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Industriebau hybrid | In Bremen und in Norderstedt führten ... - Bauwelt

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Thema <strong><strong>In</strong>dustriebau</strong> <strong>hybrid</strong><br />

<strong>Bauwelt</strong> 39 | 2013<br />

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<strong><strong>In</strong>dustriebau</strong> <strong>hybrid</strong> | <strong>In</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Norderstedt</strong><br />

führten kluge Nutzungskonzepte zum Erhalt von<br />

lokal bedeutsamer Bausubstanz<br />

Das neun Meter hohe Erdgeschoss<br />

des Schuppen E<strong>in</strong>s:<br />

Das Gebäude bleibt nach dem<br />

Umbau <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en überwältigenden<br />

Dimensionen erfahrbar


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Das Luftbild aus den 1960er<br />

Jahren zeigt den Schuppen<br />

E<strong>in</strong>s im Betrieb<br />

Foto: Archiv Westphal Architekten<br />

Die Automobil-Werkstätten<br />

werden landseitig<br />

über Rampen angedient<br />

Querschnitt im Maßstab<br />

1:750<br />

Schuppen E<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Im Entwicklungsgebiet Überseestadt haben Westphal Architekten e<strong>in</strong>em markanten Lagerhaus zu neuen Funktionen<br />

verholfen. Mit konsequenter Gliederung <strong>und</strong> zurückhaltender Gestaltung gelang es, die spezifischen Merkmale der<br />

Großform zu erhalten.<br />

Text Michael Kasiske Fotos Conné van d’Grachten<br />

<strong>In</strong>ga Lürsen, TV-Kommissar<strong>in</strong> im Bremer „Tatort“, braucht<br />

ke<strong>in</strong> exklusives Auto. Bremisch nüchtern, aber doch warmherzig<br />

löst sie die Verbrechen an der Weser. Es ist wohl nur<br />

noch e<strong>in</strong>e Frage der Zeit, bis der neue Schuppen E<strong>in</strong>s als Kulisse<br />

e<strong>in</strong>es von Radio <strong>Bremen</strong> produzierten Krim<strong>in</strong>alfalls dient,<br />

<strong>in</strong> dem wertvolle alte Autos e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen.<br />

Oldtimer – mit dem ganzen Gefolge von Liebhabern <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>schlägig versierten Mechanikern – s<strong>in</strong>d die wesentlichen<br />

<strong>In</strong>gredienzen des nunmehr funktional neu gefüllten Gebäudes,<br />

darüber h<strong>in</strong>aus gibt es offene Büroflächen <strong>und</strong> gehobenes<br />

Wohnen – alles, was e<strong>in</strong> gutes Skript braucht. Wie e<strong>in</strong> solches<br />

liest sich auch die Geschichte von „Schuppen E<strong>in</strong>s“, dessen Gestalter<br />

die Architekten Birgit <strong>und</strong> Jost Westphal s<strong>in</strong>d.<br />

Das r<strong>und</strong> 400 Meter lange <strong>und</strong> 50 Meter breite Gebäude<br />

erstreckt sich längs des Kais vom „Europahafen“. Se<strong>in</strong>e Umnutzung<br />

ist Teil der städtebaulichen Entwicklung des früheren,<br />

über 300 Hektar großen Hafengebiets nördlich der Bremer <strong>In</strong>nenstadt.<br />

Bis auf die e<strong>in</strong>e oder andere Ausnahme s<strong>in</strong>d die vorhandenen<br />

Bauten wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

errichtet worden, als die Stadt im Wiederaufbau die Chance<br />

nutzte, den Umschlag vom Schiff auf die Schiene effizient zu<br />

organisieren. Damit entstand der modernste Hafen Europas, <strong>in</strong><br />

dem die Stückgutschuppen e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielten: E<strong>in</strong>e<br />

Kranbahn löschte die Fracht vom Schiff <strong>in</strong> den Bau, auf der anderen<br />

Seite wurde sie später <strong>in</strong> Eisenbahnwaggons verladen.<br />

Als re<strong>in</strong>e Logistikgebäude waren die Lager rational konstruiert.<br />

Der Schuppen E<strong>in</strong>s, zwischen 1956 <strong>und</strong> 1960 errichtet,<br />

ist e<strong>in</strong>e Art „Tisch“ aus Stahlbeton, der e<strong>in</strong>en fast neun Meter<br />

hohen Raum unter sich bildet; auf diesem Tisch ist e<strong>in</strong>e aus<br />

Fachwerkträgern konstruierte Halle aufgesetzt. Der Mangel an<br />

Eisen <strong>in</strong> der Nachkriegszeit zeigt sich an den mächtigen Dimensionen<br />

des Stahlbetons, auf dem schwere Transportfahrzeuge<br />

rangieren können, <strong>und</strong> an der äußerst filigranen Stahlkonstruktion,<br />

die mit Ziegeln verkleidet ist.<br />

Auch nach Aufgabe des Hafens Ende der 1980er Jahre<br />

wurde der Schuppen E<strong>in</strong>s als Lager weitergenutzt. 2003 wurde<br />

für das Hafengebiet e<strong>in</strong> Masterplan erarbeitet, <strong>und</strong> damit begann<br />

e<strong>in</strong>e neue Ära. Den Auftakt für das zukünftige Quartier<br />

bildete die Herrichtung des Speicher XI als Standort der Hochschule<br />

für bildende Künste. E<strong>in</strong> nächster wichtiger Schritt war<br />

die Grünverb<strong>in</strong>dung zwischen <strong>In</strong>nenstadt <strong>und</strong> Hafen nach<br />

e<strong>in</strong>em Entwurf von Vogt Landschaftsarchitekten. Als Neube-


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1 Foyer<br />

2 Boulevard<br />

3 Werkstatt<br />

4 Shop<br />

5 Restaurant<br />

6 Café<br />

7 Mobileum<br />

8 Fahrstraße<br />

9 Oldtimerparken<br />

10 Büro<br />

11 Wohnen<br />

bauung dom<strong>in</strong>iert der „Weser Tower“, mit dem Helmut Jahn<br />

mehr sich selbst als dem Ort e<strong>in</strong>e Referenz erwies.<br />

Konzept: Oldtimer<br />

Die attraktiven Wasserlagen s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en Mix aus Dienstleistung<br />

<strong>und</strong> Wohnen vorgesehen. Dazu gehört auch der Schuppen<br />

E<strong>in</strong>s, der als prägendes Bauwerk unter Denkmalschutz<br />

steht. Für se<strong>in</strong>e weitere Nutzung wurde das Gebäude geteilt<br />

<strong>und</strong> an zwei <strong>In</strong>vestoren vergeben. Klaus J. K. Hornung, dem<br />

der nördliche Abschnitt zugefallen war, überraschte mit e<strong>in</strong>em<br />

für Außenstehende abwegigen Konzept: e<strong>in</strong> Kompetenz<strong>und</strong><br />

Ausstellungszentrum für historische Automobile. Der Bremer<br />

Kaufmann wusste um die zahlreichen Oldtimerfre<strong>und</strong>e<br />

vor Ort. Ergänzend sah er Büros <strong>und</strong> Wohnungen vor.<br />

Für die räumliche Umsetzung lud er 2008 sechs Büros zu<br />

e<strong>in</strong>em Wettbewerb e<strong>in</strong>, aus dem Westphal Architekten mit<br />

e<strong>in</strong>em bestechend klaren Entwurf siegreich hervorg<strong>in</strong>gen. Ihr<br />

Gr<strong>und</strong>gedanke: Der räumliche E<strong>in</strong>druck des Gebäudes sollte<br />

<strong>in</strong> der Quer- <strong>und</strong> Längsrichtung weitgehend erlebbar bleiben.<br />

Auf der ersten Ebene, die <strong>in</strong> Höhe der Anlieferungsrampe über<br />

dem Straßenniveau liegt, wurde <strong>in</strong> Längsrichtung e<strong>in</strong>e Passage<br />

angelegt. Auf der zum Wasser gelegenen Seite, wo sich<br />

im Erdgeschoss Geschäfte <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Café bef<strong>in</strong>den, bestehen die<br />

Wände nach außen <strong>und</strong> <strong>in</strong>nen aus Glas. Auch die Büros auf<br />

der e<strong>in</strong>gezogenen Zwischenebene, die über e<strong>in</strong>e die Passage<br />

überspannende Brücke von der Landseite aus erschlossen werden,<br />

s<strong>in</strong>d von beiden Seiten e<strong>in</strong>sehbar.<br />

Die spezialisierten Autowerkstätten liegen auf der Landseite,<br />

wo sie über kurze Rampen angefahren werden. Die Montagehallen<br />

nutzen zum Hochliften der Fahrzeuge die volle<br />

Höhe des Bestands, seitlich verfügen sie teilweise über Galerien<br />

mit abgeschlossenen Büroräumen. Ihre Abtrennungen zur<br />

Passage bestehen vollständig aus <strong>In</strong>dustrieglas, das nur unscharfe<br />

Umrisse durchschimmern lässt. Doch geben die großen<br />

Tore im geöffneten Zustand den Blick auf die Restaurierungsarbeiten<br />

frei.<br />

Die Passage wirkt durch den natürlichen Lichte<strong>in</strong>fall hell<br />

<strong>und</strong> transparent, die große Raumhöhe tut e<strong>in</strong> Übriges, damit<br />

man sich nicht wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er abgeschotteten Shopp<strong>in</strong>gmall<br />

fühlt. Am südlichen Ende, wo die andere Hälfte des Schuppens<br />

anschließt, wird im „Mobileum“ auf 1500 Quadratmetern<br />

die wenig bekannte Autotradition <strong>Bremen</strong>s dargestellt, etwa<br />

Die komfortable Höhe ermöglichte<br />

oberhalb der Läden<br />

e<strong>in</strong> Zwischengeschoss mit Büros.<br />

Auf der massiven Stahlbetondecke<br />

steht das Dachgeschoss<br />

aus Stahlfachwerkträgern,<br />

<strong>in</strong> dem unter anderem<br />

e<strong>in</strong>e Oldtimerhalle e<strong>in</strong>gerichtet<br />

ist.<br />

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Architekten<br />

Westphal Architekten, <strong>Bremen</strong><br />

Birgit Westphal, Jost Westphal,<br />

Klaas Dambeck<br />

Mitarbeiter<br />

Brit Dommes, Lars Ehm, Enno<br />

Garten, Daniel Gueifão Goncalves,<br />

Michael Kratzsch, Pawel<br />

Kubisch, Nils Mart<strong>in</strong>, Tilman<br />

Siegler, Arne Tütken<br />

Bauherr<br />

KJH Verwaltungs-GmbH & Co.<br />

KG, <strong>Bremen</strong><br />

Hersteller<br />

Fassade Eternit, Schüco<br />

Fahrstraße Stelcon<br />

▸ www.bauwelt.de/hersteller<strong>in</strong>dex<br />

Tragwerksplanung<br />

Prof. Bellmer <strong>In</strong>genieurgruppe<br />

GmbH, <strong>Bremen</strong><br />

Gr<strong>und</strong>risse EG <strong>und</strong> OG im<br />

Maßstab 1:1000


20 Thema <strong><strong>In</strong>dustriebau</strong> <strong>hybrid</strong><br />

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der e<strong>in</strong>stige Hersteller Borgward <strong>und</strong> die Daimler AG, deren<br />

zweitgrößtes Werk sich <strong>in</strong> der Hansestadt bef<strong>in</strong>det.<br />

Zum Reihenhaus <strong>in</strong>s Obergeschoss<br />

Auf der oberen Ebene heißt die nach oben offene Erschließung<br />

„Boulevard“. Dieser ist gleichsam aus dem früheren Dach herausgeschnitten<br />

<strong>und</strong> trennt die Wohnzeile, die zum Europahafen<br />

orientiert ist, von den durch landseitige Erschließungskerne<br />

aufgelockerten „Bürohäusern“. Zusätzlich liegt im Mittelbereich<br />

e<strong>in</strong>e große beheizte Garagenhalle. Nicht nur dafür<br />

s<strong>in</strong>d die zwei Autoaufzüge notwendig, mit denen r<strong>und</strong> zehn<br />

Meter Höhe von der Straße überw<strong>und</strong>en werden. Dieser „Gimmick“,<br />

wie es Jost Westphal bezeichnet, wurde zu e<strong>in</strong>em Clou<br />

für das Market<strong>in</strong>g. Denn das Fahren bis vor die Haustür <strong>und</strong><br />

das sichere Parken verhalf dem Vernehmen nach zum Verkauf<br />

aller Wohnungen <strong>in</strong> weniger als drei Monaten.<br />

Die zwanzig E<strong>in</strong>heiten s<strong>in</strong>d als Maisonettes mit Galerie<br />

unter der historischen Tragstruktur ausgebaut, jeweils mit eigenem<br />

E<strong>in</strong>gang <strong>und</strong> eigener Garage. Ihr Achsmaß beträgt satte<br />

9,40 Meter, die Gr<strong>und</strong>fläche r<strong>und</strong> 160 Quadratmeter. Als Rem<strong>in</strong>iszenz<br />

an das „Bremer Haus“ haben sie e<strong>in</strong>en Erker zum Boulevard<br />

<strong>und</strong> sich nach außen öffnende Fenster. Ebenfalls zum<br />

Erzeugen e<strong>in</strong>es lebendigen Ersche<strong>in</strong>ungsbildes wurden durchgefärbte<br />

Faserzementtafeln namens Etercolor für die h<strong>in</strong>terlüftete<br />

Fassade verwendet. Trotz der Ausblicke aufs Wasser befremdet<br />

der Außenraum auf der oberen Ebene durch se<strong>in</strong>e<br />

Künstlichkeit, die Freiraumgestaltung sche<strong>in</strong>t die semi-öffentliche<br />

Stimmung nur zu simulieren. Hier ist zu hoffen, dass<br />

sich mit dem Bezug von Büros <strong>und</strong> Wohnungen e<strong>in</strong> eigene,<br />

vertrautere Atmosphäre e<strong>in</strong>stellt. Im Ergebnis ist der Schuppen<br />

E<strong>in</strong>s beispielhaft für den Umbau e<strong>in</strong>er Großform <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

<strong>hybrid</strong>es Gebäude, dessen mannigfache Nutzungen sich nur<br />

nach <strong>in</strong>nen entfalten. Abgesehen von den Fenstern, wurden<br />

die Fassaden erhalten oder, wo es Frostschäden gab, mit Ziegeln<br />

ausgebessert, die <strong>in</strong> Farbe, Mischverhältnis <strong>und</strong> Format<br />

identisch mit dem Bestand s<strong>in</strong>d. Im unteren Teil, von verunklärenden<br />

Zubauten bere<strong>in</strong>igt, treten Stützen <strong>und</strong> Unterzügen<br />

nun dezent expressiv <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Sehr bremisch auch<br />

dies: Man hält sich nicht mit Äußerlichkeiten auf. ▪<br />

Um die Gebäudetiefe von<br />

50 Metern s<strong>in</strong>nvoll auszunutzen,<br />

wurde das Dach geöffnet<br />

<strong>und</strong> im Obergeschoss e<strong>in</strong>e<br />

Fahrstraße angelegt. Die<br />

Bewohner der Maisonettes<br />

können ihre Autos – dank<br />

e<strong>in</strong>es Aufzugs – bis vor die<br />

Haustüre fahren.

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