22.01.2014 Aufrufe

Das Haus der Medien

Das Haus der Medien

Das Haus der Medien

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Bericht | Text und Fotos: Michael Heß<br />

<strong>Das</strong> <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Medien</strong><br />

Münsters Stadtbücherei stellt sich dem Zeitgeist<br />

Die Stadtbücherei am Alten Steinweg gilt<br />

unbestritten als kultureller Leuchtturm<br />

in Münster. Aber auch um kulturelle<br />

Leuchttürme macht <strong>der</strong> Zeitgeist keinen<br />

Bogen. Elektronische <strong>Medien</strong> sind auf<br />

dem Vormarsch, und <strong>der</strong> finanzielle<br />

Rahmen ist zu beachten. Mit dem<br />

stellvertretenden Büchereileiter Gunter<br />

Riemers unterhielt sich ~-Redakteur<br />

Michael Heß über Erwartungen,<br />

Mitarbeiter und Verän<strong>der</strong>ungen.<br />

Es gibt städtische Ämter mit einer<br />

höheren Mitarbeiterzahl als die Stadtbücherei.<br />

Aber es gibt, das Bürgeramt<br />

eingeschlossen, kein an<strong>der</strong>es Amt mit<br />

einer höheren Besucherzahl. Die 74 Beschäftigten<br />

in <strong>der</strong> Hauptstelle am Alten<br />

Steinweg plus <strong>der</strong> Nebenstellen wie bsw.<br />

in <strong>der</strong> Aaseestadt, im Hansaviertel und in<br />

Gievenbeck plus des Bücherbusses plus<br />

zwei Auszubildende begrüßten im letzten<br />

Jahr 949.861 Besucher. <strong>Das</strong> ist am Vorjahr<br />

gemessen stabil und meint außerdem,<br />

dass je<strong>der</strong> Münsteraner die Stadtbücherei<br />

übers Jahr im Schnitt mehr als dreimal<br />

besuchte. Sie können auf etwa 200.000<br />

Bücher sowie 50.000 an<strong>der</strong>e <strong>Medien</strong><br />

zugreifen.<br />

<strong>Das</strong> ist überaus respektabel, und auch<br />

beim jüngsten Leistungsvergleich <strong>der</strong><br />

bundesdeutschen Bibliotheken BIX (das<br />

Kürzel steht für “Bibliotheksindex”)<br />

erreichte das <strong>Haus</strong> am Steinweg 3,5 von<br />

4 möglichen Sternen und untermauerte<br />

damit seine mitführende Position im<br />

Lande. Auf ihre Bücherei können Münsters<br />

Bürger wirklich stolz sein. Die Stadtverwaltung<br />

und die lokale Politik dürfen<br />

sich dem gerne anschließen, es besteht<br />

dennoch Handlungsbedarf.<br />

Nicht allein <strong>der</strong> Zeitgeist setzt dem<br />

<strong>Haus</strong>e zu, son<strong>der</strong>n auch die finanzielle<br />

Misere <strong>der</strong> Stadt. Der Gesamtetat des<br />

<strong>Haus</strong>es betrug 2012 rund 4,14 Mio Euro,<br />

wozu die Stadt 3,88 Mio Euro beisteuerte.<br />

Der Rest von 260.000 Euro kam aus<br />

an<strong>der</strong>en Quellen, Eigenerwirtschaftung<br />

inbegriffen. Die Ausleihe bestimmter <strong>Medien</strong><br />

kostet einen Euro, die Fristen sind<br />

beschränkter als früher, das Mahnwesen<br />

ist deutlich gestrafft. Alles zusammen<br />

sicherte 1,88 Mio Ausleihen und mehr als<br />

48.000 Stunden Internetzugang für lau<br />

(wer es bildhafter mag: das sind beinahe<br />

fünfeinhalb Jahre am Stück!). Für <strong>Medien</strong><br />

wurden insgesamt 432.323 Euro ausgegeben,<br />

davon 31.290 Euro für <strong>Medien</strong> wie<br />

CDs, DVDs, e-Books. So sieht Bürgernähe<br />

konkret aus.<br />

Genug <strong>der</strong> Statistik - also <strong>der</strong> Zeitgeist.<br />

Sichtbarstes Zeichen, mit diesem Geist zu<br />

gehen, war die Umstellung des Services<br />

zum Jahresanfang. Am Montag findet<br />

seitdem nur noch ein eingeschränkter<br />

Service mit vier Mitarbeitern im Besucherbereich<br />

statt. Dafür öffnet die<br />

Bücherei am Sonnabend seine Pforten<br />

bis 18 Uhr. Der Erfolg gibt recht: “Wir<br />

haben samstags begeisterte Kunden,<br />

die das <strong>Haus</strong> auch bis 18 Uhr nutzen”,<br />

schil<strong>der</strong>t Gunter Riemers (im Bild) die<br />

Situation. Der 58-jährige Rheinlän<strong>der</strong><br />

und studierte Bibliothekar hat daran<br />

als stellvertreten<strong>der</strong> Amtsleiter großen<br />

Anteil. Insbeson<strong>der</strong>e Schüler nutzen nun<br />

die Recherchemöglichkeiten am Wochenende,<br />

da sie in <strong>der</strong> Woche aufgrund <strong>der</strong><br />

gewachsenen Lernanfor<strong>der</strong>ungen kaum<br />

noch Zeit finden. Aber auch Erwachsene<br />

nutzen die Möglichkeiten einschließlich<br />

<strong>der</strong> circa 30 Computerplätze intensiv.<br />

O<strong>der</strong> auch: Tue Gutes und sprich darüber.<br />

Der 2007 gegründete, sehr rührige<br />

Freundeskreis <strong>der</strong> Stadtbücherei unter<br />

Vorsitz von Gertraud Horstmann ist mit<br />

seinen Projekten wie dem Leseluchs für<br />

Kin<strong>der</strong> zuerst zu nennen. Was zu ständig<br />

steigenden Ausleihen in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>bücherei<br />

führt. Im <strong>Haus</strong>e selbst gab es 2012<br />

knappe 300 Führungen mit 6.781 Teilnehmern<br />

und 223 weitere Veranstaltungen<br />

wie Lesungen o<strong>der</strong> Podiumsdebatten mit<br />

6.381 Besuchern.<br />

Alles das ist ohne das Engagement <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter nicht denkbar. Seit Jahren<br />

tragen sie die wie<strong>der</strong>holten Kürzungen<br />

und Umorganisationen klaglos mit. “Die<br />

Dankbarkeit <strong>der</strong> Kunden kommt bei den<br />

Kollegen an”, sagt Gunter Riemers, <strong>der</strong><br />

neben seinen administrativen Aufgaben<br />

auch im Besucherbereich mitarbeitet.<br />

Die Montag-Sonnabend-Umstellung<br />

betreffend “haben wir versucht, ein<br />

Modell mit zwei freien Tagen für die Kollegen<br />

hinzubekommen“. Manche haben<br />

auch drei Tage am Stück frei, aber eines<br />

bleibt doch: die Bereitschaft, auch mal<br />

am Wochenende bis 18 Uhr zu arbeiten.<br />

Wer die Bücherei nutzt, weiß das stets<br />

freundliche Engagement <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />

sehr zu würdigen.<br />

Dennoch ist nicht nur Sonnenschein.<br />

Die Schatten sind dezent, kommen aber<br />

näher. Noch vor fünf Jahren war die<br />

Münsteraner Bücherei gemeinsam mit<br />

12


den Bibliotheken in Dresden und Würzburg<br />

wirklich führend im Lande. Man<br />

wechselte sich auf den ersten Plätze in<br />

trauter Eintracht ab, <strong>der</strong> Rest von Flensburg<br />

bis Garmisch musste sich damit zufrieden<br />

geben. <strong>Das</strong> ist Geschichte, denn<br />

beim jüngsten Landesvergleich landete<br />

das <strong>Haus</strong> zwischen Lambertikirche und<br />

Asche nur noch im oberen Mittelfeld. Mit<br />

dreieinhalb von vier möglichen Sternen.<br />

Es klingt immer noch sehr gut, war aber<br />

eben auch schon mal besser. Seit Jahren<br />

bei Rücknahme und Ausleihe. Gerne<br />

nutzen die Besucher die Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> Rücknahme am Abendschalter bis<br />

23 Uhr. <strong>Das</strong> Selbstverbuchen zeigt auch<br />

unerwartete positive Effekte wie das<br />

Mehr an Diskretion. Keiner kann mehr<br />

sehen, was den Ausleiher interessiert.<br />

Ein paar Nummern größer fällt <strong>der</strong> Trend<br />

bei <strong>der</strong> Zweigstelle in <strong>der</strong> Aaseestadt aus,<br />

die sich allmählich zu einem faktischen<br />

Stadtteilzentrum entwickelt. Überhaupt<br />

sei die Arbeit mit Freiwilligen in den<br />

den Arbeitstischen, Hörspielstationen<br />

und Buchregalen den ganzen Tag im<br />

<strong>Haus</strong> verbringen. Man kann den eigenen<br />

Laptop mitbringen und den kostenlosen<br />

Hotspot nutzen. Man kann Räume belegen<br />

für Lernkurse und Versammlungen.<br />

Und es soll sogar Leute geben, denen die<br />

Bücherei ihr zweites Büro geworden ist.<br />

Es geht problemlos, auch wenn die tägliche<br />

Zeit zum Surfen im <strong>Haus</strong>e auf zwei<br />

Stunden beschränkt ist. An<strong>der</strong>e müssen<br />

auch dürfen wollen.<br />

warnt Monika Rasche als Leiterin <strong>der</strong><br />

Bücherei, unterstützt vom Freundeskreis,<br />

intensiv vor weiteren Etatkürzungen.<br />

Diese gefährdeten schleichend, aber stetig<br />

die Qualität beim Service. Sind Besucher<br />

erst einmal weg, kommen sie selten<br />

wie<strong>der</strong>. “Bibliotheken sterben langsam”,<br />

bezeichnet Gunter Riemers den Prozess.<br />

Die Methodik des jüngsten BIX hinterfragt<br />

er sachlich, anerkennt aber die Tendenz<br />

im Kern ebenso. Da die meisten Mittel<br />

im Etat vertraglich gebunden sind, liefen<br />

weitere Kürzungen automatisch auf<br />

Min<strong>der</strong>ungen im Personalbestand hinaus.<br />

Was neben einem verschlechterten<br />

Service vor allem hieße: Schließungen<br />

von Zweigstellen; die am Aasee und am<br />

Hansaring zuvör<strong>der</strong>st. Münsters Politik ist<br />

wirklich gefragt.<br />

Auch <strong>der</strong> Bau selbst wartet mit unangenehmen<br />

Überraschungen auf. Chemische<br />

Prozesse bewirken die allmähliche<br />

Lösung des Verputzes im Innenbereich.<br />

Aufgespannte Netze sollen die Besucher<br />

und Mitarbeiter vor abfallenden Stücken<br />

schützen. Sie bewirken eine eigene Ästhetik,<br />

und mancher Besucher mag sie<br />

für gewollte Kunst am Bau halten. <strong>Das</strong><br />

eigentliche Problem harrt trotzdem einer<br />

Lösung. Schwierig.<br />

Die Bücherei gibt <strong>der</strong>weil eigene Antworten.<br />

Wie die Buchungsmöglichkeiten<br />

per Internet. Zur Serviceumstellung gehört<br />

auch die ausgeweitete Selbstbedienung<br />

Filialen ein beidseitiger Lernprozess.<br />

“Auch wir als hauptberufliche Bibliothekare<br />

lernen daraus”, reflektiert Gunter<br />

Riemers und gibt dem Engagement <strong>der</strong><br />

Volunteers beste Noten. Die notwendige<br />

Sachkenne erwerben sie in Schulungen<br />

durch Mitarbeiter <strong>der</strong> Stadtbücherei. <strong>Das</strong><br />

Beispiel Aaseestadt zeigt, wie sehr viele<br />

Bürger den Wert einer gut ausgestatteten<br />

Bücherei für den Erwerb soziokultureller<br />

Kompetenzen wie Lesen und Schreiben<br />

begreifen und sich aktiv einbringen. Seit<br />

März ermöglichen 15 neue Freiwillige<br />

erweiterte Öffnungszeiten. Dank <strong>der</strong> Zuschüsse<br />

von Sparkasse und Land konnte<br />

endlich die Selbstbuchung eingerichtet<br />

werden.<br />

Nochmals <strong>der</strong> Zeitgeist. Er zeigt interessante<br />

Trends wie den, dass immer weniger<br />

Sachbücher ausgeliehen werden.<br />

Wegen <strong>der</strong> übermächtigen Konkurrenz<br />

von Wikipedia und Co. “haben wir die<br />

Lexika eingelagert o<strong>der</strong> verkauft”, so<br />

Gunter Riemers. Was früher eine imposante<br />

Regalreihe füllte, ist verschwunden.<br />

Ebenso ehemalige Klassiker wie<br />

die Schwacke-Liste. Die elektronischen<br />

<strong>Medien</strong> expandieren, und vorbehaltlich<br />

<strong>der</strong> Lösung noch bestehen<strong>der</strong> rechtlicher<br />

Probleme kann sich Gunter Riemers<br />

künftig auch die Ausleihe von Filmen per<br />

Internet vorstellen. Die Stadtbücherei<br />

ist heute mehr als ein Ort <strong>der</strong> Ausleihe.<br />

Man kann zwischen dem Café Colibri,<br />

dem Lesesaal, den Computerplätzen,<br />

Und dann gibt es noch den neuen<br />

Bücherbus. <strong>Das</strong> sehr betagte vormalige<br />

Gefährt tat den letzten Schnaufer, ein<br />

neuer Bus musste also her, um im festen<br />

Takt die Außenbezirke <strong>der</strong> Stadt zu bedienen.<br />

Gut, ein echter Bus ist es nicht<br />

mehr. Son<strong>der</strong>n ein LKW mit Auflieger,<br />

aber <strong>der</strong> hat es in sich und bietet fast<br />

alles, was auch die Hauptstelle samt<br />

Filialen hergeben. Schön bunt bemalt<br />

ist er außerdem. Aus einem Wettbewerb<br />

von elf Vorschlägen heraus machte <strong>der</strong><br />

Entwurf <strong>der</strong> 25-jährigen Designstudentin<br />

Elfe Marie Luise Opiela das Rennen. Herzlichen<br />

Glückwunsch, und demnächst rollt<br />

Münsters kunterbunter Bücherbus wie<strong>der</strong><br />

auf den Straßen. Eine schwierige Geburt<br />

kommt zum glücklichen Ende.<br />

Viele Bausteine tragen zum Erfolg <strong>der</strong><br />

Stadtbücherei bei. Engagierte Mitarbeiter<br />

und ein aktuelles <strong>Medien</strong>sortiment, das<br />

Café Colibri und <strong>der</strong> Freundeskreis, interessante<br />

Architektur und ansprechende<br />

Veranstaltungen. Man kann dem Kulturleuchtturm<br />

nur alles Gute wünschen und<br />

weiß diesen Wunsch in den besten Händen.<br />

Aber das Damoklesschwert namens<br />

Etatkürzungen schwebt eben auch über<br />

dem <strong>Haus</strong> am Alten Steinweg. Die Politik<br />

ist gefragt. #<br />

www.muenster.de/stadt/buecherei<br />

13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!