Alfred Kubin, Die andere Seite (1909) - IDF
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G.M. Rösch / Roman im 20. Jahrhundert I – VL 5: <strong>Die</strong> <strong>andere</strong> <strong>Seite</strong> 2<br />
Probleme und Gestalten. Frankfurt 1974,<br />
307-330.<br />
Blavatsky, 1831-1891) sowie im Sensualismus<br />
(Ernst Mach, Analyse der Empfindungen,<br />
1886).<br />
Europäische und deutsche Literatur; Nähe zu <strong>Kubin</strong>: E.T.A. Hoffmann; Gérard de<br />
Nerval; Edgar Allan Poe; Joris Huysmans; Fjodor Dostojewski; Barbey d’Aurevillys (Les<br />
Diaboliques). Hier zeigt sich eine Kontinuität der Phantastik, die <strong>Kubin</strong> sicher kannte, weil<br />
er dieses Texte auch selbst illustriert hat.<br />
Fortwirkungen:<br />
Hanns Heinz Ewers, Alraune (1911); Vampir (1921); Gustav Meyrink, Der Golem (1915),<br />
Das grüne Gesicht (1916), Walpurgisnacht (1917). Paul Scheerbart, Lesabendio (1913).<br />
Filme: Der Student von Prag (1914, Drehbuch H.H. Ewers); Nosferatu (1922, Fritz<br />
Murnau); Das Kabinett des Dr. Caligari (1924; <strong>Kubin</strong> hätte die Kulissen erstellen sollen).<br />
Hermann Kasack, <strong>Die</strong> Stadt hinter dem Strom (1947);Marlen Haushofer, <strong>Die</strong> Wand<br />
(1963); Elfriede Jelinek, Krankheit oder Moderne Frauen (1984; Vampirdrama); Christoph<br />
Ransmayr, <strong>Die</strong> letzte Welt (1988).<br />
1. 2. Sozialhistorische und psychologische Signifikanz<br />
Gleichzeitig fungiert sie als Krisensymptom ihrer Epoche, als Ausdrucksmedium eines<br />
vorhandenen Angst- und Aggressionspotentials, als Reflexion über Alteritätskonzepte<br />
– das Häßliche, Böse, Jenseitige. Zu dieser kathartischkompensatorischen<br />
Funktion gesellt sich allerdings noch eine kreative: <strong>Die</strong>se Art von<br />
Texten ermöglicht, Diskursschwellen zu überbrücken, Wissenslücken mit den Mitteln<br />
der Phantasie zu schließen. So radikalisiert sich in der phantastischen Ambiguität die<br />
Stellung der Literatur zwischen Realem und Imaginärem. (Clemens Ruthner, in: Magische<br />
Nachtgesichte, hier S. 23)<br />
1. 3. Struktur des Phantastischen<br />
In einer Welt, die durchaus die unsere ist, [...] eine Welt ohne Teufel, Sylphiden oder<br />
Vampire, geschieht ein Ereignis, das sich aus den Gesetzen eben dieser vertrauten<br />
Welt nicht erklären läßt. Der, der das Ereignis wahrnimmt, muß sich für eine der zwei<br />
möglichen Lösungen entscheiden: entweder es handelt sich um eine Sinnestäuschung,<br />
ein Produkt der Einbildungskraft, und die Gesetze der Welt bleiben, was sie<br />
sind, oder das Ereignis hat wirklich stattgefunden [...]. Dann aber wird diese Realität<br />
von Gesetzen beherrscht, die uns unbekannt sind. [...] Das Fantastische liegt im<br />
Moment dieser Ungewißheit; sobald man sich für die eine oder die <strong>andere</strong> Antwort<br />
entscheidet, verläßt man das Fantastische und tritt in ein benachbartes Genre ein, in<br />
das des Unheimlichen oder das des Wunderbaren.<br />
Tzvetan Todorov, Einführung in die phantastische Literatur. München 1972, hier 25f.<br />
Dazu besonders: Peter Cersowsky, Was ist phantastische Literatur? Überlegungen<br />
zu ihrer Theorie. In: Freund, Lachinger, Ruthner (s. Lit.), 11-22.<br />
Im Text inszeniert wird also der Konflikt zweier epistemologischer, d.h. erkenntnisleitender<br />
Ordnungen. Einerseits besteht die Welt der Erfahrungsrealität, <strong>andere</strong>rseits die gegenläufige<br />
Alternativwelt, die beständig die Erfahrungswelt in Frage stellt, damit – narrativstrukturell<br />
gesprochen – Ambiguität schafft, die sich – rezeptionspsychologisch gesprochen<br />
– als Verunsicherung auswirkt.