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Wie die Sprache das Denken formt - IDF

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Ein Beitrag von: CARL-JOSEF KUTZBACH<br />

Nr.: 10/2/2008 Freier Journalist Birkenwaldstraße 122 L 70191 Stuttgart<br />

4.3.2008 Tel.: 0049-711-25 66 904<br />

für Deutsche Welle Fax: 0049-711-25 62 013<br />

Helle Jeppesen<br />

<strong>Wie</strong> <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>das</strong> <strong>Denken</strong> <strong>formt</strong><br />

Nicht nur <strong>die</strong> Kultur, auch <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong> prägt den MenschenR<br />

Moderationsinformationen<br />

Sobald wir Sprechen lernen, beginnen wir auch nicht mehr nur in Bildern zu<br />

denken, sondern auch in Worten. Heidelberger Wissenschaftler wiesen nun<br />

nach, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Muttersprache einen Einfluss darauf hat, was man sieht und wie<br />

man <strong>das</strong> Gesehene beschreibt. Es gibt also eine Wechselwirkung zwischen<br />

<strong>Sprache</strong> und unserem <strong>Denken</strong>. Darüber wurde Anfang März in einem internationalem<br />

Symposium in Heidelberg diskutiert. Cajo Kutzbach berichtet:<br />

Bitte schneiden, bitte schneiden!<br />

Den Versuchspersonen wurden Videos vorgeführt, auf denen zum Beispiel zwei<br />

Frauen einen Weg entlang gingen, oder zu einem Haus kamen und es betraten.<br />

Was allen Clips gemeinsam war und was <strong>die</strong> Probanden tun sollten, beschreibt<br />

<strong>die</strong> Privatdozentin Dr. Barbara Schmiedtova vom Seminar Deutsch als Fremdsprachenphilologie<br />

der Universität Heidelberg:<br />

O-Ton 1: 31“<br />

„Es waren insgesamt 60 verschiedene Situationen, <strong>die</strong> verschiedene<br />

Ausschnitte aus dem Alltag gezeigt haben. Das Wichtigste an<br />

alle Clips war, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> eine dynamische Situation dargestellt<br />

haben und zwar eine Bewegung. Und <strong>die</strong> Aufgabe der Probanden<br />

war <strong>die</strong>se Szenen anzuschauen und in einer so genannten Online-<br />

Bedingung, d.h. während sie Szene gesehen haben, dann so<br />

schnell, wie sie erkannt haben, was in dem Clip eigentlich passiert,<br />

<strong>die</strong>s zu versprachlichen.“<br />

Die Probanden spielten also Reporter. Sie wussten aber nicht, <strong>das</strong>s es nur zwei<br />

Arten von Szenen gab: Einerseits jene, bei denen <strong>die</strong> Menschen oder Tiere<br />

wanderten und andererseits solche, bei denen sie an irgend einem Ziel ankamen.<br />

Die Teilnehmer hatten sieben verschiedene Muttersprachen und <strong>das</strong><br />

spiegelte sich verblüffender Weise auch im Inhalt der Beschreibungen, <strong>die</strong> sie<br />

abgaben:<br />

O-Ton 2: 20“<br />

„Ja genauso ist es. Man muss sich <strong>das</strong> so vorstellen, <strong>das</strong>s alle<br />

<strong>Sprache</strong>n <strong>die</strong> Möglichkeit haben den so genannten Endpunkt in der<br />

Verbalisierung mit ein zu schließen. Aber <strong>Sprache</strong>n, oder Sprecher<br />

verschiedener <strong>Sprache</strong>n haben unterschiedliche Präferenzen<br />

inwiefern sie <strong>die</strong>sen Endpunkt, in Szenen, wo der nicht erreicht<br />

wurde, auch in der Verbalisierung dann erscheint.“<br />

Seite 1<br />

Ausdruck March 04, 2008


Nr.: 10/2/2008 cjk<br />

<strong>Wie</strong> <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>das</strong> <strong>Denken</strong> <strong>formt</strong><br />

Ein deutscher Junge sagte sogar mal verzweifelt: “Was soll ich denn sagen? Ich<br />

weiß ja nicht wo <strong>die</strong> Lämmer hin gehen!“ Deutsche, Tschechen oder Niederländer<br />

geben zu über 60 % den Endpunkt, oder <strong>das</strong> Ziel der Bewegung an, obwohl<br />

sie noch nicht abgeschlossen ist. Araber dagegen nur zu 40 %. Es besteht<br />

offenbar ein Zusammenhang mit der Grammatik, erklärt Barbara Schmiedtova:<br />

O-Ton 3: 21”<br />

„Diese Präferenzen hängen davon ab, welche grammatischen Mittel<br />

<strong>die</strong>sen Sprechern in <strong>die</strong>sen <strong>Sprache</strong>n zur Verfügung stehen. Und<br />

so unterscheiden sich beispielsweise deutsche Sprecher von englischen<br />

Leuten, da sie in ihren Verbalisierungen <strong>die</strong>sen Endpunkt<br />

fast obligatorisch mit einschließen.“<br />

Die <strong>Sprache</strong> entscheidet also darüber, wie eine Szene geschildert wird. Der<br />

Grund dafür ist, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> grammatikalische Verlaufsform im Englischen und<br />

einigen anderen <strong>Sprache</strong>n sehr viel weiter verbreitet ist, als im Deutschen.<br />

„Zwei gehende Frauen“ würde man auf deutsch kaum sagen, sondern eher: „Da<br />

gehen zwei Frauen irgend wo hin.“ Bedeuten <strong>die</strong> unterschiedlichen Arten der<br />

Darstellung auch, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Probanden <strong>die</strong> Szenen auch anders wahrnahmen?<br />

Dazu wurde in einem zweiten Versuch gefragt, an was sie sich erinnerten.<br />

O-Ton 4: 22“<br />

„Und es hat sich ganz klar gezeigt, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong>n, wo der<br />

Endpunkt in der Verbalisierung sozusagen erschien, sich viel<br />

besser auch an <strong>die</strong>se Szenen - fünf Minuten ungefähr nach dem<br />

Abschluss des ersten Experiments - viel besser <strong>die</strong>se noch abrufen<br />

konnten. Also da waren beispielsweise wieder <strong>die</strong> Deutschen<br />

sozusagen viel besser im Erinnern, als <strong>die</strong> Englischsprachigen oder<br />

<strong>die</strong> Spanischsprachigen.“<br />

Offenbar lenken <strong>die</strong> grammatischen Möglichkeiten also auch <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

bei der Betrachtung von Szenen auf unterschiedliche Punkte. Um <strong>das</strong> zu<br />

überprüfen wurden <strong>die</strong> Augenbewegungen und <strong>die</strong> Blickrichtung aufgezeichnet.<br />

O-Ton 5: 33”<br />

„Wir haben uns angeschaut, in wie fern <strong>die</strong>se „Area of Interest“,<br />

d.h. <strong>das</strong> sozusagen, was für <strong>die</strong> Szene als kritisch war, nämlich z.B.<br />

also <strong>das</strong> Haus, <strong>das</strong> nicht erreicht wurde in der Szene, ob <strong>die</strong>se<br />

sozusagen früh in der kognitiven Planung Aufmerksamkeit auf sich<br />

lenkt. Und da hat sich eigentlich in zwei verschiedenen Maßen<br />

gezeigt, <strong>das</strong>s deutschsprachige Probanden viel früher und auch<br />

viel häufiger sozusagen den Endpunkt fokussieren, als beispielsweise<br />

englischsprachige Probanden.“<br />

Die Muttersprache hat also Einfluss darauf, wie und was ein Mensch sieht,<br />

wenn er <strong>das</strong>, was er sieht auch sprachlich beschreiben soll. Mussten <strong>die</strong><br />

Teilnehmer nicht sagen, was sie sahen, dann bewegten sie ihre Augen<br />

ungefähr in gleichen Bahnen. Das Sprechensollen und <strong>die</strong> Muttersprache<br />

Seite 2<br />

Ausdruck March 04, 2008


Nr.: 10/2/2008 cjk<br />

<strong>Wie</strong> <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>das</strong> <strong>Denken</strong> <strong>formt</strong><br />

wirken also als eine Art Filter für Wahrnehmung und <strong>Denken</strong>. Dabei Arabisch,<br />

Spanisch und Englisch eine Gruppe, <strong>die</strong> mehr <strong>die</strong> Bewegung, der Verlauf<br />

interessiert und Holländisch, Deutsch und Tschechisch eine Gruppe, <strong>die</strong> mehr<br />

auf <strong>das</strong> Ziel achtet.<br />

O-Ton 6: 24”<br />

„In unserer Gruppe sind wir der Meinung, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> natürlich kulturelle<br />

Unterschiede gibt, aber wir versuchen da sozusagen <strong>die</strong> Unterschiede<br />

an konkreten linguistischen Phänomenen fest zu machen,<br />

<strong>die</strong> sozusagen <strong>die</strong> kulturellen Unterschiede vielleicht auch klären<br />

können. Aber es ist offensichtlich, <strong>das</strong>s Tradition oder kulturelle<br />

Gewohnheiten einfach nicht <strong>die</strong> ganze Geschichte ausmachen. Auf<br />

keinen Fall!“<br />

Die gebürtige Tschechin Barbara Schmiedtova und ihre Kollegen aus vielen<br />

Ländern haben damit etwas heraus gefunden, was neue Fragen aufwirft: <strong>Wie</strong><br />

beeinflussen sich <strong>Sprache</strong> und Kultur gegenseitig? Kann man eine Kultur überhaupt<br />

verstehen, ohne <strong>die</strong> in ihr gesprochenen <strong>Sprache</strong>n genauer zu untersuchen?<br />

Warum passen <strong>die</strong> sprachlichen Vorlieben nicht zu den Verbreitungsgebieten<br />

der Kulturen?<br />

Auch ganz praktische Fragen ergeben sich: Kann man damit jemand, der eine<br />

<strong>Sprache</strong> lernt, besser zeigen, wo Schwierigkeiten lauern? Oder: Sind Gruppen,<br />

deren Mitglieder unterschiedliche Muttersprachen haben, besonders gut, wenn<br />

es darum geht möglichst umfassend zu beobachten?<br />

Moderation ca.: 26" Länge des Beitrags: 5'30" ( Text: 2'59" / O-Töne: 2'31" )<br />

Überspielung:<br />

in zprwissen als MP3-Sounddatei<br />

Seite 3<br />

Ausdruck March 04, 2008

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