August 2008 als pdf herunterladen - Israelitische Kultusgemeinde ...
August 2008 als pdf herunterladen - Israelitische Kultusgemeinde ...
August 2008 als pdf herunterladen - Israelitische Kultusgemeinde ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
GEMEINDE<br />
DVR 0112305 € 2.-<br />
nr. 627 august <strong>2008</strong><br />
Aw 5768<br />
Erscheinungsort Wien<br />
Verlagspostamt 1010 P.b.b<br />
eGZ 2.- 03Z034854 W<br />
Die Die<br />
offizielles organ der israelitischen <strong>Kultusgemeinde</strong> wien<br />
magazin
INHALT<br />
&<br />
AUS DEM BÜRO DES<br />
PRÄSIDENTEN<br />
Wenn wir es nur wollen,<br />
ist es kein Märchen 5<br />
POLITIK<br />
IN- UND AUSLAND<br />
Warnung vor „sekundärem<br />
Antisemitismus“ 8<br />
Ring-rund mit der Israelbim 9<br />
Erklärung der Religions -<br />
gemeinschaften für fairen<br />
Wahlkampf 10<br />
Goebbels wäre dankbar 11<br />
Zentralrat der Juden<br />
fordert NPD-Verbor 11<br />
Skandal um<br />
antisemitische T-Shirts 12<br />
Polen größter Produzent<br />
von NS-Symbolen in Europa 12<br />
Jankowski predigt wieder 12<br />
Briten schwiegen über<br />
NS-Kriegsverbrechen 13<br />
Antisemitismus in Litauen 13<br />
JOHN R. BOLTON<br />
Während die Diplomaten<br />
zaudern, ... 14<br />
Statoil zieht sich aus<br />
Iran-Geschäft zurück 14<br />
Iran startet Trägerrakete<br />
„Safir“ 16<br />
Chavez empfängt erstm<strong>als</strong><br />
jüdische Vertreter 17<br />
ISRAEL<br />
ULRICH W. SAHM<br />
Der Waffenstillstand<br />
geht dem Ende zu 18<br />
Israel hilft iranischer<br />
Kernindustrie 20<br />
Demnächst OECD-<br />
Mitgliedschaft Israels 20<br />
ULRICH W. SAHM<br />
Eklat um Obama-Gebet 21<br />
Längerer Reservedienst 21<br />
Illegale Einwohner 22<br />
ULRICH W. SAHM<br />
Kommentar zu Olmert 23<br />
GEmEinDE<br />
Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> <strong>Kultusgemeinde</strong> Wien.<br />
Zweck: Information der Mitglieder der IKG Wien in kulturellen, politischen<br />
und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />
Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 Wien, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />
Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />
Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 Wien<br />
Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />
Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />
Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak -<br />
tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />
Die<br />
60 JAHRE ISRAEL<br />
SHLOMO AVINERI<br />
Die wahre Nakba 24<br />
WIRTSCHAFT<br />
EU und Israel: Liberalisierung<br />
von Agrarprodukten 27<br />
Neue Verhandlungen<br />
mit British Gas 27<br />
Israel ist ausgebucht! 28<br />
Teva und der deutsche Markt 28<br />
Israel im Vollzugsrat<br />
des Weltpostvereins 29<br />
WISSENSCHAFT<br />
(ein)blick 30<br />
Gesundheit-Le chaim! 32<br />
SCHWERPUNKT 08/38<br />
MICHAELA LEHNER S.A.<br />
In den Augen jüdischer<br />
Kinder 33-38<br />
JÜDISCHE WELT<br />
IDA LABUDOVIC<br />
Robert Menasse –<br />
Gespräch mit einem nicht<br />
typischen Wiener Autor 39<br />
MARTA S. HALPERT<br />
Atid statt Austritt –<br />
Berlins jüdische Gemeinde 42<br />
Panorama 44<br />
KULTUR<br />
MICHAELA LEHNER S.A.<br />
Kein guter Platz für die Nacht 45<br />
ALEXIA WEISS<br />
Niem<strong>als</strong> vergesen 46<br />
Einstein-Preis für Bill Gates 46<br />
PETER WEINBERGER<br />
Überall & nirgendwo 47<br />
Titelbild: Tallit-Kauf für die<br />
kommen den Hohen Feiertage.<br />
© Lara Savage/Flash 90<br />
Ein Tallit (Gebetsschal) ist ein viereckiges<br />
Tuch aus Wolle, Baumwolle oder Seide.<br />
Besonderes Charakteristikum des Tallit sind<br />
die Zizit. Dies sind vier lange weiße Fäden<br />
aus Wolle, die mehrfach geknotet sind<br />
und für die 613 Gebote und Verbote, an<br />
die sich ein Jude zu halten hat stehen.<br />
Dienstag, 02. September<br />
(IKG-Campus)<br />
Mittwoch, 24. September<br />
Dienstag, 28. Oktober<br />
Dienstag, 25. November<br />
LETZTE MELDUNG<br />
PLENARSITZUNGEN <strong>2008</strong><br />
Donnerstag, 04. Dezember<br />
Donnerstag, 18. Dezember<br />
Rotes Kreuz setzt in Kenia auf<br />
israelische Cholerabekämpfung<br />
Das Rote Kreuz hat in Kenia ein einzigartiges Pro gramm zur<br />
Choleraprävention zum Einsatz gebracht, das von Studenten der<br />
He bräischen Universität Jerusalem entwickelt worden ist. Das Pro -<br />
gramm wurde während der letzten politischen Krise in Flücht lings la -<br />
gern angewandt und hat sich dabei <strong>als</strong> höchst effektiv erweisen. Das<br />
In ternationale Rote Kreuz und auch der Rote Halbmond wollen mit<br />
ihm nun auch über die Lager hinaus die Cholera bekämpfen.<br />
Obwohl sie zu den besterforschten und vermeidbaren Krankhei ten<br />
gehört, hat es laut Schätzung der Weltge sund heitsorganisation<br />
(WHO) allein 2007 etwa 180.000 Fälle von Cholera gegeben.<br />
Mediziner aus Kenia, Äthiopien, Nigeria, Kolumbien, Usbekistan,<br />
Indien und den USA haben im Rahmen des Legacy-Heritage In ter -<br />
national Masters in Public Health Program (IMPH) für ein Jahr an<br />
der Hebräischen Universität studiert und dabei das Programm ent -<br />
worfen, das sich vor allem auf langfristige Vorsorge- und Kon troll -<br />
maß nahmen konzentriert. Das IMPH hat in seinem 30jährigen<br />
Bestehen bereits 700 Stu denten aus 85 Ländern angezogen – von<br />
der Palästinensischen Au tonomiebehörde bis in die Mongolei<br />
oder Kamerun. Viele der Absolventen sind in ihren Heimat län dern<br />
zu führenden Vertretern des Gesundheitswesens aufgerückt.<br />
Täglich<br />
aktualisiert!<br />
www. ikg-wien.at<br />
@<br />
news<br />
events<br />
pinwand<br />
Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem<br />
Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Global intelligence<br />
centre, Walla, Y-net, israelnetz (inn), nahostfocus<br />
(NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, u.v.a.<br />
4 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
Wenn wir es nur wollen,<br />
ist es kein Märchen *<br />
AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />
ich schrieb 1978 einen Artikel in der<br />
‘Gemeinde’, den ich mit diesem Zitat be -<br />
en dete. Da m<strong>als</strong> ging es um die Er rich tung<br />
eines jüdischen Gemeinde zen trums in<br />
der Seitenstetten gasse und unseren<br />
Kampf, ein solches Zentrum bei der Füh -<br />
rung der iKG durchzusetzen. Heute är -<br />
gern sich viele Gemein demit glie der, wa -<br />
rum das Gemeindezentrum so klein ist …<br />
1979 erhielt ich vom Anwalt der iKG<br />
eine Auf forderung, meine Spenden ak ti -<br />
vi täten für eine jü di sche Schule unter<br />
Klags an dro hung einzustellen (siehe Fak -<br />
si mi le und meine „Überreaktion“ an IKG<br />
Präsident Pick darauf.)<br />
Kurz davor saßen einige junge Ehepaare<br />
in meiner Wohnung in der Bockkel ler -<br />
gasse und diskutierten, wie man dieses<br />
jü dische Zentrum ausbauen und mit Le -<br />
ben erfüllen könnte. Mag. Moskovics<br />
schlug vor, eine jüdische Schule zu er -<br />
rich ten. Die Reaktionen waren zwie späl -<br />
tig. Die Einen zweifelten an der Finan -<br />
zier barkeit, die Anderen, ob wir überhaupt<br />
genug Kinder für so eine Schule<br />
finden werden. Einige Wenige glaubten<br />
an diese idee, doch am 1. September 1980<br />
wurden in der Seitenstettengasse die<br />
ers ten drei Klassen eröffnet (ich erinnere<br />
mich noch zu genau, wie wir eigenhändig<br />
die letzten Handgriffe anlegten und<br />
gespannt warteten, ob die Eltern auch<br />
wirklich ihre Kinder schicken würden).<br />
Hätten wir dam<strong>als</strong> Fachleute und Ex per -<br />
ten gefragt, hätten die einen uns geantwortet<br />
„So ein Projekt ist nicht finanzierbar“,<br />
die zweiten „Profis“ hätten uns vor der<br />
zu geringen An zahl jüdischer Kinder in<br />
Wien gewarnt, die dritten Experten hätten<br />
uns gefragt: „Wozu braucht man eine<br />
jüdische Schule in Wien und welche jüdischen<br />
Eltern würden schon ihre Kinder in<br />
eine Schule ohne jegliche Reputation oder<br />
Tradition schicken?“. ich denke heute noch<br />
mit Schre cken an unseren mut und un -<br />
se re Unbekümmertheit, alle Bedenken<br />
ig noriert zu haben und die ses Projekt<br />
‘Jüdische Schule’ gegen alle Vernunft<br />
und alle guten Rat schläge von Ex per ten<br />
und Profis realisiert zu haben. Die weitere<br />
Entwicklung ist be kannt: Beflügelt<br />
von unserem Erfolg, bauten wir 1983 die<br />
mittelschule in der Castellez gas se und<br />
schließlich 1991 die AHS Ober stufe.<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 5
AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />
Heute, 28 Jahre später, am 1. September <strong>2008</strong>, übersiedeln wir 400 Kinder in eine der<br />
größten und schönsten jüdischen Schulen Europas. Dies ist ohne Zweifel eine<br />
Erfolgsstory, über die man nicht oft genug berichten kann.<br />
Was war es <strong>als</strong>o, was Zweifler, nörgler und Pessimisten nicht verstanden haben, und was<br />
macht eine jüdische Schule zu so einer besonderen institution?<br />
Erstens, eine hervorragende österreichische Schule, die den Kindern den gesamten österreichischen<br />
Lehrplan bestmöglich vermittelt und ihnen den Besuch von nationalen und<br />
in ter nationalen Universitäten ermöglicht.<br />
Zweitens, gilt es, den Kindern ein profundes und breites jüdisches Wissen in den Berei -<br />
chen Hebräisch, Religion und jüdische Geschichte zu geben, ein Wissen, das wertfrei und<br />
oh ne religiösen Druck vermittelt wird.<br />
Drittens, wachsen unsere Kinder in einer jüdischen Schule in einem Umfeld auf, in dem<br />
sie gerade in ihrer Kindheit vor Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, aber auch vor<br />
den, in vielen modeschulen grassierenden „Seuchen“ wie Drogen und Gewalt, so gut es<br />
nur geht, geschützt werden.<br />
Viertens, sollen die jungen menschen über das jüdische Wissen hinaus einen festen Halt<br />
im Judentum finden, eine jüdische identität und Selbstbewusstsein erhalten, um sich<br />
später <strong>als</strong> Erwachsene in einer zum Teil noch immer judenfeindlichen Umwelt <strong>als</strong> Juden<br />
behaupten zu können.<br />
Lassen Sie mich den Sprung ins Jahr <strong>2008</strong> machen und die Frage stellen: Sind alle diese Zie -<br />
le erfüllt worden? ich höre bereits vereinzelte Kritiker: „Die Kinder sollten noch besser in<br />
He bräisch, noch mehr in Religion unterrichtet werden“. Auch in der ZPC-Schule sind Diszi -<br />
plin lo sig keit und Aggression einzelner Kinder zum Problem geworden. Hat die ZPC-<br />
Schule das höchstmögliche niveau? Die Antwort lautet: „Wir können Stolz auf unsere<br />
Schule sein“. macht man nämlich den Gesamtvergleich, so haben wir es geschafft, mehr <strong>als</strong><br />
1.200 Kinder in unserer Schule auszubilden, über 400 Kinder haben in der ZPC-Schule<br />
seit 1992 maturiert und anschließend an fast allen Universitäten Österreichs, aber auch<br />
in israel, Großbritannien, den USA und vielen anderen hervorragenden Universitäten<br />
studiert. Sie sprechen hebräisch, haben ein Basiswissen in jüdischer Religion, Tradition<br />
und Ge schich te und sind im Judentum fest verankert!<br />
Jetzt übersiedeln wir in eine neue ZPC-Schule, die drei mal so groß ist wie die Castellez -<br />
gas se, eine Schule mit 8.000 m² Schulraum, in der für 600 Kinder Platz ist, mit den<br />
schöns ten und besten Sport- und Freizeiteinrichtungen, die sich eine Schule nur wünschen<br />
kann, mit einem Lehrkörper von über 80 qualifizierten Lehrern, die mit Leib und<br />
Seele bei der Sache sind, mit einem Kindergarten mit 8 Gruppen, der seit 4. <strong>August</strong> von<br />
123 Kin dern besucht wird; eine Schule mit einem fest etablierten Schulverein, hervorragenden<br />
Direktoren und einer top qualifizierten Verwaltung, die den schwierigen Prozess<br />
des Schul neubaues und der Übersiedlung mustergültig organisiert hat.<br />
Also, was können wir von der Geschichte lernen: Wir sollten weniger auf Kritiker und so<br />
genannte Experten hören; wir sollten manchmal größere Risiken in Kauf nehmen und ver -<br />
stehen, dass man große Ziele nur erreicht, wenn man bereit ist, große Schritte zu setzen, wenn<br />
man bereit ist, die Veränderungen zu akzeptieren und für seine Visionen zu kämpfen.<br />
Es erfüllt mich mit großer Freude, Jahr für Jahr den maturanten unserer Schule zu gratu -<br />
lieren und mitzuerleben, dass heute die nächste Generation die Stafette übernommen<br />
hat und sich bei der Realisierung der neuen Schule mit ganzer Kraft einbringt. Kurz, die<br />
Lektion der letzten 30 Jahre: manchmal muss man träumen, muss Visionen ausleben,<br />
auch wenn nicht alle diese Visionen teilen. Sie mögen die Hindernisse und Schwierig kei -<br />
ten sehen und sich auf die Probleme konzentrieren, sie mögen alle Probleme aufzeigen,<br />
aber man muss davon überzeugt sein, dass man in der Lage ist, seine Träume wahr werden<br />
zu lassen. Dies geschah vor 30 Jahren, und heute eröffnen wir den iKG Campus und<br />
sind stolz und froh, es geschafft zu haben.<br />
* in Abwandlung Theodor Herzl’s Zitat<br />
Dr. Ariel muzicant<br />
6 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
IN EIGENER SACHE<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 7
POLITIK • INLAND<br />
DÖW-Leiterin warnt vor<br />
„sekundärem Antisemitismus“<br />
POLITIK<br />
Die wissenschaftliche Leiterin des<br />
Dokumentationsarchivs des Österreichischen<br />
Widerstandes (DÖW), Bri -<br />
git te Bailer-Galanda, ist alarmiert über<br />
einen „sekundären Antisemitismus“,<br />
der heute auch in Teilen der politischen<br />
Linken zu beobachten sei.<br />
nach Auschwitz sei es zwar tabuisiert,<br />
über „die Juden“ herzuziehen, doch<br />
könne man antisemitische Agitation<br />
immer auf bestimmte „Kernstereo ty pe“<br />
reduzieren, wie die idee einer jü di -<br />
schen Weltverschwörung oder die idee<br />
des Juden, der im Finanzge schäft versiert<br />
ist und die Weltfinanz lenkt, sag te<br />
die Universitätsdozentin für Zeit ge -<br />
schichte in einem interview mit der<br />
APA - Austria Presse Agentur.<br />
Weltverschwörung und<br />
Finanzjudentums<br />
Beide Stereotype - die Weltverschwö -<br />
rung und die Dominanz des Finanz -<br />
ju dentums - finde man im alten An ti -<br />
se mitismus, aber ebenso beim neuen<br />
Antisemitismus, sagte Bailer-Galan da.<br />
„Es erschreckt mich in hohen Maßen,<br />
wenn ich heute in verstärktem Ausmaß<br />
antisemitische Klischees und antisemitisch<br />
konnotierte Äußerungen von Menschen<br />
höre, die ich zuvor für kritische Geister<br />
ge halten habe. Das muss ich ganz klar sa -<br />
gen“, betonte Bailer-Galanda.<br />
Anzeichen für den neuen Antisemi -<br />
tismus seien „eine einseitige, völlig un -<br />
differenzierte, pauschalierende Kritik an<br />
Israel, den Israelis oder den Juden“ so -<br />
wie Pauschalierung, Verzicht auf Dif fe -<br />
renzierung und ein anti-israelischer<br />
„profil“: Österreicher<br />
mehrheitlich für Verfolgung<br />
von NS-Tätern<br />
Wie das nachrichtenmagazin „profil“<br />
kürzlich berichtete, sprechen sich<br />
74% der Österreicher dafür aus, dass<br />
nS-Verbrecher auch heute noch vor<br />
Ge richt gestellt werden sollen. 20%<br />
der Befragten lehnen dies laut der im<br />
Auftrag von „profil“ vom meinungs -<br />
for schungsinstitut OGm durchgeführten<br />
Umfrage ab. 6% wollten sich<br />
dazu nicht äußern.<br />
„manichäismus“. Dieser Hinweis auf<br />
antisemitische muster bedeute aber<br />
kei neswegs, dass man israel nicht<br />
kritisieren dürfe, wandte sich Bailer-<br />
Galanda gegen ein beliebtes Argu ment<br />
der sogenannten „israel-Kritiker“.<br />
Selbstverständlich könne man die<br />
Politik israels kritisieren, doch sei das<br />
pauschalierende Wort von der „Isra el-<br />
Kri tik“ bereits entlarvend, weil niemand<br />
auf die idee käme von „Italien-<br />
Kritik“ zu sprechen, wenn man Kritik<br />
an Premier Silvio Berlusconi oder der<br />
neofaschistischen Duce-Enkelin Ales -<br />
san d ra mussolini anbringe. „Im Falle<br />
Israels aber kritisiert man nicht Olmert<br />
oder Barak, sondern Israel <strong>als</strong> pauschale<br />
En tität, die es gar nicht gibt. Kein Land ist<br />
eine homogene Menge von Men schen.“<br />
israel sei eine lebendige Demokratie<br />
mit vielschichtigen internen Konflik -<br />
ten und Problemen.<br />
Anti-Zionismus<br />
Die idee der Welt ver schwörung und<br />
einer Ver schwörung israels mit den<br />
USA finde sich im modernen Anti-<br />
Zionismus wieder, der leider auch bei<br />
manchen Globalisierungskritikern he -<br />
rumgeistere. Hinter dem Schlag wort<br />
Anti-Zionismus verberge sich zu oft<br />
das Bestreben, die Existenz des Staa tes<br />
israel infrage zu stellen. Ei ni ge „antizionistische<br />
Gruppierungen“ - wie et wa<br />
die Antiimperialistische Koor di na ti on<br />
(AiK) - vertreten eine Ein-Staa ten-Lö -<br />
sung für Juden wie Araber in Pa lä s ti na,<br />
wo den Juden die Rolle einer angeblich<br />
geduldeten min derheit in einem<br />
arabischen Staat zu gedacht werde. Bai -<br />
ler-Galanda: Dies sei „die raf finierteste<br />
Methode, das Exis tenzrecht Israels zu<br />
leug nen.“ Die Pro ble me der Globa li sie -<br />
rung, die in ihrer Komple xi tät schwer<br />
zu verstehen sei en, würden rasch auf<br />
Finanzmachen schaften reduziert -<br />
„dann sind wir ganz schnell bei den Wall -<br />
street-Juden. Es gibt offenbar einen Bo den -<br />
satz antisemitischer Stereo type, der sehr<br />
leicht abrufbar ist“, sagte Bailer-Galan da.<br />
„Da haben wir uns in den 70er- und 80er-<br />
Jahren ge täuscht, <strong>als</strong> wir gedacht haben,<br />
der Anti se mitismus sei tot und kein The ma<br />
mehr. Heute müssen wir erkennen, dass er<br />
im Untergrund über lebt hat und in an de ren<br />
Zusammen hängen wieder abrufbar wird.“<br />
NS-Propagandaplakat, März 1933<br />
Terror ist nicht Widerstand<br />
Auch in der unkritischen Unterstüt -<br />
zung mancher Gruppen für die Pa läs -<br />
tinenser könne man antisemitische<br />
Ten denzen ausmachen. Bailer machte<br />
im Hinblick auf den „palästinensischen<br />
Widerstand“ klar, dass legitimer Wi der -<br />
stand nicht wahllos den Tod un schul -<br />
di ger Zivilisten in Kauf nehmen dür fe.<br />
„Für mich endet eine Befreiungs be we gung<br />
dort, wo jemand <strong>als</strong> Attentäter möglichst<br />
viele unbeteiligte Zivilisten be wusst in den<br />
Tod mitreißt. Das ist vor allem seit der zwei -<br />
ten Intifada eine massive Bedrohung der is -<br />
ra elischen Bevölke rung.“ Widerstand<br />
müsse sich gegen die bewaffneten<br />
Kräf te eines ver meintli chen Unter -<br />
drüc kungs sys tems richten, aber<br />
keines falls gegen Zivilisten. „Eine<br />
Bombe in einem Auto bus unter Zivilisten<br />
und Schu l kindern zu zünden, ist einfach<br />
durch nichts zu rechtfertigen. Das hat<br />
nichts mehr mit Wider stand zu tun“,<br />
betonte die wissenschaftliche Leiterin<br />
des DÖW.<br />
Das Gespräch führte Ambros Kindel/APA<br />
Brigitte Bailer-Galanda (geboren 1952 in Wien),<br />
studierte Sozial- und Wirtschafts wis sen schaf -<br />
ten sowie Geschichte an der Uni ver sität Wien.<br />
Seit 1979 ist sie <strong>als</strong> wissenschaftliche Mit ar -<br />
bei terin des DÖW tätig, seit 2003 Uni ver si täts -<br />
dozentin am Institut für Zeitge schich te der<br />
Uni versität Wien. Von 1998 bis 2003 war sie<br />
stellvertretende Vorsitzende der Histo riker -<br />
kom mission der Republik Öster reich. 1992<br />
er hielt Bailer-Galanda den Käthe-Leich ter-Preis<br />
für die Frauengeschichte der Arbei terinnenund<br />
Arbeiterbewegung, 1996 den Willy-und-<br />
Helga-Verkauf-Verlon-Preis für ös ter reichi sche<br />
antifaschistische Pu bli zis tik und 1999 den<br />
8 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • INLAND<br />
Ring-rund<br />
mit der<br />
Israelbim<br />
Wien – Voraussichtlich bis Ende Oktober - jeden dienstag, freitag und sonntag von 16.00 bis 17.30 uhr - ist die<br />
„is rael straßenbahn“ am Ring unterwegs. in Kooperation mit den Wiener Linien wurde anlässlich des 60-jährigen Be -<br />
ste hens des Staates israel, ein Straßenbahntriebwagen werbemäßig mit israelischen motiven - „israel - liebe auf<br />
den zweiten Blick“ - beklebt. interessiertes Publikum kann an den Haltestellen Oper/Kärntner Ring, Schottentor und<br />
Schwedenplatz zusteigen.<br />
Das Projekt der israelischen Botschaft möchte -mit musik und Filmen, Highlights aus Kultur, Wissenschaft,<br />
Forschung, Unter hal tung, Clubbing und Strandleben- viele unbekannte Bereiche israels einem breiten Publikum<br />
zugänglich machen. Abfahrt ist jeweils um 16.00 Uhr vom Karlsplatz Haltestelle Otto Wagner Pavillon. nähere<br />
infos finden Sie auch unter: www.goisrael.de oder www.israelischebotschaft.at<br />
Islam- und Israelitengesetz<br />
soll modernisiert werden<br />
Das von ministerin Claudia Schmied geleitete<br />
Ku l tus amt will zwei Religionsgemeinschaften<br />
be treffende Gesetze auf den neuesten Stand<br />
brin gen.<br />
Dem Vernehmen nach sollen sowohl das Islam -<br />
gesetz von 1912 sowie das Israeliten ge setz von 1890<br />
novelliert werden, da die Rechtsgrund la gen<br />
nicht mehr „zeitgemäß“ seien und nicht mehr<br />
der Verfassungsrealität entsprechen würden.<br />
Das „israelitengesetz“ stellt das Verhältnis<br />
der verschiedenen <strong>Kultusgemeinde</strong>n zum Staat<br />
auf eine einheitliche Rechtsgrundlage. 1984<br />
wurde es zuletzt novelliert.<br />
Jüdische Friedhöfe: <strong>Kultusgemeinde</strong><br />
will Erhalt durch Staat einklagen<br />
Die israelitische <strong>Kultusgemeinde</strong> (iKG) will die von der Republik<br />
Österreich zugesagte Sanierung der jüdischen Friedhöfe einklagen.<br />
Österreich hat sich im Washingtoner Abkommen 2001 zum Erhalt<br />
der Grabstätten verpflichtet, ungeklärt ist allerdings, ob Bund oder<br />
Länder dafür zuständig sind.<br />
iKG-Präsident Ariel muzicant kündigt Ende Juli in der „Presse“<br />
eine Klage gegen die Republik an. im Außenministerium heißt es<br />
da ge gen, es handle sich beim Washingtoner Abkommen um eine<br />
völ kerrechtliche Vereinbarung, die nur der Vertragspartner USA ein -<br />
kla gen könne. nationalratspräsidentin Barbara Prammer hatte im<br />
April angekündigt, die Zuständigkeitsfrage - <strong>als</strong>o, ob Bund oder<br />
Län der die Sanierung bezahlen müssen - binnen zwei Jahren klären<br />
zu wollen. in dieser Zeit sollte es erste Schritte zur Sanierung des<br />
vom Verfall bedrohten jüdischen Friedhofs Währung geben.<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 9
POLITIK • INLAND<br />
Religionsgemeinschaften für fairen Wahlkampf<br />
Gemeinsame Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich,<br />
der Islamischen Glaubensgemeinschaft und der <strong>Israelitische</strong>n <strong>Kultusgemeinde</strong><br />
Der Ökumenische Rat der Kirchen in Ös ter reich, die isla -<br />
mi sche Glaubens ge mein schaft und die israelitische Kul tus -<br />
gemeinde ha ben am 21. Au gust in einer gemeinsamen Er -<br />
klärung für ei nen fairen Wahlkampf zur na tio nal ratswahl<br />
plädiert. insbesondere wird in der gemeinsamen Er klä -<br />
rung dazu aufgerufen, Auslän dern und eingebürgerten<br />
Österreichern ausländischer Herkunft auch in der Wahl -<br />
aus ein an dersetzung mit „Achtung und Mensch lich keit“ zu<br />
begegnen. Das verfassungsmäßig geschützte Recht der<br />
frei en Reli gi onsausübung dürfe nicht zum „Ge gen stand<br />
bil liger Polemik“ gemacht werden. Die gemeinsame Er klä -<br />
rung hat folgenden Wortlaut:<br />
„Die Repräsentanten der Religionsge meinschaften appellieren<br />
an die wahl werbenden Parteien, den Wahlkampf in<br />
Fairness abzuwickeln.<br />
Die Wahl werbung und die folgende praktische Politik<br />
müssen an den ethi schen und moralischen Werten einer<br />
de mokratischen und humanistischen Gesellschaft ausgerichtet<br />
werden.<br />
in diesem Zusammenhang fordern die Unterzeichner<br />
die wahlwerbenden Gruppierungen auf, sich aller mani -<br />
fes tationen der religiösen intoleranz, des Antisemitismus<br />
Anlässlich der Jahrzeit<br />
meines unvergesslichen<br />
Gatten<br />
Adalbert Szmuk<br />
findet bei seinem Grab<br />
am Zentralfriedhof, 4. Tor,<br />
am Sonntag, dem<br />
7. September <strong>2008</strong><br />
um 11.30 Uhr,<br />
eine Gedenkfeier statt.<br />
Roszi Smuk<br />
und der infrage stel lung der Shoah sowie der islam feind -<br />
lichkeit zu enthalten.<br />
Den Religions ge meinschaften ist mit Achtung zu be -<br />
gegnen. Das verfassungsmäßig ge schütz te Recht der frei -<br />
en Religions aus übung darf nicht zum Gegenstand bil liger<br />
Polemik gemacht werden.<br />
Dies betrifft auch das Recht auf Zei gen religiöser Sym -<br />
bole in der Öffentlichkeit, in amtlichen Räumen und in<br />
Schulen sowie das Recht zur Errich tung von Gottes häu -<br />
sern.<br />
Ausländern und eingebürgerten Ös terreichern ausländischer<br />
Her kunft, die oft Aufgaben erfüllen, die andere<br />
scheu en, ist mit Achtung und mensch lichkeit zu begegnen.<br />
Aus ländische Staatsbürger, die in Österreich leben,<br />
haben An spruch auf Schutz durch die Gesetze; sie sind<br />
Träger von Pflichten, aber auch von Rechten.<br />
in der öffentlichen Diskussion ist klar zwischen Asyl<br />
und Zuwanderung zu unterscheiden. Das Asylrecht ist<br />
ein mensch liches Grundrecht, das bereits in den biblischen<br />
Schrif ten und dem Koran erwähnt ist. Der Status<br />
von Flücht lingen ist rasch zu entscheiden; humanitärer<br />
Auf ent halt ist großzügig und nach klaren Kriterien zu<br />
bewilli gen.<br />
Neuer Präsident für Internationales<br />
Forum Mauthausen<br />
Auf Vorschlag von innenminister Günther Platter wurde<br />
Mag. Dr. Kurt Scholz vom internationalen Forum maut hau -<br />
sen (iFm) <strong>als</strong> neuer Präsident einstimmig bestätigt. Der 60-<br />
jährige ehemalige Präsident des Wiener Stadtschul ra tes löst<br />
Prof. Dr. Wolfgang neugebauer in dieser Funktion ab.<br />
Das iFm wurde im Februar 2004 vom damaligen innen -<br />
mi nister Dr. Ernst Strasser zur Beratung in grundsätzli chen<br />
Angelegenheiten der KZ-Gedenkstätte mauthausen ge -<br />
grün det. Die mitglieder des iFm setzen sich zusammen<br />
aus Überlebenden der Konzentrationslager, nationalen und<br />
internationalen Wissenschaftlern und Leitern von Ge denk -<br />
stätten und diplomatischen Vertretern der USA, Frank -<br />
reichs, Polens und Russlands sowie Personen und in sti tu -<br />
ti o nen, die an der Erhaltung der Gedenkstätte interesse<br />
ha ben. Das iFm soll beratend mitwirken, das ehemalige KZ<br />
mauthausen und dessen Außenlager <strong>als</strong> Orte des Geden -<br />
kens an die dort begangenen Verbrechen sowie <strong>als</strong> Orte der<br />
pädagogischen Vermittlung historischen Wissens bewahren,<br />
sie wissenschaftlich begründet gestalten und in geeigneter<br />
Weise der Öffentlichkeit zugänglich machen.<br />
Dr. Scholz war von 1975-1984 Referatsleiter für Zeit ge schich te und<br />
politische Bildung im Unterrichts mi nisterium, und von 1992-2001<br />
Prä sident des Stadt schul rates für Wien. Seit 2001 ist er Son der beauf -<br />
trag ter der Stadt Wien für Res ti tu tions- und Zwangs arbeiter fra gen und<br />
hat sich somit in langjähriger Ar beit zum The ma National so zi a lis mus<br />
verdient ge macht.<br />
10 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • AUSLAND<br />
DEUTSCHLAND:<br />
Verbot der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ gefordert<br />
Goebbels wäre dankbar<br />
Nazi-Sympathisanten zeigten in<br />
Ungarn „Jud Süß“ ohne Rechte<br />
Eine von ungarischen nazi-Sym pa -<br />
thi santen organisierte Vorfüh rung<br />
des antisemitischen deutschen Pro -<br />
pa gan dafilms „Jud Süß“ (1940) in<br />
Bu da pest erfolgte ohne den Er werb<br />
der dafür nötigen Rechte. Dies er -<br />
klärte ein Sprecher der Wies ba de ner<br />
Fried rich-Wilhelm-mur nau-Stif tung,<br />
die sich im Besitze dieser Rechte<br />
befindet, der ungarischen nach rich -<br />
ten agen tur mTi. man wer de juristische<br />
Schritte prüfen, fügte er hin zu,<br />
und habe in diesem Zu sammen -<br />
hang bereits das deutsche Außen -<br />
mi nisterium um Hil fe e r sucht.<br />
„Jud Süß“ von Veit Harlan, ein<br />
mach werk, das der nation<strong>als</strong>ozialistische<br />
Propagandaminister Jo seph<br />
Goebbels in Auftrag gegeben hat te,<br />
war Anfang Juli zweimal in einem<br />
Buda pester Kel lerraum abgespielt<br />
worden. Zu den Vorführungen, für<br />
die auch Eintritt kassiert wurde,<br />
konnte man sich über einschlägige<br />
rechtsextreme Web-Por ta le anmelden.<br />
Als Veranstalter wurden der<br />
rechtsextreme Verlag der Brüder Ge de<br />
sowie die Gattin des rechtsextremen<br />
reformierten Pfarrers Lo rant<br />
He ge düs jr. genannt. Ein Reporter<br />
der linken Tageszeitung ‘népszava’,<br />
der sich Zugang zu einer der<br />
beiden Vor führungen verschafft<br />
hatte, beschrieb das Publikum <strong>als</strong><br />
eher gutbürgerlich. Die Teilneh mer<br />
hätten Szenen, in de nen die gängigen<br />
Vorurteile gegenüber den Ju -<br />
den dargestellt wurden, mit zu stim -<br />
men den Äußerungen und Zwi -<br />
schen rufen quittiert.<br />
nach der Auflösung eines Ferien la -<br />
gers der rechtsradikalen „Heimat -<br />
treuen Deutschen Jugend“ (HDJ) im<br />
nordostdeutschen Bundesland meck -<br />
len burg-Vorpommern hat sich auch<br />
der Vorsitzende des Bundestags-in -<br />
nenausschusses, Sebastian Edathy,<br />
erneut für ein Verbot des Ver eins ausgesprochen.<br />
Die Koalition werde dies<br />
in Kürze beantragen, sagte Edathy<br />
der „Frankfurter Rund schau“. innen -<br />
minister Wolfgang Schäuble „dürfte<br />
sich schwer tun, Gründe zu finden, diesen<br />
Ver ein nicht zu verbieten“.<br />
Edathy hatte das Verbot dem Be richt<br />
zufolge bereits vor einem Jahr gefordert.<br />
Da m<strong>als</strong> hatte ein Sprecher von<br />
Schäub le erklärt, dass der Verfa s sungs -<br />
schutz material über die HDJ sammle.<br />
Falls es für ein Verbotsver fah ren ausreiche,<br />
werde dies auch erfol gen. Der<br />
innenminister kann rechtsradikale<br />
Gruppen aus eigener Amts voll macht<br />
verbieten. Dagegen ist das Verbot von<br />
Parteien Sache des Bun des ver fas -<br />
sungs gerichts.<br />
Die HDJ gilt <strong>als</strong> nachfolgeorga nisa -<br />
ti on der verbotenen Wiking-Jugend,<br />
der eine „Wesensverwandtschaft“ mit<br />
Zentralrat der Juden fordert<br />
NPD-Verbot<br />
Die Präsidentin des Zentralrats der Ju -<br />
den in Deutschland, Charlotte Knob loch,<br />
erneuerte ihre Forderung nach einem<br />
Verbot der nPD. „Die Umtriebe der<br />
brau nen Banden in der Öffentlichkeit<br />
müs sen ein Ende haben“, sagte sie laut<br />
mitteilung. Es sei außerdem eine Far ce,<br />
wenn eine rechtsextremistische Partei<br />
auch noch die Wahlkampf kos ten er -<br />
stattet bekomme, wenn sie auf mehr<br />
<strong>als</strong> ein Prozent der Wähler stim men<br />
komme.<br />
der nSDAP und der Hitler-Jugend<br />
be scheinigt worden war. Laut Berli -<br />
ner Verfassungsschutz will die HDJ<br />
Kin der und Jugendliche indoktrinieren<br />
und mit militärischem Drill zum<br />
Rechtsextremismus erziehen.<br />
Bei Durchsuchungen in dem HDJ-Fe -<br />
ri en camp im mecklenburgischen Güs t -<br />
row war rechtsradikales Propaganda -<br />
material gefunden worden. Zudem<br />
ermittelt die Po lizei in nieder sach sen,<br />
weil bereits im Ja nuar in einem ähnlichen<br />
Camp in der nähe von Osna -<br />
brück „Rassen schu lun gen“ für Ju gend -<br />
liche organisiert worden sein sollen.<br />
Verfassungsgericht verbietet<br />
Heß-Gedenkmarsch<br />
Das deutsche Bundesverfas sungsge -<br />
richt hat einen von Rechtsradikalen ge -<br />
planten Gedenkmarsch für den Hit ler-<br />
Stellvertreter Rudolf Heß verboten.<br />
Die Richter lehnten in Karls ru he eine<br />
einstweilige Anordnung ge gen das<br />
Demonstrationsverbot ab. Die Rechts -<br />
radikalen hatten im bayerischen Wun -<br />
siedel anlässlich des Todestages von<br />
Heß aufmarschieren wollen. Heß war<br />
1987 in der Haft <strong>als</strong> verurteilter Kriegs -<br />
verbrecher gestorben.<br />
Zwar seien eine Reihe grundsätzli -<br />
cher Rechtsfragen zum Verbot der Heß-<br />
Gedenkdemonstrationen noch nicht<br />
ab schließend entschieden, er klärten die<br />
Richter. im Zweifel müsse der Ge denk -<br />
marsch allerdings verboten bleiben,<br />
weil sonst die Gefahr be stehe, dass der<br />
„öffentliche Friede“ gestört werde.<br />
in der Umgebung Wunsiedels sorgen<br />
sich Kommunalpolitiker zudem, dass<br />
Anhänger der rechtsextremen nPD ein<br />
Hotel in Warmensteinach <strong>als</strong> Treff -<br />
punkt ankaufen könnten.<br />
APA<br />
Der Film wurde seinerzeit gezielt<br />
SS-Soldaten vor Einsätzen in Kon -<br />
zen trationslagern gezeigt, um de ren<br />
Aggressionsbereitschaft gegen Ju -<br />
den zu steigern.<br />
red<br />
Wunsiedel 2004<br />
© JTA<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 11
POLITIK • AUSLAND<br />
POLEN:<br />
Umstrittener polnischer<br />
Geistlicher predigt wieder<br />
FRANKREICH:<br />
Skandal um antisemitische T-Shirts<br />
in einem Geschäft in Paris sind T-Shirts mit einem antisemitischen Aufdruck<br />
verkauft worden. Sie zeigen ein Verbotsschild für Juden aus der nazizeit, aus<br />
dem damaligen Ghetto der polnischen Stadt Lodz. Darauf stand auf Deutsch<br />
und Polnisch: „Juden Eintritt in die Parkanlagen verboten”und „Zydome wstep do<br />
parku wzbroniony“<br />
Die französische Justiz ermittelt jetzt gegen eine Chinesin – der der Laden<br />
gehört – und ihre Tochter, die dort verkauft. Es gehe um mögliche Anstiftung<br />
zum Rassenhass oder Beihilfe dazu, sagt ein Polizeisprecher. Die beiden müssten<br />
sich vor Gericht verantworten.<br />
Der Hinweis auf die T-Shirts kam von einem Passanten. Die Verkäuferin<br />
wusste nach eigener Aussage nicht, was der Aufdruck bedeutet...<br />
Polen ist größter Produzent<br />
von NS-Symbolen in Europa<br />
Gesetz stellt nur Verbreitung von Ideologie unter Strafe, nicht von Gegenständen<br />
Polen ist nach Angaben der Zeitung<br />
„Polska“ der größte Produzent und<br />
Exporteur von nS-Symbolen in Euro -<br />
pa. Wie das Blatt berichtete, versorgen<br />
polnische Hersteller nicht nur einheimische<br />
Händler, sondern auch neo -<br />
nazis in Deutschland und den skandinavischen<br />
Ländern. SS-Abzeichen,<br />
Hakenkreuze, Hitler-Büsten und an de -<br />
re nS-Devotionalien würden sowohl<br />
im internet <strong>als</strong> auch auf Flohmärkten<br />
angeboten. Erinnerungsstücke an das<br />
Dritte Reich verkauften sich sehr gut,<br />
zitierte „Polska“ einen Verkäufer.<br />
Laut der Zeitung bleiben die Händ ler<br />
straffrei, weil sie eine Lücke im pol ni -<br />
schen Strafrecht nutzen. Verbo ten sei<br />
zwar die Verbreitung nation<strong>als</strong>ozialistischer<br />
ideologie, nicht aber der<br />
Han del mit historischen oder nachgemachten<br />
Gegenständen aus der nS-<br />
Zeit. Der ehemalige Vorsitzende der<br />
pol nischen Kommission zur Verfol -<br />
gung der Verbrechen gegen die polnische<br />
nation, Witold Kulesza, sprach sich<br />
unterdessen für eine Verschärfung der<br />
Vorschriften aus. Die entsprechenden<br />
Paragrafen müssten geändert werden,<br />
damit die Produzenten und Händ ler<br />
wirksam bestraft werden könnten.<br />
Der wegen antisemitischer Äußerungen<br />
umstrittene polnische Geistliche<br />
Henryk Jankowski predigt wieder. Der<br />
neue, <strong>als</strong> konservativ geltende Erz -<br />
bischof von Gdansk (Danzig), Slawoj<br />
Glodz, hob offenbar das Predigt ver bot<br />
für Jankowski auf, das sein Vor gän ger<br />
Tadeusz Goclowski erlassen hatte.<br />
Jankowski sprach in den vergangenen<br />
Wochen wieder von der Kanzel<br />
in der Danziger Brigitten-Kirche, wo<br />
er bis 2004 Gemeinde-Pfarrer war.<br />
nach informationen des TV-Senders<br />
TVP info behielt er auch seine antisemitische<br />
Rhetorik bei. in einem inter -<br />
view mit dem internet-Service des Sen -<br />
ders bezeichnete er den Schrift stel ler<br />
Pawel Huelle <strong>als</strong> „abstoßenden Ju den-<br />
Bengel“.<br />
Jankowski hat viele Anhänger in der<br />
Brigitten-Gemeinde in Gdansk, die<br />
2004 seine Absetzung durch Demon -<br />
stra tionen zu verhindern versuchte.<br />
Umstritten war der Geistliche vor al -<br />
lem wegen Aussagen wie, ei ne „jüdische<br />
Minderheit in der Regierung nicht<br />
geduldet“ werden dürfe.<br />
Außerdem ermittelte die Staats an -<br />
walt schaft gegen ihn wegen Kindes -<br />
miss brauchs. Das Verfahren wurde<br />
zwar eingestellt, im Laufe der Ermitt -<br />
lun gen kam jedoch ans Tageslicht, dass<br />
Jankowski regelrechte Sauforgien von<br />
messdienern im Gemeindehaus nicht<br />
nur tolerierte, sondern unterstützte.<br />
Die Kurie in Gdansk will die Rück -<br />
kehr von Jankowski auf die Kanzel<br />
nicht kommentieren. Dies sei eine „in-<br />
nere Angelegenheit der Gemeinde und<br />
der Diözese“, sagte Erzbischof Glodz<br />
gegenüber TVP. Jankowski hofft wei -<br />
terhin, auch auf seinen alten Posten<br />
<strong>als</strong> Gemeindepfarrer zurückzukehren.<br />
Gegen seine Abberufung hatte er<br />
beim Vatikan Einspruch eingelegt,<br />
über den nach medieninformationen<br />
noch nicht entschieden wurde. APA<br />
Gewinnbringende Bewirtschaftung seit 1959<br />
Hausverwalter<br />
dkfm. Viktor maier & dr. Peter maier<br />
ges.m.b.h.<br />
Ankauf und Verkauf von immobilien jeder Art<br />
A-1030 Wien Fasangasse 18<br />
Tel.: 798 44 99 Fax:798 44 99-22<br />
www.hausverwalter.at<br />
12 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • AUSLAND<br />
„Spiegel“: Briten schwiegen über NS-Kriegsverbrechen<br />
Grund für die Zurückhaltung war Sorge um Bekanntwerden umstrittener Abhörmethoden<br />
Die britischen Geheimdienste haben<br />
einem Bericht des "Spiegel" zufolge<br />
die Strafverfolgung von nS-Verbre -<br />
chern nach Kriegsende erschwert, weil<br />
sie ihre me tho den der infor ma ti ons -<br />
beschaffung nicht preisgeben wollten.<br />
Das geht aus einer Stu die des englischen<br />
Historikers Stephen Tyas hervor,<br />
wie das magazin berichtet. Flächen -<br />
deckend seien Kriegsge fan gene aus<br />
Deutschland befragt und in ihren Un -<br />
ter künften abgehört worden. Die Er -<br />
kennt nisse seien nach dem Krieg <strong>als</strong><br />
„streng geheim“ eingestuft worden,<br />
weil die englischen Geheimdienste befürchtet<br />
hätten, dass ihnen die Abhör -<br />
praxis bei Bekanntwerden untersagt<br />
wer den könnte.<br />
in den nach Befragungen und Ab hör -<br />
aktionen angefertigten mehr <strong>als</strong> 20.000<br />
Protokollen gebe es zahlreiche Hin wei -<br />
se auf nS-Verbrechen wie massener -<br />
schießungen, den Einsatz von Gaswa -<br />
gen und die Gaskammern in Au schwitz.<br />
in dem englischsprachigen Journal<br />
„Holocaust and Genocide Studies“, in<br />
dem auch aus Protokollen zitiert wird,<br />
schreibt Tyas: „Ausgiebige Recherchen<br />
ha ben keine Hinweise erbracht, dass diese<br />
Eichmann-Prozess in Israel<br />
Be richte über die Gespräche an Untersu -<br />
chungs kommissionen der Alliierten zu<br />
Kriegsverbrechen weitergeleitet wurden.“<br />
Erst 30 Jahre später seien die Un ter la -<br />
gen veröffentlicht worden.<br />
Der „Zentra len Stelle der Landes jus -<br />
tiz verwaltungen zur Aufklärung na tio -<br />
nal-sozialistischer Verbrechen“ in Lud -<br />
wigsburg liegt laut dem „Spiegel“-Be -<br />
richt zwar ein Teil der Papiere vor. Bis -<br />
her fehle es aber an Personal, um die se<br />
systematisch auszuwerten, hieß es.<br />
Antisemitismus in Litauen<br />
Yad Vashem kritisiert Umgang mit einstigen<br />
jüdischen Partisanen<br />
©/JTA<br />
Der Leiter der Jerusalemer Gedenk -<br />
stätte Yad Vashem, Avner Shalev, ist be -<br />
sorgt über wachsenden Antise mi tis -<br />
mus in Litauen. in einem Brief an den<br />
litauischen Premierminister Ge di mi nas<br />
Kirkilas kritisiert Shalev, dass die Jus -<br />
tizbehörden des postsowjetischen Lan -<br />
des über die Partisanen ver gan genheit<br />
jüdischer Holocaust-Über lebender im<br />
Zweiten Weltkrieg ermitteln.<br />
Trotz zahl reicher<br />
Pro tes te von Yad<br />
Va shem und anderen<br />
Ein rich tun gen<br />
werde die juristische<br />
Ver fol gung<br />
der einstigen jüdischen<br />
Par ti sanen<br />
fortgesetzt, die den<br />
Kampf ge gen die deutschen Besatzer<br />
aufgenom men hatten.<br />
Dies passe in ein Klima des wiedererstarkenden<br />
Revisionismus in Li tau -<br />
en, so Shalev. in der jüngsten Vergan -<br />
gen heit hätten antisemitische Zwi -<br />
schen fälle in Litauen zugenommen.<br />
So seien kürzlich Gebäude jüdischer<br />
Or ganisationen in der Hauptstadt Vil -<br />
nius mit Graffiti und Hakenkreuzen<br />
besprüht worden.<br />
Litauen war vor dem deutschen<br />
Über fall auf die Sowjetunion 1941 ei -<br />
nes der europäischen Länder mit dem<br />
höchsten jüdischen Bevöl ke rungs an -<br />
teil. Vilnius galt <strong>als</strong> das "litauische<br />
Jerusalem".<br />
Zwischen 1941 und 1944 wurden<br />
jedoch fast alle der 200.000 litauischen<br />
Juden von deutschen nation<strong>als</strong>o zia -<br />
listen und einheimischen Helfern er -<br />
mordet. Das Simon-Wiesenthal-Zen -<br />
trum in Jerusalem hat den Behörden<br />
des baltischen Landes nach der Er lan -<br />
gung der staatlichen Un ab hän gigkeit<br />
1991 immer wieder vorgeworfen, die<br />
juristische Aufarbeitung bewusst zu<br />
blockieren oder zu verschleppen. KAP<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 13
POLITIK • AUSLAND<br />
Während die Diplomaten zaudern,<br />
baut der Iran Atomsprengköpfe<br />
Von John R. Bolton<br />
Der österreichische Botschafter in<br />
Teheran, Michael Postl, hat sich dafür<br />
ausgesprochen, die EU-Wirtschafts -<br />
be ziehungen und insbesondere die<br />
Be ziehungen seines Landes zum iran<br />
zu fördern. Dies berichtete die iranischen<br />
nachrichtenagentur iSnA.<br />
Von einer intensivierung der Trans -<br />
aktionen würden sowohl die EU <strong>als</strong><br />
auch der iran profitieren, erklärte Postl<br />
Am vergangenen Wochenende ist<br />
eine weitere ‚Deadline’ abgelaufen,<br />
innerhalb derer der iran erkennen lassen<br />
sollte, ob er ernsthaft bereit da zu<br />
sei, über die Einstellung seines Stre -<br />
bens nach Atombomben zu dis ku tie -<br />
ren. Wie so viele andere Dead li nes je -<br />
ner fünf Jahre europäisch ge führ ter<br />
Verhandlungen ist auch diese in Stille<br />
abgelaufen; Brüsseler Diplo ma ten sag -<br />
ten, niemand habe mit wirk licher Ar -<br />
beit an einem Samstag gerechnet.<br />
Die Tatsache, dass die Europäer<br />
Recht haben – diese letzte Deadline ist<br />
Will Österreich Wirtschaftsbeziehungen<br />
mit Iran fördern?<br />
bei einem Treffen mit Firmenchefs in<br />
der nordwestiranischen Stadt Tabriz.<br />
Tabriz’ enormes wirtschaftliches Po ten -<br />
tial und die einzigartige geographische<br />
Lage, nahe der Grenze zur Tür kei, ei -<br />
nem EU-Beitrittskandidaten, ha be den<br />
Weg für eine Förderung der Be zie hun -<br />
gen zu Österreich bereitet.<br />
Der Botschafter äußerte auch die<br />
Hoff nung, dass die Bemühungen des<br />
iran und der EU, die bilaterale Zu -<br />
sammenarbeit zu erhöhen, fruchtbare<br />
Handelsergebnisse nach sich ziehen<br />
würden. Der iranische Botschafter in<br />
Österreich, Ebrahim Sheibani, hat un -<br />
terdessen erklärt, das Handels vo lu men<br />
zwischen Teheran und Wien ha be ei ne<br />
milliarde Dollar erreicht.<br />
ICEJ<br />
Statoil zieht sich aus Iran-Geschäft zurück<br />
Die norwegische Ölgesellschaft StatoilHydro hat sich gegen weitere investitio -<br />
nen im iran entschieden und damit entsprechendem Druck aus den USA nachgegeben.<br />
Sie folgt mit diesem Schritt ähnlichen Entscheidungen der französischen<br />
bzw. niederländischen Energieunternehmen Total und Royal Dutch Shell.<br />
Der ehemalige Staatsbetrieb Statoil, dessen Anteile sich zu 62.9% noch im mer<br />
in der Hand der norwegischen Regierung befinden, hatte in Verhandlungen<br />
über die Entwicklung des riesigen Azar-Ölfeldes im iran gestanden. Konzern -<br />
chef Helge Lund kündigte an, auch die involvierung des Unter neh mens in<br />
dem Projekt South Pars 6-8 Gas zu reduzieren. Financial Times, 01.08.08)<br />
Originaltext: http://www.ft.com/cms/s/0/e291c944-5f62-11dd-91c0-000077b07658.html<br />
keine wirklich große neuigkeit -, ist<br />
ge nau das Problem bei ihren Ver -<br />
hand lungen und der stillschweigenden<br />
Hin nahme dieses Bemühens<br />
durch die Bush-Administration.<br />
Die Rationalität andauernder westlicher<br />
Verhandlungen mit dem iran<br />
hängt entscheidend von zwei Annah -<br />
men ab: dass der iran weit genug entfernt<br />
vom Besitz von Atomwaffen ist<br />
und wir somit keine übermäßigen Ri -<br />
siken mit den Gesprächen eingehen;<br />
und dass wir durch die Gespräche<br />
die Option des Einsatzes von militärischer<br />
Gewalt nicht wesentlich behindern.<br />
Letzterer Punkt impliziert die<br />
weitere Annahme, dass die militärische<br />
Op ti on statisch ist – dass sie in<br />
einem Jahr noch gleichermaßen gültig<br />
ist wie heute.<br />
Keine dieser Annahmen ist korrekt.<br />
Können wir glauben, dass wir weiterhin<br />
„rechtzeitig“ eine militärische Ak -<br />
tion zur Verhinderung iranischer<br />
Atom waffen ergreifen können, falls die<br />
Diplomatie scheitert? Die „Gerade<br />
noch rechtzeitig“-nichtverbreitung<br />
setzt einen Grad an geheimdienstli -<br />
cher Gewissheit in Bezug auf das iranische<br />
Atomprogramm voraus, vor<br />
der uns die jüngste Geschichte eindeutig<br />
warnen sollte.<br />
Jeder Tag, der vorübergeht, gestattet<br />
es dem iran, die von ihm ausgehende<br />
Bedrohung zu steigern, und währenddessen<br />
sinkt die Viabilität der militärischen<br />
Option. Es gibt eine Anzahl<br />
von Gründen, warum dem so ist.<br />
Erstens: Während die europäisch ge -<br />
führten Verhandlungen voranschreiten,<br />
setzt der iran die Umwandlung<br />
von Uran vom Festkörper (Uranoxid,<br />
U3O8, auch gelber Kuchen genannt)<br />
zu einem Gas (Uranhexafluorid, UF6)<br />
in seiner Uranumwandlungsanlage in<br />
isfahan fort. Obgleich es sich hier um<br />
einen rein chemischen Prozess handelt,<br />
ist die Umwandlung komplex und<br />
bringt Gesundheits- und Sicherheits -<br />
risi ken mit sich.<br />
Je mehr jedoch der andauernde Be -<br />
14 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • AUSLAND<br />
trieb in isfahan den UF6-Bestand und<br />
die technische Expertise erhöht, desto<br />
geringer wird der Effekt einer Zer stö -<br />
rung der Anlage. Der iran häuft Vor -<br />
rä te von UF6 an, das er dann selbst<br />
während eines Wiederaufbaus von is -<br />
fahan nach einem Angriff oder im Fall<br />
des Baus einer neuen Umwand lungs -<br />
anlage anderswo anreichern kann.<br />
Zweitens: Eine Verzögerung er laubt<br />
es dem iran, seinen Vorrat an niedrig<br />
angereichertem Uran (LEU) zu vergrößern<br />
– UF6-Gas, bei dem die U235-<br />
isotop-Konzentration (die für nukleare<br />
Reaktionen sowohl in Reak toren <strong>als</strong><br />
auch Waffen entscheidende Form von<br />
Uran) von ihrem natürli chen Grad von<br />
0.7% auf etwa 3 bis 5% er höht wird.<br />
Je mehr die LEU-Vorräte wachsen,<br />
des to mehr wächst auch die Fähig keit<br />
Teherans den nächsten Schritt zu neh -<br />
men und sie zu waffenfähigen Kon -<br />
zen trationen von mehr <strong>als</strong> 90% (hoch<br />
angereichertes Uran oder HEU) an -<br />
zu reichern. Einige in nuklearfragen<br />
Un bewanderte schätzen die Diffe renz<br />
in den LEU-HEU-Konzen trations gra -<br />
den gering ein. Die Wahrheit ist weit<br />
davon entfernt. Die Anreicherung von<br />
natürlichem Uran durch Zentri fu gen<br />
zu LEU nimmt etwa 70% der Arbeit<br />
und Zeit in Anspruch, die für seine<br />
Anreicherung zu HEU benötigt wird.<br />
insofern eliminiert eine Zerstörung<br />
der Anreicherungsanlage in natanz<br />
nicht das existierende angereicherte<br />
Uran (LEU), das sich nach Ein schät -<br />
zung der internationalen Atomener -<br />
gie behörde (iAEA) im mai <strong>2008</strong> auf<br />
die Hälfte dessen beläuft, was für eine<br />
Atombombe benötigt wird. Der iran<br />
hat <strong>als</strong>o mit jedem Kilogramm von<br />
auf LEU-Grad angereichertem Uran<br />
bereits mehr <strong>als</strong> zwei Drittel des We ges<br />
zu waffenfähigem Uran zurück ge legt.<br />
Und so wie der LEU-Bestand wächst,<br />
so steigt auch das Risiko, dass bei ei -<br />
nem militärschlag ein oder mehrere<br />
Speichertanks getroffen werden und<br />
damit erhebliche mengen von radioak -<br />
tivem Gas in die Atmosphäre strömen.<br />
Drittens: Obwohl man es nicht si cher<br />
wissen kann, weist alles darauf hin,<br />
dass der iran seine nuklearanlagen auf<br />
unbekannte Orte verteilt, womit er<br />
IRAN:<br />
Kampfflugzeuge erreichen nun auch Israel<br />
Angeblich 3.000 Kilometer Reichweite<br />
Die iranische Luftwaffe hat nach eigenen<br />
Angaben die Reichweite ihrer<br />
Kampfflugzeuge so weit verbessert,<br />
dass sie auch israel erreichen und<br />
wieder zu ihrer Heimatbasis zurückkehren<br />
können.<br />
General Ahmad Mighani sagte dem<br />
staatlichen Fernsehen zufolge, die<br />
Flug zeuge könnten 3.000 Kilometer<br />
oh ne Auftanken zurücklegen. israel<br />
liegt rund 1.000 Kilometer vom iran<br />
Gut geschützte Anreicherungs anlage in Natanz<br />
entfernt.<br />
Um welche Kampfflugzeuge es sich<br />
genau handelte und wie dies erreicht<br />
wurde, sagte der General nicht. Auch<br />
israel nannte er nicht beim namen.<br />
nach Einschätzung von Experten<br />
könnte die längere Reichweite durch<br />
Zusatztanks ermöglicht werden, die<br />
an den Tragflächen oder dem Rumpf<br />
be festigt und schließlich abgeworfen<br />
werden, wenn sie leer sind.<br />
Luft angriffe gegen die bereits be -<br />
kannten „erschwert“, und tiefer vergrabene<br />
Anlagen an bekannten Orten<br />
für zukünftige Operationen vorbereitet.<br />
Das bedeutet, dass die Erfolgs aus -<br />
sichten etwa gegen die Anreiche rungs -<br />
anlage in natanz geringer werden.<br />
Viertens: Augenscheinlich steigert der<br />
iran seine Verteidigungsfähigkeiten<br />
durch den Erwerb russischer S-300-<br />
Flugabwehrsysteme (auch bekannt <strong>als</strong><br />
SA-20), direkt oder über Weißruss land.<br />
Ende Juli haben Verteidigungs mi nis ter<br />
Robert M. Gates und sein Sprecher is -<br />
ra elischen Behauptungen widerspro -<br />
chen, wonach die neuen Flugab wehr -<br />
sys teme noch dieses Jahr in Betrieb<br />
ge hen würden. Wenn das Pentagon<br />
Recht hat, würde seine eigene Ein -<br />
schät zung des Timings das Argument<br />
für einen israelischen Schlag lieber<br />
früher <strong>als</strong> später noch verstärken.<br />
Fünftens: Der iran baut die An griffs -<br />
fä higkeiten von Stellvertretern wie<br />
Sy rien und Hisbollah weiter aus; bei de<br />
haben ein Raketenpotential, das nach<br />
israel herüberreicht, und bedrohen die<br />
US-Truppen und Freunde und Ver bün -<br />
dete der USA in der Region. Es könnten<br />
durchaus Syrien und die Hisbol lah<br />
sein, die nach einem israelischen An -<br />
griff auf iranische nuklearanlagen Ver -<br />
geltung üben und dadurch weitere<br />
Schlä ge gegen den iran zumindest<br />
kurzfristig erschweren würden.<br />
Der iran verfolgt zwei Ziele gleichzeitig,<br />
beide sind in komfortabler Reich -<br />
weite. Das erste – die für eine verfügbare<br />
Atomwaffe nötigen Fähigkeiten<br />
zu erlangen – lässt sich nahezu sicher<br />
nicht mehr diplomatisch verhindern.<br />
Daher wird irans zweites Ziel entschei -<br />
dend: dafür zu sorgen, dass die Risi -<br />
ken eines militärischen Angriffs ge gen<br />
ihn zu groß und die Wahrschein lich -<br />
keit des Erfolgs einer Zerschlagung<br />
des Programms zu niedrig sind. Beim<br />
Erreichen dieser Ziele hat der iran die<br />
Zeit auf seiner Seite. US-amerikanische<br />
und europäische Diplomaten sollten<br />
dies bedenken, wenn sie am Telefon<br />
auf einen Anruf des iran warten.<br />
The Wall Street Journal, 05.08.08<br />
John Bolton ist Senior Fellow am American<br />
En terprise Institute und früherer UN-Bot -<br />
schaf ter der USA.<br />
Originaltext: http://online.wsj.com/public/<br />
article_print/SB121789278252611717.html<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 15
POLITIK • AUSLAND<br />
Der iran hat am 17. <strong>August</strong> eine<br />
Ra ke te zum Abschuss eines Sa -<br />
tel liten ge testet: Präsident mah mud<br />
Ah madi ned schad hat den Start im ira -<br />
ni schen Weltraumzentrum verfolgt<br />
und persön lich den Countdown herun -<br />
ter ge zählt, so ein Regierungs spre cher<br />
laut iranischer nachrichten a gen tur<br />
Fars.<br />
Die islamische Republik will dem -<br />
nächst seinen ersten eigenen Satel li -<br />
ten mit namen "Omid" (Hoffnung)<br />
ins All schießen. Zunächst hatte das<br />
iranische Fernsehen berichtet, es sei<br />
der Satellit ins All geschossen worden.<br />
Spä ter hieß es dann offiziell, es sei<br />
erst m<strong>als</strong> eine Rakete mit einem Satel -<br />
liten-Dummy erfolgreich getestet<br />
worden.<br />
Die USA und Russland hatten sich<br />
zu Beginn des Jahres nach ähnlichen<br />
Tests besorgt über dass iranische Welt -<br />
raumprogramm gezeigt und nach<br />
den tatsächlichen Zielen gefragt. Die<br />
Ra ke tentechnologie für Satelliten<br />
kann auch zum Abschuss von Atom -<br />
waffen genutzt werden. Wegen des<br />
um stritte nen iranischen Atom pro -<br />
gramms ha ben die Un be reits dreimal<br />
Sank ti onen ge gen die isla mische Re -<br />
publik verhängt. Grund für die<br />
Sanktionen ist die Wei gerung des iran,<br />
sein Atom pro gramm zu stoppen. Die<br />
Un verdächtigt den iran unter dem<br />
Deckmantel der Ener gie er zeugung<br />
nach Atom waf fen zu streben.<br />
Israel reagiert alarmiert<br />
Der Start der iranischen Trägerrakete<br />
hat in der israelischen Öffentlichkeit<br />
gemischte Reaktionen von Besorgnis<br />
bis zum Herunterspielen möglicher<br />
Gefahren ausgelöst. Während einige<br />
israelische Experten ihre Landsleute<br />
vor Angstmache und Panik warnten,<br />
ist aus Sicht von Kommentatoren ei ne<br />
weiterer Teil der strategischen Bedro -<br />
hung israels durch den iran sichtbar<br />
geworden.<br />
nach den Worten von Re gie rungs -<br />
spre cher mark Regev wird die israelische<br />
Regierung den Test der zeit nicht<br />
kommentieren. Der israe lische Rund -<br />
funk zitierte einen Regie rungsbeam -<br />
ten, wonach der erfolgreiche Test der<br />
weiterentwickelten Trägerrakete kein<br />
Grund zur Panik bedeute. Der Test sei<br />
eher eine Warnung für Europa <strong>als</strong> für<br />
israel, das sich bisher schon in Reich -<br />
weite iranischer ballistischer Raketen<br />
befunden habe. „Wer einen Satelliten<br />
ins All schießen kann, kann auch schwere<br />
Last an sehr weit entfernte Orte bringen“,<br />
wird der Experte zitiert.<br />
Der Knesset-Abgeordnete der Ka d i -<br />
ma-Partei und ehemalige Direktor der<br />
israelischen Raumfahrtbehörde, Yiz hak<br />
Ben-Israel, sagte dem Rund funk, dass<br />
der iran sowohl die USA <strong>als</strong> auch is -<br />
ra el von einem Angriff auf die eigenen<br />
Atomanlagen abhalten wolle. Des halb<br />
spiele „die übertriebene Angst“ in der<br />
israelischen Öffentlichkeit in die Hän -<br />
de der Führung in Teheran. Die Tages -<br />
zeitung ‘maariv’ zitiert Raumfahrt ex -<br />
per ten, wonach es sich bei dem Rake -<br />
tenstart um eine Raumfahrt-Show<br />
handle und der iran noch weit davon<br />
entfernt sei, einen Satelliten zu bauen<br />
und ins All zu schießen.<br />
israelische Experten beunruhige am<br />
meisten, dass wieder ein Stück aus ei -<br />
Iran startet<br />
Trägerrakete „Safir“<br />
Satellitenaufnahmen sollen<br />
zur Früherkennung von<br />
Naturkatastrophen dienen<br />
USA verhängen Sanktionen über iranische Firmen<br />
Die US-Regierung hat Sanktionen über fünf weitere iranische Firmen verhängt,<br />
die sie der mitwirkung am Atomprogramm der islamischen Re pu blik<br />
bezichtigt. Das amerikanische Finanzministerium teilte mit, dass es die Ver -<br />
mö genswerte der betreffenden Firmen in den USA einfrieren und es<br />
amerikani schen Unter neh men und individuen verbieten würde, geschäf t li -<br />
che Be zie hungen mit ihnen zu un terhalten. Bei den fünf indizierten Firmen<br />
han delt es sich um das Nuclear Research Cen ter for Agriculture and Medicine, das<br />
Esfahan Nuclear Fuel Research and Pro duction Cen ter, Jabber Ibn Hayan, Safety<br />
Pro cu rement Co. und Joza Indus tri al Co.<br />
http://www.ustreas.gov/press/releases/hp1113.htm<br />
© EPA/Fars News Agency<br />
nem riesigen Puzzle der strategischen<br />
Bedrohung sichtbar geworden sei,<br />
kom mentiert die Tageszeitung ‘Ye di -<br />
oth Ahronoth’. Jeder, der noch daran<br />
glaube, mit einem oder zwei Luft schlä -<br />
gen die iranische infrastruktur zer -<br />
schla gen zu können, mache sich il lu -<br />
si onen. Die US-Regierung hat is ra el<br />
nach informationen der Tageszeitung<br />
‘Haaretz’ vor einem militärschlag ge -<br />
gen den iran gewarnt. Ein solcher<br />
Angriff würde den interessen der USA<br />
schaden, hieß es vergangene Woche in<br />
dem Zeitungsbericht. Die US-Re gie -<br />
rung habe außerdem die Bitte is ra els<br />
nach Lieferung von militärischer Aus -<br />
rüs tung abgelehnt, die für einen An -<br />
griff auf iranische Atomanlagen ge -<br />
nutzt werden könnte. Die USA woll ten<br />
israel auch wegen des Wider stan des<br />
der Führung in Bagdad keine Über -<br />
flug rechte über irakisches Territo ri um<br />
gewähren.<br />
reu/red/APA<br />
16 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • AUSLAND<br />
Al-Jazeera entschuldigt sich bei Israel<br />
Der arabische Fernsehsender Al-Ja zee ra hat sich offiziell bei israel entschuldigt.<br />
Die Berichterstattung über die Freilassung des libanesischen Terro ris ten Sa mir<br />
Kuntar habe die ethischen maßstäbe des Senders verletzt. Das Einge ständ nis<br />
kam in Rektion auf die Drohung des Presseamts der israelischen Regierung<br />
(GPO), den Satel li tenkanal zu boykottieren, falls er sich nicht entschuldige.<br />
in einem offiziellen Brief, von dem eine Kopie an ‘Haaretz’ weitergeleitet<br />
wur de, schreibt Generaldirektor Khan far Wadah, dass „Elemente der Sen dung“<br />
vom 19. Juli, in der Kuntar <strong>als</strong> Held geehrt worden war, den ethischen Co de<br />
seines Senders verletzt hätten und er selbst diese Verletzung sehr ernst neh me.<br />
Der Programmdirektor sei angewiesen, solche Vorfälle in Zukunft zu<br />
unterbin den. Kuntar war von Al-Jazeera mit einer Sondersendung bedacht<br />
worden, in der er u. a. <strong>als</strong> „panarabischer Held“ bezeichnet wurde.<br />
VENEZUELA:<br />
Chavez empfängt erstm<strong>als</strong> jüdische Vertreter<br />
© Reuters/Ho New<br />
© Ono Academic College<br />
Rechtswissenschaftlerin Prof. Gabriela<br />
Shalev wird <strong>als</strong> erste Frau das Amt der<br />
israelischen Un-Botschafterin übernehmen.<br />
Zur Zeit ist Prof. Shalev Rek -<br />
to rin an einer privaten Hochschule in<br />
Kirjat Ono, dem Ono Academic Colle -<br />
ge in israel. in den kommenden Wo -<br />
chen wird sie für ihre sechs jährige<br />
Amtszeit nach new York ziehen.<br />
BAHRAIN:<br />
König von Bahrain ruft<br />
Juden zur Rückkehr auf<br />
Miraflores Palast, 13. <strong>August</strong> <strong>2008</strong> – Hugo Chavez (l) im im Gespräch Ronald Lauder (r)<br />
Erstm<strong>als</strong> in seiner zehnjährigen Amts -<br />
zeit hat der venezolanische Staats chef<br />
und iran-Verbündete Hugo Chavez<br />
Ver tre ter der jüdischen Ge meinde<br />
emp fan gen. Das Treffen fand im Prä si -<br />
den tenpalast in Caracas statt.<br />
Die außerordentliche Zusammen -<br />
kunft war von der argentinischen Prä -<br />
si den tin Cris tina Fernandez de Kirch ner<br />
vermit telt worden, in deren Land die<br />
größ te jüdische Gemeinde Latein -<br />
ame rikas zu Hause ist. Unter den<br />
Gästen wa ren der Präsident des Jüdi -<br />
schen Welt kon gresses, Ronald Lauder,<br />
sein Ver treter für Lateiname ri ka, Jack<br />
Ter pins, sowie Repräsen tan ten der jü -<br />
dischen Ge meinde Vene zue las.<br />
Terpins sagte, das Treffen sei für die<br />
Juden weltweit von sehr großer Be -<br />
deu tung gewesen. Alle missver ständ -<br />
nis se seien aus dem Weg ge räumt<br />
wor den. „Jetzt wissen wir, dass wir ei nen<br />
weiteren Freund in La tein ame ri ka ha ben“,<br />
sagte Terpins weiter.<br />
Auch Venezuelas Außenminister<br />
Ni colas Maduro zeigt sich „sehr zufrieden“<br />
über die Gespräche und versprach,<br />
mit jüdischen Ver tre tern im<br />
ständigen Dialog zu bleiben.<br />
Chavez hatte bisher ein angespanntes<br />
Verhältnis zur jüdischen Ge mein -<br />
de, die dem Links po pulisten Antise -<br />
mi tis mus vorwarf. Der Staats chef verurteilte<br />
wiederholt das Vor ge hen der<br />
israeli schen Armee im nah ost-Kon -<br />
flikt und drückte seine Un ter stüt zung<br />
für das ira nische Atom pro gramm<br />
aus.<br />
APA/AFP/red<br />
König Hamad Bin isa Al-Khalifa rief<br />
im <strong>August</strong> die Juden, die diese Golf -<br />
na tion verließen dazu auf, wieder in<br />
ihre Heimat zurückzukehren. Der<br />
König und der bahrainische minister -<br />
präsident Scheich Khalifa Bin Salman<br />
Al Khalifa trafen sich in London mit<br />
einer Gruppe von ehemaligen Juden<br />
ih res Landes, die jetzt in Groß bri tan -<br />
ni en leben. Solch ein Treffen ist für<br />
den König sehr ungewöhnlich, je doch<br />
hatte er im mai dieses Jahres Huda<br />
Azra Ibrahim Nunu, ein jüdisches mit -<br />
glied des bah rainischen Parla ments,<br />
<strong>als</strong> Botschafterin des Landes in Wa -<br />
shington erwählt. Bei dem Treffen<br />
mit den Juden in London wurden in -<br />
terne Angelegenheiten des Landes<br />
diskutiert und die Bemühungen zur<br />
mordernisierung.<br />
„Dieser König liebt die Juden, deshalb<br />
bat er die Juden in Bahrain darum, die von<br />
dort stammenden und jetzt in Israel le -<br />
ben den Juden aufzufordern, in ihr Ge -<br />
burts land zurückzukehren“, so natan<br />
Aluf, einer der aus Bahrain stammenden<br />
und in israel lebenden Juden.<br />
(siehe auch Gemeinde Nr. 623/Juni<strong>2008</strong>: „Die<br />
kleine jüdische Gemeinde von Bahrain:Ein<br />
Leben zwischen den Kulturen“<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 17
POLITIK • ISRAEL<br />
Der Waffenstillstand geht<br />
dem Ende zu<br />
von Ulrich W. Sahm<br />
Sderot im Mndschein<br />
„Die Spannung liegt in der Luft. Der Waf -<br />
fen stillstand wird bald vorbei sein“, sagt<br />
Ruti vom „israel Project“ während ei -<br />
ner spontanen Führung durch Sderot.<br />
Auf einem Hügel am westlichen<br />
Rand der israelischen Grenzstadt Sde -<br />
rot zeigt sie auf die Lichter von Beth<br />
Hanoun. „Von dort schießen die Pa läs ti -<br />
nenser ihre Raketen. Vor drei Tagen landete<br />
wieder eine in einem Feld, ohne Sch a den<br />
anzurichten.“ Über ihr zirpt eine Hoch -<br />
spannungsleitung. „Ich habe Angst.<br />
Noch nie habe ich den Strom so laut fließen<br />
gehört“, sagt die junge is raeli aus<br />
netiv Haasara, hart an der Grenze<br />
nördlich des Gazastreifens. „Je des un -<br />
ge wohnte Geräusch versetzt uns in<br />
Schrecken.“ Seit sieben Jahren ist die<br />
Kleinstadt Sderot fast täglichem Ra -<br />
ke tenhagel ausgesetzt. in ihrem Dorf<br />
ist Rutis nachbarin Dana Galga ko -<br />
witsch bei einem Raketenangriff getötet<br />
worden. in ihrem Büro hat Ruti<br />
ne ben Fotos der neun Toten von Sde -<br />
rot durch Kassam-Raketen auch ein<br />
Foto von Dana aufgehängt.<br />
„Die Menschen sind psychologisch zermürbt.“<br />
Experten reden von „post-trau -<br />
matischen Symptomen“ bei etwa 90<br />
Prozent der Bewohner. „Aber wie kann<br />
man von Post-Trauma reden, wenn sich das<br />
Trauma täglich wiederholt?“ fragt Ruti.<br />
Offiziell leben in Sderot 24.000 men -<br />
schen. „Etwa 5.000 haben die Stadt verlassen,<br />
aus Angst, weil ihre Kinder den<br />
Stress nicht mehr durchhalten oder weil<br />
ihre Geschäfte pleite gegangen sind.“ nie -<br />
mand könne eine genaue Zahl nennen.<br />
Einige wagen aus Patriotis mus nicht,<br />
ihre Adresse im Personal aus weis zu<br />
ändern. Andere leben in Sderot, ga ben<br />
aber eine Adresse außerhalb von Sde -<br />
rot an, damit ihre Kinder jenseits der<br />
Reichweite der Kassam-Raketen die<br />
Schule besuchen können.<br />
Vom Hügel aus wirkt Sderot wie<br />
eine idylle. Der Vollmond beleuchtet<br />
die kleinen Einfamilienhäuser mit<br />
den roten Ziegeldächern. Hier leben<br />
vor allem neueinwanderer. „Übrigens<br />
gibt es in Sderot auch Araber. Wie viele<br />
arabische Familien es sind, weiß ich<br />
nicht. Es ist auch einmal ein arabisches<br />
Haus von einer Rakete getroffen worden.“<br />
Ruti tut sich schwer, die „Spannung<br />
in der Luft“ zu erklären und warum<br />
sie glaubt, dass der mitte Juni von<br />
Ägypten zwischen israel und der Ha -<br />
mas vermittelte Waffenstillstand bald<br />
nicht mehr halten werde. „Meine Freun -<br />
de in Kerem Schalom, einem Kibbuz im<br />
Länderdreieck Ägypten, Gaza, Israel, wer -<br />
den heute viel öfter wegen Sicher heits alarm<br />
gestört <strong>als</strong> vor dem Waffenstillstand“, er -<br />
zählt Ruti. Der Sicherheitsbeauf trag te<br />
in Kerem Schalom, Jay, wird konkret:<br />
„Mit dem Fernglas sehen wir, wie die Ha -<br />
mas sich aufrüstet. Häufiger schicken sie<br />
Kinder und Unbewaffnete, teilweise um 3<br />
Uhr morgens, zum Grenz zaun. Sie prü fen<br />
unsere Aufmerksamkeit und proben die<br />
Fähigkeit, nach Israel einzudringen.<br />
Wenn wir sie schnappen, behaupten sie,<br />
Arbeit in Israel zu suchen oder zu einem<br />
Verwandten nach Hebron zu wollen.“ Für<br />
Jay ist klar, dass die Tahdija, die<br />
„zeitwei lige Beruhigung“, mit einem<br />
„gros sen Bum“ enden wird, und, dass<br />
der Krieg dann noch intensiver wei ter -<br />
geht.<br />
Über fieberhafte Vorbereitungen „für<br />
die nächste Runde“ im Gaza strei fen,<br />
berichtet auch Paula Han cocks von<br />
Cnn. mit verbundenen Augen wur -<br />
de sie zu einer Raketenfabrik gefahren.<br />
Trotz Kopftuch und „züchtiger<br />
Kleidung“ musste sie sich einen sackartigen<br />
Jalabija überziehen. in ei nem<br />
winzigen Raum kochten Kämp fer der<br />
„Volkswider stands komitees“ mit ei -<br />
nem defekten Gas kocher Spreng stoff<br />
aus Zucker und Kunstdünger. Die<br />
neuesten Raketen modelle könnten so -<br />
gar Ashdod und Kirjat Gat treffen, wo<br />
intel Chips für Computer herstellt. Die<br />
Widerstands komitees reklamieren für<br />
sich die Entführung des israelischen<br />
Soldaten Gilad Schalit vor zwei Jah ren.<br />
mit Ruti geht es zurück ins Stadt -<br />
zen trum. An jeder Ecke stehen Beton -<br />
klötze. „Wenn der Alarm „Rote Farbe“<br />
kommt, sollte man sich innerhalb von 15<br />
18 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • ISRAEL<br />
Volkswiderstandskomitees<br />
„Popular Resistance Committees“<br />
Das Volkswiderstandskommitee (PRC) wur de Ende 2000 von Jamal Abu<br />
Sam ha dana, einem vorherigen Mitglied der Fa tah und der Tanzim, gegründet.<br />
Die Bewe gung vereint Kämp fer aus den Organi sa tionen Fatah, Ha mas,<br />
Is la mi scher Dschihad und den al-Aqsa-Brigaden.<br />
Die palästinensische Terrororga nisa ti on dem Gaza-Streifen hat im<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong> seine neuen „Nasser-4“-Raketen präsentiert und sie auch<br />
Journalisten vorgestellt. Die Reichweite von „Nasser-4“ - mit einer<br />
Reich weite von ca. 25 km - geht erheblich über die üblichen Modelle hinaus<br />
und könnte selbst die israelische Küstenstadt Ashdod erreichen.<br />
Gleichzeitig protzten sie damit, dass die neue Rakete nur ein Tropfen<br />
im Meer der Überraschungen sei, die man für Israel bereithalte.<br />
Israels Regierungssprecher Mark Regev bezeichnete die Aufrüstung<br />
im Wind schat ten der Waffenruhe <strong>als</strong> schwere Ver let zung der Vereinba -<br />
run gen zwischen Ha mas und Israel von Seiten der Paläs ti nenser.<br />
Kassam-Museum im Hof der Polizeistation in Sderot<br />
Sekunden in so einen Betonklotz retten<br />
oder flach auf den Boden werfen.“ Der<br />
Student im Sapir College sei auf dem<br />
Parkplatz durch Splitter getötet worden,<br />
weil er sich nicht auf den Boden<br />
geworfen habe. Zum Pflichtbesuch in<br />
Sderot gehört ein Abstecher ins Kas -<br />
sam-museum in Hof der Polizeista ti -<br />
on. Vor zwei monaten waren da noch<br />
über zweitausend verbogene Rake ten -<br />
reste auf Blechregalen gestapelt. „Die<br />
Polizei hat aufgeräumt. Jetzt liegen hier<br />
nur noch ein paar Hundert. Die Polizei<br />
rechnet fest damit, dass sich dieses Lager<br />
bald wieder füllt.“ Wann das passiert,<br />
kann niemand vorhersehen. Aber Ruti<br />
hat eine böse Ahnung: „Vielleicht schon<br />
in zwei Wochen, wenn die Schul zeit wieder<br />
beginnt.“ Bis zum Waffen still stand<br />
explodierten Rake ten fast täglich ge -<br />
gen 7 Uhr morgens in der Stadt, wenn<br />
sich die Kinder schutzlos auf der<br />
Straße be finden, auf dem Weg zur<br />
Schu le. Es gab auch Voll treffer auf<br />
Schul ge bäu de und Kin der gärten. nur<br />
Alle Fotos: © U.W.Sahm<br />
durch ein Wun der gab es keine Toten.<br />
„Über die Ha roeh-Schule wurde ein halbrundes<br />
Schutz dach errichtet. Es nützt<br />
heute nichts mehr. Denn das Dach wurde<br />
gegen Ra ke ten mit ma xi mal drei Kilo<br />
Spreng stoff kon zipiert. Heute befördern<br />
die Ra keten mindestens sechs Kilo Spreng -<br />
stoff und noch dazu M-16 Ge w ehr ku geln.<br />
Nach dem Aufschlag und der Ex plo sion<br />
gehen die Gewehr ku geln los. Die Raketen<br />
Zum 40. Mal<br />
Waffenstillstandsbruch<br />
Verteidigungsminister Ehud Barak<br />
hat angeordnet die Gaza über gän -<br />
ge am 12.08. geschlossen zu halten,<br />
nach dem tags zuvor eine Kassam-<br />
Rakete auf Sderot abgefeuert wur -<br />
de.<br />
Dies war bereits der dritte Kas -<br />
sam-Beschuss in einer Woche und<br />
insgesamt der 40. Waffen still stands -<br />
bruch seit 19. Juni von Seiten des<br />
Gaza strei fens, obwohl die Hamas<br />
wie derholt be tont, die dafür Ver -<br />
ant wortlichen zu bestrafen. Unter<br />
den Störenfrieden des Abkom -<br />
mens stechen besonders der Paläs -<br />
ti nensische islamische Dschihad PiJ<br />
und die Vereinigung Fatah/Al-Aq sa<br />
märtyrer Brigaden im Gazastrei -<br />
fen hervor.<br />
Die Hamas wirft israel vor, den<br />
Waffenstillstand zu brechen, da die<br />
Wiedereröffnung der Rafah-Gren ze<br />
nach Ägypten Teil des Abkom mens<br />
sei. israel bleibt beständig und sagt,<br />
dass die Voraussetzung dafür die<br />
Freilassung des entführten Soldaten<br />
Gilad Shalit sei. Die Ha mas wie -<br />
derholte, dass Shalit erst dann freigelassen<br />
werde, wenn is ra el sei -<br />
nen Teil des Abkommens erfülle<br />
und be tonte auch, dass es an Ge -<br />
sprä chen über die Freilassung Sha -<br />
lits bis dahin nicht interessiert sei.<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 19
POLITIK • ISRAEL<br />
Israel<br />
hilft iranischer<br />
Kernindustrie<br />
USA verärgert über<br />
iranische Pistazien-<br />
Importe nach Israel<br />
Die USA werfen israel vor, „illegal“<br />
die iranische Pistazienkern in dustrie zu<br />
unterstützen. in dieser „verstörenden<br />
Angelegenheit“ hat der US-Botschaf -<br />
ter in Tel Aviv, Richard H. Jones, am 3.<br />
Juni einen scharfen Brief an den israelischen<br />
Finanzminister geschickt und<br />
per Kopie an minis ter präsident Ehud<br />
Olmert sowie an zwei weitere minis -<br />
ter. Wie die Zeitung ‘Yedioth Ahro -<br />
noth’ berichtete, erhielt die Affäre ei ne<br />
besondere Dring lich keit. Denn wäh -<br />
rend der Euro-Fuß ball spiele würden<br />
israelis besonders große mengen Pis -<br />
tazien verbrauchen und nicht ahnen,<br />
dass sie dabei einen Feind unterstützen.<br />
„Jede Pistazie bringt den Iran einen<br />
Schritt weiter in seinen Fähigkeiten in der<br />
Kernindustrie“, schreibt der be kannte<br />
politische Ana ly tiker Nachum Barnea,<br />
wobei er sich bewusst des Wortspiels<br />
mit „Kern“ bediente.<br />
Wie sich heraus stellt, haben die is ra -<br />
elis den weltweit höchsten Pro-Kopf-<br />
Ver brauch an Pis ta zienkernen und<br />
stellen deshalb mit geschätzten US$<br />
20 mio. (12,97 mio. Euro) im Jahr ei nen<br />
„wichtigen markt“ für Pistazien-Pro -<br />
duzenten dar. in seinem auszugswei se<br />
<strong>als</strong> Faksimile in einer israelischen Zei -<br />
tung veröffentlich ten Brief erklärt der<br />
amerikanische Botschafter, dass von<br />
den beiden größ ten Pistazien-Pro du -<br />
zen ten der Welt, USA und iran, allein<br />
die Amerikaner zollfreien Zu gang zum<br />
israelischen markt hätten. mit dem<br />
iran hingegen, so der Bot schaf ter, ge be<br />
es ein israelisches Ver bot des Han dels<br />
mit „Fein deslän dern“, ge gen das hier<br />
verstoßen werde.<br />
„Beweismittel legen nahe, dass die<br />
meis ten in Israel verbrauchten Pista zien -<br />
kerne aus dem Iran stammen und illegal<br />
importiert werden.“ Trotz der engen po -<br />
litischen und wirtschaftlichen Bezie -<br />
hun gen zwischen israel und den USA<br />
stelle sich heraus, dass amerikanische<br />
Pistazienproduzenten nur fünf Pro zent<br />
des israelischen marktes beliefern.<br />
Die Angelegenheit sei schon mehrfach<br />
bei Gesprächen mit israel aufgeworfen<br />
worden. Doch israel habe ge -<br />
genüber den Amerikanern behauptet,<br />
dass 83% der von israel importierten<br />
Pistazien aus der Türkei stammen.<br />
Das könne nicht stimmen, be hauptet<br />
der Botschafter aufgrund eingehender<br />
amerikanischer Prüfun gen. „Ein<br />
Löwenanteil, wenn nicht alles, stammt<br />
aus dem Iran“, behauptet Jones und be -<br />
klagt, dass so dem iran harte Devisen<br />
aus israel zugute kämen, auf Kosten<br />
der amerikanischen Pista zien kern -<br />
industrie und im deutlichen Wi der -<br />
spruch zu israelischen Gesetzen wie<br />
der Außenpolitik. in der offiziellen<br />
amerikanischen note wird Fi nanz mi -<br />
nister Roni Bar-On aufgefordert die ei -<br />
genen Gesetze zu befolgen. Zu sätz lich<br />
bieten die Amerikaner Hilfe an. Sie<br />
wollen israelische Zöllner schu len,<br />
zwischen iranischen und amerika ni -<br />
schen Pistazien zu unterscheiden.<br />
nachfragen bei offiziellen israelischen<br />
Sprechern, ob der iran tatsächlich<br />
und offiziell von israel zum<br />
„Feindes land“ erklärt worden sei, mit<br />
dem kein Han del getrieben werden<br />
dürfe, brachte keine konkreten Er geb -<br />
nisse. Der Spre cher des Außen mi nis -<br />
te ri ums, Ari eh Me kel, sagte auf An -<br />
frage: „Selbst ver ständ lich ist der Iran ein<br />
Feind, wenn der uns vernichten will.“<br />
Doch von ei nem formalen Beschluss<br />
und einem entspre chenden Handels -<br />
ver bot wuss te er nichts.<br />
Auch die Sprecherin des Finanz mi -<br />
nisteriums konnte nicht bestätigen,<br />
ob Handel mit dem iran tatsächlich<br />
verboten sei, zumal israel stillschweigend<br />
und teilweise heimlich einen<br />
blühenden Handel mit feindseligen<br />
arabischen Staaten, darunter auch Sy -<br />
rien, betreibe. Dem amerikanischen<br />
Bot schafter scheint es deshalb weniger<br />
um illegale israelische Unterstüt zung<br />
der iranischen Kernindustrie zu ge -<br />
hen, <strong>als</strong> vielmehr um den Versuch,<br />
amerikanischen Pistazienherstellern<br />
zu besseren Geschäften zu verhelfen.<br />
Ulrich W. Sahm/APA<br />
Central Park für Jerusalem<br />
Die Behörde für Stadtentwicklung in<br />
Jerusalem (JDA) gestaltet den „Park<br />
der Unabhängigkeit“ (Gan Ha’azmauth)<br />
nach dem Vorbild des new Yorker<br />
Central Park um. neben verbesserten<br />
Beleuchtungsanlagen werden neue<br />
Cafés und Verkaufsstände sowie eine<br />
Bühne für Kulturveranstaltungen<br />
gebaut, der muslimische Friedhof res -<br />
tauriert und ein Wasserpark errichtet.<br />
Mit ‘Korean Air’ nach Tel Aviv<br />
mehr <strong>als</strong> 40.000 Koreaner besuchten<br />
israel vergangenes Jahr. Jetzt springt<br />
Korean Air auf den Trend und fliegt<br />
<strong>als</strong> erste asiatische Airline is rael an.<br />
Drei Flüge von Seoul nach Tel Aviv<br />
starten wöchentlich ab Ok to ber.<br />
Israels OECD-Mitgliedschaft rückt näher<br />
israel hat die erste Stufe für den Bei tritt zur Organisation für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Ent wicklung (OECD) erfolgreich hin ter sich ge -<br />
bracht. in diesem Stadium hat sich das Land die recht lichen Grundlagen für<br />
die mit gliedschaft in Bezug auf Politik, Ge setzgebung und Umsetzung zu Ei -<br />
gen gemacht.<br />
Die OECD hatte israel im mai 2007 dazu eingeladen, den Bei tritts prozess<br />
zu starten. Es ist beabsichtigt, die Standards der Organisa ti on bis Ende 2009<br />
vollständig zu erfüllen. Finanzminister Ronnie Bar-On teilte mit, dass die<br />
Tat sa che, dass israel die erste Stufe während einer Periode wirtschaftlicher<br />
Un si cherheit hinter sich gebracht hat, seine wirtschaftlichen Vorteile unterstreiche.<br />
israel sei bereits seit Jahren den höchsten internationalen Stan -<br />
dards verpflichtet.<br />
Haaretz<br />
Weitere Informationen stellt das israelische Finanzministerium unter dem folgenden Link<br />
zur Verfügung: http://www.oecd.gov.il/<br />
20 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • ISRAEL<br />
Eklat um<br />
Obama-Gebet<br />
Ulrich W. Sahm<br />
Als „Lausbubenstreich“ bezeichnete<br />
ein frommer Talmudschüler die Ent -<br />
fer nung eines privaten Gebets des Se -<br />
na tors Brack Obama aus einer Ritze in<br />
der Jerusalemer Klagemauer. Un -<br />
kennt lich gemacht gestand der reuige<br />
Schüler im 2. israelischen Fernseh ka -<br />
nal, den Zettel der Zeitung ‘maariv’<br />
übergeben zu haben, die ihn mitsamt<br />
Abbildung und vollem Text veröffent -<br />
lichte. Die Konkurrenzzeitung ‘Ye di -<br />
ot Achronot’ verzichtete aus „Pietät“<br />
darauf, den Brief zu veröffentlichen.<br />
Obamas Gebet, auf einem Briefbo -<br />
gen des King David Hotels handschriftlich<br />
geschrieben, lautete: „Herr,<br />
schütze mich und meine Familie, vergebe<br />
mir alle Sünden und behüte mich vor<br />
Stolz und Verzweiflung, lass mich ge recht<br />
und fair sein und mache mich zu einem<br />
Werk zeug Deines Willens."<br />
Die Entwendung und Veröffent li -<br />
chung des „privaten Kontakts mit<br />
dem Schöpfer“ wurde vom<br />
verantwort lichen Rabbiner der<br />
Klagemauer, Shmuel Rabinowitz, <strong>als</strong><br />
„Sakrileg“ verurteilt. Eine israelische<br />
Zeitung be hauptete gar, dass Obama<br />
eine Kopie seines Briefes im Hotel<br />
hinterlassen habe, damit er veröffentlicht<br />
werde. Obamas Delegation habe<br />
auf den Frevel nicht reagiert. in der<br />
internationalen Presse machte<br />
Obamas Brief an den lieben Gott große<br />
Schlag zei len.<br />
Während der Originalbrief Obamas<br />
inzwischen an die verwantwortliche<br />
„Kla gemauer Erbstiftung“ zurückgegeben<br />
worden sei, damit er ganz tief<br />
in eine der Ritzen zwischen den herodianischen<br />
Steinquadern gesteckt<br />
werde, machen sich die Kla ge mau er -<br />
behörden weiterhin Sorgen um den<br />
Ver trauensbruch. Das hat auch finanzielle<br />
Gründe, denn verschiedene Fir -<br />
men bieten an, per Email oder Fax ge -<br />
schickte „Briefe an Gott“ entgegen zu<br />
nehmen und in eine Ritze zu stecken.<br />
Eine britische Firma bietet diesen<br />
Post botendienst zum göttlichen Post -<br />
fach für „nur“ 9,99 US-Dollar pro<br />
Zettel an, bezahlbar mit Kreditkarte<br />
oder Paypal.<br />
nach Angaben von Rabbi Rabi no -<br />
witz, dienen die Zettel einem intimen<br />
Dialog des Gläubigen mit seinem<br />
Schöpfer und dürften nicht von anderen<br />
menschen angeschaut werden.<br />
Zweimal im Jahr vor jüdischen Fei er -<br />
tagen werden die Ritzen geleert und<br />
die Zettel zu einem bewachten Auf -<br />
be wahrungsort gebracht.<br />
Zettel mit persönlichen Fürbitten<br />
an Gott in die Ritzen<br />
Längerer<br />
der Klagemauer<br />
Reservedienst<br />
Der Knesset-Aus schuss<br />
für Außen po litik und<br />
Sicherheit entschied,<br />
dass das Höchstalter<br />
für den Reser ve dienst<br />
in der israelischen Ar -<br />
mee bei einigen Be rufs -<br />
zweigen heraufgesetzt<br />
wird.<br />
Laut Gesetz können Soldaten bis<br />
zum Alter von 40 Jahren eingezogen<br />
werden, Offiziere bis 45. Auf Antrag<br />
von Verteidigungsminister Ehud Ba rak<br />
wurde dies nun ausgeweitet. Be trof -<br />
fen sind Berufs grup pen, an de nen in<br />
der Armee mangel herrscht oder die<br />
in besonderer Weise Fach wis sen und<br />
Erfahrung vorweisen. Dies be zieht<br />
sich auf alle me di zinischen Spar ten,<br />
mi li tärrabbiner, Fahrer und Techni ker,<br />
berichtet die Tageszeitung ‘ma’ ariv’.<br />
Für die kommenden drei Jahre soll<br />
das Höchstalter der Offizie re bei 49<br />
Jah ren liegen. nach dem Reserve -<br />
dienst gesetz vom April <strong>2008</strong> sollen<br />
einfache Soldaten in dieser Zeit bis zu<br />
zu stecken, sei eine „alte jüdische Sit te“.<br />
Gleichwohl wurde die Klage mau er<br />
erst ab 1520 Bestandteil jüdischer<br />
Gläu bigkeit. Vorher beteten Juden an<br />
anderen Stellen ihrem eigentlichen<br />
Heiligtum zugewandt, dem von den<br />
Römern im Jahr 70 zerstörten Tempel<br />
auf dem Tempelberg.<br />
Obama hatte am frühen morgen die<br />
Klagemauer aufgesucht, unmittelbar<br />
vor seinem Abflug in Richtung Ber lin.<br />
54 Tagen dienen. Für Soldaten mit Füh -<br />
rungsaufgaben liegt die Obergrenze<br />
bei 70 Tagen, für Offiziere bei 84 Ta gen.<br />
Ein Reservist soll höchstens ein einziges<br />
mal in diesen drei Jahren für<br />
einen tatsächlichen militärischen Ein -<br />
satz rekrutiert werden. Sonst stehen<br />
Übungen und ähnliches auf dem Pro -<br />
gramm. Eine Ausnahme ist möglich,<br />
wenn die Sicherheitslage einen Ein -<br />
satz der Reservedienstler erfordert.<br />
Dann kann diese Regel aufgehoben<br />
werden, wenn der Ausschuss einen<br />
ent sprechenden Entschluss fasst. in ei -<br />
nem akuten notfall können Regie rung<br />
und Verteidigungsminister über dies<br />
weitere Reservisten einziehen inn<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 21
POLITIK • ISRAEL<br />
Ein vermeintliches Friedensan ge -<br />
bot des israelischen Regierungs -<br />
chefs Ehud Olmert an die Palästi nen ser<br />
hat in eu ro päischen medien schon zu<br />
Hoffnun gen und Analysen über Sinn<br />
oder Un sinn der initiative geführt.<br />
Doch im Augenblick gibt es gar keinen<br />
Frie dens plan, sondern nur einen Zei -<br />
tungs artikel von Aluf Benn in ‘Haa-<br />
retz’.<br />
Olmerts vermeintliches<br />
Friedensangebot – ein Ladenhüter<br />
Analysen erübrigen sich<br />
September 2002 - Israelische<br />
Caterpillar zerstören die Reste<br />
von Yassir Arafat's Mukata.<br />
Dem Autor wurde angeblich ein Pa -<br />
pier der von israels Außenmi nis te rin<br />
Tzipi Livni mit dem ehemaligen pa -<br />
läs tinensischen minis ter präsi den ten<br />
Ahmed Korei streng geheim geführten<br />
Verhandlungen zugespielt. nicht aus -<br />
zuschließen ist, dass dieses Papier bei<br />
einem der regelmäßigen Treffen von Ol -<br />
mert mit dem palästinensischen Prä si -<br />
denten mahmoud Abbas ausgetauscht<br />
oder mitgeschrieben worden ist.<br />
Eigentlich erübrigen sich jegliche<br />
Ana lysen, nachdem Abbas den Vor -<br />
schlag <strong>als</strong> „gänzlich inakzeptabel“<br />
be zeichnet hat. Chefverhandler Saeb<br />
Erekat ging noch einen Schritt weiter<br />
und bezeichnete den von ‘Haaretz’<br />
veröffentlichen Geheimplan <strong>als</strong> „Hau -<br />
fen von Halbwahrheiten, zusammengebastelt<br />
aus Bruchstücken der Verhand lun gen“.<br />
neben der völligen Ablehnung des<br />
ver meintlichen Angebots und nach in -<br />
fra ge stellung des Wahrheits ge halts<br />
Ständiges<br />
Wachstum<br />
illegaler<br />
Einwohner<br />
israels migrations- und<br />
Einwohner be hör de mel -<br />
dete, dass in israel<br />
250.000 illegale Ein woh -<br />
ner leben und deren<br />
Zahl mo nat lich um 2.000<br />
wächst. in der Statistik<br />
einbegriffen sind 90.000<br />
menschen, die in israel<br />
<strong>als</strong> Touristen eingereist<br />
der Angaben in dem ‘Ha a retz’-Arti kel<br />
wir ken auch die ver öf fent lichten in -<br />
halte nicht sehr neu.<br />
Aus alt mach neu<br />
Die idee, dass israel den Paläs ti nen sern<br />
93 Prozent der Fläche des besetzten<br />
Westjordanlandes überlässt und den<br />
Rest mit den Großsiedlungen an nek -<br />
tiert, ist eine uralte idee. Sie war schon<br />
in einem kurz gefassten Frie dens plan<br />
In Neve Sha'anan, einem Viertel beim Bus-Bahn hof in Tel Aviv,<br />
befindet sich das Rotlicht-Milieu und der Treffpunkt für Arbeits -<br />
suchende ohne Arbeitserlaubnis.<br />
sind, 120.000 Arbei ter ohne Arbeitserlaubnis und 10.000 illegale Grenz über -<br />
gänger. Über die fehlenden 30.000 Leute machte die Behörde keine Anga ben.<br />
Jedes Jahr überziehen 5.000 Tou risten ihre Visa, hieß es. Jeden monat<br />
infiltrieren 400 bis 500 illegale Grenz übergänger israels südliche Grenze.<br />
Wei ter hin hieß es in dem Bericht, dass eine Sonderabteilung die Ehen zwischen<br />
is raelis und Personen, die ei nen legalen Status in israel beantragt ha -<br />
ben, prüft. Von 100 geprüften Fällen hätten sich 70 <strong>als</strong> Scheinehen herausgestellt.<br />
© BP<br />
© Gili Yaari / FLASH 90 s<br />
von US-Präsident Bill Clin ton enthalten,<br />
der am 23. Dezember 2000 veröffentlicht<br />
worden ist. israel ak zep tierte<br />
grundsätzlich das Papier, wäh rend<br />
Prä sident Yasser Arafat es zu nächst ab -<br />
lehnte und dann doch im April 2002<br />
akzeptierte, <strong>als</strong> die israelis sein Haupt -<br />
quartier, die mukata in Ra mal lah, ge -<br />
stürmt und halb zerstört hatten. Auch<br />
die idee, dass israel ein entsprechend<br />
großes Gebiet bei Gaza den Palästi nen -<br />
sern im Tausch überlas se, ist nicht neu.<br />
US-Präsident George W. Bush hatte<br />
dem ehemaligen israeli schen Premier<br />
Ariel Sharon schriftlich zugestanden,<br />
dass die großen Sied lungs blöcke auf<br />
be setztem Gebiet bei israel bleiben<br />
dürften.<br />
Weiter berichtete ‘Haaretz’ über ein<br />
israelisches Zugeständnis einer Land -<br />
verbindung zwischen dem Ga za-Strei -<br />
fen und dem Westjordanland. Eine<br />
solche „sichere Passage“ wurde schon<br />
im Rahmen der Oslo-Verträge zwischen<br />
Arafat und Premier Yitzhak<br />
Rabin ausgehandelt. Die dam<strong>als</strong> aufgestellten<br />
Straßenschilder stehen heu te<br />
noch. Die drei alternativen Pas sa gen<br />
wurden jedoch nie verwirklicht, da die<br />
Palästinenser „aus Gründen der Ehre“<br />
verlangten, dass palästinensische Po li -<br />
zisten israelisches Territo rium mitsamt<br />
ihren Dienstwaffen ungeprüft passieren<br />
dürften. nachdem zwei palästinensische<br />
Polizisten mit ihren Dienst -<br />
waf fen tödliche Anschläge in Je rusa -<br />
lem ausgeführt hatten, erübrigte sich<br />
die weitere Umsetzung der „si che ren<br />
Passage“.<br />
22 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • ISRAEL<br />
15 Jahre Verhandlungen -<br />
Unausgewogene Bereitschaft<br />
Auch die anderen vermeintlich „neu-<br />
en“ Vorschläge erweisen sich <strong>als</strong> La -<br />
den hü ter. Sie wurden mehrm<strong>als</strong> aus -<br />
dis ku tiert oder scheiterten bei der Ver -<br />
wirk lichung. israelis und Palästi nen ser<br />
verhandeln nun schon seit 15 Jahren.<br />
Die zwingenden Gesetze der Geo gra -<br />
fie lassen nur wenig Spiel raum. Die<br />
Wirklichkeit schafft ständig neue Hin -<br />
dernisse: der Aufstand der zwei ten<br />
intifada, der Hamas-Putsch in Gaza<br />
und die ständige Ausweitung der is -<br />
ra elischen Siedlungen im West jor -<br />
dan land. Die Kernpositionen in entscheidenden<br />
Fragen wie „Rück kehr<br />
der Flüchtlinge“ oder Jerusalem bleiben<br />
unverändert. Deshalb sind wohl<br />
auch in Zukunft keine große Überraschungen<br />
zu erwarten.<br />
Dennoch wird im mer wieder nur<br />
is ra el wegen mangelnden nach ge bens<br />
kritisiert, ob gleich ein palästinensischer<br />
Friedensplan noch nie veröffent -<br />
licht worden ist. Bekannt sind nur die<br />
palästinensischen maximalfor de run -<br />
gen, zumal die Palästinenser behaupten,<br />
ihre „großen Konzessionen“<br />
doch längst gemacht zu haben, ind em<br />
sie den Staat israel „auf ihrem Land“<br />
akzeptiert hätten. So bleibt es bei den<br />
üblichen Forderungen nach einem to -<br />
talen israelischen Rückzug hinter die<br />
sogenannte „Grenze von 1967“ (die<br />
frei lich nur eine israelisch-jordanische<br />
Waffenstillstandslinie war), ei nem<br />
Ab bau aller Siedlungen, der Über ga -<br />
be von ganz Ostjerusalem und einer<br />
Rück kehr aller Flüchtlinge nach Kernisrael<br />
und nicht etwa in den künftigen<br />
palästinensischen Staat. Wäh rend ei -<br />
ne israelische „Friedens be reit schaft“<br />
in den Verhandlungen am Aus maß der<br />
Konzessionen an die Paläs tinenser<br />
ge messen wird, gibt es nach Ansicht<br />
ihrer Kritiker keine vergleich bare<br />
mess latte für die „Frie dens b e reit -<br />
schaft“ der palästinensischen Seite.<br />
Ulrich W. Sahm<br />
Olmert geht und bleibt<br />
Kommentar von Ulrich W. Sahm<br />
Die Opposition hat die Aufgabe, den amtierenden Ministerpräsidenten zu stürzen. So<br />
sieht man es in Israel. Das ist ein krankes Demokratiever ständ nis, zumal in Israel alle<br />
Mittel recht sind, den Sturz des Premiers herbeizuführen. Da reicht schon eine Be -<br />
schwer de bei der Polizei oder auch nur ein Zeitungsartikel. Die goldene Regel des sub<br />
judice, <strong>als</strong>o während Er mittlungen oder Verfahren nichts zu veröffentlichen, ist in Is -<br />
ra el längst abgeschafft. Zeitungen drucken Wort protokolle von Verhören ab und das<br />
Fernsehen bringt Mitschnitte der Po li zeikameras. So wurde Olmert öffentlich vorverurteilt,<br />
noch ehe die Polizei genügend Belastungsmaterial gesammelt hat, um eine An -<br />
kla ge gegen ihn zu formulieren. Ähnlich erging es auch schon Olmerts Vorgängern im<br />
Amt.<br />
Das Aufatmen über Olmert Versprechen, nach der Wahl eines neuen Vorsitzenden<br />
der Kadima-Partei und dessen Ernennung zum Regierungschef sein Amt aufzugeben,<br />
währte nur kurz. Denn ganz schnell stellte sich heraus, dass Olmert möglicherweise<br />
noch viele Monate, vielleicht gar bis Februar oder März im Amt bleiben könnte, <strong>als</strong> un -<br />
stürzbarer „Übergangspremier“, der nicht einmal dem Parlament Rechenschaft schuldig<br />
wäre.<br />
In einer Region, wo jederzeit Krieg aus -<br />
brechen kann, wo ein Mili tär schlag ge gen<br />
Iran debattiert wird, wo Frie dens ge sprä -<br />
che geführt werden, deren Kon se quen zen<br />
oder voreilige Konzessionen das Schick sal<br />
von Millionen Menschen be siegeln könn -<br />
ten, ist eine derartige In sta bilität be son -<br />
ders an der Spitze Is raels ein extrem<br />
gefährlicher Zustand.<br />
Die Israelis sollten ihre Minis ter prä -<br />
sidenten wegen ihrer Politik beurteilen<br />
und kritisieren. Korruptionsverdacht, so schlimm der auch sein mag, sollte erst öffentlich<br />
debattiert werden, sowie da tatsächlich etwas nachgewiesen wurde. Es ist absurd,<br />
dass Olmert politisch das Debakel des <strong>als</strong> Niederlage empfundenen Libanonkriegs über -<br />
stehen konnte, jetzt aber wegen nicht nachgewiesener Korruption den Hut nehmen<br />
muss und dennoch mindestens ein halbes Jahr lang im Amt bleiben könnte.<br />
Israel ist nicht irgend ein Land. Die ins politische System Israels eingebaute Unver -<br />
ant wortlichkeit kann verheerende Auswirkungen auf die ganze Region und damit der<br />
Welt haben.<br />
Neue Behörde für Einwanderung und Grenzkontrollen<br />
israel hat eine neue Behörde für die<br />
Kontrolle seiner Grenzen einrichtet.<br />
in der „Nationalen Einwanderungs be -<br />
hörde“ würden die Kontrollen der<br />
Grenzüber tritte und der Einwande -<br />
rung zusammengefasst, teilte ein Spre -<br />
cher des innenminis te riums, Hanan<br />
Schlain, in Jerusalem mit. Ziel der<br />
Schaffung der neuen Be hör de sei es,<br />
die „nationale Sicherheit“ zu erhöhen.<br />
Die Behörde untersteht den Angaben<br />
zufolge innenminister Meir Sheetrit<br />
und ist in 16 verschiedene Unter or -<br />
ganisationen gegliedert.<br />
Sheetrit habe „keinen Zweifel, dass so<br />
besser kontrolliert wird, wer nach Israel<br />
ein- und ausreist“. Die Einwande rungs -<br />
behörde umfasse mehr <strong>als</strong> tausend<br />
mit ar bei ter: Polizisten, Grenzbeamte<br />
und Beamte des innenministeriums.<br />
Zudem verfüge das Amt über ein<br />
zen trales Computersystem. in israel<br />
kommen zunehmend Flüchtlinge aus<br />
Afrika an, die mit Hilfe von Schlep pern<br />
über den Sinai ins Land gelangen.<br />
Dutzende Flüchtlinge waren in den<br />
vergangenen monaten von der ägypti -<br />
schen Polizei festgenommen worden.<br />
Einige wurden bei ihrem Versuch,<br />
über die Grenze zu gelangen, getötet.<br />
Lediglich 600 Flüchtlinge aus Darfur<br />
genießen in israel Asyl. APA/AFP<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 23
Die wahre Nakba<br />
Von Shlomo Avineri<br />
POLITIK • ISRAEL<br />
Al-Arroub Flüchtlingslage in der Nähe von Hebron, 15. Mai <strong>2008</strong> – Die Palästinenser begehen<br />
„Nakba“, in ihren Augen den „Tag der Katastrophe“.<br />
Wenn die Palästinenser am 15. mai<br />
an das erinnerten, was sie die „nak -<br />
ba“ (Katastrophe) nennen, täten sie<br />
gut daran, in Betracht zu ziehen, dass<br />
ihr wahres Versagen nicht im Jahr<br />
1948 stattfand: Es fand bereits früher<br />
statt. Und auch heute noch findet es<br />
statt. Die wahre nakba geschieht je -<br />
den Tag und zu jeder Stunde vor<br />
unseren - und ihren - Augen. Und der<br />
gewalttätige Putsch der Hamas im<br />
Gaza-Strei fen ist nur das jüngste Bei -<br />
spiel dafür.<br />
Während sich Palästinenser - nicht<br />
ganz zu Unrecht - <strong>als</strong> die Opfer der<br />
zio nistischen Bewegung und deren<br />
er folgreicher Gründung eines jüdischen<br />
Staates im Land israel sehen,<br />
sollten die Gründe für ihr historisches<br />
Versagen anderswo gesucht werden,<br />
nämlich in der Unfähigkeit der paläs -<br />
tinensischen nationalbewegung, ein<br />
politisches und soziales institutionelles<br />
Rahmenwerk zu schaffen, das die<br />
notwendige Basis für jeden Aufbau<br />
einer nation ist. Die Geschichte na -<br />
tionaler Bewegungen lehrt uns, dass<br />
nationales Bewusstsein - so stark es<br />
auch sein mag - nicht ausreicht: Be we -<br />
gungen, die kein institutionelles Sys -<br />
tem schaffen konnten, das<br />
lebenswich tig für ihren Erfolg ist,<br />
sind gescheitert.<br />
Es wäre ein Fehler, die Stärke der<br />
pa lästinensischen nationalbewegung<br />
zu unterschätzen, wie es nicht wenige<br />
mitglieder des zionistischen Lagers<br />
in der Vergangenheit taten. Und auch<br />
heute noch machen viele diesen Feh -<br />
ler. Es war Chaim Arlozoroff - dam<strong>als</strong><br />
ein junger mann Anfang 20 -, der be -<br />
reits 1921 erkannte, dass die zionistische<br />
Bewegung nicht etwa einer<br />
Reihe gewalttätiger Ereignisse gegenüberstand,<br />
sondern einer nationalbewe<br />
gung.<br />
Die palästinensische nationalbe we -<br />
gung wurde jedoch von vielen Feh lern<br />
begleitet, die in der Unfähigkeit wurzelten,<br />
ein Rahmenwerk aus Konsens<br />
und Solidarität zu bilden. Diese Feh -<br />
ler schwächten und zersplitterten die<br />
Bewegung. Und es scheint, dass dies<br />
ein Problem ist, das die Palästinenser<br />
bis heute nicht lösen konnten.<br />
Die erste und schärfste manifestie -<br />
rung dieses Fehlers ereignete sich in<br />
den Jahren 1936 bis 1939 während des<br />
palästinensischen Aufstandes gegen<br />
die britische Herrschaft. Diese Re bel -<br />
lion scheiterte nicht nur, weil sie brutal<br />
von den britischen Kolonialbehör<br />
den unterdrückt wurde oder weil<br />
es den Truppen der Haganah (der vor -<br />
staatlichen Untergrundarmee) ge lang,<br />
den Yishuv (die jüdische Ge mein -<br />
schaft in Palästina) zu verteidigen.<br />
Son dern sie versagte, weil die Pa läs -<br />
tinenser nicht fähig waren, insti tu ti o -<br />
nen zu errichten, die von allen Teilen<br />
der arabischen Gesellschaft im Land<br />
akzeptiert wurden. Und <strong>als</strong> interne<br />
Streitigkeiten wegen der natur des<br />
Kampfes aufkamen, entwickelte sich<br />
aus der Rebellion ein inner-palästinen -<br />
sischer Bürgerkrieg. Es starben mehr<br />
Palästinenser durch rivalisierende be -<br />
waffnete Palästinensermilizen <strong>als</strong><br />
durch Kämpfe mit der britischen Ar -<br />
mee oder der Haganah. innerhalb der<br />
palästinensischen Gesellschaft gibt es<br />
die Tendenz, die Erinnerung an diesen<br />
gewaltsamen Kampf, der zwischen<br />
den milizen der Husseinis und denjenigen<br />
der nashashibis stattfand, zu<br />
unterdrücken. Doch die Unter drüc -<br />
kung dieser Erinnerung verstärkt nur<br />
das Versagen und macht es schwerer,<br />
aus den Fehlern zu lernen.<br />
Ein ähnlicher Fehler ereignete sich<br />
im Jahr 1948: Obwohl die mehrheit der<br />
palästinensischen Gesellschaft gegen<br />
den Teilungsplan war, wie er am 29.<br />
no vember 1947 von den Vereinten<br />
nationen verabschiedet worden war,<br />
erwiesen sich die Palästinenser <strong>als</strong> un -<br />
fähig, einen vereinten militärischen<br />
und politischen Apparat für die Kon -<br />
frontation mit dem Yishuv zu schaffen.<br />
Das Arabische Höhere Komitee<br />
war niem<strong>als</strong> mehr <strong>als</strong> eine Gruppe<br />
traditioneller Würdenträger. Und es<br />
beaufsichtigte kein effektives System,<br />
das mit dem „Staat im Werden“ des<br />
Yishuv vergleichbar gewesen wäre.<br />
Der gewalttätige palästinensische Wi -<br />
derstand gegen den Teilungsplan be -<br />
24 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
POLITIK • ISRAEL<br />
stand aus Angriffen durch bewaffnete<br />
milizen in der Gegend von Je ru salem,<br />
in Galiläa und in Yafo, mi lizen, die<br />
oh ne zentrale Koordination und Füh -<br />
rung operierten.<br />
Die palästinensische niederlage<br />
war zum großen Teil das Ergebnis ei -<br />
ner Unfähigkeit, ein zentrales mili tär -<br />
kommando einzurichten. Die Führer<br />
der milizen - Abdel Qader al-Husseini,<br />
Fawzi al-Qawuqji, Hassan Salameh -<br />
gehorchten niem<strong>als</strong> irgendeiner zentralen<br />
Autorität. Und wenn der Yi shuv<br />
die milizen „Banden“ nannte, so hat te<br />
dieser Begriff natürlich einen propagandistischen<br />
Wert, doch er enthielt<br />
auch eine menge Wahrheit.<br />
Jeder, der mit der Geschichte des Yi -<br />
shuv vertraut ist, mag nun – zu Recht<br />
- sagen, dass die Juden ihre eigenen<br />
Splittergruppen hatten, die sich weigerten,<br />
die Autorität der mehrheit, die<br />
sich selbst „der organisierte Yishuv“<br />
nannte, anzuerkennen. Dies ist natürlich<br />
wahr. Doch in kritischen mo men -<br />
ten war es David Ben-Gurion, der<br />
schicksalhafte Entscheidungen traf<br />
und somit die Einheit des Kom man dos<br />
und der politischen Legitimität si -<br />
cherte. Der Altalena-Fall (eine gewalttätige<br />
Konfrontation im Jahr 1948<br />
zwischen den neu gegründeten israe -<br />
li schen Verteidigungsstreit kräften<br />
und der irgun, einer der vorstaatli chen<br />
milizen) war der Wendepunkt in dieser<br />
Angelegenheit. Und somit garantierte<br />
der flügge gewordene Staat, was<br />
der deutsche Soziologe max Weber<br />
<strong>als</strong> Wesensmerkmal der staatlichen<br />
Sou veränität definierte: die Existenz<br />
eines monopols, das auf der legitimen<br />
Anwendung von Gewalt basiert. in der<br />
arabischen Gemeinschaft im Palästi na<br />
von 1948 geschah dies nicht.<br />
Die Konsequenzen waren schnell<br />
zu sehen: Es gab nicht nur Versagen im<br />
Kampf mit dem Yishuv, sondern auch<br />
eine Unfähigkeit, aus der niederlage<br />
wenigstens einen Rest an nationaler<br />
Autorität herauszuziehen. Hätte die<br />
arabische Gemeinschaft eine Führung<br />
mit deutlicher Legitimität gehabt,<br />
wäre sie wahrscheinlich fähig gewesen,<br />
eine palästinensische nationale<br />
Einheit in den Teilen Palästinas zu<br />
schaf fen, die unter arabischer Kon trol -<br />
le geblieben waren. Doch selbst <strong>als</strong> man<br />
eine „Ganz-Palästina-Regie rung“ in<br />
Gaza mit dem mufti <strong>als</strong> Oberhaupt<br />
gründete, war dies nur eine ägyptische<br />
marionettenregierung, die niem<strong>als</strong><br />
ihre Autorität im Westjordanland<br />
durchsetzen konnte, das dam<strong>als</strong> un -<br />
ter jordanischer Kontrolle war. Und<br />
somit verschwand diese Regierung<br />
bald. Die palästinensische Geschichte<br />
wäre wohl anders verlaufen, wenn<br />
die Palästinenser-institutionen und ein<br />
Organisationssystem gehabt hätten,<br />
die fähig gewesen wären, die ägyptische<br />
Besatzung des Gaza-Streifens und<br />
die jordanische Annexion des West jor -<br />
danlandes zu konfrontieren und die<br />
versucht hätten, selbst aus den Trüm -<br />
mern der niederlage von 1948 einen<br />
palästinensischen Staat aufzubauen.<br />
Wenn sie dieser Reihe von Fehlern<br />
ge genüberstehen, tendieren die Pa läs -<br />
tinenser dahin, sie ihrer eigenen<br />
Schwäche und den schwierigen Be -<br />
din gungen, die nach der militärischen<br />
niederlage durch israel vorherrschten,<br />
zuzuschreiben. Gewissermaßen mag<br />
dies wahr sein, doch es ist irrelevant.<br />
nationale Bewegungen werden nicht<br />
unter vorteilhaften Bedingungen ge -<br />
gründet. Sie stehen immer einem<br />
Feind, fremden Herrschern, einer Be -<br />
satzung gegenüber. Wir müssen nicht<br />
sehr weit gehen, um das palästinensische<br />
Scheitern mit dem Erfolg der al -<br />
ge rischen nationalbewegung zu vergleichen.<br />
Letztere trat einem Besat -<br />
zung s regime gegenüber, das weitaus<br />
stärker und grausamer war <strong>als</strong> die zionistische<br />
Bewegung. Und doch ge lang<br />
es ihr, ein organisatorisches, diplo ma -<br />
tisches und militärisches System zu<br />
schaffen, das nicht nur erfolgreich die<br />
Franzosen konfrontierte, sondern auch<br />
fähig war – allerdings nicht ohne Pro -<br />
bleme –, einen unabhängigen algerischen<br />
Staat zu gründen.<br />
Der De-facto-Bruch der palästinensischen<br />
Autonomiebehörde, der dem<br />
Hamas-Putsch im Gaza-Streifen folgte,<br />
ist die Ausweitung des palästinensischen<br />
Versagens. Doch selbst jetzt nei -<br />
gen die Palästinenser dazu, israel, den<br />
Amerikanern, der internationalen<br />
Ge meinschaft die Schuld zu geben.<br />
Wahr ist jedoch, dass die wesentliche<br />
Verantwortung ultimativ bei den Pa -<br />
läs tinensern selbst liegt. Wahlen wurden<br />
abgehalten. Die Hamas gewann,<br />
die Fatah verlor – und beide Gruppen<br />
waren unfähig, einen Rahmen aufzurichten,<br />
dessen Legitimität von beiden<br />
Seiten akzeptiert worden wäre. Fatah<br />
und Hamas sind schließlich nicht nur<br />
zwei Parteien, die innerhalb eines de -<br />
mo kratischen Konsenses operieren.<br />
Sie sind auch bewaffnete milizen, und<br />
ihre Stärke bei den Wahlen wurzelt<br />
zum großen Teil in ihrer militärmacht.<br />
Alle pan-arabischen Versuche, sie zu<br />
ver einen - wie das mekka-Ab kom men,<br />
das im vergangenen Jahr von Saudi-<br />
Arabien ausgehandelt wurde -, scheiterten<br />
angesichts dieser Realität, die<br />
zeigt, dass die macht in der palästinensischen<br />
Gesellschaft im Grunde aus<br />
dem Gewehrlauf kommt (wie mao Tse-<br />
Tung einmal in einem anderen Zu sam -<br />
menhang sagte).<br />
Der gewalttätige militärputsch der<br />
Hamas im Gaza-Streifen gegen etwas,<br />
von dem angenommen worden war,<br />
es sei der Ort der palästinensischen Le -<br />
gi timität, ist nur eine Wiederholung -<br />
unter anderen Bedingungen - der pa -<br />
läs tinensischen Bandenkriege aus den<br />
Jahren 1938 und 1939. Die Tatsache,<br />
dass es kein modell für einen folgenden<br />
arabischen demokratischen Staat<br />
gibt, hilft ebenfalls nicht eben weiter.<br />
Um es klar zu machen: Diese Worte<br />
werden nicht geschrieben, um die Le -<br />
gi timität der palästinensischen Bewe -<br />
gung oder das Recht der Palästi nen ser<br />
auf einen Staat in Frage zu stellen. Sie<br />
sind dazu gedacht, ein tief liegendes<br />
internes gesellschaftliches Versagen<br />
aufzuzeigen. Die Palästinenser vermeiden<br />
es, sich diesem Versagen zu<br />
stellen, und viele israelis ignorieren<br />
dies, denn oft wird der israelische Dis -<br />
kurs über das palästinensische The ma<br />
aus der begrenzten Perspektive der<br />
Sicherheitsbedenken geführt. Darü ber<br />
hinaus vermeiden es Teile der israelischen<br />
Linken - die zu Recht durch die<br />
andauernde Besatzung aufgewühlt<br />
sind - aus Gründen der political<br />
correct ness, die Palästinenser selbst<br />
für ihre Situation verantwortlich zu<br />
halten. Doch solch eine<br />
Bevormundung ist nicht hilfreich für<br />
die Palästinenser.<br />
Was jetzt im Gaza-Streifen geschieht,<br />
ist die wahre palästinensische nakba:<br />
die Tendenz, äußeren Faktoren die<br />
Schuld zu geben, lässt die Konturen<br />
verschwimmen. Die palästinensische<br />
Gesellschaft ist eindeutig in not, und<br />
zu großen Teilen auf Grund der 40jäh -<br />
rigen Besatzung. Doch dies ist eine zu<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 25
POLITIK • ISRAEL<br />
einfache Ausrede: in den Jahren nach<br />
1945 wäre es für den Yishuv einfach<br />
gewesen, der britischen Herrschaft,<br />
der arabischen Opposition und dem<br />
Trauma der Schoah die Schuld zu ge ben<br />
und sich im Sumpf der Selbst ge rech -<br />
tig keit zu suhlen und dabei zu erklären,<br />
warum ein jüdischer Staat unter<br />
solch schwierigen Bedingungen nicht<br />
gegründet werden könnte. Doch das<br />
von Herzl geschaffene Rahmenwerk<br />
der zionistischen Bewegung mit ihren<br />
gewählten institutionen, ihrer mehr -<br />
par teienvielfalt, die in einer grundsätzlichen<br />
Solidarität verankert war,<br />
und der Formulierung einer nationalen<br />
Autorität trotz Fällen von Unstim -<br />
mig keiten und Absplitterungen – all<br />
dies lieferte eine organisatorische und<br />
institutionelle Basis, die es möglich<br />
mach te, die menschlichen und<br />
wirtschaft lichen Ressourcen einzusetzen,<br />
die nötig waren, um mit der harten<br />
Re a lität, die auf die Un-Teilungs -<br />
re so lution folgte, umzugehen.<br />
Das Schicksal der Palästinenser ist<br />
nun in der Schwebe, und es liegt in<br />
ih ren eigenen Händen. Diejenigen, die<br />
auf die palästinensische Ge schich te<br />
blicken, werden sich nur schwer vorstellen<br />
können, dass Fatah und Ha -<br />
mas ihren Streit niederlegen und ein<br />
gemeinsames, legitimes Rahmen werk<br />
schaffen werden. Vielleicht können<br />
Ägypten oder Saudi-Arabien die Un -<br />
terzeichnung des einen oder anderen<br />
Schriftstückes - wie z. B. das mekka-<br />
Abkommen - fördern. Doch entscheidend<br />
ist nicht ein Stück Papier, sondern<br />
ein effektives Schultern der Last<br />
einer gemeinsamen Legitimität, die<br />
notwendig ist, um eine nation aufzubauen.<br />
Solch ein Rahmenwerk muss<br />
die Entwaffnung von milizen<br />
beinhal ten und das Betrauen einer<br />
nationa len Autorität mit dem<br />
monopol über die Anwendung von<br />
Gewalt. Ohne dies wird es auch keine<br />
möglichkeit eines Abkommens mit<br />
israel geben, was wichtig für die<br />
Gründung eines palästinensischen<br />
Staates ist.<br />
Diese Dinge sollten deutlich gesagt<br />
werden, so schwer sie auch sein mö -<br />
gen: Wenn die Palästinenser keinen<br />
Weg finden, sich selbst aus ihrer harten<br />
historischen Realität zu be freien,<br />
werden sie am Ende keinen Staat ha -<br />
ben. Dies wird sowohl für sie <strong>als</strong> auch<br />
für israel schlecht sein.<br />
Haaretz/Newsletter israelische Botschaft, Mai <strong>2008</strong><br />
Shlomo Avineri ist Emeritus für Politi sche<br />
Wissenschaften an der Hebräi schen Uni ver -<br />
si tät Jerusalem.<br />
Die<br />
STEINSTELLUNG<br />
f r<br />
SIMON WIDECKI,<br />
den wir alle sehr vermis -<br />
sen,<br />
findet am Sonntag,<br />
21.SEPTEMBER <strong>2008</strong><br />
11.30 Uhr,<br />
statt.<br />
Judith Widecki<br />
Familie Widecki<br />
Familie Feyer<br />
Skeptisch, aber loyal - neuer Demokratie-Index veröffentlicht<br />
Das Guttman Center am israel Democracy institute (iDi) hat Präsident Shimon Peres den Demokratieindex für<br />
<strong>2008</strong> vorgelegt. Er basiert auf einer Umfrage unter 1200 israelis über 18.<br />
Besorgniserregend sind dabei die sinkenden Vertrauenswerte in Hinsicht auf staatliche Einrichtungen, insbesondere<br />
die Regierung (33%) und den Obersten Gerichtshof (69%). Demgegenüber ist das Vertrauen in die israelische<br />
Armee im Vergleich zum Vorjahr leicht gewachsen und liegt nun bei 71%. Die Präsidentschaft von Peres hat das<br />
Ansehen des höchsten Amtes im Staat stark gefördert (47%, im Vorjahr 22%). Das Vertrauen in die Knesset ist hingegen<br />
von 33 auf 29% gesunken. Als primärer Hüter der Demokratie gelten in der Öffentlichkeit die medien.<br />
Peres meinte nach Empfang des indexes: „Die Demokratie in Israel ist in einem guten Zustand, aber unsere demokratischen<br />
Institutionen befinden sich in einer Krise.“ Trotz einiger beunruhigender Statistiken ist die grundsätzliche<br />
Zufriedenheit mit der Demokratie in israel jedoch um knapp 10% gestiegen und liegt nun bei 43%. Dabei sind 80%<br />
stolz darauf, israeli zu sein. 83% gaben an, dass sie langfristig weiterhin in israel zu leben gedenken. Yedioth Ahronot<br />
26 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
Die EU und israel haben ein vorläufiges<br />
Abkommen zur Liberalisierung<br />
ihres Handels mit Agrarprodukten,<br />
ver arbeiteten Agrarprodukten und<br />
Fischereierzeugnissen beschlossen.<br />
Dies teilte die Europäische Kom mis -<br />
sion mit. Das Abkommen folgt einer<br />
vorherigen Übereinkunft beider Sei -<br />
ten vom 30. April <strong>2008</strong> im israelischen<br />
Bet-Dagan, deren technische Einzel -<br />
heiten in den vergangenen monaten<br />
verhandelt wurden.<br />
Diese Vereinbarung sieht eine weit<br />
reichende Reduzierung von bilateralen<br />
Zöllen vor. Auf Grundlage der<br />
Ent scheidung von April müssen auf<br />
beiden Seiten 95% aller verarbeiteten<br />
Agrarprodukte einer vollen Libera li -<br />
sie rung des Handels unterliegen. Bei<br />
den übrigen 5% der sensiblen Pro -<br />
duk te, die rund 5% des Wertes der ge -<br />
han delten Güter ausmachen, habe es<br />
Veränderungen der Einfuhrquoten<br />
und eine Reduzierung der Zölle ge ge -<br />
ben. Hierzu zählen zum Beispiel Ge -<br />
bäck, Wermutwein oder Trauben -<br />
schnäp se. Bei Fisch und Fischerei pro -<br />
dukten sei ebenfalls eine Liberalisie -<br />
rung des Handels beschlossen worden.<br />
Bei eher sensiblen Produkten wie<br />
Früchten, Zucker und Gemüse werde<br />
es Erleichterungen beim markt zu gang<br />
auf beiden Seiten geben, teilte die<br />
Kommission weiter mit. Für Expor -<br />
teu re aus den EU-Län dern bedeute<br />
das Abkommen zahlreiche neue mög -<br />
lichkeiten, den israelischen markt<br />
wettbewerbsfähig zu bedienen.<br />
Der Energiekonzern British Gas (BG) hat<br />
mitgeteilt, dass er wieder mit israel über<br />
den Verkauf der Erdgas vor kom men an<br />
der Küste Gazas verhandeln will. Das<br />
Unternehmen hatte nach dem Schei tern<br />
der Verhandlungen im Ja nu ar israel ver -<br />
lassen. Sowohl das Finanz- <strong>als</strong> auch das<br />
infrastrukturministerium haben sich<br />
seit dem um eine Wieder aufnahme der<br />
Verhandlungen bemüht, um der drohenden<br />
Gasknappheit und der Abhängig -<br />
keit von ägyptischen Liefe run gen Ein -<br />
halt zu gebieten.<br />
„Ich richte mich auf einen langwierigen<br />
Prozess ein“, sagte BG-Generaldirektor<br />
Frank Chap man und verwies auf die<br />
Schwie rig kei ten, die mit dem derzeitigen<br />
Gaspreis zusam men hängen.<br />
BG hatte Ende der 90er-Jahre die<br />
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
EU und Israel beschließen<br />
Liberalisierung von Agrarprodukten<br />
Die neue Vereinbarung ist eine<br />
grund legende Änderung der für den<br />
beiderseitigen Handel mit verarbeiteten<br />
Agrarprodukten geltenden Grund -<br />
sätze. Bislang unterlagen die verarbei -<br />
teten Agrarprodukte Handels hem m -<br />
nissen, falls sie nicht auf einer Liste<br />
der von Beschränkungen freigestellten<br />
Positionen stehen. nach in kraft treten<br />
des neuen Abkommens gilt das um -<br />
gekehrte Prinzip: Pro duk te, die nicht<br />
auf der jeweiligen nega tivliste stehen,<br />
kommen in den Genuss der zwi schen<br />
der EU und israel generell geltenden<br />
Freihandels bestim mun gen.<br />
DJ<br />
Wieder Verhandlungen mit British Gas<br />
Kon zession für die Suche nach Öl und<br />
Gas vor der Küste israels erhalten und<br />
im Jahr 2000 ein potentielles Gasfeld,<br />
Gaza Marine, gefunden, das Schät zun -<br />
gen zu folge 30 mrd. m 3 Erdgas ent hält.<br />
Der damalige israelische mi nis -<br />
terpräsident Ehud Barak hatte sich seinerzeit<br />
große Kri tik eingehandelt, <strong>als</strong> er<br />
auf israelische Ansprüche verzichtete<br />
und es da durch der Palästinensischen<br />
Auto no mie be hör de ermöglichte, einen<br />
Anteil von 10% an dem Projekt zu halten,<br />
an dem sich außerdem zu 60% BG<br />
und zu 30% das christlich-libanesische<br />
Unter neh men CCC beteiligen sollten.<br />
Wegen finanzi eller Uneinigkeiten, technischer<br />
Schwie rig keiten und nicht<br />
zuletzt der Sicher heitslage in Gaza ist<br />
das Projekt bis her nicht in Gang<br />
Investition in Israel<br />
investitionen in die israelische Wirt -<br />
schaft zahlen sich aus. Unter dem folgenden<br />
Link stellt das staatliche<br />
Zentrum für investitionsförderung<br />
ausführliche multimediale infor ma ti -<br />
o nen für investoren zur Verfügung:<br />
http://www.investinisrael.gov.il/NR/exe-<br />
res/94C96807-3F40-4981-AA0D-<br />
F9CEFF74F4D2.htm<br />
NASDAQ: Israel überholt China<br />
Was die Zahl der an der nASDAQ<br />
ge handelten Unternehmen angeht,<br />
hat israel nun China überholt. ins ge -<br />
samt sind 75 israelische und weitere<br />
30 mit israel verbundene Firmen an<br />
der nASDAQ registriert. Damit ist is -<br />
ra el die ausländische nation mit den<br />
meisten nASDAQ-Unternehmen.<br />
israelische Firmen werden jedoch<br />
nicht nur an der nASDAQ gehandelt,<br />
sondern repräsentieren auch die<br />
nASDAQ-Börse OmX in israel.<br />
Tel Aviv teuerste Stadt in Nahost<br />
Das Leben in Tel Aviv ist teurer ge -<br />
wor den: in einer Studie über die Le -<br />
bens haltungskosten in insgesamt 143<br />
Großstädten weltweit landete die is -<br />
raelische Küstenmetropole auf Platz<br />
14 – im vergangenen Jahr war sie<br />
noch auf Rang 17.<br />
Damit ist Tel Aviv die teuerste Stadt<br />
im nahen Osten. Das geht aus der<br />
veröffentlichten „Studie über die weltweiten<br />
Lebenshaltungskosten <strong>2008</strong>“ der<br />
Beratungsfirma „mercer“ hervor.<br />
WIRTSCHAFT<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 27
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
Die israelische Tourismusbranche<br />
ist auf dem besten Weg, die von<br />
ihr gesetzte Zielmarke von 2,8 mio.<br />
aus ländischen Urlaubern in diesem<br />
Jahr zu erreichen. Dies wäre ein his to -<br />
rischer Rekord. Die höchste Zahl von<br />
Touristen war im Jahr 2007 erreicht<br />
worden. Dam<strong>als</strong> besuchten 2,7 mio.<br />
menschen das Land.<br />
Allein im monat Juli kamen 260.000<br />
ausländische Besucher ins „Heilige<br />
Land“. Das waren 22% mehr <strong>als</strong> im<br />
gleichen monat des Vorjahres und 75%<br />
mehr <strong>als</strong> im Juli 2006, so das Wirt -<br />
schaftsmagazin „Globes“.<br />
Das Tourismusministerium ist un -<br />
ter dessen ständig darum bemüht, seinen<br />
Service für israel-Besucher zu<br />
ver bessern.<br />
Auch die israelische Hotelbranche<br />
ist zu frieden: Von nord bis Süd sind<br />
90% der Hotelzimmer und Ferien woh -<br />
nun gen (Zimerim) belegt, und Tel Aviv<br />
entpuppt sich <strong>als</strong> die Urlauberstadt<br />
des Landes.<br />
Ausgebuchte<br />
Hotelzimmer –<br />
Israel-Tourismus<br />
auf Rekordkurs<br />
© Olivier Fitoussi /Flash90<br />
Teva steigert Aktivitäten<br />
auf dem deutschen Markt<br />
Das israelische Pharmaunternehmen<br />
Teva bemüht sich darum, seine Stel -<br />
lung auf dem deutschen Arzneimit -<br />
tel markt weiter auszubauen. noch<br />
nicht offiziell bestätigten meldungen<br />
nach befindet man sich derzeit in<br />
Verhand lungen über den Kauf der<br />
Firma Sta da Arzneimittel, die über<br />
einen Börsen wert von 1.8 mrd. Euro<br />
verfügt.<br />
Zuvor war bekannt gegeben worden,<br />
dass Teva sich bei der nächsten<br />
Ausschreibung der AOK um die Ak -<br />
qui sition von zusätzlichen Wirkstof -<br />
fen bewerben will. Teva-Präsident<br />
Shlomo Yanai hatte be reits vor einigen<br />
mo na ten die Attrak ti vität des deutschen<br />
mark tes hervorgehoben:<br />
„Deutsch land ist der größte Ge nerika-<br />
Markt in Europa. Wir haben ihn markiert<br />
und prüfen kontinuierlich die dortigen<br />
Möglichkeiten, einschließlich von<br />
Akquisitionen.“<br />
Durch den Aufkauf des US-Konzerns<br />
Barr ist Teva auf dem europäischen<br />
markt ohnehin präsenter <strong>als</strong> je zuvor.<br />
Der Vizepräsident des Unternehmens<br />
für Europa, Gerard van Odijk, versprach<br />
nach der Akquisition: „Tevas Produkte<br />
werden auf den Regalen jeder deutschen<br />
Apotheke zu finden sein.“<br />
Rekordeinnahmen<br />
Das Pharmaun ter neh men hat im letzten<br />
Quartal einmal mehr Rekord ein -<br />
nah men ge macht. Wie mitgeteilt<br />
wurde, beläuft sich der Umsatz auf<br />
US$ 2.82 mrd. Das be deu tet gegenüber<br />
dem Vorjah res ver gleichs zeitraum<br />
einen Zu wachs von 18%. Der Rein -<br />
gewinn liegt für das zwei te Quartal<br />
<strong>2008</strong> bei US$ 539 mio. (5% mehr <strong>als</strong><br />
im Vorjahr).<br />
Teva-Präsident und Generaldirek tor<br />
Shlomo Yanai sagte: „Unsere starken<br />
fi nan ziellen Ergebnisse wurden angetrieben<br />
von unseren Produkteinfüh rungen<br />
in den USA, robusten Verkaufszahlen<br />
auf den schnell wachsenden internationalen<br />
Märk ten und der fortdauernden<br />
Führungsrolle von Copaxone auf dem<br />
weltweiten Mul ti ple Sklerose-Markt.“<br />
Allein die Copa xo ne-Verkäufe stiegen<br />
um 29%.<br />
Weiterhin sind die USA der Haupt -<br />
ab satzmarkt des größten israelischen<br />
Un ternehmens. Dort wurde im zweiten<br />
Quartal <strong>2008</strong> ein Umsatz von US$<br />
1.505 mrd. Dollar gemacht. in Europa<br />
belief sich der Umsatz immerhin auf<br />
US$ 762 mio.<br />
Globes<br />
http://www.tevapharm.com/pr/<strong>2008</strong>/pr_777.asp<br />
28 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
Israel in den Vollzugsrat des Weltpostvereins gewählt<br />
Erstm<strong>als</strong> in der knapp 60jährigen Ge -<br />
schichte der Organisation ist die is ra e -<br />
lische Postgesellschaft in den Voll -<br />
zugs rat des Weltpostvereins (UPU)<br />
gewählt worden. nach der Wahl auf<br />
dem 24. internationalen Postkongress<br />
in Genf wird sie israel nun für vier<br />
Jahre vertreten. israel ist bereits seit<br />
Carl Zeiss AG übernimmt<br />
israelisches Unternehmen<br />
De zember 1949 mitglied des Welt post -<br />
vereins, hat bisher jedoch nie deren<br />
professioneller Körperschaft angehört,<br />
die die Entscheidungen trifft.<br />
Die Zuwahl israels in internationale<br />
Organisationen ist aufgrund der antiisraelischen<br />
Atmosphäre innerhalb der<br />
institutionen der Vereinten nationen<br />
Die deutsche Carl Zeiss AG kauft das israelische High-Tech-Unternehmen<br />
Pixer Technologies für eine Summe von US$ 70 mio. Pixer entwickelt technologische<br />
Lösungen zur Auffindung und Korrektur von Defekten in der<br />
Halb lei terproduktion und zur Verbesserung der Qualitätskontrolle.<br />
Die Firma wird zu einer israelischen Zweigstelle des deutschen<br />
Feinmecha nik- und Optik-Unternehmens werden. Die Akquisition wird den<br />
Geschäfts be trieb im galiläischen Karmiel dabei nicht beeinträchtigen.<br />
Die Geschichte von Pixer begann vor einem Jahrzehnt, <strong>als</strong> Hagay Sitri<br />
auf der Suche nach Technologie für das Schleifen von künstlichen<br />
Edelsteinen nach Russ land reiste. Während diese Suche erfolglos blieb, traf er<br />
zwei Wissen schaft ler der Universität St. Petersburg, mit denen er gemeinsam<br />
ein in Glas eingelas senes 3D-Bild entwickelte. Daraus entstand die<br />
Firma UC-Laser, deren Pro duk te man heute in vielen Geschenk- und<br />
Souvenirläden findet.<br />
UC-Laser wurde 2006 an einen amerikanischen Konkurrenten verkauft.<br />
Sitri und das Entwicklungsteam verließen die Firma, um Pixer zu gründen.<br />
Sie kon zentrierten sich auf Lithographie, speziell den Einsatz von Licht zum<br />
Druck von Transistoren auf Silikon-Halbleiterscheiben, erst um Chips zu<br />
produzieren, dann um defekte Chips zu korrigieren.<br />
Haaretz<br />
Weitere informationen zu Pixer: http://www.pixertech.com/<br />
und vielen ihrer mitgliedsstaaten beinahe<br />
unmöglich. Daher ist jede Stim -<br />
me das Ergebnis eines komplexen<br />
Pro zesse bilateraler Verhandlungen<br />
im multilateralen Kontext. Auch der<br />
Wahl in den Weltpostverein waren<br />
zweijährige Vorarbeiten unter mit wir -<br />
kung des israelischen Außenminis te -<br />
riums vorangegangen.<br />
Yitzhak Levanon, israels Un-Bot -<br />
schaf ter in Genf sagte: „Dies ist eine<br />
bedeutende Errungenschaft für Israel im<br />
Rahmen der UN-Einrichtungen. Wir<br />
kom men nicht in den Genuss vieler solcher<br />
Ereignisse, und der Erfolg lässt mich<br />
für die Zukunft hoffen. Ich hoffe, dass dies<br />
weitere Errungenschaften für Israel bei<br />
den UN-Behörden in Genf nach sich ziehen<br />
wird.“ Außenministerium des Staates Israel<br />
1.000 neue<br />
Millionäre in Israel<br />
in israel gab es im vergangenen Jahr<br />
8.200 millionäre - das waren 1.000<br />
mehr <strong>als</strong> im Jahr 2006. Das geht aus<br />
dem im Juli vorgelegten „World<br />
Wealth Report <strong>2008</strong>“ hervor.<br />
Am höchsten stieg die Zahl der mil -<br />
lionäre in den Schwellenländern. An<br />
der Spitze liegt In dien, dort gab es im<br />
vergangenen Jahr 22,7% mehr Dollarmillionäre<br />
<strong>als</strong> 2006. An zweiter Stelle<br />
lag China mit einem Zuwachs von<br />
20,3%, gefolgt von Brasilien mit 19,1%.<br />
Die Wachs tumsrate in Europa lag bei<br />
3,7%.<br />
Weltweit stieg die Zahl der millio nä -<br />
re um 6% auf 10,1 mio. an. im „World<br />
Wealth Re port“ gilt <strong>als</strong> millionär, wer<br />
über ein netto finanzvermögen von<br />
einer million Dollar verfügt. Der<br />
Bericht wird jährlich von der weltweit<br />
tätigen Beratungsgesellschaft Cap ge -<br />
mini und dem US-Vermö gens ver wal -<br />
ter merrill Lynch erstellt<br />
Neue Jobs<br />
112.000 neue Jobs schuf die israelische<br />
Wirt schaft in den letzten fünf Jahren.<br />
Die Arbeits losig keit fiel damit auf 6,1<br />
Prozent, den niedrigsten Stand seit 19<br />
Jah ren.<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 29
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
WISSENSCHAFT<br />
Israel engagiert<br />
sich im UN Global<br />
Compact<br />
Das israelische Außenministerium hat<br />
am 16. Juli gemeinsam mit Maala –<br />
Business for Social Responsibility den<br />
Be ginn von israels aktiver Teilnahme<br />
an dem United Nations Global Compact<br />
ge feiert. Bei diesem handelt es sich<br />
um das Rahmenwerk der Ver einten<br />
na tio nen für soziale und ökolo gische<br />
Ver pflichtung von Unter neh men, das<br />
sol chen Firmen internationale Aner -<br />
kenn ung verleiht, die seine Kriterien<br />
erfüllen.<br />
Außenministerin Tzipi Livni hat die -<br />
sen weiteren Schritt der integration<br />
is raels in die internationale Gemein -<br />
schaft mit einer Eröffnungsrede ge -<br />
würdigt: „Das globale Dorf hat viele Be -<br />
deutungen, ganz gewiss auch wirtschaft -<br />
liche und soziale. Als Außen minis terin<br />
ist es mir wichtig, Themen voranzubringen,<br />
die nicht nur mit Israels besonderen<br />
Herausforderungen zu tun haben, sondern<br />
auch mit internationalen He raus -<br />
for derungen, die die gesamte internationale<br />
Gemeinschaft betreffen, denn Israel<br />
ist ein Teil dieses Dorfes. Israel ist unendlich<br />
stolz auf seine Errungenschaften<br />
und da rauf, dass es eine Menge beizutragen<br />
hat. Wir möchten etwas beitragen,<br />
weil wir glauben, dass wir sowohl die<br />
Situation verbessern <strong>als</strong> auch Israels<br />
Image verändern können.<br />
Vor einigen Wochen habe ich mich mit<br />
dem ersten weiblichen israelischen Offi -<br />
zier ge troffen, der auf eine Mission der<br />
UN-Frie denstruppen geschickt wur de –<br />
auch etwas, was Israel zum ersten Mal ge -<br />
macht hat. Erstm<strong>als</strong> haben die Verein ten<br />
Na tio nen in diesem Jahr eine Resolution<br />
zu rein technologischen Angelegenheiten<br />
verabschiedet, ohne jede Beziehung zu dem<br />
Konflikt. Und nun treten wir diesem Ab -<br />
kom men bei, dem bereits mehr <strong>als</strong> 4.000<br />
Unternehmen aus 120 Ländern <strong>als</strong> Mit -<br />
glie der angehören. Wir treffen die Di rek -<br />
toren von Unter nehmen in Israel und Ver -<br />
treter der Orga ni sa tionen in dem Ver ständ -<br />
nis, dass wir eine gemeinsame Mis sion<br />
haben.“ Außenministerium des Staates Israel<br />
informationen zu maala finden sie<br />
un ter dem Link: http://www.maala.org.il/<br />
eng/home/about/01/default.asp?ContentID=333<br />
2000 Kinder in Israel geheilt<br />
Die israelische humanitäre<br />
Hilfs orga ni sation Save a Childs<br />
Heart (SACH) gab bekannt, dass<br />
ein 3-jähri ger Junge aus Angola<br />
das 2.000 Kind aus dem Aus -<br />
land wurde, dass in is ra el eine Herz -<br />
be hand lung be kam und sein Leben ge -<br />
rettet wurde. Die meisten dieser Ope -<br />
ra tionen werden am Wolf son-Me di zin -<br />
zentrum von Ho lon durch ge führt.<br />
Bisher wurden herzkranke Kinder<br />
aus 33 Ländern zur Behandlung nach<br />
israel gebracht, hauptsächlich auch<br />
aus den israel noch feindlich gesinnten<br />
nachbarländern. immer werden<br />
diese Kinder von zumindest einem<br />
ih rer Eltern begleitet und diese sind<br />
schockiert, dass die Schauer ge schich -<br />
ten über die kaltblütigen und herzlosen<br />
israelis die in ihren Ländern verbreitet<br />
werden, unwahr sind.<br />
medizin<br />
Hoffnung für Nieren-Patienten<br />
Patienten mit chronischem nieren -<br />
ver sagen müssen oft sehr lange auf<br />
Transplantationen oder Dialysen war -<br />
ten. Die israelische Firma „Nephera“<br />
entwickelte jetzt den weltweit ersten<br />
nieren-Schrittmacher. Das implantat<br />
besteht aus einer mini-Pumpe und<br />
hält die normale nierenfunktion um<br />
vier bis fünf Jahre aufrecht.<br />
Hadassah wieder Vorreiter<br />
Zum ersten mal wurde bei einer 30-<br />
jäh rigen Familiären-Dysautonomie-<br />
Patientin eine niere transplantiert.<br />
Dys autonomie ist eine angeborene Ent -<br />
wicklungsstörung des vegetativen<br />
ner vensystems. Das Hadassah Kli ni -<br />
kum in Jerusalem ist neben der Uni -<br />
versitätsklinik new York das einzige<br />
auf der Welt für die Behandlung der<br />
Krankheit. Die nieren-Transplan ta ti on<br />
gilt unter Experten <strong>als</strong> Sensation.<br />
Israelisches Parkinson-Medikament<br />
auf Erfolgskurs<br />
Die israelische Parkinson-Gesell schaft<br />
hat mit „Begeisterung und Freude“<br />
auf die Ergebnisse einer Studie reagiert,<br />
in der sich das israelische Parkinsonmedikament<br />
Azilect <strong>als</strong> effektiv bei der<br />
Verzögerung der chronischen neurologischen<br />
Krankheit erwiesen hat.<br />
im Rahmen der „Adagio-Studie“ wur -<br />
den 1.176 Patienten im frühen Par kin -<br />
(ein)blick<br />
son-Stadium in 129 Kranken häu sern<br />
in 14 Ländern über einen Zeit raum<br />
von 18 monaten mit Azilect behandelt.<br />
Den Fortschritt verglich man dann<br />
mit Kontrollgruppen. Die Parkinson-<br />
Krankheit ist eine de ge nerative Ge hirn -<br />
störung, deren Symp tome Tre mor, Steif -<br />
heit, Be we gungsverlang samung und<br />
Gleichge wichts verlust einschließen.<br />
Weltweit leiden darunter schätzungsweise<br />
vier millionen menschen,<br />
vorwie gend im Rentenalter.<br />
Azilect (Rasagilin) wurde von Prof.<br />
Moussa Youdim und Prof. John Finberg<br />
am Technion in Haifa entwickelt und<br />
wird von dem israelischen Phar ma -<br />
unternehmen Teva vertrieben, das die<br />
beeindruckenden Ergebnisse be kannt<br />
gegeben hat. Es könnte nun das erste<br />
Parkinson-medikament werden, das<br />
das Etikett „Krankheits modifizie rung“<br />
führen darf.<br />
Jerusalem Post<br />
Weitere informationen zu Azilect: http://<br />
www.tevapharm.com/pr/<strong>2008</strong>/pr_766.asp<br />
Atmen statt schlucken<br />
Ein von der israelischen Firma „Aes -<br />
pir onics“ entwickelter inhalator in<br />
Kreditkartengröße macht die konventionelle<br />
Einnahme von medika men ten<br />
überflüssig. Die normale Atmung ak -<br />
tiviert eine kleine Turbine, mit der die<br />
Wirkstoffe direkt in die Lunge befördert<br />
werden. Selbst für Diabetiker<br />
Typ i können injektionen überflüssig<br />
werden.<br />
Kinderwunsch<br />
Ca. 25.000 in-Vitro-Fertilisationen<br />
werden in israel jährlich durchgeführt.<br />
im Vergleich: Europa ca. 10.000,<br />
USA ca. 5.000. Seit Jahren lassen sich<br />
im mer mehr Frauen aus der ganzen<br />
Welt in israel behandeln.<br />
30.000 Patienten<br />
in Äthiopien mit landestypischen Ge -<br />
sundheitsproblemen wurden von is ra -<br />
elischen medizinern erfolgreich be han -<br />
delt. Prof. Zvi Bentwich, mediziner und<br />
Leiter des Zentrums für Tropische<br />
Krank heiten und AiDS an der Ben Gu -<br />
rion Universität in Beer Sheva, konnte<br />
mit äthiopischen immigran ten in isra -<br />
el spezifische Erfahrungen sammeln<br />
und Heilmethoden für Äthi opien entwickeln.<br />
30 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
Wieder Gehen<br />
können Querschnittgelähmte bald<br />
mit Hilfe eines revolutionären Sys -<br />
tems aus israel. Zu seinen Kompo -<br />
nen ten ge hö ren eine Vielzahl intelligent<br />
ge steu er ter Elektromotoren, eine<br />
fortschrittliche Sensorik und ein<br />
softwa re basiertes Kon trollsystem.<br />
Ent wic kelt von der is raelischen Firma<br />
„ARGO Medical Tech nologies“ verhilft<br />
das „ReWalk“-Sys tem Quer schnitts -<br />
gelähmten zu neuer Lebensqualität.<br />
http://www.argomedtec.com/<br />
Hüftgelenkimplantate<br />
werden immer häufig benötigt, bei<br />
immer jüngeren Patienten. in israel<br />
wurde ein innovatives implantat entwickelt,<br />
das in Konsistenz und „Ver-<br />
halten“ menschlichen Knorpeln beispiellos<br />
nahe kommt. Es basiert auf<br />
weichem Polycarbonat, hält starke<br />
Belastungen aus und reduziert das<br />
Risiko auf Osteolyse, eine infektion,<br />
die bei Gelenkimplantaten erhöht vor -<br />
kommt. Hersteller: „Active Plants“<br />
Jasmonat gegen Krebs<br />
israelische Forscher der Firma „Sepal“<br />
konnten in einer Studie nachweisen,<br />
dass Jasmonat auf Grund seiner<br />
chemi schen Eigenschaften den Tod<br />
von Krebszellen herbeiführt. Bereits in<br />
Per sien galt Jasmin <strong>als</strong><br />
Volksheilmittel ge gen Husten und<br />
H<strong>als</strong>schmerzen. Die Pflanze enthält<br />
das Stresshormon Jasmonat, das sie<br />
vor Verletzungen schützt.<br />
Impfung gegen Hautkrebs<br />
israelische Wissenschaftler am On ko -<br />
logie institut des Hadassa-Kran ken -<br />
hau ses in Jerusalem, deren Forschung<br />
durch den israelischen Krebsverband<br />
ge fördert wurde, haben eine impf me -<br />
thode entwickelt, die Melanoma, eine<br />
Art Hautkrebs, bekämpfen kann. Es<br />
handelt sich um eine Krebsart, die oft<br />
auftritt bei menschen, die ihre Haut zu<br />
lange der Sonne aussetzen. Das impf -<br />
mittel wird mit den entfernten Zellen<br />
eines bereits bestehenden Haut krebses<br />
angefertigt und soll dafür sor gen,<br />
dass ein weiteres Auftreten der Krank -<br />
heit verhindert werden kann.<br />
Mehr Organtransplantationen<br />
Die Zahl der transplantierten Organe<br />
in israel ist im Vergleich zum Vorjahr<br />
um 62% gestiegen. Wie das nationale<br />
Zentrum für Organtransplantationen<br />
gestern mitgeteilt hat, ist damit ein<br />
eindeutiger Trend bezeichnet. Gegen -<br />
über 90 Transplanta tio nen im Jahr<br />
2007 sind in diesem Jahr 146 solcher<br />
Operationen durchgeführt worden.<br />
Der Trend kommt auch in der Zahl<br />
der transplantierten Organe zum<br />
Ausdruck, die von 98 im Jahr 2007 auf<br />
173 im Jahr <strong>2008</strong> angestiegen ist (bei<br />
manchen Operationen werden den<br />
Kranken gleich mehrere Organe<br />
trans plantiert).<br />
im Zentrum führt man den Anstieg<br />
auf das erhöhte Bewusstsein für das<br />
Thema in der israelischen Öffentlichkeit<br />
zurück. Etwa eine halbe million<br />
israelis haben eine ‚Adi-Karte’ unterschrieben,<br />
mittels derer sie im Todes -<br />
fall ihr Einverständnis zur Verwer tung<br />
ihrer Organe für Transplantationen bei<br />
Kranken bestätigen. in der ersten<br />
Jahreshälfte von <strong>2008</strong> haben 50.000<br />
Per sonen diese Karten unterzeichnet.<br />
Ein großer Teil von ihnen (43.000) ma -<br />
chen dabei einen Paragraphen geltend,<br />
der den Ärzten vorschreibt, bei der<br />
Feststellung ihres Todes einen Rab bi ner<br />
oder eine andere religiöse Au to rität<br />
hinzuzuziehen, bevor die Orga ne entnommen<br />
werden.<br />
Überraschungsseife<br />
Ein Team aus israel hat bei dem<br />
diesjährigen Europawett be -<br />
werb für Ju nior-Unternehmen<br />
im schwedischen Stockholm<br />
Platz vier belegt. Für den Wett -<br />
bewerb gründen Schü ler ab der<br />
9. Klasse ein Unternehmen, besetzen<br />
dort alle Funktionen selbst und<br />
entwi c keln und vermarkten eine Ge -<br />
schäfts idee.<br />
Das israelische Team, bestehend aus<br />
vier mädchen, hatte das Un ter neh men<br />
wirtschaft<br />
„Schamaim“ (Himmel) ge gründet. ihr<br />
Geschäftsmodel sieht die Hers tel lung<br />
einer Art Überraschungsseife für Kin -<br />
der her - genannt „Soap ri se“. Jedes<br />
Sei fen stück enthält ein kleines Spiel -<br />
zeug, das jedoch erst zum Vor schein<br />
kommt, wenn die Seife aufgebraucht<br />
ist. Da durch sollen Kinder da zu an -<br />
geregt wer den, sich öfter und gründlich<br />
ihre Hände zu waschen. An dem<br />
Europa wett be werb nahmen Teams<br />
aus 33 Ländern teil.<br />
Bio-Motorrad für Philippinen<br />
Das israelisch-amerikanische Un ter -<br />
nehmen Energtek entwickelte einen<br />
Drei zylinder-mo tor für ein Yamaha<br />
RS100T motor rad mit Seitenwagen,<br />
der mit na türlichem Gas getankt wird.<br />
mit der Philippinischen natio na len<br />
Ölgesellschaft wurde eine Übereinkunft<br />
unterzeichnet, innerhalb von drei bis<br />
vier Jahren eine hal be millio nen mo -<br />
tor räder entsprechend umzurüsten.<br />
Grüner Strom für Spanien<br />
kommt vom israelischen Unter neh men<br />
Gilatz. Auf 72.600 m 2 errichtet es in<br />
der nähe von Cuenca, ca. 150 km südöstlich<br />
von madrid, einen hochmo der -<br />
nen Sonnenpark mit der verblüf fen den<br />
Leistung von 3.84 mega watt-Stun den.<br />
Konferenz für Export und Kooperation<br />
Vom 11. - 13. november findet in Je ru -<br />
salem die 7. Prime Minister’s Con fe rence<br />
for Export and International Coo pe ration<br />
statt. 60 Jahre nach Staatsgrün dung<br />
werden israels wirtschaftliche Errun -<br />
gen schaften präsentiert. Hochrangige<br />
Teilnehmer lassen einen qualifizierten<br />
Verlauf er warten.<br />
Elektronische Brieftasche<br />
mit „Cell-Cash“ ist es möglich, Bar geld<br />
über das Handy zu überweisen. Die<br />
israelische Firma Cell-Apps entwickelte<br />
einen Bluetooth-Stecker (Dong le) mit<br />
höchster Sicherheit beim Transfer.<br />
http://www.cell-apps.com<br />
Unschätzbar<br />
sind Wissen und Werte in den führenden<br />
Bibliotheken der Welt. Sortiert,<br />
ar chiviert und verwaltet werden sie<br />
von einem intelligenten System der<br />
is raelischen Firma Ex Libris. Ende<br />
2007 implementierte die Universität<br />
Ox ford das israelische System. Jetzt<br />
un terzeichnete Ex Libris weitere Ver -<br />
trä ge mit Universitätsbiblio the ken in<br />
Frank reich, England, China, Spa ni en<br />
und der nationalbibliothek der Do mi -<br />
nikanischen Republik.<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 31
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
Gesundheit-Zum Wohl-Le chaim!<br />
Rotwein<br />
ist gesund<br />
israelische Forscher<br />
haben nachgewiesen,<br />
dass bei der Kör per -<br />
auf nahme von Rot -<br />
wein die darin<br />
enthal tenen Antioxi -<br />
dan tien erst im<br />
magen wirksam werden.<br />
Bis lang war<br />
unklar, wie die<br />
Antioxidanten vom<br />
Körper aufgenom men<br />
werden, mel det die<br />
Online aus gabe der<br />
Ta ges zei tung ‘Die<br />
Welt’.<br />
Anhand von Versu chen mit La bor -<br />
ratten haben israelische Forscher<br />
nachgewiesen, dass Rot wein die Ent -<br />
ste hung giftiger neben pro dukte bei<br />
der Fettverdau ung bremst. Bei den<br />
Versuchstieren bildeten sich weniger<br />
Zellgifte, <strong>als</strong> ihnen neben rotem Fleisch<br />
zusätzlich ein Rotweinextrakt verabreicht<br />
wurde. Rotwein enthält sogenannte<br />
Polyphe nole (wirksame Anti -<br />
oxi dantien), die bei den Versuchen zu<br />
einer Verringe rung der Zellgifte in den<br />
mägen führten. Außerdem wurde<br />
durch die Rotwein-Verbindungen die<br />
Aufnah me von Zellgiften über den<br />
Ver dauungs trakt ins Blut gehemmt.<br />
Der Auslöser der Versuche war die<br />
Unklarheit, wie die Antioxidantien im<br />
Körper aufgenommen werden.<br />
israelische Forscher um Joseph Kanner<br />
vom Forschungszentrum des israelischen<br />
Landwirtschaftsministeriums<br />
„Volcani Center“ in Bet Dagan bei Tel<br />
Aviv konnten dabei nachweisen, dass<br />
der günstige Effekt erst im magen auf -<br />
trat. Das Ergebnis der Versuche wur -<br />
de nun im ‘Journal of Agricultural<br />
and Food Chemistry’ vorab im inter -<br />
net veröffentlicht.<br />
Bereits 2004 vermuteten Forscher<br />
um Janet L. Stan ford vom ‘Fred Hut -<br />
chin sons Cancer Research Center’ in<br />
Seattle, dass Antioxi dan ti en vor bösartigen<br />
Ge schwulsten bewahren.<br />
Außerdem würden dadurch beson -<br />
ders aggressive Sub stan zen im Kör -<br />
per entschärft, „die unter anderem das<br />
Erbgut schädigen und so Krebs auslösen<br />
können“, meldete die On li ne aus gabe<br />
von ‘Fo cus’.<br />
Weißwein wird<br />
„gesund“ hergestellt<br />
israelischen Wis sen schaftler ist es<br />
gelungen, ei nen Weißwein her -<br />
zustellen, der ähnlich vie le An tioxi -<br />
dan ti en wie Rotwein enthält. Der<br />
Wein wurde an der Tech ni schen<br />
Universität in Haifa entwickelt.<br />
Einem Bericht der Tageszei tung ‘Je-<br />
ru salem Post’ zufolge lag der<br />
Schlüs sel zum Erfolg in der<br />
Haut der Trau ben. Diese ent -<br />
hält die höchste Kon -<br />
zen tra tion an An -<br />
ti oxi dan ti en, die<br />
unter an de -<br />
rem ent zündungsh<br />
e m -<br />
mend wir -<br />
ken so wie<br />
freie Radi ka le<br />
bekämpfen und<br />
da durch die Zell al te -<br />
rung verlangsamen.<br />
Während bei der Rotwein -<br />
her stel lung der Traubensaft samt Bee -<br />
ren haut und Stielen vergoren wird,<br />
wird die Haut bei der Weißwein her -<br />
stellung vor der Vergärung ent fernt.<br />
Dadurch ge lan gen wesentlich weniger<br />
Anti oxi dan ti en in den Wein.<br />
Die Wissenschaftler haben bei ihren<br />
Versuchen gequetschte Trau ben für bis<br />
zu 18 Stunden in Alkohol gelagert, be -<br />
vor sie die Beerenhaut entfernten. Der<br />
anschließend hergestellte Weiß wein<br />
habe sechs mal mehr mengen an An ti -<br />
oxidantien enthalten <strong>als</strong> bei der herkömmlichen<br />
Herstellung.<br />
Wie es in dem Bericht weiter heißt,<br />
habe der Weinhersteller Binjamina be -<br />
reits damit begonnen, Weißwein nach<br />
dem neuen Verfahren herzustellen.<br />
Der Wein unterscheide sich weder im<br />
Geschmack oder im Aroma noch in der<br />
Farbe von „normalem“ Weiß wein. Bis<br />
Ende <strong>2008</strong> soll er in den USA auf den<br />
markt kommen.<br />
inn<br />
Hebräische Universität<br />
erstm<strong>als</strong> mit Rektorin<br />
Die Arabistin Sarah Stroumsa wird<br />
neue Rektorin der Hebräischen Uni -<br />
versität Jerusalem. Erstm<strong>als</strong> in der<br />
Geschichte der Universität ist damit<br />
eine Frau in dieses Amt gewählt worden.<br />
Stroumsa, die am 1. Oktober die<br />
nach folge von Chaim D. Rabinowitch<br />
antreten wird, studierte in Jerusalem<br />
und Paris und promovierte 1984 an<br />
der Hebräischen Universität, wo sie<br />
heute Professorin in den Abteilungen<br />
für Arabische Sprache und Literatur<br />
und Jüdische Philosophie und Geis -<br />
tes geschichte ist. ihr Forschungs -<br />
schwer punkt sind Philosophie und<br />
religiöses Denken der islamischen<br />
Welt im mittelalter, v. a. der intellektuelle<br />
Austausch zwischen jüdischen<br />
und muslimischen Denkern.<br />
Zwischen 2003 und 2006 amtierte<br />
sie <strong>als</strong> stellvertretende Rektorin. Sie ist<br />
verheiratet und hat zwei Kinder. nach<br />
ihrer Wahl sagte sie: „In meiner Rolle<br />
<strong>als</strong> Rektorin werde ich danach streben, die<br />
Stellung der Hebräischen Universität <strong>als</strong><br />
führende akademische Einrichtung in Is ra -<br />
el aufrecht zu erhalten und ihre Stellung<br />
in der Welt zu stärken, wo sie zu den führenden<br />
Universitäten gezählt werden sollte.<br />
Angesichts wachsenden wirtschaftli -<br />
chen Drucks müssen wir das akademische<br />
Ansehen der Hebräischen Universität <strong>als</strong><br />
Elite-Universität stärken. Dies ist unsere<br />
Verpflichtung und unsere Verant wor tung<br />
gegenüber der Gesellschaft.“ HUJ/red<br />
Israelische Wassermelone<br />
auf dem Weg ins Guinness<br />
Buch der Rekorde<br />
© Anna Kaplan / Flash90<br />
Ein Landwirt aus Ramat HaSharon in<br />
der nähe von Tel Aviv hat eine 29 Ki lo -<br />
gramm schwere Wassermelone ge -<br />
züchtet, die ins Guinness Buch der Re -<br />
korde aufgenommen werden könnte.<br />
Der Boden, auf dem die Wasserme -<br />
lone angebaut wurde, ist <strong>als</strong> einer der<br />
reichsten des Landes bekannt.<br />
32 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />
1938<br />
<strong>2008</strong><br />
In den Augen jüdischer Kinder<br />
von Michaela Lehner<br />
Kindertransport-Memorial von Frank Meisler vor der Liverpool Street Statio in London<br />
© Paul Dean<br />
Die Emigration aus dem Dritten Reich, amerikanische Erfolge<br />
und versteckte Traumata jüdischer Kinder und Jugendlicher<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 33
Die machtübernahme der natio -<br />
nal so zialisten am 30. Januar 1933<br />
in Deutschland inzentierte einen his -<br />
torisch präzedenzlosen, singulären<br />
Pro zeß der sukzessiven politischen<br />
und rechtlichen Diskriminierung und<br />
Entrechtung unter dem rassischen Al -<br />
teritätsdiktat, der sozioökonomischen<br />
Deklassierung und Beraubung, der<br />
zwangsweisen Vertreibung, Konzen -<br />
tra tion und Deportation nach dem<br />
novemberpogrom 1938, welcher nach<br />
der Annexion Österreichs im märz<br />
1938 sowie durch die Extension des<br />
Dritten Reichs während des Zweiten<br />
Weltkriegs auf weite Teile Europas in<br />
der industriellen massenvernichtung<br />
des europäischen Judentums kulminierte.<br />
Die Zahl der von der nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />
Vernichtungsmaschinerie be -<br />
drohten Kinder in Europa beläuft sich<br />
auf etwa 1,6 mio., von ihnen überlebten<br />
lediglich 100.000. Konzentrierte<br />
sich die wissenschaftliche Forschung<br />
bislang vor allem auf die Erfahrung<br />
der Emigration und des Exils von Er -<br />
wachsenen, im besonderen von jüdischen<br />
Angehörigen der intellektuellen,<br />
kulturellen und künstlerischen Eliten<br />
Europas, ist die spezifische Situation<br />
von jüdischen Kindern und Jugend li -<br />
chen unter dem Dispositiv des nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />
Alteritäts- und Ver -<br />
n ich tungsdiktats, der Diskrimi nie rung,<br />
der Emigration, der Entwurze lung und<br />
der kulturellen Entfrem dung, noch<br />
weniger die weitere Ent wick lung ihrer<br />
Biographien in den Ländern der Emi -<br />
gration ein bislang vor allem in Erin -<br />
ne rungen, memoiren oder Autobio -<br />
gra phien repräsentiertes, von der Ge -<br />
schichts-, Literatur- und Sozial wis sen -<br />
schaft im Rahmen der Exilfor schung<br />
jedoch erst rudimentär erfasstes For -<br />
schungsgebiet. Dabei manifestieren<br />
sich nicht nur für das geistige und<br />
psychische Erleben jüdischer Kinder<br />
und Jugendlicher wesentliche Diffe -<br />
ren zen zur Situation von Erwach se -<br />
nen, sondern auch hinsichtlich der<br />
Voraussetzungen der Emigration wie<br />
ihrer langfristigen kulturellen, biographischen<br />
und psychischen Konse -<br />
quen zen. Für die majorität bedeutete<br />
es physischen und psychischen miss -<br />
brauch, Verfolgung, die Desintegra ti on<br />
und allzu oft die endgültige Ver nich -<br />
tung ihrer Familie, nicht nur ökonomischen<br />
Verlust, sondern den Verlust<br />
Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />
von Stabilität, Freunden und der<br />
identität <strong>als</strong> zukünftige Bürger ihres<br />
Geburtslandes.<br />
Jüdische Kinder unter dem<br />
Dispositiv wachsender Isolation<br />
und drohender Vernichtung.<br />
„Man trat auf die Straße und war in Fein -<br />
desland.“ So erinnert die Litera tur wis -<br />
senschafterin Ruth Klüger ihr Le ben<br />
<strong>als</strong> jüdisches Kind in Wien nach dem<br />
„Anschluss“ in weiter leben und be -<br />
nennt damit die zentrale Erfahrung<br />
jüdischer Kinder im Dritten Reich, die<br />
in Österreich eine wesentlich<br />
dramati schere Dynamik entfaltete,<br />
<strong>als</strong> hier die zuvor in Deutschland<br />
sukzessive, über fünf Jahre entwickelte<br />
und er prob te Politik der<br />
Diskriminierung, der Suspendierung<br />
von Bürgerrech ten, der ökonomischen<br />
Entrechtung so wie der<br />
Vertreibung in fünf monaten mit<br />
mehr <strong>als</strong> 250 offiziellen Verord nun gen<br />
durch die Regierungsbehörden nachgeholt,<br />
jede normalität öffentlichen<br />
und privaten Lebens für die jüdische<br />
in lediglich fünf monaten beendet<br />
wur de. Zu den alltäglichen Restrik ti o -<br />
nen und Erniedrigungen zählte so die<br />
isolation an und in Schulen, <strong>als</strong> jüdische<br />
Kindern, im Dritten Reich be reits<br />
seit dem April 1934 per Gesetz vom<br />
Besuch mittlerer und höherer Schulen<br />
ausgeschlossen und in Sam mel klas -<br />
sen isoliert, nach einem Erlass des 15.<br />
november 1938 vom Besuch deutscher<br />
Schulen ausgeschlossen, nur mehr<br />
zum Besuch eigener jüdischer Schulen<br />
zugelassen waren, während viele von<br />
ihnen zuvor immer wieder Schikanie -<br />
run gen und Drangsalie run gen durch<br />
nichtjüdische Schüler und Lehrer<br />
© Archiv<br />
aus gesetzt waren.<br />
in ihren Freizeitaktivitäten vom Be -<br />
such öffent licher Parks, Spiel- und<br />
Sport stätten, museen, Theater und<br />
Konzerthallen bereits weitgehend ein -<br />
geschränkt, mussten sie zusätzlich zur<br />
Auflösung der normalen Gesell schaftsund<br />
Lebensstruktur auch die sukzessive,<br />
existenzielle Desintegration der<br />
eigenen Familien erleben. Berufsver -<br />
bo te und der unter dem Euphemis mus<br />
der Arisierungen organisierte Raub<br />
jüdischen Geschäfts- und Privatei gen -<br />
tums hinterließen einen unauslöschli -<br />
chen Eindruck der beständigen Be dro -<br />
hung, während besonders die öffentlichen<br />
Demütigungen der Eltern, et wa<br />
durch die meist in erpresserischer Ab -<br />
sicht erfolgte inhaftierung der Väter<br />
in Gefängnissen und Lagern oder die<br />
gerade für Österreich typischen Sze -<br />
nen öffentlicher Entwürdigung das<br />
Weltvertrauen und das Vertrauen in<br />
die deutsche und österreichische Ge -<br />
sellschaft nachhaltig zerstörten. „Was<br />
mich wahrscheinlich am allermeisten<br />
scho ckiert hat, war der Anblick dieser jü -<br />
dis chen Frauen mittleren Alters und auch<br />
älter, wie sie auf die Knie gezwungen wur -<br />
den und den Gehsteig schrubben muss ten,<br />
während diese johlenden Raufbolde um<br />
sie herumstanden und dreckige Bemer kun -<br />
gen über sie machten. So etwas kann man<br />
einfach nicht vergessen,“ so ein ehemaliger<br />
Flüchtling.<br />
Zusätzlich zu diesen Traumatisie -<br />
run gen im Öffentlichen und Privaten,<br />
welche das Leben der bis dahin oftm<strong>als</strong><br />
in weitgehend geschützten, bürgerlichen<br />
Verhältnissen aufgewachsenen<br />
Kinder dramatisch veränderte, kam<br />
die Sorge um das finanzielle Aus kom -<br />
Wien 1938<br />
34 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />
men der Familie und die Organisa ti on<br />
von Emigration und Exil, in welcher<br />
Kindern plötzlich eine zentrale Funk -<br />
tion in einer dramatisch transformierten<br />
Familienstruktur zukam. Viele<br />
von ihnen waren so gezwungen im<br />
Kampf der Familie um Überleben und<br />
Visa die Funktion von Ernährern,<br />
nach rich tenübermittlern, informan ten<br />
oder ganz einfach des Platzhalters in<br />
den täglichen Warteschlangen vor<br />
den Konsulaten einzunehmen, der<br />
nicht nur den Reifeprozess von Kin -<br />
dern und Jugendlichen unumkehrbar<br />
beschleunigte, sondern sie bereits in<br />
Deutsch land und Österreich auf die<br />
Erfahrun gen der Emigration und des<br />
Exils vor bereitete. Es bedeutete das ab -<br />
rupte, viel zu frühe Ende der Kind heit.<br />
Letzte Zuflucht Großbritannien. Der<br />
jüdische Kindertransport 1938/39.<br />
Die jüdische Emigrationsbewegung<br />
aus Deutschland und Österreich wur -<br />
de vor allem durch zwei Faktoren be -<br />
grenzt, zum einen durch die ökonomische<br />
und berufliche Verankerung<br />
der jüdischen Bevölkerung in Europa,<br />
die den Entschluss zur Emigration<br />
ver zögerte, bis es oftm<strong>als</strong> durch den<br />
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs be -<br />
reits zu spät war, zum anderen durch<br />
die restriktive immigrationspolitik<br />
nicht nur der europäischen Staaten;<br />
so limitierten etwa auch die USA in den<br />
Jahren vor dem Kriegseintritt Ame ri -<br />
kas die Zahl der zur immigration zu -<br />
gelassenen jüdischen Flüchtlinge so<br />
stark, dass noch nicht einmal die<br />
Quo te für Deutschland und Österreich<br />
erfüllt war. Chaim Weizmann charakterisierte<br />
die fatale Situation der jüdischen<br />
Bevölkerung Europas im Man -<br />
ches ter Guardian vom 23. mai 1936<br />
knapp und treffend: „The world see med<br />
to be divided into two parts – those places<br />
where the Jews could not live, and those<br />
where they could not enter.“<br />
in dieser perspektivenlosen und<br />
ver zweifelten Lage eröffnete eine kon -<br />
zertierte initiative des 1933 von prominenten<br />
mitgliedern der britischen<br />
jüdischen Gemeinde gegründeten,<br />
1939 in Central Council for Jewish Re fu -<br />
gees umbenannten Jewish Refugees Com -<br />
mittee, des Women’s Appeal Com mit tee<br />
for German and Austrian Women and<br />
Chil dren, der West End London Syna go -<br />
gue und der christlichen Society of<br />
Friends (Quäker) jüdischen Eltern oh -<br />
© Archiv<br />
ne Aussicht auf eines der begehrten<br />
Visa für die gesamte Familie, zumindest<br />
ihre Kinder aus dem Dritten Reich<br />
zu retten. Wenige Tage nach dem no -<br />
vem berpogrom 1938 gelang es einer<br />
De legation dieser im Inter-Aid Com mit -<br />
tee for Children from Germany vereinten<br />
Organi sa tio nen nach Verhand lun gen<br />
mit dem britischen innenministe ri um<br />
einen Wandel in der bislang eben so<br />
restriktiven britischen immi gra tions -<br />
po litik zu erwirken. nach einer De -<br />
batte im englischen Parlament am 21.<br />
november proklamierte die britische<br />
Regierung die Absicht einer<br />
unlimitier ten Zahl von jüdischen<br />
Kindern und Jugendlichen bis zum<br />
Alter von siebzehn Jahren aus<br />
Deutschland, Ös terreich und der<br />
annektierten Tsche-chos lowakei eine<br />
Einreiseerlaubnis für Großbritannien<br />
zu erteilen, für die Details, Planung,<br />
Organisation wie auch die<br />
Finanzierung diese mit Aus nahme<br />
der niederlanden singuläre Ret -<br />
tungsaktion jüdischer Kinder und<br />
Jugendlicher sollte das Inter-Aid Com -<br />
mit tee for Children from Germany verantwortlich<br />
zeichnen. Dabei war den<br />
Verantwortlichen der Kinder trans por -<br />
te die doppelte Problematik angesichts<br />
der katastrophalen Lage der jüdischen<br />
Bevölkerung im Dritten Reich sowie<br />
des drohenden Kriegsausbruchs be -<br />
wusst, wie sich Lola Hahn-Warburg<br />
erinnert: „In der kurzen Zeit, die uns zur<br />
Verfügung stand, mußten wir zuerst an die<br />
Rettung der größtmöglichen Anzahl Kin -<br />
der denken. Anfang 1939 konnte niemand<br />
mehr die Tatsache verkennen, dass wir<br />
ge gen die Zeit arbeiteten. Die Zeichen an<br />
der Wand waren bedrohlich genug – und<br />
der Kriegsausbruch würde die Kin der -<br />
trans porte endgültig vereiteln.“ Trotz -<br />
dem gelang es den Organisatoren über<br />
Spenden und private initiativen nicht<br />
Musik im Zug<br />
nur die erforderlichen finanziellen<br />
mittel, sondern nach einem öffentli chen<br />
Appell des ehemaligen britischen<br />
Premierministers, Lord Baldwin, auch<br />
zahlreiche Pflegefamilien, internate<br />
und Wohnheime zur Aufnahme insgesamt<br />
rund 10.000 jüdischer Kinder<br />
und Jugendlicher aus Deutschland<br />
und Österreich zu motivieren. Die Ver -<br />
breitung der nachricht über die be vor -<br />
stehenden Kindertransporte er folg te<br />
zuerst über mundpropaganda, über<br />
die noch existierenden jüdischen me -<br />
dien, welche die verzweifelten Eltern<br />
auch angesichts der Angst vor kindli -<br />
cher Verlust- und Entfremdungser fah -<br />
rung zu beruhigen suchten, sowie über<br />
die <strong>Kultusgemeinde</strong>n, denen für die<br />
Kollation der Anträge eine wesentliche<br />
Funktion zukam; so verfügte et wa die<br />
Wiener israelitische <strong>Kultusgemeinde</strong><br />
über eine eigene Abteilung „Kinder -<br />
aus wanderung“, in welcher die Regis -<br />
trierung der Kinder und Jugend li chen<br />
für einen Transport erfolgte. Die um -<br />
gehende Weiterleitung der Anträge<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 35
Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />
an das britische Home Office zur Er -<br />
langung von Einreisevisa, Einreise -<br />
kar ten und Permitnummer übernahmen<br />
hingegen die englischen Quäker;<br />
nach der – in vielen Fällen trotz intensiver<br />
Bemühungen nicht erfolgreich<br />
ab geschlossenen – Erledigung der For -<br />
malitäten erhielten die Eltern meist<br />
zwischen zwei und vierzehn Tagen<br />
vor dem Abreisetermin die offizielle<br />
information über den Kinder trans port.<br />
Wie verzweifelt und dramatisch sich<br />
diese Situation für betroffene Eltern<br />
und Kinder gestaltete, beschreibt Lo re<br />
Segal in ihrem autobiographischen<br />
Roman „Wo andere Leute wohnen“: „An -<br />
fang Dezember gab es ein Gerücht über<br />
einen versuchsweisen Kinder trans -<br />
port, der nach England gehen sollte.<br />
mein Vater nahm mich zur Jü di schen<br />
<strong>Kultusgemeinde</strong> mit, die ihren Sitz in<br />
den leeren Tempel verlegt hat te. Was<br />
wie tausende Kinder und Eltern aussah,<br />
bewegte sich unten durch aus -<br />
gebrannte Gemäuer der Halle und<br />
stand in einer Schlange entlang der<br />
Em pore, wo die Frauen zu den Hohen<br />
Feiertagen mit ihren Hüten und<br />
schwar zen Gewändern gesessen wa -<br />
ren. […] in der Elektrischen auf dem<br />
Heimweg hielt mein Vater meine<br />
Hand. Er sagte: ‚Du fährst nach Eng -<br />
land.‘ ich sagte: ‚Allein?‘, und ich<br />
erinnere mich deutlich an dieses Ge -<br />
fühl, <strong>als</strong> habe man mir plötzlich die<br />
Eingeweide herausgerissen. Gleich zei -<br />
tig klang mir dieses ‚nach-Eng land-<br />
Gehen‘ sehr mutig. ‘nicht ganz al lein!‘<br />
sagte mein Vater. ‚Es fahren noch<br />
sechs hundert andere Kinder.‘ ‘Wann?‘<br />
fragte ich. ‘Donnerstag‘, sagte mein<br />
Vater. ‚Übermorgen.‘ Dann spürte ich<br />
diesen eisigen Schauer gleich unter<br />
der Brust, dort wo ich vorher meine<br />
Ein geweide gehabt hatte.“ Emotio nen,<br />
die Lore Segal mit unzähligen der<br />
10.000 jüdischen Kinder und Ju gend -<br />
li chen teilte.<br />
(Über)Leben in Großbritannien.<br />
Die psychische Situation aller Betei -<br />
lig ten, sowohl der Eltern <strong>als</strong> auch der<br />
Kinder war so selbstverständlich über -<br />
aus ambivalent, zur simultanen Er -<br />
leic h terung und Verzweiflung der<br />
Eltern trat die mischung aus Ver zweif -<br />
lung, Destabilisierung und manchmal<br />
auch Aufregung angesichts der<br />
Reise auf Seiten der Kinder. “meine<br />
mutter liebte mich nicht mehr. ich<br />
war ihr völlig egal; darum hatte sie<br />
mich verstoßen. Es vergingen viele<br />
Jahre, bis ich ahnte: diese Frau hatte<br />
mir ein zweites mal das Leben ge -<br />
schenkt, indem sie mich zu völlig<br />
Frem den gab,“ erinnert sich Ruth Ru -<br />
binstein. Diese tiefe Traumatisie rung<br />
manifestierte sich gerade bei jenen, die<br />
ihre Eltern nicht mehr wiedersahen, in<br />
lebenslangen Schuldgefühlen. Hinzu<br />
kam die radikale Veränderung der<br />
Le benssituation für die Kinder und<br />
Jugendlichen in Großbritannien, die<br />
über die Problematik der Akkultu ra -<br />
tion an ein fremdes Land, eine fremde<br />
Sprache und unbekannte Kultur hinaus<br />
durch das Leben in bis dahin völlig<br />
fremden Pflegefamilien, die Tren -<br />
nung von Freunden und allzu oft auch<br />
von Geschwistern, in vielen Kindern<br />
verständlicherweise Gefühle der<br />
Angst, des Verlorenseins und des im mi -<br />
nenten, durch die verbreitete Praxis sie<br />
mit neuen, anglisierten namen aus zu -<br />
statten beförderten identi tätsver lus tes<br />
auslösten. Die aus der plötzlichen, die<br />
Kinder überfordernden Konfronta ti on<br />
mit völlig neuen Lebensumständen<br />
resultierende Traumatisierung wurde<br />
nicht nur durch das ihnen mitunter<br />
trotz ihrer jüdischen identität entge -<br />
gen gebrachte antideutsche Resse n t i -<br />
ment, die Bemühungen um die Auf -<br />
rechter hal tung des Kontaktes mit den<br />
Eltern und der selten erfolgreichen<br />
Be schaf fung von Visa für diese, oder<br />
die Probleme in der Fortsetzung ihrer<br />
Schulausbildung, sondern auch durch<br />
die oftm<strong>als</strong> neue Transferierung in<br />
Heime oder zu neuen Pflegefamilien<br />
während der Bombardierung Groß bri -<br />
tanniens durch die deutsche Luft waffe<br />
verstärkt und vertieft, auch wenn die<br />
mehrheit der Kinder von grundsätzlich<br />
© Archiv<br />
positiven Erfahrungen in ihren Pfle ge -<br />
familien berichten.<br />
Der Ausbruch des Krieges zwang<br />
auch die Organisatoren der Kinder -<br />
trans porte die Problematik der Re mi -<br />
gration zu überdenken. Ursprünglich<br />
war man davon ausgegangen, dass<br />
die mehrzahl der Kinder und Jugend -<br />
li chen in andere Länder weiter emigrieren<br />
würden, 1941 stellte sich je doch<br />
heraus, dass etwa die Hälfte von ih nen<br />
in England bleiben würde. Ein Teil<br />
der Kinder und Jugendlichen je doch<br />
re migrierte allein oder mit ihren El tern<br />
in die USA, deren kollektive Bio gra -<br />
phie Gerhard Sonnert und Ge rald<br />
Hol ton in ihrer am 24. Juni <strong>2008</strong> an<br />
der Universität Wien im Rahmen der<br />
Wiener Vorlesungsreihe „AB SCHIE DE<br />
1938. Die Vernichtung des geistigen Wien“<br />
präsentierten Studie „Was geschah mit<br />
den Kindern? Erfolg und Trauma jun ger<br />
Flüchtlinge, die von den Natio nal s o zia lis -<br />
ten vertrieben wurden“ erstm<strong>als</strong> sozialwissenschaftlich<br />
und historisch fundiert<br />
dokumentierten und analysierten.<br />
„I became the parent, they became<br />
the children.“ i Emigration in die USA<br />
„Sie alle waren Flichtlinge. […] Die bei -<br />
den Jungen Wolfy und Bernhard wa -<br />
ren ohnehin noch zu klein, um zu wis -<br />
sen, was sie waren. Sie wußten al ler -<br />
dings, daß sie in Panik aufgebrochen<br />
und in Züge gestiegen und tausendmal<br />
hochgehoben und wieder abgesetzt<br />
worden waren. Dann war’s auf<br />
ein Schiff gegangen, und plötzlich wa -<br />
ren sie woanders, an einem Ort, an<br />
dem ihre Eltern Flichtlinge und manch -<br />
mal auch Flichtlingspack genannt wurden.“<br />
Zvi Jagendorfs literarische Cha -<br />
rakteristik der Situation des Exils in<br />
36 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />
Groß britannien in Die fabelhaften Stru -<br />
delbakers weist zahlreiche Analo gi en<br />
zur Situation der jüdischen Emi gran -<br />
ten in den USA auf, <strong>als</strong> sie nicht nur<br />
mit der restriktiven offiziellen im mi -<br />
gra tionspolitik der Vereinigten Staa ten,<br />
sondern auch mit antisemitischem<br />
Res sentiment aus einer noch unter den<br />
sozioökonomischen Folgen der großen<br />
Depression leidenden und für im mi -<br />
granten wenig Empathie zeigenden<br />
amerikanischen Bevölkerung konfron -<br />
tiert waren. Ambivalent war auch die<br />
Position des amerikanischen Ju den -<br />
tums, <strong>als</strong> man zum einen ein An stei gen<br />
des Antisemitismus durch die ver -<br />
stärkte Präsenz jüdischer Flücht lin ge<br />
aus Europa fürchtete, zum an deren je -<br />
doch gerade private jüdische institu -<br />
tionen und Organisatio nen eine zentrale<br />
Rolle in der Organisie rung von<br />
Vi sa für Exilanten, der politischen Auf -<br />
klärung über das nation<strong>als</strong>ozialistische<br />
Regime ebenso wie in ihrer finanziellen<br />
und gesellschaftlichen Unterstüt -<br />
zung zukam. Zeigten sich für die Kin -<br />
der und Jugendlichen in den USA ähn -<br />
liche Erfahrungen der Entfremdung,<br />
Entwurzelung und Trau matisierung<br />
durch Flucht, Ver treibung und die Ak -<br />
kulturations pro blematik an eine ih nen<br />
aufgrund ih rer mitteleuropäisch-jüdischen<br />
Sozia lisation fremde amerikanische<br />
Kultur, verschärfte sich im amerikanischen<br />
Exil das bereits aus dem<br />
Dritten Reich bekannte Phänomen der<br />
Verände rung der Familienstruktur, die<br />
mitunter zu einer Umkehr des Ver hält -<br />
nisses von Eltern und Kinder führte.<br />
An ge sichts des absoluten Kontroll -<br />
ver lustes der Eltern, der häufig<br />
schmerz haften gesellschaftlichen De -<br />
klassierung der in ihrer majorität zu vor<br />
in Deutsch land und Österreich dem<br />
Bürgertum angehörenden Familien,<br />
waren auch Kinder und Jugendliche<br />
ge zwungen, größere Verantwortung<br />
und oftm<strong>als</strong> eine mittlerposition zwischen<br />
der amerikanischen Kultur, an<br />
welche sie sich nicht nur durch ihr jüngeres<br />
Alter, son dern auch den Schul -<br />
be such schnel ler akkulturierten, und<br />
den Eltern zu übernehmen.<br />
Dies legte jedoch einen Teil des Fun -<br />
da ments für den im Vergleich mit an -<br />
de ren immigrantengruppen oder ge -<br />
bür t igen Amerikanern überproportional<br />
hohen sozioökonomischen Er folg<br />
dieser Gruppe. Denn obwohl die Be -<br />
din gungen anfangs keineswegs ideal<br />
waren, entwickelten sich viele der Kin -<br />
der und Jugendlichen außerordentlich<br />
gut und zu herausragenden Schülern<br />
und Studenten, deren Verhältnis zu<br />
den Eltern selten von Rebellion, sondern<br />
vielmehr von enger Bindung und<br />
tiefem Verantwortungsgefühl getragen<br />
war, wie sich ein ehemaliger Emi grant<br />
erinnert: „meine Schwester und ich<br />
haben immer, bis zum heutigen Tag,<br />
alles darangesetzt, ständig unser Bes -<br />
tes zu geben … ich glaube das auch<br />
des halb so, weil wir unseren Eltern<br />
nicht noch zusätzliche Sorgen bereiten<br />
wollten … Wir hatten das Gefühl, dass<br />
das eine möglichkeit war, das Leben für<br />
sie ein bisschen leichter zu ma chen.“<br />
Kinder, die versuchten Eltern durch<br />
ihre Erfolge für die erlittenen<br />
Demütigungen zu entschädigen.<br />
„But there is a cost.“ ii Sozioökonomische<br />
Erfolge der jugendlichen Emigranten in<br />
den USA<br />
Exzeptionell im negativen Sinne wa ren<br />
nicht nur die Kindheitserfahrungen<br />
der Diskriminierung und Vertreibung<br />
jüdischer Kinder und Jugendlicher aus<br />
dem nation<strong>als</strong>ozialistischen Deutsch -<br />
land und Österreich, exzeptionell im<br />
positiven Sinne ist in ihrer weiteren<br />
Entwicklung auch der außerordentliche<br />
sozioökonomische Erfolg, das er -<br />
staunlich hohe kollektive Bildungs ni -<br />
veau und der erreichte soziale Sta tus,<br />
der sie demographisch von anderen<br />
immigrantengruppen oder gebürtigen<br />
Amerikanern abhebt. Die Diskon ti -<br />
©Flor Kent<br />
nuität des Exils, der Verfolgung und<br />
des sozialen Abstiegs in der Genera ti on<br />
ih rer Eltern scheint in den Biogra phi en<br />
ihrer Kinder keine Kontinuität zu finden.<br />
Sonnert und Holton führen diesen<br />
Umstand in ihrer Studie, die dafür ne -<br />
ben interviews und Fragebögen die<br />
sta tistischen und soziodemographischen<br />
Daten des U.S. Census von 1970,<br />
des National Jewish Population Survey<br />
1970 und des Who’s Who vergleichend<br />
untersucht, nicht ausschließlich auf das<br />
frühe Ende der Kindheit durch die na -<br />
tion<strong>als</strong>ozialistische Vernichtungs dro -<br />
hung oder den allgemeinen ökonomischen<br />
Aufschwung der USA nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg zurück, von dem<br />
die eingebürgerten Emigranten ebenso<br />
profitierten wie gebürtige nichtjüdische<br />
und jüdische Amerikaner, sondern<br />
besonders auf das von Pierre Bour di eu<br />
entwickelte Konzept des „kulturellen<br />
Kapit<strong>als</strong>“ zurück, das die jüdischen<br />
Emi granten aus den deutschen und<br />
ös terreichischen Gesellschaften <strong>als</strong> in -<br />
korporiertes, unveräußerliches Kul tur -<br />
kapital mit in die Emigration brach ten,<br />
zu dem gerade die Erziehung und Bil -<br />
dungsorientierung zählten, während<br />
das objektive oder instituti o na lisierte<br />
kulturelle Kapital, gewisse be rufliche<br />
Qualifikationen, Lizenzen oder Titel<br />
für die Elterngeneration in vielen Fäl -<br />
len nicht konvertierbar war.<br />
Besonders die Bedeutung intellek tu -<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 37
Schwerpunkt 1938/<strong>2008</strong><br />
el ler interessen, das Konzept einer<br />
um fas senden humanistischen Bil dung<br />
sowie die gehobene Qualität der deut -<br />
schen und österreichischen Schul bil -<br />
dung waren entscheidende Faktoren<br />
dafür, daß sich in der Gruppe der<br />
emigrierten Kinder und Jugendlichen<br />
eine so große Zahl herausragender<br />
Per sönlichkeiten findet, deren Leis tun -<br />
gen nicht zuletzt einen unschätzbaren<br />
Beitrag zum wissenschaftlichen, in tel -<br />
lektuellen, politischen und ökonomischen<br />
Leben der USA beitragen sollten.<br />
Carl Djerassi, Peter Gay, Geoffrey<br />
Hartmann, Henry Kissinger, Gerda<br />
Ler ner, Lore Segal und Fritz Stern sind<br />
nur einige wenige der bekanntesten<br />
unter ihnen, zu denen auch Ge rald<br />
Holton, einer der Autoren der Studie<br />
Was geschah mit den Kindern, zählt. Die<br />
natur- und Sozialwissenschaften stellen<br />
einen jener Bereiche dar, dem sich<br />
besonders viele jugendliche Emigran -<br />
ten zuwandten, da diese zum einen<br />
durch ihre Expansion und rapide Wei -<br />
terentwicklung in der nachkriegszeit<br />
viele Berufschancen boten, zum an de -<br />
ren Emigranten aufgrund ihrer Bio gra -<br />
phie ein geschärftes Bewusst sein für<br />
soziale Phänomene oder die iden ti täts -<br />
problematik besaßen. Die natur wis -<br />
senschaften boten sich jedoch noch aus<br />
einem weiteren, sprachlich-pragma ti -<br />
schen Grund an nach Gerald Hol ten:<br />
„It’s easier to go into science with a bad<br />
accent.“ iii<br />
Der Preis des kollektiven<br />
sozioökono mischen Erfolgs und auch<br />
des nut zens für die amerikanische<br />
Gesell schaft war allerdings ein hoher.<br />
Denn unter der an der Oberfläche <strong>als</strong><br />
Er folgs ge schich te lesbaren kollektiven<br />
Bio gra phie bleiben lebenslange<br />
Trau ma ta zurück, das Gefühl existentieller<br />
Entfremdung und Einsamkeit,<br />
Ängste, Unsicherheiten, das von vielen<br />
Op fern der Schoah geteilte<br />
Schuldgefühl der Überlebenden und<br />
nachhaltige, von äußeren Erfolgen<br />
unbeeinflussbare minderwer -<br />
tigkeitsgefühle.<br />
„Ich liebe die Stadt meiner Kindheit<br />
noch immer, nicht aber ihre<br />
Bewohner.“ iv<br />
Die rasche und vollständige Akkul tu -<br />
ration war nicht nur ein von außen<br />
erwartetes und durch das verbreitete<br />
Ressentiment gegenüber immigran ten<br />
befördertes, sondern auch von den<br />
Emigranten selbst verfolgtes Ziel, das<br />
mit dem Spracherwerb begann, der<br />
den Kindern und Jugendlichen, wie zu<br />
erwarten, leichter fiel <strong>als</strong> den Eltern,<br />
zumal sie durch ihren Bildungshin ter -<br />
grund oder die Emigrationserfahrung<br />
äußerst polyglott waren und die Er fah -<br />
rung der Vertreibung und drohenden<br />
Vernichtung der deutschen Spra che<br />
und identität äußerst kritisch ge gen -<br />
über standen. Trotz der mitunter en -<br />
thusiastisch verfolgten Akkulturation<br />
erfolgte jedoch keine vollständige An -<br />
passung an die amerikanische Kul tur,<br />
gerade im Hinblick auf das kulturelle,<br />
jüdisch-europäische Erbe, das sich<br />
über alltagskulturelle Phänomene wie<br />
etwa über die lebenslange Ver bun den -<br />
heit mit der deutschen und österreichischen<br />
Küche vor allem in Präfe ren -<br />
zen für kulturelle interessen, traditionelle<br />
Werte und normen manifestiert.<br />
„Klassischer Geschmack in Bezug auf<br />
musik, Literatur und Dichtkunst. Be -<br />
geisterung für das Erlernen vieler ver -<br />
schiedener Fremdsprachen, für Rei sen<br />
um die ganze Welt und das Erfor schen<br />
mir fremder Kulturen. Liebe zur<br />
Schön heit der natur – im Freien zu<br />
sein um der Sache selbst willen, nicht<br />
um Sport zu betreiben oder etwas für<br />
die Gesundheit zu tun,“ schreibt ei ner<br />
der Teilnehmer von Sonnert und Hol -<br />
tons Studie. Damit bringt er wohl auch<br />
die lebenslange Zerrissenheit vie ler<br />
jüdischer Emigranten auf den Punkt,<br />
die beinahe unsichtbare Gren ze, die<br />
sie, jüdisch-europäisch sozialisiert, von<br />
anderen Amerikanern wie auch amerikanischen<br />
Juden trennte, einer vollständigen<br />
Akkulturation zuwider lief,<br />
auch wenn sich fast die Hälfte der Be -<br />
fragten <strong>als</strong> Amerikaner bezeichnete.<br />
Die Bikulturalität schien denn auch<br />
ein Wesenszug der kollektiven iden ti -<br />
tät der vertriebenen jüdischen Kinder<br />
und Jugendlichen zu sein.<br />
Wie tief verwurzelt und auch schmerz -<br />
haft diese ist, zeigte die Präsentation<br />
der Studie Was geschah mit den Kin dern?,<br />
selbst. Gerald Holton, einer der Au to -<br />
ren, wurde wie auch seine Frau, die<br />
Bildhauerin nina Holton, von seinen<br />
Eltern auf einen der rettenden Kin der -<br />
transporte nach Großbritannien ge -<br />
schickt. Teil seines Vortrags war eine<br />
in ihrer Präzision berührende Schil de -<br />
rung des kindlichen Erlebens der An -<br />
nexion Österreichs durch das Drit te<br />
Reich, der alltäglichen nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />
Diskriminierung, des Ab -<br />
schieds von den Eltern am Wiener<br />
West bahnhof, der Reise quer durch Eu -<br />
ropa und schließlich der Ankunft in<br />
Großbritannien, wo ein BBC-Re por ter<br />
die erschöpften Kinder bat, doch ein<br />
Lied zu singen. in der Erin ne rung des<br />
Liedes, das die Kinder für das eng -<br />
lische Radiopublikum sangen, zitterte<br />
Gerald Holton, bis dahin be Denkmal herrscht,<br />
distinguiert und durch sei nen am Wiener englischen<br />
Vortrag wohl auch Westbahnhof sprachlich<br />
distanziert, die Stimme. Es war Wien,<br />
Wien, nur du allein.<br />
© APA<br />
Gerhard Sonnert u. Gerald Holton: Was geschah mit den<br />
Kindern? Erfolg und Trauma junger Flücht lin ge, die von den<br />
Nation<strong>als</strong>ozialisten vertrieben wurden. Wien: LIT <strong>2008</strong> (=<br />
Emigration – Exil – Kontinuität. Schrif ten zur zeitgeschicht -<br />
lichen Kultur- und Wissen schaftsforschung 9)<br />
Zum jüdischen Kindertransport:<br />
Rebekka Göpfert: Der jüdische Kindertransport von Deutsch land<br />
nach England 1938/39. Geschichte und Erinne rung. Frankfurt am<br />
Main u. New York 1999<br />
Mark Jonathan Harris, Deborah Oppenheimer u. Jerry Hofer:<br />
Kinder transport in eine fremde Welt. München 2000<br />
Claus-Dieter Krohn: Kindheit und Jugend im Exil – ein Gene ra tion -<br />
enthema. München: Edition Text und Kritik 2006 (= Exil for -<br />
schung 24)<br />
„Der olle Hitler soll sterben!“ Erinnerungen an den jüdischen<br />
Kindertransport nach England. Hg. v. Anja Salewsky. Mit ei nem<br />
Vorwort v. Michel Friedmann. München: Claassen 2001<br />
Barry Turner: Kindertransport. Eine beispiellose Ret tungs aktion.<br />
Mit einer Einleitung v. Lucie Kaye. Übers. v. Anna Kaiser. Ger -<br />
lin gen 1994<br />
Zur Situation der jüdischen Schulen im NS-Deutschland:<br />
Ruth Röckler: Die jüdische Schule im nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />
Deutschland 1933-1942. Frankfurt am Main 1992<br />
i Gerald Holton bei der Präsentation des Bandes Was ge schah<br />
mit den Kindern? Erfolg und Trauma junger Flücht lin ge, die von<br />
den Nation<strong>als</strong>ozialisten ver trieben wurden am 24. Juni <strong>2008</strong> an<br />
der Univer si tät Wien im Rahmen der Vor trags rei he „AB SCHIE -<br />
DE 1938. Die Vernichtung des geistigen Wien“.<br />
ii Gerald Holton bei der Präsentation des Bandes Was geschah<br />
mit den Kindern? Erfolg und Trauma junger Flüchtlinge, die von<br />
den Nation<strong>als</strong>ozialisten vertrieben wurden am 24. Juni <strong>2008</strong> an<br />
38 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
Sie sind mit zwei Identitäten aufgewachsen,<br />
auch auf zwei Kontinenten.<br />
Welche Erfahrungen haben sie gesammelt<br />
und wel cher Charakter ist daraus<br />
entstan den?<br />
Wenn man auf einen anderen Kon -<br />
ti nent kommt und nach vielen Jahren<br />
wieder nach Hause kommt, dann hat<br />
man eines gelernt, und zwar gleich<br />
doppelt: Alles mit großer Distanz zu<br />
betrachten. Alles was ich bin oder<br />
den ken kann oder erzählen kann,<br />
kann ich nur deshalb, weil ich gelernt<br />
habe, lernen musste, alles mit großer<br />
Distanz zu sehen, und heute gar nicht<br />
mehr anders kann. Als ich nach Bra si -<br />
lien kam, war alles für mich sehr span -<br />
nend, alles, was ich sah, war neu und<br />
anders und allein deshalb sehr<br />
faszinie rend. Aber diese Distanz kann<br />
man nicht verlieren, auch wenn man<br />
sich möglichst gut einleben und assimilieren<br />
will. Und das wollte ich. ich<br />
hätte in Sao Paulo Taxi fahren können,<br />
kann te diese riesige Stadt besser <strong>als</strong><br />
die meisten Einheimischen, weil es<br />
mein Anspruch war, und trotzdem<br />
war nach acht Jahren klar, dass ich nie<br />
ein Bra si lianer werde. Und <strong>als</strong> ich<br />
dann nach acht Jahren nach Österreich<br />
zurück kam, war mir Österreich<br />
mittlerweile völlig fremd geworden,<br />
ich hatte so viel angenommen von<br />
der lateinamerikanischen mentalität.<br />
Was für alle Wiener selbstverständlich<br />
ist, war mir nicht mehr selbstverständlich,<br />
ich hatte zu lange ganz<br />
anders gelebt, andere Er fahrungen<br />
gemacht. Und so habe ich gemerkt,<br />
dass ich jetzt hier dieselbe Distanz<br />
habe. Und das war gut. ich be griff,<br />
dass das ein enormes schriftstellerisches<br />
Kapital ist: Die Distanz, die es<br />
einem erst ermöglicht, seine Welt zu<br />
überblicken und zu hinterfragen. ich<br />
wollte das nie mehr verlieren und ich<br />
glaube, ich habe es nie mehr verlo ren.<br />
Was denken Sie über Migration und mul -<br />
ti konfessionelle, multiethnische Städte?<br />
Eine Stadt, die das nicht ist, die kei ne<br />
Anziehungskraft auf menschen ve r -<br />
schiedenster Welthaltungen, Kultu ren,<br />
Konfessionen, Lebensvorstellungen<br />
hat, ist in Wirklichkeit keine Stadt.<br />
Eine Stadt ist ein Ort, der wie ein mag -<br />
net auf die Vielfalt des Lebens wirkt,<br />
<strong>als</strong>o auf ein im breitesten Sinn gefasstes<br />
Umland. Eben deshalb war Wien<br />
zur Jahrhundertwende vom 19. zum<br />
20. Jahrhundert so ein spannender Ort,<br />
Robert<br />
Menasse –<br />
ein nicht<br />
typischer<br />
Wiener Autor<br />
mit Sehnsucht<br />
nach Liebe und<br />
Gerechtigkeit<br />
von Ida Labudovic<br />
wo die europäische moderne begonnen<br />
hat in der Kunst, Architektur, me -<br />
dizin, Literatur. Das war, weil Wien<br />
ein großer magnet für menschen aus<br />
Galizien, Serbien, Ungarn, italien, aus<br />
allen Richtungen und Kulturen war.<br />
ich kann nicht verstehen, wie es möglich<br />
ist, dass die Erben dieser Stadt, die<br />
mit diesem Erbe Tourismuswerbung<br />
machen und von diesem Erbe leben,<br />
solche Aggressionen haben gegenüber<br />
jenen, die diese Stadt heute wieder <strong>als</strong><br />
Stadt ernst nehmen, <strong>als</strong> magnet, <strong>als</strong><br />
Ort für Lebenschancen. Eine unfähige<br />
Politik, menschlich verrottete Poli ti ker<br />
betrügen Wien heute doppelt: Sie be -<br />
trü gen die sogenannten Einheimi -<br />
schen, weil sie ihnen eine Stadt versprechen,<br />
die keine Stadt wäre, und<br />
sie betrügen die Zuwanderer, weil sie<br />
ihnen nicht die Stadt geben, die dem<br />
Bild entspricht, das sie von dieser Stadt<br />
in der Welt verbreitet haben.<br />
Wie steht es mit dem Antisemitismus in<br />
Wien. Ist Antisemitismus noch latent<br />
vor handen?<br />
Den klassischen Antisemitismus gibt<br />
es in Wien fast nicht mehr. Keiner<br />
würde heute laut und deutlich sagen<br />
„Die Juden sind unser Unglück“, „An<br />
allen Problemen sind die Juden schuld“,<br />
„Die Juden müssen ausgegrenzt oder gar<br />
vernichtet werden.“ Es ist klar geworden,<br />
dass man sich damit selbst schädigt<br />
© Ida Labudovic<br />
und das will keiner. Aber es gibt, meiner<br />
meinung nach, zwei neue Formen<br />
des Antisemitismus. Die eine ist der<br />
„selektive Antisemi tis mus“, der sich<br />
sich nur gegen Juden richtet, die –<br />
wienerisch gesagt: - keine Ruhe ge ben.<br />
Das sind menschen, die haben jüdische<br />
Bekannte oder Geschäftskol le gen,<br />
und sie nicken betulich bei den Sonn -<br />
tagsreden, wenn es heißt, dass wir aus<br />
der Geschichte lernen müssen und<br />
sich das nicht mehr wiederholen darf,<br />
und sie glauben ehrlich, dass sie kei -<br />
ne Antisemiten sind, aber wenn einer<br />
auffällig wird, dann ist es nicht konkret<br />
dieser bestimmte mensch, sondern<br />
ein Jude. Und typisch Jude. Das<br />
versteckt sich hinter Philosemi tis mus,<br />
und jeder hat viele Beweise dafür, dass<br />
er kein Antisemit ist. Die se menschen<br />
würden nie sagen, dass Ju den ausgegrenzt<br />
werden müssen, aber sie wollen,<br />
dass einzelne, ganz be stimmte<br />
ausgegrenzt werden, nur je ne, die<br />
ihnen auffallen. Und die andere Form<br />
des neuen Antisemitismus ist das, was<br />
ich den „Übertragungs-Antisemitis mus“<br />
nenne. Er richtet sich gegen men schen,<br />
die gar keine Juden sind, auf die aber<br />
die mechanismen des klassischen An -<br />
ti semitismus angewandt werden. Wie<br />
zum Beispiel jetzt Türken, Asylwer ber<br />
oder menschen, die vor Kriegen flüch -<br />
ten. Die kommen hierher nicht aus Jux<br />
und Tollerei, aber sie werden <strong>als</strong><br />
Schmarotzer, <strong>als</strong> Fremdkörper gese-<br />
JÜDISCHE WELT<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 39
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
hen, und sie werden verfolgt und<br />
aus gegrenzt, nicht mit physischer Ge -<br />
walt, aber mit gesellschaftlich atmosphärischer<br />
und bürokratischer Ge -<br />
walt. man muss den Antisemitismus -<br />
be griff heute eigentlich radikal ausweiten<br />
und klar sagen: Jeder, der mit<br />
den mitteln und methoden, die wir<br />
vom klassischen Antisemitismus kennen,<br />
verfolgt wird, ist Jude.<br />
Was ist ihre Meinung über die jüdische<br />
Gemeinde?<br />
ich habe keinen Kontakt zur Ge -<br />
mein de, höchstens mit einzelnen<br />
menschen, die sich darin engagieren.<br />
ich bin ja kein Jude, weil ich keine<br />
jüdische mutter habe. ich bin nur ein<br />
Feuilleton- und Kulturjude. ich weiß<br />
<strong>als</strong>o wenig vom innenleben der Ge -<br />
meinde, aber ich bin froh, dass es sie<br />
gibt und ich bin der meinung, dass es<br />
ein Skandal ist, dass die Stadt in der<br />
sie einmal zerstört wurde - politisch<br />
und physisch zerstört wurde -, dass<br />
die se Stadt nicht historische Verant -<br />
wor tung übernimmt und sie besser<br />
unterstützt.<br />
Der Roman „Selige Zeiten, brüchige<br />
Welt“ thematisiert sehr stark Indivi du a -<br />
lis mus und Einsamkeit. Warum musste<br />
Judith, die weibliche Hauptfigur, am<br />
Ende sterben?<br />
Der Roman „Selige Zeiten, brüchige<br />
Welt“ thematisiert nicht die Ein -<br />
samkeit, sondern den größten An -<br />
spruch: die Welt zu verstehen, seine<br />
Zeitgenossenschaft zu begreifen. Das<br />
führt, wenn man sehr konsequent ist,<br />
zu Einsamkeit. Das führt zu Selbst -<br />
zer störung. Dazu kommt der Ge -<br />
schlech terkampf. Judith wurde er -<br />
mordet, von Leo, dem mann an ihrer<br />
Seite, der ihr Werk <strong>als</strong> seines ausgeben,<br />
mit ihrer Arbeit seinen Profit machen<br />
wollte. ich wollte von einem Leben<br />
erzählen, das konsequent und kompromisslos<br />
geführt wird, so sehr, dass<br />
es Selbstzerstörung und das eigene<br />
Verschwinden in Kauf nimmt. Und<br />
der mord steht dafür, wie mit einem<br />
solchen Werk umgegangen wird:<br />
menschen, die schwächer sind und<br />
kompromissbereiter, eignen es sich an.<br />
Der Einsatz ist groß, die Wirksamkeit<br />
dürftig, am Ende ist das Gequatsche.<br />
Judith ist eine autobiographische Fi gur,<br />
ich habe sie mit all meinen Eigen -<br />
schaften ausgestattet. Leo, ihr männlicher<br />
mit- und Gegenspieler, ist ein<br />
Typus, den ich beobachtet habe, mit<br />
dem ich immer wieder Erfahrungen<br />
ma che, aber ich bin Judith, Judith ist<br />
ich.<br />
Sie sind sehr beschäftigt, auch überall in<br />
den Medien präsent, wie passt dass zu<br />
Familie und was denken Sie überhaupt<br />
über die heutige Familie?<br />
Es gibt Berufe, die immer wieder zu<br />
Tren nungen von der Familie führen,<br />
Vertreter, matrosen oder männer, die<br />
monatelang auf einer Bohrinsel arbeiten.<br />
Und der Schriftstellerberuf ist<br />
auch so einer. im Grunde arbeite ich<br />
auf einer Bohrinsel. ich habe Vor trags -<br />
reisen, oder ich muss eine Zeit lang wo<br />
anderes leben, weil ich recherchiere.<br />
„Die Vertreibung aus der Hölle“<br />
spielt teilweise in Amsterdam, teilweise<br />
in Lissabon und ich musste in<br />
beiden Städten eine Zeit lang leben,<br />
um dort in Archive zu gehen und die<br />
Stadt kennen zu lernen. So einen Ro -<br />
man kann man nicht zuhause in Wien<br />
schreiben, mit einem Reiseführer am<br />
Schreibtisch, und am Abend sitzt man<br />
mit der Familie beim Abendessen und<br />
erzählt, was man erlebt hat. Das Pro -<br />
blem ist nicht die Trennung, sondern<br />
wie man damit umgeht, ob die Fa mi lie<br />
das akzeptiert und versteht oder nicht.<br />
ich habe die These, nein, die Er fah -<br />
rung, dass Trennungen, kurzfristige<br />
Trennungen geradezu die Vorausset -<br />
zung dafür sind, dass man mit jemandem<br />
gerne zusammen ist und bleibt.<br />
ich glaube, dass die Ehen heute, wenn<br />
sie überhaupt funktionieren, nur mit<br />
großen Freiräumen funktionieren<br />
kön nen. Wenn man zu sehr aneinander<br />
klebt, führt das irgendwann zu großen<br />
Aggressionen, zum Gefühl, in einem<br />
verrostenden Käfig zu leben. in meiner<br />
Generation sind alle meine Freun de<br />
geschieden.<br />
Sie haben schon viele Erfahrungen ge -<br />
macht, schreiben über Frauen, über<br />
Erotik. Wo finden Sie Inspiration und<br />
Herausforderungen im täglichen Leben?<br />
Bei allem was ich schreibe, Romane,<br />
Essays oder Theaterstücke, versuche<br />
ich immer zu verstehen, wie eine Ge -<br />
sell schaft in meiner Lebenszeit funktioniert,<br />
das heißt, ich versuche mich<br />
in meiner Zeitgenossenschaft zu über -<br />
prüfen. Jede Epoche hat eine fixe idee,<br />
darüber definiert sie sich. Wenn sich<br />
die fixe idee ändert, hat man eine neue<br />
Epoche. Die Zeit unserer Großeltern<br />
war besessen von der idee nationaler<br />
© Ida Labudovic<br />
identität und Größe. Die Elterngene -<br />
ra tion hatte die fixe idee von Un schuld,<br />
von unschuldigem Wohlstand! meine<br />
Generation hatte die fixe idee, alles<br />
zu befreien. Alles musste befreit werden,<br />
auch die Sexualität. Durch die<br />
Enttabuisierung der Sexualität sollte<br />
ein Freiraum geschaffen werden, der<br />
die allgemeine Befreiung befördern<br />
konnte. Da konnten ein junger mann<br />
und eine junge Frau nicht miteinander<br />
ins Bett gehen, ohne gleich die sexuelle<br />
Revolution zu machen. Sie haben sich<br />
nicht einfach geliebt, sie haben die Se -<br />
xu alität befreit. Wie lächerlich das heu -<br />
te klingt! Das zeigt, die Zeit ist vorbei.<br />
in meinem letzten Roman, wo es um<br />
Lie be und Sexualität geht, habe ich<br />
nicht versucht, einen neuen Liebesro -<br />
man zu schreiben, sondern mich ge -<br />
fragt: Was ist da passiert und was ist<br />
daraus geworden, dass die Liebe und<br />
die Sexualität eine Zeit lang im mit -<br />
telpunkt des gesellschaftlichen inter -<br />
es ses standen wie nie zuvor in der Ge -<br />
schichte? Die menschen lieben jetzt<br />
anders <strong>als</strong> vorher, die Erwartungen<br />
sind andere, die Hoffnungen, die Vor -<br />
stel lungen, wie es sein soll, sind an -<br />
dere, die Enttäuschungen sind größere<br />
und gleichzeitig hat diese Entta bui -<br />
sie rung dazu geführt, dass eben Se xu -<br />
alität oder sexuelle Reize plötzlich allgegenwärtig<br />
geworden sind. Was<br />
heute an Werbung mit diesen sexuellen<br />
und erotischen Signalen möglich ist,<br />
war vor fünfzig Jahren undenkbar.<br />
Was macht das mit den menschen, wie<br />
verändert das die Köpfe, wie verändert<br />
das die Gefühle, wie verändert<br />
das die Geschlechtswerkzeuge? Des -<br />
we gen ist das kein Liebesroman, sondern<br />
ein kleiner Epochenroman. Die se<br />
fixe idee von sexueller Befreiung exis -<br />
40 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
tiert nicht mehr. Die fixe idee heute ist<br />
Sicherheit, die menschen sind heu te<br />
bereit, Freiheit zu Gunsten von Si cher -<br />
heit aufzugeben. Also haben wir eine<br />
neue Epoche und wenn eine Epoche zu<br />
Ende ist, kann man von ihr erzählen.<br />
Eine Szene mit Chili in „Don Juan de la<br />
Mancha“ hat heftige Reaktionen in den<br />
Medien ausgelöst. Leben wir eigentlich<br />
in einer scharfen Gesellschaft und<br />
warum ist sie scharf?<br />
Scharf ist in der heutigen Gesell -<br />
schaft eigentlich nur der Überlebenskampf,<br />
sowohl der der Konzerne <strong>als</strong><br />
auch der jedes einzelnen. Ein brutaler<br />
Kampf, der mit aller Schärfe geführt<br />
wird. Aber in der gesellschaftlichen<br />
Selbstdarstellung wird so getan, <strong>als</strong><br />
wäre es die schiere Lust, zu leben und<br />
zu konsumieren. Die ökonomischen<br />
Zwänge werden hinter allgegenwärtigen<br />
erotischen und sexuellen Reizen<br />
versteckt. Als wären die Zerschla gung<br />
des Sozi<strong>als</strong>taats, das Zerreißen sozialer<br />
netze, das Öffnen der Schere zwischen<br />
Arm und Reich, die Verteilungsunge -<br />
rechtigkeit einfach nur sexy. Und<br />
jeder, der sich da im Überlebenskampf<br />
abstrudelt, glaubt, dass nur<br />
mit ihm allein etwas nicht stimmt.<br />
Sie provozieren sehr viel, besonders wenn<br />
Sie es mit Autoritäten zu tun haben, Sie<br />
widersetzen sich dagegen. Manchmal<br />
habe ich das Gefühl, dass Sie verbittert<br />
und sehr für Gerechtigkeit sind. Woher<br />
kommt das und ist das wirklich ihr<br />
Temperament oder nur Ihr Image?<br />
Das ist keine Entscheidung die man<br />
trifft, aber ein bisschen schon auch.<br />
meine Eltern haben sich scheiden lassen,<br />
<strong>als</strong> ich ein Kind war, und schon<br />
mit sechs Jahren bin ich ins internat<br />
gekommen. Von meinem sechsten bis<br />
zum achtzehnten Lebensjahr bin ich in<br />
einer geschlossenen Anstalt gewesen,<br />
die noch dazu sehr autoritär war. Als<br />
ich raus gekommen bin, war ich ein<br />
voll kommen verschüchterter, ängstli -<br />
cher junger mensch. ich kam auf die<br />
Uni und hinein in diese Freiheitsbe we -<br />
gung nach Achtundsechzig. mich hat<br />
das fasziniert, dieses Rotzige, An ti au to -<br />
ritäre mit dem Anspruch auf Selbst be -<br />
stimmtheit. Und ich habe mir ge dacht,<br />
ja, so will ich sein, ich will nie wieder<br />
kuschen, mich ducken und buc keln,<br />
mich klein machen. in die Schule<br />
muss te ich gehen, aber an die Uni ver -<br />
Die internationale j dische<br />
EHE-PARTNER-VERMITTLUNG<br />
Weber Jos<br />
PF 180182<br />
D-60082 Frankfurt a.M.<br />
Telefon +49/69-597 34 57<br />
+49/17/267 14940<br />
Fax +49/69-55 75 95<br />
eMail: weber@simantov.de<br />
www.simantov.de<br />
si tät konn te ich frei gehen. ich habe<br />
diese Freiheit genossen und die Chan -<br />
cen, die wir dam<strong>als</strong> hatten: Selbst be -<br />
stimmt zu lernen. Die Universität in<br />
den 70er-Jahren war ein historisches<br />
Fenster, durch das wir die schönsten<br />
Aussichten hatten. Die Universität war<br />
nicht mehr autoritär und noch nicht<br />
verschult. Und sie war bewegt von<br />
der idee der Chancengleichheit und<br />
sozialer Gerechtigkeit. ich finde Un -<br />
ge rechtigkeit wirklich schwer zu er tra -<br />
gen und kann da wirklich wütend<br />
werden. Umgekehrt ist diese Wut ganz<br />
nahe an der Liebessehnsucht. im Grun -<br />
de will man lieben und geliebt werden.<br />
Tag der offenen Tür im S.C.HAKOAH<br />
Karl Haber Sport & Freizeitzentrum<br />
21. September von 11.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eingang: 1020 Wien, Wehlistraße 326<br />
Ein Ort zum Wohlfühlen<br />
An einem heißen Sommertag ist ein erfrischendes Bad im Pool genau das Richtige! Die weitläufige<br />
Rasenfläche und die Terrasse des Restaurants laden ein, hier so richtig zu entspannen.<br />
Auf den Tennisplätzen wird bereits eifrig gespielt, ein Multifunktionsplatz und ein<br />
Beachvolleyballplatz laden zum Sport ein.<br />
Im Innenbereich steht neben dem Fitnesscenter und dem Wellnessbereich die 3-Fachsporthalle für<br />
beinahe alle Indoor-Sportaktivitäten zur Verfü gung. Da ist für jeden etwas dabei.<br />
Spaß für die ganze Familie, ein Ort der Begegnung.<br />
Alle HAKOAH Sektionen stellen sich am Tag der offenen Tür im Sportzentrum vor – Basketball,<br />
Boxen, Judo, Karate, Ringen, Schwimmen, Tennis und Tischtennis.<br />
Lustige Mitmach-Aktionen, jede Menge Spaß für Kids, alle sind willkommen!<br />
Für beste Verpflegung sorgt das Restaurant HAKOAH-Simchas.<br />
An diesem Tag werden auch die Mesusot im Sport zentrum angebracht. Spenden Sie dafür Ihre<br />
ganz persönliche Mesusa! Sie können Ihre Spende direkt über unser Spendenportal abgeben:<br />
http://www.hakoah.at/shop.asp<br />
Wir freuen uns ganz besonders auf Ihr Kommen!<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 41
Atid statt Austritt<br />
lautet das neue Motto der<br />
Jüdischen Gemeinde in Berlin<br />
Von Marta S. Halpert<br />
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Die schicken Lokale in der sonnigen<br />
Oranienburgstrasse sind noch fest<br />
ver schlossen, die Stühle und Bänke<br />
sicher mit den Tischbeinen verkettet.<br />
Um zehn Uhr Vormittag schlafen<br />
noch jene Lebenskünstler, die hier die<br />
halbe nacht verbracht haben. Doch<br />
gleich neben dem „Restaurant Silber -<br />
stein“ stehen schon menschen schlan -<br />
gen. Sie warten in bunter Frei zeit klei -<br />
dung geduldig auf den Ein tritt ins<br />
Centrum Judaicum der neuen Syna -<br />
go ge Berlin, Oranien burg.<br />
Drei Aus stel lun gen kön nen sie in<br />
im Sommer <strong>2008</strong> in der 1866 von<br />
Architekt Eduard Knoblauch (1801-<br />
1865) erbauten Ora nien burg-Sy na go ge<br />
besuchen: „Tuet auf die Pfor ten“<br />
nennt sich die ständige Aus stellung,<br />
die einen Überblick über die reiche<br />
jüdische Geschichte Berlins im ausgehenden<br />
19. und 20. Jahrhundert bis<br />
zur Shoah ermöglicht. Obwohl sehr<br />
wenige Ob jekte aus der ursprüngli -<br />
chen Synago ge gerettet werden konnten,<br />
gibt es viele Dokumente und Fo -<br />
tos, die das blühende Gemein de le ben<br />
von dam<strong>als</strong> do kumentieren. 3.200 Sit -<br />
ze hatte die Sy nagoge, die dem Stil<br />
der Alhambra in Granada, Spanien,<br />
nachempfunden ist: Die drei unterschiedlich<br />
ho hen vergoldeten Zwie bel -<br />
türme überragen mit einer Höhe von<br />
50 meter die Ge bäu de des gesamten<br />
Bezirkes. in der no vem ber pogro m -<br />
nacht von 1938 blieb das Got teshaus<br />
verschont, doch Bom ben tref fer während<br />
des Zweiten Welt kriegs zerstörten<br />
das innere des Bau werks. Erst<br />
1995 wurden die zwei Haupt fassaden<br />
zur Strasse renoviert und ein Teil des<br />
Gebäudes zu einem Kul turzentrum<br />
mit reichlich Ausstel lungs fläche ausgebaut.<br />
Der Fußball-Euro 08 wurde mit ei -<br />
nem Rückblick auf die Erfolge der be -<br />
rühm ten deutsch-jüdischen Sportler<br />
Reverenz erwiesen. Und ähnlich wie in<br />
der Wiener Staats oper zeigte man im<br />
Centrum Judaicum und in der Deut -<br />
schen Staatsoper die Schau „Ver -<br />
stumm te Stim men – Die Vertreibung<br />
der ‚Juden’ aus der Oper 1933-1945“.<br />
Berlin <strong>als</strong> Magnet<br />
im neuen Teil dieses Kom plexes sind<br />
die Büros der Jü di schen Gemeinde un -<br />
ter ge bracht. Michael Ger shom Joachim<br />
(64), Vorsitzender der Reprä sen tan ten -<br />
ver sammlung der Jüdi schen Ge mein de<br />
zu Berlin, empfängt uns hier zum Ge -<br />
spräch. „Man muss einen Aus flug in die<br />
Geschichte machen, ob wohl ich nicht bei<br />
1671 anfangen will“, lacht der ehemalige<br />
Rektor einer Grund schu le in Ber -<br />
lin-Zehlendorf. Er wird uns Ak tu elles<br />
über die Gemeindear beit er zäh len,<br />
aber „dass die ersten 50 Grün dungs -<br />
familien aus Österreich hier in Preußen<br />
Die orthodoxe Synagoge amFraenkelufer<br />
© Aechiv<br />
© Aechiv<br />
aufgenommen wurden“, findet er schon<br />
er wähnens wert. Sie mussten zwar<br />
dem Berliner Kurfürsten für die An -<br />
siedlung erhebliche Summen zahlen,<br />
aber erreichten bald eine relative Au to -<br />
nomie.<br />
Berlin wurde daraufhin zum mag -<br />
net, sodass mit der Zeit 175.000 Juden<br />
in den Wohnbereichen Charlot ten burg,<br />
Prenzlauerberg, Kreuzberg und im<br />
Scheunenviertel, entlang des Kan<strong>als</strong>, an -<br />
sässig wurden. Zwischen 1880 und<br />
1930 wurde das Scheunenviertel (be -<br />
nannt nach den einfachen Pferde stal -<br />
lungen) das Zuzugsgebiet für Juden<br />
aus Westrussland und Polen, die groß -<br />
teils orthodoxe kleine Händler und<br />
Bett ler waren. Erst ab 1913/14 entstan -<br />
den am Kanal feste kleine Häuser mit<br />
erfolgreichen Geschäftsleuten. „Al lein<br />
in Kreuzberg gab es einen Tempel mit 2.000<br />
Sitzen. Mehr <strong>als</strong> 40 Synagogen wurden in<br />
der Pogromnacht geschändet und abgeris -<br />
sen“, so Joachim.<br />
Joachim: „Unseren Stall<br />
in Ordnung bringen“<br />
michael Joachim ist seit über vier Jah -<br />
ren Gabbaj in der Synagoge Fraen kel -<br />
42 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
ufer und seit Frühjahr 2004 mitglied<br />
im Kultus- und Schulausschuss der<br />
Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Seine<br />
40-jährige Erfahrung im Berliner<br />
Schul dienst mag seine guten nerven<br />
er klären: Denn er gehört zu jener<br />
neuen Grup pierung ATiD (Zu kunft),<br />
die in der seit vielen Jahren zerstrittenen<br />
jü dischen Ge mein de Berlins auf<br />
einen neuan fang setzen. „Entweder<br />
wir schaf fen es noch einmal, oder diese<br />
Ein heitsgemeinde bricht we gen weiterer<br />
Aus tritte ausein ander“, ist der verheiratete<br />
Vater eines er wach se nen Soh nes<br />
über zeugt. mit rund 12.000 mitglie dern<br />
ist die Ber liner Gemeinde die größte<br />
in Deutschland. im ganzen Land<br />
leben heu te 110.000 Juden.<br />
im november 2007 begannen mit<br />
dem Slogan „Atid statt Austritt“ die<br />
Bemühungen der Gruppe um Lala<br />
Süss kind, der langjährigen Vorsitzen -<br />
den der WiZO, zum Erhalt der Ein -<br />
heits gemeinde und der Überwindung<br />
der Grabenkämpfe. „Überraschenderweise<br />
gingen wir aus der Wahl <strong>als</strong> klarer<br />
Sieger hervor. Wir haben jetzt 13 von<br />
insge samt 21 Sitzen und Frau Süsskind<br />
ist die neue Vorsitzende.“<br />
Auch bei der Ursachenfor schung<br />
nach den Querelen in der Gemeinde,<br />
macht Joachim, ein ruhiger und be -<br />
son nener Freund der musik und des<br />
Sports, einen Exkurs in die Vergan gen -<br />
heit: „Mitte der 70er Jahre gab es eine Zu -<br />
wande rungs welle aus der Sowjetu nion, die<br />
einen positiven Aufschwung brachte, die<br />
Mitgliederzahl stieg von 33.000 auf<br />
110.000. Doch Anfang der 90er Jahre ka -<br />
men auch viele ältere Personen, darunter<br />
hoch qualifizierte Wissen schafter und et li -<br />
che Musiker. Die konnten leider nicht Fuß<br />
fassen, weil es keinen Bedarf gab.“ Joa -<br />
chim nimmt an, dass etliche der Zu -<br />
wan derer vorher in diversen ‚Funk -<br />
tio närs stellungen’ im Sowjetreich tä tig<br />
waren. „Irgendwie witterten die hier Mor -<br />
genluft. Ihr klassischer Ausspruch lautete:<br />
‚Jetzt sind wir mal dran’. Sie drängten an<br />
die Fleischtöpfe Ägyptens: Sie brachten<br />
diese Mentalität ein, dass die Geldflüsse<br />
jetzt umverteilt werden müssten. Diese<br />
Gruppe wählte vorrangig nur ihre Leute<br />
und kochte ihr eigenes Süppchen.“<br />
Verschlechtert hat sich besonders das<br />
Verhältnis zu den Behörden, Verein -<br />
ba rungen mit Politikern wurden nicht<br />
eingehalten. „Es brach eine richtige Eis -<br />
zeit aus“, bedauert Joachim rückblikkend.<br />
„Das war eine Situation, wo viele<br />
potente Steuerzahler aus dem gutbürgerlichen<br />
Berliner Milieu das Gefühl hatten,<br />
die Gemeinde verkomme zu einem russischen<br />
Folkloreverein.“ Streitereien und<br />
Chaos im Vorstand waren die Folge.<br />
Die Spaltung der Gemeinde, die schon<br />
zu 80% aus Zuwanderern aus ehemaligen<br />
GUS-Staaten besteht, droh te.<br />
Prominente Juden wie der His toriker<br />
Ju lius H. Schoeps hatten der Ge mein de<br />
schon den Rücken ge kehrt.<br />
Studie bestätigt neuen<br />
Antisemitismus<br />
„Uns ist es mit dem Team um Frau Süss -<br />
kind gelungen, in 120 Tage die Türen zu<br />
den politischen Parteien, dem Berliner<br />
Senat wieder zu öffnen. In kürzester Zeit<br />
wurden wir wieder zu Gesprächen eingeladen“,<br />
freut sich Joachim. Atid hat<br />
jetzt die gestaltende mehrheit, musste<br />
aber mit einem desaströsen Defizit <strong>als</strong><br />
Altlast in den neustart gehen. Das<br />
Schulgeld für über 800 Schüler muss te<br />
erhöht werden, der Schulbus trans port<br />
konnte nicht mehr subventioniert<br />
werden. Auch immobilien, die an die<br />
Gemeinde restituiert wurden, sind in<br />
schlechtem Zustand und daher nur<br />
ei ne Belastung, derer man sich entledi -<br />
gen will. „Erst wenn wir unseren Stall<br />
selbst in Ordnung bringen, bestätigte mir<br />
auch Oberbürgermeister Klaus Wowereit,<br />
können wir mit öffentlicher Unter stüt zung<br />
rechnen.“ Und darauf kann man hier<br />
nicht verzichten: Um die acht Syna -<br />
go gen, vier Friedhöfe, die Altenbe treu -<br />
ung und vieles Andere bewältigen zu<br />
können, verfügt die Gemeinde nur<br />
über eine million Euro Steuerauf kom -<br />
men pro Jahr. Weitere 25 mio Euro<br />
kom men vom Land Berlin, das sich da -<br />
zu über Staatsverträge verpflichtet hat.<br />
„Politisch werden wir gehegt und ge -<br />
pflegt, aber in der Gesellschaft haben wir<br />
große Probleme mit einem neuen Antise -<br />
mi tismus, der sich unter dem Deckmantel<br />
des Antizionismus verbirgt,“ zeigt sich<br />
Joachim besorgt. Er zitiert eine neue<br />
Studie der Fried rich Ebert-Stiftung,<br />
wo nach 25% der Bevölkerung <strong>als</strong> er -<br />
klärt ausländerfeindlich, antizionis -<br />
tisch und antisemitisch eingestuft<br />
werden.<br />
ist das der Antizionismus ausschließ -<br />
lich von Links? „Nein, das kann man so<br />
nicht sagen. Georg Gysi von der „Lin ken“<br />
hat erst jüngst eine Erklärung zu Israel<br />
abgegeben, da ist uns vor Stau nen der<br />
Atem weggeblieben. Er hat nicht nur das<br />
Existenzrecht Israels, sondern dessen<br />
Pflicht zur Selbstverteidigung von Staat<br />
und Menschen hervor gestrichen.“ Wo -<br />
rauf ist dieser Wandel zurückzuführen?<br />
Joachim ist überzeugt, dass die<br />
Einsicht mit der großen Bedro hung<br />
israels durch den iran und die Hamas<br />
zusammenhängt und diesen Paradig -<br />
menwechsel verursacht hat. „Sie sehen<br />
ihre eigenen Neonazis und wol len deren<br />
schlimmen Argumente nicht noch unterfuttern.“<br />
michael Joachim ist gebürtiger Ber -<br />
li ner, er hofft, dass er mit seinem En -<br />
gagement für die Gemeinde den richtigen<br />
Schritt gesetzt hat. „ Ich hoffe,<br />
dass wir <strong>als</strong> Gruppe zusammenbleiben und<br />
die Geschicke in Berlin wieder so auf den<br />
Weg bringen, wie es diese Gemeinde verdient.<br />
Wir haben sehr wertvolle Mit glie -<br />
der aus allen beruflichen, sozialen und<br />
gesellschaftlichen Schichten. Das ist eine<br />
Bereicherung für die Berliner.<br />
© Aechiv<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 43
KULTUR •<br />
Panorama<br />
Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />
Quelle: JTA/Guysen u.a.; Übersetzung: Karin Fasching/Foto:©JTA u.a.<br />
die Plakatierung im freien<br />
des neuen “Sex and the City-Films”<br />
wur de in Jerusalem und Petah Tikva<br />
wegen des Wortes „Sex“ auf den Pla -<br />
katen verboten. Der Filmverleih, Fo -<br />
rum Films, sagte dazu: „Wir finden es<br />
lächerlich, eine Mar ke zu bewerben, ohne<br />
sie beim Namen nennen zu dürfen.“<br />
israelische historiker<br />
haben sich mit ihren europäischen<br />
Kollegen zusam mengeschlossen, um<br />
in Albanien zu erforschen, wie das<br />
Land während der Schoa seine Juden<br />
gerettet hat. Un gefähr 1.200 Juden<br />
wurden von albanischen Familien ver -<br />
steckt, wo durch dies die einzige Ge -<br />
meinde im besetzten Europa war, die<br />
während des Krieges gewachsen ist.<br />
ein einzigartiges Konzert<br />
zu Ehren des 60. Jahrestages der<br />
Gründung is ra els wird im September<br />
in Jerusalem stattfinden. Bei „Violinen<br />
der Hoff nung“ werden Orchester aus<br />
istanbul und Raanana, dirigiert von<br />
Shlomo mintz, mitwirken. Bei dem<br />
Konzert wird auch auf einigen restaurierten<br />
Vio linen, die in befreiten Kon -<br />
zen tra tionslagern und Ghettos gefunden<br />
wurden, gespielt werden. Der Er -<br />
lös wird für soziale und humanitäre<br />
Pro jekte in israel gespendet werden.<br />
650.000 israelis im ausland<br />
Von den 650.000 israelis, die im Aus -<br />
land leben, sind ein Viertel mit nicht -<br />
juden verheiratet. 73% der Diaspo -<br />
rajuden gehören keiner Synagoge an<br />
und 88% von ihnen sprechen nur noch<br />
selten Hebräisch. nun startet is rael<br />
ein 140 mio. niS teures Programm,<br />
um sie nach israel zurückzulocken.<br />
fast jeder zehnte israeli ist<br />
Vegetarier.<br />
in israel wird im Vergleich zu anderen<br />
westlichen Ländern eher wenig Fleisch<br />
konsumiert. Einer Studie des israelischen<br />
Gesundheitsministeriums zu fol -<br />
ge bezeichnen sich 8.5% aller israelis<br />
<strong>als</strong> Vegetarier oder Veganer. Dabei liegt<br />
der Anteil bei Frauen mit 9.8% höher<br />
<strong>als</strong> bei männern (7.2%). Die größte<br />
Vegetarierrate findet man bei jüdischen<br />
Frauen der Altersgruppe 35-54<br />
(12.7%), die niedrigste bei gleichaltrigen<br />
arabischen männern (1.6%).<br />
Anders <strong>als</strong> in israel sind in den USA<br />
nur 2.5% der erwachsenen Bevölke -<br />
rung Vegetarier. in Kanada sind es 4%<br />
und in Großbritannien 7.6%.<br />
nach Angaben des Wirtschaftsinforma<br />
tionsunternehmens Dun & Brad -<br />
street werden in israel jährlich durchschnittlich<br />
72 Kilogramm Fleisch pro<br />
Kopf verzehrt. in Frankreich sind es<br />
84.4, in Argentinien 88.5 und in den<br />
USA gar 97.8 Kg. Dabei liegt der<br />
Hauptunterschied hinsichtlich des<br />
Fleischkonsums zwischen israel und<br />
anderen Ländern vor allem in den An -<br />
teilen des Verbrauchs von Rind fleisch,<br />
Geflügel und Fisch. So bestehen 78%<br />
des in israel konsumierten Fleisches<br />
aus Geflügel.<br />
„samengesetz“ soll ordnung schaffen<br />
Der Knesset ist eine neue Gesetzes ini -<br />
tiative vorgelegt worden, die in al len<br />
Belangen, die mit Samenspenden in<br />
israel zusammenhängen, Ordnung<br />
schaf fen will. Ziel der initiative ist es,<br />
die Pro ze duren von Samenbanken in<br />
israel rechtlich zu verankern. So soll<br />
nun ein landes weites Register in allen<br />
is ra elischen Sa men bänken an gelegt<br />
werden, um somit die Samen vorräte<br />
für die po tentiellen Eltern zu er wei tern<br />
und zu beobachten. Samen spen der<br />
sollen in Zukunft ge nauer überprüft<br />
werden und dafür eine mindest sum -<br />
me von 750 Shekel für jede Spende<br />
erhalten. Außerdem will der Geset -<br />
zes vorschlag eine Ant wort für die<br />
zahl reichen Proble me bieten, die sich<br />
im Zusammenhang mit Samen spe -<br />
nden aus dem jüdischen Reli gi ons ge -<br />
setz (Halacha) ergeben.<br />
Kreativer schrecken gegen alkohol<br />
am steuer<br />
Eine leere Todesanzeige mit dem Ve r -<br />
merk „Das könnte ihr Platz sein“, ist<br />
der Start einer von der Werbeagen tur<br />
mcCann Erickson geführten Kam pa -<br />
gne in israel gegen Alkohol am Steuer.<br />
10.000 sportler aus der ganzen welt<br />
kommen im Sommer 2009 zur 18. mak -<br />
kabiade nach israel. Präsident Shi mon<br />
Peres rief „Das Jahr der Makkabiade“<br />
aus (http://www.maccabiah.com).<br />
Die makkabiade ist die drittgrößte<br />
Sportveranstaltung der Welt, jüdische<br />
Sportler aus über 60 Ländern nehmen<br />
daran teil.<br />
rechtzeitig zur olympiade<br />
veröffentlicht die Jerusalem Post eine<br />
Liste der 20 größten jüdischen Sport ler<br />
aller Zeiten. http://www.haaretz.com/<br />
hasen/spages/ 1009151.html<br />
geldgeschenkeautomat für<br />
hochzeiten<br />
Hochzeitspaare in israel können sich<br />
jetzt für ihre Feier einen Automaten<br />
mieten, an dem Gäste ihre Geldge -<br />
schen ke per Kreditkarte überweisen<br />
können. Auf israelischen Hochzeiten<br />
- bei denen nicht selten mehr <strong>als</strong> 500<br />
Gäste zugegen sind - ist es üblich,<br />
dass Be sucher einen Scheck oder<br />
Bargeld in einen entsprechenden Kas -<br />
ten oder Safe im Eingangsbereich der<br />
Hoch zeits halle einwerfen. Jetzt be steht<br />
jedoch auch die möglichkeit, ein Zahl -<br />
gerät für ca. US$ 155 zu mieten. Gäste<br />
können dort ihren Wunschbetrag<br />
durch Kre dit karte von ihrem Konto<br />
abbuchen lassen. Der Automat druckt<br />
dann einen Beleg mit dem namen des<br />
Gastes aus. Dieser kann zusammen<br />
mit einer Glückwunschkarte in einen<br />
Schlitz in dem Autotomaten eingeworfen<br />
werden.<br />
44 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
KULTUR • LITERATUR<br />
aufgeblättert...<br />
von michaela Lehner<br />
mit freundlicher Unterstützung von IKG-Linz<br />
Kein guter Platz für die Nacht<br />
Erinnerung und Vergessen, Entfrem -<br />
dung und Sehnsucht nach Zugehö rig -<br />
keit sind die großen Themen der re -<br />
nommierten, 1948 <strong>als</strong> Tochter polnischjüdischer<br />
Shoahüberlebender in mün -<br />
chen geborenen israelischen Schrift -<br />
stel lerin Savyon Liebrecht, deren zahlreiche<br />
Romane, Erzählungen und The -<br />
a terstücke weniger die Frage isra e li -<br />
scher identität <strong>als</strong> vielmehr die Zer stö -<br />
rung menschlicher identität in der<br />
Shoah, die transgenerationale Trans -<br />
mit tierung dieser Traumatisierung<br />
und die destruktiven Auswirkungen<br />
der politischen Katastrophen des 20.<br />
Jahrhunderts auf das Familiäre und<br />
Private verhandeln. Kein kollektives,<br />
sondern ein privates, individuelles<br />
Trau ma bildet jetzt den Ausgangs -<br />
punkt für die im von Vera Loos und<br />
naomi nir-Bleimling ins Deutsche<br />
übersetzten Roman, Die Frauen meines<br />
Vaters, vereinten vielschichtigen, einander<br />
reflektierenden Diskurse über<br />
die Rekonstruktion der Vergangen heit,<br />
das Erzählen und die Relevanz des<br />
nar rativen für Erinnerung, Bedeu tung<br />
und identität. „In den Jahren, in denen<br />
sein Vater tot gewesen war, waren Meirs<br />
Erinnerungen an die sieben Jahre seiner<br />
Kindheit ebenfalls begraben gewesen, vor<br />
allem an die fünf Monate, in denen sie bei<br />
den Geliebten des Vaters gewohnt hatten.“<br />
Sieben Jahre war meir alt, <strong>als</strong> er von<br />
Tel Aviv zu seiner mutter allein nach<br />
Connecticut geschickt wurde, mit<br />
nichts <strong>als</strong> einem Schulranzen und Bil -<br />
dern von Blut, Schreien und Polizis ten,<br />
mehr <strong>als</strong> dreizehn Jahre später eröffnet<br />
nun die mutter ihrem inzwischen<br />
<strong>als</strong> Autor mäßig erfolgreichen, an ei -<br />
ner Schreibblockade laborierenden<br />
Sohn, daß der tot geglaubte Vater lebe<br />
und tot krank seinen Sohn noch einmal<br />
sehen wolle. Diese unerwartete Wie -<br />
der auferstehung des Vaters evoziert<br />
in meir, dem personalen Erzähler des<br />
Romans, ein Kaleidoskop von Frag -<br />
men ten, Stimmen, Gerüchen und Bil -<br />
dern aus seiner Kindheit in Tel Aviv,<br />
der Wohnung der Eltern, ihrem Streit,<br />
die monate der Obdachlosigkeit mit<br />
seinem Vater, die nächte und manchmal<br />
Tage auf den unzähligen Sofas<br />
und Klappbetten bei dessen Frauen -<br />
be kanntschaften, den Hunger, das<br />
stundenlange Warten auf den Vater<br />
vor nächtlichen Cafés, die Flucht vor<br />
der Polizei, den Keller des Shoah -<br />
über lebenden Berl, in dem zwischen<br />
Sperrmüll noch immer die Gestapo<br />
haust. Einem Archäologen gleich legt<br />
Savyon Liebrecht Schicht um Schicht<br />
der verlorenen, verdrängten Kindheit<br />
meirs frei, seine Ressentiments nicht<br />
nur gegen den verantwortungslosen<br />
Vater, sondern auch gegen eine dis tan -<br />
zierte, an Depressionen leidende mut -<br />
ter, von der er sich verlassen fühlte,<br />
die Erfahrung kindlicher Destabilisie -<br />
rung, die in der emotionalen isolation<br />
des Erwachsenen fortwirkt, der sich<br />
dem eigenen Leiden nicht stellen, nur<br />
über das Leiden der anderen schreiben<br />
kann, bis hin zum fundamentalen<br />
Trauma. Zugleich ist dies eine kathartische<br />
Konfrontation mit der eigenen<br />
Vergangenheit, die am Ende seiner exis -<br />
tentiellen Krise und Erkenntnis meir<br />
zu einem tatsächlichen Schriftsteller<br />
werden lassen. Der Absolventin eines<br />
Philosophiestudiums, Savyon Lieb -<br />
recht, gelingt so ein auf vielfältigen<br />
Erzählebenen narrativierter, analytischer<br />
Roman präziser Sprache über die<br />
stete Präsenz der Vergangenheit, ihre<br />
Bedeutung für die Gegenwart und<br />
menschliche identität, der <strong>als</strong> motto<br />
das alte Kant’sche „sapere aude“ („wa -<br />
ge es zu wissen“) ver -<br />
dient hätte.<br />
Savyon Liebrecht:<br />
Die Frauen meines Vaters.<br />
Übers. v. Vera Loos u. Naomi<br />
Nir-Bleimling.<br />
München: Deutscher Taschenbuch<br />
Verlag <strong>2008</strong> (= dtv premium 24626)<br />
Gedanken an Dich - liebe Michaela!<br />
Sie ist nun frei und unsere Tränen<br />
wünschen ihr Glück.- Joh. Wolfgang v. Goethe<br />
Es ist schwer zu ertragen, dass auf dieser Seite - die Deine Seite war - niem<strong>als</strong> wieder ein Beitrag von<br />
Dir stehen wird.<br />
Was waren Deine Träume? Was Deine Hoffnungen?<br />
Welche starke Macht war es, die Dich daran hinderte, Deine Familie und Deine Freunde an Deiner<br />
Begabung, Deinem Wissen und Deinem ruhigen besonnenen Wesen noch viele Jahre teilhaben zu lassen?<br />
Unvorbereitet und erschüttert müssen wir Deinen Tod zur Kenntnis nehmen und mit unserer unbeschreiblichen<br />
Traurigkeit fertig werden.<br />
In Dankbarkeit, Dich gekannt zu haben, gehört unsere Anteilnahme Deiner Familie<br />
Deine „Gemeinde“-Redaktion<br />
Ida, Inge, Irene, Karin, Manuela und Sonia<br />
KULTUR<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 45
Niem<strong>als</strong><br />
vergessen<br />
Aufklärer und Mah ner:<br />
Als 14-jähriger wurde<br />
Rudi Gelbard aus dem<br />
KZ There si en stadt be -<br />
freit, sein Leben hat er<br />
dem Kampf gegen Fa -<br />
schismus und Antise mi -<br />
tis mus gewidmet.<br />
Viele Preise hat der<br />
über zeugte Soziald e mo -<br />
krat inzwischen be kom -<br />
men, nun wurde ei ner<br />
nach ihm be nannt.<br />
von Alexis Weiss<br />
Es war eine bewegende Feier, <strong>als</strong> der<br />
„Republikanische Club – neues Ös ter -<br />
reich“ im Juli den neu geschaffenen<br />
„Rudolf Gelbard Preis für Aufklä rung<br />
ge gen Faschismus und Antisemitismus“<br />
im Palais Epstein an den ersten Preis -<br />
träger, den namensgeber Rudi Gel -<br />
bard übergab. „Der Judenbub, der Dir<br />
noch in den Knochen steckt, der aus Dei -<br />
nen Augen blitzt, erinnert sich. Da ist eine<br />
Grenze zwischen Demokratie und Na zis -<br />
mus. Es ist dies, du bezeugst es, eine Gren -<br />
ze zwischen Leben und Tod, eine Grenze<br />
auf Leben und Tod. Diese Grenze verteidigst<br />
du seit deiner Befreiung. Die se Gren -<br />
ze gilt es, nicht zu verwischen. Einen<br />
Preis nach Dir zu benennen, heißt diese<br />
Grenze wahren zu wollen“, sagte Lau -<br />
dator Doron Rabinovici.<br />
„Ich nehme diesen Preis stellvertretend<br />
für viele aktive Antifaschisten in Demut<br />
an“, sagte Gelbard am Ende seiner<br />
Dan kesrede, in deren mittel punkt er<br />
zuvor prominente verstorbene Kämp -<br />
fer gegen Faschismus gestellt hatte,<br />
allesamt wie er ehemalige KZ-Häft -<br />
lin ge: Rosa Jochmann und Hermann<br />
Langbein, Simon Wiesenthal und Le -<br />
on Zelman, Ella Lingens und Viktor<br />
matejka. Rosa Jochmann habe einmal<br />
gesagt, „wir, die wir aus den Konzen tra -<br />
tionsl agern zurückgekommen sind, wir<br />
sind keine freien Menschen. Die Gnade<br />
des Vergessens ist keinem be schieden, der<br />
in einem Konzentra tionslager war“.<br />
Gegen das Vergessen tritt nun auch<br />
der „Republikanische Club – neues<br />
Österreich“ mit dem Rudolf Gelbard-<br />
Preis auf, der mit 2.000 Euro dotiert<br />
ist und in unregelmäßigen Abstän den<br />
KULTUR • EHRUNGEN<br />
vergeben werden soll. mit dem Preis<br />
soll das Engagement von Gruppen<br />
oder Einzelpersonen ausgezeichnet<br />
werden, die initiativen im Bereich der<br />
Aufklärung gegen Fa schis mus und<br />
An tisemitismus setzen, sagt die Spre -<br />
cherin des Republik a ni schen Clubs,<br />
Sibylle Summer, gegenüber der „Ge -<br />
meinde“. Und sie be tont, „das müs sen<br />
keine wissenschaftlichen Leis tun gen sein“.<br />
Dem Club gehe es vielmehr um die<br />
Würdi gung von menschen, die sich in<br />
ihrem Alltag engagieren. Über die<br />
Ver gabe entscheidet der Club vor stand,<br />
Hinweise auf auszeichnungswürdige<br />
menschen, <strong>als</strong>o Personen, die sich ge -<br />
gen Faschismus und Antis emitismus<br />
einsetzen, seien jederzeit herzlich<br />
willkommen, so Summer.<br />
Der „Republikanische Club –<br />
neues Österreich“ entstand 1986 im<br />
Zug der Auseinandersetzung um die<br />
Vergangenheit von Kurt Waldheim<br />
im damaligen Präsidentschafts-Wahl -<br />
kampf. Der Club sei überparteilich,<br />
„aber <strong>als</strong> engagiert Partei nehmendes<br />
Projekt“ gegründet worden, sagt<br />
Summer. „Die Parteinahme gilt einer<br />
umfassend verstandenen Aufklärung<br />
und einer kritischen Auseinander set -<br />
zung mit den gesellschaftlichen Phä -<br />
nomenen: Antisemi tis mus, Ras sis -<br />
mus, Xenophobie und Sexismus, aber<br />
auch mit sozialen Ver hältnissen und<br />
ökonomischen Entwicklungen.“<br />
Der Club lädt regelmäßig zu Veran -<br />
staltungen. Die genauen Themen und<br />
Termine können auf www.repclub.at<br />
abgefragt werden.<br />
Bill Gates erhält<br />
Einstein Preis der<br />
Hebräischen Universität<br />
von Jakob Berkman, JTA;<br />
Übersetzung: Karin Fasching<br />
Üblicherweise gratuliert man dem<br />
Aus gezeichneten bei der Verleihung<br />
eines Preises – doch im Falle von Bill<br />
Gates sind wohl es die Preisverleiher,<br />
denen die Anerkennung gebührt...<br />
Denn <strong>als</strong> erster jüdisch-israelischer<br />
Organisation ist es nun den „Ame ri -<br />
ka nischen Freunden der Hebräischen<br />
Universität von Jerusalem“ gelungen,<br />
den microsoft-Gründer zur An nah me<br />
ihrer Auszeichnung, des erstm<strong>als</strong> ver -<br />
gebenen Einstein Preises, zu bewe gen.<br />
Dieser wird dem reichsten mann der<br />
Welt im Zuge eines Galadinners in<br />
new York im Dezember dieses Jahres<br />
überreicht.<br />
Der <strong>als</strong> Würdigung für Personen,<br />
die einen signifikanten Beitrag zum<br />
Wohle der menschheit geleistet ha ben,<br />
ins Leben gerufene und in unregelmäßigen<br />
Abständen zu vergebende<br />
Preis ist nach Albert Einstein be nannt,<br />
der auch an der Universitätsgrün dung<br />
beteiligt war.<br />
Die Freundesgesellschaft, die etwa<br />
US$ 60 mio. jährlich an Spenden für<br />
die Hebräische Universität lukriert,<br />
führte eineinhalb Jahre lang intensive<br />
Gespräche mit Bill Gates, bis dieser<br />
sich zur Annahme des Preises entschließen<br />
konnte. Schließlich, so Pe ter<br />
Willner, Exekutivdirektor der Freun -<br />
des gesellschaft, willigte er aufgrund<br />
der umfassenden Forschungs tä tig keit<br />
der Universität in der nachhal tigen<br />
Landwirtschaft ein.<br />
Bill und melinda Gates eigene Stif -<br />
tung, um die Bill Gates nach seinem<br />
kürzlichen Rücktritt <strong>als</strong> microsoft-Chef<br />
sich nun hauptsächlich kümmern<br />
wird, zählt zu den größten Wohltätig -<br />
keits organisationen der Welt. Seit<br />
ihrer Gründung im Jahr 1994 vergab<br />
sie mehr <strong>als</strong> US$ 16 mrd. an Hilfs gel -<br />
dern, vor allem an Gesundheits- und<br />
Sozialprojekte in der Dritten Welt.<br />
Außerdem kündigte US-investment-<br />
Tycoon Warren Buffet 2006 an, etwa<br />
US$ 30 mrd. seines Vermögens an die<br />
Stiftung zu spenden, was ihr pouvoir<br />
umso größer machen wird.<br />
46 <strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768
KULTUR • KOLUMNE<br />
Auch die Hebräische Universität<br />
wurde mit US$ 875.242,-, über drei<br />
Jahre verteilt, zur Entwicklung neuer<br />
methoden, die Verbreitung von ma -<br />
la ria und anderen Krankheiten durch<br />
moskitos unter Kontrolle zu bringen,<br />
bedacht.<br />
„Wir fühlen uns<br />
geehrt, dass die He -<br />
brä ische Uni ver sität<br />
von Jeru sa lem und<br />
die Ameri kani schen<br />
Freun de der Hebräi schen<br />
Uni versität Bill Gate <strong>als</strong><br />
Empfänger des allerersten<br />
Ein stein<br />
Preises ausgewählt<br />
haben,“<br />
schrieb die<br />
Gates Stif tung<br />
in einem Email-<br />
Statement an JTA.<br />
„Sowohl Bill <strong>als</strong><br />
auch Melinda sind<br />
da von überzeugt,<br />
dass alles Leben<br />
von glei chem Wert ist und haben ihre<br />
Stiftung zu dem Zweck gegründet, die<br />
Ungleich heiten in den Vereinigten Staa -<br />
ten und der ganzen Welt zu verringern.“<br />
„Kinder-<br />
Medien-Preis“<br />
<strong>2008</strong> für<br />
„Max Minsky<br />
und ich“<br />
Der Hauptpreis, do -<br />
tiert mit 3.000 Eu ro,<br />
ging an die Re gis seurin des Kin der -<br />
films „Max Minsky und ich“ (X Filme),<br />
Anna Justice. Die Begründung der<br />
Jury: „Die hinreißend komische und zu -<br />
gleich rüh rende Coming-of-Age-Ge schich te<br />
fügt Gegensätzliches zusammen, wobei<br />
Bas ket ball und religiöse Un ter weisung,<br />
eine pu ber tierende Toch ter und ihre nervige<br />
Mut ter, ein Bücher wurm und eine<br />
Sports kanone, Berliner Jugendkultur und<br />
tradi tionsgebun denes jü disches Leben aufeinander<br />
prallen. Anna Justice hat die<br />
Ro man vor lage in ihrem Regiedebüt stil -<br />
si cher und mit leichter Hand in einen<br />
tem poreichen Kin der film transponiert.<br />
Der Film er zählt einfühlsam von den<br />
Schwie rigkei ten des Er wach sen wer dens<br />
und des Er wach sen seins, wes halb er für<br />
junge wie äl te re Zu schauer Unterhal tung<br />
auf ho hem Niveau bietet."<br />
Überall & nirgendwo<br />
… und dann kamen wir in einem der seltsamsten Bezirke Wiens, in dem<br />
ausschließ lich menschen wohnen durften, deren sämtliche Familienmitglieder<br />
die österreichische Staatsbürgerschaft bereits in der dritten Generation besaßen.<br />
Schon die fast einheitliche Bekleidung der dort Ansässigen, die sich selbst<br />
aborigines vindobonensis bezeichneten, unterschied sich grundlegend von der in<br />
den anderen Bezirken. man gab sich betont „korrekt“. Die männlichen Bewoh ner<br />
waren vorzugsweise mit Anzügen bekleidet, versehen mit einer einwandfrei en<br />
Krawatte, während sich die Frauen meist exquisiter Kleider, gelegentlich aber<br />
auch dezent gestreifter dunkler „Executive“ gerechter Hosenanzüge bedienten.<br />
Auffallend am Straßenbild war übrigens das Fehlen der üblichen Langos-, Pizza-,<br />
oder Dönerbuden, die alle anderen Bezirke verunzierten, sowie ausländisch<br />
spre chender Bauarbeiter oder sonstiger Handwerker. Selbst die Burenwurst -<br />
stan deln, die anderwärtig autochtones Fastfood garantierten, fehlten zur Gä ze.<br />
Dieser Bezirk war von hohen mauern umgeben, Zutritt hatten lediglich Be -<br />
sitzer eines entsprechenden meldezettels, sowie ausgesuchte Touristen grup pen<br />
kaukasischen Ursprungs. Wie wir feststellen konnten, unterschied sich sogar<br />
die Sprache der hier Wohnenden vom Rest der Stadt: der Umwelt wird nur so -<br />
viel an allgemein zugänglicher Luft entnommen <strong>als</strong> zum Artikulieren von<br />
Wünschen unbedingt erforderlich ist. Die so konsumierte Luft wird dann<br />
knaut schend in Form von Sprachfetzen nach außen abgestoßen.<br />
Als eine jener privilegierten Touristengruppe erzählte man uns übrigens,<br />
dass außerhalb der mauern kreisförmig weitere Bezirke das bodenständige Zen -<br />
trum umschlössen, jeder weitere Ring mit einem zunehmend höher werdenden,<br />
einheitlichen Prozentsatz von Ausländern ausgestattet. Und natürlich ei -<br />
ner weiteren mauer. in den dem Zentrum nahe gelegenen Bezirken seien die<br />
Bobos zu Hause, hieß es, die glücklich ihren privilegierten Beruf und ihre ge -<br />
sellschaftliche Stellung konsumgerecht einnahmen, ohne mülltrennung je zu<br />
vernachlässigen oder gar ihren Beitrag zur artgerechten Haltung von Hüh nern<br />
zu vernachlässigen. in diesen Bezirken habe eine neue Art von Biedermeier<br />
um sich gegriffen, was einerseits die designergemäße Bekleidung seiner Be woh -<br />
ner betraf, und andererseits zu deren völligem Rückzug aus gesellschaftlicher<br />
Verantwortung geführt habe.<br />
Den weichen Rand der Stadt bevölkerten gerüchteweise - denn Genaueres<br />
konnte uns die Fremdenführerin nicht sagen - ausschließlich Zuwanderer, die<br />
bestenfalls eine Aufenthaltsgenehmigung besaßen. Die gegenüber anderen<br />
eu ropäischen Städten so unterschiedliche Stadtplanung hätte sich eben entsprechend<br />
den täglich kolportierten Kriminalitätsraten ergeben: umgekehrt zur<br />
Hölle in Dantes Göttlicher Komödie, nehme die Schlechtigkeit der menschen<br />
offensichtlich nach außen hin zu. Dort, in den schandhaften Außenbezirken, so<br />
erzählte man uns, beherrsche Unzucht und Völlerei die Straßen. Klein kri mi na -<br />
lität sei Gang und Gebe. Ein Glück, dass die vorgesehene, strikt eingehaltene<br />
Ausländerzahl pro Bezirk und vor allem die ringartigen mauern die Eigentli chen<br />
vor unnötigen Kontakten mit Fremdsprachigen oder Fremdkulturbestimmten<br />
beschützen. Die Angst vor dem Andersartigen schien ganz offensichtlich die<br />
Stadt in Besitz genommen zu haben. mit Stolz erzählte man uns übrigens, dass<br />
die UnESCO die gesamte Stadt zum Weltkulturerbe erhoben hatte, sozusagen<br />
<strong>als</strong> lebendes 1:1 modell der Gesellschaft von Vorgestern.<br />
PS: Sollten Sie es noch nicht bemerkt haben: es ist wieder einmal Wahlkampf. Es<br />
wurde in der Tat vorgeschlagen, den Ausländeranteil in den Wiener Bezirken<br />
prozentmäßig zu beschränken. Und das war erst der erste misston diesbezüg -<br />
lich.<br />
P. Weinberger<br />
<strong>August</strong> <strong>2008</strong>/Aw 5768 47
Erlebnis pur<br />
Was gibt es Schöneres, <strong>als</strong> in den schmucken, offenen Wagons der<br />
Liliputbahn durch den Wiener Prater zu fahren und viele Sehens -<br />
wür dig keiten aus nächster Nähe zu ge nießen? Wer Lust hat, kann<br />
die Bahn sogar für ein paar Stunden mieten und die Fahrt ganz<br />
exklusiv - nur mit Freun den oder der Familie – machen. Es gibt aber<br />
auch die Mög lichkeit, Pick nick fahrten zu lösen. Sie können dann<br />
zwischen durch aussteigen und gemütlich Rast machen. Auf Wunsch<br />
stellt der Delikatessenspezialist Böhle einen feinen Picknickkorb<br />
oder –rucksack für Sie zusammen!<br />
Infos dazu gibt’s unter Tel.: 726 82 36 oder<br />
im Internet unter www.liliputbahn.com