21.01.2014 Aufrufe

Entkriminalisierung und Regulierung - Bibliothek der Friedrich-Ebert ...

Entkriminalisierung und Regulierung - Bibliothek der Friedrich-Ebert ...

Entkriminalisierung und Regulierung - Bibliothek der Friedrich-Ebert ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

HEINO STÖVER UND MAXIMILIAN PLENERT | <strong>Entkriminalisierung</strong> <strong>und</strong> <strong>Regulierung</strong><br />

Wohlfahrtsverbänden, Drogenhilfeeinrichtungen, Oppositionsparteien<br />

<strong>und</strong> Experten gefor<strong>der</strong>t wird 505152<br />

Ebenso sind die Risikofaktoren für einen »Drogentod«,<br />

wie (erzwungene) Abstinenz vor allem nach Haftentlassung,<br />

Therapie o<strong>der</strong> Krankenhaus, bekannt (WHO 2010).<br />

Trotzdem findet eine durchgängige Substitutionsbehandlung<br />

eher selten statt. Ergänzende Maßnahmen wie Notfalltraining<br />

mit Opiadantagonisten, z. B. Naloxon, für<br />

Drogenkonsumenten, Angehörige <strong>und</strong> Menschen, die<br />

häufig mit Drogenkonsumenten zu tun haben (Streetworker,<br />

Polizei, Strafvollzugsbeamte), existieren praktisch<br />

nicht. In diesem Bereich sind uns einige europäische Staaten<br />

<strong>und</strong> selbst die USA weit voraus (Dettmar/Sa<strong>und</strong>ers/<br />

Strang 2001; Keppler/Knorr/Stöver 2011).<br />

2.8 Exkurs: (Zwangsweise) Brechmittelvergabe<br />

zur Beweissicherung<br />

Zu den extremsten Auswüchsen <strong>der</strong> Strafverfolgung von<br />

(vermeintlichen) Drogenkonsumenten <strong>und</strong> -verkäufern<br />

zählen <strong>der</strong> Einsatz von Brechmitteln zur Beweissicherung<br />

sowie die Verunreinigung von Drogen mit Streckmitteln.<br />

Es brauchte zwei Todesfälle (in Hamburg <strong>und</strong> Bremen), um<br />

die Brechmittelvergabe in den Mittelpunkt des fachlichen<br />

<strong>und</strong> öffentlichen Interesses zu rücken. Darin wird auch<br />

ein Versäumnis <strong>der</strong> Experten, Drogenhilfeeinrichtungen<br />

<strong>und</strong> politischen Parteien deutlich, die konkrete Praxis des<br />

ärztlichen Beweissicherungsdienstes zu hinterfragen <strong>und</strong><br />

die bekannten Risiken zu benennen. Erst nach den Todesfällen<br />

wurden Alternativen <strong>der</strong> Beweissicherung auf<br />

politischer Ebene diskutiert, die in den meisten an<strong>der</strong>en<br />

B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n bereits über Jahre erfolgreich praktiziert,<br />

in Bremen aber erst jetzt umgesetzt werden. Diese Alternativen<br />

sind sowohl medizinisch-ethisch vertretbarer als<br />

auch wesentlich risikoärmer für die Betroffenen. Dass die<br />

riskante Methode eines zwangsweisen Brechmitteleinsatzes<br />

über mehr als ein Jahrzehnt praktiziert wurde, drückt<br />

den repressiven Ansatz <strong>der</strong> hiesigen Politik <strong>der</strong> Drogenangebotsreduktion<br />

aus. Mit dieser Praxis konzentrierte sich<br />

die Politik lediglich auf »Kleindealer«, denen mit straf-<br />

rechtlichen Mitteln ohnehin nur schwer beizukommen ist<br />

<strong>und</strong> die lediglich eine bestehende Nachfrage bedienen.<br />

Diese Praxis trägt Züge einer symbolischen Politik, än<strong>der</strong>t<br />

allerdings nichts an den ursächlichen Strukturen.<br />

Rückblickend wird die international isolierte Position<br />

Deutschlands mit <strong>der</strong> Brechmittelvergabe deutlich – nach<br />

unseren Erkenntnissen wird diese in keinem an<strong>der</strong>en europäischen<br />

Land praktiziert. Amnesty International hat<br />

bereits vor Jahren auf diese skandalöse Praxis in Deutschland<br />

hingewiesen. 53 Immerhin hat die umfassende öffentliche<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung in Bremen zur <strong>der</strong>zeitigen<br />

Aufgabe dieser Praxis geführt. Zu hoffen bleibt, dass <strong>der</strong><br />

weitere Verlauf dieses Verän<strong>der</strong>ungsprozesses kritisch<br />

beobachtet wird.<br />

Die gesamte Debatte um den Brechmitteleinsatz in<br />

Deutschland sowie dessen Praxis waren von einem rassistischen<br />

Gr<strong>und</strong>tenor vieler Akteure geprägt. Dessen Anwendung<br />

ist, wie die allgemeine Verfolgungspraxis bei<br />

angeblichen Drogendealern, von Rassismus geprägt –<br />

fast alle Betroffenen waren dunkelhäutig (Sorgalla/Stöver<br />

2005). Trotz mehrerer Todesfälle wurde die Maßnahme<br />

lange Zeit rechtsstaatlich geduldet, obwohl die Drogenpolitik<br />

dabei auf ein Mittel zurückgriff, das 2006 vom<br />

Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)<br />

als menschenrechtswidrig <strong>und</strong> als »Zwang am Rande<br />

<strong>der</strong> Brutalität« bezeichnet wurde (Urteil vom 11.7.2006,<br />

54810/00). Die gerichtlich ausgewerteten Protokolle <strong>der</strong><br />

Todesfälle zeigen deutlich, wie das Gericht zu dieser Bewertung<br />

kam (vgl. auch: Löhr 2007).<br />

2.9 Über den Stand <strong>der</strong> drogenpolitischen<br />

Debatte<br />

Der Umfang <strong>der</strong> Säule Repression im Bereich <strong>der</strong> illegalisierten<br />

Drogen wurde bereits dargestellt. Sie verursacht<br />

einen Großteil <strong>der</strong> staatlichen Ausgaben. 54 Zwei Drittel<br />

<strong>der</strong> polizeilich ermittelten Tatverdächtigen sind Konsumenten.<br />

Trotzdem werden die Vor- <strong>und</strong> Nachteile dieses<br />

Teils <strong>der</strong> Drogenpolitik in Deutschland praktisch nicht<br />

diskutiert:<br />

50. http://www.ris-muenchen.de/RII2/RII/DOK/SITZUNGSVORLAGE/<br />

2124748.pdf.<br />

51. http://www.spzmuc.de/index.php?id=3103&tx_ttnews[pointer]=<br />

22&tx_ttnews[tt_news]=1503&tx_ttnews[backPid]=3097.<br />

52. http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/drogenkonsumin-muenchen-oeffentlicher-raum-zum-fixen-1.1012104.<br />

53. http://www.amnesty-polizei.de/2011/06/prozesse-<strong>und</strong>-revisionen-imbrechmittelfall-in-bremen/.<br />

54. http://www.spiegel.de/international/world/global-support-grows-<br />

for-legalizing-drugs-a-884750.html.<br />

23

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!