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Physik des Wachstums - Institut für Geophysik und extraterrestrische ...

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Max-Planck-<strong>Institut</strong> für Kernphysik<br />

Saupfercheckweg 1<br />

69117 Heidelberg<br />

Vorlesung<br />

<strong>Physik</strong> <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong><br />

Sascha Kempf & Jürgen Blum<br />

13. Januar 2006<br />

TU Braunschweig<br />

Wintersemester 2005/2006


1 Einleitung<br />

1.1 Was ist Wachstum?<br />

Strukturbildung wird in allen naturwissenschaftlichen Disziplinen beobachtet: <strong>Geophysik</strong>, Biologie,<br />

Astrophysik usw.. Bemerkenswert ist auch, daß Strukturbildung auf einem riesigen<br />

Längen- <strong>und</strong> Zeitskalenbereich stattfindet: wir beobachten die Ausbildung großräumigen Strukturen<br />

in der Verteilung von Galaxienclustern auf kosmologischen Skalen als auch die Bildung<br />

mikroskopischer Aggregate aus Atomen oder Molekülen auf atomaren Skalen. <strong>Wachstums</strong>vorgänge<br />

gehören zu den wichtigsten natürlichen Phänomenen überhaupt. Die Enstehung von<br />

komplexen Strukturen aus einfachen Bausteinen ist immer mit Nichtgleichgewichtsprozessen<br />

verb<strong>und</strong>en. Häufig bilden solche Prozesse hochkomplexe fraktale Strukturen.<br />

Abbildung 1.1: Elektronemikroskopische Aufnahmen von Gold-, Glass- <strong>und</strong> Polystyrolclustern, welche<br />

jeweils durch einen schnellen (rechts) <strong>und</strong> langsamen (links) Aggregationsprozeß gebildet wurden.<br />

Die unteren Aggregate sind Ergebnisse numerischer Simulationen (diffusionsbegrenztes (links) <strong>und</strong> reaktionsbegrenztes<br />

Cluster-Cluster-Wachstum (rechts)). Aus MEAKIN (1991).<br />

Erstaunlicherweise gelang es häufig mittels sehr einfacher numerischer Simulationen komplexe<br />

experimentelle Ergebnisse zu reproduzieren (Abb. 1.1, 1.2). Dies nährte die Hoffnung,<br />

1


1 Einleitung<br />

daß diese Prozesse sich auf einfache, elementare Prinzipien reduzieren lassen <strong>und</strong> <strong>Wachstums</strong>phänomene<br />

universalen Charakter besitzen.<br />

Abbildung 1.2: Zinkmetallblatt, welches durch eine elektrochemische Reaktion in einer wässrigen<br />

Lösung aus ZnSO 4 mit einer dünnen Grenzschicht aus CH 3 COO(CH 2 ) 3 CH 3 mit einer Graphit-Kathode<br />

<strong>und</strong> einer Zink-Anode entstanden ist (linke Abb.). Die mittlere Abb. zeigt das Ergebnis einer Simulationsrechnung<br />

mittels eines zellulären Automats. In der rechten Abb. wurde die Anlagerungswahrscheinlichkeit<br />

am simulierten Aggregat farbkodiert <strong>und</strong> weiterhin als Potentialplot unterlegt.<br />

(www.fraktalwelt.de, P. JOSSEN & D. EYER).<br />

Wichtige Fragen bezüglich <strong>Wachstums</strong>phänomenen sind:<br />

• Was ist der Zusammenhang zwischen der Struktur der wachsenden Aggregate <strong>und</strong> dem<br />

<strong>Wachstums</strong>prozeß? Bestimmt der Prozeß die Aggregatstruktur oder bestimmt die Aggregatstruktur<br />

den Prozeß?<br />

• Welche Gr<strong>und</strong>typen von <strong>Wachstums</strong>prozessen existieren?<br />

• Wie ist die zeitliche Entwicklung <strong>des</strong> Aggregatensembles?<br />

• Welche Bedeutung hat die Mikrophysik <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong>prozeß?<br />

• Welche sind die Gr<strong>und</strong>prinzipien hinter den <strong>Wachstums</strong>prozessen? Sind diese universal<br />

für alle Prozesse?<br />

• Können die makroskopischen <strong>Wachstums</strong>gleichungen direkt aus der statistischen Mechanik<br />

abgeleitet werden?<br />

• Warum sind <strong>Wachstums</strong>phänomene häufig durch Selbstähnlichkeit <strong>und</strong> Skaleninvarianzen<br />

charakterisiert?<br />

• Warum entstehen überhaupt Fraktale?<br />

• Warum überhaupt?<br />

Die Antworten zu einigen der aufgezählten Fragen sind noch nicht bekannt. Das Ziel dieser<br />

Vorlesung ist es daher, gr<strong>und</strong>legende Konzepte zur physikalischen Modellierung von <strong>Wachstums</strong>phänomenen<br />

darzustellen <strong>und</strong> einige Gr<strong>und</strong>fragen zu diskutieren.<br />

2


1.2 <strong>Wachstums</strong>prozesse<br />

Abbildung 1.3: Fraktale Strukturen in Wolken (rechts) <strong>und</strong> Dentriten (links) (www.fraktalwelt.de).<br />

1.2 <strong>Wachstums</strong>prozesse<br />

Wachstum im Sinne dieser Vorlesung bedeutet, daß sich Teilchen eines Ensembles ohne direkte<br />

äußere Einflußnahme zu größeren Objekten verbinden. Hierzu ist es nicht notwendigerweise<br />

erforderlich, daß sich Teile einer Struktur wirklich berühren; es wird allerdings implizit angenommen,<br />

daß die enstehenden Strukturen starr sind. Unter diesen Bedingungen können größere<br />

Aggregate wachsen, vorausgesetzt daß:<br />

1. sich die Objekte <strong>des</strong> Ensembles relativ zueinander bewegen<br />

2. sich Objekte innerhalb eines bestimmten Radius zu einem neuen Objekt vereinigen<br />

können.<br />

Beide Voraussetzungen betreffen die Mikrophysik<strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong>. Der erste Punkt bestimmt<br />

den ”Motor <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong>, während der zweite Punkt den Wirkungsquerschnitt für die aggregatbildenden<br />

Teilchenkollisionen definiert. Diese beiden Eigenschaften <strong>des</strong> Ensembles bestimmen<br />

die wahrscheinlichsten Partner zur Bildung eines größeren Aggregats <strong>und</strong> dadurch auch<br />

letztlich die Aggregatstruktur. Es existieren zwei einfache Grenzprozesse <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong>: das<br />

Teilchen-Cluster-Wachstum (Particle Cluster Aggregation – PCA) <strong>und</strong> das Cluster-Cluster-<br />

Wachstum (Cluster Cluster Aggregation – CCA). Bleibt die Struktur der Aggregate nach dem<br />

verbindenden Stoß erhalten, so erzeugen diese Prozesse fraktale Aggregate.<br />

Teilchen-Cluster-Wachstum (PCA)<br />

Erfolgen nur Kollisionen zwischen Aggregaten <strong>und</strong> Einzelteilchen, enstehen dichte, kompakte<br />

(obwohl durchaus fraktale) Strukturen. Dieser Prozeß wird als Teilchen-Cluster-Wachstum<br />

(PCA) bezeichnet. Diesen Prozeß beobachtet man, wenn die Beweglichkeit der Cluster relativ<br />

zueinander stark eingeschränkt <strong>und</strong> ein hinreichend großes Reservoir von Einzeilteilchen<br />

vorhanden ist (diese Bedingungen sind beispielsweise für ein ortstfestes Aggregat in einem<br />

Schauer von Einzelteilchen erfüllt).<br />

3


1 Einleitung<br />

Modell Methode d=2 d=3<br />

diffusionsbegrenzt 1) on-lattice 1.44 ± 0.03 1.78 ± 0.06<br />

reaktionsbegrenzt, monodispers 2) on-lattice 1.53 ± 0.01 1.94 ± 0.02<br />

reaktionsbegrenzt, polydispers 3) on-lattice 1.59 ± 0.01 2.11 ± 0.03<br />

ballistisch 4) on-lattice 1.44 ± 0.02 1.81 ± 0.03<br />

ballistisch 4) off-lattice 1.56 ± 0.02 2.00 ± 0.03<br />

1) MEAKIN (1983)<br />

2) BROWN & BALL (1985), monodispers: nur Stöße zwischen Clustern gleicher Größe<br />

werden zugelassen, Haftwahrscheinlichkeit P → 0.<br />

3) BROWN & BALL (1985), polydispers: Stöße zwischen Clustern jeder Größe werden<br />

zugelassen, Haftwahrscheinlichkeit P → 0.<br />

4) MEAKIN (1984)<br />

Tabelle 1.1: Numerisch bestimmte fraktale Dimensionen <strong>des</strong> CCA-Prozesses in 2- <strong>und</strong> 3-dimensionaler<br />

euklidischer Einbettung<br />

Cluster-Cluster-Wachstum (CCA)<br />

Erfolgt das Wachstum aufgr<strong>und</strong> der Verbindung von Clustern ähnlicher Größe, so spricht man<br />

von Cluster-Cluster-Wachstum (CCA). Dieser Prozeß ist charakteristisch für das Wachstum in<br />

einen Ensemble, <strong>des</strong>sen Mitglieder sich ausschließlich stochastisch relativ zueinander bewegen.<br />

Die resultierenden Aggregate haben spinnenwebenartige, filligrane Strukturen (fraktale<br />

Dimensionen ∼ 2, siehe Tab. 1.1). Projeziert man diese Gebilde auf eine Ebene, kann man fast<br />

alle Einzelteilchen <strong>des</strong> Aggregats erkennen. Stoßen die Aggregate nicht auf ballistischen Trajektorien<br />

oder ist die Haftwahrscheinlichkeit nicht identisch 1, so beeinflußt das die fraktale<br />

Dimension ein wenig.<br />

Bewegen sich die stoßenden Cluster diffusiv auf Längenskalen in der Größenordnung ihrer<br />

Ausdehnung <strong>und</strong> haften im Moment der ersten Berührung starr aneinander, spricht man vom<br />

diffusionsbegrenzten Wachstum (Diffusion Limited Aggregation – DLA). Ist die Haftwahrscheinlichkeit<br />

für einen Stoß nicht 1, so wird dieses Regime als reaktionsbegrenzt bezeichnet<br />

(siehe auch Tab. 1.1).<br />

4


2 Makrophysik <strong>des</strong><br />

Teilchenwachstums<br />

Für viele <strong>Wachstums</strong>prozesse ist die Struktur der wachsenden Aggregate unabhängig von Entwicklungszustand<br />

<strong>des</strong> Ensembles. In solchen Fällen kann man häufig die Mikrophysik <strong>des</strong><br />

<strong>Wachstums</strong>, d.h. die Haftungsprozesse, die Teilchendynamik usw., von der Makrophysik <strong>des</strong><br />

<strong>Wachstums</strong>, d.h. der zeitlichen Entwicklung <strong>des</strong> Ensembles, entkoppeln. Theoretische Modelle<br />

nähern sich der makroskopischen Beschreibung von zwei Seiten: Der Ausnutzung von Analogien<br />

zu kritischen Phänomenen sowie der “mean field”-Beschreibung <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong> mittels<br />

einer Ratengleichung.<br />

2.1 Mean Field-Modellierung <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong> mittels<br />

Ratengleichungen<br />

2.1.1 Smoluchowski-Gleichung<br />

Häufig kann man die zeitlichen Entwicklung der Größenverteilung von wachsenden Aggregaten<br />

durch eine Raten-Gleichung mathematisch modellieren. SMOLUCHOWSKI (1917) leitete<br />

eine Ratengleichung für die Stoßprozesse zwischen den Teilchensorten ab, wobei er folgende<br />

Annahmen bezüglich <strong>des</strong> Systems traf:<br />

• die Stoßrate zwischen Aggregaten der Massen 1 i <strong>und</strong> j hängt nicht von der Zeit ab <strong>und</strong><br />

ist durch das Matrixelement K i j gegeben<br />

• die Teilchenzahldichte ist so gering, daß nur 2-Körper-Stöße stattfinden<br />

• die Anzahldichten der Clustersorten sind durch ihr räumliches Mittel gegeben.<br />

Unter diesen Voraussetzungen ist die Bildungsrate eines Aggregats der Masse (i + j) aus Aggregaten<br />

der Massen i <strong>und</strong> j proportional zu K i j n i (t)n j (t). Die Änderung der Anzahldichte der<br />

Sorte s ergibt sich dann aus der Bilanz der Massengewinne <strong>und</strong> Verluste die SMOLUCHOW-<br />

SKI-Gleichung<br />

dn s<br />

dt<br />

= 1 2 ∑ K i j n i (t)n j (t) − n s (t)<br />

i+ j=s<br />

∞<br />

∑<br />

i=1<br />

K si n i (t). (2.1)<br />

Aufgr<strong>und</strong> der dritten Annahme ist Gl. (2.1) eine “mean field”-Beschreibung <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong>.<br />

Die mikrophysikalischen Eigenschaften <strong>des</strong> Prozeßes sind vollständig im Koagulationskern<br />

K i j parametrisiert.<br />

1 Wird im folgendem als Symbol für die Clustermasse nicht das Symbol m benutzt, ist darunter die Anzahl der<br />

im Cluster enthaltenen Ausgangsteilchen mit der Masse m 0 zu verstehen, d.h. die Masse i eines Clusters hat<br />

den ganzen Wert i = m i /m 0 .<br />

5


2 Makrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

2.1.2 Wichtige Koagulationskerne<br />

Der Koagulationskern (oder die Stoßratenmatrix) K i j in Gl. (2.1) hat die prinzipielle Form<br />

K i j ∼ Stoßquerschnitt(i, j) · Relativgeschwindigkeit(i, j)<br />

<strong>und</strong> muß aus der Mikrophysik <strong>des</strong> Prozesses abgeleitet werden.<br />

Koagulationskern für diffusive Kollisionen<br />

Ändert sich der Geschwindkeitsvektor eines Teilchens auf Skalen, welche klein verglichen mit<br />

der Ausdehnung <strong>des</strong> größeren Stoßpartners sind (Kn ≪ 1, so stoßen die Teilchen auf diffusiven<br />

Trajektorien, weshalb die Teilchendynamik hydrodynamisch beschrieben werden darf.<br />

Zur Ableitung der Stoßrate wird das Teilchen der Masse i im Ursprung einer Kugel gedanklich<br />

festgehalten. Die Teilchen der Sorte j diff<strong>und</strong>ieren aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Konzentrationsgradienten<br />

∂ r n j (r) durch die Kugelschalen im Abstand r um das zentrale Teilchen. Der entsprechende<br />

Teilchenstrom ist<br />

J j (r) = D j ∂ r n j (r),<br />

wobei D j die Diffusionskonstante der j-ten Sorte bezeichnet. Durch direkte Integration der<br />

Flußrate s j = 4πr 2 J j (r) findet man die Anzahldichte der j-Teilchen im Abstand r zum festgehaltenen<br />

i-Teilchen<br />

n j (r) = n j (∞) −<br />

s j<br />

4πrD j<br />

Hierfür wurde benutzt, daß aufgr<strong>und</strong> der Massenerhaltung die Flußrate durch Kugelschalen<br />

nicht von deren Radius abhängt. Für r = (R(i) + R( j))/2 koaguliert das im Ursprung festgehaltene<br />

Teilchen mit einem Teilchen der j-ten Sorte zu einem Teilchen der Masse i+ j, weshalb<br />

n j ((R(i) + R( j))/2) = 0 <strong>und</strong> somit<br />

s j = 2π(R(i) + R( j))D j n j (∞)<br />

Da das gedanklich festgehaltene Teilchen auch diff<strong>und</strong>iert, ist die relative Diffusion der Sorten<br />

i <strong>und</strong> j für die Stoßwahrscheinlichkeit bestimmend. Die Stoßratenmatrix für das diffusive<br />

Wachstum ist dann<br />

K i j = 2 3 kT η−1 (i 1/3 + j 1/3 )(i −1/3 + j −1/3 ) (2.2)<br />

SMOLUCHOWSKI (1917). Die Voraussetzung für die Gültigkeit dieses Kerns ist, daß die Teilchenform<br />

während <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong> erhalten bleibt. D.h. zwei stoßende kugelförmige Teilchen<br />

der Volumen V 1 <strong>und</strong> V 2 bilden ein neues kugelförmiges Teilchen mit dem Volumen V 1 +V 2 ,<br />

was als koaleszentes Wachstum bezeichnet wird.<br />

Koagulationskern für ballistische Kollisionen<br />

Stoßen die Teilchen dagegen ballistisch, darf die kinetische Gastheorie zur Beschreibung <strong>des</strong><br />

Teilchensystems benutzt werden, d.h. die Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen entspricht<br />

dann der MAXWELL-BOLTZMANN-Verteilung. Die Stoßrate eines im Ursprung festgehaltenen<br />

kugelförmigen Teilchens mit dem Radius R entspricht dem Produkt seiner Oberfläche 4πR 2 mit<br />

dem Teilchenstrom J j = 1 4 v th( j)n j , wobei<br />

v th ( j) =<br />

( ) 8kT 1/2<br />

πm 0 j<br />

6


2.1<br />

die mittlere thermische Geschwindigkeit der Sorte j ist. Verallgemeinert man das Problem auf<br />

zwei sich ballistisch bewegende Teilchen, so ergibt sich die Stoßrate<br />

s j = v th (i, j)π{R(i) + R( j)} 2 n i n j .<br />

Hieraus folgt für sphärische Teilchen mit der Dichte ρ der ballistische Koagulationskern<br />

K i j =<br />

( )<br />

(6kT )1/2 3 1/6<br />

(<br />

i −1<br />

ρ 2/3 + j −1) 1/2 ( i 1/3 + j 1/3) 2<br />

4π<br />

(2.3)<br />

FRIEDLANDER (1977). Auch dieser Kern beschreibt koaleszentes Wachstum.<br />

Koagulationskerne für ballistische Kollisionen zwischen fraktalen Aggregaten<br />

Natürliche <strong>Wachstums</strong>prozesse sind häufig mit der Ausbildung fraktaler Teilchenstrukturen<br />

verb<strong>und</strong>en. Der Stoßquerschnitt fraktaler Teilchen ist vom Stoßquerschnitt von Kugeln mit<br />

gleichem Radius verschieden, da ein fraktales Teilchen die umhüllende Kugel eines anderen<br />

Teilchens auch ohne Stoß durchdringen vermag. MEAKIN (1991) schätzte für Fraktale mit<br />

D m ≤ 2 den effektiven Stoßquerschnitt mit<br />

σ(i, j) ∼ i j 2/D m−1 mit i ≥ j (2.4)<br />

ab, indem er die Aggregate auf eine Ebene senkrecht zu ihrer Bewegungsrichtung projezierte.<br />

Ein nützlicher Ausdruck wurde von OSSENKOPF (1993) aus numerischen Stoßexperimenten<br />

bestimmt<br />

σ(i, j) = 〈σ(i)〉<br />

{<br />

1 −<br />

( ) } { {<br />

Rv ( j) 2 ( ) }}<br />

+ R v ( j) 2 Rv (i) 1.22<br />

4π − 8.3 1 −<br />

R v (i)<br />

R v ( j)<br />

(2.5)<br />

mit R v (i) > R v ( j). Der darin benutzte Verzahnungsradius R v ist als der halbe Abstand der<br />

Massenmittelpunkte von zwei sich im Mittel gerade berührenden Fraktalen gleicher Größe<br />

definiert:<br />

( σ(i)<br />

R v (i) = 0.72i 1/3 3<br />

) 0.21<br />

( ( i<br />

2<br />

) 1/3<br />

)<br />

i 2 1 − 0.216<br />

σ(i) 3 . (2.6)<br />

Für den in R v eingehenden mittleren projezierten Querschnitt σ(i) eines CCA-Aggregates der<br />

Masse i <strong>und</strong> der Dimension D m =1.95 wurde aus Monte-Carlo-Simulationen die Näherung<br />

abgeleitet.<br />

σ(i) =<br />

{<br />

15.2i 2/3 exp(−2.86i −0.096 ) : i ≤ 20<br />

0.692i 0.95 (1 + 0.301/ln(i)) : i > 20<br />

(2.7)<br />

7


2 Makrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

2.2 <strong>Wachstums</strong>beschreibung in Analogie zu<br />

kritischen Phänomenen<br />

Kritische Phänomene<br />

Viele <strong>Wachstums</strong>prozesse zeigen eine formale Analogie zu kontinuierlichen Phasenübergängen 2<br />

in einem thermodynamischen System, den sogenannten kritischen Phänomenen. Am kritischen<br />

Punkt können die physikalischen Observablen durch kritische Exponenten in der Form<br />

X ∼ |T c − T | α<br />

charakterisiert werden, wobei T c die Temperatur am kritischen Punkt <strong>und</strong> α der entsprechende<br />

kritische Exponent ist. Es ist die bemerkenswerte Eigenschaft kritischer Phänomene, daß<br />

häufig unterschiedliche thermodynamische Systeme die gleichen kritischen Exponenten haben.<br />

Das bedeutet letzlich, daß die kritischen Phänomene von der Mikrophysik <strong>des</strong> jeweiligen<br />

thermodynamischen Systems unabhängig - d.h. universal - sind <strong>und</strong> nur von wenigen globalen<br />

Parametern abhängen.<br />

Es muß jedoch unbedingt bemerkt werden, daß die Analogie zwischen <strong>Wachstums</strong>prozeßen<br />

<strong>und</strong> kritischen Phänomenen rein formal ist!<br />

Charakerisierung eines <strong>Wachstums</strong>prozeß durch kritische Exponenten<br />

Die zeitliche Entwicklung <strong>des</strong> Ensembles wachsender Aggregate ist durch die Größenverteilung<br />

n s (t) der Aggregate der Masse s gekennzeichnet. Aufgr<strong>und</strong> der Erhaltung der Massendichte<br />

ρ erfüllt n s (t) die Normierungsbedingung<br />

ρ =<br />

∞<br />

∑<br />

1<br />

n s (t)s. (2.8)<br />

Numerische <strong>Wachstums</strong>studien ergaben, daß für feste Zeitpunkte das Größenspektrum bis zu<br />

einer cut-off-Masse s c (t) durch ein Potenzgesetz<br />

n s (t) ∼ s −τ<br />

gegeben ist (Abb. 2.1 a). Dies bedeutet, daß sich die Größenverteilung selbstähnlich entwickelt.<br />

Die cut-off-Masse s c wächst monoton mit der Zeit <strong>und</strong> divergiert für t → ∞. Dies entspricht<br />

formal dem Verhalten eines Gleichgewichtssystems in der Nähe seines kritischen Punktes,<br />

wobei s c mit der Korrelationslänge zu identifizieren wäre. Infolge <strong>des</strong>sen schlugen VICSEK &<br />

FAMILY (1984) sowie KOLB (1984) vor, die zeitliche Entwicklung <strong>des</strong> Spektrums analog zum<br />

Skalenverhalten kritischer Systeme zu beschreiben:<br />

n s (t) ∼ t −w s −τ f (s/s c (t)). (2.9)<br />

Die Skalenfunktion f (x) der cut-off-Masse ist für x ≪ 1 konstant, während sie für x → ∞<br />

exponentiell gegen Null geht. Der Term t w berücksichtigt den wachstumsbedingten Verlust<br />

2 Während Phasenübergängen zweiter Art wird keine latente Wärme abgegeben. Beispiele sind der ferromagnetische<br />

Übergang <strong>und</strong> die Superfluidität.<br />

8


2.2 <strong>Wachstums</strong>beschreibung in Analogie zu kritischen Phänomenen<br />

10 9<br />

(a) Statisches Skalenverhalten von n s (t)<br />

10 9<br />

Dynamisches Skalenverhalten von n s (t)<br />

n s [m −3 ]<br />

10 8<br />

10 7<br />

10 6<br />

10 5<br />

t=95.h<br />

t=187.h<br />

t=370.h<br />

t=731.h<br />

n<br />

s<br />

(t) ~ s<br />

−τ<br />

n s [m −3 ]<br />

10 8<br />

10 7<br />

10 6<br />

s= 1<br />

n s (t) ~ t<br />

-w<br />

s= 2<br />

s= 3<br />

s= 5<br />

s=10<br />

10 4<br />

s=15<br />

s=20<br />

10 3<br />

10 5<br />

10 2<br />

1 10 100 1000<br />

s [m 0 ]<br />

10 4<br />

0.1 1.0 10.0 100.0 1000.0<br />

t [h]<br />

Abbildung 2.1: Das Bild a zeigt das statische Skalenverhalten (d.h. n s (t) als Funktion der Aggregatmasse)<br />

<strong>des</strong> Massenspektrums <strong>des</strong> Brownschen <strong>Wachstums</strong>. Innerhalb eines großen Massenintervalls<br />

wird n s (t) für feste Zeiten durch den Potenzansatz s −τ beschrieben. Das Bild b zeigt das dynamische<br />

Skalenverhalten (d.h. n s (t) als Funktion der Zeit) <strong>des</strong> Brownschen Staubwachstums. Die asymptotische<br />

Abnahme der Clustersorten ist proportional zu t −w (KEMPF & MITARB. , 1999).<br />

der kleinen Aggregate. Die zeitliche Entwicklung der cut-off-Masse soll wiederum durch ein<br />

Potenzansatz<br />

s c ∼ t z<br />

gegeben sein. Unter diesen Annahmen folgt aus Gl. (2.8)<br />

ρ ∼<br />

Z ∞<br />

1<br />

Z ∞<br />

Z ∞<br />

sn s (t)ds ∼ t −w s 1−τ f (s/t z )ds = t z(2−τ)−w<br />

1<br />

t −z x1−τ f (x)dx.<br />

Für große Zeiten ist t −z ≈ 0 <strong>und</strong> hierdurch das Integral über x eine zeitunabhängige Funktion,<br />

d.h.<br />

ρ ∼ t z(2−τ)−w<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Zeitunabhängigkeit von ρ folgt dann die Bedingung für die kritischen Exponenten<br />

für große Zeiten<br />

w = (2 − τ)z. (2.10)<br />

Aus physikalischen Gründen sind w <strong>und</strong> z positiv, folglich ist τ < 2. Für die Anzahldichte n(t)<br />

findet man, daß<br />

n(t) ∼<br />

Z ∞<br />

<strong>und</strong> unter Nutzung von Gl. (2.10)<br />

1<br />

n s (t)ds ∼ t z(1−τ)−w Z ∞<br />

n(t) =<br />

t −z x−τ f (x)dx ∼ t z(1−τ)−w ,<br />

{<br />

t −z : τ < 1<br />

t −w : τ > 1 . (2.11) 9


2 Makrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

Das erste Moment der Größenverteilung n s ist nicht die mittlere Aggregatsmasse S(t), sondern<br />

aufgr<strong>und</strong> von Gl. (2.8) R ∞1<br />

sn s (t)ds<br />

R ∞1<br />

n s (t)ds = ρ<br />

n(t) ∼ n(t)−1<br />

proportional zum Kehrwert der Anzahldichte. Die mittlere Aggregatsmasse ist durch das zweite<br />

Moment der Verteilung gegeben<br />

R ∞1<br />

s 2 Z<br />

n s (t)ds<br />

∞<br />

Z ∞<br />

S(t) ∼ R ∞1<br />

sn s (t)ds ∼ t−w s 2−τ f (s/t z )ds ∼ t −w+z(3−τ) x2−τ f (x)dx<br />

1<br />

t −z<br />

<strong>und</strong> skaliert für große Zeiten wie<br />

S(t) ∼ t z . (2.12)<br />

Die kritischen Exponenten sind stark von der Mikrophysik <strong>des</strong> jeweiligen Prozesses abhängig,<br />

weshalb die Exponenten nicht universal sind. Weiterhin ist der Gültigkeitsbereich <strong>des</strong> Skalenansatzes<br />

auf große Zeiten als auch große s beschränkt.<br />

Häufig wird anstatt Gl. (2.9) ein alternatives Skalengesetz der Form<br />

benutzt, wobei die Skalenfunktion g(x) die Eigenschaften<br />

{<br />

∼ x ∆ x ≪ 1<br />

g(x) =<br />

≪ 1 x ≫ 1<br />

n s (t) ∼ s −θ g(s/s c (t)) (2.13)<br />

besitzt <strong>und</strong> ∆ der sogenannte “cross over”-Exponent ist. Für x ≪ 1 ist dann<br />

n s (t) ∼ t −z∆ s ∆−θ<br />

<strong>und</strong> geht unter Berücksichtigung, daß f (x) = 1 für x ≪ 1 ist, für θ = 2 in die Form <strong>des</strong> Skalengesetzes<br />

(2.9) über. Folglich gilt für x ≫ 1, daß<br />

n s (t) ∼ s −2 · e −x .<br />

Skalenverhalten homogener Kerne K i j<br />

Entwickelt sich n s (t) selbstähnlich, kann aus dem Kern der SMOLUCHOWSKI-Gleichung der<br />

<strong>Wachstums</strong>exponent z näherungsweise abgeleitet werden. In diesem Fall ist die Stoßmatrix<br />

bezüglich ihrer Argumente homogen, d.h. sie erfüllt ein Skalengesetz der Form<br />

K λiλ j = λ 2ω K i j .<br />

Für das CCA-Wachstum tragen zum Anstieg der mittleren Größe S = ∑ k n k k 2 /∑ k n k k hauptsächlich<br />

die Stöße zwischen Aggregaten gleicher Größe bei. In dieser Näherung reduzieren<br />

sich die Summen in der Koagulationsgleichung (2.1) auf die Reaktion zwischen zwei Clustern<br />

der halben mittleren Clustergröße<br />

d<br />

dt n k ∼ K k<br />

2<br />

k<br />

2<br />

n 2 k<br />

2<br />

(t)<br />

10


2.3 Wie gut sind die makroskopischen <strong>Wachstums</strong>modelle?<br />

Berechnet man hiervon das zweite Moment, findet man<br />

Ṡ(t) ∼ ∑K k k k 2 n 2 k (t) ≈ K S S (Sn S (t)) 2 ≈ K S S ρ 2 ∼ K S S = ( 1<br />

2 2<br />

k<br />

2 2 2 2 2 2 2 2 2 )2ω K SS ∼ K SS = [S(t)] 2ω K 11<br />

(KANG & MITARB. 1986). Durch Vergleich mit Gl. (2.12) erhält man die Beziehung zwischen<br />

dem kritischen Exponenten z <strong>und</strong> ω<br />

z ≈ (1 − 2ω) −1 .<br />

Durch die Vorgabe konkreter Kerne erlaubt die obige Gl. die Bestimmung <strong>des</strong> kritischen Exponenten<br />

als Funktion der Diffusionskonstanten <strong>und</strong> der fraktalen Dimensionen der Teilchen.<br />

Beispielsweise ergibt sich für das vollständig diffusive, koaleszente Brownsche Wachstum<br />

z ≈ 1 (KOLB 1984), während man für den ballistischen, koaleszenten Kern z ≈ 6 5<br />

findet. Für<br />

das Wachstum fraktaler Teilchen (d.h. σ ∼ m) ergibt sich z ≈ 2.<br />

2.3 Wie gut sind die makroskopischen<br />

<strong>Wachstums</strong>modelle?<br />

Numerische <strong>Wachstums</strong>simulationen sind sehr nützlich, um die Anwendbarkeit der makroskopischen<br />

<strong>Wachstums</strong>modelle zu prüfen. In dem folgenden Abschnitt werden die Modelle<br />

mit Ergebnissen einer N-Teilchen-Simulation <strong>des</strong> Brownschen ballistischen <strong>Wachstums</strong> verglichen.<br />

Die gewählten Parameter der Simulationen entsprechen den Bedingungen während<br />

der Frühphase der Planetenentstehung (KEMPF & MITARB. 1999).<br />

2.3.1 Gültigkeit der Skalenannahme<br />

Ist die Skalenannahme (2.9) gültig, wird die zeitliche Entwicklung jeder Sorte s durch die<br />

gleiche Skalenfunktion f (s/t z ) beherrscht. Diese Eigenschaft ist das Testkriterium für das Zutreffen<br />

der Skalenvermutung: Trägt man für jede Sorte n s (t)/s −2 über s/t z in einem Diagramm<br />

auf, so müssen die resultierenden Graphen (welche mit der Skalenfunktion f (x) korrespondieren)<br />

einander entsprechen. In der Abb. 2.2 wurde dieser Test für das gemittelte Massenspektrum<br />

von 7 Simulationen für n 0 = 2 ·10 9 m −3 ausgeführt. Hierfür wurden Clustermassen bis<br />

s = 20 berücksichtigt. Die Einbeziehung größerer Aggregate (s > 20) ist nicht sinnvoll, da für<br />

sie aufgr<strong>und</strong> der endlichen, simulierten Teilchenzahl die statistische Interpretation der Clustergrößenverteilung<br />

ihre Bedeutung verliert. Erwartungsgemäß weichen die Graphen für die sehr<br />

kleinen Aggregate (s < ∼4) stark von der resultierenden Skalenfunktion ab, da der Skalenansatz<br />

nur für große Massen geeignet ist (siehe Abschn. 2.2). Darüber hinaus wird die Anzahldichte<br />

der Monomere von der monodispersen Anfangsgrößenverteilung beeinflußt. Hiervon abgesehen<br />

gehen die Skalenfunktionen nach einer relativ kurzen Zeit in eine gemeinsame Kurve über.<br />

Folglich belegt der Test, daß die Skalenannahme für das Brownsche Staubwachstum eine gute<br />

Näherung ist.<br />

2.3.2 Zeitliche Entwicklung der Stoßraten K i j<br />

Eine Gr<strong>und</strong>annahme der SMOLUCHOWSKI-Theorie ist die zeitliche Unabhängigkeit der Elemente<br />

der Stoßratenmatrix K i j . Hierbei gibt das Element K i j die Zahl der Stöße zwischen Clustern<br />

der Massen i <strong>und</strong> j innerhalb der Einheitszeit im Einheitsvolumen an. Wurden während<br />

11


2 Makrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

10 10<br />

Skalenfunktion f(x)<br />

s=1<br />

10 9<br />

n s s 2<br />

10 8<br />

s=4s=3<br />

s=2<br />

10 7<br />

10 !7 10 !6 10 !5 10 !4 10 !3 10 !2 10 !1<br />

s/t z<br />

Abbildung 2.2: Skalenverhalten der dynamischen Clustergrößenverteilung n s (t) <strong>des</strong> Brownschen<br />

<strong>Wachstums</strong> für n 0 = 2.10 10 m −3 . Berechnungsgr<strong>und</strong>lage waren die gemittelten Massenspektren von 7<br />

Simulationen mit 20000 Teilchen. Abgesehen von den sehr kleinen Clustern (s < ∼4) gehen alle Graphen<br />

nach einer relativ kurzen Zeit in eine gemeinsame Kurve über, was den Skalenansatz (2.9) rechtfertigt.<br />

1000.0<br />

Zeitliche Entwicklung der effektiven Kollisionsrate K 1s<br />

s=1<br />

100.0<br />

K 1s /K 11<br />

10.0<br />

s=2<br />

s=3<br />

s=5<br />

s=10 s=20<br />

1.0<br />

0.1<br />

0.0001 0.0010 0.0100 0.1000 1.0000 10.0000 100.0000<br />

t [h]<br />

Abbildung 2.3: Zeitliche Entwicklung der Stoßraten K 1s zwischen Monomeren <strong>und</strong> Clustern bis s = 20.<br />

der Beobachtungszeit ∆t im Volumen ∆V ν i j Stöße zwischen den Clustersorten i <strong>und</strong> j beobachtet,<br />

so betrug die Stoßrate<br />

K i j (t) =<br />

ν i j (t)<br />

〈n i (t)〉 〈 n j (t) 〉 ∆t ∆V . (2.14)<br />

Hierin ist 〈 n j (t) 〉 die über die Beobachtungszeit gemittelte Anzahldichte der Cluster i. In der<br />

Abb. 2.3 ist die zeitliche Entwicklung der Stoßraten zwischen Monomeren <strong>und</strong> Clustern bis<br />

s = 20 dargestellt. Die Angaben der Stoßraten beziehen sich auf die theoretische Rate (2.3) für<br />

ballistisch stoßende Monomere K (b)<br />

11 = 4√ 12kT g R s /ρ s (ρ s – Teilchendichte, R s – Radius <strong>des</strong><br />

Monomers). Die großen Fluktuationen für kleine Zeiten haben ihre Ursache in der geringen<br />

Anzahl der Cluster zu diesem Zeitpunkt. Für große Zeiten wird die Stoßrate zumin<strong>des</strong>t für<br />

die sehr kleinen Cluster zeitunabhängig. Nach sehr großen Zeiten würde man wiederum starke<br />

Fluktuationen erwarten, da dann die Clusterzahlen sehr klein sind. Unter Gleichgewichtsbedingungen<br />

sollte die Stoßrate für Monomere dem aus kinetischen Betrachtungen abgeleiteten<br />

12


2.3 Wie gut sind die makroskopischen <strong>Wachstums</strong>modelle?<br />

K 1i /K 11<br />

14<br />

12 K 1i<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

0 10 20 30 40<br />

i<br />

K 2i /K 11<br />

14<br />

12 K 2i<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

0 10 20 30 40<br />

i<br />

K 3i /K 11<br />

14<br />

12 K 3i<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

0 10 20 30 40<br />

i<br />

Abbildung 2.4: Mittlere Stoßraten von Monomeren, Dimeren <strong>und</strong> Trimeren mit Clustern mit s < 40.<br />

Die durchgezogenen Linien zeigen die Stoßraten entsprechend der von OSSENKOPF (1993) angegebenen<br />

Näherung für das ballistische Wachstum von fraktalen Clustern mit D m = 1.95.<br />

Wert entsprechen (siehe Abschn. 2.1), da einerseits die Monomerdichte relativ groß ist <strong>und</strong><br />

andererseits die Monomere kugelförmig sind. Es spricht <strong>des</strong>halb sehr für die gute Qualität der<br />

Simulation, daß die gemessene Stoßrate der Monomere von K 11 /K (b)<br />

11<br />

= 0.95 nahezu diesem<br />

Wert entspricht.<br />

2.3.3 Analytische Form der Stoßraten K i j<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage der gemessenen mittleren Stoßraten K i j kann die analytische Form von K i j<br />

als Funktion der Teilchenmassen eingegrenzt werden. Für diese Analyse sind von den berechneten<br />

Matrixelementen nur die Spalten K 1i , K 2i <strong>und</strong> K 3i geeignet (Abb. 2.4), da die Stoßraten<br />

für größere Massen zu stark fluktuieren. Im allgemeinen ist eine Stoßrate das Produkt aus der<br />

typischen Relativgeschwindigkeit zwischen den stoßenden Teilchen <strong>und</strong> <strong>des</strong> effektiven Stoßquerschnitts.<br />

Im Fall <strong>des</strong> ballistischen Cluster-Cluster-<strong>Wachstums</strong> ist die typische Relativgeschwindigkeit<br />

durch die (von der Teilchenstruktur unabhängige) thermische Relativgeschwindigkeit<br />

der Aggregate gegeben. Falls die betrachteten Cluster klein sind, wird das Wachstum<br />

bei einer anfänglichen Dichte von n 0 = 2.10 9 m −3 nur schwach von räumlichen Fluktuationen<br />

beeinflußt. Daher ist es zumin<strong>des</strong>t eine sehr gute Näherung, als typische Geschwindigkeit<br />

zur Ableitung der resultierenden Stoßratenmatrix die thermische Relativgeschwindigkeit<br />

v th (i, j) = √ 8kT g /m 0 (i + j) anzunehmen, d.h. K i j ∼ {i −1 + j −1 } 1/2 σ(i, j). Aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> oben<br />

abgeleiteten Homogenitätsindex ω ≈ 0 muß σ(i,i) annähernd proportional zu √ i sein. Als<br />

Stoßquerschnitt der fraktalen Teilchen wurde die von OSSENKOPF (1993) angegebene Näherung<br />

(2.5) genutzt. Diese Approximation beschreibt die funktionale Massenabhängigkeit der<br />

Spalte K 1 j sehr gut (siehe Abb. 2.4). Dagegen stimmen die Spalten K 2 j <strong>und</strong> K 3 j nur für größe-<br />

13


2 Makrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

re Massen j mit der Näherung (2.5) überein. Da die Stöße zwischen Clustern kleiner Masse<br />

überwiegend zum Beginn <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong> stattfinden, ist diese Abweichung wahrscheinlich<br />

auf die starken Fluktuationen der Stoßraten in dieser <strong>Wachstums</strong>phase zurückzuführen. Für<br />

größere Anzahldichten n 0 ist der Stoßquerschnitt (2.5) eine gute erste Näherung. Dies wird<br />

weiterhin durch die gute Übereinstimmung der Lösung der SMOLUCHOWSKI-Gleichung für<br />

diesen Stoßquerschnitt mit den simulierten Massenspektren für n 0 = 2 ·10 9 m −3 belegt. Dagegen<br />

sind die Abweichung für kleine Anzahldichten erheblich. Für die korrekte Behandlung<br />

solcher Probleme im Rahmen der SMOLUCHOWSKI-Theorie muß die Stoßratenmatrix aus den<br />

gemessenen Stoßraten von N-Teilchen-Simulationen abgeleitet werden.<br />

14


3 Stochastische Teilchenbewegung<br />

als Quelle von<br />

Relativgeschwindigkeit<br />

Kleine, in ein Gas oder eine Flüssigkeit eingebettete Teilchen bewegen sich aufgr<strong>und</strong> der Stöße<br />

mit den Molekülen der Umgebung sprunghaft, unregelmäßig <strong>und</strong> unkorreliert. Die Natur dieses<br />

Phänomens wurde im wesentlichen von ALBERT EINSTEIN (1905) enthüllt, indem er die<br />

im statistischen Sinne gr<strong>und</strong>sätzliche Gleichheit der Moleküle <strong>des</strong> Mediums <strong>und</strong> der (verglichen<br />

mit den Molekülen großen) eingebetteten Teilchen erkannte. Diese thermische Bewegung<br />

(oder auch nach ihren Entdecker BROWNsche Bewegung) ist eine der wichtigsten Quellen von<br />

Relativbewegung zwischen wachsenden Objekten.<br />

Auf dem ersten Blick erscheint es unmöglich, die unregelmäßige thermische Bewegung<br />

durch eine hinreichend korrekte Bewegungsgleichung zu fassen, müßte man doch hierfür den<br />

vollständigen Satz derartiger Gleichungen für das Testteilchen <strong>und</strong> alle Moleküle <strong>des</strong> Mediums<br />

aufstellen. Die Gr<strong>und</strong>idee besteht in der Simulation der Teilchenstöße durch zufällige<br />

Störungen der deterministischen Bewegungsgleichung <strong>des</strong> Testteilchens. EINSTEIN beschrieb<br />

die Gasstöße durch ein weißes Rauschen, wodurch die Ableitung der (makroskopischen <strong>und</strong><br />

statistischen) Diffusionsgleichung aus der mikroskopischen Bewegungsgleichung für das Testteilchen<br />

gelang. Hier soll jedoch der intuitive Ansatz von LANGEVIN (1907) kurz dargestellt<br />

werden, der die Gr<strong>und</strong>lagen für die Theorie der stochastischen <strong>Physik</strong> legte.<br />

3.1 Thermische Bewegung eingebetteter Teilchen<br />

Die freie eindimensionale thermische Bewegung eines Teilchen ist das einfachste stochastische<br />

Bewegungsproblem. Das durch die Molekülstöße beschleunigte Teilchen wird aufgr<strong>und</strong><br />

der viskosen Reibung mit dem einbettenden Medium wieder gebremst. Da das Teilchen groß<br />

gegenüber der Molekülgröße ist, wird man das gleiche Reibungsverhalten wie für makroskopische<br />

Körper in Flüssigkeiten oder Gasen beobachten <strong>und</strong> führt folglich die Reibungskraft<br />

proportional zur relativen Geschwindigkeit als F R = −βv mit dem Reibungskoeffizienten β<br />

ein. Man kann formal die Bewegungsgleichung dieses Problems für in Teilchen der Masse m<br />

in der Form<br />

d t x = v (3.1)<br />

d t v = − β m v + a ξ(t) (3.2)<br />

m<br />

aufschreiben. Die Molekülstöße werden hier durch die stochastische Kraft F s = a·ξ(t) mit den<br />

Eigenschaften<br />

〈xi(t)〉 = 0 <strong>und</strong> 〈ξ(t)ξ(t ′ )〉 = δ(t −t ′ ) (3.3)<br />

15


3 Stochastische Teilchenbewegung<br />

approximiert 1 . Schaltet man die stochastische Kraft ab, so wird die kinetische Energie der<br />

Teilchenbewegung relativ zum Gas innerhalb der Ankoppelzeit<br />

τ f = m/β (3.4)<br />

Dies bedeutet, daß auf größeren Zeitskalen als τ f das Teilchen im thermodynamische Gleichgewicht<br />

mit dem Gas steht. Seine mittlere Geschwindigkeit 〈v〉 <strong>und</strong> Energie 〈E〉 sind dann<br />

durch die bekannten Ausdrücke der statistischen Mechanik gegeben:<br />

〈v〉 = √ 8kT /πm = v th (3.5)<br />

〈E〉 =<br />

2 1 kT, (3.6)<br />

wobei T die Gastemperatur <strong>und</strong> k die Boltzmannkonstante sind. Hatte das Testteilchen die<br />

Anfangsgeschwindigkeit v 0 , so findet man durch Integration von Gl. (3.2), daß<br />

v(t) = v 0 e −t/τ f<br />

+ a m<br />

Z t<br />

0<br />

e −(t−t′ )/τ f<br />

ξ(t ′ )dt ′ . (3.7)<br />

Für t ≫ τ f muß das Äquipartitionstheorem der statistischen Mechanik erfüllt sein, d.h.<br />

〈<br />

v<br />

2 〉 = a2 Z t Z t<br />

m 2 lim<br />

t→∞ t ′ =0 t ′′ =0<br />

e −(2t−t′ −t ′′ )/τ f<br />

〈ξ(t ′ )ξ(t ′′ )〉 dt ′ dt ′′<br />

} {{ }<br />

δ(t ′ −t ′′ )<br />

= a2 Z t<br />

m 2 lim e −2(t−t′ )/τ f<br />

dt ′ = a 2 τ f<br />

t→∞ 0<br />

2m 2 lim<br />

t→∞<br />

= a 2 1<br />

2βm<br />

!<br />

= kT m ,<br />

<strong>und</strong> findet als “Stärke” der stochastischen Kraft<br />

a = √ 2kT β.<br />

(<br />

1 − e −2t/τ f<br />

Weiterhin folgt für große Zeiten, daß die Teilchengeschwindigkeit im Mittel ihren stationären<br />

Wert erreicht hat <strong>und</strong> die Zeitableitung in (3.2) verschwindet, weshalb<br />

Die Dispersion der Teilchenposition ist dann<br />

x(t) = √ Z t<br />

2kT /β ξ(t ′ )dt ′ .<br />

0<br />

)<br />

wobei<br />

〈<br />

x 2 (t) 〉 = 2kT β −1 Z t<br />

Z t<br />

0 0<br />

〈ξ(t ′ )ξ(t ′′ )〉dt ′ dt ′′ = 2kT β −1 t = 2Dt,<br />

D = kT β<br />

(3.8)<br />

die Diffusionskonstante im Ortsraum ist (EINSTEIN 1905).<br />

1 Diese Eigenschaften entsprechen einem weißen Rauschen, d.h. Fluktuationen, welche in Raum <strong>und</strong> Zeit unkorreliert<br />

sind.<br />

16


3.2 Ein kurzer Exkurs in die Stochastik<br />

3.2 Ein kurzer Exkurs in die Stochastik<br />

Leider kann die Methode <strong>des</strong> vorigen Absatz nicht einfach auf komplexere Probleme angewendet<br />

werden. Die Integrale über die stochastischen Kräfte bedürfen einer Interpretation.<br />

3.2.1 Die LANGEVIN-Beschreibung der stochastischen Bewegung<br />

Es sei der physikalische Zustand eines Testteilchens durch den Vektor x(t) gegeben. Dann wird<br />

die zeitliche Änderung von x(t) durch die LANGEVIN–Gleichung (LG)<br />

dx(t) = A(x)dt + ˆB(x)dW(t) (3.9)<br />

beschrieben. In ihr sind A(x) der Driftvektor, welcher den deterministischen Anteil der Bewegung<br />

beschreibt, ˆB 2 (x) die Diffusionsmatrix sowie<br />

der WIENER-Prozeß mit der Eigenschaft<br />

W(t) =<br />

Z t<br />

0<br />

ξ(t ′ )dt ′ (3.10)<br />

dW(t) 2 = dt. (3.11)<br />

Natürlich ist es nicht möglich, die LANGEVIN–Gleichung analytisch geschlossen zu lösen.<br />

Allerdings ist man auch nur an statistischen Aussagen interessiert. Eine stochastische NEW-<br />

TONsche Bewegungsgleichung ist somit offensichtlich eine Bewegungsgleichung für die stochastischen<br />

Observablen <strong>des</strong> Systems, deren konkrete Werte aussagelos sind <strong>und</strong> immer einer<br />

statistischen Interpretation bedürfen. Aus der Menge der möglichen Werte der stochastischen<br />

Observablen leitet man deren Verteilungsfunktion ab <strong>und</strong> hat somit das stochastische Bewegungsproblem<br />

gelöst.<br />

In der Regel approximiert man ξ durch ein weißes Rauschen (siehe Gl. (3.3)). Neben der<br />

Diskontinuität von dW ist ein weiterer, unangenehmer Unterschied einer stochastischen zu<br />

einer gewöhnlichen Differentialgleichung das Verhalten bei einer Koordinatentransformation.<br />

Sei g[x(t)] eine beliebige Funktion der stochastischen Größe x. Entwickelt man dg[x(t)] in eine<br />

Taylorreihe bis zur zweiten Ordnung von x, ersetzt dx durch (3.9) <strong>und</strong> vernachlässigt Terme<br />

höherer Ordnung, findet man<br />

dg[x(t)] = g[x(t) + dx(t)] − g[x(t)] = g ′ [x(t)]dx(t) + 1 2 g′′ [x(t)]dx(t) 2 +O(dx 3 )<br />

= g ′ [x(t)]{A[x(t)]dt + B[x(t)]dW(t)} + 1 2 g′′ [x(t)]B[x(t)] 2 dW(t) 2 +O(dx 3 ).<br />

die als ITO-Gleichung bekannte transformierte neue LANGEVIN–Gleichung<br />

dg[x(t)] = {A[x(t)]dt + B[x(t)]dW(t)}g ′ [x(t)] + 1 2 B[x(t)]2 dt g ′′ [x(t)]. (3.12)<br />

Diese Formel zeigt, das eine LG bezüglich Koordinatentransformationen nur dann den Regeln<br />

der Differentialrechnung folgt (entsprechend derer man nur den Ausdruck in den geschweiften<br />

Klammern ableiten würde), wenn die Transformation g[x(t)] eine lineare Funktion in x(t)<br />

ist. Transformiert man beispielsweise die LG dv = BdW für die Geschwindigkeit v in eine<br />

17


3 Stochastische Teilchenbewegung<br />

Gleichung für die kinetische Energie E = mv 2 /2, so ergibt sich entsprechend (3.12) dE =<br />

mB 2 /2dt + mB √ E dW, während der Differentialkalkül nur die Beziehung dE = mB √ E dW<br />

liefern würde.<br />

Obwohl die LG in gewissem Sinne eine Verallgemeinerung der Newtonschen Bewegungsgleichungen<br />

der klassischen Mechanik ist, kann sie aufgr<strong>und</strong> der statistischen Natur der Observablen<br />

nicht mit den Methoden der klassischen mathematischen <strong>Physik</strong> gelöst werden.<br />

3.2.2 Die FOKKER-PLANCK-Beschreibung der stochastischen<br />

Bewegung<br />

Die Dynamik stochastischer Probleme ist vollständig durch die räumlich <strong>und</strong> zeitliche Entwicklung<br />

der Wahrscheinlichkeitsdichte p(x,t|x 0 ,t 0 ) <strong>des</strong> Prozesses x(t) beschrieben 2 , da sich<br />

aus ihr alle statistischen Gewichte 〈 f (x) n 〉 = R p(x,t|x 0 ,t 0 ) f (x) n dx der von der stochastischen<br />

Observablen x abhängigen Größe f bestimmen lassen. Daher muß die zeitliche Änderung <strong>des</strong><br />

Erwartungswertes 〈 f [x(t)]〉 durch die Änderung von p(x,t|x 0 ,t 0 ) bestimmt sein, d.h.<br />

Z<br />

d<br />

dt 〈 f [x(t)]〉 =<br />

f (x)∂ t p(x,t|x 0 ,t 0 )dx. (3.13)<br />

Andererseits ist das Differential der stochastischen Observablen f [x] durch die ITO-Gleichung<br />

(3.12) gegeben<br />

d<br />

dt 〈 f [x(t)]〉 = 1 dt 〈d f [x(t)]〉 = 〈 A(x)∂ x f (x) + 1 2 B(x)2 ∂ 2 x f (x) 〉 ,<br />

wobei die Eigenschaft 〈dW(t)〉 = 0 <strong>des</strong> WIENER-Prozesses ausgenutzt wurde. Durch Ersetzen<br />

<strong>des</strong> Mittlungsoperators 〈〉 durch das Integral über die Wahrscheinlichkeitsdichte für x <strong>und</strong><br />

nachfolgende partielle Integration (mit Vernachlässigung der Oberflächenterme) geht diese Beziehung<br />

in<br />

Z<br />

d<br />

dt 〈 f [x(t)]〉 =<br />

f (x){−∂ x [A(x)p(x,t|x 0 ,t 0 )] + 1 2 ∂2 x[B(x) 2 p(x,t|x 0 ,t 0 )]}dx (3.14)<br />

über. Da die Funktion f [x(t)] in den Gl. (3.13) <strong>und</strong> (3.14) beliebig ist, muß folglich die Wahrscheinlichkeitsdichte<br />

p(x,t|x 0 ,t 0 ) die FOKKER-PLANCK-Gleichung (FPG)<br />

∂ t p(x,t|x 0 ,t 0 ) = {−∂ x A(x) + 1 2 ∂2 xB 2 (x)}p(x,t|x 0 ,t 0 )<br />

erfüllen (PLANCK 1917). In analoger Weise leitet man für mehrdimensionale Probleme die<br />

Gleichung<br />

∂ t p(x,t) = {−∂ i A i (x) + 1 2 ∂ i ∂ j B2 i j(x)}p(x,t) (3.15)<br />

her. Das ist die gesuchte Bewegungsgleichung für die Wahrscheinlichkeitsdichte der stochastischen<br />

Observablen x.<br />

2 Die Schreibweise p(x,t|x 0 ,t 0 ) bedeutet, daß p die Wahrscheinlichkeitsdichte für das Auffinden <strong>des</strong> Teilchens<br />

am Ort x zum Zeitpunkt t unter der Bedingung ist, daß es sich zum Zeitpunkt t 0 am Ort x 0 bef<strong>und</strong>en hatte.<br />

18


3.2 Ein kurzer Exkurs in die Stochastik<br />

Für praktische Anwendungen ist es häufig einfacher, die FPG anstelle der korrespondierenden<br />

LG zu lösen, da sie eine gewöhnliche hyperbolische Differentialgleichung ist. Hingegen<br />

ist es zur Bestimmung der Form <strong>des</strong> Driftvektors sowie der Diffusionsmatrix eines Problems<br />

physikalisch anschaulicher, von der LG auszugehen, da aufgr<strong>und</strong> ihrer pseudo-newtonischen<br />

Struktur A unmittelbar aus der klassischen Mechanik abgeleitet werden kann. Die Diffusionsmatrix<br />

bestimmt man danach aus der Forderung, daß für große Beobachtungszeiten die Lösung<br />

durch die klassische statistische Mechanik gegeben sein muß.<br />

3.2.3 Beispiel: Relative Bewegung zweier Brownscher Teilchen<br />

Besteht das betrachtete System nur aus zwei Teilchen, so können alle interessierenden Größen<br />

wie die Stoßwahrscheinlichkeiten <strong>und</strong> die mittlere Zeit bis zu einer Kollision der Teilchen<br />

analytisch abgeleitet werden. Allerdings muß weiterhin vorausgesetzt werden, daß alle physikalischen<br />

Prozesse auf Zeitskalen größer als die Ankoppelzeit τ f stattfinden. In diesem Fall<br />

wird die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsdichte <strong>des</strong> einzelnen Teilchens durch eine FPG<br />

in der Form einer gewöhnlichen Diffusionsgleichung, d.h.<br />

∂ t p(x) = D x ∆ x p(x,t|x 0 ,t 0 ) (3.16)<br />

beschrieben. Zur Untersuchung eventueller Kollision im Zweitteilchensystem ist nur die relative<br />

Bewegung zwischen den beiden Teilchen von Interesse. Deshalb ist es vorteilhaft, diese<br />

relative Bewegung auf die Bewegung eines effektiven Teilchens zurückzuführen. Dies ist für<br />

sich unabhängig bewegende Teilchen möglich, da im Rahmen der statistischen Mechanik gezeigt<br />

wird: die relativen Bewegungen der Gasteilchen zueinander werden durch die gleiche<br />

Statistik wie die Bewegungen der einzelnen Teilchen beschrieben.<br />

Die zeitliche Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsdichte für die Positionen (x 1 ,x 2 ) für ein<br />

System von zwei sich voneinander unabhängig diffusiv bewegenden Teilchen wird durch die<br />

Fokker-Planck-Gleichung (FPG)<br />

∂ t p(x 1 ,x 2 ,t) = [D 1 ∆ x1 + D 2 ∆ x2 ] p(x 1 ,x 2 ,t) (3.17)<br />

beschrieben, wobei D 1 <strong>und</strong> D 2 die jeweiligen Diffusionskoeffizienten der Teilchen sind. Analog<br />

zur klassischen Mechanik zerlegt man nun die Bewegung <strong>des</strong> Systems in die Bewegung<br />

eines Pseudoteilchens <strong>des</strong> diffusiven Schwerpunktes 3 R sowie eines der relativen Bewegung x<br />

der Teilchen zueinander:<br />

bzw.<br />

R = (D 2 /D r )x 1 + (D 1 /D r )x 2 ), x = x 1 − x 2<br />

x 1 = R + (D 1 /D r )x,<br />

x 2 = R − (D 2 /D r )x.<br />

Die transformierte FPG für ein solches System lautet dann<br />

∂ t p(x,R,t) = [D r ∆ x + D R ∆ R ] p(x,R,t), (3.18)<br />

3 Für den mechanischen Schwerpunkt <strong>des</strong> Zweiteilchensystem gilt für die diffusive Bewegung kein Erhaltungssatz.<br />

Dies folgt unmittelbar aus dem Umstand, daß die FPG keine Newtonsche Bewegungsgleichung ist.<br />

Dagegen kann man zeigen, daß für den diffusiven Schwerpunkt ein derartiger Erhaltungssatz existiert <strong>und</strong><br />

somit in den diffusiven Relativkoordinaten die Diffusionskonstanten mit den Massen korrespondieren.<br />

19


3 Stochastische Teilchenbewegung<br />

worin D r = D 1 +D 2 die Diffusionskonstante der relativen Bewegung sowie D R = D 1 D 2 /D r die<br />

Diffusionskonstante der Schwerpunktsbewegung sind. Auf diese Weise wird das Problem der<br />

stochastischen Bewegung zweier unabhängiger Teilchen auf die Diffusion der Schwerpunktsposition<br />

sowie der Diffusion <strong>des</strong> Teilchenabstan<strong>des</strong> zurückgeführt.<br />

Für die Untersuchung von diffusiven Stößen ist eigentlich nur der Betrag <strong>des</strong> Teilchenabstands<br />

r von Interesse. Hierzu wird die FPG für die relative Teilchenbewegung in Polarkoordinaten<br />

transformiert, deren radiale Komponente durch<br />

mit dem Ortsoperator<br />

∂ t p(r,t) = L p(r,t) (3.19)<br />

L = {−∂ r [2D r /r] + 1 2 ∂2 r[2D r ]} (3.20)<br />

gegeben ist. Diese Gleichung enthält im Gegensatz zu (3.18) einen Driftterm A(x) = 2D r /r.<br />

Dieser bewirkt, daß die stochastische Bewegung im relativen Abstandsraum einer Vorzugsrichtung<br />

folgt, d.h. man kann das Auftreten <strong>des</strong> Driftterms als ein Vorhandensein einer deterministischen<br />

Kraft, welche die Teilchen auseinandertreibt, interpretieren. Hieraus folgt unmittelbar<br />

das Nichtverschwinden <strong>des</strong> mittleren Teilchenabstan<strong>des</strong>:<br />

〈r(t)〉 = √ 16D r t/π, mit t ≫ τ f .<br />

Ein Stoß der beiden Teilchen erfolgt dann, wenn ihr relativer Abstand r der Summe der beiden<br />

Teilchenradien R = R 1 +R 2 entspricht. Nun soll die Wahrscheinlichkeitsdichte π(t|0,r 0 )dt<br />

für einen Stoß innerhalb <strong>des</strong> Zeitintervalls (t,t +dt) gef<strong>und</strong>en werden. Diese kann nicht direkt<br />

aus der Ortswahrscheinlichkeitsdichte p(r,t|r 0 ,0)dr abgeleitet werden, weil in ihr die Zeit die<br />

Rolle eines Parameters spielt. Statt<strong>des</strong>sen führt man diese Fragestellung auf das Problem <strong>des</strong><br />

Verlassens eines Intervalls R ≤ r 0 ≤ s zurück, <strong>des</strong>sen “Wände” absorbierend sind, d.h. es gelten<br />

die Randbedingungen<br />

p(R,t) = 0 <strong>und</strong> p(s,t) = 0, (3.21)<br />

wobei s die maximale Teilchenseperation ist. Diese RB bewirken, daß zum Zeitpunkt t die<br />

Wahrscheinlichkeit für den Aufenthalt <strong>des</strong> Teilchens innerhalb <strong>des</strong> Intervalls gleich dem Integral<br />

über p(r,t|r 0 ,0) ist. Die totale Wahrscheinlichkeit g R (r 0 ,t), daß die Teilchen nach der Zeit<br />

t miteinander stoßen (d.h. daß das effektive Teilchen im relativen Abstandsraum das Intervall<br />

durch die untere Grenze R verläßt), ist durch den Wahrscheinlichkeitsstrom J durch R gegeben<br />

g R (r 0 ,t) =<br />

Z ∞<br />

t<br />

−J(R,t ′ |r 0 ,0)dt ′ . (3.22)<br />

Die Wahrscheinlichkeit π R (r 0 ) für das Zusammenstoßen der beiden Teilchen, d.h. daß das<br />

Relativteilchen das Intervall überhaupt durch R verlaßt, entspricht dem Gesamtstrom durch R,<br />

d.h. π R (r 0 ) = g R (r 0 ,0). Falls die Teilchen kollidieren, so ist prob(T < t) = g R (r 0 ,t)/π R (r 0 )<br />

die WK, daß sie dies später als zum Zeitpunkt T tun. Die zeitliche Ableitung von prob(T > t)<br />

liefert die Wahrscheinlichkeitsdichte π R (t|0,r 0 )dt für einen Stoß innerhalb <strong>des</strong> Zeitintervalls<br />

(t + dt,t) (vorausgesetzt sie stoßen überhaupt)<br />

π R (t|0,r 0 )dt = ∂ t prob(t ′ < t) = −J(R,t|r 0 ,0)/π R (r 0 )dt. (3.23)<br />

Auf analoge Weise berechnet man, daß die WKD π s (t|0,r 0 )dt für das Erreichen der maximalen<br />

Teilchenseparation s innerhalb (t,t + dt)<br />

π s (t|0,r 0 )dt = −J(s,t|r 0 ,0)/(1 − π R (r 0 ))dt (3.24)<br />

20


3.2 Ein kurzer Exkurs in die Stochastik<br />

entspricht. Das Ortsproblem (3.19) mit den Randbedingungen (3.21) wird gelöst, indem man<br />

p nach den Eigenfunktionen <strong>des</strong> Ortsoperators L Gl. (3.20) entwickelt<br />

p(r,t|r 0 ,0)dt = 2 ∞<br />

r<br />

s − R r 0<br />

∑ sin(λ n [r − R])sin(λ n [r 0 − R])e −D rλ 2 nt dt, (3.25)<br />

n=1<br />

wobei λ n = nπ/(s − R) die Eigenwerte <strong>des</strong> Problem sind. Hieraus ergibt sich entsprechend Gl.<br />

(3.23) die Stoßwahrscheinlichkeit<br />

π R (r 0 ) =<br />

R s − r 0<br />

. (3.26)<br />

s − R r 0<br />

Es ist sehr bemerkenswert, daß auch für ein unendlich großes Intervall die Stoßwahrscheinlichkeit<br />

nicht identisch 1 wird (außer für die triviale Lösung r 0 = R). Weiterhin findet man die<br />

Ausdrücke für die Wahrscheinlichkeitsdichten mit<br />

π R (t|0,r 0 )dt = 2D ∞<br />

r<br />

s − r 0<br />

∑ λ n sin(λ n [r 0 − R])e −λ2 nD r t dt. (3.27)<br />

i=1<br />

π s (t|0,r 0 )dt = 2D r<br />

r 0 − R<br />

∞<br />

∑<br />

i=1<br />

λ n sin(λ n [s − r 0 ])e −λ2 nD r t dt. (3.28)<br />

Diese WKD haben einige sehr wichtige Eigenschaften, welche sie gr<strong>und</strong>sätzlich von denen der<br />

Diffusion im Ortsraum unterscheiden:<br />

• Die Verteilungen sind sehr breit <strong>und</strong> asymmetrisch. Dies hat zur Folge, daß der zeitliche<br />

Stoßprozeß nur durch seine WKD <strong>und</strong> nicht durch seine statistischen Momente<br />

vollständig beschrieben werden. Dies wird deutlicher, wenn man die mittlere Stoßzeit<br />

〈t(r 0 )〉 = −<br />

Z ∞<br />

0<br />

tπ R (t|0,r 0 )dt = 1<br />

6D r<br />

(r 0 − R)(2s − R − r 0 ). (3.29)<br />

mit ihrer Varianz<br />

〈<br />

t 2 (r 0 ) 〉 = 1<br />

180D 2 (r 0 −R)(−7R 3 +28R 2 s−32Rs 2 +8s 3 −7R 2 r 0 +8s 2 r 0 +3Rr0 2 −12sr0 2 +3r0 3 ),<br />

r<br />

(3.30)<br />

vergleicht, welche von der gleichen Größenordnung ist. 4 Diese Eigenschaft ist charakteristisch<br />

für die WKD von zeitlichen Diffusionsphänomenen [?].<br />

• Die WKD für einen Teilchenstoß hängt ist stark von der willkürlich gewählten <strong>und</strong> nicht<br />

durch das Stoßproblem spezifizierbaren maximalen Teilchenseparation s ab. Dies zeigt<br />

zeigt sich inbesondere bei der Untersuchung der mittleren Stoßzeit, welche für ein unendlich<br />

großes Intervall unendlich wird.<br />

Um die Bestimmung der Stoßwahrscheinlichkeiten zwischen den Teilchen eines N-Teilchen-<br />

Systems auf 2-Teilchen-Probleme reduzieren zu können, muß man angeben, innerhalb welches<br />

Umkreises s man 2 benachbarte Teilchen als isoliertes 2-Teilchen-System auffaßt. Aufgr<strong>und</strong><br />

der oben diskutierten Abhängigkeit der Stoßwahrscheinlichkeit von s ist dies nicht selbstkonsistent<br />

möglich. Hieraus folgt, daß zum Auffinden der Stöße in einem N-Teilchen-System die<br />

diffusive Bewegung aller Teilchen betrachtet werden muß.<br />

4 Dies ist der wichtigste Unterschied zur Diffusion im Ortsraum, welche durch die Angabe <strong>des</strong> Mittelwertes<br />

sowie <strong>des</strong> Schwankungsquadrates der Position vollständig charakterisiert ist<br />

21


3 Stochastische Teilchenbewegung<br />

3.3 Thermische Bewegung auf beliebige Zeitenskalen<br />

Möchte man die thermische Bewegung auf Zeitskalen untersuchen, welche kleiner oder von<br />

der gleichen Größenordnung wie die Ankoppelzeit τ f sind, ist die Reduzierung <strong>des</strong> Problems<br />

auf die Diffusion im Ortsraum nicht mehr möglich. Das allgemeine Bewegungsproblem für ein<br />

Testteilchen der Masse m, eingebettet in einem Gas der Temperatur T , auf welches eine räumlich<br />

<strong>und</strong> zeitlich konstante Kraft F 0 = mg einwirkt, ist durch das Differentialgleichungssystem<br />

dx = vdt (3.31)<br />

dv = (g − τ −1<br />

f<br />

v)dt + τ −1 √<br />

f 2DdW (3.32)<br />

gegeben. Dies ist das ORNSTEIN-UHLENBECK-Problem. Der physikalische Zustand <strong>des</strong> Teilchens<br />

ist durch die Teilchenposition x <strong>und</strong> die Geschwindigkeit v vollständig bestimmt. Im<br />

Sinne der stochastischen Theorie korrespondiert jede unabhängige Observable mit einem stochastischen<br />

Integral. Dann ist die “Lösung” <strong>des</strong> Problems durch eine bivariante Normalverteilung<br />

[<br />

1<br />

p 2 (x) =<br />

2π √ |Σ| exp − 1 ]<br />

2 (x − ¯x)T Σ −1 (x − ¯x)<br />

(3.33)<br />

gegeben, wobei Σ die 2-dimensionale positiv definite Kovarianzmatrix<br />

[ ]<br />

Σ = 〈(x − ¯x) T σ<br />

2<br />

(x − ¯x)〉 = 1 σ 12<br />

σ 21 σ 2 2<br />

(3.34)<br />

ist.<br />

Die Komponenten der Kovarianzmatrix der bivarianten Verteilung p 2 (V,X,t|V 0 ,X 0 ,t 0 ) für<br />

das d-dimensionale UHLENBECK-ORNSTEIN-Problem lauten<br />

σ 2 X = {〈x 2 〉 − 〈x〉 2 }/d = 〈v 2 〉τ 2 [<br />

f 2τ − 3 + 4e −τ − e −2τ]<br />

σV 2 = {〈v 2 〉 − 〈v〉 2 }/d = 〈v 2 〉 [ 1 − e −2τ]<br />

σ XV = {〈vx〉 − 〈v〉〈x〉}/d = 〈v 2 〉τ f<br />

[<br />

1 − e<br />

−τ ] 2 . (3.35)<br />

Das Nichtverschwinden der Korrelation 〈XV〉 bedeutet, daß nach t ≫ τ f die Positions- <strong>und</strong><br />

Geschwindigkeitsfluktuationen korreliert sind. Weiterhin lauten die Mittelwerte für die Teilchenposition<br />

<strong>und</strong> Geschwindigkeit:<br />

[<br />

〈x(t)〉 = x 0 + v 0 τ f 1 − e<br />

−τ ] + gτ 2 [<br />

f τ − 1 + e<br />

−τ ] (3.36)<br />

〈v(t)〉 = v 0 e −τ [<br />

+ gτ f 1 − e<br />

−τ ] . (3.37)<br />

Für lange Beobachtungszeiten (t ≫ τ f ) entspricht die mittlere Teilchenposition der Trajektorie<br />

x 0 + v 0 τ f + gτ f t der Sedimentation im konstanten Feld g. Die hierin enthaltene konstante Verschiebung<br />

v 0 τ f ist durch die Kenntnis der Anfangsgeschwindigkeit v 0 bedingt. Weiterhin geht<br />

die mittlere Geschwindigkeit unabhängig von der Anfangsgeschwindigkeit v 0 in die konstante<br />

Sedimentationsgeschwindigkeit v sed = gτ f über.<br />

22


3.3 Thermische Bewegung auf beliebige Zeitenskalen<br />

4<br />

! x 2 /"v 2 #$ f<br />

2<br />

1.0<br />

! v 2 /"v 2 #<br />

1.0<br />

! xv /"v 2 #$ f<br />

3<br />

0.8<br />

0.8<br />

2<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.6<br />

0.4<br />

1<br />

0.2<br />

0.2<br />

0<br />

0 1 2 3<br />

$/$ f<br />

0.0<br />

0 1 2 3<br />

$/$ f<br />

0.0<br />

0 1 2 3<br />

$/$ f<br />

Abbildung 3.1: Zeitliche Entwicklung der Dispersion im Ortsraum (linkes Bild), im Geschwindigkeitsraum<br />

(mittleres Bild) sowie der Korrelation zwischen Teilchenposition <strong>und</strong> Geschwindigkeit (rechtes<br />

Bild) eines freien Brownschen Teilchens<br />

Ornstein-Fürth-Beziehung<br />

Die abgeleitete Verteilung gibt die Wahrscheinlichkeit für ein Testteilchen an, es nach einer<br />

gewissen Zeit t an einer konkreten Position x mit der konkreten Geschwindigkeit v zu finden.<br />

Vom experimentellen Gesichtspunkt her ist es jedoch schwierig, gleichzeitig Positions- <strong>und</strong><br />

Geschwindigkeitsmessungen an Brownschen Teilchen durchzuführen. Aus der allgemeinen<br />

Verteilungsfunktion für die Brownsche Bewegung läßt sich jedoch sofort die Verteilung für<br />

den Fall ableiten, daß die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t nicht gemessen wird. Hierzu mittelt<br />

man die Verteilung über alle möglichen Werte für v(t) <strong>und</strong> erhält die sogenannte ORNSTEIN-<br />

FÜRTH-Verteilung, welche nur von der Teilchenposition (sowie x 0 <strong>und</strong> v 0 ) abhängt:<br />

p(x,t|x 0 ,v 0 ,t 0 ) =<br />

1<br />

exp<br />

[− √(2πσ |∆x − v 0τ f [1 − e −τ ]| 2 ]<br />

2<br />

R )3 2σ R<br />

(3.38)<br />

Hiermit berechnet sich das mittlere Schwankungsquadrat der Teilchenposition wie folgt<br />

〈∆x 2 〉 v = σ 2 X + { [<br />

v 0 τ f 1 − e<br />

−τ ] + gτ 2 [<br />

f τ − 1 + e<br />

−τ ]} 2<br />

. (3.39)<br />

Mittelt man diesen Ausdruck nun auch noch über alle möglichen Werte für die Anfangsgeschwindigkeit<br />

v 0 <strong>und</strong> berücksichtigt das Äquipartitionstheorem 〈v 2 〉 = kT /m, so geht das<br />

Schwankungsquadrat für die Teilchenposition in<br />

〈∆x 2 (t)〉 v,v0 = { 2Dτ f + g 2 τ 4 f<br />

}[<br />

τ − 1 + e<br />

−τ ] (3.40)<br />

über. In dieser Beziehung wurde durch die Mittlungen über v <strong>und</strong> v 0 die Geschwindigkeitsbhängigkeit<br />

<strong>des</strong> Diffusionsprozesses eliminiert. Deshalb geht Gl. (3.40) für ein verschwinden<strong>des</strong> Kraftfeld<br />

<strong>und</strong> Beobachtungszeiten t ≫ τ f in 2Dt über.<br />

23


3 Stochastische Teilchenbewegung<br />

24


4 Mikrophysik <strong>des</strong><br />

Teilchenwachstums<br />

4.1 Wechselwirkung <strong>des</strong> Teilchens mit dem Medium<br />

Die Voraussetzung für das Wachstum durch “haftende Stöße” sind Relativbewegungen zwischen<br />

den Teilchen. Die Quellen relativer Teilchenbewegungen sind:<br />

• Geschwindigkeitsfluktuationen <strong>des</strong> Mediums<br />

• Turbulenz im Medium<br />

• differentielle Sedimentation.<br />

Ein Medium kann auf verschiedenen Längenskalen fluktuieren. Daher ist das Kriterium für<br />

die Kopplungsstärke <strong>des</strong> Teilchens an die turbulente Gasbewegung das Verhältnis zwischen<br />

der typischen Gasankoppelzeit τ f <strong>und</strong> der Fluktuationszeitskale <strong>des</strong> Mediums.<br />

4.2 Ankopplung an die thermischen Fluktuationen im<br />

Medium: typische Ankoppelzeit τ f<br />

Die Gasankoppelzeit τ f ist die typische Zeitskale, auf welcher die kinetische Energie der (translativen)<br />

Bewegung <strong>des</strong> Teilchen relativ zum Gas dissipiert wird. Dies ist physikalisch gleichbedeutend<br />

mit der typischen Zeit, welche das Teilchen benötigt, um das thermodynamische<br />

Gleichgewicht mit seiner Umgebung einzustellen.<br />

Ist die Geschwindigkeit <strong>des</strong> Teilchens relativ zum Medium wesentlich kleiner als die Schallgeschwindigkeit<br />

c s im Medium, so darf die Wechselwirkung zwischen dem Teilchen <strong>und</strong> dem<br />

Medium durch eine Reibungskraft<br />

m ˙v = −βv<br />

approximiert werden. Der Reibungskoeffizient β ist dann eine Funktion der Teilchengeometrie<br />

sowie der Eigenschaften <strong>des</strong> Mediums. Aus v(t) = v(0)exp(−t/τ f ) folgt die Definition der<br />

Ankoppelzeit<br />

τ f = m/β für v ≪ c s . (4.1)<br />

Die Ursache der Dissipation der kinetischen Energie der Teilchenbewegung relativ zum Medium<br />

sind die thermischen Fluktuationen <strong>des</strong> Mediums. Somit ist τ f auch die typische Zeitskale<br />

der Brownschen Bewegung.<br />

25


4 Mikrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

4.3 Bestimmung der Reibungskonstante β<br />

Bewegt sich ein Teilchen relativ zum Medium, so wird es aufgr<strong>und</strong> von Stößen mit den Molekülen<br />

<strong>des</strong> Mediums gebremst. Die Art <strong>und</strong> Weise <strong>des</strong> Impulsübertrags vom Teilchen auf das<br />

Medium hängt vom Verhältnis der freien Weglänge der Moleküle λ g zur typischen Ausdehnung<br />

<strong>des</strong> Teilchens R, der Knudsenzahl Kn ab:<br />

Wichtig sind die beiden Grenzfälle:<br />

Kn = λ g /R. (4.2)<br />

• Kn ≪ 1: hydrodynamisches Regime<br />

Wirkung <strong>des</strong> Mediums auf das Probeteilchen kann durch hydrodynamische Methoden<br />

behandelt werden. Die Strömung <strong>des</strong> Mediums ist vollständig laminar <strong>und</strong> die Mikrostruktur<br />

<strong>des</strong> Teilchens darf vernachlässigt werden. Für ein Gas mit der molekularen Viskosität<br />

η ist β ist durch das Stokes-Gesetz<br />

gegeben.<br />

β Stokes = 6πRη (4.3)<br />

• Kn ≫ 1: Regime <strong>des</strong> freien Molekülflusses<br />

Teilchen-Medium-Wechselwirkung wird durch Einzelstöße der Moleküle beherrscht. Das<br />

Verhalten konvexer Körper unter diesen Bedingungen wird durch die EPSTEIN-Theorie<br />

beschrieben.<br />

Für <strong>Wachstums</strong>phänomene ist das Regime großer Knudsenzahlen besonders wichtig. Das β<br />

kompliziert aufgebauter Körper wird häufig durch eine heuristische Verallgemeinerung der<br />

Ergebnisse der EPSTEIN-Theorie approximiert, welche daher kurz dargestellt wird.<br />

4.3.1 Reibungskoeffizient für kugelförmige Körper:<br />

EPSTEIN-Theorie<br />

Die Ableitung der Reibungskoeffizienten β kugelförmiger mikroskopischer Körper in dünnen<br />

Gasen durch PAUL EPSTEIN (1923) geht von folgenden Annahmen aus:<br />

1. Die am Teilchen reflektierten Moleküle beeinflussen die Geschwindigkeitsverteilung <strong>des</strong><br />

umgebenden Gases nicht, d.h., das der Geschwindigkeitserwartungswert <strong>des</strong> auftreffenden<br />

Moleküls durch die MAXWELL-BOLTZMANN-Verteilung gegeben ist. Bewegt sich<br />

das Teilchen mit v relativ zum Gas, so ist die Anzahl der Moleküle, welche mit Geschwindigkeiten<br />

zwischen w <strong>und</strong> w + dw auf das Teilchen auftreffen<br />

( mg<br />

) 3<br />

N(w)dw = n 2 g π2kT<br />

e − m g<br />

2kT (v+w)2 dw, (4.4)<br />

wobei n g die Teilchenzahldichte der Moleküle, T die Gastemperatur sowie m g die Molekülmasse<br />

sind.<br />

26


4.3 Reibungskonstante β<br />

2. Die Teilchengeschwindigkeit v darf gegenüber der mittleren thermischen Geschwindigkeit<br />

v th <strong>des</strong> Gases vernachlässigt werden, d.h. man braucht nur die erste Ordnung der<br />

Entwicklung von Gl. (4.4) zu berücksichtigen:<br />

( mg<br />

) 3<br />

N(w)dw ≈ n 2<br />

{ m<br />

g π2kT 1 − g<br />

kT (v · w)} e − m g<br />

2kT |w|2 dw. (4.5)<br />

Diese Annahme ist äquivalent mit der Annahme eines geschwindigkeitsunabhängigen<br />

Reibungskoeffizienten.<br />

Die Anzahl der je Zeiteinheit auf das Oberflächenelement dS auftreffenden Moleküle<br />

ist −N(w)dw(w · dS), wodurch auf dS in Richtung der Geschwindigkeit v der Impuls<br />

p (i) dS = − 1 4 ρ gv th v(cos 2 θ + 1 2 sin2 θ)dS übertragen wird. Hier sind θ der Winkel zwischen<br />

der Flächennormalen <strong>und</strong> v, ρ g = n g m g die Gasdichte sowie R der Teilchenradius.<br />

Die auf die Oberfläche aufgr<strong>und</strong> der auftreffenden Moleküle einwirkenende Kraft ist<br />

dann<br />

I<br />

F (i) = p (i) dS = −<br />

3 4πR2 ρ g v th |v|. (4.6)<br />

3. Je<strong>des</strong> auf dem Teilchen auftreffende Molekül verläßt dieses chemisch unverändert, d.h.<br />

es findet sowohl kein Ausfrieren von Gas als auch im Mittel keine chemische Reaktion<br />

auf der Teilchenoberfläche statt, welche in der Impulsbilanz berücksichtigt werden muß.<br />

Die das Teilchen beschleunigende Kraft F (e) aufgr<strong>und</strong> der entweichenden Moleküle ist<br />

von der Beschaffenheit der Oberfläche abhängig <strong>und</strong> wird als Vielfaches von F (i) parametrisiert:<br />

⎧<br />

⎪⎨ 0 geometrische Reflektion auf Oberfläche,<br />

F (e) = − 3π2<br />

16 ⎪⎩<br />

ρ gv th R 2 v diffusive Refl., therm. Nichtleiter<br />

− π2<br />

6 ρ gv th R 2 v diffusive Refl., therm. Leiter<br />

Die resultierende, das Teilchen bremsende Kraft ist dann F = F (i) + F (e) = δPF (i) , <strong>und</strong> somit<br />

β = 4 3 σ s δPρ g v th , (4.7)<br />

wobei σ s = πR 2 die projizierte Teilchenoberfläche sowie<br />

⎧<br />

⎪⎨ 1 geometrische Reflexion<br />

δP = 1 +<br />

64 9 π ≈ 1.442 diffuse Refl., thermischer Nichtleiter (4.8)<br />

⎪⎩<br />

1 +<br />

8 1π ≈ 1.393 diffuse Refl., thermischer Leiter<br />

die Art <strong>des</strong> Impulsübertrags bezeichnen. Hieraus ergibt sich für die Ankoppelzeit kugelförmiger<br />

Teilchen:<br />

τ f = m 1<br />

σ 4 s 3 ρ . (4.9)<br />

gv th<br />

Von besonderer Bedeutung für die <strong>Wachstums</strong>prozesse ist die Tatsache, daß für kugelförmige<br />

Körper die Ankoppelzeit proportional zum Verhältnis von Teilchenmasse <strong>und</strong> Teilchenoberfläche<br />

<strong>und</strong> somit eine lineare Funktion der Teilchengröße ist.<br />

27


4 Mikrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

Weiterhin kann gezeigt werden, daß das EPSTEIN-Gesetz in der Form der Gl. (4.9) für alle<br />

Körper mit konvexen Oberflächen gültig ist. Dieser Zusammenhang wurde auch für zylinderförmige<br />

Körper <strong>und</strong> Scheiben bestätigt (Daneke 1973). Die Gültigkeit der EPSTEIN-<br />

Beziehung wurde durch Hochpräzisionsexperimente an Kugeln in einer PAUL-Falle von HUT-<br />

CHINS & Mitarb. (1995) sowie für freie Teilchen von BLUM & Mitarb. (1996) experimentell<br />

bestätigt.<br />

4.3.2 Reibungskoeffizient für beliebig geformte Körper<br />

Erfolgen die Stöße zwischen Aggregaten langsam, so bleibt die Struktur der kollidierenden Aggregate<br />

erhalten. Dies hat zur Folge, daß die wachsenden Teilchen eine sehr unregelmäßige <strong>und</strong><br />

nichtkonvexe Struktur aufzeigen, für welche die theoretischen Konzepte der EPSTEIN-Theorie<br />

nicht mehr angewand werden können. Es ist allerdings möglich, einen formalen Ausdruck für<br />

den Reibungskoeffizienten beliebiger Körper zu formulieren:<br />

β = 3 4 ρ g〈<br />

σs · δP · v g<br />

〉<br />

. (4.10)<br />

Der Operator 〈〉 bezeichnet hierin die statistische Mittelung über die Reibungskoeffizienten<br />

aller möglichen Teilchenstrukturen, deren projizierte Oberfläche durch σ s gegeben ist. Die<br />

Mittelung erfolgt in einem Gasvolumen mit der mittleren Gasgeschwindigkeit 〈 v g<br />

〉<br />

= vth <strong>und</strong><br />

der mittleren Moleküldichte ρ g . Sind die Größen innerhalb <strong>des</strong> 〈〉-Operators nicht oder nur<br />

sehr schwach mit der Oberfläche σ s korreliert, so darf 〈 σ s · δP · v g<br />

〉<br />

durch das Produkt der<br />

Mittelwerte ersetzt werden<br />

β ve = 3 4 ρ g〈σ s 〉 〈 δP · v g<br />

〉<br />

. (4.11)<br />

Mit diesem Ausdruck ergibt sich analog zur Ankoppelzeit für kugelförmige Teilchen<br />

〈<br />

τf<br />

〉<br />

=<br />

m<br />

〈σ s 〉<br />

4<br />

3<br />

1<br />

〈 〉, (4.12)<br />

δP · vg<br />

wobei 〈 τ f<br />

〉<br />

wiederum linear vom Verhältnis von der Teilchenmasse zur mittleren projizierten<br />

Teilchenoberfläche abhängt. Da dieser Ausdruck ausschließlich von der Struktur abhängt, verknüpft<br />

τ f die dynamischen <strong>und</strong> die strukturellen Eigenschaften <strong>des</strong> Teilchens.<br />

Es ist verlockend, auch 〈 δP · v g<br />

〉<br />

durch 〈δP〉<br />

〈<br />

vg<br />

〉<br />

zu ersetzen (was auch zahlreiche Autoren<br />

getan haben!). Es lohnt sich jedoch, die Folgen dieses Schrittes näher zu beleuchten. Die<br />

obige Annahme bedeutet nämlich, daß die an der Teilchenoberfläche reflektierten Moleküle<br />

nicht die lokale Geschwindigkeitsverteilung <strong>des</strong> Gases verändern <strong>und</strong> somit nur Molekül-<br />

Teilchenoberflächen-Stöße, nicht jedoch die Stöße der Moleküle untereinander berücksichtigt<br />

werden müssen. In filligranen Strukturen mit zahlreichen Hohlräumen kollidiert ein Molekül<br />

viele Male mit der Teilchenoberfläche, bevor es wieder mit einem anderen Gasmolekül zusammenstößt<br />

<strong>und</strong> hierdurch an die Temperatur <strong>des</strong> Gases “erinnert” wird. Solche Effekte führen<br />

zu einer lokalen Abweichung der Geschwindigkeitsverteilung <strong>des</strong> Gases <strong>und</strong> hierdurch zu einer<br />

Korrelation zwischen der Teilchenoberfläche <strong>und</strong> v th . Diese offene Frage erfordert wohl<br />

neuartige Methoden zu ihrer Beantwortung.<br />

28


4.4 Selbstähnliche Teilchenstrukturen <strong>und</strong> fraktale Dimension<br />

4.4 Selbstähnliche Teilchenstrukturen <strong>und</strong> fraktale<br />

Dimension<br />

Vernachlässigt man die Schwierigkeiten mit dem Ausdruck 〈 δP · v g<br />

〉<br />

, so verbleibt die Aufgabe,<br />

eine geeignete Beschreibung für m/〈σ s 〉 <strong>und</strong> somit für die Teilchenstruktur zu finden. <strong>Wachstums</strong>phänomene<br />

haben nun meistens zwei sehr interessante Eigenschaften:<br />

• häufig generieren sehr unterschiedliche <strong>Wachstums</strong>phänomene sehr ähnliche Teilchenstrukturen<br />

• häufig bleibt die Struktur der Aggregate während <strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong> erhalten.<br />

Während die erste Eigenschaft andeutet, daß die Teilchenstruktur ein universaler Parameter<br />

von <strong>Wachstums</strong>prozessen ist, weist die zweite Eigenschaft auf die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit<br />

hin.<br />

1.47<br />

1.59 1.69 1.74 1.84<br />

1.92<br />

2.00 2.12 2.22 2.39<br />

Abbildung 4.1: Beispiele für Cluster mit fraktalen Dimensionen von 1.47 bis 2.39. Fraktale Dimensionen<br />

von ∼ 1 bedeuten, daß die Clusterstruktur auf eine Linie abgebildet werden kann, bei D m ∼ 2<br />

kann je<strong>des</strong> Clusterteilchen in einer zweidimensionalen Projektion gesehen werden. Die Aggregate sind<br />

das Ergebnis einer N-Teilchen-Simulation Brownschen Staubwachstums mit dem Modell BROWN2 <strong>und</strong><br />

bestehen aus ∼ 100 − 200 Einzelteilchen.<br />

Die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit der Teilchenstruktur wird bei zahlreichen chemischen,<br />

physikalischen sowie kristallographischen <strong>Wachstums</strong>phänomenen beobachtet <strong>und</strong> mathematisch<br />

sehr effektiv mittels <strong>des</strong> Konzepts einer fraktalen Dimension beschrieben. In Abb. 4.1<br />

sind Beispiele simulierter fraktaler Teilchen abgebildet.<br />

29


Fractal dimension D f<br />

4 Mikrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

4.4.1 Das mathematische Konzept der Fraktalität<br />

L - length of the structure<br />

R - linear extension of the structure<br />

! - scale size<br />

Objekten, welche eine hohen Grad von Selbstähnlichkeit aufweisen, können in der Regel keine<br />

ganzzahlige Dimension zugewiesen werden. Man kann jedoch einer beliebigen Punktmenge<br />

eine (in der Regel gebrochenzahlige) fraktale Dimension D f zuordnen, welche zwischen der<br />

topologischen Dimension der Menge <strong>und</strong> der einbettenden Raumdimension liegt.<br />

example: von Koch curve<br />

Abbildung 4.2: Die ersten 5 Konstruktionschritte einer VON KOCH-Kurve.<br />

/labor/Sascha/Texte/Folie/Potsdam/fractal2.fig<br />

Selbstähnliche Objekte zeigen eine Skaleninvarianz bezüglich einer Größe x,<br />

f (λx) = λ D f (x). (4.13)<br />

Für nichtfraktale Objekte entspricht D der topologischen (ganzzahlige) Dimension <strong>des</strong> Objekts,<br />

während für fraktale Objekte die fraktale Dimension D f relle positive Werte annimmt.<br />

30


4.4 Selbstähnliche Teilchenstrukturen <strong>und</strong> fraktale Dimension<br />

Die fraktale Dimension ist dann<br />

D f =<br />

log( f (λx)/ f (x))<br />

. (4.14)<br />

logλ<br />

Als Beispiel für ein Fraktal betrachten wir die VON KOCH-Kurve, welche die Eigenschaft<br />

hat, nirgens differenzierbar, aber überall stetig zu sein. Man erhält sie, indem man iterativ aus<br />

jedem Streckensegment der Länge L i das innere Drittel entfernt <strong>und</strong> durch zwei neue Strecken<br />

der Länge L i+1 =<br />

3 1L i im Winkel von 60 ◦ ersetzt, wobei man mit einem Segment der Länge<br />

L 0 beginnt. Da offensichtlich nach jedem Iterationschritt die Länge der Kurve um den Faktor<br />

4<br />

3 zunimmt, ist die Länge l ∞ der VON KOCH-Kurve unbegrenzt, jedoch die von ihr umgrenzte<br />

Fläche endlich (A ∞ = 9 5<br />

). Abb. 4.2 zeigt die ersten 5 Konstruktionsschritte der fraktalen Kurve.<br />

Die fraktale Dimension der VON KOCH-Kurve ist dann:<br />

D f = log L( 1 3 L 0)<br />

L(L 0 )<br />

log 1 3<br />

= log 1 4 L(L 0)<br />

L(L 0 )<br />

log<br />

3<br />

1<br />

= log4 ≈ 1.26. (4.15)<br />

log3<br />

4.4.2 Fraktale Aggregate<br />

Möchte man das Konzept der Skaleninvarianz auf reale Aggregate anwenden, ergeben sich<br />

zwangsläufig Einschränkungen. Strenggenommen erfordert die mathematische Theorie fraktaler<br />

Strukturen die Erfüllung der Selbstähnlichkeit auf allen Größenskalen, welche selbstverständlich<br />

für reale Staubaggregate nicht erfüllt. Trotzdem bleibt die Eindeutigkeit der Charakterisierung<br />

<strong>des</strong> <strong>Wachstums</strong>prozesses durch eine fraktale Dimension erhalten, falls die Selbstähnlichkeit<br />

über ein hinreichen<strong>des</strong> Teilchengrößenintervall gewahrt ist.<br />

Die Teilchenstruktur beeinflußt sowohl die Oberfläche als auch die Masse eines Aggregats;<br />

somit wird der <strong>Wachstums</strong>prozeß durch die fraktale Massendimension D m <strong>und</strong> Oberflächendimension<br />

D σ charakterisiert:<br />

m(R) ∼ R D m<br />

σ(R) ∼ R D σ<br />

. (4.16)<br />

Der Radius R ist hier die typische Ausdehnung <strong>des</strong> Aggregats. Aufgr<strong>und</strong> der unregelmäßigen,<br />

fraktalen Struktur der Aggregate ist seine Wahl in gewissen Grenzen willkürlich. Im allgemeinen<br />

wird hierfür der Gyrationsradius<br />

ˆR gyr =<br />

{<br />

N<br />

N<br />

∑<br />

i=1<br />

m 2 i r 2 i<br />

} 1/2<br />

/<br />

N<br />

∑<br />

i=1<br />

m i . (4.17)<br />

gewählt. Er entspricht dem Radius <strong>des</strong> kugelförmigen Teilchens, welches das gleiche Trägheitsmoment<br />

wie das Aggregat bestehend aus N Teilchen der Masse m i im Abstand r i zum Massenmittelpunkt<br />

besitzt. Ist das Aggregat aus identischen Teilchen aufgebaut, so ist die Masse zur<br />

Teilchenzahl äquivalent, während R gyr = {1/N ∑ N i=1 r2 i }1/2 ist.<br />

Die Ankoppelzeit fraktaler Aggregate ist aufgr<strong>und</strong> Gl. 4.12 proportional zu m/〈σ s 〉, weshalb<br />

τ f mit der Teilchenausdehnung wie<br />

τ f ∼ R D m−D σ<br />

(4.18)<br />

31


4 Mikrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

10000<br />

<strong>Wachstums</strong>pfade zum Cluster # 32084<br />

längster Pfad: 58 Stöße D m =2.00<br />

kürzester Pfad: 3 Stöße D m =2.46<br />

200<br />

Fraktale Massendimension der <strong>Wachstums</strong>pfade<br />

=2.00±0.16<br />

1000<br />

150<br />

100<br />

p(D f )dD f<br />

100<br />

10<br />

50<br />

1<br />

1 10 100<br />

R gyr<br />

0<br />

1.5 2.0 2.5 3.0 3.5<br />

D m<br />

Abbildung 4.3: Darstellung der Pfade aller Aggregate, welche am Aufbau <strong>des</strong> Aggregates in Abb. 4.4<br />

bestehend aus 1115 Teilchen beteiligt waren. Das rechte Bild zeigt die Verteilung der für die verschiedenen<br />

Pfade gemessenen fraktalen Dimensionen.<br />

skaliert. Die Teilchenoberfläche hängt nur schwach von der Teilchenstruktur ab, weshalb häufig<br />

D σ mit 2 abgeschätzt wird. Dieser Ansatz führt jedoch zu Widersprüchen, da einerseits aus<br />

physikalischen Gründen τ f mit wachsender Clustergröße zunehmen muß, andererseits viele<br />

<strong>Wachstums</strong>szenarien durch fraktale Massendimensionen kleiner als 2 gekennzeichnet sind.<br />

Hieraus folgt, daß in dreidimensionalen Systemen die Dimensionen fraktaler Teilchen die Ungleichung<br />

1 ≤ D σ ≤ D m ≤ 3 (4.19)<br />

erfüllen müssen. Fraktale Dimensionen von D m ∼ 2 bedeuten, daß die Teilchen <strong>des</strong> Clusters<br />

im wesentlichen in der Oberfläche <strong>des</strong> Gebil<strong>des</strong> liegen, während eine Dimension von D m ∼ 3<br />

volumenkonzentrierte Gebilde kennzeichnet. Numerische Simulationen ergaben fraktale Dimensionen<br />

von D σ ∼ 1.5 sowie D m ∼ 1.85 (KEMPF & Mitarb. 1999).<br />

4.4.3 Bestimmung der Dimension fraktaler Aggregate<br />

Die Bestimmung der fraktalen Dimension von Aggregaten für einen spezifischen <strong>Wachstums</strong>prozeß<br />

kann mittels zweier Methoden erfolgen. Beide nutzen die Eigenschaft der Universalität der<br />

fraktalen Dimension für einen Prozeß:<br />

• man untersucht die Massenzunahme eines wachsenden Aggregates<br />

• man untersucht die Struktur eines einzelnen großen Aggregats.<br />

Ableitung von D f aus <strong>Wachstums</strong>sequenz<br />

Verfolgt man die Zunahme der Aggregatmasse (bzw. Oberfläche) mit wachsendem Gyrationsradius,<br />

so kann man mittels<br />

m(R) ∼ R D f (4.20)<br />

direkt die Dimension <strong>des</strong> Aggregats abschätzen. Diese Methode setzt jedoch voraus, daß die<br />

“Geschichte” <strong>des</strong> wachsenden Aggregates bekannt ist.<br />

32


4.4 Selbstähnliche Teilchenstrukturen <strong>und</strong> fraktale Dimension<br />

10 0<br />

2−Punkt−Korrelation <strong>des</strong> Clusters<br />

D m =2.02+−0.02<br />

10 −2<br />

c(R)d 3 R<br />

10 −4<br />

10 −6<br />

10 −8<br />

cluster #32084: 1115 Teilchen<br />

1 10 100<br />

R/R 0<br />

Abbildung 4.4: Ansicht der räumlichen Struktur <strong>des</strong> Farktals aus Abb. 4.3 sowie <strong>des</strong>sen 2-Punkt-<br />

Dichtekorrelation. Die hieraus bestimmte fraktale Dimension von D m = 2.02±0.02 steht in guter Übereinstimmung<br />

mit der aus der “Aggregatsgeschichte” abgeleiteten Dimension von D m = 2.00 ± 0.39.<br />

Der <strong>Wachstums</strong>baum führt zu einer intrinsische Uneindeutigkeit, da es keinen ausgezeichneten<br />

<strong>Wachstums</strong>pfad gibt. Dies kann man sich folgendermaßen verdeutlichen: Durch einen<br />

haftenden Stoß wird aus zwei Aggregaten ein neues aufgebaut. Demnach hat je<strong>des</strong> Aggregat<br />

zwei Vorgänger, welche wiederum ihre individuelle, im allgemeinen voneinander verschiedene<br />

“Vorgeschichte” haben. Offensichtlich existieren eine Vielzahl von <strong>Wachstums</strong>pfaden zu<br />

einem Aggregat; deren Auswahl beeinflußt den gemessenen Wert der fraktale Dimension <strong>des</strong><br />

jeweiligen Clusters (siehe Abb. 4.3).<br />

Derartige Probleme sind charakteristisch für “natürlich” gewachsene Strukturen. Dagegen<br />

ist der Grenzfall <strong>des</strong> monodispersen Cluster-Cluster-<strong>Wachstums</strong> (d.h. es stoßen jeweils Cluster<br />

identischer Größe) mit einem eindeutigen Pfad verb<strong>und</strong>en, da beide Stoßpartner die gleiche<br />

Vergangenheit haben. Weiterhin ist auch der Pfad eines wachsenden PCA-Teilchens eindeutig,<br />

da es ausschließlich mit “geschichtslosen” Einzelteilchen stößt.<br />

Ableitung von D f aus Aggregatsstruktur<br />

Da die innere Struktur <strong>des</strong> Aggregats skaleninvariant ist, kann <strong>des</strong>sen Dimension aus der Analyse<br />

der Massenverteilung im Aggregat abgeleitet werden (MEAKIN 1991). Hierzu betrachtet<br />

man die 2-Punkt-Dichte-Korrelationsdichte<br />

c(r)dr = 〈ρ(r ′ )ρ(r ′ + r)〉 r ′dr, (4.21)<br />

welche die Wahrscheinlichkeit angibt, innerhalb eines Aggregats zwei Teilchen im Abstand<br />

r zu finden. ρ(r) ist die lokale Dichte im Aggregat. Aufgr<strong>und</strong> der Selbstähnlichkeit der Teilchenstruktur<br />

ist die Korrelationsdichte invariant unter einer Skalentransformation <strong>des</strong> Abstands<br />

c(λr) ∼ λ α c(r). Dieser Zusammenhang kann nur durch Funktionen der Form<br />

c(r) ∼ r α (4.22)<br />

erfüllt werden, wobei die Kodimension α = D f − d der Differenz der fraktalen Dimension D f<br />

<strong>und</strong> der Dimension <strong>des</strong> einbettenden Raumes d entspricht. Abb. 4.4 zeigt die Korrelationsdich-<br />

33


4 Mikrophysik <strong>des</strong> Teilchenwachstums<br />

te für ein simuliertes Aggregat.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der endlichen Größe realer Aggregate muß jedoch die obige Methode modifiziert<br />

werden. Das Gültigkeitsintervall <strong>des</strong> Potenzansatzes 4.22 skaliert wiederum mit der typischen<br />

Größe R, weshalb die Korrelationsfunktion in der Form c(r,R) geschrieben werden<br />

kann. Andererseits gilt ein Skalengesetz für die Aggregatgröße, <strong>des</strong>sen Exponent wiederum<br />

D f ist. Daher ist es naheliegend, dieses Verhalten auch für die Korrelationsdichten von Clustern<br />

verschiedener Größen zu fordern, d.h.<br />

c(λr,λR) = λ D f −d c(r,R).<br />

Nutzt man weiterhin, daß für identische Aggregatteilchen R durch die Teilchenanzahl R ∼<br />

N 1/D f<br />

ersetzt werden kann, erhält man<br />

c(r) = N 1−d/D f<br />

f (r/N 1/D f<br />

). (4.23)<br />

Werden die Korrelationsfunktionen für verschiedene Clustergrößen in einem doppeltlogarithmischen<br />

Diagramm über r/N 1/D f<br />

abgetragen, so müssen sie für den korrekten Wert von D f in<br />

einer gemeinsamen Skalenfunktion f zusammenfallen. Diese Verfahrensweise verbessert die<br />

Bestimmung der fraktalen Dimension erheblich.<br />

34


Literatur<br />

Lehrbücher<br />

• T. Vicsek (1992). Fractal Growth Phenomena (WordScientific, Singapore)<br />

• C. Gardiner (1994). Stochastic Methods for Physics, Chemistry and the Natural Sciences<br />

(Springer, Berlin)<br />

• S. Chandrasekhar (1943). Stochastic Methods in Physics and Astronomy (Reviews of<br />

Modern Physics, 15, 1)<br />

• L.D. Landau <strong>und</strong> E.M. Lifschitz (1997). Lehrbuch der theoretischen <strong>Physik</strong>, Bd. 7, Elastizitätstheorie<br />

(Harry Deutsch Verlag)<br />

• K. Johnson (1987) Contact Mechanics (Camebridge University Press, Camebridge)<br />

Artikel<br />

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