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Entkriminalisierung und Regulierung - Bibliothek der Friedrich-Ebert ...

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HEINO STÖVER UND MAXIMILIAN PLENERT | <strong>Entkriminalisierung</strong> <strong>und</strong> <strong>Regulierung</strong><br />

Tabelle 4: Anteil <strong>der</strong> intravenösen Drogenkonsumenten<br />

(IDUs) <strong>und</strong> drogenassoziierten Infektionserkrankungen<br />

in deutschen Haftanstalten <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> Allgemeinbevölkerung (vgl. insgesamt: Stöver<br />

2012, S. 76).<br />

IDUs HCV HIV<br />

Haftanstalten<br />

21,9–29,6 % 14,3–17,6 % 0,8–1,2 %<br />

1,2<br />

Allgemeinbevölkerung<br />

Faktor 73- bis 98-<br />

fach<br />

0,3 % 3 0,4–0,7 % 4 0,05 % 5<br />

26- bis 32-<br />

fach<br />

16- bis 24-<br />

fach<br />

Beide Studien aus den Jahren 2007/2008 unterstreichen:<br />

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sind aktuelle/<br />

ehemalige intravenöse Drogenkonsumenten <strong>und</strong> HCV/<br />

HIV-Infizierte in deutschen Haftanstalten deutlich überrepräsentiert<br />

(Tabelle 3). Diese Zahlen werden von <strong>der</strong> EM-<br />

CDDA bestätigt, <strong>der</strong>en Schätzungen darauf hinauslaufen,<br />

dass mindestens die Hälfte <strong>der</strong> europäischen Gefangenenpopulation<br />

»drogenerfahren« ist, viele davon mit<br />

einem problematischen <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> intravenösen Konsum.<br />

Auf Basis <strong>der</strong> in Tabelle 4 genannten Werte muss man<br />

bei etwa 60.000 Strafgefangenen (Stand 31.3.2011)<br />

durchschnittlich von ca. 15.000 (13.140–17.760) Opioidkonsumenten<br />

bzw. -abhängigen allein in den Justizvollzugsanstalten<br />

Deutschlands ausgehen (ohne Maßregel,<br />

Polizeiarrest) – im Verlaufe eines Jahres von etwa doppelt<br />

so viel aufgr<strong>und</strong> von Entlassungen <strong>und</strong> Neuaufnahmen.<br />

Etwa je<strong>der</strong> Zehnte <strong>der</strong> allgemein angenommenen Gesamtzahl<br />

von mind. 150.000 problematischen Drogenabhängigen<br />

ist somit inhaftiert. Bei 11.000 zur Verfügung<br />

stehenden Therapieplätzen befinden sich also etwa 1,5-<br />

mal mehr Drogenkonsumenten im Gefängnis als in Therapieeinrichtungen.<br />

Während außerhalb <strong>der</strong> Gefängnisse in den letzten 30<br />

Jahren erhebliche Fortschritte in <strong>der</strong> Suchtmedizin <strong>und</strong><br />

den psychosozialen Interventionen gemacht worden sind,<br />

lassen sich diese Entwicklungen in Haft trotz weiter Verbreitung<br />

abhängiger <strong>und</strong> missbräuchlicher Konsummuster<br />

nicht in gleicher Weise wie<strong>der</strong>finden (Stöver 2012).<br />

Während in Freiheit eine erhebliche Diversifizierung des<br />

Hilfesystems stattgef<strong>und</strong>en hat, setzt man im Strafvollzug<br />

weiterhin vorwiegend auf die zentrale Strategie <strong>der</strong><br />

Abstinenz. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Zugang zu bewährten <strong>und</strong><br />

anerkannten Hilfs- <strong>und</strong> Behandlungsmethoden in Haft<br />

ist im Vergleich zur Situation in Freiheit in manchen Bereichen<br />

<strong>der</strong> Suchtkrankenversorgung völlig unzulänglich<br />

(v. a. Pharmakotherapie, Infektionsprophylaxe). Evidenzbasierte<br />

Kernstrategien zur Behandlung <strong>der</strong> Opioidabhängigkeit<br />

(wie Substitutionsbehandlung) werden in<br />

vielen Haftanstalten entwe<strong>der</strong> erst mit einem Zeitverzug<br />

von vielen Jahren eingeführt, sind nicht flächendeckend<br />

o<strong>der</strong> in manchen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n gar nicht existent. Dies<br />

führt zu Behandlungsdiskontinuitäten mit teils erheblichen<br />

Auswirkungen auf den ges<strong>und</strong>heitlichen Status in<br />

<strong>und</strong> nach <strong>der</strong> Haft (vgl. Keppler et al. 2010).<br />

2009 wurden knapp 60.000 Personen aufgr<strong>und</strong> eines<br />

BtMG-Verstoßes verurteilt (Statistisches B<strong>und</strong>esamt<br />

2010a). Davon befanden sich zum Stichtag insgesamt<br />

8.880 Personen, also r<strong>und</strong> 15 Prozent aller Inhaftierten,<br />

in Einrichtungen des Freiheitsentzugs. Insgesamt wurden<br />

im Jahr 2009 über 50.000 Freiheitsstrafen, also über 7<br />

Prozent aller Freiheitsstrafen, nach dem BtMG verhängt<br />

(Jakob/Stöver/Pfeiffer-Gerschel 2013).<br />

2.4 Rechtstheoretische Bewertung<br />

<strong>der</strong>Kriminalisierung<br />

Die Repression durch den Staat ist für viele Konsumenten<br />

die schlimmste Nebenwirkung ihres Konsums. Die<br />

Mehrheit <strong>der</strong> Konsumenten illegaler Drogen pflegt einen<br />

kontrollierten Konsum <strong>und</strong> leidet hierdurch unter keinen<br />

signifikanten Problemen. Mit <strong>der</strong> Repression (Strafverfolgung,<br />

Verurteilung, Strafvollzug etc.) bekommen alle<br />

betroffenen Konsumenten, sowohl jene mit einem kontrollierten<br />

Konsum als auch jene, die zusätzlich noch unter<br />

signifikanten Problemen durch ihren Konsum leiden, das<br />

schärfste Instrument des Rechtsstaates zu spüren.<br />

Die sozialethische Komponente <strong>der</strong> Verfolgung äußert<br />

sich nicht etwa durch die sonst übliche <strong>und</strong> verhältnismäßige<br />

Reaktion bei <strong>der</strong> Verletzung von Rechtsgütern,<br />

son<strong>der</strong>n durch Stigmatisierung, dem Vorenthalten sozialer<br />

o<strong>der</strong> medizinischer Leistungen etc. Dieser Entwicklung,<br />

die sich auch in geringem Umfang (Straßenverkehr,<br />

Gewalt, medizinische <strong>und</strong> soziale Kosten) zeigt, könnte<br />

mit an<strong>der</strong>en, weniger schwerwiegenden Maßnahmen,<br />

wie Drogenverboten nur im Straßenverkehr o<strong>der</strong> einer<br />

Besteuerung als Kompensation, begegnet werden.<br />

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