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Expertenrunde - IFS

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<strong>Expertenrunde</strong><br />

Beteiligte: Prof. Heinz Günter Holtappels, Herr Dr. Stefan Appel, Herr Gert Weiß, Herr Wolfgang<br />

Endres; Moderator: Herr Oliver Buschek 1<br />

Moderator: Wie sah unter Ihrer Leitung am Emmy-Noether-Gymnasium ein typischer Tag<br />

aus?<br />

Weiß:<br />

- Das Gymnasium (Stand 2010) hat drei gebundene Ganztagsklassen in den Jahrgängen<br />

5-9.<br />

- Unterrichtsbeginn ist wie die in den Halbtagsklassen um 8 Uhr.<br />

- Die 6. Stunde wurde abgeschafft und dafür eine verlängerte Mittagspause eingerichtet.<br />

Die Mittagspause gliederte sich in das Mittagessen und in Neigungsangebote, die<br />

von Lehrkräften oder externem Personal durchgeführt wurden (Sport, Künstlerisches,<br />

Freizeitangebote, Rückzugsmöglichkeiten, Tischtennis, Teeküche, Zeit, um sich in<br />

Kleingruppen zu treffen).<br />

- Unterrichtet wird meist in Doppelstunden. Nach je zwei Doppelstunden folgen nach<br />

Möglichkeit am Vormittag und/oder auch am Nachmittag Arbeitsstunden für Hausaufgaben,<br />

die an die Kernfächer angegliedert sind. Das war der erste Schritt, sich von<br />

dem traditionellen Hausaufgabenkonzept zu verabschieden. Dazu war eine völlig andere<br />

Didaktik der Fächer nötig.<br />

- Eine gebundene Ganztagsschule einzurichten, ist ein lang angelegtes Schulentwicklungsprojekt.<br />

Dabei schlägt das Neue bspw. größere Zeitblöcke) irgendwann in den<br />

„Halbtagszweig“ um und bekommt von allen Zustimmung.<br />

- Die Segnungen der Ganztagsschule kann man mit der Zeit für das ganze Schulsystem<br />

brauchbar machen, dazu benötigt es nur Zeit.<br />

- Kein Anhänger der offenen Ganztagsbetreuung, da damit das alte System (die Halbtagsschule)<br />

zementiert wird.<br />

Moderator: Wie gelingt es, alle Beteiligten im Ganztagsprozess mitnehmen?<br />

Endres:<br />

- Die Schnelligkeit kann hier nicht der Ratgeber sein. Für die Einführung eines Ganztags<br />

wird viel Zeit benötigt.<br />

- Es muss eine Veränderung des Unterrichts herbeigeführt werden (nicht Verlängerung<br />

des Vormittags auf den Nachmittag; Notwendigkeit ganzheitlicher Konzepte).<br />

- Alle Beteiligten müssen ihre Möglichkeiten gemeinsam ausloten können.<br />

- Die Entwicklung muss gemeinsam und in Etappen erfolgen.<br />

1 Informationen zu den Personen finden Sie auf S. 38.<br />

S. Menke / J. Krinecki, Institut für Schulentwicklungsforschung (<strong>IFS</strong>), TU Dortmund, 21.12.2012


- In Verlauf müssen immer wieder Kontrollen und Korrekturen sowie Zwischenevaluationen<br />

erfolgen.<br />

Moderator: Kann eine offene Ganztagsschule nur eine Notlösung sein?<br />

Holtappels:<br />

- Eine offene Ganztagsschule ist keine Notlösung!<br />

- Offene Ganztagsschulen können eine hohe Qualität haben, sie müssen dazu aber den<br />

Unterricht und den Nachmittagsbereich miteinander verbinden. Beide Bereiche dürfen<br />

nicht getrennt nebeneinander laufen. Ein Kontrastprogramm kann an einigen<br />

Stellen auch gut sein, aber die Schülerinnen und Schüler benötigen einen roten Faden<br />

im Tagesablauf. Sie müssen die Möglichkeit bekommen, das am Vormittag Gelernte<br />

umzusetzen, ihren Interessen nachzugehen, Inhalte aus dem Unterricht zu vertiefen<br />

und Profile auszubilden.<br />

- Die Rhythmisierung in der offenen Ganztagsschule ist schwierig. Es gibt aber offene<br />

Ganztagsschulen, die an die Qualität der gebundenen Ganztagsschulen herankommen.<br />

Das liegt allerdings auch daran, dass manche gebundenen Ganztagsschulen die<br />

ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht ausnutzen.<br />

- Man kann mit einem offenen Konzept beginnen und sich dann zu einer gebundenen<br />

Form entwickeln (Beispiel Hessen).<br />

- Um spezifisch gerichtete Angebote unterbreiten zu können und eine soziale und leistungsmäßige<br />

Mischung der Schülerschaft zu erreichen, ist es notwendig, eine bestimmte<br />

Anzahl an Schülerinnen und Schülern für den Ganztag zu gewinnen. Erst ein<br />

offenes Modell zu haben, welches dann in eine gebundene Form übergeht, bietet<br />

hier eine Möglichkeit.<br />

- Schulentwicklungsprozesse benötigen Zeit, da sonst zu schnell Fehler gemacht werden<br />

und viel Zeit für Nachsteuerungen und Optimierungen investiert werden muss.<br />

- Es müssen aber immer wieder Teilschritte bzw. -erfolge erreicht werden, auf denen<br />

aufgebaut werden kann und die Motivation für die Weiterentwicklung geben.<br />

Moderator: Sie haben 25 Jahre eine offene Ganztagsschule geleitet. Stimmen Sie dem zu,<br />

dass offene Halbtagsschulen keine Notlösung sind?<br />

Appel:<br />

- Die meisten verstehen unter einer offenen Ganztagsschule eine Schule, bei der der<br />

Vormittags- und der Nachmittagsbereich als getrennt betrachtet werden.<br />

- Der Nachmittagsbereich darf nicht als Anhängsel des Unterrichts gesehen werden.<br />

Um eine bessere Verbindung beider Bereiche zu ermöglichen, muss es auch Lehrerstunden<br />

für den Nachmittagsbereich geben. Außerdem muss die Schule voll ausgebaut<br />

sein. So kann auch eine offene Ganztagsschule das schaffen, was eine gebunde-<br />

2<br />

S. Menke / J. Krinecki, Institut für Schulentwicklungsforschung (<strong>IFS</strong>), TU Dortmund, 21.12.2012


ne Ganztagsschule schafft. Die offene Ganztagsschule kann jedoch keine äußere<br />

Rhythmisierung vornehmen, was bedeutet, dass der Stress am Vormittag bestehen<br />

bleibt.<br />

- Die in der Geschichte der Ganztagsschule gemachten Fehler beim Ausbau der Ganztagsschulen<br />

und bei der Arbeit mit unterschiedlichen Modellen sollen nicht wiederholt<br />

werden, was jedoch geschieht. Um dem zu entgehen, bietet es sich auch an,<br />

Misslingensbedingungen zu formulieren.<br />

- Wir können es uns nicht erlauben, Fehler zu wiederholen.<br />

- Das Einbeziehen von Eltern zu Hause ist eigentlich eine latente Form von Ganztagsschule,<br />

weil wir dort erstklassiges Personal haben, das sich um Kinder mit hoher Zuwendung<br />

kümmert (Quelle: Prof. Oelkers).<br />

- Möchte man dem entgehen, muss der Unterricht geändert werden. Die Gefahr in der<br />

offenen Ganztagsschule besteht darin, dass der Nachmittag nur ein „Anhängsel“ ist<br />

und der Unterricht nicht geändert wird. Dann werden die Hausaufgaben eben doch<br />

gegeben. Sie werden dann „schwarz“ gegeben.<br />

- Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass es die hausaufgabenfreie Schule gibt. Es gibt<br />

nur die hausaufgabenarme Schule. Es bleibt immer etwas übrig, was die Kinder nicht<br />

in der Schule erledigen können, wie z.B. Gedichte lernen oder Vokabeln üben. Umso<br />

höher ist die Verantwortung, etwas dafür zu tun, dass andere Hausaufgaben nicht<br />

mehr nach der Schule erledigt werden müssen.<br />

Moderator: Werden die Schulen die Hausaufgaben gar nicht los?<br />

Holtappels:<br />

- Es gibt Dinge, die die Kinder zu Hause sogar besser machen können als in der Schule.<br />

- Das Lernen der Kinder soll nicht mit dem Schulschluss aufhören, es soll dann aber<br />

selbstbestimmte Lernzeit sein. Kinder sollen auch noch Kinder bzw. Jugendliche noch<br />

Jugendliche sein dürfen.<br />

- Innerhalb der Schule gibt es bessere Konzepte als das Hausaufgabenkonzept, um zu<br />

lernen. Das haben auch die großen Studien gezeigt: Wir brauchen sehr unterschiedliche<br />

Aufgaben für Lerner, die unterschiedlich weit sind und unterschiedliche Zugänge<br />

und Anregungen brauchen. Das ist auch der Unterricht, der in den erfolgreichen Staaten<br />

betrieben wird (z.B. Skandinavien, z.T. England, Kanada, Australien).<br />

Endres:<br />

- Das „Selber-Lernen“ ist für die Kinder in der Tat unerlässlich. Die Dinge, die als hausaufgabenarm<br />

bezeichnet werden (z.B. ein Gedicht lernen) sind unerlässlich. Diese<br />

müssen auch in den Unterricht integriert werden. So können die Schülerinnen und<br />

Schüler auch Anleitungen zum selbstbestimmten Lernen bekommen.<br />

S. Menke / J. Krinecki, Institut für Schulentwicklungsforschung (<strong>IFS</strong>), TU Dortmund, 21.12.2012<br />

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- Die Schülerinnen und Schüler sollen aus den von ihnen gemachten Fehlern lernen<br />

und dadurch Fortschritte machen. Sie müssen dabei beraten werden und es muss mit<br />

Fehlern offen umgegangen werden. Die Kinder und Jugendlichen gehen dann dem,<br />

was ihnen misslungen ist, nach und wollen es besser machen und nicht vertuschen.<br />

Das Gelingen muss in den Vordergrund gestellt werden.<br />

Appel:<br />

- Es kann nicht nur gebundene Ganztagsschulen geben, da die Eltern sonst protestieren<br />

würden. Es muss eine Halbtagsschule mit gleichem Bildungsangebot in der Nähe<br />

vorhanden sein.<br />

- Ganztagsschulen brauchen ein bestimmtes Quantum an Personal, das ist entscheidend.<br />

Wenn Schule um 30% verlängert wird, braucht sie auch 30% mehr Personal.<br />

Wenn eine Schule nicht genügend Personal hat, kann der Ganztag nicht gelingen.<br />

- Wenn das entsprechende Personal nicht vorhanden ist, kann den Schulen kein Vorwurf<br />

gemacht werden, wenn sie etwas nicht schaffen.<br />

- Es gibt Bundesländer, in denen Ganztagsschulen keine einzige Lehrerstunde zusätzlich<br />

bekommen. Es werden vom Staat Lehrerstunden benötigt. Zusätzlich müssen die<br />

Schulen komplett ausgebaut sein.<br />

- Offene Ganztagsschulen brauchen offene und ausreichend Räume (Hausaufgabenräume,<br />

eine Mensa die groß genug ist, eine Bibliothek, ein Selbstlernzentrum, Clubräume,<br />

Disco etc.). Mit Hilfe von entsprechenden Raumkapazitäten kann auch die Offene<br />

Freizeit in der Schule stattfinden.<br />

- Gebundene Ganztagsschulen haben zwei Gefahren: Verschulungsgefahr und keine<br />

automatischen Qualitätskontrollen.<br />

- Die offenen Ganztagsschulen haben hingegen eine direkte Qualitätskontrolle über ihre<br />

Anmeldezahlen.<br />

Moderator: Herr Prof. Holtappels hat eine Vielzahl von Zielen und Gestaltungselementen für<br />

Ganztagsschulen in seinem Vortag angeführt. Was davon schaffen die Ganztagsschulen?<br />

Weiß:<br />

- Sowohl gebundene als auch offene Ganztagsschulen erreichen bereits viele Zielsetzungen.<br />

- Wichtig für die Zielerreichung ist, dass sich die Schulen selbst kontrollieren und ihre<br />

Zielsetzungen reflektieren (Bezug zum Qualitätsrahmen, vgl. Diskussionsforum von<br />

Herrn Zöller).<br />

- Die Aufzählungen von Prof. Holtappels sind als Maximalprogramm zu sehen. Jede<br />

Schule hat „blinde Flecken“, an denen sie weiter arbeiten muss.<br />

S. Menke / J. Krinecki, Institut für Schulentwicklungsforschung (<strong>IFS</strong>), TU Dortmund, 21.12.2012<br />

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- Für Gymnasien ergibt sich ein besonderes Problem. Das Niveau der bayerischen<br />

Gymnasien darf bei der Umstellung zur Ganztagsschule nicht leiden. Dies gilt auch bei<br />

der Abschaffung von Hausaufgaben.<br />

- Gymnasien in Bayern sind durch G8 nicht automatisch Ganztagsschulen, da der Anteil<br />

des Nachmittagsunterrichts in der Mittelstufe zu gering ist.<br />

Moderator: Wie schätzen Sie die Zielerreichung ein? Wo wird es schwieriger in der Praxis?<br />

Holtappels:<br />

- Die Eigenaktivitäten der Schülerinnen und Schüler müssen gesteigert werden. Es<br />

muss für kooperatives Lernen gesorgt und die Lernwege und -möglichkeiten müssen<br />

differenzierter werden, um der Heterogenität in Ganztagsschulen Rechnung zu tragen.<br />

- Schulen haben gleichzeitig verschiedene Baustellen, an die die Schulen sehr sorgfältig<br />

herangehen müssen.<br />

- Die Ressourcen müssen geprüft werden (Räumlichkeiten und Personal) und das Kollegium<br />

muss das Ganztagskonzept unterstützen und mittragen. Es muss überprüft<br />

werden, ob es bereits Modelle gibt, an denen man sich orientieren kann. Vorhandene<br />

Modelle sollen dabei behutsam adaptiert und nicht einfach übernommen werden.<br />

- Schulen müssen sorgfältige Entwicklungsarbeit leisten. Externe Unterstützungsmöglichkeiten<br />

müssen in Anspruch genommen werden und innerhalb der Schule muss<br />

mit dem Vorhandenen Entwicklungsarbeit betrieben werden.<br />

- Das Personal muss von vornherein an der Entwicklung der Ganztagsangebote beteiligt<br />

werden. Gerade wenn Hausaufgaben abgeschafft werden, muss ein Austausch<br />

vorgenommen werden. Nur so kann eine intensive Kooperation an den Schulen erfolgen.<br />

- Schulen mit Teamstrukturen haben es leichter und leisten bessere Ergebnisse.<br />

- Verweis auf Studie in Grundschulen: Grundschulen sind in Hinblick auf Teamarbeit<br />

bundesweit vergleichsweise gut aufgestellt.<br />

- Gemeinsames Lernen, professionelle gemeinsame Unterrichtsentwicklung sowie gegenseitige<br />

Unterstützung führen in der Regel zu einem besseren Ergebnis (sogar zu<br />

höheren Lernzuwächsen!).<br />

Appel:<br />

- Wenn Gymnasien zu teilgebundenen Ganztagsschulen umgestellt werden, besteht<br />

die Gefahr, dass den ganzen Tag nur unterrichtet wird (Stichwort „Paukschulen“).<br />

- Die Lehrkräfte müssen drüber nachdenken, wie sie die Hausaufgaben besser organisieren<br />

können. Genau zugeschnittene Förderung ist viel Arbeit.<br />

- Lernzeiten, Studieraufgaben, HA-Betreuung, die nur „drangehangen“ werden sind<br />

nicht der richtige Weg.<br />

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S. Menke / J. Krinecki, Institut für Schulentwicklungsforschung (<strong>IFS</strong>), TU Dortmund, 21.12.2012


- Ganztagsklassen oder Ganztagszüge in Halbtagsschulen sind problematisch und haben<br />

eine hohe Scheiterungsrate, u.a. da Personal- und Sachzuschläge, wenn der<br />

Ganztagsschulzweig z.B. einzügig ist, nur für die eine Ganztagsklasse gezahlt werden<br />

und man innerhalb einer Schule zwei Systeme berücksichtigen muss.<br />

Weiß:<br />

- Ganztagszüge werden entwickelt weil man sich nicht traut, direkt die ganze Schule<br />

umzustellen.<br />

- Ganztagszweige bzw. -züge sind an einem Gymnasium gut zu führen.<br />

- Eine direkte Qualitätskontrolle erfolgt auch bei (teil-)gebundenen Modellen, da die<br />

Anmeldezahlen auch hier zurückgehen, wenn die Ganztagsangebote nicht zufriedenstellend<br />

umgesetzt werden.<br />

S. Menke / J. Krinecki, Institut für Schulentwicklungsforschung (<strong>IFS</strong>), TU Dortmund, 21.12.2012<br />

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