Lebhafte Sprache - Die Deutsche Bühne
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SCHWERPUNKT<br />
<strong>Lebhafte</strong> <strong>Sprache</strong><br />
Seit ihrer Gründung vor gut 80 Jahren ist die Fritz-Reuter-<br />
<strong>Bühne</strong> in Schwerin Teil des Stadt- und Staatstheaters<br />
1 I<br />
2 I<br />
Fotos (2): Silke Winkler<br />
MICHAEL LAAGES<br />
Jeder Platz ist besetzt, und der Beifall<br />
ist kräftig. Wer die Schweriner<br />
Fritz-Reuter-Gefolgschaft zum ersten<br />
Mal besucht, nimmt ohne Vertun<br />
den Eindruck einer in sich fast verschworenen<br />
Gemeinde mit, die womöglich<br />
nur diesem sehr speziellen<br />
Theater-Typ die Treue hält. Und das<br />
macht den entscheidenden Unterschied<br />
zum Boulevard aus, der meist<br />
mit der Laufkundschaft überlebt.<br />
Mundart-Theater lebt von der Treue.<br />
Manfred Brümmer ist einer von diesen<br />
Getreuen; ein Theaterleben lang ist er<br />
(nach Stationen als Förster,Heimlehrer<br />
und Kabarettist) der Hausdramaturg<br />
der Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong>. Und angesichts<br />
der schmalen Repertoires ursprünglich<br />
niederdeutscher und zudem starker<br />
Stücke ist er immer wieder damit beschäftigt,<br />
Texte des Welttheaters ins<br />
Mecklenburgische zu übertragen –<br />
was immer das ist. Brümmer, geboren<br />
und aufgewachsen in Stavenhagen,<br />
der Stadt, die den Namen des niederdeutschen<br />
Dichters Fritz Reuter (1810<br />
bis 1874) mit im Namen trägt, beschreibt<br />
das Angebot der <strong>Bühne</strong> sehr<br />
pragmatisch: „Erstens spielen wir<br />
Theater; zweitens sind wir eine <strong>Bühne</strong>,<br />
auf der niederdeutsch gesprochen<br />
wird, und oft sicher auch in verschiedensten<br />
Varianten; und erst in dritter<br />
Linie sind wir Spezialisten in Mecklenburger<br />
Platt!” Mit den meist selbsternannten<br />
„Gralshütern” könne er persönlich<br />
wenig anfangen.<br />
Zu sehen ist an dem Abend „De Golden<br />
Anker”. Dahinter verbirgt sich eine kleine,<br />
aber feine Entdeckung: Marcel Pagnols<br />
„Fanny”, entstanden 1931 als Mittelstück<br />
der „Marseiller Trilogie”, die<br />
den Ruhm des französischen Autors<br />
begründet hatte und in den 60er Jahren<br />
mit Horst Buchholz und Leslie Caron<br />
verfilmt wurde. Das ist nun sicher<br />
kein hochdramatisches, aber ein anrührendes,<br />
auch abgründiges Stück<br />
über die alles verändernde Wende, die<br />
ein Leben nehmen kann; angesiedelt<br />
im Hafen-Milieu (Marseille spielt mit<br />
bei Pagnol, Rostock in Brümmers<br />
Schweriner Fassung) und in der lokalen<br />
Stammkneipe der Seeleute und maritimen<br />
Handwerker,die „Zum Golden Anker”<br />
heißen könnte. Ein schon leicht<br />
schrulliger Wirt und Witwer lebt hier,<br />
der den schon ziemlich ausgewachsenen<br />
Sohn noch immer mit dem Zapfhahn<br />
groß zu ziehen versucht – der sich<br />
aber seinerseits nicht entscheiden<br />
kann, ob von nun an die geliebte Fanny<br />
den weiteren Lebensweg bestimmen<br />
soll oder nicht doch lieber der alte<br />
Traum vom Meer. Schließlich geht er<br />
tatsächlich, heuert an für den großen<br />
Törn rund um die Welt, und Fanny,<br />
womöglich schwanger,bleibt beim ahnungslosen<br />
Vater zurück. Ein Stück ist<br />
das,dem der lakonisch-niederdeutsche<br />
Ton jeden Kitsch austreibt. Plötzlich<br />
wird Alltag lebendig und wahrhaftig,<br />
wie lange das alles auch schon her sein<br />
mag. Und der Hafen wird zum Zauber-<br />
Ort, an dem sich jeder Augenblick von<br />
Auf- und Umbruch wieder finden kann.<br />
Nichts weniger als ein Gleichnis wird<br />
hier vorgestellt. Das ist auch gar nicht<br />
zum Schenkelkopfen oder Totlachen –<br />
im Gegenteil:Der alte Wirt,ahnungslos<br />
und doch sehr weise, wird neben den<br />
dynamischen Jungen und den mehr<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 2 I 2007
SCHWERPUNKT<br />
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oder weniger kauzig-kuriosen anderen<br />
Alten zu einer Art Heldenkönig des<br />
Volkstheaters. Gespielt wird er von Joachim<br />
Bliese.<br />
Wie bitte? Joachim Bliese, eine der<br />
Seelen des alten Berliner Schillertheaters?<br />
Der sich nach dessen Ende unter<br />
anderem am Neumarkt in Zürich bewährte<br />
oder (immer wieder mit Arthur<br />
Millers Texten und Rollen) in Bonn<br />
und in Wiesbaden? Der spielt jetzt auf<br />
der Schweriner Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong>? Ja,<br />
sagt er nach der Vorstellung im Theater-Cafe,<br />
und gern spiele er hier; wie<br />
übrigens überhaupt überall auf der<br />
Welt, wo ihm ein schöner Text zur Verfügung<br />
stehe. Bliese stammt aus Kiel<br />
und hatte vor kurzem erstmals ein Angebot<br />
des Ohnsorg-Theaters in Hamburg<br />
angenommen. Und da Rolf Petersen,<br />
zuvor Schauspieler und Leiter des<br />
Künstlerischen Betriebsbüros ebenda,<br />
jetzt Direktor der Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong><br />
ist, war der Kontakt schnell hergestellt.<br />
Nach dem Wirt im „Goldenen<br />
Anker“ hatte Bliese Ende Januar schon<br />
wieder Schweriner Premiere – als „alter<br />
Mann, der sich nicht fügen will” in<br />
Adelheid Müthers Inszenierung von<br />
Bob Larbeys Komödie „All wedder<br />
Sünndag”.<br />
Bliese ist natürlich kein native speaker<br />
mehr im Niederdeutschen, er hat sich<br />
die Zweitsprache der Kinderzeit wieder<br />
aneignen müssen. Und für die meisten<br />
im Ensemble der Schweriner <strong>Bühne</strong> ist<br />
<strong>Bühne</strong>nsprache <strong>Bühne</strong>nsprache: <strong>Sprache</strong>,<br />
für die <strong>Bühne</strong> neu gelernt. Eine<br />
weitere Stütze der Schweriner Ensemble-Gesellschaft<br />
stammt aus Thüringen.<br />
<strong>Die</strong> Vorstellung, dass das Theater<br />
von Niederdeutsch als Alltagssprache<br />
beherrscht werde, führt inzwischen<br />
konsequent zurück ins Ghetto der Liebhaber-<br />
und Laien-Ensembles. Brümmer<br />
plädiert für den umgekehrten Weg:<br />
Mit durchaus manchmal auch „gemischtem<br />
Platt” den generellen Ton<br />
dieser anderen deutschen <strong>Sprache</strong> lebendig<br />
zu erhalten, weil es mit ihm oft<br />
heiterer, direkter, unbeschwerter zur<br />
Sache gehen kann. Düsterer und trauriger<br />
übrigens auch.<br />
Vor allem aber ulkig – wie beim<br />
„Glücksspael in t’Pastorenhus”. Das ist<br />
eine herzlich alberne Farce um ein<br />
ziemlich verrücktes Pfarrhaus, in dem<br />
der Teufel in Gestalt des guten alten<br />
Fußball-Toto-Wettscheins Einzug zu<br />
halten droht. Heute heißt derlei ja<br />
„Oddset” und führt bekanntlich zu<br />
fortgeschrittener Wett-Kriminalität –<br />
das „Glücksspäl”des englischen Autors<br />
Philip King ist in den 60er Jahren zu<br />
Hause,was selbst Nicht-Kenner mühelos<br />
an den auf dem Tippschein verzeichneten<br />
Fußballclubs bemerken<br />
müssen. Sperber Hamburg! Gibt's die<br />
überhaupt noch? Ansonsten werden<br />
in diesem Stück nackte Gips-Madonnen<br />
züchtig verhüllt, eine mannstolle<br />
Nachbarin auf Pastoren-Jagd erscheint<br />
behelmt als Chefin der örtlichen Feuerwehr,<br />
und Pastoren in langen Unterhosen<br />
verschwinden im Schrank:<br />
blanker Boulevard. „Politik un Aantenschiet”,<br />
eine ähnlich temperierte Farce<br />
um lokalen Polit-Streit, der in der<br />
Komödie von Walter Pfaus nach alter<br />
dörflicher Sitte noch schön derb und<br />
deftig, und vor allem: handgreiflich<br />
ausgetragen wird, blaue Augen inklusive,<br />
ist durchaus gegenwärtiger.<br />
Das war die erste neue Produktion der<br />
laufenden Saison;vier werden es bis zu<br />
deren Ende. Mit einer Musical-Fassung<br />
des Hans-Albers-Films „Große Freiheit<br />
Nr. 7” will die Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong> dann<br />
zur ersten Deutschland-Tournee aufbrechen.<br />
Bislang reist das Ensemble<br />
nur durch den Norden der Republik:<br />
von Sehnde bei Hannover über Papenburg<br />
im Emsland bis Zinnowitz auf der<br />
Insel Usedom. Ganz auf sich gestellt,<br />
könnte sich das kleine Schweriner<br />
Theater diesen Reisebetrieb nicht leisten,<br />
und schon gar nicht hätte es vor<br />
kurzem den plattdeutschen „Faust”<br />
bis nach Flensburg schicken können.<br />
Aber es ist ja seit der Gründung im Jahre<br />
1926 Spiel-Sparte des jeweiligen<br />
Schweriner Staatstheaters. Im gegenwärtigen<br />
Hausherrn Joachim Kümmritz,<br />
bedacht vor allem auf die Außenwirkung<br />
des Theaters auch über<br />
Schwerin hinaus, hat die Fritz-Reuter-<br />
<strong>Bühne</strong> nach Ansicht des Dramaturgen<br />
Brümmer einen Förderer mit viel Rückgrat.<br />
Das war auch mal anders.<br />
Aus den Trümmern aufgebaut nach<br />
1945, war das Theater fast schon aufgelöst<br />
in den 6oer Jahren, auch weil<br />
sich die Kulturpolitik der DDR nie recht<br />
entscheiden konnte, ob niederdeutsches<br />
Volkstheater nun eher nah an<br />
der Bevölkerung agierte (und also förderungswürdig<br />
war) oder eher reaktionär<br />
im kleinbürgerlichen Sinne. <strong>Die</strong><br />
meisten Autoren-Rechte lagen zudem<br />
im Westen – auch daher rührt der<br />
Hang zum niederdeutsch bearbeiteten<br />
Klassiker, der bekanntlich nichts<br />
kostet. Zeitweilig waren die Mitglieder<br />
der Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong> nurmehr Edel-<br />
Statisten des Staatstheaters. Und<br />
nach einem Boom in den 70er und<br />
80er Jahren brach die Wende der <strong>Bühne</strong><br />
noch einmal fast das Genick. Ein<br />
großer Teil der Gastspiel-<strong>Bühne</strong>n<br />
musste dichtmachen, neue Partner<br />
waren erst langsam wieder zu akquirieren.<br />
In dieser Spielzeit aber kann das<br />
kleine Ensemble schon wieder 70 Mal<br />
auf Reisen gehen.<br />
Was Theater dieser Art für jedermann<br />
bedeutet? Das ist eine Frage des Horizonts.<br />
Und des Alters. Brümmer, dem<br />
Stavenhagener, kommen natürlich die<br />
stromsparbedingten „Schummerstunden”<br />
aus frühen DDR-Jahren in Erinnerung;<br />
mit Oma am Ofen, die noch „den<br />
halben Reuter auswendig”kannte. Gut<br />
50 jüngere Autorinnen und Autoren<br />
haben mitgemacht beim Schreibwettbewerb<br />
von Theater und NDR; dreizehn<br />
von ihnen wurden ausgewählt<br />
für einen Workshop und die Preisträger<br />
Mitte Januar geehrt. Jeder und jede<br />
findet hier und heute einen jeweils<br />
ganz neuen Weg hin zur <strong>Sprache</strong><br />
der Altvorderen – und vielleicht<br />
bleibt sie so eine <strong>Sprache</strong> der Lebenden.<br />
1 I Streitbare<br />
Männer im<br />
Norden: Andreas<br />
Auer als Pastor<br />
Runge und<br />
Norbert Braun als<br />
Bürgermeister<br />
Arthur Ohde<br />
in „Politik un<br />
Aantenschiet“.<br />
2 I Fanny (Stefanie<br />
Fromm) und Vater<br />
(Joachim Bliese)<br />
in „De golden<br />
Anker“ nach<br />
Marcel Pagnol.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 2 I 2007