Tagungsmappe
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Programm der Tagung<br />
Medialisierung und Sexualisierung<br />
Vom Umgang mit Körperlichkeit und Verkörperungsprozessen<br />
im Zuge der Digitalisierung<br />
vom 6. - 8. Dezember 2013<br />
im Universitätszentrum Obergurgl<br />
Grafik: Thomas Demuth „Ecce Homo 74 – LULU“
Inhaltsverzeichnis<br />
Tagungsablauf und Programmübersicht 3<br />
Anfahrts- bzw. Lageplan 5<br />
Abstracts und Kurzvitae 7<br />
VeranstalterInnen 24<br />
Tagungsablauf<br />
2
Freitag, 6.12.2013<br />
16:00 – 16:20: Eröffnung – Begrüßung<br />
16:20 – 17:20: Eröffnungsvortrag Brigitte Hipfl (Alpen-Adria-Universität, Klagenfurt)<br />
Medialisierung und Sexualisierung als Assemblagen gegenwärtiger Kultur –<br />
Herausforderungen für eine (Medien)Pädagogik jenseits von ‚moral panic’<br />
17:30 – 18:00: Sven Lewandowski (Julius-Maximilian-Universität, Würzburg)<br />
Hardcore? Über den Erfolg, die Anschlussfähigkeit und die möglichen<br />
Folgen der Selbstbeschreibung der Gesellschaft als „pornographisiert“<br />
18:00 – 18:30: Ingrid Stapf (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (FAU))<br />
Das Prinzip Voyeurismus: kollektive Sexualstörung oder Ausdruck des<br />
kulturellen Wandels von Sehgewohnheiten? Eine medienethische<br />
Betrachtung<br />
19:00 – 20:15: Abendessen<br />
Samstag, 7.12.2013<br />
8:00 – 9:00: Frühstück<br />
9:15 – 9:45: Rainer Leschke (Universität Siegen)<br />
Sexualisierung, Moralisierung und der Kampf um medienkulturelle<br />
Anerkennung<br />
9:45 – 10:15: Hans-Martin Schönherr-Mann (Ludwig-Maximilian-Universität, München)<br />
Sexualität als Macht<br />
10:15 – 10:45: Kaffeepause<br />
10:45 – 11:15: Richard Lemke, Martin Dannecker, Simon Merz (Johannes Gutenberg-<br />
Universität, Mainz)<br />
Der nackte Körper beim Online-Dating<br />
Verbreitung, Motive und Meinungen schwuler und bisexueller Männer zur<br />
Präsentation des eigenen Körpers auf Chat- und Datingportalen<br />
11:15 – 11:45: Manfred Faßler (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main)<br />
Online Dating, Online Mating?<br />
3
11:45 – 16:30: Pause<br />
17:00 – 17:30: Jörg-Uwe Nieland (Deutsche Sporthochschule Köln)<br />
Sportlerinnen unter Sexualisierungsdruck – eine Betrachtung der<br />
Karriereverläufe von zwei ausgewählten (Ex-)Athletinnen<br />
17:30 – 18:00: Nicola Döring (Technische Universität, Ilmenau)<br />
Pornografie als Thema in deutschsprachigen Online-Diskussions-Foren: eine<br />
Inhaltsanalyse<br />
17:30 – 17:45: Pause<br />
17:45 – 18:15: Iris Nikulka (Anna Freud Institut, Frankfurt)<br />
„Ich will die Brüste von Katie Price.“ Adoleszenz im Spannungsfeld von<br />
Pornographie, Hysterie und Chirurgie<br />
18:15 – 18:45: Alexander Rihl (Hochschule für Film und Fernsehen, Potsdam)<br />
Nutzertypologien jugendlicher Pornografienutzung<br />
19:00 – 20:00: Abendessen<br />
20:00: Abendprogramm/Filmvorführung<br />
Sonntag, 8.12.2013<br />
8:00 - 9:00: Frühstück<br />
9:15 – 9:45: Maika Böhm (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf)<br />
„Das finde ich an Pornos gut, dass man einfach wirklich den Akt als solchen<br />
sieht.“ Pornografie: Konsum, Einstellungen und Bewertungen von<br />
deutschen Studentinnen<br />
9:45 – 10:15: Philipp Franz, Arne Dekker, Silja Matthiesen (Universitätsklinikum Hamburg-<br />
Eppendorf)<br />
Wann beginnt Pornosucht? Zum Konsum von Internetpornografie bei 19-bis<br />
25-jährigen männlichen Studierenden<br />
10:15 – 10:45: Kaffeepause<br />
10:45 – 11:15: Dorothee M. Meister, Timon Tobias Temps, Sonja Ganguin (Universität<br />
Paderborn)<br />
4
Musikvideos als Beispiel sexuell konnotierter Medien: Wahrnehmung und<br />
Bewertung<br />
11:15 – 11:45: Martin Alexander (Universität Paderborn)<br />
Sexualisierung in Medien als Gegenstand von Unterricht: Konzeption einer<br />
Lehrer-fortbildung zur Förderung medienpädagogischer Kompetenzen<br />
12:00 – 13:00: Abschlussplenum<br />
Anfahrts- bzw. Lageplan<br />
Anreise von Innsbruck (mit dem Auto)<br />
Auf der A12 von Innsbruck Richtung Arlberg/Schweiz bis zur Ausfahrt "Ötztal". Dann folgen Sie der B<br />
186 Richtung "Kühtai" ins Ötztal. Sie folgen der B 186 über Längenfeld, Sölden, Zwiselstein.<br />
Anreise von Bregenz (mit dem Auto)<br />
Auf der A12 Richtung Innsbruck bis zur Ausfahrt "Ötztal". Dann folgen Sie der B 186 Richtung<br />
"Kühtai" ins Ötztal. Sie folgen der B 186 über Längenfeld, Sölden, Zwiselstein.<br />
Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln<br />
Mit der Bahn können Sie bis Ötztal Bahnhof fahren, dort steigen Sie um in den Bus Richtung<br />
Obergurgl.<br />
Fahrplanauskünfte erhalten Sie bei der ÖBB: www.oebb.at<br />
Anreise mit dem Flugzeug<br />
Der Innsbrucker Flughafen ist ca. 1,5 Stunden Autofahrt von Obergurgl entfernt.<br />
Route Innsbruck → Obergurgl<br />
5
Lage Universitätszentrum<br />
Abstracts und Kurzvitae<br />
6
Böhm Maika<br />
„Das finde ich an Pornos gut, dass man einfach wirklich den Akt als solchen sieht.“ Pornografie:<br />
Konsum, Einstellungen und Bewertungen von deutschen Studentinnen<br />
Die Verknüpfung von Jugend, Medien und Sexualität findet in der Öffentlichkeit vor allem als<br />
Gefahrendiskurs statt: „Medienverwahrlosung“ und „sexuelle Verwahrlosung“ sind nur zwei<br />
Stichworte, die in diesem Zusammenhang häufig genannt werden. Die befürchtete<br />
„Jugendgefährdung“ durch den einfachen, alltäglichen Zugang zu Internetpornografie betrifft jedoch<br />
nicht beide Geschlechter gleichermaßen: aktuelle Studien zur Jugendsexualität belegen, dass sich<br />
Nutzungsverhalten, Einstellungen und Bewertungen von Pornografie bei Jungen und Mädchen<br />
deutlich unterscheiden. Während männliche Jugendliche über viel Erfahrungen mit Pornografie<br />
verfügen, diese häufig allein und zur sexuellen Erregung nutzen und sich dabei selbstbefriedigen,<br />
artikulieren weibliche Jugendliche oft deutliche Ablehnung. Sie zeigen wenig Interesse an Pornografie<br />
und nutzen sie kaum, weder als Bestandteil partnerschaftlicher Sexualität noch zur<br />
Selbstbefriedigung.<br />
Der hier eingereichte Vortrag geht der Frage nach, wie sich bei jungen Frauen die Einstellungen,<br />
Bewertungen und Nutzungsweisen von Pornografie mit zunehmendem Alter verändern und<br />
inwieweit die oben genannten Befunde als Geschlechter- oder Alterseffekt einzuordnen sind. Dazu<br />
werden qualitative und quantitative Ergebnisse zum Umgang mit Pornografie von 19- bis 25-jährigen<br />
Studentinnen und Studenten aus zwei aktuellen Forschungsprojekten zur Studierendensexualität<br />
vorgestellt. Dabei handelt es sich zum einen um eine deutschlandweite repräsentative<br />
Fragebogenerhebung „Studentische Sexualität im Wandel“ mit 2082 Befragten (gefördert von der<br />
DFG); zum anderen um eine qualitative Interviewstudie mit 100 Befragten zum Thema „Sexuelle und<br />
soziale Beziehungen von 19- bis 25-jährigen Studentinnen und Studenten“ (gefördert von der BZgA).<br />
Beide Studien werden derzeit am Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des<br />
Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf durchgeführt und untersuchen den sozialen Wandel<br />
studentischen Sexualverhaltens.<br />
Der Beitrag legt den Schwerpunkt auf die Analyse der 50 qualitativen leitfadengestützten Interviews<br />
mit weiblichen Studierenden. Diese zeigen, dass die sexualbezogene Internetnutzung und auch der<br />
Konsum von Internetpornografie bei Studentinnen eine erhebliche Rolle spielt. Die Erzählungen der<br />
Studentinnen weisen darauf hin, dass Selbstbefriedigung ein Bestandteil ihrer Sexualität ist und dass<br />
das Desinteresse an Pornografie, das für junge Mädchen typisch ist, in dieser Altersgruppe einer<br />
deutlich höheren Aufgeschlossenheit weicht: so berichten fast alle befragten Studentinnen von<br />
Erfahrungen mit Selbstbefriedigung, etwa die Hälfte von ihnen hat dabei schon einmal einen<br />
Pornofilm angesehen. Auch für die Beziehungssexualität spielt Pornografie eine gewisse Rolle: ein<br />
Fünftel der befragten Studentinnen hat schon einmal gemeinsam mit einem Partner Pornos<br />
angesehen und dabei Sex gehabt.<br />
In dem Vortrag geht es um die Aneignungs- und Auseinandersetzungsprozesse von jungen Frauen<br />
mit Internetpornografie. Wie gelingt es ihnen, Pornografie einerseits durchaus kritisch zu beurteilen,<br />
sie andererseits aber für die eigene Lust und Erregung zu nutzen? Wie bewerten sie die dort<br />
dargestellte Sexualität, Körperlichkeit und Geschlechterbilder? Welche Motive für die aktive<br />
Rezeption nennen die Befragten? Wie wird der individuelle und partnerschaftliche Gebrauch von<br />
Pornografie in studentischen Beziehungen verhandelt? Wie verbinden Studentinnen<br />
Pornografiekonsum und Solosexualität? Die Studien zeigen, dass sich die jugendtypischen<br />
geschlechterdisparaten Befunde mit zunehmendem Alter annähern, dass die Pornografieerfahrungen<br />
von Studentinnen vielfältiger und weniger schambesetzt sind als die weiblicher Jugendlicher und ihre<br />
Einstellungen zu Internetpornografie oft von interessiert bis kritisch-reflektiert reichen und sich<br />
durch ein hohes Maß an Differenziertheit auszeichnen.<br />
7
Maika Böhm ist Diplom-Sozialpädagogin (FH) und hat einen Masterstudiengang in „Gender und Arbeit“<br />
(Universität Hamburg) absolviert. Sie war fast zehn Jahre Mitarbeiterin der pro familia Schleswig-Holstein sowie<br />
freiberuflich in der Jugend- und Erwachsenenbildung sowie als Lehrbeauftragte für verschiedene Hochschulen<br />
tätig.<br />
Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Sexuelle und soziale Beziehungen von 19-<br />
bis 25-jährigen Studentinnen und Studenten“ am Institut für Sexualforschung des Universitätsklinikums<br />
Hamburg-Eppendorf und Redakteurin der Zeitschrift für Sexualforschung. Ihre Arbeits- und<br />
Forschungsschwerpunkte sind Sexualpädagogik, Familienplanung und Gender in der Sozialen Arbeit/Pädagogik.<br />
Döring Nicola<br />
Pornografie als Thema in deutschsprachigen Online-Diskussions-Foren: einer Inhaltsanalyse<br />
Die verstärkte Sichtbarkeit und Nutzung von Pornografie im Internet und die vermehrten<br />
Pornografie-Bezüge in der Populärkultur werden als Trend zur Pornografisierung von Medien und<br />
Gesellschaft beschrieben. Die Bewertung dieser Entwicklung ist ambivalent: Chancen der<br />
Liberalisierung und Demokratisierung werden ebenso diskutiert wie Risiken falscher Vorbilder,<br />
sexueller Abhängigkeit oder der Verfestigung asymmetrischer Geschlechterverhältnisse. Der Beitrag<br />
untersucht Pornografisierung im Spiegel von Online-Diskussions-Foren. Mit Hilfe einer<br />
inhaltsanalytischen Auswertung von Forums-Diskussionen soll betrachtet werden, a) wie intensiv und<br />
b) in welcher Weise Internetnutzende sich mit Pornografie auseinander setzen. Im Unterschied zu<br />
den in der Pornografie-Forschung üblichen mündlichen und schriftlichen Befragungen bietet eine<br />
Inhaltsanalyse von öffentlichen Online-Foren die Chance, den Umgang des Publikums mit<br />
pornografischen Medienangeboten non-reaktiv zu untersuchen.<br />
Sexualbezogene Online-Diskussions-Foren existieren in großer Fülle im deutschsprachigen Raum und<br />
international. Online-Foren als spezifische Form der computervermittelten Gruppenkommunikation<br />
werden seit rund zwanzig Jahren auf der Basis unterschiedlicher Theorien der computervermittelten<br />
Kommunikation umfassend wissenschaftlich untersucht: Sie gelten als niedrigschwellige, orts- und<br />
zeitunabhängige Anlaufstellen für diverse Fragen und Anliegen, die durch ihre heterogenen<br />
Mitgliederkreise eine Vielfalt an Perspektiven und Informationen sowie emotionale Unterstützung<br />
bieten können. Durch den oft anonymen bzw. pseudonymen Austausch ist eine offene<br />
Kommunikation auch über heikle Themen möglich. Online-Foren, die sich speziell der Diskussion<br />
sexueller Fragen widmen, werden in der sozialwissenschaftlichen Forschung bislang aus zwei<br />
Perspektiven betrachtet:<br />
• In einem Problem-Rahmen werden sexualbezogene Online-Foren als Orte des Austauschs über<br />
potenziell selbst- und fremdschädigendes Sexualverhalten kritisiert (sog. "pathologische Foren").<br />
• In einem Lösungs-Rahmen werden sexualbezogene Online-Foren dagegen als konstruktive Orte der<br />
Sexualaufklärung, Kompetenzförderung und Identitätsentwicklung für Internetnutzende allgemein,<br />
vor allem aber für Jugendliche und sexuelle Minoritäten gewürdigt.<br />
Die vorliegende Studie arbeitet mit einem Mixed-Methods-Design: Eine quantitative Inhaltsanalyse<br />
einer Stichprobe von je 100 Diskussionssträngen aus vier Online-Foren wird mit einer qualitativen<br />
Inhaltsanalyse jeweils des aktivsten pornografiebezogenen Diskussionsstrangs pro Forumsstichprobe<br />
kombiniert. Aus der Fülle der sexualbezogenen Online-Foren wurden vier deutschsprachige Foren<br />
ausgewählt, die sich auf den Websites von Publikumszeitschriften befinden und somit eine grobe<br />
Abschätzung der offiziell adressierten Zielgruppen erlauben:<br />
8
• Mädchen-Forum "Sex" auf www.maedchen.de<br />
• Bravo-Forum "Sex und Verhütung" auf www.bravo.de<br />
• Brigitte-Forum "Sex und Verhütung" auf www.brigitte.de<br />
• Men's-Health-Forum "Alles was Sex schöner macht" auf www.menshealth.de<br />
In der Gesamtstichprobe von 400 Diskussionssträngen fanden sich im Rahmen der quantitativen<br />
Inhaltsanalyse 21 Gesprächsfäden (5%), die sich als Hauptthema ausdrücklich mit Pornografie<br />
befassen. Im Vergleich zu anderen Themen ist Pornografie damit weder ein randständiges noch ein<br />
dominierendes Thema in den Foren.<br />
Die qualitative Inhaltsanalyse des jeweils längsten pornografiebezogenen Diskussionsstrangs aus<br />
jeder Forumsstichprobe zeigte ganz unterschiedliche Schwerpunkte bei der Auseinandersetzung mit<br />
Pornografie: In der Stichprobe aus dem Mädchen-Forum widmet sich der aktivste<br />
pornografiebezogene Diskussionsstrang sexuell expliziten Witzen und Sprüchen. Im Bravo-Forum<br />
behandelt der aktivste Thread die Frage, welche Rolle welche Art von Pornografie für die Herstellung<br />
sexueller Erregung spielt. Hier zeigt sich eine Vielfalt unterschiedlicher Standpunkte weiblicher und<br />
männlicher Jugendlicher (von der Position, Pornografie sei überhaupt nicht erregend bis zu der<br />
Position, Pornos seien erregender als die eigene Fantasie), die nebeneinander akzeptiert werden. Im<br />
Brigitte-Forum behandelt der aktivste Diskussionsstrang die Frage des einvernehmlichen Umgangs<br />
mit Pornografie in der heterosexuellen Paarbeziehung vor dem Hintergrund, dass manche Frauen<br />
unter dem masturbatorischen Pornografiekonsum ihrer Partner leiden. Im Men's-Health-Forum<br />
schließlich wird von Frauen und Männern diskutiert, welche sexuell expliziten Filme für Frauen<br />
interessant sind. Auffällig ist, dass die Beurteilung von Pornografie keineswegs einhellig ausfällt,<br />
sondern in den betrachteten Online-Diskussionen hochgradig ausdifferenziert ist. Im Spiegel der<br />
analysierten Online-Foren zeigt sich eine aktive Aneignung von pornografischen Medienangeboten<br />
durch das Publikum, das Medienmerkmale wie Nutzungsweisen reflektiert und gemeinsam<br />
verhandelt.<br />
Prof. Dr. Nicola Döring leitet das Fachgebiet für Medienpsychologie und Medienkonzeption am Institut für<br />
Medien und Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau. Zu ihren<br />
Arbeitsschwerpunkten gehören soziale und psychologische Aspekte der Online-, Mobil- und Mensch-Roboter-<br />
Kommunikation, sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden und Evaluation sowie Geschlechter- und<br />
Sexualforschung. Sie hat u.a. zu Sexualität in Massenmedien und Internet, zu Pornografie-Ethik und<br />
Pornografie-Kompetenz publiziert.<br />
Faßler Manfred<br />
Online Dating, Online Mating?<br />
1987 ging in Austin (Texas) ein Unternehmen mit dem Firmenamen Matchmaker auf den Markt. Es<br />
war eine Kontaktbörse, die mit 50 Persönlichkeitsfragen aufwartete, um Alter, Geschlecht, Größe,<br />
Gewicht, Bildungsstand und Wunschpartner zu erfassen. Ziel war es, einen Partnermatch oder<br />
zahlreiche Partnermatches anzubieten. Nach Eingabe aller Antworten kam der button: „Make me a<br />
match“. Inzwischen ist dies ein großer Markt, der Plattformen für Beziehungs-, Partner-,<br />
Freundschafts-, Flirt-und Sexualkontakte umfasst. Er suggeriert nicht nur geschützte Technointimität,<br />
sondern auch die wechselseitige freie Verfügung über Angebotslisten von möglichen Partnerinnen<br />
und Partner, - wofür auch immer. 2002 waren bereits 38,4% der Alleinstehenden in Europa in<br />
9
solchen Netzwerken aktiv. 7 Millionen Menschen sind täglich in Deutschland auf Partnersuche in<br />
Kontaktbörsen.<br />
Döring (2003) betonte, dass die Internet-Liebe keine „exotische Randerscheinung“ und kein<br />
„Massenphänomen“ sei, sondern zum Alltag eines nennenswerten Anteils der Netzpopulationen<br />
gehört. Und 2004 kommentierten Fiore/Donath: „The design of social systems influences the beliefs<br />
and behavior of their users; the features of a person that Match.com presents as salient to romance<br />
will begin to have some psychological and cultural influence if 40 million Americans view them every<br />
month”(2004,1).<br />
Dabei geht es nicht um ´sex sells´, sondern um die Veränderungen der Körperwahrnehmung, -<br />
darstellung, des repräsentierten, über Frage-Antwort-Regeln inszenierten Körpers, der über<br />
geschickte Kontroll-Rückfragen ´sortierten´ Wünsche und Bedürfnisse, um ein in die anonyme<br />
Kommunikation hinein übersetztes Persönlichkeitsimago, um Liebes-, Sex-, Partnerschafts-TREFFER<br />
(matches).Diesen Online-Portalen fehlt, wie jeder Online-Kommunikation, die gemeinsame Context-<br />
Wahrnehmung. Nicht einmal die der ´Kennenlernkneipe´, des ´Kennenlernballs´ ist gegeben (A.<br />
Wittel 2006, 175). Kein Geruch, keine Musik, keine akute multisensorische Leiblichkeit. Folglich muss<br />
der Content (das Ziel und das Objekt der Begierde, des Interesses, des Zeitvertriebs)als eine Art<br />
digitaler Kunstkörper erzeugt werden: ein zunächst beteiligungsloses, aber hochgradige aufgeladenes<br />
Versprechen. Andererseits ist gerade diese Abwesenheit des Leibes / des Körpers Basis für eine große<br />
Variationsbreite von Spiel mit der Wahrheit, mit Interessen, mit Phantasien, was aus den<br />
Forschungen zu MOO und MUDs schon länger bekannt ist. So entstehen neue Annäherungs-,<br />
Körperspiel- und Liebeskodes, die nicht romantisch, nicht im „kulturellen Wertmuster ´Liebe´“(G.<br />
Burkhardt 1997), nicht in der „Verbindung zweier einzigartiger Individuen“ (K. Lenz 2009)<br />
einzuhegen sind. Möglich, dass sie viel weiter reichen als die ´sexuelle Befreiung´ durch Jazz & Rock´n<br />
Roll der 1950er und durch Antikonzeptiva der 1960er und 1970er. Vermuten lässt sich, dass es in<br />
jedem Falle um ein anders verstandenes und gesuchtes Flirt-, Partnerschafts- und Sexualereignis<br />
geht. Nicht Musik, Smoke, ´are you experienced?´, endlich frei sein, sondern errechnete<br />
Passgenauigkeit, die die Risiken eines Fehlgriffs zu reduzieren verspricht, da, wie es in Parship-<br />
Werbung von einem werbenden Mann heißt, dieser aus beruflichen Gründen ´keine Zeit hat, um<br />
auszugehen´(und ziellos zu suchen).<br />
All dies kann aber nicht davon ablenken, dass die Menschen, die sich als Kunden fühlen und<br />
verstehen, Produkte dieser ´Börsen´ sind, auf denen sie ´gehandelt´ werden. Sie sind genutzte<br />
Nutzerinnen und Nutzer: sie bringen Umsatz. K. Dröge & O. Voirol erforschen in Frankfurt die sich<br />
verändernden Beziehungen zwischen Liebe und Markt (in der Moderne). R. Reichert arbeitet heraus,<br />
dass die Online-Datings eine „Auswahl-Konstellation“ übernehmen, wie sie aus dem Bereich des<br />
Konsums geläufig ist (2008,130). Wichtig scheint mir dabei die Antworten auf die Frage zu sein, ob<br />
dies den Akteuren klar ist, und ob sie ihre soziale, zwischenmenschliche, narzisstische oder sexuelle<br />
Befriedigung gerade in diesen „pragmatisch rationalen“ (E. Illouz 2011, 320) Matching-Welten<br />
suchen.<br />
Heute sind weiterhin 40 % der Singles in Europa auf Suche in Portalen (Pflitsch/ Wiechers 2011,1),<br />
geben ihre Profile ab und hoffen auf Matches, - die sie in jedem Falle auch bekommen, wenn auch<br />
nicht immer zu 90%-Korrelation.<br />
Für die Forschungsfragen darüber, wie sich Persönlichkeitsmuster und –modelle in und durch die<br />
Nutzung von Online-Offline-Arrangements verändern, sind diese Modi des ´freigesetzten´<br />
Individuums (J. Niemeyer 2012, 23) und des Profil-Managements ebenso wichtig, wie die<br />
Forschungen zu Games. Warum? Nun, weil Menschen (durch alle Generationen hindurch) ´aus freien<br />
Stücken´ auf „Bausätze biographischer Kombinationsmöglichkeiten“ (U. Beck, 1986, 217) zugreifen,<br />
und sie als ´ihr Profil´ anbieten. Diese ´Spiele´ verändern (in negativen, positiven, schwächenden,<br />
10
verstärkenden feedbacks) Körper- und Persönlichkeitskonzepte. Sich ´outen´ zu müssen, ist dabei ein<br />
durchaus erfolgreiches Fremd- und Selbst-Marketing.<br />
Mating Games, Matchings etc. zeigen an, wie umfangreich die Integration des Menschen in seine<br />
technisch-informationelle Mitwelt ist. Wir bewegen uns in rechnenden Räumen nach deren Regeln,<br />
so wie wir dies in bürokratischen, urbanen, mechanischen, agrarischen Räumen taten oder tun.<br />
Körperkodierungen verändern sich dadurch. Der Partner- oder Liebes-Treffer beeinflusst Affekte und<br />
Emotionen. Eine Grundübung hierfür ist sicherlich Facebook.<br />
Zum Schluss: „All these techniques should help to reduce the uncertainty of love in general and<br />
online dating in particular. They promise to avoid disappointments, illusions and false expectations<br />
and make the partner selection a well-considered, sane and rational choice.” (Dröge/Voirol 2011,<br />
351f)<br />
So gesehen hat Mediennutzung schon tief in die Ökonomien des Körpers eingegriffen, nämlich in<br />
unsere Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung.<br />
Prof. Dr. habil. Manfred Faßler, Dipl. soz. ist Professor am Institut für Kulturanthropologie und Europäische<br />
Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Forschungsbereiche sind<br />
die Bio-kulturelle Koevolution, epigenetische Netzwerke, globale Netzentwicklungen und netzintegrierte Zeitund<br />
Präsenzformate, künstlerische und wissenschaftliche Visualisierungsprogramme (Icono-Kratie), Körper- und<br />
Raumkonzepte sowie nachgesellschaftliche Globalstrukturen.<br />
Franz Philipp<br />
Wann beginnt Pornosucht?<br />
Zum Konsum von Internetpornografie bei 19-bis 25-jährigen männlichen Studierenden<br />
Der Konsum von Internetpornografie zur sexuellen Erregung und Befriedigung bei der Masturbation<br />
ist unter jungen Männern weit verbreitet. Es wird oft befürchtet, dass dieser Pornografiekonsum zu<br />
suchtähnlichen Eskalationen führen könnte, zum einem im Hinblick auf immer härtere,<br />
brutalereInhalte und zum anderen im Hinblick auf eine immer häufigere Nutzung.Bislang ist<br />
wissenschaftlich umstritten, wogenau die Grenzezwischen als normal erlebtem Konsum von<br />
Internetpornografie und einem problematischensexuellexzessiven Konsumim Sinne einer<br />
Pornosuchtverläuft.<br />
Zur Klärungdieser Frage werden Daten aus zwei aktuellen Forschungsprojekten zur<br />
Studentensexualität ausgewertet:Die BZgA-gefördertequalitative,leitfadengestützte Interviewstudie<br />
„Sexuelle und soziale Beziehungen von 19-bis 25-jährigen Studentinnen und Studenten“ (n=100)<br />
sowie die DFG-gefördertequantitativeFragebogenstudie „Studentische Sexualität im sozialen Wandel<br />
1966-1981-1996-2011“ (n=2082), die beide im Jahr 2012 am Institut für Sexualforschungund<br />
Forensische Psychiatriedes Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf durchgeführt wurden.<br />
Die Ergebnisse der quantitativen Befragungzeigen, dass ein Großteil der männlichen Befragtenin den<br />
letzten vierWochen Internetpornografie konsumiert hat(84%). Davon schätzen ein knappes Fünftel<br />
(17%) die Frequenz ihres Konsums in diesen vier Wochen als zu hoch ein. In den qualitativen<br />
Interviews lassen sich solche Phasen des hochfrequenten Konsums von Internetpornografie<br />
identifizieren und detailliert beschreiben.Sie korrespondierenim Biografieverlauf mitSinglephasen,<br />
während der Pubertät und vor denersten sexuellen Erfahrungen. Problematisiert wird einerseits die<br />
viele mit Masturbation und Pornokonsum verbrachte Zeit, andererseits die beobachtete Steigerung<br />
der Intensität des pornografischen Materials. Beschrieben wird ein zunehmenderLeidensdruck, der in<br />
den meisten Fällen autonom–ohne die Inanspruchnahme von beraterischer, therapeutischer oder<br />
11
ärztlicher Hilfe –durch einen bewussten und gewollten temporären Ausstieg aus jeglichem Konsum<br />
von Internetpornografie gelöst wird. Die Ausstiegsstrategien der Studenten zeigen deutliche<br />
Überschneidungen mittherapeutischen Maßnahmen im Umgang mit Pornosucht. Nach einer<br />
temporären Auszeit wird dann in den meisten Fällen der Konsum von Internetpornographie im Sinne<br />
eines Kontinuitätsverlaufs, mit einer niedrigeren Frequenz, die von den Studenten als<br />
unproblematisch eingestuft wird, wieder aufgenommen.<br />
Philipp Franz, Magister Artium Soziologie (Universität Hamburg), ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des<br />
Forschungsprojekts „Sexuelle und soziale Beziehungen von 19- bis 25-jährigen Studentinnen und Studenten“ am<br />
Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Seine<br />
Arbeitsschwerpunkte liegen in der Forschung über Identitätsentwicklung, Geschlechterrollen und Sexualität im<br />
Internet.<br />
Hipfl Brigitte<br />
Medialisierung und Sexualisierung als Assemblagen gegenwärtiger Kultur – Herausforderungen für<br />
eine (Medien)Pädagogik jenseits von ‚moral panic’<br />
Ausgehend von aktuellen Diskussionen über die Sexualisierung von Mädchen wird im ersten Teil des<br />
Vortrags die binäre Konstruktion von Mädchen problematisiert, derzufolge Mädchen einerseits als<br />
Akteurinnen der gegenwärtigen Hypersexualisierung problematisiert, andererseits als unschuldige<br />
Opfer sexualisierter sozio-kultureller Praktiken, die davor zu schützen seien, verstanden werden. Als<br />
Alternative wird ein relationaler Zugang vorgestellt, mit dem alle sozialen Formationen (wie auch<br />
Medialisierung, Sexualisierung, aber auch Subjekte) als Assemblagen, als Verknüpfungen von<br />
verschiedenen Konfigurationen verstanden werden. Im zweiten Teil des Vortrags werden<br />
ausgewählte Beispiele – Selbstrepräsentationen Jugendlicher in sozialen Netzwerken,<br />
postfeministische Medienkultur, SlutWalk, Femen – aus dieser Perspektive analysiert und hinsichtlich<br />
ihrer Relevanz für die Medienpädagogik diskutiert.<br />
Ao.Univ.-Prof.Dr. Brigitte Hipfl ist Prodekanin der Fakultät für Kulturwissenschaften,<br />
Koordinatorin für internationale Beziehungen des Instituts für Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie<br />
Mitglied des Doktoratsbeirates Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt. Ihre<br />
wissenschaftlichen Schwerpunkte sind Medien- und Rezeptionsforschung, theoretische und<br />
forschungspraktische Fragen zur Identitätskonstitution, kulturwissenschaftliche Grundlagen der<br />
Medienpädagogik sowie Medien und Geschlecht.<br />
Lemke Richard, Dannecker Martin, Merz Simon<br />
Der nackte Körper beim Online-Dating<br />
Verbreitung, Motive und Meinungen schwuler und bisexueller Männer zur Präsentation des<br />
eigenen Körpers auf Chat- und Datingportalen<br />
Im Rahmen von Online-Dating mit Hilfe von Chat- und Datingsites (CDS) ist die Präsentation des<br />
eigenen nackten oder halbnackten Körpers ein gängiges Phänomen, sei es durch für alle Nutzer<br />
sichtbare Bilder auf dem eigenen Profil, oder durch Bilder in privaten Nachrichten. Nacktbilder auf<br />
CDS werden aber auch von einigen Nutzern vehement abgelehnt, beispielsweise mit der<br />
12
Begründung, Nacktbilder kreierten eine am Sexualkörper haftende Kultur der Oberflächlichkeit beim<br />
Online-Dating. Diese Thematiken sind für die Gruppe homo- und bisexueller Männer von<br />
besonderem Interesse, weil etwa die Hälfte dieser Männer zumindest gelegentlich Online-Dating<br />
betreibt – im Gegensatz zu etwa 10-20 Prozent unter allen Internetnutzern. Die vorliegende Studie<br />
hebt bisherige Erkenntnisse a) zur Verbreitung von Nacktbildern auf Datingprofilen, b) zu Motiven<br />
der User, Nacktbilder von sich einzustellen und c) zu generellen Meinungen aller CDS-User zu<br />
Nacktbildern auf Datingprofilen auf ein quantitatives Level. Erforscht werden ferner die Motive der<br />
Nutzung von CDS, sowie die Häufigkeit realer Begegnungen, die über das Internet arrangiert werden.<br />
Präsentiert werden Daten zweier Online-Umfragen unter deutschsprachigen Nutzern des größten<br />
Chat- und Datingportals für schwule und bisexuelle Männer (PlanetRomeo.com; N=19.158 im<br />
Oktober 2011; N=16.010 im Mai 2013). Die Studie verfolgt einen uses and gratifications basierten<br />
Ansatz, indem die Befragten nach den bewussten Motiven, aus denen heraus sie Nacktbilder von sich<br />
ins Internet stellen, gefragt werden. Hintergrund dieses Ansatzes ist die Annahme, dass die<br />
Gestaltung eines Profils eher ein elaborierter Prozess mit Abwägung von Zielen und Mitteln ist, als<br />
ein habitualisierter, nicht-elaborierter Prozess.<br />
In beiden Stichproben gibt die Hälfte der Befragten an, ein oder mehrere Nacktbilder von sich auf<br />
ihrem Profil im Internet zu zeigen. Von quantitativ größter Bedeutung ist dabei der nackte<br />
Oberkörper. Auf die Fragen nach konkreten Motiven, Nacktbilder von sich zu zeigen, lassen sich die<br />
Antworten der Befragten faktoranalytisch in drei relevanten Motivdimensionen abbilden: 1. Effizienz<br />
beim Online-Dating (4 Items; Beispiel: „Weil ich dann schneller ein gutes Date finde“), 2. Befriedigung<br />
narzisstischer Bedürfnisse (4 Items; Beispiel: „Weil es sich gut anfühlt, Komplimente zu seinem<br />
Körper zu bekommen“) und 3. Ausdrucks- und Inszenierungsmöglichkeit durch das Internet (4 Items;<br />
Beispiele: „Um mich mal anders darzustellen, als im sonstigen Alltag“, „Um mich dort so darzustellen,<br />
wie ich es sonst nicht kann“). Es wird dargestellt, welche Faktoren das Zeigen von Nacktbildern auf<br />
dem eigenen Profil begünstigen oder hemmen. Stark begünstigt wird die Präsentation von<br />
Nacktbildern auf Datingprofilen von dem geäußerten Motiv, CDS zur Realisierung sexueller Dates zu<br />
nutzen und von der tatsächlichen Häufigkeit solcher Dates. Ob Befragte ihren nackten Körper<br />
präsentieren oder nicht, hängt hingegen nicht damit zusammen, ob sie rein sozialen Motiven als<br />
Nutzungsgrund für CDS zustimmen oder widersprechen (z.B. „Ich nutze … um neue Leute<br />
kennenzulernen“). Zur generellen Meinung über Nacktbilder auf CDS wurden alle Nutzer, auch die<br />
ohne eigene Nacktbilder, befragt (9 Items, Beispiel: „Ich finde, Nacktbilder kreieren eine Kultur der<br />
Oberflächlichkeit“). Negative Meinungen zu Nacktbildern gehen vor allem mit einer Ablehnung<br />
sexueller Motive als Grund der eigenen Nutzung von CDS einher. Die Zustimmung oder Ablehnung<br />
sowohl rein sozialer Motive, als auch von Zeitvertreib als Nutzungsmotiv von CDS haben beide indes<br />
keinen statistischen Zusammenhang mit der generellen Meinung über Nacktbilder auf<br />
Datingprofilen.<br />
Richard Lemke, M.A. · Studium der Publizistik, Physik, Wissenschaftsgeschichte und Psychologie ·<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz.<br />
Prof. Dr. Martin Dannecker · Studium der Philosophie, Soziologie und Psychologie · Bis 2005 Professor für<br />
Sexualwissenschaft am Institut für Sexualwissenschaft des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe-Universität,<br />
Frankfurt am Main.<br />
Simon Merz · Student der Publizistik und Germanistik · wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Publizistik der<br />
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz.<br />
13
Leschke Rainer<br />
Sexualisierung, Moralisierung und der Kampf um medienkulturelle Anerkennung<br />
Der an die Medien sich richtende Sexualisierungsvorwurf ist das, was Fischer einmal eine „zyklische<br />
Entrüstung“ nannte: Er taucht mit jedem kulturell relevanten Medium immer wieder erneut auf.<br />
Auch wenn sich für den Sexualisierungsvorwurf insbesondere bildfähige Medien zu eignen scheinen<br />
bildet noch nicht einmal die Bildlichkeit des Mediums die Grenze, an der die Vorwurfsrhetorik und<br />
der moralisierende Diskurs halt machen würde, denn die Sexualisierungsvorwürfe wurden genauso<br />
gut dem doch vorwiegend mit abstrakten Zeichen operierenden Medium Buch gemacht. Wenn dem<br />
Sexualisierungsvorwurf alle Medien mehr oder minder grau erscheinen, d.h., er sich indifferent<br />
gegenüber der Spezifik des jeweiligen Mediums verhält, dann stellt sich natürlich die Frage, ob die<br />
Digitalisierung nur eine Neuauflage eines alten Musters von Moralisierungsdiskursen darstellt oder<br />
ob es sich um ein ‚wirkliches‘ Problem handelt und inwieweit die Spezifik digitaler Medienumwelten<br />
eine solche Differenz rechtfertigt. Dann müsste sich auch angeben lassen, was das Besondere an<br />
diesem digitalen Mediendispositiv ist, das den Sexualisierungsvorwurf zu einer ernst zu nehmenden<br />
Aussage und nicht nur zu einem politischen Zug im Kontext des Kampfs um kulturelle<br />
Definitionsmacht machen würde. Der Beitrag versucht medientheoretisch und medienhistorisch den<br />
angerissenen Fragen nachzugehen.<br />
Prof. Dr. Rainer Lescke ist seit 1990 wiss. Koordinator im Fach Medienwissenschaften an der<br />
Universität Siegen. Er absolvierte das Studium der Germanistik und Philosophie an der Ruhr-<br />
Universität Bochum, Promotion 1986 mit einer Arbeit zur Auseinandersetzung von Hermeneutik und<br />
Poststrukturalismus. Seine Publikations- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der<br />
Medientheorie, der Medienethik, der Medienästhetik und der Medienkultur.<br />
Prof. Dr. Rainer Lescke ist seit 1990 wiss. Koordinator im Fach Medienwissenschaften an der Universität Siegen.<br />
Er absolvierte das Studium der Germanistik und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum, Promotion 1986<br />
mit einer Arbeit zur Auseinandersetzung von Hermeneutik und Poststrukturalismus. Seine Publikations- und<br />
Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Medientheorie, der Medienethik, der Medienästhetik und der<br />
Medienkultur.<br />
Lewandowski Sven<br />
Hardcore? Über den Erfolg, die Anschlussfähigkeit und die möglichen Folgen der<br />
Selbstbeschreibung der Gesellschaft als „pornographisiert“<br />
Seit geraumer Zeit lässt sich eine erneute Problematisierung des Sexuellen und insbesondere der<br />
Pornographie beobachten, die in der These kulminiert, Sexualität (oder gar ‚die’ Gesellschaft) sei<br />
bzw. werde „pornographisiert“. Aus soziologischer Sicht sticht vor allem der Widerspruch zwischen<br />
dem Erfolg der Pornographisierungsthese und den Ergebnissen der empirischen Sexualforschung, die<br />
eine ‚Pornographisierung’ des Sexuellen gerade nicht bestätigen können, ins Auge. Ein ähnlicher<br />
Widerspruch klafft auch zwischen der<br />
„Pornographisierungsthese“ und Annahme, die moderne Gesellschaft sei funktional<br />
differenziert und mithin polykontextural strukturiert. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, warum<br />
die (Selbst-) Beschreibung der Gesellschaft als „pornographisiert“ so überaus erfolgreich ist.<br />
Im Zentrum des Vortrags steht somit weniger die Frage, inwieweit die These einer<br />
14
„Pornographisierung“ der Gesellschaft oder einzelner ihrer Teilbereiche zutreffend ist. In den<br />
Mittelpunkt sollen vielmehr Fragen nach dem Erfolg und der Anschlussfähigkeit der<br />
Pornographisierungsthese, sowie die Frage stehen, inwieweit die Pornographisierungsthese sowohl<br />
den medialen Diskurs und die Wahrnehmung des Sexuellen als auch der Pornographischen prägt.<br />
Mittels systemtheoretischen Konzepten soll gezeigt werden, dass Pornographie ebenso wie die These<br />
einer „Pornographisierung der Gesellschaft“ ihren Erfolg einer massenmedialen produzierten und<br />
reproduzierten Realität verdankt und dass Pornographie zwar die Ausdifferenzierung des Sexuellen<br />
als eigenständiger sozialer Sphäre beschreibt, aber die Differenz zwischen Hardcore-Pornographie<br />
und anderen massenmedialen Formaten dennoch weitgehend intakt ist. Der These einer<br />
„Pornographisierung der Gesellschaft“ soll also eine Analyse gegenübergestellt werden, die<br />
Pornographie einerseits als eine Selbstbeschreibung der basalen Strukturen der Sexualität der<br />
Gesellschaft sowie als ein Selbstreflexionsmedium insbesondere sexueller Minderheiten beschreibt<br />
und andererseits den Erfolg dieser sexualitätssystemischen Selbstbeschreibung auf die Logik der<br />
Massenmedien und ihrer Präferenz für Spektakuläres zurückführt.<br />
Dr. Sven Lewandowski ist Soziologe und Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Politikwissenschaft<br />
und Soziologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der<br />
Leibniz Universität Hannover sowie Mitglied des Beirats der Zeitschrift für Sexualforschung.<br />
Martin Alexander<br />
Sexualisierung in Medien als Gegenstand von Unterricht: Konzeption einer Lehrer-fortbildung zur<br />
Förderung medienpädagogischer Kompetenzen<br />
Kinder und Jugendliche begegnen – insbesondere in informellen und privaten Kontexten –<br />
vielfältigen, omnipräsenten medialen Inszenierungen und Darstellungen von Sexualität und<br />
Körperlichkeit (Altstötter-Gleich 2006).<br />
Anders als andere (zumeist jüngere) Medienphänomene, die sich oftmals auf das Web 2.0<br />
beschränken (z.B. Soziale Netzwerke), finden sich sexualisierende Inhalte in nahezu allen gängigen<br />
Medienarten. Neben denjenigen, die sich gezielt der Thematisierung der Sexualität Jugendlicher –<br />
etwa zum Zwecke der Aufklärung (z.B. Jugendmagazine wie „Bravo“) – widmen, sind<br />
Heranwachsende im Alltag sowohl freiwillig als auch unfreiwillig mit anderen, nicht entsprechend<br />
aufbereiteten, sexuell konnotierten Medieninhalten (Plakate, Printmedien, TV-Werbung, Internet<br />
und Web 2.0) konfrontiert. Das Internet ermöglicht Kindern und Jugendlichen dabei auch den Zugriff<br />
auf sexualisierte Inhalte, die ihnen gemäß deutscher Rechtsprechung, ob der angenommenen<br />
Entwicklungs-beeinträchtigung, nicht zugänglich gemacht werden dürfen.<br />
Deshalb ist die Thematisierung von Medialisierung und Sexualisierung – im Kontext der vielfältigen<br />
Medienbereiche, mit denen Kinder und Jugendliche kompetent umzugehen wissen sollten – auch<br />
und gerade in Schule und Unterricht von besonderem Belang (vgl. z.B. Grimm et al. 2011).<br />
Damit Schülerinnen und Schülern entsprechende Medienkompetenzen, die sie auch zu einem<br />
adäquaten Umgang mit sexualisierten Medienangeboten im Sinne einer sogenannten „Pornografie-<br />
Kompetenz“ (Döring 2011) befähigen, adäquat vermittelt werden können, bedürfen Lehrkräfte<br />
entsprechender medienpädagogischer Kompetenzen (Grimm et al. 2011/ Tulodziecki et al. 2010).<br />
Anknüpfend an vielfältige Befunde und Initiativen – sowohl von Seiten der Schulpraktiker als auch<br />
der Wissenschaft – ergibt sich somit für die Medien- (und Sexualpädagogik) die Aufgabe, Lehrerinnen<br />
und Lehrer für das Thema Sexualisierung in Medien zu sensibilisieren und Wege der Bearbeitung im<br />
15
Unterricht aufzuzeigen. Zu diesem Zweck bieten sich Lehrerfortbildungen als Vermittlungsformat an,<br />
die – neben der ersten und zweiten Phase – als sogenannte dritte Phase der Lehrerausbildung auch<br />
bereits berufstätige Lehrkräfte erreichen (Lipowsky 2011).<br />
Verschiedenste Diskurse über das Thema Sexualisierung in Medien weisen darauf hin, dass dem<br />
Handeln pädagogisch Tätiger oftmals zumeist negativ konnotierte, subjektive Annahmen zum<br />
Konsum sexualisierter Medieninhalte durch Kinder und Jugendliche zugrunde liegen (Böker 2010).<br />
Deshalb ist – neben Unterrichtspraxis und Didaktik – ein wichtiges Ziel einer Fortbildung, Lehrkräften<br />
Möglichkeiten und Räume für eine differenzierte, „unaufgeregte“ und konstruktive<br />
Auseinandersetzung anzubieten.<br />
Im anvisierten Tagungsbeitrag wird das Konzept einer im Rahmen eines Qualifikations-vorhabens<br />
entwickelten Lehrerfortbildung zur Förderung der medienpädagogischen Kompetenz von Lehrkräften<br />
vorgestellt. Die Fortbildung widmet sich – in mehreren, jeweils zwei bis dreistündigen<br />
Präsenzveranstaltungen sowie auf Basis einer angeschlossenen Blended-Learning-Plattform, die der<br />
fortgesetzten Vertiefung dient – aus einer medienerzieherischen Perspektive, verschiedenen,<br />
(vielfach) als Problemlage diskutierten Medienangeboten/-inhalten/-phänomenen, die von<br />
interessierten Lehrkräften einzeln, wahlweise oder vollständig besucht werden können.<br />
Sexualisierung in Medien markiert – neben Gewalt und Extremismus in Medien, Cybermobbing,<br />
Mediensucht und Urheberrechtsverletzungen – einen wesentlichen Schwerpunkt der Fortbildung.<br />
Der Tagungsbeitrag widmet sich – neben grundsätzlichen theoretischen Überlegungen – zuvörderst<br />
der Frage, wie das Themenfeld Sexualisierung in Medien aus einer medien-pädagogischen<br />
Perspektive, im Rahmen einer Lehrerfortbildung aufbereitet werden kann und welche<br />
unterrichtlichen Zugänge, hin zum „Pornografie-kompetenten Jugendlichen“, denkbar sind.<br />
Alexander Martin, Jahrgang 1987, ist seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter für Schulpädagogik und<br />
Allgemeine Didaktik unter besonderer Berücksichtigung der Medienpädagogik in der Fakultät für<br />
Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn. Zuvor absolvierte er ein Lehramtsstudium mit den Fächern<br />
Deutsch, Pädagogik und Erziehungswissenschaften.<br />
Meister Dorothee M. & Timon Tobias Temps 1<br />
Musikvideos als Beispiel sexuell konnotierter Medien: Wahrnehmung und Bewertung<br />
Laut, bunt und ganz schön „nackt“ ist diese gegenwärtige Medien- und Werbewelt. Überall blitzt und<br />
glitzert es, während leicht bekleidete Frauen die neueste Mode bewerben und in Musikvideos ihren<br />
halbnackten Körper schwingen: „Sex sells“ – und das besonders in der Musikbranche. Dabei haben<br />
freizügige Körper und sexuell konnotierte Songtexte nicht nur Einfluss auf den kommerziellen Erfolg,<br />
sondern vermutlich auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Bewertung von Sexualität.<br />
Musikvideos transportieren ihre sexuellen Inhalte sowohl musikalisch als auch textuell und visuell.<br />
Bislang gibt es indes nur wenige Studien darüber, welche Wirkung Musikvideos auf die<br />
Rezipientinnen und Rezipienten ausüben. Einige Untersuchungen weisen darauf hin, dass Videos mit<br />
sexuellem Inhalt mehr positive Emotionen zugeschrieben werden als solchen mit neutralem oder<br />
1 Unter Mitarbeit von: D. Berger, L. M. Deimel, Ch. Henrichs, T. Hilprecht, F. Horstmann, A.-L. Kirchbauer, L. Korbjun, N.<br />
Langer, A.L. Moreno, I. Rosenblatt, Ch. Schmidt, V. Schulz<br />
16
aggressivem Inhalt. 2 Musikstücke werden zudem vor allem dann besonders positiv wahrgenommen,<br />
wenn sie durch sexuelle Bebilderung unterstützt werden. Welche Ebenen der Wahrnehmung die<br />
Rezipienten im einzelnen beeinflussen, bleibt bislang weitgehend unklar, auch wenn Kreutz auf der<br />
Grundlage einer experimentellen Studie darauf hinweist, dass sexuelle Erregung stärker über die<br />
auditive Ebene stimuliert wird als durch die Bebilderung von Musik. 3<br />
Jenseits der zu differenzierenden Wahrnehmungskanäle von Musikvideos, wird in diesem Medium<br />
häufig mit stark sexualisierten Darstellungen gearbeitet. Neumann-Braun und Mikos untersuchen in<br />
ihrer Metastudie deshalb stereotype Geschlechterrollen. Ein zentrales Ergebnis ist, dass die Frau in<br />
Musikvideos zumeist „als sexuelles Objekt des aktiven und begehrenden Mannes dargestellt wird.“ 4<br />
Die Performance von Sexualität in Musikvideos erfährt dann auch eine geschlechterspezifische<br />
Wahrnehmung.<br />
Ein Masterkurs an der Universität Paderborn befasst sich auf der Grundlage der Studie von Jacke und<br />
Ahlers 5 mit der empirisch weiterführenden Frage, wie Sexualität in Musikvideos von Männern und<br />
Frauen wahrgenommen wird. Um eine Befragung über das schwierig zu erhebende Thema nicht zu<br />
abstrakt zu gestalten, wählte die Forschergruppe auf der Grundlage einer Inhaltsanalyse zahlreicher<br />
aktueller Beispiele den Musikvideoclip „Rosana“ von Wax aus, da er als populäres und erfolgreiches<br />
Produkt den gegenwärtigen Zeitgeist nachzeichnet und widerspiegelt. Bei „Rosana“ handelt es sich<br />
um ein Musikvideo, das sich durch die vielen Aktanspielungen und dem anstößigen Text sehr gut für<br />
eine Inhaltsanalyse und Befragung der Geschlechterdarstellung und der potenziell sexuellen Inhalte<br />
eignet. Die empirische Studie des Masterkurses untersucht insbesondere, ob es<br />
geschlechtsspezifische Differenzen in der Wahrnehmung gibt und wie das „Spielen“ mit<br />
Geschlechterstrategien bewertet wird.<br />
Auf der Tagung sollen die Ergebnisse der aktuellen Online-Befragung vorgestellt werden. Bedeutsam<br />
wird sein, welchen Stellenwert Musikvideos in der Befragungsgruppe (überwiegend Studierende)<br />
einnehmen. Da den Probanden nacheinander die einzelnen Ebenen ( (1) Audio, (2) Video, (3) Audio<br />
und Video) des Musikvideoclips „Wax“ vorgespielt werden und sie dazu dezidiert befragt werden,<br />
können so Aussagen zu den Wirkungen sowie Hör- und Seheindrücke vergleichend analysiert und die<br />
verschiedenen Ebenen differenziert werden, auf denen eine Sexualisierung stattfindet. Schwerpunkt<br />
des Vortrags wird sein, inwiefern die Geschlechterrollen im Musikvideo stereotypisiert, ironisiert<br />
oder spielerisch verfremdet wahrgenommen werden. Hier rücken auch die moralischen<br />
Bewertungen in den Fokus des Interesses. Wird das Video als anstößig, sexuell erregend, lustig oder<br />
langweilig wahrgenommen?<br />
Frau Dr. Dorothee M. Meister ist seit 2004 Professorin für Medienpädagogik mit einem Schwerpunkt bei der<br />
empirischen Medienforschung an der Universität Paderborn, Fakultät für Kulturwissenschaften. Von 2006-2009<br />
war sie Vorstandsmitglied der Kommission Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für<br />
Erziehungswissenschaft (DGfE) und seit 2007 ist sie Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Medienpädagogik<br />
und Kommunikationskultur (GMK). Frau Dr. Meister ist außerdem seit 2008 Vizepräsidentin für Studium und<br />
Lehre der Universität Paderborn.<br />
2 Wallbott, Harald G. (1992): Sex, Violence, and Rock 'n Roll. Zur Rezeption von Musikvideos unterschiedlichen Inhalts. In:<br />
Medienpsychologie, 4, 1, S. 3-14.<br />
3 Kreutz, Gunter (2002): Manche mögen's heiß - die erotische Sinnlichkeit der Musik, in: Musik und Unterricht: Zeitschrift<br />
für Musikpädagogik Vol. 12, No. 67, Düsseldorf. S.32-38.<br />
4 Neumann-Braun, Klaus/ Mikos, Lothar (2006): Videoclips und Musikfernsehen. Eine problemorientierte Kommentierung der<br />
aktuellen Forschungsliteratur, Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westalen (LfM),<br />
Band 52. Düsseldorf. S. 111.<br />
5 Ahlers, M. & Jacke, C. (2011). Kopulations-Kulissen: Ergebnisse und Forschungsperspektiven einer explorativen Studie zu<br />
Selektions- und Nutzungsbedingungen von Popmusik in erotischen und sexuellen Kontexten. In: D. Helms & T. Phleps<br />
(Hrsg.), Thema Nr. 1: Sex und populäre Musik (S. 201-228). Bielefeld: Transcript.<br />
17
Timon T. Temps (M.A.) studierte Medienmanagement (angewandte Kommunikationswissenschaften) in<br />
Hannover und Medienwissenschaften in Paderborn. Am Institut für Medienwissenschaften, Arbeitsbereich<br />
Medienpädagogik und empirische Medienforschung der Universität Paderborn<br />
(Prof. Dr. Dorothee Meister) beschäftigt er sich u. a. mit den Themen Smartphonenutzung und mobiles Lernen.<br />
Darüber hinaus ist er im Bereich Hochschulmanagement für Evaluation und Qualitätssicherung zuständig.<br />
Nieland Jörg-Uwe<br />
Sportlerinnen unter Sexualisierungsdruck – eine Betrachtung der Karriereverläufe von zwei<br />
ausgewählten (Ex-)Athletinnen<br />
Der Medialisierung des Sports ist in jüngster Zeit Aufmerksamkeit verschiedenen Disziplinen<br />
geschenkt worden – dies trifft insbesondere auf die Kommunikationsforschung zu. Offenbar steht die<br />
Medialisierung im engen Zusammenhang mit der Sexualisierung des Sports in den Medien – denn der<br />
Mediensport generiert ein besonderes Menschen- und Körperbild, welches in unterschiedlichen<br />
Spielarten massenhaft verbreitet und popularisiert wird. Von einer weiteren Steigerung dieses<br />
Prozesses kann gesprochen werden, wenn die Sexualisierung in Pornografisierung übergeht; dies ist<br />
beispielsweise der Fall wenn (Ex-)Sportler/-innen in Sex- und Pornofilmen auftreten.<br />
Vor diesem Hintergrund wird der vorgeschlagene Beitrag in seinem theoretischen Teil die<br />
kommunikationswissenschaftliche Forschungen zur Medialisierung des Sports mit dem Vorschlag, die<br />
Entwicklung mit einer „Spornografisierungstreppe“ verbinden und weiterentwickeln. Bezug<br />
genommen wird auf das Phänomen „Sporno“ – der „Vermischung“ von Sport und Porno; konkret<br />
sind unterschiedliche Stufen dieses Prozesses identifiziert und problematisiert.<br />
Um die im call for papers aufgeworfenen Fragen nach den medial vermittelten Vorstellungen von<br />
attraktiven, begehrenswerten Körper sowie nach den Rahmungen unterschiedlicher Spielarten von<br />
Begehren zu behandeln, werden die spezifischen Bedingungen der Präsentation und Inszenierung<br />
von Körpern im (Medien-)Sport betrachtet. Die Beispiele für eine Pornografisierung des Sports sind<br />
zahlreich. Für den Beitrag als case study herangezogen wird der Aufsehen erregend Fall der<br />
ehemaligen Profiwrestlerin Joan Marie Laurer, die 2011 ihren ersten Hardcorefilm für Vivid<br />
Entertainment drehte, dem weltweit größten Pornoproduzenten. Zuvor hatte sie bereits zusammen<br />
mit ihrem Ex-Freund, dem Profiwrestler Sean Waltman, erfolgreich ein selbstgedrehtes Sextape<br />
vermarktet. Es sind aber nicht nur die Vertreter/-innen aus Showsportarten, die nach und zum Teil<br />
auch während ihrer Sportlerkarriere diese Sexualisierungs- bzw. Pornografizierungspraktiken wählen.<br />
In Deutschland sorgte die ehemalige Fußballerin Eva Roob (1. FC Nürnberg) für Schlagzeilen, als sie<br />
den Profisport für eine Karriere als Pornodarstellerin (Künstlername: „Samira Summer“) aufgab.<br />
Zur Modellierung und Inszenierung sowie vor allem Wahrnehmung des sexualisierten und<br />
pornografisierten des Körpers von (Ex-)Athleten/innen liegen bislang noch keine Erkenntnisse vor.<br />
Ziel des vorgeschlagenen Beitrags ist es daher, anhand der Karriereverläufe von Lauer und Roob<br />
Befunde zur Inszenierungspraktiken des sexuellen Körpers, den Vermarktungsstrategien und der<br />
öffentlichen Debatte zu präsentieren.<br />
Es wird es darum gehen, die Inszenierungspraktiken des sexuellen Körpers durch die ausgewählten<br />
Ex-Sportlerinnen zu beschrieben. Im Anschluss beleuchtet der Beitrag die öffentlichen Debatten.<br />
Herauszuarbeiten sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Diskurse – etwa in Hinblick auf die<br />
national/kulturell verschiedenen Vorstellungen „des Sexuellen bzw. Pronografischen“, der<br />
unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten (bezogen auf die Sportarten) und auch der „Pornoindustrie“.<br />
18
Die zu untersuchenden Debatten wurden sowohl in Sportfachzeitschriften, in Männermagazinen<br />
sowie in Sendungen des Privatfernsehens und auf einschlägigen Seiten im Internet geführt. In einer<br />
abschließenden Bewertung werden Vorschläge zu medien- und sexualpädagogischen Aspekten<br />
entwickelt.<br />
Dr. Jörg-Uwe Nieland ist Diplom-Sozialwissenschaftler und seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />
Deutschen Sporthochschule Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sportkommunikation und Sportpolitik,<br />
Politische Kommunikationsforschung, quantitative und qualitative Medienanalysen, Wahl- und<br />
Parteienforschung, Regierungsforschung, Politikfeldanalyse (insbesondere Medienplolitik und<br />
Technologiepolitik), Extremismusforschung, Studien zur Medienentwicklung und Populärkultur- und<br />
Jugendkulturanalysen.<br />
Nikulka Iris<br />
„Ich will die Brüste von Katie Price.“ Adoleszenz im Spannungsfeld von Pornographie, Hysterie und<br />
Chirurgie.<br />
Im Zeitalter der Massenpornographie erleben wir alle in unserem Umgang mit Sexualität ebenso<br />
massive wie irreversible Veränderungen, auch wenn wir das vielleicht gar nicht wahrhaben wollen.<br />
Ein Großteil der Verdrängung scheint aufgehoben, polymorphe Sexualität nimmt in unserer<br />
Gesellschaft einen breiten Raum ein, im Diskurs, in den Medien, in der gelebten Praxis. Was Freud<br />
einst an infantilen Sexualphantasien im Verdrängten seiner Patienten entdeckte, konkretisiert sich<br />
heute in gigantischen Bildarchiven, die allen, die Zugang zum World Wide Web haben, zur Verfügung<br />
stehen. Die Pornografie hat den Sprung geschafft aus der geächteten Nische in die Mitte der<br />
Gesellschaft, und hier vor allem: der Jugendgesellschaft. Der unbegrenzte Zugriff auf Pornografie<br />
prägt nachhaltig die sexuellen Vorstellungen von Jugendlichen. Heranwachsende können heute in<br />
der Regel sexuelle Aktion jeder Art sehen, bevor sie selbst sexuell agieren – ein tiefgreifender<br />
Paradigmenwechsel, über dessen Folgen und Implikationen wir vorerst nur spekulieren können. Im<br />
Porno wird Sex zu einer hochspezialisierten Interaktion von Partialobjekten, Körperteile werden von<br />
ihren Besitzern und Besitzerinnen abgetrennt. Sexuelle Interaktionen werden auf einen körperlichen<br />
Vorgang reduziert. Die Körper werden von psychischen, emotionalen Prozessen losgelöst. Gezeigt<br />
wird, was machbar ist. Und machbar ist vieles.<br />
Was heißt das für den Phantasieraum und die störanfällige psychosexuelle Entwicklung von<br />
Jugendlichen?<br />
Der Boom der Pornografie im Internet geht auch einher mit dem Trend zur Körperoptimierung durch<br />
die so genannte Schönheitsindustrie. Die realen Körper geraten immer mehr unter Anpassungsdruck<br />
und versuchen der medialen Vorstellung digital geschönter und sexualisierter Körperbilder zu<br />
entsprechen.<br />
Wie reagieren Psyche und Körper der Heranwachsenden auf diesen Druck? Vor allem Mädchen<br />
haben offensichtlich das Gefühl, hart an ihrem Körper arbeiten zu müssen, um dem gängigen<br />
weiblichen Körperideal zu entsprechen und sexuell begehrenswert zu sein. Kaum eine meiner<br />
jugendlichen Patientinnen ist mit ihrem Körper zufrieden und nicht um ihr Aussehen besorgt. Macht<br />
Pornografie unglücklich mit dem eigenen Körper? Einiges spricht dafür, denn gleichzeitig nehmen so<br />
genannte Körperstörungen zu: Dysmorphophobien, Essstörungen, Selbstverletzungen,<br />
Somatisierungsstörungen und nicht zuletzt die gute alte Hysterie werden immer häufiger<br />
diagnostiziert, besonders bei adoleszenten Mädchen. Wie schon bei den jugendlichen<br />
19
Hysterikerinnen zu Freuds Zeiten wird offenbar „der Körper als Schlachtfeld“ benutzt, um auch auf<br />
die Problematik einer ganzen Gesellschaft aufmerksam zu machen.<br />
Viele Fragen warten auf gegenwartsfähige Antworten: Hat die Enttabuisierung des Sexuellen noch<br />
eine befreiende und emanzipatorische Wirkung auf die Jugendlichen, wenn sie einhergeht mit einem<br />
via Pornografie medial kommunizierten sexuellen und körperlichen Leistungsdruck. Oder werden<br />
neue Tabus errichtet? Das Tabu des sexuell nicht leistungsfähigen Körpers? Das Tabu des sexuell<br />
nicht allseitig verfügbaren Körpers? Das Tabu des sexuell nicht zu Allem willigen Körpers? Werden<br />
hier neue Machbarkeitsmythen etabliert?<br />
Vordergründig geht es beim Pornografiekonsum um sexuelle Erregung, um Triebbefriedigung.<br />
Worum geht es hintergründig? Welche unbewusste (Abwehr-)Funktion hat der Pornografiekonsum<br />
für die Jugendlichen? Können sie Porno entwicklungsfördernd nutzen?<br />
Oder killt der Overkill an öffentlicher Sexualität die private/intime Sexualität? Erleben wir eine von<br />
der größeren Sichtbarkeit des Pornografischen forcierte Entmischung und Ausdifferenzierung<br />
sexueller Aktivitäten und Vorlieben, in der der heterosexuelle Koitus eben nur noch eine Praxis unter<br />
vielen ist?<br />
All diese Fragen sind meiner Ansicht nach noch längst nicht beantwortet, die Phänomene noch nicht<br />
verstanden.<br />
Dipl.-Päd. Iris Nikulka hat sich als psychoanalytische Kinder- und Jugendlichen-Therapeutin in eigener Praxis in<br />
Frankfurt niedergelassen. Sie ist außerdem Dozentin, Supervisorin und Mitarbeiterin der Babyambulanz am<br />
Anna Freud Institut in Frankfurt. Es gibt zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen zum Thema Magersucht,<br />
Hysterie und zur weiblichen (Psycho-)Sexualität von ihr.<br />
Rihl Alexander<br />
Nutzertypologien jugendlicher Pronografienutzung<br />
Die Theorie kausaler Wirkungszusammenhänge von audiovisuellen Medien auf den Rezipienten<br />
scheint in der Medien- und Kommunikationswissenschaft überarbeitet. So steht neben der<br />
Bestimmung von Wirkung auch im Vordergrund, welche zusätzlichen Faktoren im Zusammenhang<br />
mit untersuchten Phänomenen stehen. Es sollte daher auch oder insbesondere bei dem Gefüge<br />
Medien und Sexualität weniger um ein Wie der Wirkung sondern eher um ein Warum der Nutzung<br />
gehen. Feona Attwood zum Beispiel stellte sich bereits im Jahr 2005 in der Tradition des Uses-and-<br />
Gratification-Ansatzes die Frage: „[W]hat do people do with porn?“ (Attwood 2005). Folglich soll das<br />
Warum der Rezeption von Pornografie bestimmt werden. Mittels einer selbstrekrutierenden Online-<br />
Erhebung, basierend auf einer Methodik von Weber und Daschmann (vgl. Weber/Daschman 2010),<br />
wurden – diesem Ansatz folgend – 1077 Jugendliche zwischen 12 und 21 Jahren zu ihrer sexuellen<br />
und Partnerschaftlichen Entwicklung, sowie zu Ihrer Pornografie Rezeption gefragt. Theoretische<br />
Grundlage bildeten dabei unter Anderem das Konstrukt der "Lovemaps" von Money (1986), einem<br />
Speicher sämtlicher sexueller und partnerschaftlicher Erfahrungen, beginnend bei der frühkindlichen<br />
Sexualitätsentwicklung bis hin zur individuellen Vorstellungen von Liebe, Partnerschaft und Sexualität<br />
(Money 1986), eine Adaption von Pierre Bourdieus Kapitaltheorie (Bourdieu 1983) zu sexuellem<br />
Kapital: Pornografie als Träger sexuellen (Kultur-)Kapitals in Partnerschaft und Peergroup sowie das<br />
Konstrukt der „Mediensozialisation“ im Sinne eines subordinativen Teilbereiches der Sozialisation<br />
(vgl. Mikos 2010).<br />
20
So konnte abseits einer kausalen Wirkungstheorie gefragt werden, warum Jugendliche Pornografie<br />
rezipieren, um deren Motive dann zusammen mit Angaben zu Entwicklung, Sexualität,<br />
Rezeptionsverhalten und -situation in Nutzertypologien der Pornografierezeption zu gliedern.<br />
Resultierend daraus kann diskutiert werden, inwieweit und ob sich die Pornografierezeption<br />
Jugendlicher im Zeitalter der Digitalisierung tatsächlich verändert hat und ob die Sexualisierung der<br />
Gesellschaft im Zusammenhang mit der Pornografierezeption stehen kann. Aktuelle Daten aus den<br />
Shell Jugendstudien oder den Untersuchungen der BZgA könnten als Grundlage dienen um für eine<br />
sexuell aufgeklärte aber doch Verantwortungsvolle Jugend zu argumentieren, die sich weit weg von<br />
einer sexuellen Verwahrlosung bewegt.<br />
Alexander Rihl (M.A.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Film und<br />
Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam und arbeitet weiterhin als freier Wissenschaftler.<br />
Seine Forschungsbereiche konzentrieren sich auf Medienwirkung und Mediennutzung,<br />
Mediensozialisation, quantitative Untersuchungsmethoden, sowie Programm- und<br />
Inhaltsanalysen. Seine Masterarbeit wurde mit dem zweiten Preis des Medius 2012<br />
ausgezeichnet.<br />
Schönherr-Mann Hans-Martin<br />
Sexualität als Macht<br />
Ich schließe an Foucault und Butler an, für die die Sexualität auch als Sex ein Konstrukt ist. Foucault<br />
insbesondere wehrt sich dabei gegen die Repressionshypothese Freuds. Daher sollte man auch der<br />
These Marcuses von der repressiven Entsublimierung widersprechen. Wenn die allemal durch<br />
Moraleme überfrachtete Heterosexualität, die zwischen 1650 und 1950 konstruiert wurde, keinen<br />
repressiven Charakter, sondern einen produktiven besitzt, dann sollte man auch das heute medial<br />
erzeugte Sexualitätsdispositiv unabhängig von Repressionshypothesen interpretieren. Es steht unter<br />
anderem auch in Verbindung mit Antidiskriminierungs- und Emanzipationsprozessen z.B. bei den<br />
Homosexuellen und der Auflösung von traditionellen Familienstrukturen. Sexualität ist medial heute<br />
um so mehr Identität, die doch längst in Frage steht: Transgender, Parodisierung, Femen, was das<br />
Sexualitätsdispositiv schwächt und stärkt gleichzeitig.<br />
Im Kontext von Wissen und Macht müsste im Sexualitätsdispositiv das Wissen medial in einen<br />
Bildbereich, in einen kommunikativen und in einen informativen Bereich übersetzt werden – Hören,<br />
Schmecken und Riechen gehören außerdem zum Gebrauch der Lüste und ihrer Erzeugung. Daraus<br />
ergeben sich Dimensionen der Macht der sexuellen Attraktivität, die von verschiedenen Interessen<br />
eingesetzt werden, individuell, medial, ökonomisch, politisch u.a. Denn sexuelle Attraktivität ist nicht<br />
nur Kommunikation, sondern Verführung. Ohne sie bleibt Erotik wie der Gebrauch der Lüste blass,<br />
was ihre Macht um ein weiteres Mal steigert. Trotzdem ist Sexualität streng vom Gebrauch der Lüste<br />
wie vom Begehren Lacans zu trennen. Dabei ist sie immer Mittel und nie Selbstzweck. Sie ist nicht<br />
Lust und wahrscheinlich auch nicht besonders lustig. Aber wer hätte das erwartet! Sie hat nichts mit<br />
Biologie und Fortpflanzung zu tun, wurde und wird aber in deren Dienst gestellt. Sie hat auch nichts<br />
mit Pornographie zu tun, obwohl diese auch nicht das Böse schlechthin ist.<br />
Diese Macht der sexuellen Attraktivität erlaubte trotzdem noch lange nicht von einer Sexualisierung<br />
der Gesellschaft zu sprechen. Das liegt mehr an ihrer medialen Repräsentation, Erzeugung und<br />
Ausnutzung, wodurch die Sexualität ihre eigentliche Macht erhält. Sexualität ist trotzdem nicht<br />
Primärprozess, sondern ein mediales Ereignis, das die Welt prägt, aber aus der sich auch Praktiken<br />
individueller Ermächtigung ergeben. Man versteht die Welt medial heute durch das<br />
Sexualitätsdispositiv, wie sich diverse Interessen auch dessen bedienen, an dem ständig gedreht<br />
wird, das sich auch ständig verändert.<br />
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Hier läge denn wohl auch der Einsatz einer Medienpädagogik, die sich in diesem Kontext aber<br />
zumindest selbstreflexiv besser vornehm zurückhält. Andernfalls gerät sie schnell in den Verdacht der<br />
Moralisierung. Und nichts ist peinlicher und zugleich ungut als eine gut begründete Sexualethik, die<br />
belehren und helfen möchte. Selbst aufklären kann allzu schnell depravieren. Just weil sich im<br />
Sexualitätsdispositiv so viel Macht versammelt. Ihr bliebe vernünftigerweise nicht anderes, als<br />
verschiedene Perspektiven vorzuführen, womit ich über Foucault zurück Nietzsche gekommen wäre.<br />
Prof. Dr.phil. Dr.rer.pol.habil. Hans-Martin Schönherr-Mann ist Essayist und Professor für Politische Philosophie<br />
an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Arbeitsschwerpunkte sind:<br />
Methodologisch: Genealogie/Archäologie (im Anschluss an Nietzsche und Foucault), konstruktive Hermeneutik<br />
(im Anschluss an Heidegger, Gadamer und Luhmann), Sprachspiel-und Diskurartenanalyse (im Anschluss an<br />
Wittgenstein, Derrida und Lyotard)<br />
Epochen: Philosophie des 20. u. 21. Jahrhunderts, Philosophie des 19. Jahrhunderts, Philosophie des deutschen<br />
Idealismus<br />
Systematisch: Politische Philosophie, Praktische Philosophie, Technikphilosophie, Philosophie der Bildung,<br />
Existenzphilosophie<br />
Stapf Ingrid<br />
Das Prinzip Voyeurismus: kollektive Sexualstörung oder Ausdruck des kulturellen Wandels von<br />
Sehgewohnheiten? Eine medienethische Betrachtung.<br />
Voyeurismus im Fernsehen ist allgegenwärtig. Meint der Begriff (von franz. „voir“ = sehen,<br />
„voyeur“=Seher) eigentlich das heimliche Beobachten einer unwissenden Person und weitergehend<br />
auch jegliche Form der Lust am Betrachten, so scheint diese erstmals von Sigmund Freund<br />
thematisierte krankhafte „Form von Sexualität“ über das Auge als „erogene Zone“ im Fernsehen<br />
salonfähig geworden zu sein. Denn im „Voyeurismus-Fernsehen“ (SPIEGEL Online, 11.8.2011) findet<br />
sich eine „Armada dieser fiesen Voyeurismusmaschinen [...] von der Deko-Terroristin bis zur<br />
sadistischen Samariterin“ und der „Trend zum Coachen und Therapieren, zum Kuppeln und<br />
Denunzieren setzt sich im deutschen Privatfernsehen immer mehr durch.“<br />
So mag es nicht überraschen, dass selbst das Dschungelcamp auf RTL für den renommierten Grimme-<br />
Preis nominiert wurde (SPIEGEL Online 29.1.2013). Ist die Tatsache, dass rund 8.76 Millionen<br />
Zuschauer das Staffel-Finale der Serie schauten und das erfolgreiche Big Brother-Format in rund 70<br />
Ländern ausgestrahlt wurde also Beleg für eine Verrohung der Gesellschaft oder zeigt die<br />
Alltäglichkeit der Formate eher eine „Lust an einem Spiel, an dem auch die Fernsehproduzenten nur<br />
als ein Mitspieler von vielen beteiligt sind?“ (Tagesspiegel 13.1.2012). Oder sind diese Formate gar<br />
nicht unter dem Aspekt von Voyeurismus, sondern auch von Neugier und Orientierungssuche zu<br />
verstehen, die mit verschiedenen Gratifikationen für die Zuschauer einhergehen? Und welche Rolle<br />
spielt darin der Blick des Betrachters und die Scham bzw. die Würde des Betrachteten? Kurz: Welche<br />
Verantwortungsdimensionen für verschiedene Akteure lassen sich identifizieren?<br />
Der Beitrag wendet die Frage nach Voyeurismus auf Reality-TV-Formate im Fernsehen an und<br />
versucht dabei ethische Kategorien zur Beurteilung dieser Formate zu entwickeln. Herangezogen<br />
werden die Aspekte von Voyeurismus, Scham und Neugier mit dem Ziel, das Phänomen<br />
voyeuristischer Fernsehkultur und des mediatisierten Voyeurismus zu definieren. Gilt menschliche<br />
Schaulust nämlich noch als „Produkt des Sicherheitstriebs“ (Lexikon für Psychologie und Pädagogik),<br />
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so haben sich die Kriterien der Interpretation von Spielarten der Schaulust und Schadenfreude<br />
historisch gewandelt und sind kulturell überformt. Laut Lünenborg et. al (2011) gehören<br />
„Beleidigungen, Beschimpfungen, körperliche Übergriffe, sexualisierte Darstellung von Nacktheit [...]<br />
zum Repertoire des performativen Realitätsfernsehens. Es handelt sich dabei nicht um fiktionale<br />
Erzählungen mit professionellen Darstellungen, sondern um Eingriffe in das Leben von<br />
Alltagsmenschen. Mit genau diesem Authentizitätsversprechen wird das Fernsehpublikum zum<br />
voyeuristischen Beobachter moralischer Grenzverletzungen.“ (13)<br />
Sehgewohnheiten gehen dabei auf gesellschaftliche Entwicklungen ebenso ein wie auf kulturell<br />
etablierte Praktiken und Entwicklungen auf dem Medienmarkt. So hat sich, laut Calvert, die in den<br />
USA stark vorherrschende Voyeurismuskultur im Fernsehen auch im Zusammenspiel mit technischen<br />
Entwicklungen, wie immer unauffälliger werdenden Überwachungskameras (die schon das heimliche<br />
Beobachten der Babysitterin zuhause erlauben) entwickelt. Technische Möglichkeiten, Entwicklungen<br />
des Fernsehmarktes, etablierte Sehgewohnheiten und Sichtweisen scheinen bei der Ausprägung des<br />
Voyeurismus-Fernsehens demnach eine ebenso große Rolle zu spielen wie dadurch befriedigte<br />
Gratifikationen auf der Seite der Zuschauer oder die sich im Wandel befindlichen Definitionen von<br />
Privatheit und Öffentlichkeit.<br />
Ab wann aber ist die massenhafte Verbreitung Voyeurismus-orientierter Formate problematisch vor<br />
allem auch für Kinder und Jugendliche (z. B. der Konsum von „Germany ś Next Top Model“ bei<br />
Kindern)? Welche Rolle spielen Formate in ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung? Welchem Blick auf<br />
Körper, Körperlichkeit, Sexualität, aber auch welchen Normierungsannahmen unterliegen diese<br />
Formate und welche gesellschaftlichen Konsequenzen lassen sich hier behaupten? Das Prinzip<br />
Voyeurismus zu verstehen, so wird in dem Beitrag postuliert, bedeutet letztendlich differenzieren zu<br />
lernen, wie er sich in einzelnen Fällen unterscheidet, an welcher Grenze er moralisch problematisch<br />
wird, aber auch, was sich kulturell an diesem Prinzip zeigt und welche gesamtgesellschaftlichen<br />
Fragen sich hierdurch stellen.<br />
Das Paper untersucht die Frage nach Voyeurismus daher exemplarisch an verschiedenen<br />
Fernsehformaten (z.B. Big Brother, Dschungel-Camp, usw.) auf der Grundlage von aktuellen Studien<br />
sowie philosophischen Auseinandersetzungen der Phänomenologie (darunter Sarte, Levinas,<br />
Merleau- Ponty) mit dem Ziel einer medienethischen Reflexion. Angestrebt wird dabei auch die<br />
Erarbeitung einer Kasuistik und damit einher gehenden Kriterien zur Beurteilung diverser Formate<br />
und einer multi- perspektivischen Analyse des Voyeurismusphänomens in der derzeitigen<br />
(Fernseh-)Kultur.<br />
Frau Dr. Ingrid Stapf publiziert und forscht zu den Themenbereichen Medienethik, Medien-Selbstkontrolle,<br />
Jugendmedienschutz, Kinder und Medien, Medienbildung sowie Themen aus dem Bereich der Angewandten<br />
Ethik. Sie ist Fachgruppensprecherin im Fachbereich Kommunikations- und Medienethik der Deutschen<br />
Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), Redaktionsmitglied der Zeitschrift für<br />
Kommunikationsökologie und Medienethik (ZfKM), Mitglied im Netzwerk Medienethik, der Gesellschaft für<br />
Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) sowie der Fachgruppe Medienpädagogik in der DGPuK.<br />
Frau Dr. Ingrid Stapf ist Akademische Rätin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (FAU).<br />
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VeranstalterInnen<br />
Veranstaltet wird die Tagung vom Institut für Psychosoziale Intervention und<br />
Kommunikationsforschung der Universität Innsbruck in Kooperation mit der FH Köln und dem<br />
interfakultären Forum Innsbruck Media Studies (IMS).<br />
Mit freundlicher Unterstützung von:<br />
Organisatorische Mitarbeit:<br />
Mag. Gerhard Ortner – Julia Bischof<br />
Wir freuen uns darauf, Sie in Obergurgl begrüßen zu dürfen!<br />
Prof. Dr. Theo Hug - Dr. Martina Schuegraf - Prof. Dr. Angela Tillmann - Prof. Dr. Josef Aigner<br />
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