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Vortrag Herr Dr. Petry.pdf - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft

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Dysfunktionaler und pathologischer<br />

PC/Internetgebrauch: Entstehung und<br />

Behandlung<br />

<strong>Dr</strong>. Jörg <strong>Petry</strong><br />

<strong>AHG</strong>-Projektleiter pathologisches Glücksspielen und PC-/Internet-Spielen (<br />

jpetry@ahg.de )<br />

» Ich kann’s nicht genau erklären – ich habe nur so ein Gefühl, dass ich gerade gegoogelt werde.«<br />

BARSOTTI<br />

Workshop „Spielsucht“ am 19. u. 20. Sept. 2013 in der <strong>AHG</strong> Klinik Wigbertshöhe.


Übersicht<br />

1. Einleitung<br />

2. Ressourcenorientiertes dynamisches Modell<br />

3. Suchtkonzept<br />

4. Klinisch-Heuristisches Störungsmodell<br />

5. Aktuelle empirische Befunde<br />

6. SozialmedizinischeBeurteilung und<br />

Behandlung


1. Einleitung<br />

Übersicht


Das Medium ist die Botschaft<br />

McLuhan, M. (1994). Die<br />

magischen Kanäle. <strong>Dr</strong>esden:<br />

Verlag der Kunst (Amer. Orig.<br />

1964).


Umbruchzeiten<br />

Es lassen sich drei größere Umbrüche in der Geschichte<br />

der Medien feststellen, die unsere Realitätswahrnehmung<br />

(Medienwelten) mitbestimmen:<br />

Der Gebrauch der Sprache (Oralität),<br />

die Entstehung der Schrift (Literalität)<br />

und die Entwicklung<br />

elektrischer/elektronischer Medien (Virtualität).<br />

Die universelle Durchdringung des Alltages durch die<br />

Literalität als Folge des mechanischen <strong>Dr</strong>uckverfahrens<br />

(Gutenberg-Galaxie) wird aktuell durch die digitale<br />

Technik des Computers (Turing-Maschine) in Verbindung<br />

mit dem Internet zurück gedrängt.<br />

Damit entbrennt erneut der Streit zwischen<br />

befürwortenden Utopisten und kritischen<br />

Kulturpessimisten.


Umbruchzeiten<br />

„Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine<br />

vorübergehende Erscheinung“<br />

Kaiser Wilhelm der II.


PowerPoint als Werkzeug<br />

Die kritische Betrachtung<br />

des Computers wird<br />

aktuell gern am Beispiel<br />

des Programms<br />

PowerPoint geführt.<br />

Es wird die Gefahr<br />

thematisiert, dass die<br />

inhärenten Effekte der<br />

Software den<br />

inhaltlichen Gehalt<br />

dominieren.<br />

In der Nacht vor dem großen Meeting bekam<br />

Frank Besuch von der PowerPoint-Elfe<br />

Quelle: Freitag, 23, 2004:16


PowerPoint als Werkzeug<br />

Natürlich kann die Form den Inhalt<br />

dominieren<br />

Muss sie<br />

aber nicht!


Medienwelten<br />

Von der Gutenberg-<br />

Galaxie zu den<br />

Neuen Medien


Das Medium PC/Internet


Ästhetik des Computerzeitalters<br />

In der Literatur und Malerei des 19. Jahrhunderts entwickelt<br />

sich eine Synthese aus rationaler und sinnlicher Weltsicht im<br />

Symbolismus.<br />

Einen Höhepunkt dieser Ästhetik der Moderne findet sich in den<br />

späten Werken von Paul Gauguin (1848 bis 1903), den man als<br />

einen Begründer der modernen Malerei ansehen kann.<br />

Ausgehend von der rein sinnlichen Weltanschauung des<br />

Impressionismus schafft er eine neue Kunstästhetik durch das<br />

Synthetisieren, indem er von einer Idee ausgehend das Wesen<br />

eines Gegenstandes abstrahierend darstellt.<br />

In Verbindung mit der neuen Maltechnik des Cloisonnismus<br />

(Cloison = Trennmauer) grenzt er Farbfelder voneinander ab,<br />

um die Gegenstände (z. B. Bäume) als eigenständige Vertreter<br />

ihrer Gattung zu erfassen.


Ästhetik der Moderne<br />

Paul Gauguin: Ta Matete (Auf dem Markt),1892. Kunstmuseum Basel.


Ästhetik des Computerzeitalters<br />

Im Umbruch von der Literalität als rational dominierter<br />

Weltsicht zur Virtualität muss eine neue Ästhetik gefunden<br />

werden, die ein ausgegliches Verhältnis von Bildhaftigkeit und<br />

Begrifflichkeit herstellt. Die neuen Techniken und Medien<br />

verändern unsere Weltsicht. Sie beeinflussen die Künste (z .B.<br />

Webkunst) aber auch unseren Alltag (z. B. High-Tech-<br />

Turnschuhe).<br />

Bisherige Analysen betonen die zunehmende Bedeutung des<br />

Visuellen (Kino, Film, Video), die aktivere Teilhabe des<br />

Publikums (Webblog, Podcasting) und die Vernetztheit<br />

(Hypertext) als Bestimmungsstücke einer synthetischen (Bild<br />

und Begriff), diskursiven (Interaktivität) und nichtlinearen<br />

(Vernetztheit) Denkweise.<br />

Die Balancierung von Individuum und Kollektiv, Selbstverlust<br />

und Selbstfindung sowie Wahrheit und Verfälschung stellt<br />

neue Anforderungen.


Ästhetik des Computerzeitalters<br />

Es muss noch offen<br />

bleiben, welche Weltsicht<br />

eine Generation<br />

entwickeln wird, die<br />

einen frühen und<br />

häufigen Umgang mit<br />

den Neuen Medien und<br />

deren Leitbilder (wie hier<br />

Lara Croft als<br />

Protagonistin von Tomb<br />

Raider) hat…<br />

und welche Auswirkungen<br />

dies auf z. B. die<br />

Körperwahrnehmung und<br />

–zufriedenheit hat.<br />

Raufelder, D.; Jagenow, D. & Ittel, A. (2011). Mediennutzung, Freizeitverhalten und<br />

Körperzufriedenheit in der früh-pubertären Entwicklunglsphase. Merz, 55 (6), 21 -33.


Exkurs: Kinder


Medienkompetenz<br />

Medienkompetenz enthält eine normative Komponente,<br />

indem Vorstellungen über die Qualität und die Ziele des<br />

Medienangebotes eingehen.<br />

Groeben (2004) definiert empirisch fassbare<br />

Dimensionen:<br />

• Medienwissen, - bewusstsein, z. B. Fiktion vs. Realität<br />

• Rezeptionsmuster, z. B. Verständnis und Umgang<br />

• Genussfähigkeit, z. B. Genuss vs. Pathologie<br />

• Kritikfähigkeit, z. B. politische Einordnung<br />

• Selektion/Kombination, z. B. zielorientierte Auswahl<br />

• Partizipationsmuster, z.B. Web 2.0<br />

• Anschlusskommunikation, z. B. Diskurs über Mediensystem<br />

Groeben, N. (2004). Medinekompetenz. In R. Mangold; P. Vorderer & G. Bente (Hrsg.):<br />

Lehrbuch der Medienpsychologie (S. 27-49).Göttingen: Hogrefe.<br />

Trepte, S. (2008). Medienbezogene Kompetenzen. In N.C. Krämer; S. Schwan; D. Unz & M.<br />

Suckfüll (Hrsg.): Medienpsychologie (S. 102-107).Stuttgart: Kohlhammer.


Intelligenzentwicklung


Intelligenzentwicklung<br />

Der Autor erläutert die Schädigungen des Gehirns<br />

durch verfrühten und zu häufigen Medienkonsum.<br />

Dem Grundgedanken, wonach aufgrund der bis in das zweite<br />

Lebensjahrzehnt andauernden Reifung des Gehirns ein<br />

altergemäßer Umgang mit Medien für die kindliche Entwicklung sehr<br />

bedeutsam ist, kann uneingeschränkt zugestimmt werden.<br />

Der Autor nimmt jedoch eine kulturpessimistische Position<br />

ein und argumentiert dabei einseitig, indem er feststellt:<br />

„ Elektronische Bildmedien – Fernsehen und Computer - machen<br />

dumm, dick und gewalttätig.“ (a. a. O.: S. 245).<br />

Daraus leitet er als Vorhersage ab:<br />

„ …dann verursachen Bildschirme im Jahr 2020 - vorsichtig aus den<br />

bekannten Daten errechnet – jährlich etwa 40 000 zusätzliche und<br />

vermeidbare Tote …“ (Klappentext a. a. O.).<br />

Spitzer, M. (2005). Vorsicht Bildschirm: Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit<br />

und Gesellschaft. Stuttgart: Ernst Klett.


Intelligenzentwicklung


Intelligenzentwicklung<br />

Der Autor verweist darauf, dass in den letzten Jahrzehnten der<br />

Intelligenzquotient bis Mitte der 1990er Jahre stetig angestiegen ist.<br />

Dies gilt für die bildungsabhängige (mathematische und sprachliche)<br />

und noch stärker für bildungsunabhängige (schlussfolgerndes<br />

Denken) Intelligenz.<br />

Nach Johnson lässt sich dies nur mit dem zunehmenden Gebrauch<br />

technischer Medien erklären:<br />

Filme, Fernsehserien und PC-Spiele besitzen unabhängig vom Inhalt<br />

eine komplexer werdende Anforderungsstruktur für den Benutzer,<br />

die dem steigenden Intelligenzniveau entspricht.<br />

In Bezug auf die Auswirkungen der Neuen Medien besteht ein<br />

komplexes Bedingungsgefüge von sozialen Lebensbedingungen,<br />

technischem Medienfortschritt und den Eigenschaften des Nutzers.<br />

Johnson, S. (2006). Neu Intelligenz: Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden.<br />

Köln: Kiepernheuer & Witsch.


Mediensozialisation<br />

Es bestehen zwei Grundfragen:<br />

• Wie beeinflussen Medien den<br />

Sozialisationsprozess von<br />

Heranwachsenden in die Gesellschaft<br />

und ihre Identitätsentwicklung?<br />

• Wie erwerben Heranwachsende<br />

Medienkompetenz und Unterstützen die<br />

bedürfnisgerechte Bewältigung von<br />

Entwicklungsaufgaben?<br />

Süss, D. (2008). Mediensozialisation und Medienkompetenz. In B. Batinic & M. Appel (Hrsg.):<br />

Medienpsychologie (S. 361-378). Heidelberg: Springer.


Mediensozialisation<br />

Medien beinhalten Risiken und Chancen:<br />

Risiken:<br />

• Unerwünschte Gefühle und Verhaltentendenzen<br />

• Kommerzialisierung und Missbrauch<br />

• Isolation und Sucht<br />

Chancen:<br />

• Entwicklungsförderung<br />

• Gemeinschaftsbildung<br />

• Lernen und Arbeit<br />

• Unterhaltung und Erholung<br />

Süss, D. (2008). Mediensozialisation und Medienkompetenz. In B. Batinic & M. Appel (Hrsg.):<br />

Medienpsychologie (S. 361-378). Heidelberg: Springer.


Medienwirkungen<br />

Kinder haben heute einen sehr frühen und breiten Medienkontakt. Sie<br />

erwerben eine immer differenziertere Kompetenz zum Verstehen<br />

und zur Nutzung der Medien. Dies ist keine passives Aufnehmen,<br />

sondern ein aktives Aneignen. Die Erziehung muss darauf<br />

ausgerichtet sein, durch eine altersgerechte Mediennutzung den<br />

Nutzen zu fördern und den Schaden einzuschränken.<br />

So lernen Kinder zwischen vier und acht Jahren bezogen auf Fernsehen eine<br />

zunehmende Genreunterscheidung, indem sie z. B. Werbung von<br />

Information unterscheiden können. Dadurch wird die Werbewirkung jedoch<br />

nicht wirkungslos.<br />

So können Computerspiele sehr spezifische kognitive Fähigkeiten (Verkürzung<br />

der Reaktionszeit; Schnelligkeit der visuellen Informationsverarbeitung,<br />

sensomotorische Koordination) verbessern, bei sehr häufigem Konsum und<br />

stark erregenden Inhalten langfristig die Lesekompetenz und den<br />

Schulerfolg jedoch reduzieren.<br />

Maass, A.; Klöpper, K.M.; Michel, F. & Lohaus, A. (2011). Does Media Use Have a Short-Term<br />

Impact on Cognitive Performnace? Journal of Media Psychology, 23(2), 65-76.Nieding, G. &<br />

Ohler, P. (2008). Mediennutzung und Medienwirkung bei Kindern und Jugendlichen. In B. Batinic<br />

& M. Appel (Hrsg.): Medienpsychologie (S. 379-400). Heidelberg: Springer.


Kinder in Chats: Gefahren<br />

• Problematische Inhalte: Rechtextremismus,<br />

Gewaltdarstellungen, nicht altersbezogene Erotik,<br />

Pornographie, Kinderpornographie<br />

• Beleidigungen: Provozierende Nicknames und<br />

Kommentare, direkte Beleidigungen<br />

• Mobbing: Selbstentblößung und Bloßstellungen<br />

• Sexuelle Belästigung: Ansprache von sexuellen<br />

Inhalten, Anbahnung von sexuellem Missbrauch<br />

• Finanzielle Ausnutzung: Gebühren, Kaufverträge<br />

www.jugendschutz.net


Kinder in Chats: Ratschläge<br />

• Begleitung: Sichere Chatwahl (z. B.<br />

www.cyberzwerge.de , www.yamchatter.de )<br />

• Sicherheitsregeln: „Sei misstrauisch!“, Tu‘s nicht!“,<br />

„Klick weg!“, „Sag nein!“, „Sag Bescheid!“<br />

• Regeln: Ort, Zeiten, Anwesenheit<br />

• Prüfung: Moderator?, Ignore-Funktion?, Notfall-<br />

Button? Hilfebereich? Kein Gastzugang?<br />

• Meldung von Verstößen: hotline@jugendschutz.net<br />

www.jugendschutz.net


Exkurs: Jugendliche


Realität und Virtualität


Häufigkeit in der Bevölkerung<br />

Die ersten Online-Untersuchungen ergaben sehr hohe<br />

Raten von „Internetabhängigen“. So lag die<br />

Schätzung von Hahn und Jerusalem (2001) bei 3,2<br />

% der Bevölkerung. Sie weisen auf einen<br />

Alterseffekt hin (7,2 % der unter 20jährigen und<br />

2,3% der 20- bis 29jährigen).<br />

Rehbein und Mitarbeiter (2009) finden unter 15jährigen<br />

Schülern (N = 15.168) bei 1,7 % eine<br />

„Computerabhängigkeit“ mit einem<br />

Geschlechtereffekt (3% bei Jungen und 0,3 % bei<br />

Mädchen).<br />

Hahn, A. & Jerusalem, M. (2001). Internetsucht – Reliabilität und Validität in der Online-Forschung. In A.<br />

Theobald et al. (Hrsg.): Handbuch der Online-Marktforschung. Wiesbaden: Gabler.<br />

Rehbein, F.; Kleimann, M. & Mößle, T. (2009). Computerspielsucht im Kindes- und Jugendalter. Hannover:<br />

Kiminologisches Forschungsinstitut Niedersachen (Unveröffentlichter Forschungsbericht).


Häufigkeit in der Bevölkerung<br />

Nach der repräsentativen Bevölkerungsbefragung von<br />

Rumpf und Mitarbeitern (2011) werden 1,5%<br />

(CIUS-Cut-off-Point 28) bzw. 1% (Latent Class-<br />

Analyse) als „Internetabhängig“ geschätzt.<br />

Eine neuere repräsentative Befragung von Ferstl und<br />

Mitarbeitern (2013) stellt lediglich bei 0,2% der<br />

Befragten eine Computerabhängigkeit fest.<br />

Diese epidemiologischen Befunde sind bisher jedoch<br />

nicht klinisch validiert worden.<br />

Ferstl, R.; Scharkow, M. & Quandt, T. (2013). Problematic Computer Game Use Among Adolescents,<br />

Younger and Older Adults. Addiction, 108(3), 592-599.<br />

Rumpf, H.-J.; Meyer, C.; Kreuzer, A. & John, U. (2011). Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINTA).<br />

Lübeck und Greifswald: Bericht an das Bundesministerium für Gesundheit.


Alters- und Geschlechtereffekt<br />

(im Querschnitt)<br />

Alter<br />

Geschlecht<br />

Weiblich<br />

Männlich<br />

12 - 14<br />

15 -17<br />

18 -20<br />

21 - 24<br />

5,0%<br />

2,8%<br />

1,9%<br />

0,0%<br />

4,5%<br />

5,8%<br />

3,8%<br />

1,5%<br />

Meixner-Dahle, S. (2010). Pathologische Internetnutzung im Jugendalter. Sucht Aktuell, 17(1),<br />

53 – 56.


Problemverhalten im<br />

Jugendalter<br />

Das Jugendalter hat Entwicklungsaufgaben, die mit<br />

Chancen und Risiken verbunden sind.<br />

Bei ungünstigen sozialen und personalen<br />

Bedingungen entstehen Überforderungen, auf die<br />

typischerweise mit „Problemverhalten“ reagiert wird.<br />

Allgemein ist vielfältiges Risikoverhalten<br />

(<strong>Dr</strong>ogenkonsum, Verkehrsunfälle, Delinquenz etc.)<br />

für diesen Lebensabschnitt typisch.<br />

Bei der großen Mehrheit der Heranwachsenden<br />

nehmen diese Verhaltensmuster im jungen<br />

Erwachsenenalter wieder ab oder verschwinden<br />

ganz.<br />

Hurrelmann, K. (1994). Lebensphase Jugend. Weinheim: Juventa.<br />

Pinquart, M. & Silbereisen, K. (2004). Prävention und Gesundheitsverhalten im Jugendalter In<br />

K. Hurrelmann, K. et al. (2007). Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung (S. 63-71).<br />

Bern: Huber.


Games<br />

• Gewaltfreie Spiele: Jump & Run-Spiele (Super<br />

Mario), Sportspiele (FIFA), Denk- und<br />

Geschicklichkeitsspiele (Tetris), Adventures,<br />

Rennspiele, Systemsimulation<br />

• Gewalthaltige Spiele: „Beat them ups“<br />

(Prügelspiele), Action-Ego-Schooter, Taktik-<br />

Ego-Shooter (Counter Strike),<br />

Flugzeug-, Weltraum- u. Militärsimulation,<br />

Action-Rollenspiele wie<br />

(World of Warcraft / WoW)


Der Reiz des Gamens<br />

Die Games dienen dem Erleben von Gefühlen, dem<br />

spielerischen Aktivsein und der Bearbeitung von<br />

Entwicklungsthemen heranwachsender Jungen.<br />

Diese Computerspiele beziehen sich auf den<br />

Kampf und Wettbewerb, die Eingliederung in eine<br />

Gruppe von Gleichaltrigen und die Übernahme von<br />

leistungsbezogenen Rollen.<br />

Aufgrund der Interaktivität des Spielablaufs mit einem<br />

schnellen Handlungsfluss entstehen<br />

Glücksgefühle und durch die Vernetzung mit den<br />

Mitkämpfern ein Gefühl der Zugehörigkeit mit<br />

sozialer Anerkennung.<br />

Kaminski, W. & Lorber, M. (HRSG.). (2006). Computerspiele und soziale Wirklichkeit.<br />

München: Kopaed.


Amok laufen<br />

Die Ursachen eines Amoklaufes sind das Zusammenspiel<br />

von drei Faktoren:<br />

Die soziale Lebenswelt (Schulversagen, Demütigungen im<br />

Freundeskreis und/oder Vernachlässigung im<br />

Elternhaus),<br />

die Person des Täters (eine psychopathische,<br />

psychotische oder traumatisierte Persönlichkeit) und<br />

das Medium der Tat (Verfügbarkeit von Waffen und deren<br />

Gebrauch).<br />

Es sind keine Spontanhandlungen sondern das Ende einer<br />

längeren Entwicklung, bei dem der Täter meist<br />

unbewusst deutliche Signale an seine soziale<br />

Umgebung.<br />

Langman, P. (2009). Amok im Kopf: Warum Schüler töten. Weinheim: Beltz.<br />

Waldrich, H.-P. (2007). In Blinder Wut: Warum junge Menschen Amok laufen. Köln: PapyRossa.


Der Reiz des Chats<br />

Die Anonymität, zeitliche Kontrolle und der<br />

unkörperliche Kontakt sind für Mädchen und<br />

Frauen attraktiv, da durch die hergestellte Distanz<br />

besonders intime Beziehungen entstehen können.<br />

Der Chat ermöglicht den Austausch von Erlebnissen,<br />

Gedanken und Gefühlen und eine freie<br />

Selbstdarstellung (dies besonders durch Profile in<br />

sozialen Gemeinschaften).<br />

Jenseits von traditionellen Rollenvorstellungen<br />

können sonst nicht zugebilligte Bedürfnisse in<br />

einem geschützten Rahmen ausgelebt werden.<br />

Dies gibt insbesondere für den Flirt bei Mädchen<br />

und den erotischen Austausch bei Frauen.<br />

Döring, N. (2003 2 ). Sozialpsychologie des Internets. Göttingen: Hogrefe.


Problemperspektive in Familien<br />

Screening: 12,5 %<br />

2,2 %<br />

1,0 %<br />

Kinder: 14,0 %<br />

2,6 %<br />

3,1 %<br />

6,1 %<br />

4.4 %<br />

9,3 %<br />

Eltern: 22,8 %<br />

Kammerl, R.; Hirschhäuser, L.; Rosenkranz, M.; Schwinge, C.; Hein, S.; Wartberg, L. & Petersen, K.U.<br />

(2012). EXIF – Exzessive Internetnutzung in Familien: Zusammenhänge zwischen der exzessiven<br />

Computer- und Internetnutzung Jugendlicher und dem (medien-)erzieherischen Handeln in Familien.<br />

Lengerich: Pabst.


„Goldene Regeln“<br />

• Die Gefahren des Sich-Verlierens<br />

(Sogwirkung durch Handlungsfluss /<br />

überstarke Intimität im Chat) erkennen<br />

• Verbindliche Regeln zwischen Jugendlichen<br />

und Bezugspersonen vereinbaren<br />

• Gemeinsame Beschäftigung mit den<br />

Chancen und Gefahren der Neuen Medien<br />

• Alternative Aktivitäten, die intensive<br />

Erfahrungen und Beziehungen ermöglichen<br />

www.klicksafe.de


Übersicht<br />

2. Ressourcenorientiertes dynamisches<br />

Modell


Begrifflichkeit<br />

„Zocken“ beim Gaming und „responsible<br />

Gaming“ im Casino?<br />

1. Playing: Spaß im Kinderspiel, z. B.<br />

Asiatischer <strong>Dr</strong>ogenhandel<br />

2. Gaming: Kompetenz beim<br />

Computerspiel, z. B. NIM<br />

3. Gambling: Geldwetten, z. B. Losen<br />

Ashley, L.R.N. (1990). „The Words of My Mouth, and the Meditation of My Heart“: The Mindset<br />

of Bablers Revealed in Their Language. Journal of Gabmling Studies, 6, 241 – 261.


Ressourcenorientiertes<br />

dynamisches Modell (Annahmen)<br />

• Kontinuum vom funktionalen über den<br />

exzessiv-dysfunktionalen bis zum<br />

pathologisch-süchtigen PC-/Internet-<br />

Gebrauch<br />

• Wechselwirkung zwischen<br />

medienbezogenen Merkmalen und<br />

personalen/sozialen Ressourcen der<br />

Nutzerpersönlichkeit<br />

• Teufelskreisartige Einschränkung der<br />

Selbstregulation mit verminderter<br />

Medienkompetenz<br />

Six, U., Gleich, U. & Schröder, A. (2005). Determinanten funktionalen bis dysfunktionalensüchtigen<br />

Internetgebrauchs. In K.-H. Renner, A. Schütz & F. Machilek (Hrsg.): Internet und<br />

Persönlichkeit (S. 223 – 237). Göttingen: Hogrefe.


3. Suchtkonzept<br />

Übersicht


Das Suchtkonzept<br />

(Ausgangspunkt)<br />

<strong>Dr</strong>. Ivan Goldbergs Glosse über<br />

Internetsucht.<br />

Kollegen und Journalisten greifen diesen<br />

Begriff auf.<br />

<strong>Dr</strong>. Kimberly Young mit ersten<br />

Fallbeschreibungen, erstem Fragebogen und<br />

Buch sowie Online-Therapieangebot.<br />

Vielzahl dramatischer Medienberichte mit<br />

zeitlicher Verzögerung auch in Deutschland.<br />

Young, K. S. (1999). Caught in the Net – Suchtgefahr Internet. München: Kösel.


Das Suchtkonzept<br />

(Ausgangspunkt)<br />

Synonyme:<br />

Cyberdisorder,<br />

Net Addiction, Online Addiction,<br />

Internet Addiction Disorder (IAD),<br />

Pathological Internet Use (PIU),<br />

Pathologischer Internetgebrauch (PIG)


Das Suchtkonzept (Annahmen)<br />

• Definition als nichtstoffgebundene Sucht<br />

• Operationalisierung in Anlehnung an<br />

das pathologische Glücksspielen<br />

• Bezug zum Krankheitskonzept von<br />

Jellinek, zur klassischen Lerntheorie und<br />

modernen Hirnforschung<br />

Gross, W. (1990). Sucht ohne <strong>Dr</strong>ogen: Arbeiten, Spielen, Essen, Lieben. Frankfurt/M.: Fischer.<br />

Griffith, M. (1996). Gambling on the internet: A brief note. Journal of Gambling Studies, 12,<br />

471 – 473.<br />

Grüsser, S.M. & Thalemann, C.N. (2006). Verhaltenssucht: Diagnostik, Therapie, Forschung.<br />

Bern: Hans Huber.


Das Suchtkonzept (Annahmen)<br />

Es wird angenommen, dass das Medium<br />

PC/Internet als „<strong>Dr</strong>oge“ einen<br />

emotionalen Konditionierungsprozess<br />

auslöst, der sich auf das dopaminerge<br />

Belohnungssystem bezieht.<br />

Wie bei stoffgebundenen Süchten kommt<br />

es zu einer „Dosissteigerung“, einem<br />

„Kontrollverlust“ und beim Einstellen<br />

des Verhaltensexzesses zu<br />

„Entzugserscheinungen“.


Das Suchtkonzept (Kritik)<br />

• Nicht statthafte Übertragung des<br />

organischen Krankheitsmodells<br />

• Geschlossene Operationalisierung<br />

mittels Jellinekskalen<br />

• Überbetonung des<br />

Belohnungszentrums und der<br />

klassischen Lernmechanismen<br />

• Zu weite Definition der Suchtdomäne


Exkurs: Naturalistische<br />

Hirnforschung<br />

„Wenn das Hirn so einfach wäre, dass wir es<br />

verstehen könnten, dann wären wir so einfach, dass<br />

wir es nicht könnten.“ (Holst, 2009: S. 5)<br />

Holst, G. (2009). Der Weinstock und die Tränen des Mohns: Von der nüchternen Trunkenheit<br />

in die Triebwerke der Submoderne. Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 32 (1), 5 – 15.


Das Gehirn als Zentralorgan<br />

Von Janisch (2009) wird darauf hingewiesen, dass die<br />

Neurowissenschaftler ganz selbstverständlich die Begriffe<br />

ihrer Fachsprache „großzügig“ verwenden, ohne die<br />

Unterscheidung von Sprachebenen<br />

und die Klassifikationen von Sätzen nach Definition,<br />

Hypothese, empirischer Befunde etc. zu berücksichtigen.<br />

Dabei tritt ein mereologischer* Fehlschluss auf, indem das<br />

Gehirn pars pro toto als stellvertretender Teil des Ganzen<br />

steht:<br />

„Das Gehirn durchwandert eine Metamorphose vom anatomischen<br />

Fund unter der Schädeldecke über das Organ und das Zentralorgan<br />

zum autonomen Akteur.“ (a. a.O.: S. 96).<br />

* Mereologie bezieht sich auf das Verhältnis von Teil und Ganzem<br />

Janisch, P. (2009). Kein neues Menschbild: Zur Sprache der Hirnforschung. Frankfurt/M.:<br />

Suhrkamp.


Das Problem der Willensfreiheit<br />

Durch die Negation der Willensfreiheit (z. B. Singer, 2004)<br />

wird das „Ich“ zum Epihänomen, das keine kausalen<br />

Einwirkungsmöglichkeiten auf das Gehirn hat.<br />

Nach der analytischen Philosophie (Beckermann, 2009)<br />

handelt sich dabei um eine fehlerhafte Anwendung des<br />

Begriffspaares „Aktiv vs. Passiv“ (Kategorienfehler):<br />

„Im Gehirn laufen neuronale Prozesse ab, ohne die wir nicht<br />

wahrnehmen, uns erinnern, denken oder unsere Hand bewegen<br />

können. Aber das bedeutet nicht, dass es das Gehirn ist, das<br />

wahrnimmt, sich erinnert, denkt oder meine Hand bewegt.“<br />

(a. a. O.: S. 64).<br />

Lebewesen können durch äußere Kräfte bewegt werden. Sie<br />

können sich aber auch selbst bewegen: Ich laufe als Person<br />

und werde nicht durch meine Beine bewegt.<br />

Beckermann, A. (2008). Gehirn, Ich, Freiheit: Neurowissenschaften und Menschenbild. Paderborn: Mentis.<br />

Singer, W. (2004), Verschaltungen legen uns fest. In C Geyer (Hrsg.). Hirnforschung und Willensfreiheit (S.<br />

30 – 65). Frankfurt/M.: Suhrkamp.


Das Geist-Gehirn-Problem<br />

Dualismus<br />

Epiphänomen<br />

Reduktion<br />

Kann Geistiges auf<br />

Physisches reduziert werden?<br />

= Geist<br />

= Gehirn<br />

Aspektdualismus<br />

Siehe elektromagnetische Wellen als<br />

Materialismus korpuskuläres und Wellenphänomen.<br />

Animismus<br />

Wie kann Geistiges auf etwas<br />

Materielles einwirken?<br />

Siehe Gesetz der<br />

Energieerhaltung<br />

Emergenz<br />

Es macht Sinn, je nach Sichtweise<br />

und Methodik (Erste-Person-<br />

Siehe Indeterminismus der Perspektive oder <strong>Dr</strong>itte-Person-<br />

Elementarteilchen<br />

Perspektive) das Gehirn sowohl als<br />

Elimination<br />

Idealismus<br />

Monismus<br />

neruronales Objekt als auch als<br />

mentales Subjekt zu betrachten.<br />

Idealismus<br />

Tretter, F. & Grünhut, C. (2010). Ist das Gehirn der Geist? (S. 84). Göttingen: Hogrefe.


Neurophilosophie<br />

Nach Fuchs (2009) ist das Gehirn als<br />

„Organ der Möglichkeiten“ in die Beziehungen des<br />

Organismus zu seiner Umwelt eingebettet und ermöglicht<br />

die Aneignung vielfältiger Fähigkeiten, deren Realisierung<br />

jedoch nur die Person als ganze leisten kann:<br />

„Was eine Person wesentlich ausmacht, ist ihr Sein-in-Beziehungen,<br />

und diese intentionalen und sozialen Beziehungen zur Welt sind<br />

weder Erzeugnisse des Gehirns noch in ihm auffindbar.“<br />

(a. a.O.: S.283).<br />

Fuchs, T. (2009 2 ). Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Stuttgart: Kohlhammer.


Neurophilosophie<br />

Nach Northoff (2009) ist es nicht das Gehirn,<br />

sondern der soziale Kontext der die neuronale Aktivierung<br />

konstituiert.<br />

Ein Beispiel für ein solches „Beziehungssystem“ ist das<br />

evolutionär basierte neuronale Seeking-System.<br />

Dieses aktiviert unser Neugierverhalten<br />

mit der ständigen Suche nach überlebenswichtigen<br />

Anreizen der Umwelt (Panksepp, 1998).<br />

Wenn es gestört ist, werden wir antriebslos und depressiv.<br />

„Die Umwelt ist der zentrale Bezugspunkt des Gehirns,…Das Gehirn<br />

richtet also seine neuronalen Prozesse nach der Umwelt aus und<br />

konstituiert seine Funktionen so, dass es bestmöglich überleben<br />

kann.“ (a. a. O.: S. 183).<br />

Northoff, G. (2009). Die Fahndung nach dem Ich. München: Irsiana.<br />

Panksepp, J. (1998). Affective Neuroscience: The Foundation of Human and Animal Emotions.<br />

New York: Oxford University Press.


Neurophilosophie<br />

Zitat:<br />

Wenn Sie mich weiter zu<br />

ignorieren versuchen, werden<br />

Sie und Ihre Familie das Ich<br />

noch kennenlernen. Nicht als<br />

Neuronengewitter, sondern als<br />

Donnergewitter!“<br />

Mit besten Grüßen<br />

Das ICH<br />

Northoff, G. (2009). Die Fahndung nach dem Ich: Eine neurophilosophische<br />

Kriminalgeschichte. München: Irsiana.


Übersicht<br />

4. Klinisch-Heuristisches Störungsmodell


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Ausgangspunkt)<br />

• Biopsychosoziales Bedingungs- und<br />

Veränderungsmodell<br />

• Allgemeinpsychologisches<br />

Handlungsmodell<br />

• Integration<br />

medienpsychologischer und<br />

entwicklungspsychopathologischer<br />

Erklärungsansätze<br />

• Kasuistik (N = 100) und klinische Pilotstudien<br />

<strong>Petry</strong>, J. (2010). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Psychopathologie)<br />

Deskriptiv-normative Merkmale<br />

Pathologischer PC/Internet-Gebrauch als „andere näher bezeichnete Persönlichkeits- und<br />

Verhaltensstörung“ (ICD-10: F68.8): Entwicklungspsychopathologische Störung des sozialen<br />

Beziehungsverhaltens; unter 18 Jahren „nicht näher bezeichnete emotionale Störung des Kindesalters“<br />

(F93.9) oder nicht näher bezeichnete Verhaltens- oder emotionale Störungen mit Beginn der Kindheit und<br />

Jugend (F98.9)<br />

Exzessive Online-Aktivität, speziell vom Gaming-, Chatting- und Surfing-Typ<br />

Reduzierte Handlungskontrolle druch automatisierte PC/Internaktivität mit eingeschränkert<br />

Medienkompetenz<br />

Überwertiges Immersionserleben (Fokussierung auf die virtuellen Erlebnisinhalte bei Zurücktreten der<br />

Realitätswahrnehmung) mit Wunsch nach sozialer Anerkennung durch virtuelle Partner<br />

Sozialer Rückzug und Abbruch naher Beziehungen mit sozial-phobischen Vermeidungstendenzen<br />

Erhöhte „Inkonsistenz“ im Sinne der Neuropsychologie mit ausgeprägter Selbstwertstörung<br />

Verminderte Gewissenhaftigkeit, d. h. wenige planerische Durchhaltefähigkeit in Alltag, Schule und Beruf.<br />

Mögliche Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit<br />

Typische Konstellation negativer körperlicher, psychischer und sozialer Folgen<br />

Hohe Komorbiditätsrate, insbesondere depressive Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen<br />

und missbräuchliches oder abhängiges Suchtverhalten<br />

<strong>Petry</strong>, J. (2010). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Ätiologie)<br />

• Störung der sozialen Identitätsentwicklung<br />

durch umweltbedingte Deprivationen (vgl.<br />

Pfeiffer et al., 2007)<br />

• Unsichere Bindungsorganisation im Sinne<br />

Bowlbys (1993 4 )<br />

• Neuropsychologische Inkonsistenz im Sinne<br />

Grawes (2004)<br />

Bowlby, J. (1993 4 ) A secure base: Clinical applications of attachement theorie. London:<br />

Routledge.<br />

Grawe, K. (2004). Neuropsychologie. Göttingen: Hogrefe.<br />

Pfeiffer, C. et al. (2007). Die Pisa-Verlierer – Opfer ihres Medienkomsums. Hannover:<br />

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen.


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Pathogenese)<br />

• Regressiver Rückzug in die kindliche<br />

Phantasiewelt des Spielens zur<br />

Kompensation im Sinne Adlers (1974)<br />

• Passgenaue Verbindung frustrierter<br />

Grundbedürfnisse und medialen<br />

Angeboten<br />

• Das Arbeitsmittel PC/Internet wird zum<br />

Lieblingsspielzeug mit hoher subjektiver<br />

Valenz (Oerter, 1993)<br />

Adler, A. (1974). Praxis und Theorie der Individualpsychologie. Frankfurt/M.: Fischer.<br />

Oerter, R. (1993). Psychologie des Spiels. München: Quintessenz.


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Chronifizierung)<br />

• Zunehmende Einschränkung von<br />

Handlungsoptionen durch die Online-<br />

Aktivität mit Vernachlässigung alternativer<br />

Ressourcen<br />

• Gewohnheitsbildung zu einem weniger<br />

bewussten, impulsiveren und<br />

reizgesteuertem Handlungsmodus<br />

• Teufelskreisartige Verstärkung durch<br />

negative Konsequenzen, insbesondere<br />

den sozialen Rückzug<br />

Six, U., Gleich, U. & Schröder, A. (2005). Determinanten funktionalen bis dysfunktionalensüchtigen<br />

Internetgebrauchs. In K.-H. Renner, A. Schütz & F. Machilek (Hrsg.): Internet und<br />

Persönlichkeit (S. 223 – 237). Göttingen: Hogrefe.


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Nosologie)<br />

Es handelt sich um eine entwicklungspsychopathologische<br />

Störung des zwischenmenschlichen<br />

Beziehungsverhaltens. Dies entspricht einer „anderen<br />

näher bezeichneten Persönlichkeits- und<br />

Verhaltensstörung“ (ICD 10: F68.8).<br />

Es erfolgt eine differentialdiagnostisch Abgrenzung vom<br />

pathologischen Internetglücksspielen (F63.0) und der<br />

Hypersexualität (F52.7).<br />

Bei Jugendlichen unter 18 Jahren sollte die Einordnung<br />

als „nicht näher bezeichnete emotionale Störung des<br />

Kindesalters“ (F93.9) erfolgen oder nicht näher<br />

bezeichnete Verhaltens- oder emotionale Störungen mit<br />

Beginn der Kindheit und Jugend (F98.9).<br />

Dilling, H. et al. (Hrsg.). (1991). Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD 10, Kapitel V<br />

(F). Bern: Hans Huber.<br />

Remschmidt, H. et al. (Hrsg.). (2006). Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des<br />

Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 und DSM-IV. Bern: Huber.


(Nosologie)<br />

Fortgesetzter oder wiederkehrendes Internetspielen (gaming), das zu<br />

bedeutsamen Einschränkungen oder Nachteilen führt.<br />

Nach dem DSM-5 (APA, 2013) wird die Kategorie „Internet Gaming<br />

Disorder“ in das Kapitel III zur weiteren Forschung aufgenommen<br />

und mit 9 klassischen Suchtkriterien operationalisiert. Es müssen 5<br />

von 9 Kriterien innerhalb von 12 Monaten erfüllt sein.<br />

Das Störungsbild bezieht sich nicht auf Glücksspiele und nicht auf<br />

sexuelle Inhalte im Internet.<br />

Die in Bezug auf den Suchtdiskurs diskutierte Kritik (Kategorienfehler<br />

mit Bedeutungsverschiebung) zeigt sich besonders deutlich bei<br />

dem widersprüchlichen Versuch „Entzug“ ohne körperliche<br />

Entzugserscheinungen zu definieren („ Withdrawal symptoms<br />

when Internet gaming is taken away ….there are no physical signs<br />

of pharmocological withdrawal.“ (a. a. O.: S. 795).<br />

American Psychiatric Association (Ed.). (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders,<br />

Fifth Edition (DSM-5). Washington, DC: American Psychiatric Association.


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Typologie)<br />

Das häufigste Erscheinungsbild ist das männliche<br />

Gamen.<br />

Quelle des Fotos: „Sogar der Müll wird besser.“ Interview mit Steven Johnson<br />

mit Bildern von Phil Toledano, NEON, April 2006, S. 154-158.


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Typologie)<br />

Das zweithäufigste Erscheinungsbild ist das<br />

weibliche Chatten.<br />

„Im Internet weiß niemand, dass Du ein Hund<br />

bist!“


Störungsbild (Pilotstudie*)<br />

• Vorwiegend Männer (85,7 %) mit hoher<br />

Arbeitslosigkeit (45,2 %) u.<br />

Partnerlosigkeit (73,8 %)<br />

• Häufige depressive Störung (61,9 %),<br />

Suchtmittelabhängigkeit (40,04 %),<br />

Persönlichkeitsstörung (33,3 %)<br />

• Angststörung (14,3 %)<br />

* Konsekutiv stationär behandelte Patienten (N = 42)<br />

<strong>Petry</strong>, J. (2010). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.


Komorbidität (Pilotstudie)<br />

(N = 42 / Mehrfachstörungen möglich)<br />

Komorbide Psychische Störungen<br />

Depressive Störung<br />

Persönlichkeitsstörung<br />

Angststörung<br />

Essstörung<br />

Psychotische Störung<br />

Posttraumatische Belastungsstörung<br />

Somatoforme Schmerzstörung<br />

ADHS<br />

N<br />

26<br />

14<br />

6<br />

6<br />

2<br />

2<br />

2<br />

2<br />

%<br />

61.9<br />

33.3<br />

14.3<br />

14.3<br />

4.8<br />

4.8<br />

4.8<br />

4.8<br />

<strong>Petry</strong>, J. (2010). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.


Komorbidität (Pilotstudie)<br />

(N = 42 / Mehrfachstörungen möglich)<br />

Komorbide stoffliche Suchtproblematik<br />

Tabakabhängigkeit<br />

Tabakmissbrauch<br />

Alkoholabhängigkeit<br />

Alkoholmissbrauch<br />

<strong>Dr</strong>ogenabhängigkeit<br />

<strong>Dr</strong>ogenmissbrauch<br />

Komorbide nichtstoffgebundene Sucht<br />

Pathologisches Glücksspielen<br />

N<br />

17<br />

4<br />

9<br />

3<br />

8<br />

3<br />

2<br />

%<br />

40,5<br />

9,5<br />

21.4<br />

7,1<br />

19.0<br />

7.1<br />

4.8<br />

<strong>Petry</strong>, J. (2010). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.


Persönlichkeit (Pilotstudie*)<br />

• Extrem eingeschränkte Seelische<br />

Gesundheit (T = 27) bei normaler<br />

Verhaltenskontrolle (T = 49) im TPF<br />

• Deutlich eingeschränkter Selbstwert (T-<br />

Werte zwischen 32 und 36) in der MSWS<br />

• Verstärkte Furcht vor sozialer<br />

Zurückweisung ( T = 62,6) im MMG<br />

*Konsekutiv stationär behandelte Patienten (N = 29)<br />

Trierer Persönlichkeitsfragebogen (TPF)<br />

Multidimensionale Selbstwertskala (MSWS)<br />

Multi-Motiv-Gitter (MMG)<br />

<strong>Petry</strong>, J. (2010). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.


Ein klinisch-heuristisches<br />

Störungsmodell (Pathoplastik)<br />

Augrund der Weiterentwicklung der Neuen<br />

Medien ist mit einem historischen Wandel des<br />

Störungsbildes im Sinne pathoplastischer<br />

Veränderungen des Erscheinungsbildes zu<br />

rechnen.<br />

Die JIM-Studie 10 bestätigt die anhaltende<br />

Dominanz von Games bei Jungen und dem<br />

Chatten bei Mädchen.<br />

Aufgrund des früheren Einstiegs sind die<br />

Identitätsentwicklung und die soziale<br />

Beziehungsbildung viel stärker von der<br />

virtuellen Erlebnisweise bestimmt.<br />

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.). (2010). JIM-Studie 10:<br />

Jugend, Information, (Multi-)Media. Stuttgart: LA für Kommunikation Baden-Württemberg.


Übersicht<br />

5. Aktuelle empirische Befunde


Epidemiologie<br />

Nach der repräsentativen Bevölkerungsbefragung von<br />

Rumpf und Mitarbeitern (2011) werden 1,5%<br />

(CIUS-Cut-off-Point 28) bzw. 1% (Latent Class-<br />

Analyse) als „Internetabhängig“ geschätzt.<br />

Eine neuere repräsentative Befragung von Ferstl und<br />

Mitarbeitern (2013) stellt lediglich bei 0,2% der<br />

Befragten eine Computerabhängigkeit fest.<br />

Diese epidemiologischen Befunde sind bisher jedoch<br />

nicht klinisch validiert worden.<br />

Ferstl, R.; Scharkow, M. & Quandt, T. (2013). Problematic Computer Game Use Among Adolescents,<br />

Younger and Older Adults. Addiction, 108(3), 592-599.<br />

Rumpf, H.-J.; Meyer, C.; Kreuzer, A. & John, U. (2011). Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINTA).<br />

Lübeck und Greifswald: Bericht an das Bundesministerium für Gesundheit.


Neurobiologie<br />

Die Befunde zu neurobiologischen Korrelaten (Brand &<br />

Laier, 2013; Kiefer et al., 2013), wie Defizite der<br />

exekutiven Verhaltensinhibition,<br />

Aufmerksamkeitszuwendung zu suchtbezogenen<br />

Reizen und verminderte Sensitivität für<br />

nichtsubstanzbezogene Verstärker, sind aufgrund der<br />

fehlenden externen Validität der experimentellen<br />

Versuchsanordnungen und der reduktionistischen In-<br />

Beziehung-Setzung von hirnorganischen<br />

Teilprozessen mit komplexen psychischen Funktionen<br />

nicht gegenstandsadäquat.<br />

Brand, M. & Laier, C. (2013). Neuropsychologie der pathologischen Internetnutzung. Sucht, 59(3), 143 –<br />

152.<br />

Kiefer, F.; Fauth-Bühler, M. ; Heinz, A. & Mann, K. (2013). Neurobiologische Grundlagen der<br />

Verhaltenssüchte. Nervenarzt 84(5), 557 – 562.


Vergleichende Psychopathologie<br />

Inzwischen verweisen erste<br />

Vergleichsuntersuchungen mit unauffälligen<br />

PC-/Internet-Nutzern (Kratzer, 2006; Lampen-<br />

Imkamp & te Wildt, 2009)<br />

und mit klinischen Gruppen von<br />

Alkoholabhängigen und depressiven<br />

Störungen (Lampen-Imkamp & te Wildt, 2009)<br />

auf die Störungsspezifität des neuen<br />

Krankheitsbildes.<br />

Kratzer, S. (2006). Pathologische Internetnutzung: Eine Pilotstudie zum Störungsbild. Lengerich: Pabst.<br />

Lampen-Imkamp, S. & te Wildt, B. (2009). Phänomenologie, Diagnostik und Therapie der Internet- und Computersucht. In<br />

J. Hardt; U. Cramer-Düncher & m. Ochs (Hrsg.): Verloren in virtuellen Welten (S. 120-131). Göttingen: Vandenhoeck &<br />

Ruprecht.


Vergleichende Psychopathologie<br />

Die <strong>AHG</strong> Kliniken Münchwies und Schweriner<br />

See führen im Auftrag der DRV-Bund eine<br />

Vergleichsuntersuchung von pathologischen<br />

PC-/Internetgebrauchern, pathologischen<br />

Glücksspielern, Alkoholabhängigen und<br />

psychosomatischen Erkrankten durch<br />

(Schuhler et al.,2009).<br />

N = 100<br />

N = 100<br />

N = 100<br />

N = 100<br />

Pathologische<br />

PC-/Internetgebraucher<br />

Pathologische<br />

Glücksspieler<br />

Alkoholabhängige<br />

Psychosomatisch<br />

Erkrankte<br />

Schuhler, P.; Sobottka, B.; Vogelgesang, M.; B.; Fischer, T.; Flatau, M.; Schwarz, S.; Brommundt, A. & Beyer, L. (2012).<br />

Pathologischer PC-/Internet-Gebrauch bei PatientInnen der stationären psychosomatischen und Suchtrehabilitation.<br />

Lengerich: Pabst.


Ergebnisse<br />

Persönlichkeitsvariablen (NEO-FFI)<br />

Vier-Gruppen-Vergleich<br />

Neurotizismus<br />

Skalenmittelwerte<br />

Extraversion<br />

Offenheit für Erfahrungen<br />

Verträglichkeit<br />

Gewissenhaftigkeit<br />

0 1 2 3<br />

PC -/ Internet Glücksspielen Abhängigkeit andere psychische Störungen


Spezifische Vulnerabilität<br />

Ein zentrales Merkmal der psychischen Vulnerabilität<br />

scheint das Merkmal einer reduzierten<br />

Gewissenhaftigkeit zu sein. Es handelt sich um ein<br />

Merkmal der Big Five, das die Fähigkeit zur<br />

planerischen und ausdauernden Verfolgung von<br />

Zielen im Alltag und im schulischen und beruflichen<br />

Bereich beinhaltet.<br />

Wölfling, K. & Müller, K.W. (2009). Computerspielsucht. In D. Batthyany & A. Pritz (Hrsg.): Rausch ohne<br />

<strong>Dr</strong>ogen – Substanzungebundene Süchte. Wien: Springer.<br />

Schuhler, P.; Sobottka Vogelgesang, M.; & B.; Fischer, T. (2013). Pathologischer PC-/Internet-Gebrauch<br />

bei PatientInnen der stationären psychosomatischen und Suchtrehabilitation. Lengerich: Pabst.<br />

Müller, K.W.; Koch, A.; Dickenhorst, U.; Beutel, M.E.; Duven, E. & Wölfling, K. (2013). Addressing the<br />

Question of Disorder-Specific Risk Factors of Internet Addition. BioMed Research International, Vol. 2013<br />

Article ID 546342.


Soziale Lage<br />

Von Pfeiffer und Mitarbeitern (2007) und Rehbein und<br />

Mitarbeiter (2009) konnte mittels der Befragung von<br />

repräsentativen Schülerkohorten eindrücklich gezeigt<br />

werden, dass neben dem männlichen Geschlecht vor<br />

allem ein niedrigeres Bildungsniveau der Eltern und<br />

ein vorhandener Migrationshintergrund mit einer<br />

höheren Ausstattung mit technischen Medien, deren<br />

häufigerer Nutzung, insbesondere auch in Bezug auf<br />

gewaltbezogene Inhalte, einhergeht.<br />

Pfeiffer, C.; Mößle, T.; Kleimann, M. & Rehbein, F. (2007). Die Pisa-Verlierer – Opfer ihres Medienkonsum.<br />

Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen.<br />

Rehbein, F.; Kleimann, M. & Mößle, T. (2009). Computerspielabhängigkeit im Kindes<br />

und Jugendalter. Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen.


Folgen der Mediennutzung<br />

Als mögliche Folgen eines exzessiven bzw. pathologischen<br />

PC/Internetgebrauchs zeigen sich hinsichtlich der<br />

kognitiven Leistungsfähigkeit sowohl positive als auch<br />

negative Effekte (Maass et al., 2011) und es besteht kein<br />

bedeutsamer Zusammenhang mit dem Schulerfolg<br />

(Mößle, 2012).<br />

In Bezug auf die Förderung der Aggressivität und Delinquenz<br />

durch gewaltbezogene Video- und Computerspiele ist<br />

von einem deutlichen Effekt auszugehen (Hopf et al.,<br />

2008), während zwischen Nutzung der neuen Medien<br />

und sozialer Einbindung ein überwiegend positiver<br />

Zusammenhang besteht (Döring, 2010).<br />

Döring, N. (2010). Sozialkontakte online: Identitäten, Beziehungen, Gemeinschaft. In W. Schweiger & K<br />

Beck (Hrsg.). Handbuch Online-Kommunikation (S. 159 – 183). Wiesbaden: Verlag f. Sozialwissenschaften.<br />

Hopf, W.H.; Huber, G.L. & Weiß, R.H. (2008). Media Violence and Yourth Violence: A 2-Year Longitudinal<br />

Study. Journal of Media Psychology, 20(3), 79 – 96.<br />

Maass, A.; Klöpper, K.M.; Michel, F. & Lohaus, A. (2011). Does Media Use Have a Short-Term Impact on<br />

Cognitive Performance? Journal of Media Psychology, 23(2), 65 – 76.<br />

Mößle; T. (2012). „dick, dumm, abhängig, gewalttätig? Problematische Mediennutzungsmuster und ihre<br />

Folgen im Kindesalter – Ergebnisse des Berliner Längsschnitt Medien. Baden-Baden: Nomos.


Übersicht<br />

6. Sozialmedizinische Beurteilung und<br />

Behandlung


Aktuelle Versorgungssituation<br />

• Selbsthilfeangebote für Betroffene und Angehörige<br />

(www.onlinesucht.de; www.rollenspielsucht.de)<br />

• Erziehungs- und Familienberatungsstellen<br />

• Psychologische Dienste an Schulen/Universitäten<br />

• (Jugend-)Psychotherapeuten bzw. Psychiater<br />

• Suchtberatungsstellen, insbesondere<br />

Glücksspielerberatungsstellen<br />

• Universitäre Institutsambulanzen<br />

• Rehabilitationskliniken


Sozialmedizinische Beurteilung<br />

(DRV-Bund)<br />

• Verhaltensstörung durch intensiven Gebrauch von Computer<br />

und Internet (ICD-10 F63.8 oder F68.8, nicht F1, ICD-11<br />

abwarten)<br />

• Spezialisierte Rehabilitationseinrichtungen mit Erfahrungen im<br />

Umgang mit stoffgebundenen Abhängigkeiten, pathologischem<br />

Glücksspielen und psychosomatischen Krankheitsbildern<br />

• Zuweisung an Einrichtungen mit ausreichender Anzahl<br />

entsprechender Rehabilitanten und indikativen<br />

Gruppenangeboten<br />

• Behandlungsdauer 8 – 12 Wochen, durchschnittlich 10 Wochen<br />

• Nachsorgeregelung wie bie pathologischem Glücksspielen in<br />

entsprechend qualifizierten Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe<br />

• Teilstationäre Rehabilitation grundsätzlich vorstellbar<br />

• Ambulante Rehabilitation gegenwärtig nicht absehbar<br />

Köhler, J. (2013). Sozialmedizinische Beurteilung von Verhaltensstörungen durch intensiven<br />

Gebrach von Computer und Internet aus Sicht der Deutschen Rentenversicherung Bund.<br />

<strong>Vortrag</strong> auf dem Kongress des Fachverbandes Sucht am 11.6.2013 in Heidelberg.


Internetauftritt


Diagnostik<br />

Pathologisches PC/Internetgebrauch (ICD-10: F68.8; unter 18 Jahren F93.9 oder F98.9)<br />

Screening (Kurzfragebogen zu Problemen beim Computergebrauch – KPC (Schwarz et al.,<br />

2013*): Cut-off-Point: ≥ 28 Wertpunkte<br />

Anamnese (Spezielle Anamnese zum pathologischen PC-/Internetgebrauch von <strong>Petry</strong> 2010)<br />

Bindungsinterview (Interviewleitfaden zum pathologischen PC-/Internetgebrauch von<br />

Schuhler & Vogelgesang, 2012)<br />

Dissoziationserleben (Fragen zum dissoziativen Erleben von <strong>Petry</strong>, 2010)<br />

Virtuelle Bindung (Arbeitsbogen zum Realitäts-Virtualitäts-Erleben von <strong>Petry</strong>, 2010)<br />

Motivationale Grundbedürfnisse (MMG von Schmalt et al., 2000)<br />

Persönlichkeitsstruktur (NEO – Fünf-Faktoren-Inventar von Costa & McCrae, 1992, dt.<br />

Borkenau & Ostendorf, 2008)<br />

Aspekte des Selbstwertes (MSWS von Schütz & Sellin, 2006)<br />

Seelische Gesundheit und Verhaltenskontrolle (TPF von Becker, 1989)<br />

Ggf. Diagnostik der Intelligenz und Konzentrationsfähigkeit (MWT, ZVT, d2 etc.)<br />

*Schwarz, S.; <strong>Petry</strong>, J.; Flatau, M. & Beyer, L. (2013). Vergleich der Testgütekriterien des KPC und CIUS.<br />

Sucht Aktuell, 20(2).


Behandlungsmethoden und -<br />

setting<br />

• Multiprofessionelle Behandlung<br />

Sport-, Ergo- und Soziotherapie<br />

• Symptom- und ursachenorientierte Verfahren<br />

• Therapeutische Wohngruppe<br />

Interaktionelle Gruppentherapie<br />

• Einzeltherapie<br />

• Störungsspezifisches Gruppenprogramm<br />

Schuhler und Vogelgesang<br />

• Weitere indikative Gruppenangebote<br />

Köperwahrnehmung, Emotionstraining, Kommunikationstraining<br />

Schuhler, P. & Vogelgesang, M. (2012). Pathologischen PC-/Internet-Gebrauch: Eine<br />

Therapieanleitung. Göttingen: Hogrefe.


Behandlungsziele<br />

Ausbau einer funktionalen Medienkompetenz<br />

Erwerb eines biopsychosozialen Verstehensmodells<br />

Verbesserung der Köperwahrnehmung und des -bewusstseins<br />

Stärkung der Toleranz für Alltagsstress<br />

Verbesserung der Emotionsregulierung<br />

Selbstwertsteigerung<br />

Entwicklung einer reiferen Identität<br />

Verbesserung der kommunikativen Kompetenzen<br />

Ausbau kreativen und kognitiv-intellektueller Kompetenzen<br />

<strong>Petry</strong>, J. (2010). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.


Veränderungsprozesse in der<br />

therapeutischen Beziehung<br />

• Problemerkennung und -differenzierung<br />

Implizites Störungsverständnis mit Eigen- und<br />

Fremdanteilen<br />

• Veränderung dysfunktionaler Kognitionen<br />

und emotionaler Schemata<br />

Virtueller vs. realer Erlebnismodus<br />

• Kompetenzerweiterung<br />

Selbstregulation u. Kommunikative Kompetenz<br />

• Selbstakzeptanz<br />

Selbstwahrnehmung als handelnde Person<br />

Bastine, R. (1992). Klinische Psychologie, Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer.


Symptomatische Behandlung<br />

Entwicklung und Aufrechterhaltung von Medienkompetenz<br />

Motivational-volitive (Sucht-)therapie:<br />

Es besteht eine „Ambivalenz“ bzgl. der Aufrechterhaltung oder<br />

Aufgabe des Problemverhaltens (Miller & Rollnick, 2004 2 ),<br />

wobei inadäquate Lösungsstrategien bei der Verfolgung<br />

„aktueller Anliegen“ (Cox & Klinger, 2004) eine Veränderung<br />

verhindern.<br />

(Sucht-)therapeutische<br />

Rückfallpräventionsmodelle:<br />

Dysfunktionale Kognitionen und Verhaltensmuster in Hoch-<br />

Risikosituationen (Marlatt & Gordon, 1985) führen zu einer<br />

Rückfallgefährdung, wobei eine dynamische Interaktion mit<br />

distalen (Komorbidität, soziale Unterstützung u. a.) und<br />

weiteren proximalen (Affekte, Bewältigungskompetenzen u. a.<br />

Faktoren (Marlatt & Witkiewitz, 2004) besteht.<br />

Cox, W.M. & Klinger, E. (Eds.). (2004). Motivational Counseling. Chichester (UK): Wiley<br />

Marlatt, G.A. & Gordon, J.R. (Eds.) (1985). Relapse Prevention. New York: Guilford<br />

Marlatt, G. A. (Eds.). (2005). Relapse Prevention. New York: Guilford.<br />

Miller, W.R. & Rollnick, S. (2004). Motivierende Gesprächsführung. Freiburg: Lambertus.


Ursachenbezogene Behandlung<br />

Biopsychosoziale Stabilität und Kompetenzen<br />

Psychosomatische Regulationsstörungen<br />

Störungen der Affektregulation, des Körper-Selbst und der<br />

Objektbeziehungen (Paar et al.,1999) aufgrund einer<br />

Bindungsstörung<br />

Vulnerabilitäts-Stress-Modell der gestörten<br />

Persönlichkeit<br />

Ungünstige biopsychosoziale Lernbedingungen führen zu<br />

persönlichkeitsbedingten Beeinträchtigungen des<br />

Beziehungsverhaltens (Fiedler, 1999).<br />

Risiko- und Schutzfaktoren<br />

Beide Ansätze betonen das Zusammenspiel deprivierender<br />

und protektiver Faktoren und Prozesse.<br />

Fiedler,H. (1999). Salutogenese und Pathogenese der Persönlichkeitsentwicklung. In R.<br />

Oerter et al. (Hrsg.). Klinische Entwicklungspsychologie (S. 314-334). Weinheim: Beltz.<br />

Paar et al. (1999). Genese und Prognose psychosomatischer Störungen. In R. Oerter et<br />

al. (Hrsg.). Klinische Entwicklungspsychologie (S. 299-313). Weinheim: Beltz.


Störungsspezifisches Programm<br />

• Dysfunktionalität und Medienkompetenz<br />

• Virtuelles vs. reales Ich<br />

• Soziale-kommunikative Kompetenz<br />

• Emotionaler Realitätsbezug<br />

• Rückfallprävention<br />

<strong>Petry</strong>, J. (2010). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.<br />

Schuhler, P. & Vogelgesang, M. (2012). Pathologischen PC-/Internet-Gebrauch: Eine Therapieanleitung.<br />

Göttingen: Hogrefe.


Zusatzhausordnung<br />

Z U S A T Z Z U R H A U S O R D N U N G<br />

bei pathologischem PC-Gebrauch<br />

(Gaming/Chatting/Surfing)<br />

Name Geb.am.<br />

Gruppe<br />

Ich verpflichte mich, während der Behandlungsdauer auf jegliche Online-Aktivitäten zu<br />

verzichten. Dies gilt auch während der Heimfahrten.<br />

Sollte es während meiner Behandlungszeit erforderlich sein, einen PC zu benutzen,<br />

werde ich Zweck und Art vorher mit meinem Bezugstherapeuten besprechen und ein<br />

Protokoll darüber führen.<br />

Ich verpflichte mich, während der Behandlungsdauer<br />

Es gelten die folgenden weiteren Absprachen:<br />

auf jegliche Online-Aktivitäten zu verzichten. Dies gilt<br />

auch während der Heimfahrten.<br />

Sollte es während meiner Behandlungszeit erforderlich<br />

sein, einen PC zu benutzen, werde ich Zweck und Art<br />

Datum: . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

vorher mit meinem Bezugstherapeuten besprechen<br />

und ein Protokoll darüber führen.<br />

Unterschrift des Patienten Unterschrift des Therapeuten


Abschiedsrituale<br />

YouTube: AbschiedWoW


Abschiedsrituale<br />

www.herolymp.de


Ursachenbezogene Verfahren<br />

Das Grundprinzip besteht in der Konfrontation mit der<br />

Widerständigkeit der realen Welt und dem gleichzeitigem<br />

Aufbau neuer Erfahrungen, die intensive positive<br />

Erlebnisse beinhalten.<br />

So kann das Körpergefühl durch sportliche Aktivitäten (Krafttraining,<br />

Bogenschießen), die Emotionsregulierung durch körperorientierte<br />

Selbsterfahrung (Gleichgewichtsübungen) und die soziale<br />

Ängstlichkeit/Isolation durch Gruppenspiele (Kegeln, Boule) und<br />

Übernahme von sozialer Verantwortung (Gruppensprecher)<br />

verbessert werden. Ergänzend werden lebenspraktische (Kochen)<br />

und berufsbezogene (Dienstleistungstraining) Fertigkeiten trainiert.<br />

Ein wichtiges Element stellen Erlebnis aktivierende<br />

Methoden dar.


Ursachenbezogene Methoden<br />

Virtuelles und reales ‚Ich‘<br />

Geleitete Assoziation<br />

mit individuellem<br />

Avatar als Bildvorgabe<br />

zur Erfassung der<br />

Bedeutungshaftigkeit<br />

des virtuellen ‚Ich‘ für<br />

das reale ‚Ich‘.<br />

Schuhler, P. & Vogelgesang, M. (2012). Pathologischen PC-/Internet-Gebrauch: Eine<br />

Therapieanleitung. Göttingen: Hogrefe.


Ursachenbezogene Methoden<br />

Virtuelles und reales ‚Ich‘<br />

Cooper, R. (2007). Alter Ego: Avatars and their creators. London (UK): Chris Boot .<br />

Schuhler, P. & Vogelgesang, M. (2011). Abschalten statt Abdriften. Weinheim: Beltz.


Ursachenbezogene Methoden<br />

Virtuelles und reales ‚Ich‘


Ursachenbezogene Methoden<br />

Sozial-kommunikative Kompetenz<br />

Vorgabe von bemalten Holzstelen (Berg, Haus,<br />

Wald und See) zur Aktivierung bedeutsamer<br />

(positiver) Erlebnisse.<br />

Schuhler, P. & Vogelgesang, M. (2012). Pathologischen PC-/Internet-Gebrauch: Eine<br />

Therapieanleitung. Göttingen: Hogrefe.


Ursachenbezogene Methoden<br />

Sozial-kommunikative Kompetenz:<br />

Nachstellen typischer sozial-interaktiver Szenen<br />

aus dem Kontakt mit bedeutsamen<br />

Bezugspersonen.<br />

Schuhler, P. & Vogelgesang, M. (2012). Pathologischen PC-/Internet-Gebrauch: Eine<br />

Therapieanleitung. Göttingen: Hogrefe.


Ursachenbezogene Methoden<br />

Emotionale Realitätsbezug<br />

Sinnliche<br />

Sensibilisierung und<br />

Differenzierung durch<br />

Auseinandersetzung<br />

mit konkretem Material<br />

zum Sehen, Hören,<br />

Riechen und Tasten.<br />

Schuhler, P. & Vogelgesang, M. (2012). Pathologischen PC-/Internet-Gebrauch: Eine<br />

Therapieanleitung. Göttingen: Hogrefe.


Symptomorientierte Verfahren<br />

Rückfallprävention


Revidiertes Sozialkognitives Rückfallmodell<br />

Situative Faktoren<br />

Distale Risiken:<br />

Familiäre Belastung,<br />

Problemdauer,<br />

Soziale Unterstützung<br />

Komorbidität<br />

Kognitive Prozesse:<br />

Selbstwirksamkeit,<br />

Wirkungserwartung,<br />

Abstinenzverletzung<br />

Motivation, Craving<br />

Bewältigungsverhalten:<br />

Behaviorale/kognitive<br />

Annäherung/Vermeidung,<br />

Selbsregulation<br />

Gefühlszustände<br />

<strong>Dr</strong>ogenkonsum:<br />

Häufigkeit,<br />

Intensität<br />

Subjektive<br />

Effekte:<br />

Verstärkung,<br />

Abstinenzverletzung<br />

Entzugserscheinungen:<br />

Schwere, Verlauf,<br />

Variabilität<br />

Marlatt, G.A. & Donovan, D.M. (Eds.). (2005 2 ). Relapse Prevention. New York: Guilford.


Katamnese<br />

(im Mittel 14,21 Monate)<br />

PPC-Status<br />

(rot im<br />

Ampelmodell)<br />

PPC-frei<br />

(ohne Rezidiv)<br />

PPC-frei<br />

(nach Rezidiv)<br />

Rezidiv<br />

(andauernd)<br />

Katamnestische<br />

Erfolgsquote<br />

Analog DGSS III<br />

Kriterium<br />

(N = 61)<br />

37,7 %<br />

37,7 %<br />

24,6 %<br />

75,4 %<br />

Analog DGSS IV<br />

Kriterium<br />

(N = 100)<br />

23,0 %<br />

23,0 %<br />

54,0 %<br />

46,0 %<br />

Sobottka, B. (2013). Katamnese: Evaluation der Behandlung von Patienten mit<br />

Pathologischem PC-/Internet-Gebrauch ein Jahr nach Entlassung aus der stationären<br />

medizinischen Rehabilitation. <strong>Vortrag</strong> auf dem 26. Kongress des Fachverbandes Sucht am<br />

11.6.2013 in Heidelberg.


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