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Entkriminalisierung und Regulierung - Bibliothek der Friedrich-Ebert ...

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HEINO STÖVER UND MAXIMILIAN PLENERT | <strong>Entkriminalisierung</strong> <strong>und</strong> <strong>Regulierung</strong><br />

Die Folgen drogenpolitischer Maßnahmen müssen regelmäßig,<br />

praxisnah <strong>und</strong> nach wissenschaftlichen Kriterien<br />

gemessen werden. Wichtigster Maßstab sind dabei Schäden,<br />

Abhängigkeitserkrankungen <strong>und</strong> Nebenwirkungen<br />

<strong>der</strong> Drogenpolitik.<br />

6.2 Schadensminimierung<br />

In Anlehnung an die Schweizer Gr<strong>und</strong>modelle <strong>der</strong> Drogenpolitik,<br />

basieren die hier vorgebrachten Vorschläge<br />

auf dem Modell <strong>der</strong> »Schadensminimierung« (B<strong>und</strong>esamt<br />

für Ges<strong>und</strong>heit 1991). 141 Dieses Modell erkennt<br />

an, dass es einen mo<strong>der</strong>aten, aus medizinischer Sicht<br />

unschädlichen Gebrauch von Drogen gibt. Es versucht<br />

dazu beizutragen, den Konsum von Drogen möglichst<br />

unschädlich zu gestalten, insbeson<strong>der</strong>e bei Menschen<br />

mit einem problematischen Konsummuster wie einer<br />

Abhängigkeit – sowohl was den Schaden für den Konsumenten<br />

als auch für die Gesellschaft angeht. Hilfe <strong>und</strong><br />

Therapie erhält, wer sie braucht <strong>und</strong> möchte. Eine Politik<br />

<strong>der</strong> »Schadenminimierung« ist an den tatsächlichen<br />

Ergebnissen interessiert, im Gegensatz zum moralischen<br />

Ziel <strong>der</strong> drogenfreien Gesellschaft. Daher kann Abstinenz<br />

hierbei nur ein Mittel zum Zweck sein, beispielsweise bei<br />

Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen, im Straßenverkehr o<strong>der</strong> Berufsleben.<br />

Das Glücksversprechen <strong>der</strong> drogenfreien Gesellschaft<br />

muss abgelegt werden. Der Versuch, dieses<br />

durchzusetzen, zeigt eher totalitäre Züge:<br />

»Abstinenz als subjektive Entscheidung eines Menschen<br />

ist zu respektieren, auch als Gruppenentscheidung etwa<br />

einer Religionsgemeinschaft. Als gesellschaftliche Zielvorstellung<br />

aber ist Abstinenz Ausdruck einer totalitären<br />

Phantasie« (Günther Amendt). 142<br />

Tabelle 7: Hauptmerkmale des Gr<strong>und</strong>modells<br />

»Schadensmin<strong>der</strong>ung« (B<strong>und</strong>esamt für Ges<strong>und</strong>heit<br />

1991)<br />

Hauptziel<br />

f<strong>und</strong>amentaler<br />

Wert<br />

Prävention<br />

Betreuung<br />

Kontrolle<br />

Koordination<br />

Politikstil<br />

Hauptstärken<br />

– Minimalisierung <strong>der</strong> durch Sucht<br />

erzeugten Probleme<br />

– Integrität des Individuums<br />

Ziel: Verantwortung<br />

– pluralistische Aussagen<br />

– differenzierte Prävention<br />

– Schadensminimierung<br />

– Begleitung (Stabilisierung)<br />

– diversifiziertes Therapieangebot<br />

– Wie<strong>der</strong>einglie<strong>der</strong>ung<br />

– substitutive Medikamente<br />

– streetwork<br />

– Repression des organisierten<br />

Drogenhandels<br />

– Duldung des Kleinhandels <strong>und</strong><br />

Konsums<br />

– alternative Therapie statt Gefängnis<br />

– intensive Koordination zwischen<br />

verschiedenen Bereichen<br />

– institutionalisierte<br />

Konfliktlösungsinstanzen<br />

– Verantwortung des Einzelnen<br />

– »trial and error«-Politik<br />

– experimentieren<strong>der</strong> Staat »Anreizstaat«<br />

– Beteiligung <strong>der</strong> privaten Organisationen<br />

– pluralistische <strong>und</strong> flexible Antworten<br />

– Integration Staat/Gesellschaft<br />

141. Alle Szenarien (B<strong>und</strong>esamt für Ges<strong>und</strong>heit 1991): Szenario 1:<br />

Medizinisch-therapeutisch ausgerichtete Drogenpolitik (Szenario »Therapie«);<br />

Szenario 2: Abstinenzorientierte Drogenpolitik (Szenario »Abstinenz«);<br />

Szenario 3: Repressiv orientierte Drogenpolitik (Szenario »Repression«);<br />

Szenario 4: Auf eine suchtmittelfreie Gesellschaft ausgerichtete<br />

Drogenpolitik (Szenario »Suchtmittelfreie Gesellschaft«); Szenario<br />

5: Auf Risikovermin<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Schadenminimierung ausgerichtete Drogenpolitik<br />

(Szenario »Risikovermin<strong>der</strong>ung«); Szenario 6: Drogenlegalisierung<br />

<strong>und</strong> staatlich reglementierte Abgabe (Szenario »Differenzierte Drogenlegalisierung«);<br />

Szenario 7: Deregulierung des Drogenhandels <strong>und</strong> <br />

-konsums (Szenario »Deregulierung«).<br />

142. www.jesbielefeld.de/jesjournal/down/baz_amendt.pdf.<br />

Das Modell erfüllt den Anspruch einer pluralistischen <strong>und</strong><br />

liberalen Gesellschaft am ehesten, ohne dabei Solidarität<br />

<strong>und</strong> soziale Gerechtigkeit aus dem Auge zu verlieren.<br />

Ein solches Modell ist auch nicht gleichbedeutend<br />

mit Willkür o<strong>der</strong> Verantwortungslosigkeit. Es beschränkt<br />

sich nicht einfach nur auf simple moralische Ziele. Es<br />

braucht einen Staat, <strong>der</strong> handlungsfähig <strong>und</strong> flexibel ist,<br />

aber auch seine Grenzen kennt. Verbote sind nur dann<br />

zu rechtfertigen, wenn die Würde <strong>und</strong> Freiheit an<strong>der</strong>er<br />

Menschen betroffen sind. Die Verantwortung für das eigene<br />

Leben liegt erst einmal bei jedem Mensch selbst,<br />

Staat <strong>und</strong> Gesellschaft können <strong>und</strong> dürfen nur den Rahmen<br />

festlegen. Die Drogenpolitik muss lernfähig sein.<br />

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