

am steuer<br />

Eine leere Todesanzeige mit dem Ve r -<br />

merk „Das könnte ihr Platz sein“, ist<br />

der Start einer von der Werbeagen tur<br />

mcCann Erickson geführten Kam pa -<br />

gne in israel gegen Alkohol am Steuer.<br />

10.000 sportler aus der ganzen welt<br />

kommen im Sommer 2009 zur 18. mak -<br />

kabiade nach israel. Präsident Shi mon<br />

Peres rief „Das Jahr der Makkabiade“<br />

aus (http://www.maccabiah.com).<br />

Die makkabiade ist die drittgrößte<br />

Sportveranstaltung der Welt, jüdische<br />

Sportler aus über 60 Ländern nehmen<br />

daran teil.<br />

rechtzeitig zur olympiade<br />

veröffentlicht die Jerusalem Post eine<br />

Liste der 20 größten jüdischen Sport ler<br />

aller Zeiten. http://www.haaretz.com/<br />

hasen/spages/ 1009151.html<br />

geldgeschenkeautomat für<br />

hochzeiten<br />

Hochzeitspaare in israel können sich<br />

jetzt für ihre Feier einen Automaten<br />

mieten, an dem Gäste ihre Geldge -<br />

schen ke per Kreditkarte überweisen<br />

können. Auf israelischen Hochzeiten<br />

- bei denen nicht selten mehr <strong>als</strong> 500<br />

Gäste zugegen sind - ist es üblich,<br />

dass Be sucher einen Scheck oder<br />

Bargeld in einen entsprechenden Kas -<br />

ten oder Safe im Eingangsbereich der<br />

Hoch zeits halle einwerfen. Jetzt be steht<br />

jedoch auch die möglichkeit, ein Zahl -<br />

gerät für ca. US$ 155 zu mieten. Gäste<br />

können dort ihren Wunschbetrag<br />

durch Kre dit karte von ihrem Konto<br />

abbuchen lassen. Der Automat druckt<br />

dann einen Beleg mit dem namen des<br />

Gastes aus. Dieser kann zusammen<br />

mit einer Glückwunschkarte in einen<br />

Schlitz in dem Autotomaten eingeworfen<br />

werden.<br />

44 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


KULTUR • LITERATUR<br />

aufgeblättert...<br />

von michaela Lehner<br />

mit freundlicher Unterstützung von IKG-Linz<br />

Kein guter Platz für die Nacht<br />

Erinnerung und Vergessen, Entfrem -<br />

dung und Sehnsucht nach Zugehö rig -<br />

keit sind die großen Themen der re -<br />

nommierten, 1948 <strong>als</strong> Tochter polnischjüdischer<br />

Shoahüberlebender in mün -<br />

chen geborenen israelischen Schrift -<br />

stel lerin Savyon Liebrecht, deren zahlreiche<br />

Romane, Erzählungen und The -<br />

a terstücke weniger die Frage isra e li -<br />

scher identität <strong>als</strong> vielmehr die Zer stö -<br />

rung menschlicher identität in der<br />

Shoah, die transgenerationale Trans -<br />

mit tierung dieser Traumatisierung<br />

und die destruktiven Auswirkungen<br />

der politischen Katastrophen des 20.<br />

Jahrhunderts auf das Familiäre und<br />

Private verhandeln. Kein kollektives,<br />

sondern ein privates, individuelles<br />

Trau ma bildet jetzt den Ausgangs -<br />

punkt für die im von Vera Loos und<br />

naomi nir-Bleimling ins Deutsche<br />

übersetzten Roman, Die Frauen meines<br />

Vaters, vereinten vielschichtigen, einander<br />

reflektierenden Diskurse über<br />

die Rekonstruktion der Vergangen heit,<br />

das Erzählen und die Relevanz des<br />

nar rativen für Erinnerung, Bedeu tung<br />

und identität. „In den Jahren, in denen<br />

sein Vater tot gewesen war, waren Meirs<br />

Erinnerungen an die sieben Jahre seiner<br />

Kindheit ebenfalls begraben gewesen, vor<br />

allem an die fünf Monate, in denen sie bei<br />

den Geliebten des Vaters gewohnt hatten.“<br />

Sieben Jahre war meir alt, <strong>als</strong> er von<br />

Tel Aviv zu seiner mutter allein nach<br />

Connecticut geschickt wurde, mit<br />

nichts <strong>als</strong> einem Schulranzen und Bil -<br />

dern von Blut, Schreien und Polizis ten,<br />

mehr <strong>als</strong> dreizehn Jahre später eröffnet<br />

nun die mutter ihrem inzwischen<br />

<strong>als</strong> Autor mäßig erfolgreichen, an ei -<br />

ner Schreibblockade laborierenden<br />

Sohn, daß der tot geglaubte Vater lebe<br />

und tot krank seinen Sohn noch einmal<br />

sehen wolle. Diese unerwartete Wie -<br />

der auferstehung des Vaters evoziert<br />

in meir, dem personalen Erzähler des<br />

Romans, ein Kaleidoskop von Frag -<br />

men ten, Stimmen, Gerüchen und Bil -<br />

dern aus seiner Kindheit in Tel Aviv,<br />

der Wohnung der Eltern, ihrem Streit,<br />

die monate der Obdachlosigkeit mit<br />

seinem Vater, die nächte und manchmal<br />

Tage auf den unzähligen Sofas<br />

und Klappbetten bei dessen Frauen -<br />

be kanntschaften, den Hunger, das<br />

stundenlange Warten auf den Vater<br />

vor nächtlichen Cafés, die Flucht vor<br />

der Polizei, den Keller des Shoah -<br />

über lebenden Berl, in dem zwischen<br />

Sperrmüll noch immer die Gestapo<br />

haust. Einem Archäologen gleich legt<br />

Savyon Liebrecht Schicht um Schicht<br />

der verlorenen, verdrängten Kindheit<br />

meirs frei, seine Ressentiments nicht<br />

nur gegen den verantwortungslosen<br />

Vater, sondern auch gegen eine dis tan -<br />

zierte, an Depressionen leidende mut -<br />

ter, von der er sich verlassen fühlte,<br />

die Erfahrung kindlicher Destabilisie -<br />

rung, die in der emotionalen isolation<br />

des Erwachsenen fortwirkt, der sich<br />

dem eigenen Leiden nicht stellen, nur<br />

über das Leiden der anderen schreiben<br />

kann, bis hin zum fundamentalen<br />

Trauma. Zugleich ist dies eine kathartische<br />

Konfrontation mit der eigenen<br />

Vergangenheit, die am Ende seiner exis -<br />

tentiellen Krise und Erkenntnis meir<br />

zu einem tatsächlichen Schriftsteller<br />

werden lassen. Der Absolventin eines<br />

Philosophiestudiums, Savyon Lieb -<br />

recht, gelingt so ein auf vielfältigen<br />

Erzählebenen narrativierter, analytischer<br />

Roman präziser Sprache über die<br />

stete Präsenz der Vergangenheit, ihre<br />

Bedeutung für die Gegenwart und<br />

menschliche identität, der <strong>als</strong> motto<br />

das alte Kant’sche „sapere aude“ („wa -<br />

ge es zu wissen“) ver -<br />

dient hätte.<br />

Savyon Liebrecht:<br />

Die Frauen meines Vaters.<br />

Übers. v. Vera Loos u. Naomi<br />

Nir-Bleimling.<br />

München: Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag <strong>2008</strong> (= dtv premium 24626)<br />

Gedanken an Dich - liebe Michaela!<br />

Sie ist nun frei und unsere Tränen<br />

wünschen ihr Glück.- Joh. Wolfgang v. Goethe<br />

Es ist schwer zu ertragen, dass auf dieser Seite - die Deine Seite war - niem<strong>als</strong> wieder ein Beitrag von<br />

Dir stehen wird.<br />

Was waren Deine Träume? Was Deine Hoffnungen?<br />

Welche starke Macht war es, die Dich daran hinderte, Deine Familie und Deine Freunde an Deiner<br />

Begabung, Deinem Wissen und Deinem ruhigen besonnenen Wesen noch viele Jahre teilhaben zu lassen?<br />

Unvorbereitet und erschüttert müssen wir Deinen Tod zur Kenntnis nehmen und mit unserer unbeschreiblichen<br />

Traurigkeit fertig werden.<br />

In Dankbarkeit, Dich gekannt zu haben, gehört unsere Anteilnahme Deiner Familie<br />

Deine „Gemeinde“-Redaktion<br />

Ida, Inge, Irene, Karin, Manuela und Sonia<br />

KULTUR<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 45


Niem<strong>als</strong><br />

vergessen<br />

Aufklärer und Mah ner:<br />

Als 14-jähriger wurde<br />

Rudi Gelbard aus dem<br />

KZ There si en stadt be -<br />

freit, sein Leben hat er<br />

dem Kampf gegen Fa -<br />

schismus und Antise mi -<br />

tis mus gewidmet.<br />

Viele Preise hat der<br />

über zeugte Soziald e mo -<br />

krat inzwischen be kom -<br />

men, nun wurde ei ner<br />

nach ihm be nannt.<br />

von Alexis Weiss<br />

Es war eine bewegende Feier, <strong>als</strong> der<br />

„Republikanische Club – neues Ös ter -<br />

reich“ im Juli den neu geschaffenen<br />

„Rudolf Gelbard Preis für Aufklä rung<br />

ge gen Faschismus und Antisemitismus“<br />

im Palais Epstein an den ersten Preis -<br />

träger, den namensgeber Rudi Gel -<br />

bard übergab. „Der Judenbub, der Dir<br />

noch in den Knochen steckt, der aus Dei -<br />

nen Augen blitzt, erinnert sich. Da ist eine<br />

Grenze zwischen Demokratie und Na zis -<br />

mus. Es ist dies, du bezeugst es, eine Gren -<br />

ze zwischen Leben und Tod, eine Grenze<br />

auf Leben und Tod. Diese Grenze verteidigst<br />

du seit deiner Befreiung. Die se Gren -<br />

ze gilt es, nicht zu verwischen. Einen<br />

Preis nach Dir zu benennen, heißt diese<br />

Grenze wahren zu wollen“, sagte Lau -<br />

dator Doron Rabinovici.<br />

„Ich nehme diesen Preis stellvertretend<br />

für viele aktive Antifaschisten in Demut<br />

an“, sagte Gelbard am Ende seiner<br />

Dan kesrede, in deren mittel punkt er<br />

zuvor prominente verstorbene Kämp -<br />

fer gegen Faschismus gestellt hatte,<br />

allesamt wie er ehemalige KZ-Häft -<br />

lin ge: Rosa Jochmann und Hermann<br />

Langbein, Simon Wiesenthal und Le -<br />

on Zelman, Ella Lingens und Viktor<br />

matejka. Rosa Jochmann habe einmal<br />

gesagt, „wir, die wir aus den Konzen tra -<br />

tionsl agern zurückgekommen sind, wir<br />

sind keine freien Menschen. Die Gnade<br />

des Vergessens ist keinem be schieden, der<br />

in einem Konzentra tionslager war“.<br />

Gegen das Vergessen tritt nun auch<br />

der „Republikanische Club – neues<br />

Österreich“ mit dem Rudolf Gelbard-<br />

Preis auf, der mit 2.000 Euro dotiert<br />

ist und in unregelmäßigen Abstän den<br />

KULTUR • EHRUNGEN<br />

vergeben werden soll. mit dem Preis<br />

soll das Engagement von Gruppen<br />

oder Einzelpersonen ausgezeichnet<br />

werden, die initiativen im Bereich der<br />

Aufklärung gegen Fa schis mus und<br />

An tisemitismus setzen, sagt die Spre -<br />

cherin des Republik a ni schen Clubs,<br />

Sibylle Summer, gegenüber der „Ge -<br />

meinde“. Und sie be tont, „das müs sen<br />

keine wissenschaftlichen Leis tun gen sein“.<br />

Dem Club gehe es vielmehr um die<br />

Würdi gung von menschen, die sich in<br />

ihrem Alltag engagieren. Über die<br />

Ver gabe entscheidet der Club vor stand,<br />

Hinweise auf auszeichnungswürdige<br />

menschen, <strong>als</strong>o Personen, die sich ge -<br />

gen Faschismus und Antis emitismus<br />

einsetzen, seien jederzeit herzlich<br />

willkommen, so Summer.<br />

Der „Republikanische Club –<br />

neues Österreich“ entstand 1986 im<br />

Zug der Auseinandersetzung um die<br />

Vergangenheit von Kurt Waldheim<br />

im damaligen Präsidentschafts-Wahl -<br />

kampf. Der Club sei überparteilich,<br />

„aber <strong>als</strong> engagiert Partei nehmendes<br />

Projekt“ gegründet worden, sagt<br />

Summer. „Die Parteinahme gilt einer<br />

umfassend verstandenen Aufklärung<br />

und einer kritischen Auseinander set -<br />

zung mit den gesellschaftlichen Phä -<br />

nomenen: Antisemi tis mus, Ras sis -<br />

mus, Xenophobie und Sexismus, aber<br />

auch mit sozialen Ver hältnissen und<br />

ökonomischen Entwicklungen.“<br />

Der Club lädt regelmäßig zu Veran -<br />

staltungen. Die genauen Themen und<br />

Termine können auf www.repclub.at<br />

abgefragt werden.<br />

Bill Gates erhält<br />

Einstein Preis der<br />

Hebräischen Universität<br />

von Jakob Berkman, JTA;<br />

Übersetzung: Karin Fasching<br />

Üblicherweise gratuliert man dem<br />

Aus gezeichneten bei der Verleihung<br />

eines Preises – doch im Falle von Bill<br />

Gates sind wohl es die Preisverleiher,<br />

denen die Anerkennung gebührt...<br />

Denn <strong>als</strong> erster jüdisch-israelischer<br />

Organisation ist es nun den „Ame ri -<br />

ka nischen Freunden der Hebräischen<br />

Universität von Jerusalem“ gelungen,<br />

den microsoft-Gründer zur An nah me<br />

ihrer Auszeichnung, des erstm<strong>als</strong> ver -<br />

gebenen Einstein Preises, zu bewe gen.<br />

Dieser wird dem reichsten mann der<br />

Welt im Zuge eines Galadinners in<br />

new York im Dezember dieses Jahres<br />

überreicht.<br />

Der <strong>als</strong> Würdigung für Personen,<br />

die einen signifikanten Beitrag zum<br />

Wohle der menschheit geleistet ha ben,<br />

ins Leben gerufene und in unregelmäßigen<br />

Abständen zu vergebende<br />

Preis ist nach Albert Einstein be nannt,<br />

der auch an der Universitätsgrün dung<br />

beteiligt war.<br />

Die Freundesgesellschaft, die etwa<br />

US$ 60 mio. jährlich an Spenden für<br />

die Hebräische Universität lukriert,<br />

führte eineinhalb Jahre lang intensive<br />

Gespräche mit Bill Gates, bis dieser<br />

sich zur Annahme des Preises entschließen<br />

konnte. Schließlich, so Pe ter<br />

Willner, Exekutivdirektor der Freun -<br />

des gesellschaft, willigte er aufgrund<br />

der umfassenden Forschungs tä tig keit<br />

der Universität in der nachhal tigen<br />

Landwirtschaft ein.<br />

Bill und melinda Gates eigene Stif -<br />

tung, um die Bill Gates nach seinem<br />

kürzlichen Rücktritt <strong>als</strong> microsoft-Chef<br />

sich nun hauptsächlich kümmern<br />

wird, zählt zu den größten Wohltätig -<br />

keits organisationen der Welt. Seit<br />

ihrer Gründung im Jahr 1994 vergab<br />

sie mehr <strong>als</strong> US$ 16 mrd. an Hilfs gel -<br />

dern, vor allem an Gesundheits- und<br />

Sozialprojekte in der Dritten Welt.<br />

Außerdem kündigte US-investment-<br />

Tycoon Warren Buffet 2006 an, etwa<br />

US$ 30 mrd. seines Vermögens an die<br />

Stiftung zu spenden, was ihr pouvoir<br />

umso größer machen wird.<br />

46 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768


KULTUR • KOLUMNE<br />

Auch die Hebräische Universität<br />

wurde mit US$ 875.242,-, über drei<br />

Jahre verteilt, zur Entwicklung neuer<br />

methoden, die Verbreitung von ma -<br />

la ria und anderen Krankheiten durch<br />

moskitos unter Kontrolle zu bringen,<br />

bedacht.<br />

„Wir fühlen uns<br />

geehrt, dass die He -<br />

brä ische Uni ver sität<br />

von Jeru sa lem und<br />

die Ameri kani schen<br />

Freun de der Hebräi schen<br />

Uni versität Bill Gate <strong>als</strong><br />

Empfänger des allerersten<br />

Ein stein<br />

Preises ausgewählt<br />

haben,“<br />

schrieb die<br />

Gates Stif tung<br />

in einem Email-<br />

Statement an JTA.<br />

„Sowohl Bill <strong>als</strong><br />

auch Melinda sind<br />

da von überzeugt,<br />

dass alles Leben<br />

von glei chem Wert ist und haben ihre<br />

Stiftung zu dem Zweck gegründet, die<br />

Ungleich heiten in den Vereinigten Staa -<br />

ten und der ganzen Welt zu verringern.“<br />

„Kinder-<br />

Medien-Preis“<br />

<strong>2008</strong> für<br />

„Max Minsky<br />

und ich“<br />

Der Hauptpreis, do -<br />

tiert mit 3.000 Eu ro,<br />

ging an die Re gis seurin des Kin der -<br />

films „Max Minsky und ich“ (X Filme),<br />

Anna Justice. Die Begründung der<br />

Jury: „Die hinreißend komische und zu -<br />

gleich rüh rende Coming-of-Age-Ge schich te<br />

fügt Gegensätzliches zusammen, wobei<br />

Bas ket ball und religiöse Un ter weisung,<br />

eine pu ber tierende Toch ter und ihre nervige<br />

Mut ter, ein Bücher wurm und eine<br />

Sports kanone, Berliner Jugendkultur und<br />

tradi tionsgebun denes jü disches Leben aufeinander<br />

prallen. Anna Justice hat die<br />

Ro man vor lage in ihrem Regiedebüt stil -<br />

si cher und mit leichter Hand in einen<br />

tem poreichen Kin der film transponiert.<br />

Der Film er zählt einfühlsam von den<br />

Schwie rigkei ten des Er wach sen wer dens<br />

und des Er wach sen seins, wes halb er für<br />

junge wie äl te re Zu schauer Unterhal tung<br />

auf ho hem Niveau bietet."<br />

Überall & nirgendwo<br />

… und dann kamen wir in einem der seltsamsten Bezirke Wiens, in dem<br />

ausschließ lich menschen wohnen durften, deren sämtliche Familienmitglieder<br />

die österreichische Staatsbürgerschaft bereits in der dritten Generation besaßen.<br />

Schon die fast einheitliche Bekleidung der dort Ansässigen, die sich selbst<br />

aborigines vindobonensis bezeichneten, unterschied sich grundlegend von der in<br />

den anderen Bezirken. man gab sich betont „korrekt“. Die männlichen Bewoh ner<br />

waren vorzugsweise mit Anzügen bekleidet, versehen mit einer einwandfrei en<br />

Krawatte, während sich die Frauen meist exquisiter Kleider, gelegentlich aber<br />

auch dezent gestreifter dunkler „Executive“ gerechter Hosenanzüge bedienten.<br />

Auffallend am Straßenbild war übrigens das Fehlen der üblichen Langos-, Pizza-,<br />

oder Dönerbuden, die alle anderen Bezirke verunzierten, sowie ausländisch<br />

spre chender Bauarbeiter oder sonstiger Handwerker. Selbst die Burenwurst -<br />

stan deln, die anderwärtig autochtones Fastfood garantierten, fehlten zur Gä ze.<br />

Dieser Bezirk war von hohen mauern umgeben, Zutritt hatten lediglich Be -<br />

sitzer eines entsprechenden meldezettels, sowie ausgesuchte Touristen grup pen<br />

kaukasischen Ursprungs. Wie wir feststellen konnten, unterschied sich sogar<br />

die Sprache der hier Wohnenden vom Rest der Stadt: der Umwelt wird nur so -<br />

viel an allgemein zugänglicher Luft entnommen <strong>als</strong> zum Artikulieren von<br />

Wünschen unbedingt erforderlich ist. Die so konsumierte Luft wird dann<br />

knaut schend in Form von Sprachfetzen nach außen abgestoßen.<br />

Als eine jener privilegierten Touristengruppe erzählte man uns übrigens,<br />

dass außerhalb der mauern kreisförmig weitere Bezirke das bodenständige Zen -<br />

trum umschlössen, jeder weitere Ring mit einem zunehmend höher werdenden,<br />

einheitlichen Prozentsatz von Ausländern ausgestattet. Und natürlich ei -<br />

ner weiteren mauer. in den dem Zentrum nahe gelegenen Bezirken seien die<br />

Bobos zu Hause, hieß es, die glücklich ihren privilegierten Beruf und ihre ge -<br />

sellschaftliche Stellung konsumgerecht einnahmen, ohne mülltrennung je zu<br />

vernachlässigen oder gar ihren Beitrag zur artgerechten Haltung von Hüh nern<br />

zu vernachlässigen. in diesen Bezirken habe eine neue Art von Biedermeier<br />

um sich gegriffen, was einerseits die designergemäße Bekleidung seiner Be woh -<br />

ner betraf, und andererseits zu deren völligem Rückzug aus gesellschaftlicher<br />

Verantwortung geführt habe.<br />

Den weichen Rand der Stadt bevölkerten gerüchteweise - denn Genaueres<br />

konnte uns die Fremdenführerin nicht sagen - ausschließlich Zuwanderer, die<br />

bestenfalls eine Aufenthaltsgenehmigung besaßen. Die gegenüber anderen<br />

eu ropäischen Städten so unterschiedliche Stadtplanung hätte sich eben entsprechend<br />

den täglich kolportierten Kriminalitätsraten ergeben: umgekehrt zur<br />

Hölle in Dantes Göttlicher Komödie, nehme die Schlechtigkeit der menschen<br />

offensichtlich nach außen hin zu. Dort, in den schandhaften Außenbezirken, so<br />

erzählte man uns, beherrsche Unzucht und Völlerei die Straßen. Klein kri mi na -<br />

lität sei Gang und Gebe. Ein Glück, dass die vorgesehene, strikt eingehaltene<br />

Ausländerzahl pro Bezirk und vor allem die ringartigen mauern die Eigentli chen<br />

vor unnötigen Kontakten mit Fremdsprachigen oder Fremdkulturbestimmten<br />

beschützen. Die Angst vor dem Andersartigen schien ganz offensichtlich die<br />

Stadt in Besitz genommen zu haben. mit Stolz erzählte man uns übrigens, dass<br />

die UnESCO die gesamte Stadt zum Weltkulturerbe erhoben hatte, sozusagen<br />

<strong>als</strong> lebendes 1:1 modell der Gesellschaft von Vorgestern.<br />

PS: Sollten Sie es noch nicht bemerkt haben: es ist wieder einmal Wahlkampf. Es<br />

wurde in der Tat vorgeschlagen, den Ausländeranteil in den Wiener Bezirken<br />

prozentmäßig zu beschränken. Und das war erst der erste misston diesbezüg -<br />

lich.<br />

P. Weinberger<br />

<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 47


Erlebnis pur<br />

Was gibt es Schöneres, <strong>als</strong> in den schmucken, offenen Wagons der<br />

Liliputbahn durch den Wiener Prater zu fahren und viele Sehens -<br />

wür dig keiten aus nächster Nähe zu ge nießen? Wer Lust hat, kann<br />

die Bahn sogar für ein paar Stunden mieten und die Fahrt ganz<br />

exklusiv - nur mit Freun den oder der Familie – machen. Es gibt aber<br />

auch die Mög lichkeit, Pick nick fahrten zu lösen. Sie können dann<br />

zwischen durch aussteigen und gemütlich Rast machen. Auf Wunsch<br />

stellt der Delikatessenspezialist Böhle einen feinen Picknickkorb<br />

oder –rucksack für Sie zusammen!<br />

Infos dazu gibt’s unter Tel.: 726 82 36 oder<br />

im Internet unter www.liliputbahn.com

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