Der Menschenrechtsbericht der Stadt Graz 2012 - ETC Graz
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3. Bürgerliche und politische Menschenrechte<br />
Die UN Konvention zum Schutz <strong>der</strong> Rechte von Menschen<br />
mit Behin<strong>der</strong>ung sieht vor, dass Strukturen für<br />
eine unterstützte Entscheidungsfindung aufzubauen<br />
sind, um die Notwendigkeit von Sachwalterbestellungen<br />
zu verringern. Hier sind alle Kommunen gefor<strong>der</strong>t,<br />
an <strong>der</strong> Umsetzung mitzuwirken. Ein erster Schritt<br />
kann die Vernetzung zur Entwicklung eines diesem<br />
Sinne entsprechenden Konzepts sein, das die für diese<br />
Än<strong>der</strong>ung notwendigen Voraussetzungen beinhaltet.<br />
(Empfehlung 11)<br />
Ergebnisse aus dem Fokusgruppeninterview<br />
Vor Beginn <strong>der</strong> eigentlichen Diskussion dieser ausgewählten<br />
Empfehlung gab es eine kurze, einleitende<br />
Erläuterung <strong>der</strong> Entwicklung des Sachwalterschaftsrechts<br />
in Österreich sowie allgemeiner Entwicklungen<br />
hinsichtlich Anzahl <strong>der</strong> von Besachwaltung Betroffenen<br />
und qualitativer Entwicklungen <strong>der</strong> Sachwalterschaft<br />
durch die Vertretung des Vereins VertretungsNetz<br />
Sachwalterschaft. Problematisch wurde hier die Entwicklung<br />
von rund 25 000 besachwalteten Personen<br />
in Österreich im Jahr 1993 bis hin zu mehr als 60 000<br />
von Sachwalterschaft Betroffenen im Jahr 2006 angesehen.<br />
14 Es sehe <strong>der</strong>zeit nicht so aus, als ob es zu einer<br />
Trendumkehr kommen würde, so die Expertin. Ein<br />
weiteres Problem stellt die gängige Praxis dar, dass die<br />
Besachwaltung <strong>der</strong> Betroffenen seitens des Gerichts,<br />
insbeson<strong>der</strong>e in <strong>Graz</strong>, in 62 Prozent <strong>der</strong> Fälle für alle Angelegenheiten<br />
ausgesprochen wird. 15<br />
Nach <strong>der</strong> kurzen Einleitung folgte eine Diskussion <strong>der</strong><br />
Empfehlungen. In <strong>der</strong> Gerichtspraxis werde zu wenig<br />
differenziert und zu oft eine Besachwaltung für alle Belange<br />
ausgesprochen, anstelle einer Besachwaltung für<br />
einzelne Teilbereiche. Außerdem werde nicht oft genug<br />
ein Clearing-Auftrag erteilt. Demgegenüber wurde eingewendet,<br />
dass das Clearing häufig zu lange dauert –<br />
bis zu drei Monate – was in dringenden Fällen zu lange<br />
sei. Deshalb müsse bei dringenden Fällen, beispielsweise<br />
bei medizinischer Notwendigkeit, schnell entschieden<br />
werden. Demgegenüber wurde seitens des<br />
VertretungsNetz Sachwalterschaft in einer Stellungnahme<br />
nach dem Fokusgruppeninterview schriftlich<br />
eingewandt: „Die mit den Pflegschaftsgerichten abgestimmte<br />
Bearbeitungsdauer für Clearingberichte beträgt<br />
4-6 Wochen und kann gerade seit Jahresbeginn<br />
2013 gut eingehalten werden (Verzögerungen ergaben<br />
sich in den Vorjahren durch die hohe Anzahl von Clearingaufträgen<br />
iVm <strong>der</strong> zu geringen Arbeitskapazität). Darüber<br />
hinaus wurde mit den Gerichten immer wie<strong>der</strong> vereinbart,<br />
aus den genannten Gründen dringende Fälle<br />
eben nicht ins Clearing zu geben. <strong>Der</strong> Umstand, dass<br />
etwa eine dringende Vertretung in medizinischen Angelegenheiten<br />
zu erfolgen hat, ist aus unserer Sicht<br />
noch kein Grund für eine umfangreiche Sachwalterschaft,<br />
hier würde sich zur unmittelbaren Erledigung<br />
die einstweilige Sachwalterschaft für dringende Angelegenheiten<br />
als Zwischenlösung anbieten.“ 16 Die Gerichte<br />
würden eine Vertretung durch Angehörige bevorzugen,<br />
jedoch ist dies häufig nicht möglich, da aufgrund<br />
des engen Personenkreises im Sachwalterschaftsrecht<br />
oft keine geeigneten Angehörigen zur Verfügung stehen.<br />
Alle TeilnehmerInnen waren sich aber darüber einig,<br />
dass das Clearing grundsätzlich eine gute und notwendige<br />
Maßnahme sei. Das Ergebnis des Clearing,<br />
welches durch das VertretungsNetz Sachwalterschaft<br />
durchgeführt wird, werde vom Gericht sowie den jeweils<br />
zuständigen Behörden akzeptiert. In diesem Zusammenhang<br />
wurde seitens des Gerichts noch darauf<br />
aufmerksam gemacht, dass man den professionellen<br />
SachwalterInnen des VertretungsNetz gerne mehr<br />
Sachwalterschaften zukommen lassen würde, jedoch<br />
lei<strong>der</strong> auf Kapazitätsengpässe stoße und man daher<br />
meist auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte angewiesen<br />
sei.<br />
Probleme hätten vor allem auch ältere Menschen, die,<br />
beispielsweise nach einem längeren stationären Krankenhausaufenthalt,<br />
Anträge auf Zuerkennung von Hilfeleistungen<br />
bei den zuständigen Ämtern <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>Graz</strong><br />
stellen. Manchmal würden Anträge erst gar nicht angenommen<br />
werden, wenn diese nicht von einem/r SachwalterIn<br />
eingebracht werden. Das Fallbeispiel eines<br />
70-Jährigen Mannes wurde genannt, welcher blind ist,<br />
45 Jahre lang als Lehrer für die Blindenschrift arbeitete,<br />
in Pension ging, kleinere Schlaganfälle erlitt und danach<br />
nicht mehr in lateinischer Schrift schreiben konnte, aber<br />
sehr wohl im Besitz seiner geistigen Kräfte ist und sich<br />
auch weiterhin in <strong>der</strong> Blindenschrift ausdrücken konnte.<br />
Sowohl das Gericht als auch die Vertreter <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />
seien <strong>der</strong> Meinung gewesen, dass hier eine Sachwalterbestellung<br />
unumgänglich sei. Problematisch sei in<br />
diesem Zusammenhang auch die Haltung von Banken,<br />
die bei behin<strong>der</strong>ten Personen für die Verfügung<br />
über Konten zur eigenen Absicherung eine Sachwalterschaft<br />
voraussetzten. Generell wurde darüber diskutiert,<br />
dass Institutionen zur eigenen Absicherung Besachwaltung<br />
<strong>der</strong> Eigenvertretung vorzögen, was einem<br />
selbstbestimmten Leben behin<strong>der</strong>ter Personen entgegenstünde.<br />
Dazu wie<strong>der</strong> die schriftliche Stellungnahme<br />
des VertretungsNetz Sachwalterschaft nach dem Interview:<br />
„Institutionen bestehen oft auf <strong>der</strong> Bestellung<br />
eines Sachwalters, um sich in ihren eigenen Vorgangsweisen<br />
und Pflichten abzusichern. Die Vorgangsweise,<br />
14 Vgl. Informationsbroschüre des VertretungsNetz: Än<strong>der</strong>ung im Sachwalterrecht. Online unter: http://www.vsp.at/fileadmin/user_upload/4_Sachwalter/Workshop_<br />
Aen<strong>der</strong>ungen_im_Sachwalterrecht_Folien.pdf (abgerufen am 14.6.2013). – 15 Vgl. Verein VertretungsNetz Sachwalterschaft <strong>Graz</strong>. Beitrag zum <strong>Menschenrechtsbericht</strong><br />
<strong>2012</strong>. – 16 Vgl. Verein Vertretungsnetz Sachwalterschaft <strong>Graz</strong>. Beitrag zum <strong>Menschenrechtsbericht</strong> <strong>2012</strong>.