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DIE BESTE ZEIT<br />
Das Magazin für Lebensart<br />
Wuppertal und Bergisches Land<br />
Ausgabe 20, 2013 - 3,50 Euro<br />
Archipel<br />
Ausstellung Von der Heydt-Kunsthalle<br />
Himmel auf Erden<br />
Sammlung Von der Heydt-Museum<br />
Bilder einer Ausstellung<br />
Jubiläumskonzert des Sinfonieorchesters<br />
Wolfgang Schmidtke<br />
Im Jazz muss man sich selbst finden<br />
Das Schlupfloch zur Freiheit<br />
Karl Otto Mühls späte Prosa und Gedichte<br />
Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff<br />
Ausstellung im Museum Solingen<br />
Immer wieder neu<br />
Historische Parkanlage Hardt<br />
Kunst in der Sparkasse<br />
Ausstellung Kairos<br />
Annika Boos<br />
und ihre glückliche Reise<br />
ISSN 18695205<br />
1
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„Ihre Gefühle waren und sind einzigartig.<br />
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2<br />
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Editorial<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Sie halten heute die 20. Ausgabe des Kulturmagazins Die Beste Zeit in Ihren<br />
Händen - ein kleines Jubiläum.<br />
Seit Oktober 2009 und inzwischen im 5. Jahrgang informieren wir regelmäßig<br />
über das kulturelle Leben unserer Region. Leider werden die Zeiten immer<br />
schwieriger, ein solches Format auf Dauer in Wuppertal zu etablieren, und<br />
so bin ich jedesmal erleichtert, wenn wieder eine Ausgabe in die Welt gesetzt<br />
ist. Ganz besonders möchte ich mich an dieser Stelle bei den Unternehmen<br />
bedanken, die das Projekt regelmäßig mit ihren Anzeigen unterstützen, aber<br />
auch bei den Autoren, die für das Magazin schreiben, dafür recherchieren und<br />
ihr Fachwissen einsetzen. Ohne ihr fundiertes Engagement wäre es mir nicht<br />
möglich, das Magazin in dieser Kontinuität und Qualität erscheinen zu lassen.<br />
In erster Linie sehe ich mich als Macher der Besten Zeit, stelle das Heft im<br />
Dialog mit den Redakteuren inhaltlich zusammen, layoute, produziere und<br />
scheitere im Allgemeinen an der Anzeigenakquise oder dem Vertrieb. Unser<br />
Format ist noch immer zu wenigen kulturinteressierten Bürgern in Wuppertal<br />
und im Bergischen Land bekannt.<br />
Ein generelles Problem liegt also in der Verbreitung. Indes wird der Aufwand,<br />
der hinter jeder Ausgabe steckt, nicht weniger, und oftmals stelle ich mir - bei<br />
allen schönen Reaktionen und bei aller Zustimmung, die ich erfahre - die<br />
Frage, ob eine Stadt wie unsere ein solches Magazin neben der normalen Tagespresse<br />
braucht. Dabei war es mir von Anfang an ein Anliegen, hier eine Lücke<br />
zu schließen und ausführlicher, farbiger und informativer aus dem kulturellen<br />
Leben unserer Region zu berichten, ihre Vielfalt und ihren Reichtum vorzustellen<br />
und immer wieder auch Ereignisse und Persönlichkeiten zu würdigen,<br />
die ansonsten - völlig zu Unrecht - ein Schattendasein führen. Dazu gehören<br />
Erstveröffentlichungen von Literaten, ausführliche Rezensionen von Schauspielund<br />
Opernaufführungen, ein offenes Ohr für die Jazzszene, der Blick in die<br />
Ausstellungen und in die Ateliers selbst und auch die Vorstellung von kulturell<br />
engagierten Institutionen in Wuppertal. Wir hoffen, damit ein wenig zur Vitalität<br />
der Kulturszene beizutragen, und träumen davon, dass mit jeder Ausgabe,<br />
ja, mit jedem Bericht unser Magazin etwas bekannter und schließlich vielleicht<br />
sogar in unserer Region selbstverständlich, unverzichtbar wird.<br />
Von meiner Seite schwanke ich immer wieder mit der Frage „weitermachen“<br />
oder aber „aufhören“.<br />
Bislang habe ich mich voller Hoffnung engagiert für das Weitermachen<br />
entschieden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen dieser<br />
Ausgabe.<br />
Herzliche Grüße<br />
Ihr HansPeter <strong>Nacke</strong><br />
3
WIR BAUEN ATMOSPHÄRE:<br />
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Ueberholz. GmbH<br />
Büro für temporäre Architektur<br />
Telefon: +49 (0) 202 2 80 96-0<br />
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Impressum<br />
Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land<br />
Erscheinungsweise: alle zwei Monate<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal - Die beste Zeit<br />
Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />
Telefon 02 02 - 28 10 40, E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />
V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong><br />
Ständige redaktionelle Mitarbeit: Frank Becker, Thomas Hirsch,<br />
Ulrich Dohmen, Susanne Schäfer<br />
Darüber hinaus immer wieder Beiträge von: Marlene Baum,<br />
Heiner Bontrup, Antonia Dinnebiert, Beate Eickhoff, Fritz Gerwinn,<br />
Klaus Göntzsche, Johannes Vesper und weiteren Autoren<br />
Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />
Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzl.<br />
Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />
Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des<br />
Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />
zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />
Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen<br />
im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann<br />
keine Gewähr übernommen werden.<br />
Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder<br />
Unterlassungen keine Haftung übernommen.<br />
Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt.<br />
Abbildung Cover, Ausschnitt:<br />
Alexej von Jawlensky, Madame Curie, 1905, Öl auf Karton, 50 x 38 cm<br />
TANZ TRÄUME<br />
Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch.<br />
Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal, 2011<br />
120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover<br />
ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong><br />
Friedrich-Engels-Allee 122<br />
42285 Wuppertal -<br />
Telefon 0202 - 28 10 40<br />
verlag@hpnackekg.de<br />
4
Inhalt<br />
Ausgabe 20, 5. Jahrgang, April 2013<br />
Archipel<br />
Ausstellung Tatjana Valsang<br />
In der Von der Heydt-Kunsthalle Seite 6<br />
Die Vielfalt der Möglichkeiten<br />
Tatjana Valsangs „Archipel“ gibt der<br />
Phantasie Raum, von Frank Becker Seite 11<br />
Himmel auf Erden<br />
Ausstellung aus der Sammlung des<br />
Von der Heydt-Museums Seite 12<br />
Verdis Maskenball in Wuppertal<br />
Sängerfest und solide Inszenierung,<br />
von Fritz Gerwinn Seite 14<br />
Bilder einer Ausstellung<br />
Jubiläumskonzert des Sinfonieorchesters<br />
Wuppertal, von Johannes Vesper Seite 18<br />
Im Jazz muss man sich selbst finden<br />
Der Saxophonist und Komponist Wolfgang<br />
Schmidtke, von Marlene Baum Seite 22<br />
Projekt Moving Art Box<br />
Die Abschlusspräsentation<br />
im Neuen Kunstverein Wuppertal Seite 28<br />
Immer wieder neu<br />
Historische Parkanlage Hardt,<br />
von Antonia Dinnebier Seite 32<br />
Das Schlupfloch zur Freiheit<br />
Karl Otto Mühls späte Prosa und Gedichte,<br />
von Torsten Krug Seite 37<br />
Frau mit Gipsbein<br />
von Karl Otto Mühl Seite 41<br />
Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff<br />
Die Sammlung Frank Brabant im<br />
Museum Solingen, von Rolf Jessewitsch Seite 43<br />
Wuppertal hat Gute Karten<br />
Die Bürgerinitiative „(M)eine Stunde<br />
für Wuppertal“ Seite 53<br />
Ein Pferd ist ein Pferd<br />
von Wolf Christian von Wedel Parlow Seite 55<br />
Kunst in der Sparkasse<br />
Kairos – Vom Umgang mit dem günstigen<br />
Augenblick, von Gisela Elbracht-Iglhaut Seite 58<br />
Annika Boos<br />
und ihre glückliche Reise…,<br />
von Klaus Göntzsche Seite 64<br />
Paragraphenreiter<br />
Interessantes zu den Themen Steuern und<br />
Recht, von Susanne Schäfer Seite 66<br />
tanz nrw 13 in Wuppertal<br />
Die nordrhein-westfälische Tanzszene,<br />
von Katja Roters Seite 67<br />
Für Ulle Hees<br />
Nachruf im Ort, 20. Juli 2012,<br />
von Klaus Harms Seite 69<br />
Konrad Hupfer (1935 – 2013)<br />
Nachruf auf den Komponisten,<br />
von Ulrich Klan Seite 73<br />
für dich<br />
Gedicht von Angelika Zöllner,<br />
Foto „Im Nebel“ von E. Heinemann Seite 74<br />
Wie ein Bad im Klang und Raum der Zeit<br />
Von Pérotin bis Pärt Teil V – Konzertreihe,<br />
von Magdalene Zuther Seite 76<br />
Neue Kunstbücher<br />
Vermessung einer Region,<br />
vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 78<br />
Das indische Tuch<br />
TiC-Theater-Aufführung sehr frei nach<br />
Edgar Wallace, von Frank Becker Seite 48<br />
Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />
porträtiert von Matthias Dohmen<br />
Seite 80<br />
Der Hochglanzprospekt<br />
Gedanken über eine Geldanlage,<br />
von Dorothea Renckhoff Seite 49<br />
Kulturnotizen<br />
Kulturveranstaltungen in der Region Seite 81<br />
5
„Tatjana Valsangs Kunst feiert Farbe, Bewegung und Licht,<br />
die staunenswerten Strukturen in der vorfindbaren Welt, den Augensinn,<br />
der sie erschließt, die Rätsel, die bleiben, die Kräfte, die wirken und<br />
zeugen, die Formen, die wandlungsfähig sind, unerschöpft und<br />
überraschend.“<br />
Kirsten Voigt<br />
(aus dem Ausstellungskatalog)<br />
6
Tatjana Valsang<br />
Noch bis zum 26. Mai 2013<br />
in der Von der Heydt-Kunsthalle<br />
im Haus der Jugend Barmen<br />
Archipel<br />
linke Seite: Tagsüber, 2010, 120 x 100 cm<br />
Foto: Frank Becker<br />
rechts: Kongogrün, 2009, 220 x 140 cm<br />
Tatjana Valsangs abstrakte Malerei<br />
inszeniert ein komplexes Zusammenspiel<br />
von Farbe, Form und Bildraum.<br />
In ihren neuen Arbeiten sind es häufig<br />
von klar umrissenen Formen überlagerte<br />
Wellenformationen, die den<br />
Bildraum organisieren, ihm Tiefe,<br />
Bewegung und Dynamik verleihen.<br />
Es werden ihre großformatigen Bilder<br />
aus den Jahren 2009–2012 gezeigt.<br />
7
8<br />
Kairo, 2010, 240 x 160 cm
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen<br />
dem, was man sieht, dem, was der<br />
Künstler mit seiner besonderen Beobachtungsgabe,<br />
seiner Sensibilität und seinem<br />
ästhetischen Bewusstsein erkennt, und<br />
dem, was er gestaltet, hat bereits Künstler<br />
wie Cézanne und Klee tief beschäftigt,<br />
mit dem Ergebnis: Parallel zur Natur<br />
oder analog zu ihr schafft der Künstler<br />
oder die Künstlerin etwas gänzlich Neues<br />
und Unbekanntes. Unter den Bildern,<br />
die Tatjana Valsang für die Räume der<br />
Kunsthalle ausgewählt hat, rufen manche<br />
vielleicht Formen aus der Natur wie Vögel,<br />
Blüten oder Blätter in Erinnerung. Bevor<br />
der Betrachter sich auf völlig Unbekanntes<br />
einlässt – zu dem diese Bilder eigentlich<br />
einladen –, sucht er noch Hilfe bei benennbaren<br />
Formen aus Flora und Fauna.<br />
Denn wie ein Dichter sein Gedicht<br />
schreibt oder der Komponist sein Lied,<br />
genau in dieser Weise setzt Tatjana Valsang<br />
als Malerin Farbe und Leinwand ein, um<br />
in ihrer Sprache Neues zu schaffen und der<br />
Welt damit etwas hinzuzufügen. Der polyfokale<br />
Raum, die geordnete Strichführung,<br />
die gegenläufige Bewegung, der Rhythmus,<br />
der lang gezogene Ton, die Melodie oder<br />
die amöbenartige Form, die den Betrachter<br />
durch unbekannte Räume geleitet – unversehens<br />
fühlen wir uns in eine Zwiesprache<br />
versetzt: Ich und das Bild.<br />
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog<br />
Tatjana Valsang. Maltext<br />
Texte von Martin Engler, Gerhard Finckh,<br />
Durs Grünbein und Kirsten Voigt.<br />
Deutsch/Englisch, 144 Seiten,<br />
ca. 40 Abbildungen<br />
StrzeleckiBooks, Köln<br />
im Buchhandel: 29,80 Euro, 42,– CHF<br />
im Museum: 20,– Euro<br />
Passage, 2011, 170 x 220 cm<br />
Öffentliche Führungen:<br />
Mittwoch, 27. März, 11.15 Uhr<br />
Samstag, 13. April, 16.00 Uhr<br />
Sonntag, 26. Mai, 11.30 Uhr<br />
Kosten 6 Euro inkl. Eintritt<br />
Von der Heydt-Kunsthalle<br />
im Haus der Jugend Barmen<br />
Tel. 0202 563 6231, Fax 0202 563 8091<br />
Geschwister Scholl Platz 4 – 6<br />
42275 Wuppertal<br />
von-der-heydt-kunsthalle.de<br />
9
10<br />
Artikel, 2002, 180 x 140 cm
Die Vielfalt der Möglichkeiten<br />
Tatjana Valsangs „Archipel“ gibt<br />
der Phantasie Raum<br />
Das weite Feld der Kunst ist immer wieder<br />
für Überraschungen gut. Eine ganz<br />
besonders erfreuliche ist die Entdeckung<br />
des außergewöhnlichen Œuvres der Wuppertaler<br />
Malerin Tatjana Valsang, deren<br />
erste Museumsausstellung überhaupt<br />
der Leiter des Von der Heydt-Museums,<br />
Dr. Gerhard Finckh mit sicherem Blick<br />
für das Besondere an sein Haus geholt<br />
hat. Ab Sonntag sind in der Kunsthalle<br />
Barmen in einer von Dr. Beate Eickhoff<br />
kuratierten Werkauswahl 33 überwältigend<br />
schöne, großformatige Arbeiten zu<br />
sehen, die sich in bestechender Ästhetik<br />
jedem naseweisen Vergleich entziehen.<br />
Mit zwei Galerie-Präsentationen war<br />
die 1964 geborene Schülerin von Dieter<br />
Krieg erstmals vor zwei Jahren in die<br />
Öffentlichkeit gegangen, obwohl sie<br />
bereits über Jahrzehnte ihr Auge geschärft<br />
und ihre Technik vervollkommnet hat:<br />
„Ich übe ja noch“, äußert sie in charmanter<br />
Bescheidenheit. Nachdem Gerhard<br />
Finckh auf die solitäre Schönheit ihrer<br />
Malerei aufmerksam wurde, Zitat: „… ihr<br />
scharfer Sinn für Qualität“, tritt sie nun<br />
in der seit über 100 Jahren der Moderne<br />
verpflichteten Kunsthalle mit ungemein<br />
effektiver zarter Wucht in die Spuren,<br />
die innovative Künstler wie Franz Marc,<br />
Alexej von Jawlensky, Emil Nolde, Adolf<br />
Erbslöh und August Macke dort gelegt<br />
haben. Tatjana Valsang malt mit großem,<br />
oft übergroßem Pinsel mit Acrylfarben<br />
auf großzügig dimensionierte liegende<br />
Leinwände. Die zwar konzipierten, doch<br />
beim Entstehungsprozeß eine Eigendynamik<br />
entwickelnden Bilder zeigen, was<br />
so noch kein Maler gezeigt hat, sie haben<br />
„… keinen Punkt, an dem man sich festhalten<br />
kann“ (Gerhard Finckh). „Ich bin<br />
oft selbst verblüfft“, kommentiert Tatjana<br />
Valsang ihre zauberhaften Bilder, deren<br />
Titel nicht unbedingt ein Schlüssel sind:<br />
Passage, Zug, Kahn, Transit, Sammlung,<br />
Barmen, Malsatz, Leutkirch, Stufen, Taj<br />
Mahal, Fuge, Archipel… Und doch,<br />
ein Bild, das „Sechs“ heißt, zeigt sechs<br />
Flächen. Zufall?<br />
In den Eigenleben offenbarenden<br />
Arbeiten, die aus den letzten vier Jahren<br />
stammen, zeigt sich viel vom Wesen der<br />
Künstlerin, die sich als bemerkenswert<br />
uneitel, äußerst humorvoll, offen und<br />
liebenswert präsentiert. Die sinnliche<br />
Ästhetik und Heiterkeit von Werken<br />
wie Ostwind, Fuge, Forum, Archipel,<br />
Antrieb, Bergschatten und Hall geht<br />
unmittelbar auf den Betrachter über, sorgt<br />
für die Magengrube kitzelnde überraschte<br />
„Aaahs“, entzieht sich der Interpretation<br />
und macht, indem sie einfach nur schön<br />
ist, glücklich. Was wir in den letzten<br />
düsteren Monaten an Licht und Sonne<br />
vermißt haben, wird von Tatjana Valsangs<br />
Bildern kompensiert. Nur ein Grund, sich<br />
die Ausstellung unbedingt anzuschauen.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.strzelecki-books.com<br />
Frank Becker<br />
Tatjana Valsang vor „Taj Mahal“ (2010) Foto: Frank Becker<br />
11
Die Sammlung des<br />
Von der Heydt-Museums<br />
14. April. bis 1. September 2013<br />
Himmel auf Erden<br />
Das Museum bleibt in Bewegung. Es zeigt<br />
immer wieder neue Ausschnitte aus seiner<br />
bedeutenden Sammlung. Jede Werkauswahl<br />
setzt andere Schwerpunkte: Einzelne Gemälde<br />
oder Skulpturen werden herausgestellt,<br />
selten gezeigte Schätze ganz besonders zur<br />
Geltung gebracht, wichtige Neuerwerbungen<br />
erstmalig präsentiert. Unterschiedliche<br />
Orte, neue Perspektiven, wechselnde<br />
Zusammenhänge gewähren überraschende<br />
Blicke auf die weltberühmten Highlights des<br />
Museums.<br />
Im Anschluss an die große Rubens-<br />
Ausstel lung ordnet sich das Von der Heydt-<br />
Museum neu. Im Frühjahr/Sommer 2013<br />
konzentrie rt es sich ganz auf die Sammlung.<br />
Im Zwi schengeschoss werden Highlights des<br />
19. und frühen 20. Jahrhunderts gezeigt,<br />
im 1. Stock eine Auswahl Alter Meister von<br />
Dürer bis Goya und im 2. Stock wird neu<br />
präsentiert: „Himmel auf Erden“ − Kunst<br />
des 20. und 21. Jahrhunderts.<br />
Marc, Macke, Kandinsky, Munch,<br />
Kirchner, Beckmann – für die Kunst des<br />
Expressionismus ist die Von der Heydt-<br />
Samm lung bekannt. Auch die Kunst der<br />
1920er Jahre ist mit welt berühmten Bildern<br />
wie Otto Dix, „An die Schönheit“ oder den<br />
„Industriebauern“ von Georg Scholz, die<br />
ebenfalls jetzt wie der im 2. Obergeschoss des<br />
Museums zu sehen sind, bes tens vertreten.<br />
Darüber hinaus hat die Nachkriegsmoderne<br />
in Wuppertal immer viele begeisterte<br />
Anhänger gefunden, so dass die Museumssammlung<br />
durch Ankäufe, Schenkungen<br />
und Stiftungen stetig und außergewöhnlich<br />
erweitert wer den konnte.<br />
Die aktuelle Präsentation legt hier<br />
einen zweiten Schwer punkt: Neben den<br />
Highlights aus der ersten Hälfte des 20.<br />
Jahrhunderts werden bekannte Künstler<br />
des Informel, des Konstruktivismus und<br />
August Macke, Mädchen mit dem Fischglas, 1914, Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />
12
der Farbmalerei gezeigt. Und viel Raum<br />
wird auch jüngsten Neuerwerbungen<br />
gegeben, dazu gehören Arbeiten von Bettina<br />
Pousttchi, Jan Albers, Daniel Lergon, Brad<br />
Downey.<br />
Das Von der Heydt-Museum unterstützt<br />
überdies mit 39 Leihgaben die Ausstellung<br />
„Von Buddha bis Picasso – Der Sammler<br />
Eduard von der Heydt“ (20.4.-18.8.2013)<br />
im Museum Rietberg Zürich. Ab Oktober<br />
2015 wird die Ausstellung hier im Von der<br />
Heydt-Museum in Wuppertal zu sehen sein.<br />
Von der Heydt-Museum<br />
Turmhof 8, 42103 Wuppertal<br />
Telefon 0202 - 563 6231<br />
von-der-heydt-museum@stadt.wuppertal.de<br />
Cornelius Völker, Hände, 2003, Von der Heydt-Museum Wuppertal,<br />
VG Bild-Kunst, Bonn 2013<br />
Wassily Kandinsky, Riegsee – Dorfkirche, um 1908, Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />
13
Sängerfest und solide Inszenierung<br />
Premiere am 24. Februar 2013<br />
Weitere Aufführungen:<br />
am 2., 14., 22., 30. März, 7. April, 6., 8.,<br />
16., 22. Juni im Opernhaus Wuppertal<br />
Verdis Maskenball in Wuppertal<br />
Kaum waren die ersten Takte des Vorspiels<br />
erklungen, da konnte man schon<br />
ahnen, dass die musikalische Qualität<br />
dieses Abends besonders hoch sein<br />
würde. Der Dirigent Florian Frannek<br />
begann zwar ungewöhnlich langsam,<br />
dadurch wurde aber fast leitmotivisch<br />
herausgestellt, welche Motive zu wem<br />
gehören. Die nervige Piccoloflöte ließ<br />
an der zu erwartenden Tragik keinen<br />
Zweifel, hier wie an vielen anderen<br />
Stellen wurden aber die Verbindungslinien<br />
zwischen den einzelnen Teilen<br />
der Oper besonders deutlich gemacht.<br />
Das Vorspiel steht nicht für sich, sondern<br />
geht bruchlos in die erste Szene<br />
der Oper über, die Motive werden<br />
auch später wieder aufgenommen. Einerseits<br />
wurde auf diese Verbindungslinien<br />
geachtet, andererseits wird aber<br />
auch das Gegenteil klar: wenn z. B. in<br />
der Ulrica-Szene ständig Überraschungen<br />
vorkommen, Kontraste zwischen<br />
laut und leise, Dissonantem und<br />
Konsonantem, rhythmischen Prestound<br />
fast tempolosen Adagio-Passagen,<br />
Melba Ramos, Kay Stiefermann<br />
linke Seite:<br />
vorne: Melba Ramos, Felipe Rojas Velozo<br />
hinten: Chor, Extrachor und Statisterie der<br />
Wuppertaler Bühnen<br />
15
ernsten und lustigen Abschnitten, so<br />
wird das, was in der Musik steckt,<br />
konsequent aufgenommen und sinnfällig<br />
dargestellt. Ein großes Lob also<br />
für Florian Frannek und das Wuppertaler<br />
Orchester.<br />
Hervorragend waren auch die Leistungen<br />
der Sänger, allerdings mit einer<br />
Einschränkung. Der Sänger des Riccardo,<br />
Felipe Rojas Velozo, war, wie<br />
vorher angesagt, erkältet, hielt aber<br />
sein Rolle durch, obwohl er einige<br />
Passagen oktaviert singen musste, ließ<br />
aber an etlichen Stellen doch hören,<br />
dass er gesund den Genuss des Gesanges<br />
noch weiter erhöht und damit<br />
abgerundet hätte. In den weiteren<br />
Aufführungen wird er dies sicher tun.<br />
Melba Ramos als Amelia, vielen Wuppertalern<br />
noch als äußerst beliebtes<br />
ehemaliges Ensemblemitglied in Erinnerung,<br />
erhielt für ihre Leistung schon<br />
bei ihrem ersten fulminanten Auftritt,<br />
und später noch mehrfach, Szenenapplaus.<br />
Überzeugend ebenso Zdravka<br />
Ambric als Ulrica, mit besonders<br />
faszinierenden tiefen Tönen. Mehrfachen<br />
Szenenapplaus erhielt auch Kay<br />
Stiefermann als Renato, der als Warner<br />
und Rächer viele Forte-Stellen zu<br />
singen hatte, aber im ersten Bild des 3.<br />
Aktes besonders durch seine nuancenreichen<br />
Pianostellen überzeugte. Die<br />
Naivität und fast nervige Fröhlichkeit<br />
des Pagen Oskar, der nichts kapiert<br />
von der Tragik der Ereignisse, war<br />
sängerisch und darstellerisch bei Elena<br />
Fink in besten Händen. Auch die<br />
kleineren Rollen, so als Verschwörer<br />
Martin Js. Ohu und Olaf Haye, und,<br />
besonders auffallend, Miljan Milovic<br />
als Matrose waren hervorragend<br />
besetzt. Der Chor, verstärkt durch<br />
den Extrachor, war ein ebenso großer<br />
Garant für die hohe musikalische<br />
Qualität wie das Orchester.<br />
Die Inszenierung, durch Opernchef<br />
Johannes Weigand, war eher kammerspielartig,<br />
betonte die kleinen Gesten,<br />
war aber z. T. doch eher statisch, wobei<br />
zugute zu halten ist, dass, zumindest<br />
in den ersten drei Bildern, eher wenig<br />
Gelegenheit zu großer Aktion zu finden<br />
ist. Die Typisierung der Personen<br />
ist aber gelungen und nachvollziehbar,<br />
besonders deutlich bei Riccardo, wo<br />
die leicht arrogante Leichtlebigkeit<br />
und der damit verbundene Glaube<br />
an seine Unverletzlichkeit sehr schön<br />
ausgespielt wird. Immerhin werden<br />
die wenigen Möglichkeiten zur Aktion<br />
ausgenutzt, wenn etwa im ersten Bild<br />
der Page Oskar den sturen Oberrichter,<br />
der Ulrica ausweisen lassen will, in sei-<br />
16
ner Verteidigung gestisch nachäfft. Im<br />
zweiten Bild werden die sich ständig<br />
ändernden Vorgaben der Musik vor<br />
allem durch die Personenregie ausgedrückt.<br />
Szenisch reichhaltiger sind die<br />
beiden letzten Bilder gestaltet, dort<br />
passiert ja auch viel mehr als im ersten<br />
Teil. Sehr gelungen ist die Tanzszene<br />
im letzten Bild, in der auch fünf<br />
Musiker des Orchesters auf der Bühne<br />
erscheinen und als Banda zum Tanz<br />
aufspielen. Dass Weigand aber auch<br />
hier nicht auf Aktionismus setzt, zeigt<br />
die Szene direkt nach dem Attentat,<br />
wenn der Chor nicht chaotisch durcheinander<br />
läuft, sondern sich sorgsam in<br />
zwei Reihen aufstellt, während der Musikmeister<br />
mit einem großen Taktstock<br />
die Musiker zum Weiterspielen anhält.<br />
Das Bühnenbild von Moritz Nitsche<br />
ist minimalistisch karg, vor allem im<br />
ersten Teil. So bleibt der Friedhof<br />
im dritten Bild nur als große graue<br />
Treppe in Erinnerung. Im zweiten<br />
Teil wird dagegen häufiger und<br />
erhellender mit Lichtregie gearbeitet.<br />
So verliert das Grün des Vorhanges in<br />
den ersten Szenen des dritten Aktes<br />
immer mehr die Farbe, je mehr der<br />
Mordplan Gestalt annimmt, und<br />
im letzten Bild wird sehr geschickt<br />
mit rotem Licht in unterschiedlicher<br />
Form gearbeitet.<br />
Erst in der letzten Szene wird klar,<br />
dass die „amerikanische“ Fassung der<br />
Oper gespielt wird. Die sehr kreativen<br />
Kostüme (Judith Fischer) verlegen sie<br />
in jedem Fall in das 18. Jahrhundert.<br />
Wo die Oper spielt, scheint aber nicht<br />
so wichtig, weil es auf die Geschichte<br />
und die Darstellung der Gefühle<br />
ankommt.<br />
Also: Kammerspielartige Inszenierung,<br />
ein Fest der Stimmen und eine<br />
intelligente, sinnfällige musikalische<br />
Darstellung! Äußerst empfehlenswert!<br />
Fritz Gerwinn<br />
Fotos: Uwe Stratmann<br />
linke Seite:<br />
v.l.n.r. Olaf Haye, Kay Stiefermann,<br />
Martin Js. Ohu<br />
unten:<br />
v.l.n.r.: Elena Fink, Felipe Rojas Velozo,<br />
Kay Stiefermann<br />
17
Jubiläumskonzert des<br />
Sinfonieorchesters Wuppertal mit<br />
Abonnenten in der<br />
Historischen Stadthalle<br />
Bilder einer Ausstellung<br />
In diesem Jahr begeht das Sinfonieorchester<br />
Wuppertal das 150. Jahr seiner Gründung.<br />
Bemerkenswert, dass das Orchester<br />
also älter ist als die Berliner Philharmoniker<br />
(gegründet 1882) oder auch als<br />
die Essener Philharmoniker (gegründet<br />
1899). Zur Geschichte des Orchesters<br />
hat Werner Wittersheim, Leiter der<br />
Programmgruppe Musik beim WDR 3,<br />
in den Programmen der Sinfoniekonzerte<br />
dieser Saison und auch im Jubiläumsband<br />
interessante Beobachtungen mitgeteilt.<br />
Aus Anlaß des Jubiläums in Wuppertal<br />
fand am 2. Februar 2013 ein in seiner Art<br />
einzigartiges, sensationelles Konzert statt.<br />
Das Orchester hatte nämlich seine Abonnenten<br />
eingeladen, mit ihm gemeinsam<br />
zu spielen. Ca. 60 Musiker aus Kreisen<br />
der Abonnenten hatten seit November<br />
2012 zusammen mit den Musikern des<br />
Sinfonieorchesters zunächst unter der<br />
Federführung Tobias Deutschmanns die<br />
„Bilder einer Ausstellung“ von Modest<br />
Mussorgsky in der farbigen Orchesterfassung<br />
von Maurice Ravel erarbeitet.<br />
18
Am Konzertabend erlebte das äußerst<br />
interessierte Publikum in der gut besetzten<br />
Historischen Stadthalle Wuppertal<br />
zunächst eine Probe unter Chefdirigent<br />
Toshiyuki Kamioka. Seine lebendige Mimik<br />
und intensive Gestik wurden auf eine<br />
Großleinwand übertragen und - für jeden<br />
hörbar - seine Kommentare zu Werk<br />
und Aufführungspraxis über Mikrophon<br />
in den Saal übertragen. Dabei wurde<br />
die Zahl der Luftnoten, mit denen der<br />
erfahrene Dilettant zunächst durch die<br />
Hektik der vertrackten Orchesterstimmen<br />
hastet, bald vermindert. Nach der Pause<br />
erlebten die Konzertbesucher, unterbrochen<br />
von sachkundigen Hinweisen des<br />
Schlagzeugers Martin Schacht zum Werk<br />
und ergänzt durch die Projektion der<br />
musikalisch dargestellten Bilder, das ganze<br />
Werk mit den 150 Musikern. Herrliches<br />
Blech (Gänsehaut in den Katakomben),<br />
flinke, flotte, hörbar gackernde Holzbläser<br />
beim Tanz der Küken, erschütterndes<br />
Pianissimo der Geigen im Gespräch der<br />
Toten und nach dem wilden Tanz der<br />
Baba Yaga dann der mächtige Choral im<br />
„Großen Tor von Kiew“. Da hielt es das<br />
Publikum, das immmer wieder bereits<br />
Zwischenapplaus gegeben hatte, nicht auf<br />
den Sitzen, man gab anhaltende stehende<br />
Ovationen.<br />
Das Konzert spiegelte zwischen Traditionspflege<br />
und Musikvermittlung in seiner<br />
Resonanz die Bedeutung eines Sinfonieorchesters<br />
für die Stadtgesellschaft am<br />
positiven Beispiel Wuppertals (siehe auch<br />
die Beiträge von Lutz-Werner Hesse und<br />
Michael Okroy im Jubiläumsband). Ein<br />
großer Abend.<br />
Johannes Vesper<br />
Fotos: Karl-Heinz Krauskopf<br />
Redaktion Frank Becker<br />
21
Im Jazz muss man sich selbst finden<br />
Der Saxophonist<br />
und Komponist Wolfgang Schmidtke<br />
Das Pferd mit Wolfgang Schmidtke beim<br />
10. Wuppertaler Jazzmeeting 2012<br />
Zum 65. Geburtstag seines Kollegen Peter<br />
Brötzmann hat Wolfgang Schmidtke ein<br />
Stück geschrieben, in welchem vierzehn<br />
Musiker nach einem auskomponierten<br />
Notentext spielen, während der Solist<br />
improvisiert. Schon diese Komposition<br />
zeigt, dass weniger einzelne Gattungen und<br />
Stilarten den Saxophonisten und Komponisten<br />
Wolfgang Schmidtke fesseln, als<br />
gerade die Zwischentöne und die Zwischenwelten.<br />
In der Musik ist es z.B. das<br />
Oszillieren zwischen Notation und Improvisation,<br />
zwischen Ton und Geräusch. Die<br />
Freude am Experiment mit künstlerischen<br />
Disziplinen und musikalischen Stilarten,<br />
Vielseitigkeit und Offenheit sind charakteristisch<br />
für die Arbeit dieses Künstlers: „Ich<br />
neige nicht zur Dogmatik, für mich ist Karl<br />
Poppers Gedanke ‚Lasst Ideologien anstelle<br />
von Menschen sterben’ sehr wichtig, diese<br />
Idee findet in der Kunstwelt viel zu wenig<br />
Beachtung.“<br />
Folglich bleibt Schmidtke nicht nur beim<br />
Jazz. Gemeinsam mit der Künstlerin<br />
Christine Haller erdachte er anlässlich der<br />
Eröffnung des neuen Konzertsaales für die<br />
Wiener Sängerknaben eine Art Gesamt-<br />
kunstwerk: Die Künstlerin errichtete aus<br />
Baumaterialien wie Bauschutt, Metallen<br />
oder Glassplittern ein großes Portal, in welchem<br />
vier Lautsprecherpaare so installiert<br />
waren, dass die Konzertbesucher, während<br />
sie es passierten, zunächst Baustellengeräusche<br />
wie Bohren und Hämmern hörten,<br />
die allmählich rhythmisiert und schließlich<br />
in Klänge transformiert wurden, bis als<br />
Steigerung die Singstimme der in Wuppertal<br />
lebenden farbigen Jazzsängerin Brenda<br />
Boykin hinzutrat. Für diese Klangcollage<br />
hat Schmidtke zum ersten Mal elektronische<br />
Mittel verwendet. Er selbst spielte in<br />
diesem Stück sein zweites Instrument, die<br />
Bassklarinette. Und der zahlreichen Wuppertalern<br />
als Schauspieler in Erinnerung<br />
gebliebene Jörg Reimers hat als begeisterter<br />
Hobbyschreiner beim Aufbau geholfen!<br />
Seit fünf Jahren leitet Schmidtke gemeinsam<br />
mit dem Schlagzeuger Peter Weiss den<br />
„Jazz Pool NRW“. Auch in diesem Projekt<br />
arbeitet der Musiker flexibel und undogmatisch.<br />
Er komponiert und arrangiert Stücke<br />
für jährlich neu zusammengestellte Ensembles<br />
aus wechselnden Partnerländern in<br />
ganz Europa. Damit entspricht er genau der<br />
23
Tradition des Jazz, der von Anfang an ein<br />
Melting Pot aus verschiedenen Nationalitäten<br />
und musikalischen Stilarten gewesen ist.<br />
Nur geht diese Bewegung nicht von Amerika<br />
nach Europa, sondern die erarbeiteten<br />
Projekte werden in verschiedenen Ländern<br />
des Kontinents aufgeführt: „Da reisen wir<br />
weit herum. Wenn die Leute hören, dass<br />
wir aus Wuppertal kommen, treffen wir<br />
sofort auf offene Ohren, weil Wuppertal<br />
international als Stadt des Jazz gilt. Als ich<br />
in Lissabon das Theater Sao Luiz betrat, sah<br />
ich dort als erstes eine Fotografie von Pina<br />
Bausch!“<br />
Bis heute ist Schmidtke dem ehemaligen<br />
Generalintendanten der Wuppertaler<br />
Bühnen, Holk Freytag, verbunden, für den<br />
er seit fünfzehn Jahren Bühnenmusiken<br />
schreibt. Freytag ist Leiter der Festspiele in<br />
Bad Hersfeld. Er hat den Musiker beauftragt,<br />
für die Festspiele in Bad Hersfeld<br />
2013, William Shakespeares „Der Sturm“<br />
als Musical zu vertonen, das Mitte Juni<br />
uraufgeführt werden soll. Die Textfassung<br />
erstellt der ehemalige Theaterdramaturg der<br />
Wuppertaler Bühnen, Gerold Theobald.<br />
Das ist nicht das erste Musical, bereits 2010<br />
hat Schmidtke „Carmen – ein deutsches<br />
Musical“ für die Festspiele in Bad Hersfeld<br />
geschrieben, Judith Kuckart hat dazu den<br />
Text verfasst. Das sind nur einige wenige<br />
Beispiele für das vielfältige Schaffen von<br />
Wolfgang Schmidtke.<br />
Immer wieder ist Wuppertal der Angelpunkt.<br />
Dabei stammt der Musiker aus dem<br />
Sauerland; schon als Kind spielte er Klavier,<br />
Posaune und E-Gitarre. Wie damals üblich<br />
war die Ausbildung klassisch, doch die<br />
jugendliche Begeisterung galt der Rockmusik,<br />
besonders Jimi Hendrix hatte es ihm<br />
angetan. Doch dann kam das Schlüsselerlebnis:<br />
„Ich war 15 Jahre alt, als ich in einer<br />
Radiosendung von Joachim Berendt (Das<br />
Jazzbuch) „My Favorite Things“ von John<br />
Coltrane hörte. Am nächsten Tag bin ich<br />
in ein Musikaliengeschäft gegangen und<br />
habe meine E-Gitarre in ein Alt-Saxophon<br />
umgetauscht.“<br />
Die Eltern hatten nie Zweifel hinsichtlich<br />
der musikalischen Vorlieben des Sohnes.<br />
Dieser verdankt seiner Klavierlehrerin, einer<br />
Kantorin, Entscheidendes, denn sie trug<br />
dem Schüler auf, jede Woche eine neue<br />
oben: Wolfgang Schmidtke mit Gunnar Plümer<br />
unten: mit Channel Crossing<br />
24
Kadenz in einer anderen Tonart zu komponieren.<br />
Wahrscheinlich war damit die Basis<br />
für den späteren Komponisten Wolfgang<br />
Schmidtke gelegt: „Heute ist die sogenannte<br />
Musiktheorie sehr unbeliebt, doch sie ist<br />
unerlässlich zum Verständnis der Architektur<br />
von Musikstücken.“<br />
Wolfgang Schmidtke studierte zunächst in<br />
Münster Musikwissenschaften. Dann lernte<br />
er Axel Jungbluth kennen, der in Boston Jazz<br />
studiert hat und Verfasser der ersten deutschsprachigen<br />
Harmonielehre für Jazz ist. Da<br />
Jungbluth an der Musikhochschule Wuppertal<br />
lehrte, wechselte Schmidtke in diese Stadt:<br />
„Hier lebe ich noch immer sehr gern!“<br />
Für den Komponisten Schmidtke dürften<br />
die von der Klavierlehrerin aufgegebenen<br />
Kadenzen eine wichtige Grundlage gewesen<br />
sein, für den Jazzmusiker war es die Begegnung<br />
mit „My Favorite Things“ von John<br />
Coltrane.<br />
Im Jazz kommt es in erster Linie auf den<br />
ganz persönlichen Ausdruck, die individuelle<br />
Tongebung, oder, wie man es nennt, das<br />
spezielle Feeling des Interpreten an. „Einem<br />
Orchestermusiker ist es vergleichsweise<br />
ziemlich klar, wie ein Ton klingen muss,<br />
das Klangmaterial ist zu 90% durch die<br />
Tradition definiert. Der Jazzmusiker muss<br />
für sich selbst herausfinden: Wie willst du<br />
klingen? Dazu kann man sich z.B. mit dem<br />
Instrument vor eine Wand stellen und einen<br />
bestimmten Ton aushalten, um dessen<br />
klanglichen Schattierungen auszuprobieren.<br />
Große Jazzmusiker wie Louis Armstrong<br />
oder Miles Davis erkennt man nicht an<br />
einer Phrase, sondern daran, wie sie einen<br />
einzigen Ton gestalten. Wenn ich nicht so<br />
klinge, dass man mich von allen anderen<br />
unterscheiden kann, habe ich keine Chance.<br />
In der Improvisation spielt man so, wie<br />
man in diesem Augenblick kann und will,<br />
nur so steigert sich das Niveau.“<br />
Wie kein anderer Stil erlaubt der Jazz dem<br />
Interpreten so eminent viel Freiheit zur Gestaltung<br />
des Klanges, und der ist Wolfgang<br />
Schmidtke am wichtigsten. „Das Instrument<br />
ist gleichsam die Verlängerung der<br />
eigenen Stimme und damit der Seele. Wenn<br />
ich den Wunsch habe, mich durch Töne zu<br />
äußern, dann liefert die eigene Stimme die<br />
höchste Intensität des Ausdrucks. Wenn ich<br />
die nicht in der Stimme habe, kann ich sie<br />
auch nicht auf das Instrument übertragen.<br />
Wolfgang Schmidtke mit Peter Brötzmann<br />
25
So lasse ich meine Schüler Melodien, die<br />
sie nicht verstanden haben, singen, dann<br />
spüren sie, wo sie atmen müssen. Auch wir<br />
Musiker verständigen uns singend – ohne<br />
Singen ist keine Kommunikation möglich.“<br />
Für das Saxophon hat Schmidtke sich<br />
durch John Coltrane erwärmt. „Dieses<br />
Instrument ist besonders obertonreich und<br />
daher hell und laut, es kann sogar aggressiv<br />
klingen. Die Bassklarinette ist dagegen<br />
wunderbar warm.“<br />
Seit dreißig Jahren arbeitet Wolfgang<br />
Schmidtke immer wieder mit dem Sinfonieorchester<br />
zusammen, nicht nur als<br />
Orchestermusiker. Besonders gern erinnert<br />
er sich an die Saisoneröffnung 1999, als<br />
im Rahmen von „Jazz Meets Classic“ das<br />
„Concerto for Jazzband and Orchestra“<br />
von Rolf Liebermann unter der Leitung<br />
von George Hanson aufgeführt wurde, und<br />
Schmidtke und seine Bigband gemeinsam<br />
mit dem Sinfonieorchester der Stadt Wuppertal<br />
musiziert haben.<br />
Seit 1997 leitet Wolfgang Schmidtke<br />
das „Nachtfoyer“: „Als ich jung war, gab<br />
es noch keine Hochschulen, an denen<br />
Jazz gelehrt wurde, sondern man fuhr zu<br />
Workshops. Mein erster Jazz-Workshop<br />
war in Dortmund, geleitet hat ihn Peter<br />
Kowald. Da war ich noch Schüler und lebte<br />
im Sauerland. 1997 haben Peter Kowald<br />
und ich dann beim allerersten „Nachtfoyer“<br />
im Schauspielhaus Wuppertal gespielt –<br />
ausschließlich Stücke von John Coltrane.<br />
Die Grundidee für das „Nachtfoyer“ ist,<br />
Konzerte zu kreieren, die nur an diesem<br />
Abend, an diesem Ort stattfinden.“ Hier<br />
treten bekannte nationale und internationale<br />
Jazz-Musiker auf. Wenn Wolfgang<br />
Schmidtke den Abend gestaltet, komponiert<br />
er für dieses jeweilige Konzert das<br />
gesamte Programm!<br />
Seit 2003 ist Wolfgang Schmidtke Vorsitzender<br />
der Peter Kowald Gesellschaft. „Der<br />
Kontrabassist Peter Kowald hatte die Gabe,<br />
Menschen zu motivieren und zusammenzubringen,<br />
er war ein Künstler, der vorbildhaft<br />
Grenzüberschreitungen gelebt hat, und<br />
deshalb ist die Arbeit im ‚Ort’ so wichtig für<br />
uns alle.“<br />
Der Künstler Tony Cragg hat der Peter<br />
Kowald Gesellschaft für eine Ausstellung<br />
Mappen mit Lithographien „Das Waldzimmer“<br />
zur Verfügung gestellt, deren Erlös<br />
der Gesellschaft zugedacht ist. Auch an<br />
diesem Beispiel zeigt sich, wie bereichernd<br />
im schönsten Sinne die Kunstszene in<br />
Wuppertal ist.<br />
Wenn Ende dieser Spielzeit das Schauspielhaus<br />
endgültig geschlossen werden<br />
wird, gibt es bis zur Eröffnung einer neuen<br />
Spielstätte Überlegungen zu einem anderen<br />
Spielort für das beliebte „Nachtfoyer“. Der<br />
Künstler bleibt positiv „trotz des enormen<br />
Kulturverlustes durch den Tod von Pina<br />
Bausch und das Debakel um die Schließung<br />
des Schauspielhauses.“ Kaum jemand<br />
könnte besser beurteilen als er, wie stark<br />
und wie vernetzt die Kulturszene dieser<br />
Stadt inzwischen ist, „zumal sich hier,<br />
obgleich oder gerade weil geographisch zwischen<br />
Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen<br />
isoliert, ein sehr eigenständiger kreativer<br />
Geist entwickelt. Das sollte man nicht nur<br />
im Ausland zur Kenntnis nehmen“, meint<br />
Wolfgang Schmidtke.<br />
„Im Jazz muss man sich selbst finden“, doch<br />
gerade in der Freiheit, deren musikalischer<br />
Ausdruck der Jazz ist, kann man auch den<br />
anderen finden.<br />
Marlene Baum<br />
Fotos:<br />
Karl-Heinz Krauskopf<br />
Auftritt mit:<br />
Bert Fastenrath, Harald Eller und Peter Weiss<br />
26
Wolfgang Schmidtke<br />
(* 24. Dezember 1956 in Lüdenscheid)<br />
Schmidtke erhielt ersten musikalischen<br />
Unterricht am Piano, mit 16 Jahren kam das<br />
Saxophon dazu. Nach dem Abitur studierte er<br />
zunächst Musikwissenschaft an der Westfälischen<br />
Wilhelms-Universität in Münster; er<br />
wechselte dann an die Hochschule für Musik<br />
Köln, Standort Wuppertal, wo er Saxophon<br />
studierte.<br />
Zunächst spielte er in einem Improvisationsensemble<br />
um Harald Bojé; dann wirkte<br />
er in der Fusionjazz-Band „Das Pferd“, die<br />
unter anderem mit Harry Beckett, Marilyn<br />
Mazur, Chris McGregor sowie Peter Kowald<br />
zusammenarbeitete, und unternahm Tourneen<br />
mit Ginger Baker, Randy Brecker, Horace<br />
Parlan, John Lindberg und Bobby McFerrin,<br />
aber auch mit Georg Danzer, Lydie Auvray,<br />
Karlheinz Stockhausen und sinfonischen<br />
Orchestern. 1998 gründete er das „Wolfgang<br />
Schmidtke Orchestra“, das unter anderem mit<br />
Markus Stockhausen, Lee Konitz, Steve Lacy<br />
und Alexander von Schlippenbach arbeitete.<br />
Weiterhin spielt er im Projekt „African Sketchbook“<br />
(unter anderem mit Arkady Shilkloper).<br />
Als Komponist und Produzent wirkte er an<br />
fünf CDs des Essener Sängers Tom Mega mit.<br />
Für den WDR organisierte Schmidtke eine<br />
Reihe von Produktionen, deren übergeordnetes<br />
Konzept die Verbindung von Genres<br />
und Stilistiken ist, die normalerweise nicht<br />
kombiniert und zusammen präsentiert<br />
werden: Beispielsweise die Gegenüberstellung<br />
eines gemischten Chores mit einem Bläserensemble<br />
und einem Perkussionisten im Rahmen<br />
des Rheinischen Musikfestes 1989 oder die<br />
Produktion „Tango Westfalica“, eine Verbindung<br />
von mittelalterlichen Musiken mit der<br />
Welt des Tango, an der Hans Reichel, Stephan<br />
Meinberg, Achim Fink und Christian Thome<br />
mitwirkten (2005). 2008 komponierte er ein<br />
dreisätziges Septett für Klavier und Streicher,<br />
dessen Klavierpart von Simon Nabatov bestritten<br />
wurde. 2010 schrieb er die Musik zu<br />
„Carmen - ein deutsches Musical“.<br />
Schmidtke unterrichtete Saxophon und<br />
Jazzimprovisation am Fachbereich Wuppertal<br />
der Musikhochschule Köln. Seit 2002 ist er<br />
künstlerischer Leiter des Wuppertal Musikfests<br />
„Die 3. ART“ und des „Nachtfoyers“, des musikalischen<br />
Nachtprogramms der Wuppertaler<br />
Bühnen. Weiterhin ist er der Vorsitzende der<br />
Peter Kowald Gesellschaft.<br />
27
Die Künstlergruppe 6PACK<br />
startete im März 2012 ihr<br />
aktuelles Projekt MOVING ART<br />
BOX und lud Künstler in ganz<br />
Europa ein, auf die allein reisende<br />
Kunstkiste zu reagieren.<br />
Nach über einem Jahr kehrt nun<br />
die 1 m³ Kunstkiste an ihren<br />
Ursprungsort Wuppertal<br />
zurück.<br />
Projekt Moving Art Box<br />
Gestartet in Wuppertal mit 17 Künstlern<br />
aus den Sparten Bildende Kunst, Musik,<br />
Film und Tanz ging die Reise über<br />
Sunderland /GB, Bedburg-Hau/D,<br />
Amsterdam/NL, Otterlo/NL, Antwerpen/B,<br />
Gießen/D, Cala Figuera,<br />
Mallorca/E und Wroclaw/PL.<br />
Erlaubt und gewünscht war, in vielfältiger<br />
Weise auf die Kunstkiste und deren Inhalt<br />
zu reagieren. Allen beteiligten Künstlern<br />
ging es um die Idee des gemeinschaftlichen<br />
künstlerischen Agierens und Kommunizierens,<br />
der Auseinandersetzung über künstlerische<br />
Prozesse, Impulse aufzunehmen,<br />
neue weiterzugeben, zu experimentieren.<br />
Die Abschlusspräsentation vom 26.<br />
April bis 12. Mai 2013 im Neuen<br />
Kunstverein Wuppertal führt nun<br />
erstmalig die beteiligten Künstler und<br />
die Kunstkiste zusammen, dazu reisen<br />
über zwanzig europäische Künstler aus<br />
ihren Heimatländern an. Mit einem<br />
umfangreichen Programm wird ein<br />
Querschnitt der unterschiedlichen<br />
Beiträge vorgestellt und Möglichkeiten<br />
und Grenzen der gemeinsamen<br />
(Weiter)Entwicklung künstlerischer<br />
Strategien befragt.<br />
28
linke Seite:<br />
Studenten der Justus-Liebig-Universität<br />
Gießen arbeiten zur Kunstkiste mit fotografischen<br />
Mitteln (Foto: Marcus Recht)<br />
unten:<br />
Moving art box – die Kunstkiste in<br />
Künstlerhand<br />
(Foto: Michael Odenwaeller)<br />
Neben skurrilen, witzigen Vorgehensweisen,<br />
fantasievollen Aktionen, provokativen<br />
Eingriffen, fotografischen Experimenten,<br />
Film- und Soundprojekten,<br />
gibt es auch die leisen, intensiven Töne,<br />
überraschende neue Arbeiten, die erst<br />
durch die Ankunft der Kunstkiste<br />
angeregt und nun in Wuppertal erstmals<br />
vorgestellt werden.<br />
MOVING ART BOX war eine Herausforderung,<br />
der sich die über 80 beteiligten<br />
Künstlerinnen und Künstler mit Mut<br />
und Freude gestellt haben. MOVING<br />
ART BOX hat im wahrsten Sinne viel<br />
bewegt. Auf der projekteigenen Website<br />
können umfangreiche Informationen zu<br />
dem bisherigen Verlauf der Reise und<br />
zu den beteiligten Künstlern eingesehen<br />
werden.<br />
www.movingartbox.de<br />
29
linke Seite:<br />
In seinem Atelier in Antwerpen baute der<br />
Künstler Mark Swysen eine Installation als<br />
Antwort auf die Kunstkiste<br />
(Foto: Mark Swysen)<br />
unten links:<br />
Moving art box in Amsterdam – kleed<br />
(Foto: Guda Koster)<br />
rechts oben:<br />
Moving Art Box – die Kunstkiste in England<br />
(Foto: Jörg Lange).<br />
rechts unten:<br />
Moving art box – Zwischenstopp (Foto:<br />
Michael Odenwaeller).<br />
Eröffnung Freitag 26. April 2013, 19 Uhr<br />
Neuer Kunstverein Wuppertal,<br />
Hofaue 51, 42103 Wuppertal<br />
Öffnungszeiten:<br />
Mi – Fr 17 – 20 Uhr, Sa – So 15 – 18 Uhr<br />
www.neuer-kunstverein-wuppertal.de<br />
Es gibt im öffentlichen Stadtraum Kunstaktionen<br />
von den Künstlern (aktuelle<br />
Ankündigung beachten).<br />
Großzügig gefördert wurde dieses Projekt<br />
von der Sparkassen-Stiftung der Rheinlande,<br />
der Jackstädt-Stiftung, der Stadtsparkasse<br />
Wuppertal, dem Kulturbüro der<br />
Stadt Wuppertal, von Karoline Becker,<br />
i.i.d.open. In Zusammenarbeit mit dem<br />
Internationalen Begegnungszentrum<br />
Caritasverband Wuppertal/Solingen e.V.,<br />
Freundschaftsverein Liegnitz/Legnica e.V.<br />
Verantwortliche Künstler:<br />
Wuppertal Künstlergruppe 6PACK,<br />
Regina Friedrich-Körner, Renate Löbbecke<br />
u. a.) – Sunderland Lothar Götz,<br />
James Hutchinson – Bedburg-Hau Claus<br />
van Bebber, Marijke Schlebusch<br />
Amsterdam Guda Koster – Otterlo<br />
Marian Mijnhardt – Antwerpen Mark<br />
Swysen – Gießen Carl-Peter Buschkühle,<br />
Marcus Recht – Cala Figuera Peter Marquant,<br />
Josefina Pino – Wroclaw Dagmara<br />
Angier-Sroka, Bartlomeij Sroka<br />
Kontakt: Regina Friedrich-Körner<br />
0202 4698160 und Renate Löbbecke<br />
0202 86038<br />
31
Historische Parkanlage Hardt<br />
Immer wieder neu<br />
Die Hardt ist eine der bekanntesten Parkanlagen<br />
in Wuppertal, die viel Platz für<br />
unterschiedliche Aktivitäten bietet. Beinahe<br />
alle suchen sie gern auf: Junge wie Alte,<br />
Botaniker und Blumengucker, Promenierende<br />
und Jogger, Hundeausführer und Wiesenbelagerer,<br />
Cafébesucher und Musikfans,<br />
Bergbesteiger und Busbenutzer.<br />
Neue Hardt:<br />
Liegewiesen auf dem Rücken des Berges<br />
32
Als große Grünfläche inmitten der Stadt<br />
steht die Hardt unter Landschaftsschutz,<br />
die Hardthöhlen stehen unter Naturschutz.<br />
Wegen ihrer historischen Bedeutsamkeit<br />
ist die Anlage außerdem als Baudenkmal<br />
geschützt, übrigens bislang als einziger Park<br />
Wuppertals. Die 54 ha große Anlage birgt<br />
beachtlichen gartenkünstlerischen und<br />
stadthistorischen Reichtum. Immer wieder<br />
wurde der Park erweitert, aktuellen Bedürfnissen<br />
angepasst und hat neue gestalterische<br />
Impulse erfahren.<br />
Schon der erste Blick in die Geschichte<br />
des Parks zeigt, dass das Neue hier so einige<br />
Vorgänger hat. Abgekürzt lautet die Bilanz<br />
der Geschichte: Alte Hardt, Alte neue Hardt,<br />
Neue Hardt und Neuer Garten auf der<br />
Hardt. Hinter der prosaischen Namensgebung<br />
verbergen sich große räumliche,<br />
stilistische und soziale Veränderungen.<br />
Bemerkenswert neu war einmal die<br />
Anlage eines Parks auf dem Gelände, das<br />
Anfang des 19. Jhs. in einem Zustand war,<br />
den man heute als Brache bezeichnet. Die<br />
Wertigkeit des Ortes befand sich damals auf<br />
dem Tiefpunkt. Der einstige Bergwald, den<br />
der Name „Hardt“ bezeichnet, war abgeholzt.<br />
Eine kahle Öde außerhalb der Stadt<br />
war geblieben, schlecht genug für Schindanger<br />
und Ziegenweide. Übrig war der Fels,<br />
den die Bürger in mehreren Steinbrüchen<br />
abbauten. Um 1800 handelte es sich bei der<br />
Hardt also um ein wüstes Gelände ohne<br />
positives Image.<br />
Dann kam die erste Runde der Erneuerung:<br />
Der Wundarzt Johann Anton Stephan<br />
Diemel stellt 1807 im Stadtrat den Antrag,<br />
gerade hier eine Promenade anzulegen. Der<br />
Magistrat stimmt zu, und Diemel sammelt<br />
erfolgreich Geld. Während es andernorts<br />
die Fürsten waren, die den Bürgern Zutritt<br />
zu ihren Gärten gewährten, schafften sich<br />
die Elberfelder aus eigener Kraft einen<br />
Park. Die wenigen Vermögenden jener<br />
Zeit waren offenbar trotz hereinbrechender<br />
Kontinentalsperre willig, einen Bürgerpark<br />
zu finanzieren. Schon wenige Jahre später<br />
berichtet ein Reisender: „Aber man hat dort<br />
kunstvoll, und ich sage durchaus auch mit<br />
Geschmack, mehrere Rundwege angelegt,<br />
damit sich hier an den Sonntagen jene<br />
zahlreichen Grüppchen von ehrbaren und<br />
arbeitsamen Familien treffen können, die<br />
herkommen, um den Anblick des von ihnen<br />
selbst geschaffenen Werkes zu genießen, um<br />
ihren Kindern die Häuser, die Gärten, die<br />
33
Rasenplätze, die Werkstätten, die Fabriken<br />
und Geschäftshäuser dieses gewerbetreibenden<br />
Volkes zu zeigen, das auf eigne<br />
Rechnung arbeitet und das eines Tages von<br />
seinen Kindern wiederum Sorgfalt, Umsicht<br />
und vorbildhaftes Verhalten verlangen wird.“<br />
(Sokolnicki 1810)<br />
Was Diemel tat, nennen wir heute<br />
bürgerschaftliches Engagement. Im 19. Jh.<br />
wurde es eine Stärke Wuppertals und lief<br />
„im Grünen“ zu Höchstform auf. Bevor<br />
staatliche oder kommunale Wohlfahrtseinrichtungen<br />
existierten, erfanden Elberfelder<br />
Bürger so Einiges, das wir inzwischen als<br />
öffentliche Aufgabe zu betrachten gewohnt<br />
sind. Der Begriff Frühindustrialisierung<br />
deutet in Kürze den Hintergrund dafür an.<br />
Bei der vergleichsweise frühen Entstehung<br />
industrieller Strukturen sammelte sich im<br />
Tal erheblicher Reichtum und zugleich<br />
überdurchschnittlich große Armut. So wuchs<br />
auf der einen Seite die Notwendigkeit von<br />
Fürsorge für diejenigen, auf deren Schultern<br />
der Wohlstand der anderen lastete. Auf der<br />
anderen Seite drängte das Bürgertum nach<br />
Darstellung seiner Potenz, die politisch noch<br />
hinter der tradierten Stellung des Adels zurückstand.<br />
Sozialistische Ideen waren kaum<br />
im Spiel, als die führende Klasse öffentliches<br />
Grün für jedermann einführte und auf<br />
eigene Kosten finanzierte.<br />
Um es zusammenzufassen: Neu in der<br />
ersten Phase der Hardt ist die Schaffung<br />
einer öffentlichen Parkanlage und das<br />
bürgerschaftliche Engagement, dem sie<br />
sich verdankt. Der Anlagenteil, der damals<br />
entstand, erhielt in der nächsten Phase den<br />
Namen Alte Hardt.<br />
Die zweite Runde der Erneuerung<br />
vergrößerte das Parkgelände nämlich um die<br />
„Neue Hardt“. Auch sie fußte wesentlich<br />
auf bürgerschaftlichem Engagement, doch<br />
nun war es bereits organisiert: Initiative<br />
und Geld brachten der Elberfelder Verschönerungsverein<br />
und der eigens gegründete<br />
Hardtverein mit. Es waren reiche Vereine,<br />
in denen demokratische Gepflogenheiten so<br />
selbstverständlich waren, wie die Tatsache,<br />
dass Fabrikanten und Bankiers den Ton angaben.<br />
Vorreiter im Tal war 1863 der Barmer<br />
Verschönerungsverein gewesen.<br />
Die Elberfelder holten 1870 auf und<br />
gründeten ebenfalls einen Verschönerungsverein,<br />
der mit Entschlossenheit die<br />
Höhenzüge um die Stadt als Freiraum<br />
sicherte und begrünte. Im Tal explodierte<br />
Elisenturm<br />
Elisenhöhe - Villa Eller mit Kriegsschäden<br />
Alte neue Hardt - Heinrich Siesmayers gestaltete das schwierige Gelände<br />
34
Elisenturm - Ausblick<br />
Botanischer Garten<br />
Neuer Garten auf der Hardt - Neue Mitte der Parkanlage<br />
die Bevölkerung - sie verzehnfachte sich seit<br />
1800 fast -, die hygienischen Verhältnisse<br />
waren katastrophal. Die Betuchteren zogen<br />
an den Stadtrand, wo Neubauviertel bessere<br />
Luft und grünes Ambiente versprachen.<br />
Auch dem Proletariat wurde - bei anständigem<br />
Benehmen - wochenendliche Erholung<br />
in der Natur inklusive „Luftkur“ angeboten.<br />
Die in kürzester Zeit in Angriff genommenen<br />
Wald- und Parkanlagen sind von einem<br />
Umfang, der deutschlandweit einmalig sein<br />
dürfte. Selbstverständlich engagierte sich der<br />
Elberfelder Verschönerungsverein auch auf<br />
der Hardt. In gemeinsamer Anstrengung mit<br />
dem Hardtverein und der Stadt Elberfeld<br />
wurde die Größe der Parkanlage vervielfacht.<br />
Mit der Gestaltung der „Neuen Hardt“<br />
beauftragte man einen der meist beschäftigten<br />
Gartenarchitekten dieser Zeit, den<br />
bekannten Heinrich Siesmayer. Er schaffte<br />
einen Landschaftsgarten, der weite Wiesen,<br />
geschwungene Wege und frei wachsende<br />
Bäume meisterlich in das topografisch komplizierte<br />
Terrain hineinkomponierte. Der<br />
Stil der Zeit verlangte allerdings mehr: Zum<br />
historistischen Landschaftsgarten gehören<br />
neben den unregelmäßigen oder englischen<br />
Anlagen auch solche, die regelmäßig<br />
gestaltet sind und an den französischen Stil<br />
des Barockgartens anknüpfen. Ort dieser<br />
Gestaltung auf der Hardt war das „Bergische<br />
Haus“, das den einfachen Biergarten mit<br />
Ansprüchen der vornehmen Gesellschaft<br />
verband. Es bildete das Zentrum der Parkanlage<br />
und darf getrost mit dem adeligen<br />
Schloss verglichen werden. - Bürgerliche<br />
Selbstdarstellung lehnte sich noch immer an<br />
adelige Repräsentationsformen an. - Siesmayer<br />
positionierte das „Bergische Haus“ am<br />
Hang mit Blick über Elberfeld. Üppig, reich<br />
ornamentiert und bunt muss man sich die so<br />
genannten „Teppichbeete“ vorstellen, die es<br />
umgaben. Die Wirkung des Baus erhöhten<br />
drei vorgelagerte Terrassen, die durch<br />
Treppen und Kutschenvorfahrt verbunden<br />
waren.<br />
Neu in der zweiten Phase der Hardt war<br />
die Tätigkeit der Verschönerungsvereine<br />
mit ihrer großflächigen Sicherung der noch<br />
unbebauten Hangflächen, die man bald als<br />
„grünen Kranz“ um das Tal bezeichnete. Die<br />
Verschönerungsvereine bereiteten die grünen<br />
Aufgaben vor, die um die Jahrhundertwende<br />
die kommunale Verwaltung übernahm.<br />
In der dritten Runde der Erneuerung<br />
legte Stadtgärtner Thomas Ruprecht auf<br />
35
Nachbargrundstücken einen Schulgarten<br />
und die Stadtgärtnerei an. Die Ulmen<br />
gesäumte Reichsallee führte nun vom Park<br />
nach Barmen. Auf der Grenze beider Städte<br />
entstand 1907 der Bismarckturm, mit dem<br />
der Denkmalskult in seinen nationalistischen<br />
Zenit trat. Erstmals fanden Spielplätze in den<br />
Parkplänen Berücksichtigung. Julie Eller-<br />
Vogdt stiftete auf einem ihrer angrenzenden<br />
Grundstücke das Bürger-Krankenhaus, auf<br />
einem anderen gründete sich der private<br />
„Hardt Tennis-Club“. Wenig später zog im<br />
ehemaligen Privatgarten Eller der zum Botanischen<br />
Garten qualifizierte Schulgarten ein.<br />
Neu in der dritten Phase der Hardt war<br />
die Differenzierung der Nutzung. Nicht<br />
mehr nur Sehen und Gesehen werden, Promenieren<br />
und Aussicht genießen, bildeten<br />
die Aufgaben der Grünanlage. Hinzu trat<br />
eine ganze Palette von Funktionen: Belehrung<br />
und Gartenbau, Verkehr und politische<br />
Symbolik, Gesundheit, Spiel und Sport. Neu<br />
war auch der Übergang planerischer und gestalterischer<br />
Aufgaben an einen Stadtgärtner,<br />
der sich später Gartenbaudirektor nannte.<br />
Die vierte Runde der Erneuerung brachte<br />
wieder eine „Neue Hardt“. Nach Beseitigung<br />
der großen Schäden aus dem 2. Weltkrieg<br />
folgte die Einbeziehung des Höhenrückens<br />
in die Parkanlage. Die Hardt reichte nun<br />
bis zum Bismarckturm und schloss damit<br />
an den Hardtbusch, einen Waldrest am<br />
Unterbarmer Südhang, an. Rechts und links<br />
der Reichallee entstanden Liegewiesen mit<br />
wunderbaren Ausblicken zu beiden Seiten.<br />
Auf dem Gelände des früheren Schulgartens<br />
wurde der Rosengarten angelegt, der die<br />
Verbindung zwischen der Neuen Hardt und<br />
der Alten neuen Hardt herstellte.<br />
Neu in der vierten Phase der Hardt war<br />
der Verlust des gesellschaftlichen Zentrums<br />
durch die Kriegszerstörung des „Bergischen<br />
Hauses“, auf dessen Wiederbau verzichtet<br />
wurde. Ebenso musste die Hardt jetzt ohne<br />
bürgerschaftliches Engagement auskommen.<br />
Hardtverein und Elberfelder Verschönerungsverein<br />
waren durch die nationalsozialistische<br />
Gleichschaltung zerfallen und lösten<br />
sich nun auf. Die Stadtverwaltung schien sie<br />
entbehrlich gemacht zu haben. Neu war aber<br />
auch die Eroberung des Rasens, der seither<br />
betreten, belagert und bespielt wird.<br />
Der „Neue Garten auf der Hardt“ bildet<br />
die fünfte Phase der Erneuerung. Mit ihm<br />
schaffte die Regionale 2006 ein neues Raumgefühl<br />
in der Mitte und für die Mitte des<br />
Parks. Sie war seit der Nachkriegserweiterung<br />
Richtung Barmen durch die Stadtgärtnerei<br />
mehr oder weniger blockiert gewesen. Nun<br />
öffnete sich der Kern der Grünfläche und<br />
verbindet seither die Anlagenteile miteinander.<br />
An dieser Stelle sind die Glashäuser<br />
entstanden und übernehmen ein Stück weit<br />
die Aufgabe des verlorenen Gesellschaftshauses.<br />
Der neue Garten gibt dem Park ein<br />
neues Zentrum. Diese Aufgabe kann das<br />
Gebäude nicht durch Pflanzenzucht allein<br />
ausfüllen, das große Glashaus ist vielmehr für<br />
den Besuch der Öffentlichkeit gedacht und<br />
für Veranstaltungen konzipiert. Die ebenfalls<br />
erneuerte Gastronomie liegt zwar nicht im<br />
gleichen Gebäude, aber in unmittelbarer<br />
Nachbarschaft. Die Elisenhöhe ist also das<br />
neue Zentrum der Parkanlage Hardt.<br />
Die Geschichte brachte der Hardt viele<br />
Neuigkeiten, nur die Bezeichnung „neu“,<br />
die ist richtig alt. Künftige Neuerungen<br />
sollten die wertvolle alte Substanz stärken<br />
und besser zur Geltung bringen. Hier gibt<br />
es einige Schätze zu heben, die in Vergessenheit<br />
geraten sind: manches Denkmal<br />
sollte wiederhergestellt, die noch immer<br />
kriegsbeschädigte Villa Eller in Stand gesetzt<br />
werden. Fantastische Ausblicke können<br />
hinzugewonnen, die romantische Konzeption<br />
der Alten Hardt wieder herausgearbeitet<br />
werden. Schließlich fordert der Umzug der<br />
Justizvollzugsschule die Neustrukturierung<br />
der freiwerdenden Fläche.<br />
Die Aufnahme der Parkanlage Hardt in<br />
die Route der Gartenkultur im Rheinland<br />
war ein erster Schritt, einen der ältesten Bürgerparks<br />
in Deutschland auch überregional<br />
stärker ins Bewusstsein zu bringen. Neuerdings<br />
hat die Hardt sogar übernationale Anerkennung<br />
im Europäischen Gartennetzwerk<br />
gefunden. Man darf daher mit steigender,<br />
auch touristischer Bedeutung des Grüns in<br />
Wuppertal rechnen.<br />
In diesem Jahr rückt die Veranstaltung<br />
„Gartenkunst in Wuppertal - Heinrich<br />
Siesmayers Gärten“ eine Epoche der Hardt<br />
in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Sommer<br />
wird die Ausstellung „Heinrich Siesmayer.<br />
Gartenkünstler der Gründerzeit“ im<br />
Glashaus zu sehen sein, begleitet von einem<br />
umfangreichen Programm, in dem auch der<br />
Zoo eine wichtige Rolle spielt.<br />
Antonia Dinnebier<br />
Denkmal als Aussichtsturm - Bismarckturm<br />
Alte Hardt - Felsenkante des ehemaligen<br />
Steinbruchs mit Gärtnerhaus<br />
Hardtstein – 50 Jahre Hardtverein 1880-<br />
1930<br />
36
Karl Otto Mühls späte<br />
Prosa und Gedichte<br />
Vortrag im Februar 2013 im Rahmen des<br />
Symposiums an der Bergi schen Universität<br />
zum Werk von Karl Otto Mühl anlässlich<br />
seines Neunzigsten Geburtstages<br />
Torsten Krug, Foto: Mariann Menke<br />
Das Schlupfloch zur Freiheit<br />
Als ich vor einigen Jahren zusammen mit<br />
einem Freund einen kleinen Musik-Clip<br />
für die Oper Gelsenkirchen drehte, war ich<br />
auf der Suche nach einem möglichst alten<br />
Mann. Dieser sollte als Protagonist dieses<br />
Musik-Clips zunächst in ganz alltäglichen<br />
Situationen gefilmt, sodann mittels einer<br />
Arie aus Manon Lescaut an eine ferne<br />
Vergangenheit erinnert werden. Kapazitäten<br />
dieser Stadt verwiesen mich für diese<br />
Aufgabe an Karl Otto Mühl, dessen knorriger<br />
Bass mir schon am Telefon sympathisch<br />
war, und der sofort zusagte. Wir könnten<br />
den ganzen Tag filmen. Als wir in der<br />
vereinbarten Wohnung ankamen - seine<br />
Schreibwohnung oder sein „Büro“, wie er<br />
sie gerne nennt - waren wir vollkommen<br />
verblüfft: kein Locationscout hätte eine<br />
solche Wohnung finden, kein Bühnenbildner<br />
sie so perfekt nachbauen können, wir<br />
traten in eine Wohnung, welche nahezu<br />
komplett in den Siebziger Jahren stehengeblieben<br />
war. Sie bot das perfekte Umfeld<br />
für unsere kleine Geschichte: Ein Mann<br />
bleibt nach einer großen Liebe in jungen<br />
Jahren allein zurück und lebt ein langes<br />
Leben lang weiter, doch er bleibt immer an<br />
diese eine große Liebe und die Erinnerungen<br />
daran gebunden. Jetzt, beim Erarbeiten<br />
dieses Vortrages, musste ich erneut an diese<br />
Konstellation denken.<br />
Wir filmten Karl Otto Mühl also beim<br />
Griff in eine Keksdose, beim Tippen am<br />
Computer, beim Blick aus dem Fenster,<br />
beim Wandeln durch diese wie aus der Zeit<br />
gefallenen Räume. Ich traf auf einen Mann,<br />
der versonnen vor sich hin brummte, sobald<br />
- wie beim Drehen üblich - kleinere Pausen<br />
entstanden, zwischendurch zeigte er mir Fotos<br />
an den Wänden seines Schreibzimmers<br />
- Tankred Dorst, Hanna Jordan, und viele<br />
andere, von denen ich nur die Namen kannte,<br />
und - ich stutzte - Bilder seiner Töchter,<br />
alle drei deutlich jünger als ich. Einmal, als<br />
wir ihn schlafend im Bett filmten, schlief er<br />
tatsächlich ein, wachte im entscheidenden<br />
Moment erfrischt wieder auf und bot uns<br />
erneut Nüsse und Äpfel an. Schließlich<br />
filmten wir ihn vor dem Badezimmerspiegel<br />
beim Hören der Puccini-Arie. Große Nahaufnahmen<br />
seines Gesichtes, einer Erinnerungslandschaft<br />
gleich.<br />
Dies alles ließ dieser Mann mit einer<br />
Seelenruhe geschehen, hatte zwischendurch<br />
offensichtlich Freude und Interesse an<br />
uns Jungen, stellte immer wieder Fragen<br />
37
nach unserem Leben, unseren Arbeitsmöglichkeiten<br />
als Künstler, unseren Familien.<br />
Während der zwei Tage, die wir mit<br />
ihm und bei ihm drehten, entstand eine<br />
gemeinsame, bisweilen beinahe tranceartige<br />
Ruhe, und wir vergaßen die Zeit. Seither<br />
sind wir Freunde.<br />
Ich habe diese etwas launige Anekdote zum<br />
Einstieg erzählt, weil ich merke, dass diese<br />
erste Begegnung mit Karl Otto Mühl für<br />
mich beinahe alles enthält, was ich wenig<br />
später in seinen Texten und vor allem<br />
in seiner neuesten Prosa so ausgeprägt<br />
wiedergefunden habe. Seither habe ich drei<br />
seiner Veröffentlichungen lektorieren und<br />
z.T. gestalten können und durfte so sein<br />
Schreiben der letzten Jahre begleiten.<br />
2001 überrascht Karl Otto Mühl, der<br />
„stille Beobachter“ und „sanftbissige<br />
Chronist des Angestelltenlebens“, wie ihn<br />
Jörg Aufenanger in seinem Vorwort nennt,<br />
mit der Veröffentlichung einer Sammlung<br />
von Gedichten, welche Ende der neunziger<br />
Jahre entstanden sind. Obwohl Mühl<br />
schon als Jugendlicher Gedichte schreibt,<br />
mag man diese Veröffentlichung mit dem<br />
Titel „Inmitten der Rätsel“ bemerkenswert<br />
finden. Ein lyrisches Ich meldet sich<br />
da, welches deutlicher, intimer, zugleich<br />
rätselhafter von sich selbst erzählen<br />
möchte, ja: sich selbst erlebbar machen<br />
möchte. Streng genommen, so bemerkt<br />
auch Aufenanger, war es schon immer da,<br />
dieses Ich: Fast alle seine Romane - mit<br />
Ausnahme vielleicht von „Fernlicht“,<br />
seinem einzigen Ausflug in den Bereich<br />
des Jugendbuches - folgen der erlebten<br />
Wirklichkeit des Kriegsheimkehrers<br />
Mühl (in „Siebenschläfer“), des leitenden<br />
Angestellten (in „Trumpeners Irrtum“<br />
und in „Hungrige Könige“), der eigenen<br />
Kindheit und Jugend im Dritten Reich (in<br />
„Nackte Hunde“), der Auseinandersetzung<br />
mit der eigenen Vergangenheit (in „Die<br />
alten Soldaten“). Immer geht es um dieses<br />
Ich, das sich selbst reflektiert, auch und<br />
gerade in der Beobachtung und Analyse<br />
der anderen. Dennoch scheint hier, mit<br />
der ersten größeren Veröffentlichung von<br />
Gedichten, ein neuer Raum eröffnet. Ein<br />
neuer Ton klingt an, welcher sich 2008 -<br />
nach den beiden späten Romanen „Hungrige<br />
Könige“ und „Nackte Hunde“ (beide<br />
2005) - in einem weiteren Gedichtband<br />
mit dem Titel „Lass uns nie erwachen“<br />
fortsetzt. Mühls späte Prosa, die Bände<br />
„Stehcafé“ von 2010 und „Die Erfindung<br />
des Augenblicks“ von 2012 (und in gewisser<br />
Weise auch seine mittlerweile zwei<br />
Aphorismenbände), knüpfen an dieser<br />
Entwicklung an. In dieser Prosa sind die<br />
lyrische Gestimmtheit und das selbstreflexive<br />
Ich nunmehr ständig präsent, ist das<br />
Alter Ego, welches jetzt durchweg „Ich“<br />
sagt, kaum oder gar nicht vom Autor<br />
Mühl zu unterscheiden.<br />
Seit etlichen Jahren kann man Karl<br />
Otto Mühl morgens gegen halb neun in<br />
einem winzigen Stehcafé im Domagkweg<br />
in Wuppertal antreffen. Kein Wiener<br />
Kaffeehaus, nicht einmal eine wirkliche<br />
Sitzgelegenheit gibt es, lediglich ein Dreieckstisch<br />
in der Ecke bietet einen gewissen<br />
Halt in dem kleinen Raum; vor der Theke<br />
mit Backwaren findet sich ein schmaler<br />
Schlauch mit einigen Stehplätzen. Hier<br />
gehen sie ein und aus, die Anwohner der<br />
Gegend rund um den Mirker Hain, Handwerker<br />
kommen für ihre Pause vorbei,<br />
Hundebesitzer, junge Frauen, die im nahen<br />
Wald ihre Runden laufen, „Geschiedene“,<br />
so Mühl, „Getrennte, Einsame, Singles,<br />
Verwitwete, Analphabeten, gefügige<br />
Lehrlinge mit ihren Meistern, Gärtner,<br />
ein Kraftfahrer, der über seine sechs<br />
unehelichen Kinder berichtet“ - und eben<br />
auch, angelockt durch Karl Otto Mühl,<br />
Schriftstellerkolleginnen und -kollegen,<br />
emeritierte Professoren, Politikerwitwen,<br />
Künstler oder Lehrer. Es ist ein perfekter<br />
Ort für den Autor Karl Otto Mühl, ein<br />
Menschenpark, ein Umschlagplatz für<br />
kleine und große Schicksale, für Informationen,<br />
Gerüchte, Halbwissen und scheinbar<br />
Unbedeutendes. Jedes Gesicht, jede fremde<br />
Erscheinung läßt Schicksale erahnen oder<br />
erfinden. Hier findet Mühl, was er sucht<br />
und braucht, entfaltet sich seine Gabe zur<br />
genauen Beobachtung und befriedigt sich<br />
seine Neugier. Alles kann hier zum Anlaß<br />
werden für eine philosophische Reflexion,<br />
eine Einsicht, eine Erkenntnis oder auch:<br />
eine persönliche Erinnerung. Ganz nahe<br />
an diesem Stehcafé, das einfacher und<br />
bescheidener nicht sein könnte, liegt der<br />
Wald des Mirker Hain, der mindestens<br />
ebenso bedeutend für das Szenario dieser<br />
späten Prosa ist. Die Natur spricht auch,<br />
wenn die Menschen schweigen, und bildet<br />
eine „Sinfonie lautloser Ereignisse“, wie es<br />
in dem kurzen Text „Donnerstagmorgen<br />
mit einem Zufriedenen“ heißt:<br />
„Wieder ein regennasser Morgen. Andere<br />
Läufer und Geher scheinen heute wenig Lust<br />
zu haben. Die Waldwege sind menschenleer;<br />
bis zum Ende der Strecke, von wo sich<br />
die bunten Gestalten sonst, langsam größer<br />
werdend, nähern, ist niemand zu sehen.<br />
Dafür spricht der Wald umso mächtiger und<br />
deutlicher zu mir, fast scheint es, als richteten<br />
sich die Bäume jäh vor mir auf und lächelten<br />
dann gutmütig, weil sie mich erschreckt<br />
haben. Die Luft ist feuchtkalt. Es ist ja Herbst<br />
mit einer Prise Winter darin. Rechts am Wegrand<br />
liegt ein großer Stapel dicker, gefällter<br />
Stämme, krumme und gerade übereinander<br />
getürmt. Die hellbraunen Schnittflächen<br />
leuchten, die gestürzten Riesen türmen sich<br />
wie gigantische Muskelpakete, noch immer<br />
bersten sie vor Kraft. Ich weiß nicht, wo ich in<br />
dieser Sinfonie der lautlosen Ereignisse zuerst<br />
hinschauen soll.“ (aus: Stehcafé)<br />
Durch dieses Szenario - das Stehcafé als<br />
Sinnbild einer Gesellschaft, umgeben<br />
von der belebten Natur - mäandert das<br />
Alter Ego dieser späten Prosa. Man kann<br />
sie kaum Geschichten oder Erzählungen<br />
nennen, eher Reflexionen, Beobachtungen,<br />
Miniaturen oder auch Meditationen.<br />
„Man schreibt, um sich selbst erlebbar zu<br />
machen“, lautet eine frühe Selbstaussage<br />
Mühls. Die Bäckerei und der Wald werden<br />
zu den Orten dieser Bemühung:<br />
„Heute ist Montag. Ein ganz anderes Gefühl<br />
habe ich heute; kein Vergleich zu gestern<br />
morgen, als ich auch durch den Wald lief.<br />
Sonntags besteht ja immer die Gefahr, dass<br />
ich von der Welt vergessen werde. An Sonntagen<br />
bemerkt sie mich nicht, die Welt, ob sie<br />
nun im Sonnenlicht schweigt oder ob sie unter<br />
Regengüssen versinkt oder den Morgennebel<br />
wie eine Decke über den Kopf zieht. Erst in<br />
der Bäckerei werde ich schließlich bemerkt.“<br />
(aus: „Stehcafé“)<br />
Oft werden Geschichten nur angedeutet,<br />
selten wird eine wirkliche Handlung,<br />
ein Ereignis zu Ende erzählt, sondern im<br />
Gegenteil: hinter jeder Biegung leuchten<br />
die zahllosen anderen Lebensmöglichkeiten<br />
hervor, und hinter jedem Satz stehen unzählige<br />
andere, welche den soeben gesagten<br />
ins Unendliche vertiefen. Es ist diese Vielstimmigkeit,<br />
diese Verschachtelung ganz<br />
heterogener Ebenen, welche diese späte<br />
Prosa zu einem originären literarischen<br />
Genre machen.<br />
Literarische Vorbilder hierzu finden sich<br />
am ehesten in der Romantik. „Indem ich<br />
38
dem Gemeinen einen hohen Sinn“, heißt<br />
es in der wohl prägnantesten Definition des<br />
Romantischen bei Novalis, „dem Gewöhnlichen<br />
ein geheimnisvolles Ansehen, dem<br />
Bekannten die Würde des Unbekannten,<br />
dem Endlichen einen unendlichen Schein<br />
gebe, so romantisiere ich es.“ In diesem<br />
Sinne läßt sich Mühls späte Prosa lesen<br />
als ein lyrisch gestimmter, tagebuchartiger<br />
Bericht und zum Teil eine Überhöhung<br />
des Alltäglichen. „Der romantische Geist“,<br />
schreibt Rüdiger Safranski in seinem<br />
Buch über die Romantik, „ist vielgestaltig,<br />
musikalisch, versuchend und versucherisch,<br />
er liebt die Ferne der Zukunft und der<br />
Vergangenheit, die Überraschungen im<br />
Alltäglichen, die Extreme, das Unbewusste,<br />
den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe<br />
der Reflexion. Der romantische Geist bleibt<br />
sich nicht gleich, ist verwandelnd und widersprüchlich,<br />
sehnsüchtig und zynisch, ins<br />
Unverständliche vernarrt und volkstümlich,<br />
ironisch und schwärmerisch, selbstverliebt<br />
und gesellig (...)“ (aus: „Romantik. Eine<br />
deutsche Affäre“). All dies läßt sich in<br />
Mühls später Prosa finden.<br />
Ein Bericht von einem Elektrotechniker,<br />
der seinen Kunden nur noch so viel abverlangt,<br />
wie sie zu zahlen bereit sind, gerät<br />
dem Autor zum Märchen, was er auch<br />
umgehend selbst reflektiert:<br />
„Ich merke jetzt, dass ich diese Geschichte<br />
wie ein Märchen erzählt habe. Man kann<br />
ja auch heiter und beschwingt dabei werden,<br />
alles vergessen. Ich zum Beispiel meinen<br />
Onkel Karl, der bei Kriegsende in Rumänien<br />
als Gefangener in einem Schuppen lag, mit<br />
einem Sack zugedeckt, und endlich sterben<br />
durfte; ich denke an Krankheiten und an<br />
die Geschwindigkeit, mit der wir durch<br />
das Leben getrieben werden. Und dass ich<br />
immer denken muss: Irgendwann sehe ich<br />
den oder die nicht wieder. Oder anders: Dass<br />
die Wirklichkeit hinter meinem Bericht viele<br />
Schichten hat, und dass durch alle geschehenen<br />
Fakten hindurch Kräfte wirken, die wir<br />
nicht sehen (...); es erklingen Melodien, die<br />
wir nicht hören. (...) Eigentlich suchen wir<br />
aber das Schlupfloch zur Freiheit.“ (aus: „Die<br />
Erfindung des Augenblicks“)<br />
Diese Musik hinter den Dingen, diese<br />
Melodien hinter der Melodie sind auch<br />
dem Trauma der Generation des Autors geschuldet:<br />
Als Kriegsheimkehrer gehört er zu<br />
denen, die überlebten. Ein „Rätsel“ mithin<br />
seither schon die Frage, warum man noch<br />
lebt und ein anderer nicht. Das „Schlupfloch<br />
zur Freiheit“ hieße ein Ankommen,<br />
ein Moderieren der unerträglich aufeinander<br />
prallenden Empfindungen. „Inmitten<br />
der Rätsel“ enthält ein Gedicht mit dem<br />
Titel „Das Unerträgliche“:<br />
Eigentlich könnt ich<br />
nur leben<br />
wenn ich die Hölle vergäße<br />
in der andere sind<br />
vielleicht morgen ich<br />
Sie rufen und strecken<br />
die Hände empor<br />
Ich lebe trotzdem<br />
ich glaube<br />
die Musik<br />
ist zu laut<br />
Wenn die Musik zu laut ist, wenn die<br />
Melodien hinter den Dingen, die Erinnerungen<br />
an Unfassbares oder die Vorahnung<br />
von Unfassbarem, zu laut werden, ist<br />
das Leben unerträglich. Dieser Umstand<br />
erfordert Widerstand, Lebenswillen und<br />
die Lust, kleine Dinge zu beachten, sie in<br />
den Rang einer unerhörten Begebenheit<br />
zu erheben, kurz: seine eigene Melodie zu<br />
singen.<br />
Das lyrische Ich braucht Ermutigung, holt<br />
sie sich beim ersten Blick in die Zeitung:<br />
Der Morgen<br />
fängt gut an.<br />
Ich lese die Todesanzeigen,<br />
und ich bin nicht dabei.<br />
Die Tatkraft, das Knorrige, Selbstbewusste,<br />
und der Humor bilden das Gegengewicht<br />
zur romantischen Auflösung oder Vertiefung;<br />
die alltägliche Organisation, das<br />
„Erledigen“ wird zum „Tagewerk“, wie es<br />
in einem der Texte heißt. Und doch ist die<br />
Vergänglichkeit, die eigene inbegriffen,<br />
fast immer präsent. „Der Herbst“, heißt<br />
es zu Beginn einer Aufzeichnung aus dem<br />
ersten Stehcafé-Band, „ist mein Nachbar<br />
geworden“:<br />
„Nachts weckt er mich auf mit tosenden<br />
Windböen, mit Blitz und Donner, morgens<br />
verstellt er das Außenthermometer auf unvorstellbare<br />
sechs Grad, vor der Haustüre ragt<br />
mir sein braunes, nasses Gesicht entgegen. Er<br />
reißt mir den Wunsch nach Promenadenfröhlichkeit<br />
und Leichtfertigkeit aus der Hand, er<br />
erinnert unbarmherzig daran, wie rasch die<br />
letzten zehn und mehr Jahre vergangen sind,<br />
und, schreit er, das sollte mit den letzten paar<br />
Jahren nicht auch so gehen?“ (aus: „Stehcafé“)<br />
Auch hier sind die Naturbilder metaphorisch<br />
aufgeladen, steht der Jahreskreislauf<br />
für den Lauf des Lebens. „Der Herbst<br />
räumt sie weg, die alten Freunde“, heißt es<br />
am Ende desselben Textes. Und: „Wohin<br />
immer ich jetzt gehen werde, es wird nur<br />
vorläufig sein“.<br />
Dieses Bewußtsein für die eigene Endlichkeit<br />
ist, wie gesagt, nicht neu für den<br />
kriegserfahrenen Mühl. Ein Gedicht aus<br />
dem Band „Inmitten der Rätsel“ berichtet<br />
von einer Einsicht des jungen Mannes:<br />
Kriegsgefangenentransport<br />
Führ er doch schon zurück,<br />
unser eiserner Wurm!<br />
Unsere Köpfe<br />
wackeln im Takt.<br />
Durch verstepptes Land,<br />
wie eine karge<br />
Glatze bewachsen,<br />
donnert unser gestohlenes Leben.<br />
In jeder Kurve<br />
drängt in uns hoch,<br />
daß wir gedankenlos waren.<br />
Wir schmissen es weg, das Leben,<br />
das uns liebte.<br />
Dieses „gestohlene Leben“ ist durchaus<br />
mehrdeutig: Zum einen meint es ein Leben,<br />
das in die Hände der Feinde gefallen und<br />
insofern gestohlen ist; zum anderen war es<br />
schon vorher gestohlen - und das wird dem<br />
lyrischen Ich nun klar: es sind die gestohlenen<br />
Jahre der Jugend und des jungen Mann-<br />
Seins einer ganzen Generation. Doch rückblickend<br />
hat dieses „gestohlen“ noch eine<br />
dritte Konnotation: Karl Otto Mühl wird<br />
nicht müde zu betonen, dass die Kriegsgefangenschaft<br />
und damit der frühe Austritt<br />
aus den Kriegshandlungen sein größtes<br />
Glück und seine Rettung waren. Und so<br />
lebt er in gewisser Weise dieses gestohlene<br />
Leben fort, während es zahllosen anderen,<br />
darunter Freunden, genommen wurde. Das<br />
gestohlene ist auch ein geschenktes Leben.<br />
Dieses memento mori, welches seine späten<br />
Texte wie ein roter Faden durchzieht, führt<br />
jedoch nicht oder selten zu einer Schwere,<br />
39
einer Verdunklung bis hin zu Düsternis,<br />
sondern es erscheint aufgefangen oder sublimiert<br />
durch eine Form der Romantischen<br />
Ironie. Diese bedeutet, so schreibt Friedrich<br />
Schlegel um 1800, „im ursprünglich Sokratischen<br />
Sinn (...) eben nichts andres, als<br />
das Erstaunen des denkenden Geistes über<br />
sich selbst, was sich oft in leises Lächeln<br />
auflöst“. Dabei könne sich, so Schlegel, infolge<br />
der Selbstdistanz durchaus das Gefühl<br />
von Komik einstellen - verstanden als eine<br />
wichtige Voraussetzung für eine „höher<br />
liegende Ernsthaftigkeit“.<br />
Einen letzten bemerkenswerten Aspekt dieser<br />
späten Prosa möchte ich noch herausheben.<br />
Sowohl die beinahe ständige thematische<br />
Präsenz der Vergänglichkeit als auch<br />
die lyrische Gestimmtheit in diesen Texten<br />
führen nicht selten zu einer erzählerischen<br />
Verdichtung auf einen Augenblick hin.<br />
Schon im Gedichtband „Inmitten der<br />
Rätsel“ sind das Erleben des Augenblicks<br />
und die Unmöglichkeit, ihn in Worte zu<br />
fassen, Thema:<br />
Rätsel<br />
Da hat ein Gesicht<br />
durch die Tür gespäht;<br />
nur einen Spalt,<br />
dann ging sie zu.<br />
Voll solcher stummer<br />
Augenblicke<br />
ist mein Leben.<br />
Sie sagen niemals,<br />
wer sie sind.<br />
Hör hin, wenn Glas zerspringt,<br />
sieh zu, wenn Efeu erschauert.<br />
Sie sagen die Wahrheit,<br />
beide.<br />
Beide sagen<br />
die Wahrheit.<br />
„Die Wahrheit“ ist mithin etwas, an das<br />
die Sprache nicht reicht, die Wahrheit<br />
ist ein Rätsel. Und so nähert sich Mühls<br />
späte Prosa immer wieder einem solchen<br />
Augenblick, umkreist ihn, erinnert ihn,<br />
versucht ihn zu fassen, doch es ist immer<br />
ein „Danach“ und in diesem Sinne eine<br />
„Erfindung des Augenblicks“.<br />
In einem kurzen Text aus dem gleichnamigen<br />
Prosaband überquert das Alter<br />
Ego Mühls eine Straße, „in einigen<br />
hundert Metern Entfernung werden<br />
Autos sichtbar“, heißt es, „Zeit ist aber<br />
noch genug“.<br />
„Da passiert etwas. Der Asphalt hat Risse,<br />
und ich stolpere, kurz bevor ich die andere<br />
Straßenseite erreiche. Mit einer Hand fange<br />
ich den Sturz ein wenig ab, doch spüre ich,<br />
wie ich über den rauen Asphalt schramme.<br />
Für Sekunden muss ich nichts gedacht, gespürt<br />
oder gefühlt haben. Dies war ein seliger<br />
Augenblick mit dem Gefühl des Nichtseins.<br />
Ich erinnere mich heute, es war, als ob sich ein<br />
Vorhang nach beiden Seiten öffnete, Luft und<br />
Licht wurden dünn und blass, aber dennoch<br />
überglänzt. Es war nichts mehr vorhanden,<br />
nicht einmal ich, aber dennoch gab es mich<br />
und alle, die ich kenne, es gab die Freunde,<br />
die toten und die lebendigen; keiner zu<br />
sehen, aber jeder gegenwärtig als Idee seiner<br />
selbst. Nichts war zu sehen, aber alles voller<br />
Freundlichkeit vorhanden und ich mitten<br />
darin. Ein Auto bremst einige Meter vor mir.<br />
In diesem Augenblick rolle ich mich aber<br />
bereits zum Bürgersteig hin, stehe auf und<br />
klopfe den Staub ab.“ (aus: „Die Erfindung<br />
des Augenblicks“)<br />
„Was bleibt“, fragt sich der Erzähler an<br />
anderer Stelle, „wenn sich herausstellt, dass<br />
es Vergangenheit und Zukunft real gar<br />
nicht gibt? Was sind wir dann?“ Nicht nur<br />
der Asphalt, sondern die Realität hat Risse.<br />
In ihnen - Heidegger würde sagen: im<br />
Ereignis, im Nicht Ableitbaren - offenbart<br />
sich unsere Existenz.<br />
Und so gerät diese späte Prosa - und auch<br />
manch spätes Gedicht - an ihren glücklichsten<br />
Stellen in eine ganz eigene Art des<br />
Schwebens zwischen Oberfläche und Tiefe,<br />
zwischen schalkhaftem Witz und empfundener<br />
Tragik, zwischen knorriger Alltagsbeschreibung<br />
und philosophischer Reflexion.<br />
Die Romantische Ironie bietet hierbei ein<br />
„Schlupfloch zur Freiheit“, eine Möglichkeit,<br />
zwischen umfassenderen Sinnstiftungen<br />
einerseits und alltäglich auszuhaltenden,<br />
meist banalen oder auch frustrierenden<br />
Lebensumständen andererseits im aktuellen<br />
Hier und Jetzt zu vermitteln.<br />
Karl Otto Mühls literarische Produktivität<br />
ist ungebrochen. Wöchentlich, manchmal<br />
täglich erreichen seine Freunde E-Mails mit<br />
Texten - Fragmente zumeist, Anfänge oder<br />
Augenblicke, kleine Szenen, tagebuchartig,<br />
skizzenhaft eingefangen; „zu einem<br />
Roman“, sagte er einmal zu mir, „spüre ich<br />
nicht die Kraft“. Ein neues, noch unvollendetes<br />
Manuskript trägt den Arbeitstitel<br />
„Mein Leben als Greis“. Es beginnt mit<br />
dem durchaus ironischen Satz: „Vielleicht<br />
ist dies mein letztes Buch. Schonungslos<br />
werde ich die Wahrheit sagen, über alles<br />
und jeden, ausgenommen mich selbst.“<br />
Ganz in diesem Sinne möchte ich mit<br />
einem Gedicht enden, das auch uns Junge<br />
mit einbezieht:<br />
An die Alten<br />
Nur alte Säcke ringsumher,<br />
silbernes Haar, Freskengesicht,<br />
knochiger Hintern, schlaffe Haut,<br />
ausgestreut wie Abfall am<br />
Rand des Lebens.<br />
Wehrt euch, ihr grauen Dämmergestalten,<br />
wehrt euch.<br />
Nicht mit Krähen und Keifen,<br />
aber mit deutlichem Blick,<br />
mit stillem Schlurfen ins Dunkel,<br />
mit lichten Gedanken<br />
und Freundlichkeit.<br />
Seht nur, wie die Jungen<br />
da schmatzend vorüberziehn,<br />
und neidisch schaun sie auf euch.<br />
Torsten Krug<br />
ist Theaterregisseur, Musiker und Autor<br />
und lebt in Wuppertal. Er studierte Neuere<br />
deutsche Literatur, Musikwissenschaft und<br />
Philosophie in Tübingen. Danach war er<br />
u. a. Assistent von Katharina Thalbach.<br />
Seit 2006 ist er freischaffend tätig und<br />
inszenierte u. a. in Chemnitz, Rudolstadt,<br />
Berlin, Regensburg, Heilbronn sowie an<br />
der bremer shakespeare company. Er war<br />
Gastdozent an der Hochschule für Musik<br />
und Theater Leipzig sowie am Institut für<br />
Schauspiel-, Film- und Fernsehberufe ISFF<br />
in Berlin.<br />
40
Karl Otto Mühl wurde am 16. 2. 1923 in<br />
Nürnberg geboren. 1929 folgte der Umzug der<br />
Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum<br />
Industriekaufmann. 1941 Kriegsdienst in<br />
Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika,<br />
USA, England.<br />
Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal,<br />
wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt,<br />
der auch Paul Pörtner angehört. Erste<br />
Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht.<br />
Am Carl-Duisberg-Gymnasium holt er 1948<br />
das Abitur nach, danach Werbe- und Verkaufsleiter<br />
in Maschinen- und Metallwarenfabriken.<br />
Erst in der Mitte der 60er Jahre gelingt es ihm<br />
wieder, kontinuierlich zu schreiben. Zwischen<br />
1964 und 1969 entsteht der Roman »Siebenschläfer«<br />
(veröffentlicht 1975), mit den<br />
Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in<br />
Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer«<br />
gelingt ihm der Durchbruch.<br />
Seitdem veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn<br />
Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme,<br />
Hörspiele und Romane.<br />
Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den<br />
Eduard von der Heydt-Preis.<br />
Karl Otto Mühl, Foto: Frank Becker<br />
Frau mit Gipsbein<br />
Ich schreibe heute am Küchentisch. Hier<br />
ist von der Westseite her guter Lichteinfall,<br />
und es bleibt länger hell. Das spart Licht<br />
und damit Strom, worauf ich weitaus mehr<br />
achte als andere.<br />
Damit wäre ich schon bei einer meiner<br />
Eigenschaften, denn die sind es, die ich<br />
gerade hier formulieren muß, weil ich diese<br />
Kontaktanzeige zu verfassen suche, die<br />
mein Kollege Fabian Brösel ins Internet<br />
stellen wird, wie er sagt. Ich werde mich<br />
vor der Fülle von Zuschriften kaum mehr<br />
retten können, sagt er. Nur, ich muß die<br />
Eigenschaften, die ich habe, deutlich<br />
darstellen. Das geht nicht so leicht, weil<br />
ich gegen meine Bescheidenheit verstoßen<br />
muß. Ich dränge mich nie in den Vordergrund.<br />
Ich überlegte vorhin, ob ich mich bei der<br />
Anzeige zunächst auf die Angabe meiner<br />
wichtigsten Eigenschaften beschränken<br />
sollte, nämlich: Sparsamkeit, Sauberkeit<br />
und Ordnungsliebe. Alle drei scheinen mir<br />
gleich wichtig zu sein, und trotzdem wird<br />
es darauf ankommen, was jede einzelne von<br />
den Leserinnen am meisten schätzt. Ich<br />
muß es darauf ankommen lassen. Schließlich<br />
bin ich bisher immer gut damit gefahren.<br />
Obwohl ich schon Sechsundfünfzig<br />
bin, habe ich damit Aussichten, denke ich,<br />
eine verständnisvolle Partnerin zu finden,<br />
die sie zu schätzen weiß, die Eigenschaften<br />
und natürlich, so hoffe ich doch, deren<br />
Inhaber, also mich.<br />
Selbst für die Erfüllung eines Kinderwunsches<br />
wäre es noch nicht zu spät. Ein Kind<br />
würde genügen, vorausgesetzt, es würde so<br />
verständig, dass es meine Ratschläge und<br />
Lebensregeln annehmen und beherzigen<br />
könnte.<br />
In der Sparkasse, in der ich beschäftigt bin,<br />
weiß man, so denke ich manchmal, meine<br />
Eigenschaften zu schätzen. Noch kürzlich<br />
sagte Frau Tilly, die in der Revision<br />
arbeitet, zu mir: „Sie sind aber ordentlich!“<br />
Dabei hatte ich nur einige Krümel von<br />
ihrem Schreibtisch entfernt.<br />
Aber niemand hat mich so geschätzt wie<br />
meine Mutter, glaube ich. Zuletzt, als sie<br />
schon sehr schwach war, sagte sie einmal zu<br />
mir: „Du meinst es gut, Rolfi. Ich weiß das.<br />
Laß die anderen über dich reden, was sie<br />
41
Katrin Schoenian, Matthias Aprath<br />
RINKE TREUHAND GmbH – www.rinke.eu<br />
DAS ERGEBNIS ALLER<br />
PRÜFUNGEN IST<br />
EIN SACHGERECHTES<br />
UND<br />
OBJEKTIVES URTEIL,<br />
WELCHEM UNSERE<br />
KUNDEN UND DIE<br />
WEITEREN ADRESSATEN<br />
VERTRAUEN.<br />
NACHHALTIG GUT BERATEN.<br />
wollen. Du weißt ja, die reden manchmal<br />
so daher.“<br />
Das nenne ich Mutterliebe. An ihrem<br />
Todestag bringe ich noch heute Blumen zu<br />
ihrem Grab, genau um die Stunde, in der<br />
sie gestorben ist. Es war um sechzehn Uhr<br />
dreiundzwanzig.<br />
Es ist ein gutes Gefühl, in meinem Alter<br />
immer noch die freie Auswahl unter<br />
möglichen Ehepartnerinnen zu haben, also,<br />
sozusagen den Rücken freizuhaben. Das<br />
wäre nicht so, wenn einige Dinge anders<br />
gelaufen wären. Ich meine die Beziehung<br />
zu Nora.<br />
Ich muß sagen, dass mit ihr am Anfang alles<br />
sonnenklar zu sein schien, also auch eine<br />
etwaige lebenslange Verbindung. Sie schien<br />
mir von allen Frauen, die ich kannte, am<br />
verträglichsten und verständigsten zu sein;<br />
und kleine Fehler oder auch Fehlverhalten<br />
von ihr konnte ich immer korrigieren und<br />
fand bei ihr auch Bereitschaft dafür. Die<br />
Schwierigkeit für unsere Beziehung kam<br />
völlig unerwartet von einer ganz anderen<br />
Seite.<br />
Wir waren am Sonntagnachmittag in der<br />
Gaststätte „Margaretenhof“ im Siebengebirge<br />
gewesen, hatten Kaffee getrunken und<br />
bezahlten nun. Ich hatte schon befürchtet,<br />
sie würde erwarten, dass ich ihren Verzehr<br />
bezahle. Das soll es ja geben. Aber bei ihr<br />
war das nicht so, sie zog rechtzeitig ihre<br />
Börse aus der Handtasche. Wir machten uns<br />
auf den Weg zum Bus.<br />
Und nun geschah es. Wir hatten erst ein<br />
paar Schritte gelegt, da stolperte sie über<br />
einen Stein, stürzte unglücklich, stöhnte mit<br />
schmerzverzerrtem Gesicht: „Ich glaube, da<br />
ist etwas gebrochen.“<br />
Ich konnte sie überzeugen, dass sie zwar<br />
in eine Klinik müsse, dass aber der Transport<br />
dahin, wenn nicht mit dem Bus, so<br />
doch mit einem Taxi erfolgen könne, und<br />
nicht etwa mit einem unerschwinglichen<br />
Krankenwagen. Wir fuhren also mit dem<br />
herbeigerufenen Taxi zur Unfallklinik.Während<br />
ich ihre Hand hielt – nur, um sie zu<br />
beruhigen -, erklärte ich ihr, dass ich für die<br />
Taxikosten selbstverständlich in Vorleistung<br />
treten würde.<br />
Der Rest geschah nun ohne mein Zutun.<br />
Sie mußte einige Tage in der Klinik bleiben.<br />
Dann holte ich sie ab und sah, dass sie bis<br />
über das Knie hinaus mit einer Gipsmanschette<br />
versehen war. Ich muß sagen, der<br />
Anblick war ein Schock für mich. Ich begleitete<br />
sie bis zu ihrer Wohnungstür, an der<br />
sie bereits von ihrer Mutter erwartet wurde.<br />
Mir war unterwegs längst klar geworden,<br />
dass ich mich nicht mit einer behinderten<br />
Frau belasten konnte. Zu groß waren die Risiken,<br />
nicht absehbar die Folgekosten, und<br />
das alles für mich wegen eines Menschen,<br />
der mir bis vor Kurzem völlig gleichgültig<br />
gewesen war, ja, den ich nicht einmal<br />
kannte.<br />
Natürlich sagte ich ihr dies alles nicht mit<br />
solcher Deutlichkeit. Ich schrieb ihr nur,<br />
dass sich mein Kindheits-Asthma wieder<br />
gemeldet habe und ich eine Zeit lang völlig<br />
zurückgezogen leben wolle, vielleicht auch<br />
sparsam leben müsse, um eventuelle außergewöhnliche<br />
Behandlungskosten auffangen<br />
zu können.<br />
Manchmal habe ich in den vergangenen<br />
Jahren an sie zurückgedacht. Ich hoffe nicht,<br />
dass sie unter meinem Verlust gelitten hat.<br />
Dazu kannte sie mich vielleicht nicht genug.<br />
Übrigens hatte die Beziehung noch ein<br />
Schlußkapitel. Vor zwei Monaten rief sie<br />
mich an, ja, sie lebe noch. Ja, sie sei verheiratet,<br />
mit einem Brasilianer, aber der habe sich<br />
seit zwei Jahren nicht gemeldet. Sie habe<br />
auch nie gewußt, was der Mann dachte.<br />
Er sei undurchsichtig, ganz anders eben als<br />
ich.<br />
Wir haben uns getroffen. Das Wiedersehen<br />
war herzlich und offenherzig. Wir gingen<br />
in ein Café und suchten uns ein Tischchen<br />
in der Ecke aus. Es gab da eine Sitzbank<br />
und zwei einzelne Stühle. Ich halte das hier<br />
genau fest, denn solche Einzelheiten vergißt<br />
man später schnell.<br />
Nora setzte sich, blickte zu mir auf, klopfte<br />
mit der Hand auf den Platz neben sich und<br />
sagte: „Hier, setzen Sie sich. Ja! Direkt hier!“<br />
Es wäre dort eher eng gewesen. Und sie<br />
wollte, dass ich mich neben sie setze, Hüfte<br />
an Hüfte.<br />
Das habe ich nicht gemacht.<br />
Karl Otto Mühl<br />
42
Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff<br />
Die Sammlung Frank Brabant<br />
Im Kunstmuseum Solingen bis<br />
zum 5. Mai 2013<br />
Conrad Felixmüller, Frühlingsabend in<br />
Klotzsche, 1926,<br />
Öl auf Leinwand,75 x 90 cm<br />
Das Kunstmuseum Solingen zeigt als<br />
Auftaktausstellung des in Gründung<br />
befindlichen „Zentrums für verfolgte<br />
Künste“ bis Anfang Mai 2013 101 Bilder<br />
aus einer der bedeutendsten Privatsammlungen<br />
Deutschlands.<br />
Frank Brabant ist ein Sammler aus<br />
Leidenschaft. 1958 hatte der Schweriner<br />
in der ehemaligen DDR den Entschluss<br />
gefasst, „in den Westen zu machen“. In<br />
Wiesbaden war er geschäftlich erfolgreich.<br />
1964 besuchte er „eher zufällig“ eine<br />
Galerie. Er kaufte einen Holzstich von<br />
Max Pechstein. „Der Name sagte mir<br />
damals nichts. Picasso ja, aber Pechstein?“<br />
300 Mark zahlte er – und das bei einem<br />
Monatsgehalt von 350 Mark.<br />
Mit diesem Kauf wurde er zum Sammler,<br />
der sich nun über Pechstein kundig<br />
machte und so der Kunst verfiel. Erspartes<br />
für den Traum von einem VW-Käfer<br />
setzte er dann doch in ein Aquarell von<br />
Ernst-Ludwig Kirchner um.<br />
Viele weitere Käufe von Bildern und<br />
Büchern folgten im Laufe der Jahrzehnte:<br />
expressionistische Meisterwerke von<br />
Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky,<br />
Emil Nolde, August Macke, Franz Marc,<br />
Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel<br />
oder Karl Schmidt-Rottluff aber auch Bilder<br />
heute nahezu unbekannter Künstler<br />
wie beispielsweise Ernst Fritsch, Harry<br />
Deierling, Elfriede Lohse-Wächtler, Heinrich<br />
Richter-Berlin, Siegfried Donndorf,<br />
Carl Gunschmann, Josef Scharl und<br />
Fritz Schaefler – bis hin zur Kunst der<br />
Gegenwart. Dabei wurde der Sammler<br />
zum Kenner. Sein Geld wollte er nicht in<br />
Autos anlegen. Es folgten fast 500 weitere<br />
Kunstwerke.<br />
Der Schwerpunkt der Präsentation in<br />
Solingen liegt auf den Künstlern der Klas-<br />
43
echts: Alexej von Jawlensky<br />
Madame Curie, 1905, Öl auf Karton,<br />
50 x 38 cm<br />
rechte Seite: Hermann Max Pechstein<br />
Rote Häuser mit Windmühle, um 1922,<br />
Öl auf Leinwand, 70,5 x 80,5 cm<br />
sischen Moderne. Die Künstler gerieten<br />
von einer unberechenbaren Monarchie<br />
über einen Ersten Weltkrieg, die entbehrungsreiche<br />
Weimarer Zeit in den Naziterror<br />
und in die absolute Katastrophe des<br />
Zweiten Weltkrieges.<br />
Ihre farben- und ideenreichen Bilder sind<br />
in dieser Zeit der Aufbruch der Expressionisten,<br />
die kritische Infragestellung der<br />
Gesellschaft und die Suche nach einer<br />
Neuen Sachlichkeit.<br />
Neben Bildern von Maria Caspar-Filser,<br />
Elfriede Lohse-Wächtler und Otto Möller<br />
begeistern die Künstler aus der ersten<br />
Reihe. Ludwig Meidners „Betrunkene<br />
Straße“ (1915) zeigt die Apokalypse der<br />
Städte, Lyonel Feiningers „Pariser Häuser“<br />
(1920) den Weg zur Abstraktion.<br />
Auch die Künstler der „Brücke“ sind<br />
vertreten: Kirchner, Heckel, Schmidt-<br />
Rottluff, auch die später hinzugekommenen<br />
Max Pechstein, Emil Nolde und Otto<br />
Müller.<br />
Die Kontakte dieser Künstler nach München<br />
zum „Blauen Reiter“ sind vielfältig<br />
und diese bekannte Künstlergruppe um<br />
August Macke, Franz Marc, Wassily<br />
Kandinsky und Alexej von Jawlensky<br />
wiederum lockte Helmut Macke, William<br />
Straube und Heinrich Richter-Berlin an.<br />
Auch diese Bekannten und Unbekannten<br />
sind mit sehenswerten Bildern in Solingen<br />
vertreten.<br />
Eine ganze Reihe von Gemälden von<br />
Alexej von Jawlensky aus verschiedenen<br />
44
Nolde Tappert<br />
Schaffensphasen ist alleine die Anreise<br />
wert:<br />
An der Petersburger Kunstakademie<br />
lernte er ab 1890 kurz beim bedeutendsten<br />
Vertreter des russischen Realismus,<br />
Ilja Repin, dann langfristig bei Marianne<br />
von Werefkin. Sie zog 1896 mit Jawlensky<br />
und ihrem Dienstmädchen, Helene<br />
Nesnakomoff, nach München.<br />
Ein charakteristisches Ölbild dieser Zeit<br />
ist das im Bild signierte und 1900 datierte<br />
ganzfigurige Porträt der fünfzehnjährigen<br />
Helene im spanischen Kostüm. Stilistisch<br />
weist es mit seinen im „Lenbachbraun“<br />
gehaltenen Farbtönen auf seine vorausgegangenen<br />
realistischen Gemälde, um<br />
gleichzeitig den Anfang zu weiterem<br />
„Arbeiten mit breiten Linien“ der kommenden<br />
Jahre zu markieren. 1903 reiste<br />
Jawlensky nach Paris. Er traf dort Henry<br />
Matisse und Marie Curie. Ihr Porträt<br />
aus diesem Jahr bestätigt einen frühen<br />
Einfluss van Goghs. Marie Curie (1867<br />
- 1934) war eine Physikerin polnischer<br />
Herkunft, die in Frankreich wirkte. Sie<br />
untersuchte die 1896 von Henri Becquerel<br />
beobachtete Strahlung von Uranverbindungen<br />
und prägte für diese das Wort<br />
„radioaktiv“. Im Rahmen ihrer Forschungen,<br />
für die ihr 1903 ein Nobelpreis für<br />
Physik und 1911 der Nobelpreis für<br />
Chemie zugesprochen wurde, entdeckte<br />
sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre<br />
Curie die chemischen Elemente Polonium<br />
und Radium. Marie Curie ist bisher die<br />
einzige Frau unter den vier Mehrfach-Nobelpreisträgern<br />
und neben Linus Pauling<br />
die einzige Person, die Nobelpreise auf<br />
zwei unterschiedlichen Gebieten erhalten<br />
hat.1906 war sie die erste Frau, die an der<br />
Pariser Universität Sorbonne lehrte.<br />
Im Sommer 1908 kam es zur Zusammenarbeit<br />
zwischen Jawlensky, Werefkin,<br />
Kandinsky und Münter. 1908<br />
hatten Werefkin, Jawlensky, Adolf<br />
Erbslöh und Oscar Wittenstein die Idee,<br />
die Neue Künstlervereinigung<br />
München zu gründen. 1909 wurde<br />
Kandinsky zum ersten Vorsitzenden gewählt.<br />
1910 zur zweiten Ausstellung der<br />
Neuen Münchner Künstlervereinigung<br />
kam Franz Marc. Auch August Macke<br />
besuchte Jawlensky und Werefkin. Dann<br />
45
kam Kandinsky aus Russland<br />
zurück. Schließlich traf Franz<br />
Marc ein, zusammen mit<br />
Helmuth Macke, dem Vetter<br />
von August Macke. Im Herbst<br />
1912 lernte Jawlensky, Emil<br />
Nolde auf der Ausstellung in<br />
München kennen. 1917 zogen<br />
Jawlensky und Werefkin in die<br />
Schweiz, wo er seine Reihe der<br />
Mystischen Köpfe zu malen<br />
begann. Als Inspiration diente<br />
ihm nunmehr das menschliche<br />
Gesicht. In der Regel handelt es<br />
sich um Frauenköpfe.<br />
Alle genannten Künstler sind in<br />
der Ausstellung vertreten.<br />
Rolf Jessewitsch<br />
Drei Kataloge werden im<br />
Museumsshop zur Ausstellung<br />
angeboten.<br />
Kunstmuseum Solingen<br />
Wuppertaler Straße 160<br />
42653 Solingen<br />
www.kunstmuseum-solingen.de<br />
Öffnungszeiten:<br />
Di – So 10 – 17 Uhr<br />
linke Seite: Ivo Hauptmann<br />
Zwei Segelboote, 1912, Öl auf<br />
Leinwand, 91,5 x 64,5 cm<br />
Max Beckmann<br />
Stillleben mit grüner Kerze,<br />
1941, Öl auf Leinwand,<br />
95,5 x 55,5 cm<br />
47
TiC-Theater-Aufführung<br />
sehr frei nach Edgar Wallace<br />
Der Fall der verängstigten Dame<br />
oder: Das Geheimnis des<br />
Wandschranks<br />
Das indische Tuch<br />
„Hier spricht…“ - nein nicht Edgar Wallace,<br />
sondern ein dank des jüngsten Streichs des<br />
Wuppertaler TiC-Theaters vergnügter Rezensent.<br />
Am Freitagabend, zur besten Krimi-Zeit,<br />
hatte nämlich eine dort von Intendant Ralf<br />
führen. Wer aber ist der Unhold, der Nacht für<br />
Nacht mit Heimtücke durch die Gänge des<br />
Schlosses schleicht? Das verraten wir hier natürlich<br />
nicht, auch nicht, wer seine Opfer sind<br />
und wann er zuschlägt. – Oder ist es eine Sie?<br />
„Edgar Wallace hat mehr Frauen nachts<br />
wach gehalten als jeder andere Mann –<br />
und das ganz ohne Sex.“<br />
(Focus).<br />
Infos und Termine: www.tic-theater.de<br />
v. l.: Andreas Wirth, Carsten Müller, Dilara Baskinci, Klaus Hasbach. Foto: Martin Mazur<br />
Budde inszenierte Bühnenfassung des Klassikers<br />
„Das indische Tuch“ (sehr frei nach dem<br />
legendären englischen Krimi-Autor) Premiere.<br />
Premiere auch für einige der Darsteller, denn<br />
das TiC hat seit dem jüngsten Casting neue,<br />
vielversprechende Talente hinzugewonnen.<br />
Darstellerische Schwergewichte und Säulen<br />
der Aufführung sind allerdings drei bewährte<br />
und wie die anderen Charaktere hervorragend<br />
besetzte altgediente TiC-Schauspieler: Torsten<br />
Kress brillant als herrlich fieser Dr. Leicester<br />
Amersham, Andreas Wirth köstlich in der Rolle<br />
des verklemmten Lord Willie Lebanon und<br />
souverän seriös Carsten Müller als Inspektor<br />
Bill Tanner. Handlungsort: das alte Schloß<br />
Marks Priory der Lebanons in ländlicher<br />
englischer Umgebung, von Iljas Enkaschew<br />
genial auf kleinstem Raum mit allen notwendigen<br />
Andeutungen von Treppen, Gängen,<br />
Park zu greifbaren Illusionen gestaltet. Kerstin<br />
Faber hat dazu passend die zeitlos stimmigen<br />
Kostüme gestaltet, Heike Kehrwisch die Maske.<br />
Story: auf Marks Priory, dessen undurchsichtige<br />
Bewohner in feindlicher Atmosphäre<br />
nebeneinander her leben, geht ein Mörder um.<br />
Sein Werkzeug ist ein rotes Seidentuch, mit<br />
dem er einer alten indischen Tötungsmethode<br />
folgend seine Opfer erdrosselt. Die Spuren<br />
führen zurück in die koloniale Vergangenheit<br />
der männlichen Mitglieder der etwas skurrilen<br />
Gesellschaft. Es gibt - na klar - Leichen, Schuss -<br />
waffen, Motive und Wendungen und obendrein<br />
diverse Mordversuche, die nicht alle zum vom<br />
meuchelnden Mörder gewünschten Erfolg<br />
Ralf Budde beherrscht das musikalisch auf den<br />
Punkt untermalte Verwirrspiel, er legt falsche<br />
Fährten und läßt mal diesen, mal jene verdächtig<br />
erscheinen. Klaus Hasbach gibt bei dem<br />
Verwirrspiel den unheimlichen Butler Gilder<br />
in bester Wallace-Tradition, Dennis Gottschalk<br />
den unbekümmerten Chauffeur Studd und<br />
den eifersüchtig schießwütigen Parkwächter<br />
John Tilling sowie Isabel Bartnik des letzteren<br />
laszive Frau Joan, die einige kinowürdige große<br />
Auftritte hat. Ralf Budde spielt elegant mit Klischees,<br />
was dem Stück den ironischen Anstrich<br />
mancher Alfred Vohrer-Inszenierung gibt.<br />
Überhaupt sind die Damen hier die<br />
interessanten Entdeckungen des Ensembles:<br />
Erika Klein-Ejupi gibt als Lady Jane Lebanon<br />
eine würdige Flickenschildt-Kopie ab, Dilara<br />
Baskinci die etwas mysteriöse Sekretärin Isla<br />
Crane (einfach göttlich die Kußszene mit…<br />
- verraten wir auch nicht! – in der sie mit fein<br />
gezirkelter Armbewegung die Brille absetzt)<br />
und eben Isabel Bartnik, die ihren Sex-Appeal<br />
fein dosiert einzusetzen versteht.<br />
Sie sehen schon, der Kritiker schreibt unentwegt<br />
um den heißen Brei herum, denn anders<br />
als weiland Wolfgang Neuss vor 51 Jahren<br />
beim Fernsehkrimi „Das Halstuch“ wollen wir<br />
Ihnen ja nicht durch „Geheimnisverrat“ die<br />
Spannung nehmen. Gehen Sie hin, lassen Sie<br />
sich für gut zwei Stunden köstlich unterhalten<br />
und vertrauen Sie auf die seit über 60 Jahren<br />
gültige Werbung des Wilhelm Goldmann<br />
Verlages: „Es ist unmöglich, von Edgar Wallace<br />
nicht gefesselt zu werden!“ Frank Becker<br />
48
Zum ersten Mal machte ich mir<br />
Gedanken über eine Geldanlage.<br />
Dorothea Renckhoff<br />
Studium Theater- u. Literaturwissenschaft,<br />
Theorie des Films Ruhr-Universität Bochum;<br />
Praktika an Theatern u. als Kulturjournalistin<br />
Erstes Engagement am Schauspielhaus<br />
Bochum bei Peter Zadek (Assistentin Regie/<br />
Dramaturgie), später Dramaturgin Freie<br />
Volksbühne Berlin, Regieassistentin u. Autorin<br />
WDR-Fernsehen, Leitende Dramaturgin<br />
Rheinisches Landestheater, Chefdramaturgin<br />
Städtische Bühnen Münster.<br />
Beendigung der Theaterkarriere, da eine<br />
führende Position am Theater mit den<br />
familiären Anforderungen (verheiratet, zwei<br />
Kinder) nicht mehr vereinbar war.<br />
Seitdem freischaffend in Köln als Autorin<br />
und literarische Übersetzerin.<br />
Seit 2008 Mitglied im PEN-Club.<br />
Dorothea Renckhoff, Foto: Frank Becker<br />
Der Hochglanzprospekt<br />
Das Haus meiner Großeltern hatte<br />
verkauft werden müssen; es sollte einem<br />
öffentlichen Bauprojekt weichen. Die<br />
Erbengemeinschaft bereitete den Erwerb<br />
eines anderen Objekts vor, aber ich war<br />
die Streitereien um Reparaturen und<br />
Instandhaltungskosten leid und ließ mir<br />
meinen Anteil auszahlen.<br />
Das Geld als Finanzierungsgrundlage für<br />
eine größere Wohnung zu nutzen, kam<br />
für mich nicht in Frage; ich hatte keine<br />
Lust, mich auf Jahre hinaus zu verpflichten,<br />
und mit dem Appartement, das<br />
meine Mutter mir geschenkt hatte, war<br />
ich völlig zufrieden.<br />
Eine Anlageberaterin meiner Bank stellte<br />
mir eine Liste von Vorschlägen zusammen,<br />
wie mein Portefeuille, wie sie es<br />
nannte, sicher und dennoch gewinnbringend<br />
strukturiert werden könnte. Sie war<br />
eine schöne üppige Frau, und ihre Ausführungen<br />
wirkten durchdacht. Da mein<br />
kleines Kapital aus einem Hausverkauf<br />
stammte, gefiel mir der Gedanke, dass ein<br />
größerer Teil der Summe für Immobilienfonds<br />
verwendet werden sollte.<br />
Sie informierte mich über Ertragssituation,<br />
Wertschwankung, Ausschüttungen<br />
und vieles andere, und erst dann legte<br />
sie den Hochglanzprospekt des Fonds<br />
vor mir auf den Tisch. Ich war bereits<br />
entschlossen, mich ganz auf ihre Sachkenntnis<br />
zu verlassen, und blätterte das<br />
Heft nur aus Höflichkeit durch, doch die<br />
leuchtenden Farbfotos nahmen meine<br />
Aufmerksamkeit sofort gefangen. Es<br />
handelte sich um Beispiele für die Liegenschaften,<br />
in denen die Gelder des Fonds<br />
in aller Welt angelegt waren.<br />
Die Bilder übten einen merkwürdigen<br />
und stetig wachsenden Sog auf mich aus.<br />
Ich hatte mit einem Schlag das dringende<br />
Bedürfnis, vor diesen Gebäuden zu<br />
stehen, ihre wirkliche Gestalt vor mir<br />
aufragen zu sehen, sie zu betreten, die<br />
schimmernden Mauern, die Glasfassaden<br />
zu berühren und in die Tiefe ihrer<br />
Räume einzudringen, von denen mir der<br />
Prospekt nur das äußere Bild zeigte. Es<br />
war eine Sehnsucht wie ein brennender<br />
Durst, und ohne lange zu überlegen, verringerte<br />
ich meine Anlagesumme, um mir<br />
49
eine Reise zu einigen der Objekte leisten<br />
zu können, von denen mir nun bald, wie<br />
ich es mir vorstellte, ein Steinchen, ein<br />
Klümpchen Beton oder ein Zweig im<br />
Vorgarten gehören sollte.<br />
Wenig später befand ich mich in Paris<br />
und war unterwegs zu einem achtstöckigen<br />
Bürogebäude, dessen Abbildung sich<br />
in der Werbebroschüre in meiner kleinen<br />
Mappe befand. Ich hatte mir klar gemacht,<br />
dass ich nicht alle Schauplätze der<br />
abgedruckten Fotos würde besuchen können,<br />
aber ein rasch erbetener und gewährter<br />
Urlaub von vierzehn Tagen sollte mich<br />
über Paris und London nach Florida, ins<br />
Silicon Valley und nach Tokyo und Seoul<br />
führen. Je nach meinem Befinden und<br />
dem Zustand meiner Finanzen würde ich<br />
eventuell auf dem Rückweg noch eine<br />
Bank in Budapest und ein Hotel in Wien<br />
besichtigen.<br />
Es war noch früh am Nachmittag, aber<br />
die Dezembersonne stand tief hinter<br />
schweren Wolken. Die Straßenlaternen<br />
brannten schon, und Cafés, Auslagen<br />
und Büros, alle Fenster waren hell erleuchtet.<br />
Ich blieb vor einem Delikatessgeschäft<br />
stehen, um meinen Prospekt aus<br />
der Tasche zu holen, und in dem Lichtschein,<br />
der durch die gläserne Tür nach<br />
draußen fiel, betrachtete ich noch einmal<br />
das Foto, dessen Vorbild in der Wirklichkeit<br />
ich suchte: ein hoch aufragender,<br />
langgestreckter Körper, wie in einer vorwärts<br />
drängenden Bewegung erstarrt, ein<br />
schlanker Riesenelefant mit Hunderten<br />
strahlender Fenster am ganzen Leib, ein<br />
kraftstrotzendes Wesen im perlfarbenen<br />
Dunst der Großstadt.<br />
Im Weitergehen hielt ich das Heft in der<br />
Hand; ich war im richtigen Stadtteil,<br />
es konnte nicht mehr weit sein. Und<br />
unvermittelt stieg es vor mir in die Höhe,<br />
mein Bürogebäude, das erste Ziel meiner<br />
Pilgerfahrt. Ich stand ganz still und sah zu<br />
ihm auf, und sehr langsam rieselte durch<br />
meine Augen etwas in mich ein, das als<br />
Erstaunen begann und sehr schnell zu<br />
Schrecken wurde.<br />
Die vielen großen Fenster an seinen<br />
Flanken, an Brust und Bauch waren<br />
dunkel. In allen Gebäuden ringsum war<br />
Licht und Leben, aber in diesem wurde<br />
in keinem Büro gearbeitet. Am frühen<br />
Nachmittag eines Werktages wurde hier<br />
nicht gearbeitet. Ich suchte und fand den<br />
Haupteingang, er war verschlossen. Nicht<br />
ein einziges Firmenschild war neben der<br />
Tür angebracht. Nicht mal ein Notlicht<br />
brannte in dem weitläufigen Vestibül,<br />
dessen dämmernde Leere sich hinter den<br />
Glasscheiben breitete.<br />
Ich fragte in der Nachbarschaft, in Läden<br />
und Restaurants, aber mein Französisch<br />
ist schlecht, und ich erhielt keine<br />
verständliche Antwort. Immer wieder sah<br />
ich zu dem eleganten Koloss auf, der es<br />
wagte, sich an einer exponierten Pariser<br />
Straßenkreuzung in Dunkel zu hüllen.<br />
Erst als ich die Kreuzung überquert<br />
hatte und mich ein Stück entfernte, um<br />
zu überprüfen, ob wirklich alle Fenster<br />
dunkel waren, sah ich hoch oben an der<br />
schmalen Stirnseite ein einziges Licht. Das<br />
kleine helle Quadrat war längs unterteilt<br />
durch einen schwarzen Balken und starrte<br />
auf mich herunter wie das Auge eines<br />
Reptils mit seiner senkrechten Pupille.<br />
Mühsam wandte ich mich ab und ging<br />
fort. In den Kronen der kahlen Bäume<br />
am Straßenrand rieselten die silberblauen<br />
Tropfen der Weihnachtsbeleuchtung mit<br />
derselben Kälte wie das eisige Erschrecken<br />
in mir. Dieser Schrecken war mehr als die<br />
Sorge um mein Kapital. Ich hatte das Gefühl,<br />
auf dem gedruckten Bild in meinem<br />
Prospekt hätten sich schwarze Löcher<br />
aufgetan, um mich durch das Papier in<br />
einen Abgrund zu reißen.<br />
Ich versuchte, meine Fassung wieder zu<br />
gewinnen, und während ich das Reptilienauge<br />
noch im <strong>Nacke</strong>n spürte, griff ich<br />
nach meinem Mobiltelefon und wählte<br />
die Nummer meiner Anlageberaterin. Ich<br />
erreichte sie nicht; sie war im Kundengespräch;<br />
man würde ihr meinen Anruf<br />
ausrichten.<br />
Bedrückt kehrte ich in mein Fünfsternehotel<br />
zurück. Ich dachte an die Rechnung<br />
und ärgerte mich über meinen Leichtsinn.<br />
Dennoch ging es mir schon wieder<br />
etwas besser, und plötzlich fiel mir ein,<br />
dass das dunkle Bürogebäude vielleicht<br />
von nur einer einzigen Firma gemietet<br />
war, den Namenszug konnte ich übersehen<br />
haben, und möglicherweise war die<br />
ganze Belegschaft auf dem jährlichen Betriebsausflug,<br />
oder bei einer vorgezogenen<br />
Weihnachtsfeier. Der Gedanke beruhigte<br />
mich. Überprüfen konnte ich ihn nicht,<br />
denn für den nächsten Tag hatte ich<br />
bereits die Besichtigung eines Objekts in<br />
London eingeplant, eines Geschäftshauses<br />
im Finanzdistrikt, schlank und stolz<br />
wie ein riesiges Schiff aus blaugrünem<br />
Glas, als hätte der König des Meeres sich<br />
aus Wellen eine Handelsniederlassung<br />
gebaut.<br />
Als ich mir durch Hunderte von Banken<br />
meinen Weg zu dieser architektonischen<br />
Schönheit suchte, hatte ich alle Sorgen<br />
vergessen. Ich hielt mein Heft in der<br />
Hand wie einen Kompass, aufgeklappt<br />
bei dem Bild, nach dessen Wirklichkeit<br />
ich suchte. Ich fand es ohne Schwierigkeit.<br />
Da lag mein Flaggschiff vor dem<br />
Wind und zerteilte mit seinem schön geschnittenen<br />
Bug die Straßen des Börsenviertels.<br />
Aber es war ein Schiff, das dem<br />
Abwracker in die Hände geraten war. Es<br />
kam mir vor wie eine groteske Karikatur<br />
auf das schimmernde Schmuckstück, das<br />
ich gesucht hatte.<br />
Es war eine Ruine. Im Herzen von Londons<br />
Finanzimperium spreizte sich ein<br />
riesiges Gebäude aus rostigen Skeletten<br />
mit blinden Fenstern und zerbrochenen<br />
Scheiben. Der Haupteingang stand offen,<br />
die Türen schlugen im Wind. Ich trat ein<br />
und erschrak über ein allgegenwärtiges,<br />
rasselndes Geräusch, bis ich begriff, dass<br />
der Luftzug Unmengen trockener Blätter<br />
hereingeweht hatte und auf den langen<br />
Fluren vor sich hertrieb. Von irgendwoher<br />
quoll ein fauliger Geruch. Überall lagen<br />
Scherben, und als ich durch die gesprungenen<br />
gläsernen Wände hinaus blickte,<br />
bot sich die gesamte Architektur ringsum<br />
meinen Augen als Trümmerlandschaft dar;<br />
die ganze Londoner City schien zermürbt,<br />
zerbröckelt und verfallen.<br />
Ich stürzte nach draußen, und sofort<br />
stand der Finanzdistrikt wieder unversehrt<br />
vor mir. Nur mein herrliches<br />
Haus aus blauem Glas blieb ein elendes<br />
Gespenst seiner selbst. Mit zitternden<br />
Fingern wählte ich die Nummer meiner<br />
Beraterin. Dies Mal meldete sie sich,<br />
50
wollte nicht glauben, was ich erzählte.<br />
Vielleicht hielt sie mich für betrunken.<br />
Doch dann wurde sie sehr ernst und versprach,<br />
der Sache nachzugehen. Sie würde<br />
mich wieder anrufen.<br />
Sehr bedrückt trat ich die Weiterreise<br />
an. Das Unglück blieb mir treu. Alle<br />
Flüge nach Florida waren gestrichen. Ich<br />
beschloss, Florida zu überspringen, und<br />
versuchte stattdessen, so schnell wie möglich<br />
nach Kalifornien zu kommen. Meine<br />
Beraterin rief mich nicht zurück. Ich<br />
versuchte immer wieder, sie zu erreichen,<br />
aber die Leitung war tot.<br />
Alle Hoffnungen setzte ich jetzt auf die<br />
große Appartementanlage im Silicon<br />
Valley, deren Bild mich von Anfang an<br />
fast am meisten von allen bezaubert hatte,<br />
wie ein Traum aus dem Paradies. Eine<br />
Gruppe weißer Bungalows mit Veranden<br />
und Pergolasäulen, blütenumrankt und<br />
unter alten Bäumen geborgen; jedes der<br />
Häuser unterschied sich ein wenig von<br />
den andern, und alle sahen sie aus wie<br />
nach dem Goldenen Schnitt gebaut.<br />
Es war Spätnachmittag, als ich vor meinem<br />
Ziel aus dem Mietwagen stieg. Die<br />
Anlage wirkte auf den ersten Blick sehr<br />
gepflegt. Ich atmete auf: keine Ruinen,<br />
keine Scherben, keine leeren Fensterhöhlen.<br />
Ich ging auf den Haupteingang zu<br />
und betätigte den nostalgischen Klingelzug<br />
an der Mauer. Drinnen erklang ein<br />
lange anhaltendes melodisches Läuten<br />
von vielen kleinen und großen Glocken.<br />
Darauf folgte ein Wispern und Flüstern<br />
von vielen hundert Stimmen, das am<br />
Tor begann und ins Innere davon lief.<br />
Es waren keine Worte zu verstehen, und<br />
erst, als das letzte Zischeln in der Ferne<br />
verklungen war, öffnete sich ein Türchen<br />
in der Wand, und eine alte Frau bat mich<br />
herein. Sie hatte ein zartes Gesicht voller<br />
tief eingegrabener Runzeln und führte<br />
ein kleines Kind an der Hand. Als sie<br />
sich umwandte, um mir voran in ihre<br />
Portiersloge zu gehen, sah ich, dass ihre<br />
grauen Haare ihr über den Rücken bis<br />
zu den Knöcheln der Füße hingen, doch<br />
es waren keine einzelnen Strähnen oder<br />
Locken zu erkennen, alles war zu einer<br />
dicht verwobenen Matte zusammengewachsen,<br />
aus der man Filzpantoffeln hätte<br />
herstellen können, und tatsächlich trug<br />
sie welche an den Füßen.<br />
Sie empfing mich in einem Raum, wo<br />
eine medizinische Schautafel an der<br />
Wand und ein großer ausgestopfter<br />
Alligator unter der Decke hingen. Wir<br />
nahmen in holzgeschnitzten Sesseln<br />
vor einem leeren Kamin Platz, und das<br />
Kind saß auf ihrem Knie und sah mich<br />
mit ruhigem Blick unverwandt an. Ich<br />
erzählte ihr, ich sei seit kurzem an dem<br />
Fonds beteiligt, dem die Anlage gehöre,<br />
und wolle mir gerne ein reales Bild von<br />
den Liegenschaften machen. Zwischen<br />
ihren Runzeln tat sich ein mädchenhaftes<br />
Lächeln auf, es sei schön, sagte sie, dass<br />
einmal jemand von uns vorbeikomme.<br />
Dann stellte sie das Kind auf den Boden,<br />
reichte ihm einen Finger und begann,<br />
mich durch das gesamte Anwesen zu<br />
führen.<br />
Alles schien in bester Verfassung, die<br />
Häuser blumenüberrankt unter blühenden<br />
Bäumen, wie ich es auf dem Foto gesehen<br />
hatte, kleine Brunnen plätscherten<br />
an sauberen Wegen, und die Abendsonne<br />
spiegelte sich in klaren Fensterscheiben.<br />
Aber alles war still, nirgendwo zeigte sich<br />
ein Bewohner, kein Hund bellte, und die<br />
eleganten Rattanmöbel auf Veranden und<br />
Terrassen blieben leer. Nur ein einziges<br />
Mal strömte aus einem der Bungalows<br />
eine singende Männerstimme wie ein<br />
goldener Strahl aus einem Brunnen, und<br />
das Kind zeigte mit dem Händchen und<br />
sagte: ‚Papa‘.<br />
Die Anlage war viel größer, als es auf der<br />
Abbildung den Anschein gehabt hatte,<br />
und die Alte führte mich immer tiefer<br />
hinein. Tatsächlich glich kein Haus dem<br />
andern, aber dennoch hätte ich schon<br />
bald den Rückweg ohne Hilfe nicht<br />
mehr finden können. Das kleine Kind<br />
ging unverdrossen auf bloßen Füßchen<br />
mit, und ich fragte mich, ob unter den<br />
Pflanzen keine Schlangen und Skorpione<br />
lauern konnten, aber die Alte schien ganz<br />
unbesorgt.<br />
Nach und nach begann ich die Folgen der<br />
Reise und der Aufregungen der letzten<br />
Tage zu spüren; meine Schritte wurden<br />
langsamer, und meine Aufmerksamkeit<br />
ließ nach. Die Alte merkte es; sie bat<br />
mich in die nächstgelegene Veranda und<br />
lud mich ein, die Nacht im dazu gehörigen<br />
Bungalow zu verbringen, das sei<br />
Sitte hier, sagte sie, wenn einmal einer der<br />
Anteilseigner käme. Sie bot mir an, mein<br />
Gepäck zu holen und mir etwas zum<br />
Essen zu bringen, und ich war so müde,<br />
dass ich das Angebot gerne annahm. Erschöpft<br />
sank ich auf ein bequemes Sofa;<br />
das Kind blieb bei mir und kratzte mit<br />
dem Fingerchen in den Fugen zwischen<br />
den Bodenplatten herum. An der Wand<br />
sonnte sich eine große grüne Eidechse.<br />
Es war warm und die Luft sehr feucht,<br />
und das, obwohl es doch ganz in der<br />
Nähe eine Wüste gab. Einen Augenblick<br />
lang glaubte ich, ich wäre trotz allem in<br />
Florida gelandet, und der Alligator in der<br />
Portierslounge sei aus den nahen Everglades<br />
hergebracht worden, aber dann<br />
schreckte ich hoch und erkannte meinen<br />
Irrtum.<br />
Die Alte kam mit meinem Köfferchen<br />
und einem Picknickkorb zurück und<br />
zeigte mir mein Haus für die Nacht. In<br />
einem großen Raum standen ein elegantes<br />
hochbeiniges Bett und ein riesiger<br />
alter Schrank einander gegenüber. Die<br />
Eidechse war mit hereingekommen und<br />
sah sich wartend um. Die Alte bewirtete<br />
mich, aber ich entschuldigte mich bald,<br />
und sie verschwand mit dem Kind auf<br />
dem Arm. Draußen war es dunkel geworden,<br />
und ich ließ die Lampe im Zimmer<br />
brennen und stieg in das schöne Bett.<br />
Als ich erwachte, saß die grüne Eidechse<br />
an der Wand gegenüber. Sie schien<br />
gewachsen zu sein. Neben ihr hockte ein<br />
großer Leguan. Sie beobachteten mich,<br />
und als sie merkten, dass ich wach war,<br />
krochen sie hinter den Schrank. Es war<br />
mir unangenehm, die Tiere im Zimmer<br />
zu wissen. Mir schoss der Gedanke durch<br />
den Kopf, ich könnte mich geirrt haben,<br />
und vielleicht war hier im Raum kein<br />
Leguan, sondern ein kleiner Alligator,<br />
wie sie oft von ihren Besitzern ausgesetzt<br />
werden, um in der Freiheit zu wachsen<br />
und zur Gefahr für Mensch und Tier zu<br />
werden. Doch ich war zu schlaftrunken,<br />
um mir ernsthafte Gedanken zu machen.<br />
51
Als ich das nächste Mal erwachte, saßen<br />
die Tiere wieder auf der Wand neben<br />
dem Schrank. Der Leguan schien tatsächlich<br />
ein Leguan zu sein, aber die Eidechse<br />
war ein ganzes Stück gewachsen,<br />
sie war bereits größer als ihr Gefährte<br />
und sah eindeutig wie ein Alligator aus.<br />
Ein fauliger Geruch hing im Zimmer.<br />
Ich wäre gerne geflüchtet, aber ich<br />
wusste nicht genau, wo meine Schuhe<br />
waren und wagte nicht, mit nackten Füßen<br />
auf den Boden zu treten, denn was<br />
mochte unter dem Bett sitzen? In diesem<br />
Augenblick erlosch das Licht. Mit einem<br />
Schlag hatte ich Angst. Ich spürte, wie<br />
die Tiere sich regten, hörte ein Schleifen<br />
auf dem Boden wie von einem schuppigen<br />
Schwanz, und plötzlich kam mir der<br />
Gedanke, die in meinem Hochglanzprospekt<br />
abgebildeten Orte könnten unter<br />
der Oberfläche miteinander verbunden<br />
sein, wie zuweilen weit voneinander<br />
entfernte Brunnen und Bäche durch unterirdische<br />
Wasseradern miteinander in<br />
geheimer Beziehung stehen, und wenn<br />
auch kein Flugzeug mich hatte nach<br />
Florida bringen können, so krochen<br />
hier vielleicht dennoch die Reptilien<br />
aus den Everglades in mein Zimmer<br />
im Silicon Valley. Sie waren durch den<br />
Fonds ja alle untereinander verbunden,<br />
das dunkle Bürogebäude an der Pariser<br />
Straßenkreuzung, die Scherbenruine<br />
in London, das Hotelressort mit der<br />
Krokodilsfarm in den Everglades und die<br />
Appartementanlage hier in Kalifornien –<br />
genauso wie das Kaufhaus in Osaka und<br />
der Büroturm in Seoul. Ich lag reglos im<br />
Dunkeln und lauschte, aber trotz meines<br />
Grauens schlief ich irgendwann noch<br />
einmal ein.<br />
Als ich zum letzten Mal erwachte, war<br />
der Schrank verschwunden. An seiner<br />
Stelle führen ein paar Stufen hinunter<br />
in ein Bassin. Mein Bett ist in die Mitte<br />
des Raumes gerückt und mein Oberkörper<br />
von Kissen gestützt, so dass ich die<br />
dunkle Wasseroberfläche sehen kann.<br />
Sie bewegt sich von Zeit zu Zeit, und<br />
manchmal reckt sich ein Stück von einem<br />
Schuppenpanzer daraus in die Höhe.<br />
Einmal erscheint der Kopf des kleinen<br />
Alligators, er ist wieder größer geworden,<br />
aber er verschwindet gleich wieder.<br />
Der faulige Geruch ist unerträglich<br />
geworden.<br />
Jetzt öffnen sich zwei Türen im Raum,<br />
und eine Masse zerlumpter Elendsgestalten<br />
drängt herein. Sie scharen sich um<br />
mich, aneinandergedrängt, eine lebende<br />
Gefängnismauer. Als Letzte tritt die Alte<br />
mit der Haarmatte ins Zimmer.<br />
Das schwarze Wasser gerät in heftige<br />
Bewegung, der kleine Alligator taucht<br />
auf und verschwindet blitzschnell unter<br />
meinem Bett. Hinter ihm hebt sich eine<br />
riesige Gestalt im Schuppenpanzer aus<br />
dem Bassin. Ein Maul mit Zähnen, so<br />
spitz wie gefeilt. Ein gezackter Schwanz<br />
peitscht das Wasser. Und das Wesen richtet<br />
sich auf und geht auf zwei Beinen.<br />
Die elenden Menschen sinken in die<br />
Knie. Sie beginnen zu murmeln, es klingt<br />
wie eine Litanei. Sie heben die nach oben<br />
gewandten Hände wie eine Opferschale.<br />
Wolken von Gestank wälzen sich über<br />
mir zusammen: Das Schuppenwesen<br />
nähert sich. Der Echsenschwanz gewinnt<br />
eigenes Leben, er windet und wiegt sich<br />
wie eine Schlange, und dann züngelt aus<br />
seinem schmalen Ende etwas Dunkel-<br />
Gespaltenes, das berührt mein Bein, zart<br />
und saugend, wie ein Schmetterlingsrüssel.<br />
Von hoch oben starrt mich das gelbe<br />
Reptilienauge an, wie in Paris, bei meiner<br />
ersten Begegnung mit der Realität hinter<br />
den Fotos.<br />
Ich werde das Kaufhaus in Osaka, das<br />
Bürogebäude in Seoul nicht sehen. Ich<br />
brauche auch die Bank in Budapest und<br />
das Hotel in Wien nicht mehr aufzusuchen.<br />
Ich kenne die Wirklichkeit hinter<br />
den glänzenden Bildern. Sie heißt Elend<br />
und Opfer.<br />
Und dies Mal bin das Opfer ich.<br />
Dorothea Renckhoff<br />
Textilmarkt<br />
Schloss Lüntenbeck<br />
Tageskarte: 3 € | Dauerkarte: 5 € | Kinder bis 12 Jahre frei<br />
9. – 12. Mai 2013, 11–18 Uhr<br />
Modenschau täglich 12 Uhr<br />
Tageskarte: 3 €, Dauerkarte: Schloss 5 Lüntenbeck €, Kinder bis | 42327 12 Jahre Wuppertal frei | www.schloss-luentenbeck.de<br />
Schloss Lüntenbeck, 42327 Wuppertal, www.schloss-luentenbeck.de<br />
52
Genau genommen sind es inzwischen 1200<br />
Gute Karten. So viele Ehrenamtskarten<br />
hat die Bürgerinitiative „(M)eine Stunde<br />
für Wuppertal“ inzwischen herausgegeben.<br />
„Wären wir eine Partei“, so Eva Möllers,<br />
Mitglied des Gute Karte Teams, „dann<br />
stünden wir bereits jetzt an zweiter Position.<br />
Und wir werden wahrscheinlich bald an<br />
der ersten Stelle stehen. Zumindest können<br />
wir heute schon davon ausgehen, dass wir<br />
Wuppertaler die Gemeinde mit den meisten<br />
Ehrenamtskarten in ganz Deutschland sind!“<br />
Nur eineinhalb Jahre nach dem Start der<br />
Guten Karte ist das eine stolze Bilanz.<br />
Foto: Till Brühne<br />
Foto: Bundespräsidialamt<br />
Wuppertal hat Gute Karten<br />
Unbürokratisch und ehrenamtlich.<br />
Woher kommt dieser Erfolg? Gudrun<br />
Herrmann, Projektleiterin bei „(M)<br />
eine Stunde für Wuppertal“, hat eine<br />
einleuchtende Erklärung: „Wir in Wuppertal<br />
machen die Dinge einfach etwas<br />
anders, niederschwellig, unbürokratisch,<br />
kostengünstig und natürlich ehrenamtlich“.<br />
Getreu dem Motto der Initiative<br />
ist jede Stunde wertvoll, die in der Stadt<br />
ehrenamtlich geleistet wird. Wer sich für<br />
andere einsetzt – und sei es für wenige<br />
Stunden – erhält seine Gute Karte. Dafür<br />
steht ein übersichtlicher Antrag auf www.<br />
meinestundefuerwuppertal.de bereit.<br />
Gute Karte drückt Anerkennung aus.<br />
Und wofür ist die Gute Karte gut? Lohn<br />
für die Mühen? Geld, Vergünstigungen?<br />
Zahlreiche Gespräche mit Ehrenamtlern<br />
haben gezeigt, dass es vor allem darauf<br />
ankommt, Menschen, die aus eigenem<br />
Antrieb für sich und andere Gutes tun,<br />
eines zukommen zu lassen: Anerkennung.<br />
Das ist daher auch der (einzige)<br />
Zweck der Guten Karte. Inhaber der<br />
Guten Karte werden in unregelmäßigen<br />
Abständen zu Veranstaltungen eingeladen,<br />
die Anerkennung in Form außergewöhnlicher<br />
Erlebnisse zum Ausdruck<br />
bringen.<br />
Einladungen zu Events für<br />
Gute Karte-Inhaber.<br />
Organisationen und Unternehmen unterstützen<br />
„(M)eine Stunde für Wuppertal“<br />
und bieten exklusive Veranstaltungen an.<br />
Sei es der Zoo, der nach Schalterschluss<br />
zu einer exklusiven Führung einlädt;<br />
eine Buchhandlung, die für Ehrenamtliche<br />
eine exklusive Lesung organisiert;<br />
der Intendant des Opernhauses, der zu<br />
einer Führung hinter die Kulissen und<br />
zu einer Probe persönlich einlädt; oder<br />
ein Brauhaus, das zeigt, wie Hopfen und<br />
Malz zusammenhängen. Opernintendant<br />
Johannes Weigand bringt es auf den<br />
einfachen Nenner: „Es ist mir einfach eine<br />
große Freude, auf diesem Wege einmal<br />
den Menschen Danke sagen zu können,<br />
die im Hintergrund wirken und unendlich<br />
wichtige Arbeit am Nächsten leisten.“<br />
53
Initiative trägt viele Früchte.<br />
Als „(M)eine Stunde für Wuppertal“ 2006<br />
von Bürgern für Bürger gegründet wurde,<br />
ging es vor allem darum, einfallsreich und<br />
humorvoll auf das Ehrenamt aufmerksam<br />
zu machen. Bald kam die Unterstützung<br />
durch die Stadt hinzu, die eine Servicestelle<br />
Ehrenamt einrichtete. Inzwischen wird<br />
jährlich ein wertvoller, vom Wuppertaler<br />
Künstler Frank Breidenbruch entworfener<br />
und privat gestifteter Preis für besonderes<br />
Engagement im Ehrenamt vergeben. Und<br />
im Sommer 2011 folgte die Gute Karte. In<br />
Kürze werden Bürger der Stadt gemeinsam<br />
mit der Verwaltung eine Freiwilligenagentur<br />
eröffnen, das „Zentrum für Gute Taten“.<br />
Es gibt allen Grund, Wuppertal als Stadt<br />
mit herausragenden Aktivitäten für das<br />
ehrenamtliche Engagement zu bezeichnen.<br />
Mit anderen Worten: Wuppertal hat Gute<br />
Karten!<br />
Mitmachen erwünscht!<br />
„(M)eine Stunde für Wuppertal“ ist von<br />
einer einfachen Initiative zu einer festen Organisation<br />
in Wuppertal gewachsen und wird<br />
von einer unabhängigen und gemeinnützi-<br />
Vom Wuppertaler Künstler Frank<br />
Breidenbruch entworfener Preis.<br />
Foto: Till Brüne<br />
gen „(M)eine Stunde für Wuppertal GmbH“<br />
getragen, die in der Elberfelder Schokoladenfabrik<br />
ihren Sitz hat. Dorthin können sich<br />
alle Bürger oder Organisationen wenden, die<br />
im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit<br />
das Logo von „(M)eine Stunde für Wuppertal“<br />
übernehmen oder Anerkennungsevents<br />
für Ehrenamtliche unterstützen möchten.<br />
Und natürlich alle, die für ihr ehrenamtliches<br />
Engagement in Wuppertal eine Gute Karte<br />
erhalten wollen.<br />
„(M)eine Stunde für Wuppertal“<br />
Schokoladenfabrik,<br />
Obergrünewalderstr. 8a, 42103 Wuppertal<br />
Telefon 0202-42990884<br />
E-Mail:<br />
info@MeineStundefuerWuppertal.de<br />
www.MeineStundefuerWupppertal.de<br />
Persönlicher Service für Fragen rund um<br />
die Gute Karte an jedem ersten Montag im<br />
Monat, 16-19 Uhr in der Schokoladenfabrik.<br />
Sparkassen-Finanzgruppe<br />
„Wunderbar, dass unsere Sparkasse<br />
einer der größten Kulturförderer<br />
Wuppertals ist.“<br />
<br />
Die Stadtsparkasse Wuppertal unterstützt Soziales, Kultur und Sport in Wuppertal mit rund 5 Mio. € pro Jahr. Wir sind uns als Marktführer unserer<br />
Verantwortung für die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt bewusst und stellen uns dieser Herausforderung. Mit unserem Engagement unterstreichen<br />
wir, dass es mehr ist als eine Werbeaussage, wenn wir sagen: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse<br />
54
Wolf Christian von Wedel Parlow<br />
ist 1937 in Prenzlau geboren, wuchs in<br />
der Uckermark, Böhmen und Baden auf,<br />
studierte in Heidelberg und Kiel Volkswirtschaftslehre,<br />
Geschichte und Soziologie,<br />
arbeitete als Wirtschaftswissenschaftler<br />
am Osteuropa-Institut in Berlin,<br />
an der Ökonomischen Hochschule in Prag<br />
und der Universität Wuppertal und<br />
lebt gegenwärtig in Wuppertal.<br />
Im NordPark Verlag Wuppertal erschienene<br />
Veröffentlichungen:<br />
Deutschlandhymnus. Gedicht<br />
Drahomira. Roman<br />
Wolf Christian von Wedel Parlow,<br />
Foto: Frank Becker<br />
Ein Pferd ist ein Pferd<br />
Froh, ihrem ständigen Spott, er habe<br />
bisher noch nie auch nur einen Euro<br />
zum gemeinsamen Haushalt beigetragen,<br />
endlich etwas Handfestes entgegensetzen<br />
zu können, reiste Friedrich<br />
nach Nürnberg, wo er im schriftlichen<br />
Nachlass Franz Marcs beim Germanischen<br />
Nationalmuseum Schriftstücke zu<br />
finden hoffte, die von der Franz-Marc-<br />
Forschung bisher vernachlässigt worden<br />
waren. Er war ehrgeizig, und sein<br />
Ehrgeiz war es, das festgefügte Bild, das<br />
die Wissenschaft von dem Künstler gezeichnet<br />
hatte, durch seinen Beitrag zu<br />
dem Ausstellungskatalog zu erschüttern.<br />
In ein anerkennendes Staunen wollte er<br />
die Kollegen versetzen, die das Forschungsfeld<br />
besetzt hielten. Um endlich<br />
aufgenommen zu werden in ihren Kreis.<br />
Denn bisher war er ein Nichts in der<br />
Hierarchie der Franz-Marc-Forscher,<br />
zählte gerade einmal zum Fußvolk.<br />
Der Archivbestand war seit seinem<br />
letzten Besuch in Nürnberg durch<br />
Neuzugänge erheblich gewachsen.<br />
Zweimal nahm er sich die Akten<br />
Stück für Stück vor − und musste sich<br />
eingestehen, dass die Kollegen, die sich<br />
vor ihm dieser Fron unterzogen hatten,<br />
sorgfältig gearbeitet hatten. Es fand sich<br />
nicht ein Hinweis, der den Stand der<br />
Forschung korrigiert oder auch nur um<br />
eine Schattierung ergänzt hätte. Er war<br />
enttäuscht. Er würde sich nun auf das<br />
Übliche beschränken müssen, Leben<br />
und Werk des Künstlers darstellen,<br />
vielleicht unter Einbeziehung neuerer<br />
Veröffentlichungen. Mehr als ein konventioneller<br />
Katalogbeitrag würde dabei<br />
nicht herauskommen.<br />
Ganz am Rande der Recherche war er<br />
auf ein Schriftstück gestoßen, das ihn<br />
inzwischen mehr beschäftigte als der<br />
Katalogbeitrag. Es handelte sich um ein<br />
Handschreiben an Franz Marc. Absender<br />
war ein gewisser Andreas, Arnulf<br />
oder Alexander – die Unterschrift ließ<br />
sich bei bestem Willen nicht genauer<br />
bestimmen. Der Verfasser – ob er<br />
nun Andreas hieß oder einen anderen<br />
Vornamen trug – schildert darin einen<br />
Besuch bei Gabriele Münter und Wassily<br />
Kandinsky, bei dem er Zeuge einer<br />
heftigen Auseinandersetzung zwischen<br />
den beiden wurde. Wer auch immer<br />
dieser Andreas war, vermutlich niemand<br />
55
Wassily Kandinsky, Improvisation 13,<br />
1910, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2012<br />
vom Fach, weder Künstler noch Kunsthändler<br />
oder Kunstwissenschaftler, aber<br />
vielleicht ein wohlhabender Freund und<br />
Förderer sowohl Franz Marcs als auch<br />
der Gastgeber, wer auch immer er war,<br />
er war offensichtlich tief beeindruckt<br />
von dem Streit, so tief, dass er meinte,<br />
er müsse ihn Wort für Wort festhalten<br />
in seinem Brief an den Freund.<br />
Friedrich fand den Brief bemerkenswert<br />
und begab sich sofort an die Transkription<br />
des nur schwer lesbaren Schriftstücks.<br />
Er tat sich immer noch schwer<br />
mit dem Entziffern altdeutscher Handschriften,<br />
aber wenn sie wie in diesem<br />
Fall auch noch mit nachlässiger Hand<br />
geschrieben waren, war es wirkliche<br />
Schwerarbeit. Doch die Mühe lohnte<br />
sich, wie er am Ende feststellte.<br />
Lieber Franz, – so begann der unbekannte<br />
Briefschreiber – unsere Freunde<br />
haben mich sehr herzlich aufgenommen.<br />
Am Abend floss für mich ungewohnt<br />
viel Wein. Wassil las einen<br />
Brief seiner Mutter vor. Seit dem blutig<br />
niedergeschlagenen Aufstand von 1905<br />
herrschen in Russland unglaubliche<br />
Zustände. Hausdurchsuchungen, Denunziationen,<br />
willkürliche Verhaftungen,<br />
Verbannungen. Die herrschende<br />
Klasse hat Angst, dass sich so etwas wie<br />
der Aufstand von 1905 wiederholt. Sie<br />
versucht deswegen, jegliche politische<br />
Debatte zu unterdrücken. Wassil überlegt<br />
sich allen Ernstes, ob sein Platz jetzt<br />
nicht in Russland sein sollte. Gabriele<br />
und ich versuchten, es ihm auszureden.<br />
Der Wein trug sicher viel zu der aufgewühlten<br />
Stimmung bei.<br />
Am Morgen waren wir alle wie gerädert.<br />
Wassil war sehr still. Er stellte eine<br />
schon grundierte, große Leinwand auf<br />
und begann mit heftigem Pinselstrich<br />
irgendwelche für mich nicht identifizierbaren<br />
Gebilde zu entwerfen. Ich<br />
saß an der Wand und sah ihm zu. Wir<br />
wechselten kein Wort. Irgendwann rief<br />
er nach Gabriele und bat sie, uns Kaffee<br />
zu machen.<br />
Bald darauf stieß Gabriele mit dem<br />
Ellenbogen die Tür auf und blieb mit<br />
dem Tablett im Türrahmen stehen.<br />
„Der Kaffee, Wassil, wie der Meister<br />
befohlen.“<br />
Wassily, knurrend: „Stell ihn hin!“<br />
„Schade um die Leinwand. Den ganzen<br />
Morgen bist du schon so aggressiv. Was<br />
ist los mit dir?“<br />
„Was ist los mit dir“, machte er sie nach.<br />
„Hast du nicht gehört, was meine Mutter<br />
geschrieben hat? Gestern Abend habe<br />
ich dir den Brief vorgelesen. Mal du nur<br />
56
weiter deine Stillleben, deine friedlichen<br />
Dörfer. Dich berührt das alles nicht.<br />
Russland, das ist so weit weg.“<br />
„Und du meinst, du hilfst deinem Volk,<br />
indem du Blut über die Leinwand fließen<br />
lässt.“ Sie wandte sich zum Gehen.<br />
„Bleib hier, Riele. Lass dir das erklären.<br />
Auch du kannst nur darstellen, was in<br />
deinem Kopf ist. Was steckt dort wohl<br />
drin in diesem Moment? Doch sicher<br />
wieder einmal ein Blumenstrauß. Hast<br />
du nicht gerade wieder einen gepflückt?<br />
Welcher Friede, welche Harmonie muss<br />
in so einem Blumenstrauß stecken!“<br />
Gabriele verschränkte die Arme, ganz<br />
Ablehnung.<br />
„Aber in meinem Kopf“, fuhr er fort,<br />
„gibt es nichts Harmonisches mehr seit<br />
dem Brief meiner Mutter. Kein Teich<br />
mit Seerosen, keine Kathedrale von<br />
Rouen. Sicher, das waren revolutionäre<br />
Darstellungen, aber wie fern von der<br />
gesellschaftlichen Situation. In meinem<br />
Kopf ist nur Zerrissenheit, nur die kann<br />
ich darstellen.“<br />
„Dann mach eben mal eine Pause, du<br />
Berserker. Komm, wir machen einen<br />
Spaziergang.“ Sie legte ihm die Hand auf<br />
die Schulter.<br />
„Hebe dich hinweg, Verführerin!“ Er<br />
drückte einen Klecks tiefrote Farbe auf<br />
die Palette und mischte mit dem Pinsel<br />
eine Spur giftiges Grün hinein.<br />
„Schon die Farben, die du nimmst, da ist<br />
nichts Wirkliches, nichts Erkennbares.<br />
Ästhetik, die Kunst der Wahrnehmung.<br />
Was soll, was kann der Betrachter auf<br />
dieser Leinwand erkennen? Du machst<br />
dir deinen Ruf kaputt, wenn du so weiter<br />
machst.“<br />
„Vielleicht denkst du da an deinen eigenen<br />
Ruf, Riele. Dass du mit diesem Kerl<br />
zusammen bist. Die Kunst der Wahrnehmung,<br />
meine Güte.“ Er fasste sich an<br />
die Stirn. „Du machst es dir zu einfach,<br />
Riele. Es kann doch nichts Beliebiges<br />
sein, was wahrgenommen werden soll.<br />
Es geht um die Wahrheit in den Dingen,<br />
in ihrer Darstellung, im Prozess ihrer<br />
künstlerischen Wiedergabe. Es wäre eine<br />
Lüge, wenn ich mich jetzt mit der Staffelei<br />
vor die Kirche stellte und – wie der<br />
unglückliche Sisley in Rouen – anfinge,<br />
meine Impression von der Kirche auf die<br />
Leinwand zu projizieren. Wahr ist nur das<br />
Chaos in meinem Kopf. Nur das kann ich<br />
in diesem Moment darstellen.“<br />
„In diesem Moment. Niemand zwingt<br />
dich, in diesem Moment zu malen.<br />
Warum wartest du nicht einfach ab, bis<br />
du die Dinge wieder siehst, wie sie sind.<br />
Ein Baum ist ein Baum. Ein Pferd ist ein<br />
Pferd. Ein Reiter ist ein Reiter. Und die<br />
Zustände in Russland sind, wie sie sind.“<br />
Sie drehte ihm den Rücken zu und sah<br />
zum Fenster hinaus.<br />
„Nun fehlt nur noch, dass du sagst, ich<br />
sei krank. Krank, weil unfähig, in einem<br />
Pferd ein Pferd zu sehen. Ich will es<br />
dir einmal genau sagen: Ein Pferd als<br />
Pferd darzustellen ist so überflüssig wie<br />
ein Kropf. Man sieht das Tier doch alle<br />
Tage. Das Pferd müsste schon irgendetwas<br />
auslösen, ein Gefühl, . . . weil es<br />
auf irgendetwas losgeht, weil es angreift.<br />
Aber Pferde sind Fluchttiere. Sie passen<br />
irgendwie zu deiner Harmoniesucht, die<br />
ja auch nur eine Art Flucht ist, Flucht<br />
vor der Wirklichkeit. . . . Jetzt bleib doch<br />
hier, Riele, du musst nicht gleich beleidigt<br />
sein, wenn ich mal ein kritisches Wort<br />
verliere.“ Die Palette mit dem Pinsel<br />
in der Linken, ging er zu ihr hin und<br />
streichelte sie am Ohr. „Du hast mich da<br />
auf etwas gebracht.“ Er sah auf die Straße<br />
hinaus. „Ein Reiter könnte das Pferd<br />
lenken, zum Angriff . . . oder wenigstens<br />
zum Protest. Aber jetzt muss erst einmal<br />
diese Arbeit fertig werden. Schau mal,<br />
dieser schräge Strich könnte der Pferderücken<br />
sein, ein Pferd, das sich aufbäumt<br />
. . .“<br />
„Kein Pferd hat einen so geraden Rücken!“<br />
Sie sah immer noch zum Fenster<br />
hinaus, mit verschränkten Armen.<br />
„Es geht doch nur um eine Andeutung.<br />
Wenn ich noch den Reiter hinzufüge,<br />
wird dem Betrachter schon klar werden,<br />
dass es sich hier verdammt nicht nur<br />
um eine aus der Verzweiflung geborene<br />
Komposition handelt. Natürlich ist alles<br />
ein wenig improvisiert. Mensch, vielleicht<br />
wäre Improvisation wieder einmal ein<br />
passender Titel, die Nr. 13 meiner Improvisationen<br />
. . . Schau nicht so verdüstert,<br />
Riele, ist doch ein guter Tag heute.“<br />
Ich glaube, ich brauche Dir nicht zu<br />
erklären, warum ich den Wortwechsel<br />
zwischen den beiden so ausführlich wiedergebe.<br />
Es könnte manche Anregung für<br />
Dich darin enthalten sein. Indiskret bin<br />
ich nicht, meine ich. Ich hatte sie gefragt,<br />
ob ich Dir von dem Streit berichten<br />
dürfte.<br />
Du erfreust Dich hoffentlich bester<br />
Gesundheit und ungetrübter Schaffensfreude.<br />
In alter Freundschaft Dein getreuer ...<br />
Kein Wunder, dachte Friedrich, dass der<br />
Brief keine Beachtung bei den Franz-<br />
Marc-Spezialisten gefunden hatte. Er<br />
betraf Franz Marc ja nur indirekt, hatte<br />
ihn vielleicht beeinflusst, aber beweisen<br />
ließ sich das nicht. Außerdem, was fing<br />
man als gestandener Franz-Marc-Forscher<br />
mit dem Brief eines Unbekannten an?<br />
Das machte sich einfach nicht gut in<br />
einem Fachbeitrag. Es hörte sich an, als<br />
habe der Verfasser da etwas konstruiert,<br />
den Brief vielleicht sogar erfunden. Die<br />
genaue Quellenangabe diente, wer weiß,<br />
vielleicht nur der Tarnung.<br />
Für die Kandinsky-Forschung wäre das<br />
Schriftstück natürlich ein Fest, aber die<br />
schaute begreiflicherweise nicht in das<br />
Franz-Marc-Archiv, sie hatte genug damit<br />
zu tun, die schriftlichen Hinterlassenschaften<br />
ihres eigenen Hausgottes zu sichten.<br />
Und Friedrich hielt es für abträglich,<br />
sich als Fachfremder auf das Gebiet der<br />
Kandinsky-Forschung zu wagen. Man<br />
hätte seinen Beitrag wahrscheinlich belächelt.<br />
Er musste auf seinen Ruf achten.<br />
Allzu leicht bekam man das Etikett eines<br />
Dilettanten angehängt.<br />
Aber totschweigen wollte Friedrich den<br />
Brief des Unbekannten auch nicht.<br />
Denkbar schien eine Veröffentlichung im<br />
Feuilleton einer größeren Zeitung, vielleicht<br />
einer Wochenzeitung. Er bekäme<br />
damit ein weiteres Argument gegen den<br />
Spott seiner Lebensgefährtin in die Hand.<br />
Allerdings müsste er noch einen Vorspann<br />
verfassen, am besten, indem er schildert,<br />
wie er auf den Brief gestoßen ist. Ja, so<br />
wollte er es machen.<br />
Wolf Christian von Wedel Parlow<br />
57
Kairos<br />
Vom Umgang mit dem günstigen Augenblick<br />
Klaudia Anosike, Kirsten Rönfeldt,<br />
Anna Stöcker<br />
Klaudia Anosike<br />
Schlaraffenland 1, 4-teilig, 270 x 200 cm,<br />
Acryl und Collage auf Leinwand<br />
Kunst in der Sparkasse<br />
Die Arbeiten von Klaudia Anosike, Kirsten<br />
Rönfeldt und Anna Stöcker verbindet inhaltlich<br />
kaum etwas miteinander. Im Gegenteil,<br />
die Ideen, Intentionen und Konzepte der<br />
Künstlerinnen scheinen vielmehr konträr<br />
zu sein. Auch im biografischen Werdegang<br />
finden sich keine Gemeinsamkeiten: Klaudia<br />
Anosike hat Grafikdesign mit dem Schwerpunkt<br />
Freie Grafik und Illustration an der<br />
Folkwangschule in Essen studiert, Kirsten<br />
Rönfeldt absolvierte den Studiengang Industrial<br />
Design an der Bergischen Universität<br />
und Gesamthochschule in Wuppertal<br />
und Anna Stöcker verließ die Düsseldorfer<br />
Kunstakademie als Meisterschülerin von<br />
Frau Prof. Irmin Kamp nach ihrem Studium<br />
der Freien Kunst und der Bildhauerei.<br />
In der Verschiedenheit und Eigenständigkeit<br />
der drei Künstlerinnen liegt die Stärke ihrer<br />
gemeinsamen Ausstellung, die sie „Kairos“<br />
genannt haben.<br />
Kairos galt in der griechischen Mythologie<br />
als Gott des günstigen Augenblicks. In der<br />
Philosophie bezeichnet der Begriff den günstigen<br />
Zeitpunkt für eine richtige Entscheidung,<br />
den man nicht verstreichen lassen,<br />
sondern beim Schopf packen sollte. Für<br />
die Künstlerinnen, deren Arbeiten hier im<br />
Mittelpunkt stehen, ist Kairos der Moment,<br />
der für das Kunstschaffen essentiell und wesentlich<br />
ist, weil ohne die entscheidende Idee<br />
und Initialzündung keine Kunst entstehen<br />
kann. Jede Künstlerin und jeder Künstler erlebt<br />
diesen Augenblick individuell, niemand<br />
kann ihn forcieren oder beschleunigen. Die<br />
Angst vor der weißen Leinwand kennen<br />
Maler ebenso wie Autoren die gefürchtete<br />
Schreibblockade. In diesen leeren Situationen<br />
wartet Jede und Jeder sehnsüchtig<br />
auf Kairos. Der richtige und entscheidende<br />
Moment kann sich unverhofft, plötzlich und<br />
überraschend, abseits des Ateliers, einstellen.<br />
Inspiration und Intuition, Idee und Gedanke<br />
werden dann zum Initiator für neue<br />
Werke. Kairos verbindet die Künstlerinnen<br />
miteinander und steht für den Beginn und<br />
Ursprung ihrer Werke, die sich unterschiedlich<br />
entwickeln und individuell, autonom<br />
und unabhängig nebeneinander stehen. Der<br />
Reiz der gemeinsamen Präsentation liegt im<br />
Gegensatz und in der Unterschiedlichkeit<br />
der Bildaussagen und Darstellungsweisen.<br />
Der Dialog der Exponate verdeutlicht<br />
Differenzen und zeigt zugleich die Besonderheiten<br />
und einzigartigen Merkmale und<br />
Eigenschaften dreier spannender, außerordentlich<br />
bemerkenswerter Positionen der<br />
Gegenwartskunst.<br />
58
Klaudia Anosike<br />
Schlaraffenlandschaften<br />
Klaudia Anosike liebt die Natur,<br />
zeichnet und fotografiert im eigenen<br />
Garten und nimmt dabei gerne<br />
die Position eines Käfers ein, der<br />
mittendrin im saftigen Grün einer<br />
Wiese die Vielfalt und Übermacht der<br />
Natur empfindet. Aber auch laufend<br />
erkundet die passionierte Joggerin das<br />
Bergische Land und erlebt, erspürt<br />
und genießt die Wälder und ihren<br />
Wandel im Verlauf der Jahreszeiten.<br />
Das Hauptmotiv in den Bildern von<br />
Klaudia Anosike gehört zum traditionellsten<br />
Thema in der Geschichte<br />
der Kunst: Die Landschaft steht im<br />
Mittelpunkt der mehrteiligen Werke,<br />
deren eindrucksvolle Bildwelten verschiedene<br />
Medien kongenial miteinander<br />
verbinden. Malerei, Fotografie,<br />
Zeichnung und Collage dienen der<br />
Künstlerin als technische Mittel, um<br />
ihre scheinbar realistischen, beeindruckenden<br />
und farbintensiven Phantasielandschaften<br />
zu erfinden. Gräser<br />
und Farne werden fotografiert und<br />
am Computer vergrößert. Im Garten<br />
entstandene Zeichnungen scannt<br />
die Künstlerin ein, bearbeitet sie am<br />
Rechner, verändert ihre Proportionen<br />
und Farben und druckt das Ergebnis<br />
aus. Die bearbeiteten Naturstudien<br />
dienen als Collagematerial und<br />
werden Teil der gemalten Leinwandbilder.<br />
Klaudia Anosike konstruiert<br />
in einem langwierigen Arbeitsprozess<br />
zeitgenössische Ideallandschaften, die<br />
sie „Schlaraffenland“ nennt. Malend<br />
schafft sie eine grün und blau geprägte<br />
Bühne für Gräser, Farne, Blüten und<br />
Klaudia Anosike<br />
Cutout 3, 107 x 78 cm, (geschnitten aus<br />
aquarelliertem Büttenpapier)<br />
Flechten, die den Bildraum definieren.<br />
Die verschiedenen Bildelemente<br />
werden Teil fiktiver Traumwelten, deren<br />
Perspektive bewusst keiner Logik<br />
folgt. Bestimmendes Gestaltungsprinzip<br />
ist die Phantasie. Die künstlichen<br />
Produkte wirken wie täuschend echte<br />
Abbilder, deren Dimensionen den<br />
Betrachter in das Bild hineinziehen.<br />
Während des Entstehungsprozesses<br />
wachsen die Bilder und werden<br />
großformatig und mehrteilig fortgeführt.<br />
So wird der Mensch, obwohl<br />
er auf den erfundenen Orten niemals<br />
sichtbar ist, integraler Bestandteil der<br />
Landschaft. Die Natur dient auch als<br />
Ideengeber für die Reihe „Cutouts“.<br />
Die Künstlerin zeichnet mit dem<br />
Bleistift florale Formen und ornamentale<br />
Strukturen auf Büttenpapier,<br />
färbt die Flächen grün und schneidet<br />
diese anschließend mit dem Skalpell<br />
aus. Diese filigrane Arbeit erfordert<br />
Geduld, Akkuratesse, Konzentration,<br />
Fingerspitzengefühl und kontemplative<br />
Ruhe. Die Format füllenden<br />
Pflanzengebilde wachsen scheinbar<br />
grenzenlos in- und übereinander. Das<br />
Auge des Betrachters taucht ein, verliert<br />
sich im akribischen Gestrüpp des<br />
paradiesischen Grüns und muss doch<br />
sehr präzise schauen, um sich zu orientieren.<br />
Dabei stößt der Betrachter<br />
an die Grenzen des Sehens. Die Tiefe<br />
59
des Bildraums lässt sich nicht umfassend<br />
bis auf den Grund erobern.<br />
Mensch und Natur nähern sich bei<br />
Klaudia Anosike auf wunderbar<br />
beglückende Weise: Sensibel und<br />
feinfühlig präsentiert wird die Welt<br />
nachdrücklich spürbar.<br />
Kirsten Rönfeldt<br />
Augenschmaus<br />
Darstellungen zu Geschichten und beflügeln<br />
inspirierend unsere Vorstellungskräfte. Als<br />
zentrales Motiv des Surrealismus steht das<br />
Auge als Metapher für die labile Zugeordnetheit<br />
der Dinge und verweist darauf, dass<br />
die Realität allein mit dem bloßen Auge<br />
nicht zu erkennen sei. Die übergeordnete<br />
Wirklichkeit galt als vieldeutig und nicht<br />
entschlüsselbar. Das Auge gilt als Instrument<br />
der sinnlichen aber auch der intellektuellen<br />
Wahrnehmung. Es sieht, schaut, guckt,<br />
gafft, zwinkert, blinzelt, beobachtet und<br />
dient als wesentliches Mittel zur Erkenntnis.<br />
Die Individualität des menschlichen Auges<br />
und der damit verbundene Ausdruck höchster<br />
Emotionalität fehlen den toten Tieren<br />
in den Fotografien von Kirsten Rönfeldt.<br />
Dennoch sind die animalischen Objekte<br />
von merkwürdig anziehender, melancholischer<br />
Schönheit und spiegeln das Licht<br />
schillernd und bizarr wider. Die Künstlerin<br />
schafft kraftvolle, märchenhafte Werke, die<br />
uns zugleich abstoßen und anziehen. Kirsten<br />
Rönfeldt stört unsere Sehgewohnheiten,<br />
provoziert und bricht Konventionen. Ihre<br />
poetischen Fotos handeln vom alltäglichen<br />
Das Hauptmotiv in den Fotografien von<br />
Kirsten Rönfeldt ist das Auge. Die Künstlerin<br />
erhält Tierköpfe vom Schlachthof, greift<br />
selbst zum Skalpell und pult die Augen der<br />
Schweine, Schafe und Hühner eigenhändig<br />
heraus. Sie ist fasziniert von der Ästhetik<br />
der tierischen Sinnesorgane, die bei der<br />
Erzeugung von Wurst- und Fleischwaren als<br />
Abfallprodukte gelten. Schnelles Arbeiten<br />
ist erforderlich, wenn die Künstlerin die<br />
Lieferung des Schlachthofs erhält, denn<br />
nach kurzer Zeit trübt sich die Iris des toten<br />
Organs ein. Kirsten Rönfeldt verwendet<br />
die Augäpfel für ihre Fotografien und<br />
nahezu Ekel erregend glotzen die Tieraugen<br />
zwischen Cornflakes, aus der Bratpfanne<br />
oder auf dem Brotbelag hervor. Die surrealen,<br />
disparaten Arrangements befremden,<br />
erstaunen und irritieren den Betrachter.<br />
Die Kombination der profanen Gegenstände<br />
mit einer Menge seltsam homogen<br />
starrender Augen wirkt grotesk, absurd und<br />
abwegig. Bereiche des alltäglichen, bürgerlich<br />
anmutenden, spießigen Wohnumfelds<br />
werden zur hintergründig rätselhaften Kulisse.<br />
Die Metaphorik der inszenierten drastischen<br />
Milieustudien erschließt sich nicht.<br />
Dennoch animieren die äußerst narrativen<br />
60
Leben, von der Vergänglichkeit und vom<br />
Tod. Die ambivalenten Stimmungsbilder<br />
bewegen sich zwischen Realität und Fiktion<br />
und führen uns an reizvolle Abgründe von<br />
Grauen und Schönheit.<br />
Kirsten Rönfeldt, linke Seite:<br />
Aus der Serie „Blauäugig“, 150 x 100 cm,<br />
Fotoprint auf Alu-Dibond<br />
unten:<br />
Aus der Serie „Blauäugig“, 100 x 70cm,<br />
Fotoprints<br />
Anna Stöcker<br />
Körperräume<br />
Für ihre inszenierten Fotografiecollagen<br />
steht Anna Stöcker selbst Modell. Das<br />
Medium für ihre überaus tiefsinnige<br />
Darstellung seelischer Befindlichkeiten ist<br />
ihr eigener Körper. Reduziert, egalisiert<br />
und anonymisiert negiert das eigene Ich<br />
allerdings jede Individualität und wird zur<br />
bloßen äußeren Hülle mit aussagekräftigem<br />
Innenleben. Die menschliche Figur<br />
steht dem Betrachter frontal gegenüber<br />
und füllt den vertikalen Bildraum aus.<br />
Das Abbild des Körpers wird nüchtern<br />
und analytisch präsentiert, fast als solle<br />
es der medizinischen Analyse dienen und<br />
die Anatomie des Körpers thematisieren.<br />
Die verletzlich erscheinende grazile Körperhülle<br />
dient der Künstlerin jedoch zur<br />
Vermittlung feinsinniger und bedeutsamer<br />
Inhalte, die sich mit dem Seelenleben<br />
des Menschen auseinandersetzen. Mittels<br />
banaler Kinderschuhkartons, die hinter<br />
die Fotografie montiert werden, schafft<br />
die Künstlerin formale Bildräume, die<br />
räumlich real und metaphorisch in die<br />
Tiefe gehen. Kompositorisch stehen die<br />
Innenräume im Fokus des Bildes und<br />
zentral in der Mitte des Körpers. Sie sind<br />
gefüllt mit alltäglichen Materialien, die<br />
allegorisch für bestimmte emotionale<br />
Zustände des Menschen stehen. Mullbinden<br />
dienen als Sinnbild der Verletzlichkeit,<br />
Steine symbolisieren die schwere<br />
Last, die auf einem Menschen liegen<br />
Anna Stöcker<br />
Rote Quadrate, 2 x 200 x 200 cm<br />
Filzstift auf Papier<br />
61
Anna Stöcker<br />
ganz oben:<br />
Rote Quadrate, 2 x 200 x 200 cm<br />
Filzstift auf Papier<br />
Rote Quadrate<br />
„Jeder Mensch ist ein Künstler. (…) Damit<br />
sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur<br />
etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die<br />
in jedem Menschen vorliegt.“<br />
(Joseph Beuys)<br />
Anna Stöcker hat Personen in der Öffentlichkeit<br />
angesprochen und sie darum geoben:<br />
Körperräume, Installation, 9-teilig,<br />
je 50 x 30 cm<br />
kann. Fast voyeuristisch blickt der<br />
Betrachter in das Innere des gläsernen<br />
Menschen und auf den Grund seiner<br />
Seele. Anna Stöcker schafft beeindruckende<br />
psychologische Portraits vom<br />
Menschen, die individuell und zugleich<br />
allgemeingültig sind: Sie treffen<br />
und betreffen jeden von uns.<br />
Stadt im Transit<br />
Schaulustige Einblicke in die Privatsphäre<br />
fremder Haushalte gewährt die Künstlerin<br />
mit ihrer Arbeit „Stadt im Transit“.<br />
Zahlreiche Milchtüten werden in einem<br />
Holzcontainer neben- und übereinander<br />
zu einer fiktiven Stadtansicht arrangiert.<br />
Die Häuserzeilen erscheinen vollkommen<br />
gleichförmig, denn das Format des<br />
Tetra-Packs ist vorgegeben und wird<br />
seriell aneinandergereiht. Uneinheitlich<br />
dagegen fällt der Blick durch das simulierte<br />
Fenster aus, das reale Wohnräume<br />
zeigt. Anna Stöcker hat Wohnungen von<br />
Freunden und Bekannten fotografiert<br />
und die entstandenen Aufnahmen für<br />
ihre Installation verwendet. Sie lässt den<br />
Betrachter teilhaben am Blick hinter die<br />
Fassade. Persönlicher Hausrat, Einrichtungsstil,<br />
antikes Mobiliar oder Ikeasofa,<br />
Chaos oder Ordnung – es gibt Hinweise<br />
auf die Personen, die dort wohnen und<br />
ihre Privatsphäre namenlos offenbaren.<br />
Das Bewahren der Anonymität schützt die<br />
Intimität der namenlosen Protagonisten.<br />
Im Zeitalter sozialer Netzwerke, wo private<br />
Momente demonstrativ gepostet werden,<br />
ist das nicht selbstverständlich. Was aber<br />
offenbaren die belanglosen Uploads im<br />
World Wide Web über den Menschen?<br />
Anna Stöckers Einblicke in alltägliche Küchen<br />
und Wohnzimmer sind lebendiger<br />
und spannender, weil hier die Sicht auf das<br />
Selbst thematisiert wird. Die vermeintlich<br />
subjektiven Bilder von fremden Wohnstätten<br />
führen zu umfassenden tiefgehenden<br />
Gedanken und Aussagen über den Menschen<br />
und sein Zuhause.<br />
62
eten, an einer Kunstaktion teilzunehmen.<br />
Jeder, der zufällig gefundenen Akteure, sollte<br />
ein Viereck von 10 x 10 cm Fläche mit<br />
roten Stiften bemalen, die anschließend zu<br />
einem großen Quadrat arrangiert wurden.<br />
400 Menschen gestalteten auf diesem Wege<br />
ein 2 x 2 Meter großes rotes Bild. Anna<br />
Stöcker fotografierte die unprofessionellen<br />
Zeichnerinnen und Zeichner, während sie<br />
konzentriert und still, oder auch gestisch,<br />
schnell und spontan agierend, ihre Aufgabe<br />
umsetzten. Diese 400 fotografischen Dokumentationen<br />
wurden, ebenfalls im Format<br />
10 x 10 cm, zu einem weiteren Quadrat<br />
kombiniert. Die Künstlerin hebt mit ihrer<br />
Aktion bewusst Schranken auf. Der öffentliche<br />
Raum wird zum Atelier. Menschen,<br />
die sich vielleicht überhaupt nicht mit<br />
Kunst auseinandersetzen, tragen entscheidend<br />
zur Entstehung eines Kunstwerkes bei<br />
und werden Teil einer konzeptuellen Aktion.<br />
Anna Stöcker hinterfragt klug den gängigen<br />
Kunstbegriff. Wo kann Kunst heute<br />
stattfinden? Wodurch definieren sich Kunst<br />
und Künstler? Eine endgültige Antwort<br />
auf diese Fragen gibt die Künstlerin nicht.<br />
Aber sie regt an, über solche Fragestellungen<br />
nachzudenken. Dabei bezieht sie ganz gezielt<br />
die Öffentlichkeit ein. Menschen, wie<br />
Du und Ich, erhalten die Möglichkeit, aktiv<br />
am Kunstprozess teilzunehmen. Kunst wird<br />
vom Sockel gehoben und demokratisiert.<br />
„Jeder Mensch ist ein Künstler“ und hat alle<br />
Möglichkeiten, das Leben zu gestalten.<br />
Körperräume, Installation, 9-teilig,<br />
Details, je 50 x 30 cm<br />
Fazit<br />
Drei außergewöhnliche Künstlerinnen,<br />
drei phänomenale Ansätze junger Kunst,<br />
ein entscheidender Moment – Kairos! Das<br />
Ergebnis: Unzählige Ideen, Gedanken,<br />
Bilder, Betrachtungen, Reflexionen und<br />
Fiktionen über das Leben. Klaudia Anosike,<br />
Kirsten Rönfeldt und Anna Stöcker malen,<br />
zeichnen, fotografieren, inszenieren, collagieren,<br />
arrangieren, kolorieren, variieren,<br />
komponieren und entwickeln unterschiedliche<br />
Werke. Sie schaffen eine vielfältige und<br />
unerschöpfliche, narrative oder meditative,<br />
reale oder hypothetische Bildwelt. Sozialkritisch,<br />
ästhetisch, konzeptuell, symbolisch,<br />
subversiv, metaphorisch, sensibel und<br />
individuell schaffen sie hinterfragend komplexe<br />
Bedeutungsebenen. Sie lenken den<br />
Blick sowohl auf globale Inhalte als auch<br />
auf unsere eigene Identität und erweitern<br />
unseren geistigen Horizont so maßgebend<br />
und nachdrücklich.<br />
Gisela Elbracht-Iglhaut<br />
The art of tool making<br />
63
und ihre glückliche Reise…<br />
Annika Boos, Foto: Jessylee<br />
Spielzeit 2012/13<br />
Ensemblemitglied der Wuppertaler Bühnen<br />
November 2012<br />
Rolle der Monika in "Glückliche Reise",<br />
Wuppertaler Bühnen<br />
2007-2012<br />
Gesangsstudium bei Prof.in Klesie Kelly-Moog<br />
Seit 2008<br />
Zusätzliches Studium<br />
der Allgemeinen Musikerziehung<br />
November 2012<br />
3.Preis beim Bundeswettbewerb Gesang<br />
Berlin und Preis für beste Darbietung<br />
eines zeitgenössischen Stücks<br />
Juni 2012<br />
3.Preis beim internationalen<br />
Robert-Schumann-Wettbwerb in Zwickau<br />
März 2012<br />
1.Preis Barmenia Musikwettbewerb<br />
Mai 2011<br />
1.Preis International<br />
LiedDou Concours Enschede<br />
September 2011<br />
Nominierung als beste Nachwuchssängerin<br />
in NRW von der Fachzeitschrift "Theater<br />
Pur" für die Rolle der Margareta in "Der<br />
Drache vom Dönberg"<br />
Annika Boos<br />
Mit herkömmlichen Inszenierungen war<br />
und wird es immer schwierig sein, überregionales<br />
Interesse zu wecken. Oft gehört<br />
Mut dazu, auch selten aufgeführte Stücke<br />
in den Spielplan zu nehmen. Wuppertals<br />
Opernintendant Johannes Weigand<br />
bewies diesen Mut, als er die seit 25 Jahren<br />
nicht mehr aufgeführte lyrische Oper, die<br />
Tragödie „Bluthochzeit“ mit der Musik<br />
von Wolfgang Fortner seinem Publikum<br />
präsentierte. Nicht nur die Wuppertaler<br />
Medienlandschaft hat sich mit der „Bluthochzeit“<br />
intensiv beschäftigt. Die renommierte<br />
Fachzeitschrift „Opernwelt“ widmete<br />
in der März/2013-Ausgabe der Wuppertaler<br />
Inszenierung eine Doppelseite. Vor allem<br />
die an vielen Häusern weltweit tätige Dalia<br />
Schaechter wurde hochgelobt. Seit 1995 ist<br />
die gebürtige Israelin an der Kölner Oper<br />
fest engagiert. Aufgetreten ist sie an der Wiener<br />
und der Berliner Staatsoper, in Bayreuth<br />
und in der Carnegie Hall in New York mit<br />
einer Vielzahl hochkarätiger Dirigenten.<br />
In einer eher kleinen Rolle als Das<br />
Kind/Ein Mädchen stand auch Annika<br />
Boos bei dieser Inszenierung auf der Bühne.<br />
Sehr konzentriert mit einem Seilchen<br />
springend und die Bühne per Sturz verlassend<br />
traf sie dennoch erstaunlich virtuos die<br />
Töne (siehe letzte Ausgabe von Beste Zeit.)<br />
In einer anderen Inszenierung im<br />
Opernhaus spielte Annika Boos eine<br />
der Hauptrollen. In der im Jahre 1932<br />
im Berliner Kurfürstendamm-Theater<br />
uraufgeführten Eduard Künneke-Operette<br />
„Glückliche Reise“ brillierte sie in der<br />
Rolle der Monika Brink. Und das als festes<br />
Ensemblemitglied. Es ist in der jüngeren<br />
Geschichte dieses Hauses nicht allzu oft<br />
(wenn überhaupt) vorgekommen, dass<br />
eine noch so junge, gebürtige Wuppertalerin<br />
mit einem festen Vertrag belohnt<br />
wurde. Dahinter steht die sehr besondere<br />
Geschichte, als sich die Abiturientin des<br />
Carl Duisberg-Gymnasiums im Jahre 2006<br />
um eine Praktikantenstelle bei den Bühnen<br />
bewarb und in einer rekordverdächtigen<br />
und von vielen glücklichen Umständen<br />
begleiteten Zeit in eine Regie-Assistentenrolle<br />
schlüpfte und nicht minder schnell<br />
auch ihre Gesangskünste beweisen durfte.<br />
Sie sang im Extrachor, war die Margery im<br />
„Drachen vom Dönberg“, die Papagena in<br />
der „Zauberflöte“, die Ilse in der Uraufführung<br />
der Kammeroper „Aufstand“ und<br />
nun hat sie das Wuppertaler Publikum in<br />
der „Glücklichen Reise“ begeistert. Sie hat<br />
zu dieser Blitzkarriere gesagt: „Ich habe<br />
einfach immer Glück gehabt.“ Behutsam<br />
begleitet hat dieses Glück der von seinen<br />
Mitarbeitern für warmherziges Teamwork<br />
gemochte Intendant Johannes Weigand.<br />
Annika Boos landete schon als Praktikantin<br />
direkt bei ihm und als sich das Ensemble<br />
und auch viele Besucher zur öffentlichen<br />
Premierenfeier nach der „Glücklichen<br />
Reise“ im Kronleuchter-Saal einfanden,<br />
war dem nach der Spielzeit 2013/2014<br />
scheidenden Intendanten eine Prise Stolz<br />
anzumerken, als er die Solisten nach vorn<br />
bat. Bei Annika Boos prophezeite er: „Ich<br />
glaube, da kommt noch was…“<br />
Zu den Premierengästen im Opernhaus<br />
zählten neben der Mutter und der Tante<br />
rechts<br />
Annika Boos und ihre Mutter Christa<br />
rechte Seite:<br />
„Glückliche Reise“ mit Annika Boos und<br />
Olaf Heye. Foto: Uwe Stratmann<br />
64
Bei der Championatsehrung auf der Galopprennbahn in Dortmund. Foto: Klaus-Jörg Tuchel<br />
Ruth Drees auch zwei Omas und ein Opa.<br />
Alle mächtig stolz auf Annika, von der die<br />
Frau Mama zu recht sagte: „Es war toll, wie<br />
viel Charme sie auf der Bühne versprühte.“<br />
Es war auch ihr Verdienst, dass die<br />
„Glückliche Reise“ zu einem Erfolgsstück<br />
dieser Wuppertaler Saison wurde. Allerdings<br />
vermutete man selbst bei näherer Betrachtung<br />
in dieser Rolle von Annika Boos keine<br />
25-jährige. Da hatte das Team um Markus<br />
Moser als Leiter der Maske Außergewöhnliches<br />
geleistet, bei Elena Fink als Lona<br />
Vonderhoff nicht minder. Mit der populären<br />
und mittlerweile in Wuppertal vielfältig<br />
verwurzelten Solistin und jungen Mutter<br />
versteht sich Annika Boos bestens: „Sie ist<br />
ein absoluter Profi und ich bin stolz, mit ihr<br />
auftreten zu können.“<br />
Die Basis dafür waren Auftritte mit<br />
Musical- und Popsongs im CDG und der<br />
Gospelchor der Gemeinde Unterbarmen-<br />
Mitte. In der nicht mehr kirchlich genutzten<br />
Bonhoeffer-Kirche ist sie vom späteren<br />
Hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten<br />
Professor Dr. Peter Steinacker getauft und<br />
von Sylvia Bukowksi konfirmiert worden.<br />
Deren Ehemann Peter Bukowski, Leiter<br />
des Theologischen Zentrums Wuppertal,<br />
hat früh erkannt, welches Potenzial in ihrer<br />
Stimme steckt. Christa Boos lässt keinen<br />
Zweifel: „Er ist ihr eigentlicher Entdecker.“<br />
Einen Wohnsitz hat die Wuppertalerin<br />
Annika Boos noch in der Nähe des<br />
Eigelstein-Viertels in Köln. An der Musikhochschule<br />
der Domstadt hat sie studiert.<br />
Derzeit trifft man sie aber häufig zu Hause<br />
in der Nähe des Barmer Klinikums an. Und<br />
wo geht die glückliche Reise der inzwischen<br />
für zahlreiche Konzerte gebuchten Sopranistin<br />
hin? Annika Boos nimmt es gelassen:<br />
„Ich plane nichts. Vieles ist doch ohnehin<br />
von Zufällen abhängig. Wenn es mit einer<br />
großen Karriere nicht klappt, bin ich auch<br />
für andere Dinge geerdet genug.“ Als<br />
kleinen Ansporn hat Theaterfreunde-Chef<br />
Günter Völker ihr das längst vergriffene<br />
Rundschau-Buch „Sprungbrett Wuppertal“<br />
überreicht. Ihre Mutter hat zum Thema<br />
Karriere eine eigene Ansicht: „Ich wäre<br />
schon mit einer kleinen Karriere zufrieden.<br />
Sonst muss ich sie ja mit noch mehr anderen<br />
Menschen teilen.“ Oder sich verstärkt<br />
auf glückliche Reisen begeben.<br />
Zunächst ist das aber nicht notwendig,<br />
denn die nächsten Rollen im Opernhaus<br />
sind fest terminiert. In „Don Quichotte“<br />
singt und spielt Annika Boos die Rolle des<br />
Pedro und im Musical „Evita“ die Mistress,<br />
Perons Geliebte. In der Hauptrolle der<br />
„Evita“ ist Banu Böke zu erleben, die sehr<br />
anspruchsvolle Bass-Rolle des „Don Quichotte“<br />
wird von John In Eichen gesungen.<br />
Einen sehr speziellen Auftritt meisterte<br />
Annika Boos am 30. Dezember 2012. Auf<br />
der Galopprennbahn in Dortmund-Wambel<br />
fand die Ehrung der Champions des<br />
Jahres 2012 statt. Üblicherweise am Ende<br />
mit der Nationalhymne „aus der Dose“<br />
mehr schlecht als recht abgespielt. Weil der<br />
Dortmunder Rennvereins-Ehrenpräsident<br />
Hans-Hugo Miebach und seine Gattin<br />
Jutta aber langjährige, leidenschaftliche und<br />
weitgereiste Opernliebhaber sind, durfte der<br />
Moderator aus Wuppertal „seine Sängerin“<br />
mitbringen. Allerdings mit großen Bedenken<br />
aufgrund der bekannt problematischen<br />
Beschallung auf dem weitläufigen Geländen.<br />
Doch Annika Boos nahm das alles<br />
sehr gelassen. Einen Ständer mit Text zur<br />
Sicherheit lehnte sie ab, legte eine grandiose<br />
Vorstellung hin und begeisterte die<br />
hartgesottenen Typen des Galopprennsports<br />
mächtig. Der Jockey-Champion Andrasch<br />
Starke: „Das war doch der eigentliche Höhepunkt<br />
der Ehrung.“ Auch für den sehr<br />
erleichterten Moderator aus Wuppertal.<br />
Klaus Göntzsche<br />
Weitere Informationen<br />
www.annikaboos.de<br />
www.wuppertaler-buehnen.de<br />
65
Paragraphenreiter<br />
Kann ich mit der Übertragung<br />
von Kunstsammlungen Steuern<br />
sparen?<br />
Susanne Schäfer, Steuerberaterin<br />
Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH<br />
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/<br />
Steuerberatungsgesellschaft<br />
Theoretisch kann ich das. Eine Menge<br />
schöne Dinge sind nicht nur schön, sondern<br />
auch zur Reduzierung einer überhöhten<br />
Abgabenlast durchaus geeignet. Kunstgegenstände<br />
und Sammlungen zum Beispiel.<br />
Speziell um deren Erwerb und Erhaltung<br />
zu fördern, gibt es den § 13 Abs. 1 Nr. 2<br />
ErbStG. Danach können Kunstgegenstände,<br />
Kunstsammlungen oder wissenschaftliche<br />
Sammlungen zu einem Großteil oder<br />
sogar in vollem Umfang von der Erbschaftoder<br />
Schenkungsteuer befreit werden, wenn<br />
eine Anzahl von Bedingungen erfüllt ist.<br />
Da das Hauptziel der Befreiung die<br />
zusammenhängende Erhaltung wirklich<br />
umfangreicher, wichtiger und wertvoller<br />
Sammlungen und Kunstwerke ist, sind die<br />
Bedingungen ziemlich zahlreich. Die wichtigsten<br />
(aber noch längst nicht alle) sind,<br />
1. dass die Erhaltung der Gegenstände<br />
wegen ihrer Bedeutung für Kunst oder<br />
Wissenschaft im öffentlichen Interesse<br />
liegt,<br />
2. dass die jährlichen Kosten der Erhaltung<br />
in der Regel die erzielten Einnahmen<br />
übersteigen,<br />
3. dass die Gegenstände den Zwecken der<br />
Forschung oder Volksbildung zugänglich<br />
gemacht werden,<br />
4. dass die Gegenstände sich seit mindestens<br />
20 Jahren im Besitz der Familie<br />
befinden oder im Verzeichnis national<br />
wertvollen Kulturguts enthalten sind.<br />
Und da wundert man sich dann manchmal<br />
doch, welche Fälle so alle vor dem Bundesfinanzhof<br />
landen, weil ein Steuerpflichtiger<br />
die gesetzlichen Vorschriften ein bisschen<br />
weit auslegt.<br />
Zum Beispiel unter dem Aktenzeichen II<br />
R 7/98 der Kläger, der seiner Tochter nicht<br />
nur eine besonders wertvolle, im Vorjahr in<br />
London ersteigerte handbemalte Postkarte,<br />
sondern auch noch 20 weitere „Kunstgegenstände“<br />
schenkte, deren Gesamtwert unstrittig<br />
den schenkungsteuerlichen Freibetrag<br />
(der für Kinder aktuell bei 400.000.Euro<br />
liegt) überstieg, aber trotzdem schenkungsteuerfrei<br />
bleiben sollte.<br />
Schließlich sammele er ja schon seit über<br />
20 Jahren so dies und das (Erfüllung von<br />
Voraussetzung 4), was der Nachwelt erhalten<br />
bleiben solle (Erfüllung von Voraussetzung<br />
1), in seiner Wohnung eine Menge<br />
Platz wegnahm und somit Miete kostete<br />
(Erfüllung von Voraussetzung 2) und interessierten<br />
Forschern auf Anfrage jederzeit zur<br />
Ansicht zur Verfügung stehe (Erfüllung von<br />
Voraussetzung 3).<br />
Das sah der BFH naturgemäß anders. Insbesondere<br />
die Übertragung einzelner, noch<br />
nicht 20 Jahre im Familienbesitz befindlicher<br />
Gegenstände aus einer schon länger<br />
bestehenden Vermögensmasse, die vielleicht<br />
auch die Bezeichnung „Sammlung“ verdient,<br />
wurde von ihm beanstandet. Die schwierige<br />
Frage, ob teure Postkarten forschungs- und<br />
förderungswürdige Kulturgüter sind, musste<br />
er damit gar nicht mehr beantworten.<br />
Fazit: Die vielfältigen Ratschläge an<br />
wohlhabende Väter, statt eines profanen<br />
schenkungsteuerpflichtigen Aktiendepots<br />
doch lieber eine schöne schenkungsteuerfreie<br />
Kunstsammlung anzulegen und auf<br />
ihre Kinder zu übertragen, klingen zwar<br />
gut, sind aber in der Praxis eher schwierig<br />
umzusetzen.<br />
www.rinke.eu<br />
„Am liebsten auf der Bühne,<br />
und wer weiß wo sonst noch,<br />
sind mir Sätze,<br />
die man auch tanzen<br />
könnte.“<br />
KARL OTTO MÜHL<br />
Zugelaufene Sprüche<br />
Neu<br />
Karl Otto Mühl<br />
Zugelaufene Sprüche<br />
„Das Leben ist sportlich:<br />
Der, den du überholst, sitzt dir danach<br />
im <strong>Nacke</strong>n.“<br />
„Mit guten Absichten überschminkt die<br />
Seele ihre Pickel“<br />
2013<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />
80 Seiten, 9.00 Euro<br />
ISBN: 978-3-942043-90-8<br />
„Das wäre ein wunderbares Leben<br />
gewesen, sagte der Neunzigjährige, wenn<br />
man vorher gewusst hätte, dass alles gut<br />
geht.“<br />
66
Die nordrhein-westfälische Tanzszene<br />
ist vielseitig, spartenübergreifend und<br />
international vernetzt. Einen umfassenden<br />
Eindruck dieser beeindruckenden Tanzlandschaft<br />
vermittelt alle zwei Jahre tanz nrw.<br />
Auch in 2013 präsentiert das Festival<br />
wieder eine Auswahl herausragender freier<br />
Tanzproduktionen aus NRW.<br />
Tanzinteressierten bietet es einen umfassenden<br />
Überblick über aktuelle Entwicklungen<br />
und individuelle Künstlerprofile in der<br />
nordrhein-westfälischen Tanzszene.<br />
Die nunmehr vierte Edition von tanz nrw<br />
verbindet vom 27. April bis 7. Mai 2013<br />
acht Städte NRWs (Bonn, Düsseldorf,<br />
Essen, Köln, Krefeld, Münster, Viersen,<br />
Wuppertal + Satellit Bochum)<br />
zu einem regionalen Festival mit<br />
internationaler Ausstrahlung.<br />
Szu-Wei Wu, „Cernes“<br />
Foto: Lena Hedermann<br />
Der Choreograf und Tänzer Fabien Prioville<br />
und sein Kollege, der Tänzer Pascal<br />
Merighi, beide ehemalige Mitglieder des<br />
Wuppertaler Tanztheaters, haben sich getanz<br />
nrw 13 in Wuppertal<br />
Das Wuppertaler Programm von tanz<br />
nrw 13 steht ganz im Zeichen ehemaliger<br />
Tänzer des Wuppertaler Tanztheaters<br />
und Absolventen sowie Studierenden der<br />
Folkwang Universität Essen. Am 2. Mai<br />
zeigen Studierende und Absolventen des<br />
Instituts für Zeitgenössischen Tanz ab<br />
16 Uhr in der Reihe „Choreografische<br />
Inseln“ erste Arbeiten im Café Ada.<br />
Ebenfalls am 2. 5. um 20.30 Uhr im Café<br />
Ada, provoziert die Renegade-Tänzerin<br />
Szu-Wei Wu die Begegnung zweier<br />
Pina-Pausch-Tänzerinnen mit einem<br />
Breakdancer. Sie untersucht in ihrer<br />
Debutinszenierung „Cernes“ die unterschiedlichen<br />
Herangehens- und Sichtweisen<br />
von Streettänzern und modernen<br />
Tänzern. Können diese so unterschiedlichen<br />
Tanzstile überhaupt miteinander<br />
kommunizieren? Gibt es eine gemeinsame<br />
Sprache?<br />
fragt, ob es funktioniert, sich mit anderen<br />
Akteuren auf einer virtuellen Plattform<br />
zu treffen und im Modus der digitalen<br />
Interaktion zu experimentieren. Inspiriert<br />
vom Videochatroom chatroulette, in dem<br />
sich Nutzer aus aller Welt präsentieren<br />
und anderen per Zufallsgenerator begegnen,<br />
fragen sich die beiden Tänzer, was<br />
eigentlich genau den Reiz dieser virtuellen<br />
Begegnungen ausmacht: „Experiment<br />
on Chatting Bodies“ am 3. Mai, 18 Uhr,<br />
Haus der Jugend Barmen. Diese Veranstaltung<br />
ist auch Station der Tanz Tour 2,<br />
die bereits um 18 Uhr per Bus in Köln<br />
beginnt. Von Wuppertal geht’s weiter ins<br />
Düsseldorfer tanzhaus nrw (Tchekpo<br />
Dance Company „Three Levels“) und<br />
anschließend zurück zum Kölner Hbf.<br />
Überhaupt lohnt sich der Blick über die<br />
Stadtgrenze hinaus: Zum Beispiel nach<br />
Bonn, wo tanz nrw 13 am 27. April<br />
von der Ministerin für Familie, Kinder,<br />
Jugend, Kultur und Sport, Ute Schäfer,<br />
dem Oberbürgermeister der Bundesstadt<br />
Bonn, Jürgen Nimptsch, sowie der<br />
Show „Three Levels“ der Tchekpo Dance<br />
Company in den Kammerspielen Bad<br />
67
Fabien Prioville Dance Company<br />
„Experiment on chatting bodies“<br />
Foto: Ursula Kaufmann<br />
Godesberg eröffnet werden wird. Auch<br />
Düsseldorf ist eine Reise wert.<br />
Dort präsentiert das tanzhaus nrw am 28.<br />
4. die NRW-Premiere von „Don’t Ask,<br />
Don’t Tell“ von Ben J. Riepe in Zusammenarbeit<br />
mit dem indischen Choreografen<br />
Navtej S. Johar (auch am 2. 5., in der<br />
Halle Kalk, Köln). Neuer Tanz zeigt in<br />
der Orangerie/Marstall Schloss Benrath<br />
„CHOR(E)OGRAPHIE / JOURNA-<br />
LISMUS: „kurze stücke“ von VA Wölfl<br />
(Version Paris) (1. 5.) und CHOR(E)<br />
OGRAPHIE /JOURNALISMUS: „kurze<br />
stücke“ von VA Wölfl (Version Benrather<br />
Linie) (5.5.). Köln hat ebenfalls ein umfangreiches<br />
Festivalprogramm. Zu sehen<br />
sind u.a. Gudrun Langes Produktion mit<br />
Jugendlichen „ich geschichtet“ (3. 5., Alte<br />
Feuerwache), Raimund Hoghes „Pas de<br />
Deux“ (4. 5., Halle Kalk) und „Rotlicht“<br />
von Henrietta Horn in Zusammenarbeit<br />
mit der Musikerin Dorothée Hahne (5. 5.,<br />
Alte Feuerwache). In der Viersener Innenstadt<br />
kann man 29. und 30. 4. die skurrile<br />
site-specific-Installation „Dressing the City<br />
und Mein Kopf ist ein Hemd“ von Angie<br />
Hiesl und Roland Kaiser erleben und in<br />
Essen sollte man sich zusammen mit dem<br />
Choreografen Martin Nachbar auf einen<br />
Spaziergang über das Gelände der Zeche<br />
Zollverein begeben: „The Walk“ (4. 5.,<br />
Pact Zollverein).<br />
Karten gibt es über die einzelnen Veranstaltungsorte.<br />
Das gesamte Programm findet<br />
man unter:<br />
www.tanz-nrw-13.de<br />
Katja Roters<br />
68
im Ort, 20. Juli 2012<br />
Ulle mit Kater Lorbas<br />
Für Ulle Hees<br />
Ulle als Künstlerin und Person zu<br />
würdigen, ist schwierig. Zu groß ihr<br />
künstlerisches Schaffen, zu weit verzweigt<br />
und vielfältig ihr Leben als Mitmensch,<br />
als Freundin, Weggefährtin, Kollegin. Ich<br />
beschränke mich daher auf den winzig<br />
kleinen Ausschnitt aus ihrem Leben, den<br />
ich mit ihr teilen durfte, die gelegentlichen<br />
Begegnungen, die mich bewegten<br />
und die ich nie vergessen werde.<br />
Irgendwann bei ihr in ihrem Atelier. Ich<br />
hatte Ulle um Ideen für ein CD-booklet<br />
gebeten. Ihre Daphne fand ich so schön,<br />
so schön verträumt, die sollte vorn auf das<br />
Titelblatt. Aber Ulles Gedanken waren<br />
völlig andere Wege gegangen. Lächelnd<br />
schob sie mir ein kleines Blatt über den<br />
Tisch, drauf in kräftigen Farben, in Grün,<br />
Blau und Schwarz die wilde Skizze einer<br />
springenden Katze.<br />
„Was ist denn das?“, fragte ich verständnislos.<br />
„Siehste doch! - ’n Katzensprung!“<br />
„Katzensprung?!“<br />
„Ja, ich hab Eure Musik gehört und das<br />
jiddische Lied vom Katzensprung, das<br />
find ich so toll.“<br />
„Aber, aber die Daphne ...“, begann<br />
ich noch einmal, „die ist doch so schön<br />
verträumt.“<br />
„Eure Musik ist aber nicht verträumt, und<br />
jetzt heißt Eure CD eben Katzensprung.<br />
Willste ’n Kaffee?“<br />
So war sie, die Ulle, und sie hatte wie so<br />
oft Recht. Die CD hieß Kaznschprung.<br />
Als wir neulich abends in Ulles verwaistem,<br />
dämmerigen Atelier saßen und zusammen<br />
traurig waren, da gab es wieder<br />
einen Katzensprung. Ulles verwirrte und<br />
suchende Katze kauerte sich zusammen<br />
und schnellte dann hoch auf meinen<br />
Schoß. Suchte Zuflucht an einem Ort,<br />
der nicht ihrer war, und verließ ihn bald,<br />
um ziellos weiter zu suchen. Liebe Ulle,<br />
wo bist du?, hörte man es lautlos fragen.<br />
Kaznschprung! Das alte jiddische Lied<br />
von Mordechaj Gebirtig fiel mir ein. Huljet,<br />
huljet Kinderlech heißt es. Da singt<br />
ein alter Mensch, der den Kindern beim<br />
Spielen zuschaut.<br />
Spielt, liebe Kinderchen, der Frühling<br />
schon beginnt!<br />
69
Oh, wie bin ich , Kinderchen, neidisch<br />
auf Euch!<br />
Freut euch, freut euch, Kinderchen,<br />
solange ihr jung seid,<br />
denn vom Frühling bis zum Winter ist es<br />
ein Katzensprung.<br />
Spielt, liebe Kinderchen, versäumt keinen<br />
Augenblick.<br />
Nehmt mich auch herein ins Spiel, vergönnt<br />
mir auch das Glück.<br />
Guckt nicht auf meinen grauen Kopf,<br />
oder stört euch das im Spiel?<br />
Meine Seele ist noch jung, wie zurück vor<br />
vielen Jahren.<br />
Meine Seele ist noch jung und vergeht vor<br />
Sehnsucht.<br />
Ach, wie gerne will sie aus dem alten<br />
Körper heraus.<br />
Spielt, spielt, liebe Kinderchen, versäumt<br />
keinen Augenblick,<br />
denn der Frühling endet bald, mit ihm<br />
das höchste Glück.<br />
Huljet, huljet Kinderlech, kol-sman ir<br />
sent noch jung.<br />
Ulles 1. Ausstellung, 1961<br />
Wail fun friling bis zum winter is a kaznschprung.<br />
Schaut man in die Photoalben, sieht<br />
man die junge Ulle. Groß, schlank, lange<br />
Beine in geringelten Strümpfen und<br />
dieses offene, freundlich-schöne Gesicht,<br />
dieser warme Regen an Zugewandtheit,<br />
den sie einem schenkte. Die erste<br />
Wuppertaler Frauengruppe, aus der eine<br />
WG an der Briller Straße wurde, in der<br />
auch einige Männer geduldet wurden.<br />
Die feiernde, fröhliche Ulle. Der stille,<br />
bedeutungsvolle Blick inmitten ihrer<br />
Bilder und Skulpturen.<br />
Viele, viele verblichene, alte Bilder.<br />
Was sag ich – alt?<br />
Mensch, das ist doch gerade erst gewesen.<br />
Einundsiebzig Lebensjahre, über<br />
fünfzig Künstlerjahre:<br />
A Kaznschprung, wenn man sie von<br />
rückwärts anschaut.<br />
Das ist alles noch so nah und gegenwärtig,<br />
als sei es eben erst geschehen.<br />
Und wer sie in den letzten Jahren erlebt<br />
hat, der fühlte, wie da eine noch junge<br />
Seele in einem älter und schwächer werdenden<br />
Körper wohnte.<br />
Meine Seele ist noch jung wie zurück<br />
von vielen Jahren. Huljet, huljet, Kinderlech.<br />
Sie hat ihrem Körper viel zugemutet,<br />
mehr als er verkraften konnte. Aber es war<br />
eben ihr Weg und sie hat die Folgen in<br />
Kauf genommen.<br />
Sie lebte in einer Lebens- und Schaffensgemeinschaft<br />
direkt am „schwarzen<br />
Fluss“. Sie teilte den Fluss ihres Lebens<br />
mit Euch. Aber sie schuf dort eine ganz<br />
eigene Welt, die unverwechselbar die ihre<br />
war.<br />
Kein Wunder, denn wer außer Ulle hätte<br />
in Ulles Welt wohnen können. Es ist<br />
unausdenkbar und völlig ausgeschlossen,<br />
dass in Ulles Atelier irgendetwas anderes<br />
sein könnte als Ulles Atelier. Wer diesen<br />
Raum betritt, der spürt, sie ist noch da.<br />
Sie wohnt und lebt in der flimmernden<br />
Vielfalt all dieser Millionen Einzelheiten,<br />
die das Auge entführen, solange man sich<br />
umschaut. Und diese Anwesenheit darf<br />
nicht zerstört werden. Wer immer Hand<br />
daran legt, sollte im Sinn haben, das<br />
alles zu bewahren, zu katalogisieren, der<br />
Nachwelt, wie wir sagen, zu erhalten, statt<br />
es womöglich zu vermarkten.<br />
70
Ulle und ökonomisches Denken, das war<br />
immer ein unvereinbarer Gegensatz. Sie<br />
tat so oft, was sich nicht rechnet, und<br />
gerade das machte sie so attraktiv. Ein<br />
Leben ohne Rendite und Wachstumsdiktat<br />
– dass es das noch gibt! Dass das geht!<br />
Das lässt hoffen in einer Zeit, in der die<br />
großen Hoffnungen sich erschöpft haben.<br />
Die großen Staatstheorien haben sich<br />
erledigt, die Welt erstickt im Kommerz.<br />
Die großen Religionen sind auf verhängnisvolle<br />
Weise mit sich selbst beschäftigt<br />
und driften ab in den Fundamentalismus.<br />
Politiker schreiben Plagiate oder schmuggeln<br />
Teppiche aus Kriegsgebieten am<br />
Zoll vorbei, eine hoffnungslos auf Profit<br />
ausgerichtete Welt. Eine Führungselite<br />
mit Kleinkriminellen. Wo gäbe es da<br />
Anlässe zum Hoffen? Vielleicht brauchen<br />
wir in der Welt der großen, bedeutungslosen<br />
Worte Eure Kunst, Ihr vielen<br />
Künstler, die Ihr heute da seid, im Ort<br />
in der Luisenstraße. Wir brauchen Eure<br />
Kunst, die ohne große Worte Wahres sagt<br />
und unbeeindruckt vom Kommerz innere<br />
Prozesse unbestechlich Gestalt werden<br />
lässt, von Herz zu Herz erzählt und wirkt,<br />
im Kleinen Hoffnung, Mut, Oppositionsgeist<br />
und Phantasie weckt.<br />
Die Phantasie, habe ich in Ulles Atelier<br />
gelernt, ist ein wilder Affe. Und wilde<br />
Affen lassen sich nicht beherrschen.<br />
Eine solche Wirkung wie eben beschrieben<br />
ging von Ulle aus. Wer ihre Nähe<br />
suchte, der wollte etwas abbekommen<br />
vom wilden Affen, vom ungezähmten<br />
Leben, das wir so bitter nötig haben. Von<br />
der Sehnsucht und von der Courage.<br />
Alte Menschen kamen zu ihr, angehende<br />
Psychotherapeuten kamen als Gruppe,<br />
Kunststudenten, Laienkünstler, die sich<br />
manchmal erstaunlich schnell in ihrem<br />
künstlerischen Schaffen steigerten. Und<br />
nicht nur Erwachsene förderte sie.<br />
Eines Tages war eine Gruppe hochbegabter<br />
Kinder bei ihr zu Gast. Die sollten in<br />
ihren künstlerischen Kompetenzen gefördert<br />
werden. Als die Lehrerin die Kinder<br />
am Ende des Nachmittages fragte, was<br />
ihnen denn nun am Besten gefallen habe,<br />
sagte eines völlig überraschend:<br />
Der Tisch da – und zeigte auf Ulles Sofatisch.<br />
Warum? Man muss dran gesessen<br />
haben, um das zu verstehen. Umkränzt<br />
von einem alten Sofa und einfachen<br />
Holzstühlen türmt sich dort auf diesem<br />
Tisch ein Kosmos von unterschiedlichsten<br />
Fundstücken: Blumen, Gläser, Haribo<br />
Lakritzen auf einer dreistufigen Etagere,<br />
Herzen, Plastikspielzeug, Zigaretten,<br />
Steinchen, Glasperlen, Sterne, Monde<br />
in schrillen Farben und: mittendrin und<br />
ein bisschen obenauf ein kleines, rotes<br />
Kaleidoskop, Sinnbild für dieses uferlose<br />
Gewimmel. Wer das Durcheinander<br />
aber mit Abstand anschaut, gewahrt die<br />
ordnende Hand, die schöpferische Gestaltung.<br />
Irgendwie, fragt mich nicht warum,<br />
ist dieses Chaos schön.<br />
Es war ein Kind, das das bemerkte.<br />
Vielleicht verstehen das auch am ehesten<br />
Kinder, dass da ein Mensch in einer ganz<br />
und gar eigenen chaotisch schönen Welt<br />
lebt und in dieser Welt wirkt und arbeitet,<br />
liebt und kämpft, genießt und leidet,<br />
hofft und stirbt. Sie hätte mit all ihrem<br />
Talent und einem Mehr an Disziplin ein<br />
abgesichertes, bürgerliches Leben gestalten<br />
können. Aber sie war zufrieden, wenn für<br />
den täglichen, bescheidenen Bedarf gesorgt<br />
war. Sie war in einem guten Sinne sorglos.<br />
Das machte sie reich. Sie zeigte keine,<br />
wie die Buddhisten sagen: Anhaftung an<br />
bürgerliche Werte und Ziele. Das war ihre<br />
große Freiheit. Und sie lebte achtsam,<br />
mit dem Blick auf die kleinen Dinge, die<br />
Nebensachen, die das Leben oft so charaktervoll<br />
machen.<br />
Ich habe sie großzügig erlebt. Sie schenkte<br />
einem viel von ihrer Zeit. Viel von ihrer<br />
Achtsamkeit. Wenn man mit ihr sprach,<br />
bekam man ein Gefühl von eigenem<br />
Wert. In ihrer Ansprache lag immer etwas<br />
Förderndes, Wertschätzendes. Immer ging<br />
ich ein wenig mutiger von ihr fort, als ich<br />
gekommen war. Schon ihr Atelier machte<br />
mir Mut. Das ist heute noch so. Mut zu<br />
einem selbstgestalteten, unkonventionellen<br />
Leben. Wer dieses Atelier betritt, bekommt<br />
ein Stück von seinem Kinder-Ich zurück,<br />
das Staunen, das Mit-großen-Augen-<br />
Schauen, das Sich-überraschen-Lassen.<br />
Eine Villa Kunterbunt, in der eine Frau<br />
lebte, die ihre Stärke aus der Individualität<br />
gewann. Sie konnte nicht nur ein Pferd<br />
stemmen, sie konnte sich auch gegen den<br />
Ulle auf ihrer Atelier-Schaukel, Karneval 1981<br />
Ulle mit Großneffe Julian, 1990 (Foto: Hensel)<br />
Ulle in der Galerie „Kunsthandel Schmidt“,<br />
1991, v. l. n. r.: Zotos Zachariadis,<br />
Peter Kowald, Detlef Schmidt, Ulle Hees<br />
71
aunen Zeitgeist stemmen, der einst war<br />
und der noch immer ist.<br />
Sie war Beichtmutter für Viele. Mit ihr<br />
konnte man ruhig und ohne Scham auf<br />
das eigene, unvollkommene Leben schauen.<br />
Erstaunlich viele Frauen sagen, Ulle<br />
sei ihre beste Freundin. Und nicht nur<br />
ihr nahestehenden Menschen ging das so.<br />
Sie konnte auch Wildfremden bei Bedarf<br />
zu Hilfe kommen. Wie oft hat sie Geld<br />
verliehen, Bürgschaften übernommen,<br />
Zivilcourage gezeigt.<br />
Liebe Ulle, wo bist Du?<br />
Ulle mit Freunden im Atelier anlässlich ihres 50. Geburtstags, 1991<br />
Ulle und die Fotografin Ellen Auerbach in ihrer New Yorker Wohnung, 1998<br />
Ulle im ort, April 2012, eines der letzten Fotos, links Cooper-Moore, rechts Jorgo Schäfer<br />
(Foto: Helmut Steidler)<br />
Der Oberbürgermeister dieser Stadt hat<br />
gesagt, durch die Skulpturen, die Frau<br />
Hees hinterlassen habe, bleibe sie der<br />
Stadt wertvoll.<br />
Nein, Herr Oberbürgermeister ! Eben<br />
nicht ! Ulle kann man nicht auf die Wiedergabe<br />
Wuppertaler Originale reduzieren.<br />
Sie lebt nicht allein in der Wirkung<br />
ihrer Plastiken. Sie lebt in all den Herzen,<br />
die sie erwärmt hat. Sonst wären wir alle<br />
heute nicht hier.<br />
Oder ist sie etwa nicht lebendig in den<br />
Begegnungen, die wir mit ihr hatten? Sehen<br />
wir etwa nicht, wie sie da hinten mit<br />
einem Glas Wein in der Hand lächelnd<br />
zuhört, während wir hier ihrer gedenken?<br />
Sie ist auf eine geheimnisvolle Weise<br />
gegangen. Sie hat die Welt des Konkreten<br />
– Vorfindlichen verlassen, um ihre Reise<br />
nach Überall anzutreten. Sie ist wie so oft<br />
eine Pionierin. Sie ist schon mal vorgegangen.<br />
Und ist uns von dort aus so nah.<br />
In weiter Ferne so nah.<br />
A Kaznschprung, mehr trennt uns nicht<br />
von ihr und den anderen da drüben.<br />
Grüß schön, liebe Ulle, grüß Peter Kowald<br />
und die Anderen und komm immer<br />
mal wieder in unsere Runde, um uns Mut<br />
zu machen, wir brauchen Dich.<br />
Es ist ja gar nicht weit.<br />
Und irgendwann, irgendwann kommen<br />
wir ja nach.<br />
Huljet, huljet Kinderlech, kol-sman ir<br />
sent noch jung.<br />
Wail fun friling bis zum<br />
winter is a kazn-schprung.<br />
Klaus Harms<br />
72
Nachruf auf den Komponisten<br />
Konrad Hupfer (1935 – 2013)<br />
Den eigenen Weg gegangen!<br />
Am 4. März 2013 starb der Komponist<br />
Konrad Hupfer in seiner Geburtsstadt<br />
Wuppertal. Mit ihm verliert die Kunst<br />
und Musik der Gegenwart einen unbestechlich<br />
innovativen, stillen, aber<br />
richtungsweisenden Vordenker und<br />
Pragmatiker. Längst bevor das „modern“<br />
wurde, gelangte Konrad Hupfer in seiner<br />
Klangkunst zu einer eigenständigen<br />
Synthese aus „Universal denken und lokal<br />
handeln!“. Begonnen hatte er als Jazz-<br />
Pianist, -Komponist und -Arrangeur, ehe<br />
er unübersehbare Zeichen setzte auf dem<br />
Gebiet der Neuen Musik. Hier schuf er<br />
erstaunliche eigene Werke – von innovativen<br />
„Zeit-Raum-Klang“-Projekten,<br />
oft mit regionaler Anbindung, wie der<br />
Klangskulptur für das Redaktionshaus<br />
der „Bergischen Blätter“, Wuppertal 1995<br />
oder „ZeitRaumKlang2000“ zum 100jährigen<br />
Jubiläum der Historischen Stadthalle<br />
Wuppertal, bis hin zu Kammermusik,<br />
Lyrik-Kompositionen u.a. zu Texten von<br />
Baudelaire, Georg Werth, Else Lasker-<br />
Schüler und Armin T. Wegner (2006)<br />
und Orchesterwerken wie „Orchesterbild<br />
mit Amadeus“ (1990). Als Begründer<br />
des renommierten Nova Ensemble schuf<br />
er einen engagierten Klangkörper, mit<br />
dem er vielen Werken zeitgenössischer<br />
Kollegen zur (Ur-)Aufführung und zum<br />
Durchbruch verhalf. Das Nova Ensemble<br />
wurde auch zum gediegenen Markenzeichen<br />
der Uraufführung seiner eigenen<br />
Werke.<br />
Dass man die Musik Konrad Hupfers<br />
nicht auf ein, zwei „schnelle Begriffe“<br />
bringen kann, spricht für sie: Seine sensiblen<br />
Klänge passten nicht in „Schubladen“,<br />
und an „Populismus“ hatte er so<br />
wenig Interesse wie an „breitgetretenen<br />
Wegen“. Die Frage aus Schuberts „Winterreise“<br />
könnte die seine gewesen sein:<br />
„Was vermeid ich denn die Wege, die die<br />
anderen Wandrer geh`n?“ Und dennoch<br />
gelangen ihm unmittelbar sinnliche, direkt<br />
zu Herzen gehende Klänge, wirkliche<br />
Klangerlebnisse für viele, die ihm zuhörten.<br />
Nicht zuletzt auch deshalb, weil er es<br />
meisterhaft verstand, die Klangfarben der<br />
Stimmen und Instrumente einzusetzen.<br />
Konrad Hupfer setzte sich mit seinem<br />
Werk auch für die Erinnerung an vergessene<br />
und verdrängte Autor/inn/en oder<br />
geistig-politische Strömungen ein. So<br />
etwa für Georg Werth und für die demokratische<br />
Revolution von 1848 / 49 in<br />
„Hammer und Amboss sein - 7 Hörbilder<br />
zur Revolution 1849 in Elberfeld“ (1995)<br />
oder für die „großen poetischen Söhne<br />
und Töchter“ aus dem Wuppertal, die<br />
er zuweilen nicht angemessen gewürdigt<br />
fand: Mit seinem impulsiven Else Lasker-<br />
Schüler-Zyklus „Singe, Eva, dein banges<br />
Lied“ und mit seinen beeindruckenden<br />
Vertonungen des ebenfalls aus Elberfeld<br />
stammenden Dichters Armin T. Wegner<br />
- „Wolken“ für Bariton und Kammerensemble,<br />
geschrieben 2006 im Auftrag der<br />
Armin T. Wegner Gesellschaft, uraufgeführt<br />
2008 vom Nova Ensemble und<br />
nachhaltig hörbar auf der Armin T-Wegner-Doppel-CD<br />
„Bildnis einer Stimme<br />
/ picture of a voice“ (Wallstein Verlag,<br />
Göttingen 2008).<br />
Wie Konrad Hupfer überraschende neue<br />
Konnotationen in „alten Stoffen“ fand,<br />
die er selbst zu innovativem Musiktheater<br />
gestaltete für Schauspieler/innen, Tänzer/<br />
innen, Licht und Klänge, ist beispielhaft<br />
zu sehen und zu hören an zwei abendfüllenden<br />
Werken: „Der Schwarze Blick“<br />
- mit neuem Blick auf die mittelalterliche<br />
Pest und ihre gesellschaftlichen Folgen<br />
(2006) – und „Verdammt, die Sirenen<br />
singen nicht – Odyssee verkehrt“ (2009).<br />
Manches davon ist in Aufnahmen für die<br />
Nachwelt bewahrt – andere Werke warten<br />
noch auf die Wiederaufführung und die<br />
Einspielung als CD.<br />
Konrad Hupfer ist mit zahlreichen Kompositionspreisen<br />
ausgezeichnet worden,<br />
unter anderen mit dem Musikpreis der<br />
Stadt Marl (1971), dem Preis des Concours<br />
International de Composition de<br />
Musicale-Opera et Ballett, Genf (1975),<br />
dem Preis der GEMA-Stiftung für<br />
Orchester-Kompositionen (1984) oder<br />
dem Preis der Weimarer Frühlingstage für<br />
zeitgenössische Musik (2001).<br />
Ulrich Klan<br />
Foto: Frank Becker<br />
73
74<br />
Im Nebel, Foto: Elisabeth Heinemann
für dich<br />
wenn du von uns gehst<br />
irgendwann oder morgen<br />
sind deine spuren gesät<br />
verborgen noch<br />
im geflüster der knospen<br />
wiegen sie<br />
das geheimnis der frucht<br />
und wurzeln tiefer<br />
jahr um jahr.<br />
angelika zöllner<br />
75
Wie ein Bad im Klang und Raum der Zeit<br />
Von Pérotin bis Pärt Teil V –<br />
900 Jahre geistliche Musiktradition<br />
begegnet der Moderne<br />
Inspirierend, reinigend, tröstend<br />
Was ursprünglich als einmaliges<br />
Konzert um ein Werk des zeitgenössischen<br />
estländischen Sakralkomponisten Arvo<br />
Pärt geplant war, hat sich inzwischen zu<br />
einer der erfolgreichsten Konzertreihen<br />
der freien Szene im Bergischen Land entwickelt.<br />
Das diesjährige Auftaktkonzert<br />
findet am 20. April in St. Laurentius,<br />
Wuppertal-Elberfeld statt.<br />
Der Pool der Instrumentalmusiker um die<br />
vier Sänger der Wuppertaler Bühnen wurde<br />
in diesem Jahr um ein Streichquartett, bestehend<br />
aus Musikern des Wuppertaler Sinfonieorchesters,<br />
erweitert. So werden die<br />
fünf Veranstaltungen zum ersten Mal in<br />
wechselnder Instrumentalbesetzung gespielt.<br />
Nach Veranstaltungen in St. Maria<br />
Magdalena, Wuppertal-Beyenburg, St.<br />
Lambertus, Mettmann und einem Konzert<br />
in der preisgekrönten Kölner Böhmkirche<br />
St. Gertrud, findet die diesjährige Abschlussveranstaltung<br />
am 26. Mai in Kooperation<br />
mit dem 3. Bonner Orgelfest<br />
statt.<br />
Mit A-capella-Gesängen, Instrumental-<br />
und Ensemblestücken verspricht das<br />
neue musikalische Programm wieder einen<br />
faszinierenden Gang durch 900 Jahre<br />
geistlicher Musik vom Mittelalter bis zur<br />
Moderne: Das „Viderunt omnes“ von<br />
Pérotin ist ein Zeugnis der frühen mehrstimmigen<br />
Kirchenmusik des Mittelalters,<br />
dass den Ohren von heute sehr der minimal<br />
musik von Steve Reich und Phillip<br />
Glass verwandt scheint.<br />
Mit Josquin Despréz und Johannes<br />
Ockegehm sind zwei Tonmeister der Renaissance<br />
vertreten. Das klagende „Mors tu<br />
as navré“ von Ockeghem wird neben den<br />
Gesangsstimmen in einer authentischen<br />
Instrumentalbesetzung mit Gambe, Theorbe<br />
und Orgel vorgestellt.<br />
Ockeghems Schüler Desprez wird mit<br />
Auszügen seiner „Missa pangue lingua“<br />
präsentiert. Ein Werk, das in beeindruckender<br />
Weise die Emotionen des latainischen<br />
Textes zum Vorschein kommen lässt<br />
und zu den großen Meisterwerken des<br />
mehrstimmigen A-capella-Gesanges zählt.<br />
Mit dem „Funeral canticle“ von John Tavener<br />
ist ein ergreifendes Lamento, das der<br />
Komponist zum Tode seines Vaters geschaffen<br />
hat, im Programm. Er benutzt die<br />
Tonsprache der byzantinischen Kultur und<br />
spendet durch seine Komposition große<br />
Kraft für die trauernde menschliche Seele.<br />
Das „Agnus Dei“ aus der doppelchörigen<br />
Messe von Frank Martin ist sicher als<br />
eine der schönsten Mess-Vertonungen des<br />
20. Jahrhunderts zu nennen.<br />
Und von Arvo Pärt, einem der Namensgeber<br />
dieser Konzertreihe und vielleicht<br />
der bedeutendste zeitgenössische<br />
Komponist für geistliche Musik, ist in diesem<br />
Jahr unter anderem das „Da pacem<br />
domine“ im Programm. Im Jahr 2004 hat<br />
er es zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlags<br />
in Madrid komponiert.<br />
Die Veranstaltungen beginnen mit einer<br />
kurzen Führung durch den Kirchenbau.<br />
Dauer ca. 100 min. Der Eintritt ist frei,<br />
um ein Spende am Ausgang wird gebeten.<br />
Mehr über die Konzertreihe unter<br />
www.perotin-paert.de<br />
Konzerte 2013:<br />
Die Musiker<br />
Marco Agostini, Tenor<br />
Jochen Bauer, Bass<br />
Nathan Northrup, Tenor<br />
Javier Zapata Vera, Bariton<br />
Heike Haushalter, Violine<br />
Liviu Neagru-Gruber, Violine<br />
Martin Roth, Violine<br />
Petra Stalz, Violine<br />
Momchil Terziyski, Viola<br />
Michael Hablitzel, Violoncello<br />
Gudrun Fuß, Gambe<br />
Zorro Zin, Laute/Theorbe<br />
Christoph Ritter, Orgel<br />
Plakat zur Konzertreihe<br />
76
Neue Kunstbücher<br />
Die Vermessung einer Region<br />
vorgestellt von Thomas Hirsch<br />
Wie fassbar ist das Phänomen Kunst? Es<br />
gibt immer wieder publizistische Versuche,<br />
die Kunstlandschaft zu kartographieren,<br />
rein statistisch zu definieren oder<br />
Maßstäbe für Qualität zu entwickeln.<br />
Berühmt ist der Kunstkompass, der vor<br />
Jahrzehnten begründet wurde und auf<br />
der Grundlage von Ausstellungen und<br />
Auktionsergebnissen alljährlich eine<br />
Rangliste der weltweit „wichtigsten“<br />
lebenden Künstler veröffentlicht. Oder es<br />
gibt in jüngerer Zeit gewichtige Bücher<br />
etwa der Verlage Phaidon und Taschen,<br />
welche Newcomer und Shooting Stars<br />
der Kunstszene versammeln. Angesichts<br />
einer immer größeren globalen Nachrichtendichte<br />
und einer immer stärkeren Unübersichtlichkeit<br />
sind diese Sammlungen<br />
von Basisinformationen verständlich und<br />
wahrscheinlich auch sinnvoll. Natürlich<br />
spielen interne Verflechtungen wie bei<br />
allen Arten der Präferenz und Ausstellung<br />
im Kunstbereich, etwa die Positionierung<br />
von Galeristen und deren Lobby-Arbeit,<br />
eine wesentliche Rolle.<br />
Fernab von jedem wertenden Ranking<br />
ist nun ein dreibändiges Werk erschienen,<br />
das innerhalb seines Interessenradius<br />
absolut demokratisch vorgeht. Der<br />
Düsseldorfer Publizist und Künstler<br />
Wolfgang Funken hat in mehrjähriger<br />
Recherche den öffentlichen Raum der<br />
Landeshauptstadt durchkämmt. Sein<br />
Titel „Ars Publica Düsseldorf“ ersetzt<br />
ein ähnliches, aber konzentrierteres Buch,<br />
welches vor einem Jahrzehnt Clemens<br />
von Looz-Corswarem und Rolf Purpar<br />
veröffentlicht haben. Geblieben ist die<br />
Anordnung nach Stadtteilen; aber Wolfgang<br />
Funken greift weiter aus. Er erfasst<br />
nun auch viele unauffällige Skulpturen im<br />
öffentlichen Raum, an öffentlichen und<br />
auch privaten Bauten, auch Grabsteine<br />
auf Friedhöfen und widmet sich allem<br />
mit der gleichen Akribie und mit großen<br />
Elan. Seine Darstellung hilft, Düsseldorf<br />
und seine Geschichte etwas besser kennen<br />
zu lernen, dazu tragen die vielen Kurztexte<br />
im Plauderton bei, die eine Menge an<br />
Informationen und Erkenntnissen liefern,<br />
und man sollte das unruhige Lay-Out<br />
und so manchen Verschreiber verzeihen.<br />
Wolfgang<br />
Funken, Ars<br />
Publica<br />
Düsseldorf, drei<br />
Bände im Schuber, 1728 S. mit<br />
zahlreichen farbigen Abb., geb. mit Schutzumschlag,<br />
je 28,5 x 30 cm, Klartext, 159,- Euro<br />
Denn so nahe kommt man der Kunst im<br />
öffentlichen Raum sonst nicht. Es wäre<br />
zu wünschen, dass sie auch in anderen<br />
Städten mit dieser Leidenschaft und<br />
Beharrlichkeit aufgearbeitet wird.<br />
Ein Kompendium ganz anderer Art ist –<br />
ebenfalls in Bezug auf Düsseldorf, aber<br />
auch darüber – vor einigen Monaten neu<br />
aufgelegt werden. 1958 und 1961 haben<br />
Heinz Mack und Otto Piene drei Künstlerpublikationen<br />
unter dem Titel ZERO<br />
veröffentlicht. Als unverändertes Reprint,<br />
zusammengebunden und mit einem<br />
dafür entstandenen Anhang versehen,<br />
sind diese Publikationen nun bei richter<br />
| fey verlegt worden. Der vierte Teil<br />
beleuchtet rückblickend die Bedeutung<br />
der Gruppe ZERO und ihrer Publikationen,<br />
veröffentlicht aber auch erstmals<br />
einen Text von Daniel Spoerri, der für<br />
ZERO 3 bestimmt war. ZERO, die später<br />
berühmte Avantgarde-Bewegung um die<br />
D. Pörschmann, M. Visser (Hg.), ZERO 4<br />
3 2 1, 552 S., durchgehend bebildert,<br />
Hardcover, mit Silberschnitt, 20 x 20 cm,<br />
richter | fey, 49,- Euro<br />
Düsseldorfer Mack und Piene, zu denen<br />
später Günther Uecker stieß, versammelte<br />
im Rahmen von Ausstellungen und<br />
Aktionen herausragende Künstler aus<br />
Deutschland und aus dem benachbarten<br />
Ausland, die in ihrer Kunst einen Neuanfang<br />
formulierten: Diese Kunst wirft den<br />
Ballast des Gegenständlichen und alles<br />
Expressive von sich, akzeptiert Farbe nur<br />
als Monochromie, besonders als Weiß.<br />
Sie interessiert sich für neue Technologien<br />
und deren Materialien, handelt mit Licht,<br />
setzt dazu Raster, Spiegel und Kinetik ein<br />
und zielt – im Sinne einer gesellschaftlichen<br />
Utopie – auf eine Erweiterung der<br />
Lebensräume. Zum Symbol von ZERO<br />
wird eine senkrecht aufsteigende Rakete.<br />
Die drei Ausgaben, die in unterschiedlichem<br />
Maße die Anmutung von Büchern<br />
besaßen, waren nun eine reine Künstlersache<br />
und dürfen als vorbildlich für alle<br />
Formen von Künstlerpublikationen gewürdigt<br />
werden. Die Beiträge von ZERO<br />
1 bis 3 stammen neben Mack und Piene<br />
von Yves Klein, Lucio Fontana, Manzoni<br />
und vielen anderen Künstlern, welche das<br />
Spektrum von ZERO um die Dimensionen<br />
der Stille, der Leere und der Schwerelosigkeit<br />
erweitern. Die Originalausgaben<br />
sind natürlich längst Sammlerstücke, aber<br />
das könnte mit dem vorliegenden Buch<br />
irgendwann auch passieren: In seinem<br />
„Look“ ist es zugleich ein eigenes Statement<br />
zu ZERO – es ist unverzichtbar für<br />
jeden, der sich mit dieser Kunstrichtung,<br />
ihren Anfängen und ihrer Aktualität<br />
beschäftigt.<br />
So wie ZERO einmal Avantgarde war –<br />
und die Künstler die Publikation ihres<br />
Werkes hier selbst in die Hand genommen<br />
haben – so gibt es immer wieder Versuche,<br />
von außenstehender Perspektive die Avantgarde<br />
von Morgen aufzuspüren und in<br />
Ausstellungen und Katalogen zu bündeln.<br />
Das ist im Grunde der Job etwa von Kunstvereinen.<br />
Zunehmend entstehen davon<br />
unabhängig Bücher, die den Überblick im<br />
Bereich des noch nicht Verfestigten unternehmen.<br />
Im Kontext mit Düsseldorf ist vergangenes<br />
Jahr das dickleibige Buch „Rising<br />
– Young Artists to keep an Eye on!“ zu<br />
erwähnen. Es stellt 100 Künstler, die in den<br />
1970er und 1980er Jahren geboren wurden,<br />
auf jeweils vier Seiten vor: ganz klassisch,<br />
mit einem einführenden Text und meh-<br />
78
Olaf Salié (Hg.), Rising – Young Artists to<br />
keep an eye on! 420 S. mit rund<br />
500 Farbabb., geb. mit Schutzumschlag,<br />
29 x 24,5 cm, daab, 65,- Euro<br />
reren Werkabbildungen. Alles steht und<br />
fällt natürlich mit den Juroren und mit der<br />
Konsequenz des Konzeptes. Im vorliegenden<br />
Buch sind ein Überhang von Künstlern<br />
aus dem Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie<br />
und aus einigen Galerien dieser<br />
Stadt und ein punktueller Einbezug von<br />
Künstlern des nahen und fernen Auslandes<br />
zu konstatieren. Einige Künstler wiederum,<br />
die nicht in diesen Galerien ausstellen, aber<br />
doch im Rheinland eine wichtige Rolle<br />
spielen, fehlen. Aber recht machen kann<br />
man es niemandem. Ein guter Anfang ist<br />
gemacht, der etliche herausragende Künstler<br />
kompetent vorstellt und das Spektrum<br />
zeitgenössischer Kunst umreißt.<br />
Der Klassiker aller objektiven Nachschlagewerke<br />
ist natürlich das „Allgemeine<br />
Künstlerlexikon der Bildenden Künstler<br />
aller Zeiten und Völker“, kurz: AKL, das<br />
in der Tradition seiner Vorgängerwerke<br />
Vollmer und Thieme-Becker steht. Und wie<br />
schon Thieme-Becker ist das AKL ab 1983<br />
mit den ersten Bänden zunächst bei E.A.<br />
Seemann in Leipzig erschienen, ehe es 1992<br />
vom Saur Verlag in München übernommen<br />
und fortgesetzt wurde. Die Redaktion aber<br />
blieb da noch in Leipzig. Das Konzept<br />
ist genau definiert: Nach einem festen<br />
Schema werden die überregional bekannten<br />
Kunstschaffenden aller Gattungen mit ihrer<br />
Vita und ihren Werken und Ausstellungen<br />
vorgestellt, grundsätzlich ohne Abbildung,<br />
aber noch mit einer knappen Werkbeschreibung.<br />
Vor ein, zwei Jahren nun wurde<br />
das Projekt von de Gruyter in München<br />
übernommen und die Redaktion dorthin<br />
und nach Berlin verlegt. Mittlerweile sind<br />
wir bei Band 77 und dem Buchstabenbereich<br />
IZ-JE angekommen, und einiges hat<br />
sich mit dem Redaktionswechsel verändert.<br />
Dies beginnt bei kleinen Äußerlichkeiten<br />
(auf den Schutzumschlag wird mittlerweile<br />
leider verzichtet) und setzt sich inhaltlich<br />
fort. Klarer wird nun durch die definierten<br />
Zeilenumfänge die inhaltliche Bedeutung.<br />
Zugleich schreitet das Projekt in einem ganz<br />
anderen Tempo voran. Aber es berücksichtigt<br />
auch weiterhin Künstler der jüngeren<br />
Generation, soweit sie im Ausstellungsgeschehen<br />
präsent sind. Das AKL ist ein<br />
Nachschlagewerk primär in Bibliotheken.<br />
Es dient der ersten Orientierung zu einem<br />
Künstler und teilt mit, wo sich weitere Informationen<br />
zu ihm finden. Hier könnten<br />
dann die drei anderen Bücher weiterhelfen.<br />
Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden<br />
Künstler aller Zeiten und Völker, zuletzt: Bd.<br />
77 (Iza-Jer), 540 S. ohne Abb., Hardcover,<br />
geb., 24 x 17 cm, de Gruyter, 279,- Euro<br />
www.occhio.de<br />
Frank Marschang e.K., Karlstrasse 37, 42105 Wuppertal<br />
Tel 0202-24 43 440, www.lichtbogen-wuppertal.de<br />
Di – Fr 10 –18 Uhr und 14 –18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr<br />
79
Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />
Vorgestellt von Matthias Dohmen<br />
Ein Glücksfall.<br />
Zum Start ausgewählter Werke in Einzelausgaben<br />
legt der renommierte Göttinger<br />
Wallstein-Verlag den Band „Der Knabe<br />
Hüssein und andere Erzählungen“ von<br />
Armin T. Wegner vor. Der gebürtige<br />
Elberfelder, Jurist von Beruf, war in der<br />
Weimarer Republik ein beachteter Autor,<br />
schrieb 1933 Adolf Hitler einen Brief,<br />
in dem er gegen die Judenverfolgung<br />
protestierte, was ihm den Aufenthalt in<br />
mehreren Konzentrationslagern einbrachte,<br />
stand 1947 beim ersten Nachkriegs-<br />
PEN-Kongress auf der Totenliste und<br />
starb 1978 in Italien, wohin er 1934<br />
exilieren konnte.<br />
So richtig kam dieser große Poet im<br />
Nach-1945-Deutschland nicht mehr auf<br />
die Beine, weder im Osten noch im Westen.<br />
Um so verdienstvoller ist die Arbeit<br />
der Armin-T.-Wegner-Gesellschaft unter<br />
ihrem rührigen Vorsitzenden Ulrich Klan<br />
und das Engagement der Stadtsparkasse<br />
Wuppertal, welche die Publikation finanziell<br />
unterstützt hat. Die späte Rückkehr<br />
eines Schriftstellers, dessen Werke 1933<br />
auf dem Scheiterhaufen brannten.<br />
Armin T. Wegner, Der Knabe Hüssein und<br />
andere Erzählungen, Göttingen: Wallstein<br />
2012. 311 S., 29,90 Euro<br />
Ein Schwarzbuch.<br />
Auch die Kemna ist auf der „Übersichtskarte<br />
über die Konzentrationslager, Zuchthäuser<br />
und Gefängnisse“ des Reprints des Buchs<br />
„Das deutsche Volk klagt an. Hitlers Krieg<br />
gegen die Friedenskämpfer in Deutschland<br />
– Ein Tatsachenbericht“ verzeichnet. 1936<br />
erschien das Werk mit Hunderten Fotos, Dokumenten<br />
und Faksimiles in Straßburg. Heute<br />
weiß man, dass die anonym erschienene<br />
Dokumentation aus der Feder von Maximilian<br />
Scheer alias Walter Schlieper stammt, der<br />
im benachbarten Haan (und nicht Hahn,<br />
wie es etwa auf S. 393 heißt) zur Welt kam.<br />
Im Anhang finden sich biographische Skizzen<br />
zu Willi Münzenberg und zu Scheer<br />
sowie die Lagerordnung und die Disziplinarordnung<br />
des Konzentrationslagers Esterwegen,<br />
das wegen des Moorsoldatenliedes<br />
vielen Antifaschisten ein Begriff ist. In den<br />
mit dem 1. 8. 1934 datierten Dokumenten<br />
heißt es, jedem „Schutzhaftgefangenen“ werde<br />
Gelegenheit gegeben, entweder seine „innere<br />
Einstellung gegen Volk und Vaterland“<br />
zu ändern oder „für die schmutzige 2. oder<br />
3.“ (vulgo die sozialdemokratische oder die<br />
kommunistische) „Juden-Internationale<br />
eines Marx oder Lenin zu sterben“.<br />
Das deutsche Volk klagt an. Erweiterter Reprint<br />
der in Deutsch erschienenen Originalausgabe,<br />
Hamburg: Laika 2012. 405 S., 24,90 Euro<br />
Ein Mythos wird entschleiert.<br />
Den „Weltkrieg als Erzieher“ analysiert<br />
Arndt Weinrich. Darin setzt er sich<br />
ausführlich mit dem Langemarck-Mythos<br />
auseinander, der als „Sieg der deutschen<br />
Kultur“, als ein Triumph der „Ideen<br />
von 1914“ über die „Ideen von 1789“<br />
verkauft wurde (S. 248) und die faschistische<br />
Ideologie der „Volksgemeinschaft“ zu<br />
begründen half.<br />
Der Zweck heiligt die Mittel: Heute<br />
wissen wir, dass die „jungen Regimenter“<br />
tatsächlich mehrheitlich aus gedienten<br />
Männern bestanden und auch der Kern<br />
des Langemarck-Mythos, der Gesang des<br />
Deutschlandlieds beim Sturmangriff, „mit<br />
großer Sicherheit nicht den historischen<br />
Tatsachen“ entspricht sowie überdies,<br />
alles in allem, der „Sieg von Langemarck“<br />
militärisch-operativ belanglos war.<br />
Weimar hieß der Feind: Die Feiern zum<br />
11. November 1914 „lieferten mit dem<br />
Bild der idealistischen ‚Opferjugend’ eine<br />
heroische Gegenfolie zur November-<br />
Revolution“ (S. 249).<br />
Arndt Weinrich, Der Weltkrieg als Erzieher.<br />
Jugend zwischen Weimarer Republik<br />
und Nationalsozialismus, Essen: Klartext<br />
2013 (= Schriften der Bibliothek für<br />
Zeitgeschichte – Neue Folge, 27). 351 S.,<br />
39,95 Euro<br />
80
Kulturnotizen<br />
Kunstmuseum Ahlen<br />
Eduard Micus: Retrospektive<br />
Malerei, Arbeiten auf Papier, Objekte<br />
Ausstellung bis zum 5. Mai 2013<br />
Eduard Micus: Fiesta Nr. 63, 1986, Acryl,<br />
Papier auf Leinwand, 228 x 230 cm<br />
© Nachlass Eduard Micus<br />
Mit vielen seiner Werke versuchte der<br />
1925 in Höxter geborene Eduard Micus<br />
einen „Akkord des Kontrastes“ zu erzeugen.<br />
Häufig teilte er seine Bilder in zwei Hälften,<br />
von denen er eine mit Formen anfüllte, die<br />
andere aber leer ließ. „Die Stille macht das<br />
Gestörte stärker und das Gestörte oder Zerstörte<br />
das Stille stiller, oder einfach: das eine<br />
ergänzt das andere – beide Hälften ergeben<br />
ein Ganzes“, schrieb der Künstler dazu in<br />
einem Katalogtext von 1996. Das Prinzip<br />
der Bildteilung, das Micus bereits Anfang<br />
der 1950er Jahre entwickelte, behielt er bis<br />
zu seinem Lebensende im Jahr 2000 bei<br />
und veränderte es immer wieder aufs Neue.<br />
Mit diesen „Kontrastkompositionen“<br />
hat Eduard Micus einen einzigartigen<br />
Beitrag zum Kunstgeschehen der deutschen<br />
Nachkriegszeit geleistet. Als Grenzgänger<br />
zwischen informeller und konstruktiver<br />
Kunst stellte er sich bewusst an den Rand<br />
wechselnder Moden des Kunstbetriebs.<br />
Besonders seit seinem Umzug nach Ibiza<br />
1972 nahm er buchstäblich Abstand zu<br />
den Zentren der Kunst in Deutschland.<br />
Die Retrospektive im Kunstmuseum Ahlen<br />
unternimmt mit rund 100 Exponaten eine<br />
umfassende Würdigung seines Werkes. Gezeigt<br />
werden Malerei, Arbeiten auf Papier<br />
und Objekte aus allen Schaffensphasen.<br />
Mitte der 1940er Jahre kam Micus<br />
durch Reinhard Schmidhagen, einem<br />
Schüler von Käthe Kollwitz, zur Malerei.<br />
Zunächst war er der impressionistischen<br />
Malweise verhaftet, dann spürte er dem<br />
Expressionismus nach, bevor er sich als<br />
Schüler von Willi Baumeister an der<br />
Kunstakademie Stuttgart (1948-1952) von<br />
überkommenen Bildvorstellungen löste und<br />
zu einer abstrakten Bildsprache gelangte.<br />
Micus konzentrierte sich dabei zunächst<br />
auf eine weitgehende Abkehr von der Form<br />
zugunsten farblich einheitlicher Bildflächen.<br />
1962 entwickelte er die so genannten „Coudragen“,<br />
überwiegend weiße Leinwände,<br />
die durch eine senkrechte Naht deutlich<br />
sichtbar miteinander verbunden sind. Als<br />
Mitglied der Künstlergruppe SYN (1965-<br />
1970), zu der Klaus Jürgen-Fischer, Erwin<br />
Bechtold, Bernd Berner und Rolf-Gunter<br />
Dienst gehörten, strebte Micus eine Verbindung<br />
der gegensätzlichen Ausdrucksweisen<br />
von informeller und konstruktiver Kunst<br />
an. Nach Jahren des angewandten Schaffens<br />
für namhafte deutsche Zeitschriften und<br />
Verlage siedelte Micus 1972 mit seiner Frau<br />
nach Ibiza über. Dort experimentierte er<br />
mit unterschiedlichsten Materialien und<br />
bildnerischen Mitteln. Phasen zurückhaltender,<br />
eher konstruktiver Bildlösungen<br />
wechselten mit solchen, in denen eine<br />
überbordende, zur Auflösung neigende<br />
Gestaltung überwiegt, so dass im unermüdlichen<br />
Schaffen ein facettenreiches Werk<br />
entstanden ist.<br />
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher<br />
Katalog im Wienand-Verlag (Hrsg.<br />
Burkhard Leismann) mit zahlreichen<br />
Abbildungen und Beiträgen von Stephan<br />
N. Barthelmess, Susanne Buckesfeld, Erich<br />
Franz und Ulrike Schaz.<br />
Öffnungszeiten: Mi-Fr 14 -18 Uhr, Sa,<br />
So, Feiertage 11 - 18 Uhr, Mo, Di geschl.<br />
Kunstmuseum Ahlen<br />
Museumsplatz 1 / Weststraße 98<br />
59227 Ahlen, Tel.: 0 23 82 / 91 83 0<br />
www.kunstmuseum-ahlen.de<br />
Kreativ50plus<br />
Lesen oder musizieren?<br />
Literaturcafé und Bergische Orchestertage<br />
bei kreativ50plus<br />
Im Mai lädt die Akademie Remscheid<br />
im Rahmen des Programms kreativ50plus<br />
zweimal zum Mitmachen ein.<br />
Das 2. Literaturcafé am Samstag, den 4.<br />
Mai richtet sich an alle, die gerne schrei-<br />
ben. Sie sind eingeladen, sich vom diesjährigen<br />
Thema Mut inspirieren zu lassen.<br />
Im Literaturcafé können Interessierte in<br />
gemütlicher Atmosphäre ihre Geschichten,<br />
Gedichte oder Essays vortragen. Aber auch<br />
zum Zuhören und Austauschen im Literaturcafé<br />
melden Sie sich bei der Akademie<br />
Remscheid unter www.kreativ50plus.de an.<br />
Ein paar Tage später, vom 8. bis 12.Mai<br />
können Spätberufene und Wiedereinsteiger<br />
bei den bergischen Orchestertagen<br />
musizieren. Der Kurs richtet sich an Menschen,<br />
die erst spät begonnen haben, ihr<br />
Orchesterinstrument zu erlernen oder die<br />
nach Jahren Pause die Freude am gemeinsamen<br />
Musizieren wiederentdeckt haben.<br />
Orchestererfahrung ist keine Voraussetzung.<br />
Geübt und im Abschlusskonzert<br />
am Sonntag vorgetragen wird die Sinfonie<br />
Nr. 8, die „Unvollendete“ von Schubert.<br />
Besetzung: Flöten, Oboen, Klarinetten,<br />
Fagotte, Hörner, Trompeten, Posaunen<br />
und Streicher.<br />
Beide Veranstaltungen finden statt in der<br />
Akademie Remscheid, Küppelstein 34.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.kreativ50plus.de oder telefonisch<br />
unter 02191-794 212.<br />
81
Kulturnotizen<br />
Ein gelungenes Zusammenspiel<br />
„GERMAN SONG“, ein Multimedia-<br />
Stück von Heiner Bontrup<br />
Mit der „freien Szene“ zusammenzuarbeiten:<br />
Das ist eine der Anforderungen,<br />
die an die Kandidaten für die nächste<br />
Schauspielintendanz in Wuppertal gestellt<br />
werden. „GERMAN SONG“, ein<br />
Multimedia-Gastspiel im Kleinen Schauspielhaus,<br />
hat jetzt daran erinnert, daß das<br />
schon geschieht – und daß der Vorwurf an<br />
die bisherige Leitung, solche Kontakte versäumt<br />
zu haben, schief ist; wie so mancher.<br />
Heiner Bontrup, Wuppertaler Autor<br />
und Kulturjournalist, hat gemeinsam mit<br />
Ulrike Müller den Abend konzipiert; und<br />
zur Realisierung zusammengekommen<br />
sind: Die Musiker Dietrich Rauschtenberger<br />
und Charles Petersohn, die Schauspieler<br />
Caroline Keufen, Ralf Grobel und Andreas<br />
Ramstein, die Schülerin und Sprecherin<br />
Faith Iyere, die Videokünstlerin Wasiliki<br />
Noulesa, die Tänzerin Chrystel Guillebaud.<br />
Was dann das Publikum durch diese<br />
Vielfalt erlebt (sofern man denn die enorme<br />
Schlange an der Kasse noch glücklich mit<br />
einer Karte in der Hand verlassen hat): Das<br />
ist ein stark aufs Atmosphärische setzendes<br />
Programm um Gewalt und Verantwortung<br />
– ausgehend von literarischen Texten<br />
von Else Lasker-Schüler, Paul Celan und<br />
Gottfried Benn.<br />
Wenn genre-übergreifende Kunst mehr<br />
sein will als eine Collage, kann sie ein<br />
verbindendes Gerüst gebrauchen. Und das<br />
ist heute „Am Beispiel meines Bruders“ von<br />
Uwe Timm, die autobiografische Erzählung<br />
zur Verarbeitung der Naziverbrechen<br />
anhand der Vergangenheit von Timms<br />
Bruder in der Waffen-SS. Akustisch – visuell,<br />
textlich – tänzerisch: Was die einzelnen<br />
beteiligten Künstler heute zeigen, gruppiert<br />
sich um Auszüge dieses Berichts, den an<br />
Stelle des erkrankten Hans Richter der<br />
Schauspieler Ralf Grobel liest.<br />
Ständig präsent sind dabei die Beiträge<br />
von Noulesa, Rauschtenberger und<br />
Petersohn: Die Videokünstlerin wechselt<br />
abstrahierte Aufnahmen aus der Natur ab<br />
mit Personenportraits; und für die volle<br />
Wirkung der Projektionen nutzt sie die<br />
hintere Wandfläche in ganzer Breite. Dietrich<br />
Rauschtenberger, als Pionier des Free<br />
Jazz sicher mit der namhafteste Teilnehmer,<br />
arbeitet mit Schlagwerk und Gongs in<br />
verschiedenen Größen; er wirkt spielerisch<br />
dabei und doch genau abgestimmt auf<br />
all das, was sonst noch passiert auf der<br />
Bühne. Gleiches gilt für Charles Petersohn,<br />
Produzent, DJ und musikalischer Leiter des<br />
Abends, der seine Klänge unauffällig, aber<br />
durchgängig einmischt ins Geschehen.<br />
Und es ist ja immer das Zusammenwirken,<br />
das (neben dem Text-Gerüst)<br />
eine Kooperation verschiedener Künste<br />
unterscheidet von einer bloßen Revue aus<br />
Einzeltalenten. Bei GERMAN SONG<br />
mag sich tatsächlich ein Gesamteindruck<br />
zwischen den Akteuren einstellen: Während<br />
etwa Caroline Keufen vor besagtem Hintergrund<br />
Passagen aus Celans „Todesfuge“<br />
spricht, im Wechsel mit der 17-jährigen<br />
Faith Iyere, die diese selbst [in die Sprache<br />
ihrer afrikanischen Heimat?] übersetzt hat:<br />
Da schwenkt Chrystel Guillebaud, zuvor<br />
gestenreich in Bewegung, zuvor plötzlich<br />
um und kauert sich auf den Boden – wie<br />
ein trauernder Friedhofsengel? Vielleicht.<br />
Vielleicht auch ganz anders. Kunst, die so<br />
stark ans Unterbewußte appelliert wie der<br />
heutige Abend, ist ja prädestiniert fürs freie<br />
Assoziieren.<br />
Neben solch inszenierter Kombination<br />
der Künste ist auch spannend zu beobachten,<br />
wie die Akteure aufeinander reagieren,<br />
wenn eine der Kunstformen gerade „Pause<br />
hat“. Etwa wenn Rauschtenberger an<br />
seinen Instrumenten sichtbar „mitgeht“<br />
mit all der Bewegung vor ihm. Oder<br />
Stichwort „Lili Marleen“: jener Schlager,<br />
den die Militärpropaganda zur Hymne des<br />
deutschen Soldaten machte und der in Europa<br />
und Nordafrika an allen Fronten lief.<br />
Als die Melodie erklingt, wie eine zynische<br />
Begleitmusik zum Tun auch von Timms<br />
Bruder: Da hören Faith Iyere, die schwarze<br />
junge Frau, ebenso zu wie Petersohn, der<br />
jetzt einen Judenstern trägt: wach, aber<br />
stumm.<br />
Menschen aus verschiedenen Hintergründen,<br />
die sich durchaus auch etwas<br />
fremd bleiben dürfen: Das ist es wohl, was<br />
den Reiz eines freien Projekts wie GER-<br />
MAN SONG zum Gutteil ausmacht, wo<br />
Kultur, Information und Unterhaltung im Internet<br />
Täglich neu – mit großem Archiv<br />
Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografi e – Reise<br />
Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb<br />
www.musenblaetter.de<br />
82
die Akteure in dieser Konstellation nur zu<br />
diesem Anlaß zusammenkommen. Mit<br />
ihrem Ad-hoc-Charakter sind sie so gesehen<br />
ja schon vom Ansatz etwas anderes als ein<br />
Ensemble-Stadttheater (mit seinen eigenen<br />
Vorzügen). Schön, wenn ein Theater sich<br />
dem öffnet, wenn es denn paßt – wie heute.<br />
Zur Offenheit der Bühnen Richtung Szene<br />
nimmt Charles Petersohn auch Noch-<br />
Intendant Christian von Treskow entschieden<br />
gegen Vorwürfe in Schutz: „Er hat den<br />
Kontakt zur Stadt, also zur freien Szene und<br />
deren Community angestoßen. Er hat jeden<br />
eingeladen, etwas zu realisieren, der etwas<br />
Professionelles zu bieten hat.“<br />
Martin Hagemeyer<br />
kunsthochdrei<br />
Die erfolgreiche Reihe „kunsthochdrei“<br />
geht in eine neue Runde.<br />
Die fünf bevorstehenden Programme aus<br />
Musik, Literatur und Bildender Kunst<br />
werden anders als bisher sämtlich im Von<br />
der Heydt-Museum stattfinden. Weitere<br />
Neuerung – und etwas paradox zur ersten:<br />
Bei zweien der Veranstaltungen wird, trotz<br />
des Ortes, nicht die Bildende Kunst im<br />
Zentrum stehen.<br />
Am 24. April ist der Ausgangspunkt<br />
für das Treffen der Künste ein literarischer<br />
Anlaß: der 250. Geburtstag von Jean Paul.<br />
Jean Paul 1763 – 1825<br />
Um die „Selberlebensbeschreibung“ des<br />
Schriftstellers, gelesen einmal mehr von<br />
Bernt Hahn, werden sich der Vortrag<br />
zu Klassizismus und Biedermeier in der<br />
Sammlung des Museums wie auch die<br />
Musik von Robert Schumann thematisch<br />
gruppieren. Ähnliches gilt für einen weiteren<br />
gewichtigen Geburtstag dieses Jahres:<br />
Zu 200 Jahren Richard Wagner gibt es am<br />
5. Juni in erster Linie Musik des Komponisten<br />
zu hören, mit Stefanie Krahnenfeld<br />
(Sopran) und Jan Ehnes (Klavier), dazu<br />
eine Einführung zu Wagner in der Bildenden<br />
Kunst und Thomas Manns „Reden zu<br />
Richard Wagner“.<br />
Die drei weiteren Termine von „kunsthochdrei“<br />
gehen indes wie bisher vom<br />
Museum und damit von Schätzen der<br />
bildenden Kunst aus. Den Anfang macht<br />
am 6. März „Das Herz des Museums“:<br />
die Einführung zur Sammlung des Hauses<br />
durch Direktor Dr. Gerhard Finckh selbst,<br />
während die gefeierte Schauspielerin<br />
Barbara Nüsse, gerade 70 geworden, Thomas<br />
Bernhard über „Alte Meister“ ätzen<br />
läßt und Beethoven, vermutlich weniger<br />
kon trovers, den musikalischen Teil des<br />
Abends bestreitet. Und die neue Ausstellung<br />
der Sammlung Jean Gigoux gibt<br />
den vorerst letzten zwei „kunsthochdrei“-<br />
Ausgaben ihr Gepräge: Am 4. September<br />
geht es um den selbst malenden Sammler<br />
und seine „Goldmedaille im Salon 1835“;<br />
musikalisch wird dazu Felix Mendelssohn<br />
Bartholdy zu hören sein, literarisch<br />
Gustave Flaubert. Diese hochkarätige<br />
Sammlung selbst wird schließlich am 16.<br />
Oktober näher vorgestellt; Florence Millet<br />
wird mit Debussy wieder am Klavier<br />
das Treffen der Künste mitgestalten und<br />
Bernd Kuschmann aus Viktor von Scheffel<br />
lesen.<br />
Es moderieren jeweils die Journalistin<br />
Anne Linsel, Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse<br />
oder Hausherr Dr. Gerhard Finckh.<br />
Erfolgversprechend also auch im<br />
fünften Jahr die Reihe „kunsthochdrei“,<br />
die dem Museumsdirektor ganz offensichtlich<br />
eine Herzensangelegenheit ist:<br />
Finckh ist es wichtig, daß man auch ins<br />
Museum gehe, „um etwas zu lernen“, und<br />
der Zuspruch der so gesehen lernwilligen<br />
Besucher der Reihe zeigt ihm: „Diese<br />
Synthese spricht die Menschen an.“<br />
Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse ist<br />
hauptamtlicher Dozent, heute Professor,<br />
der Hochschule für Musik und Tanz Köln<br />
am Standort Wuppertal für die Fächer<br />
Musikwissenschaft, Musiktheorie/Tonsatz<br />
und Gehörbildung. Seit 2009 ist er Geschäftsführender<br />
Direktor des Standorts<br />
Wuppertal<br />
Martin Hagemeyer<br />
Müllers Maronetten-Theater<br />
Des Kaisers neue Kleider<br />
Theatermärchen von Günther Weißenborn<br />
Manche Kleider sehen eben nur die<br />
klugen Leute, behaupten deren Hersteller.<br />
Na, wer will schon dumm sein? Also sind<br />
alle von den neuen Kleidern des Kaisers<br />
begeistert. Nur der kleine Mario, der lässt<br />
sich nicht täuschen. Und wird deshalb<br />
am Ende der Freund und Ratgeber des<br />
Kaisers.<br />
Aufführungstermine:<br />
20., 21., 28. 4., 1., 4., 9. 5. jeweils 16.00<br />
Uhr und am 24. 4. um 11.00 Uhr<br />
Der Räuber Hotzenplotz<br />
von Otfried Preußler<br />
Hotzenplotz ist ein gemeiner Räuber.<br />
Nicht einmal der Oberwachtmeister<br />
Dimpfelmoser konnte ihn bislang fassen<br />
und so klaut der Räuber, was er nur kann.<br />
Als er eines Tages sogar der Oma die Kaffeemühle<br />
raubt, beschließen Kaspar und<br />
Seppel, den Dieb zu fangen. Dabei lassen<br />
sie sich auf ein grosses Abenteuer ein!<br />
Aufführungstermine:<br />
9., 11, 20., 26., 30. 5., jeweils 16.00 Uhr<br />
und am 15. 5. um 11.00 Uhr<br />
26. 4. Wiederaufnahme: Der Vogelhändler<br />
– Operette von Carl Zeller<br />
24. 5. 30 Jahre Müllers Marionetten-Theater<br />
– 20 Jahre Theater am<br />
Neuenteich – Jubiläums-Varieté<br />
www.muellersmarionettentheater.de<br />
83
Kulturnotizen<br />
Sa13. 4. 2013, 19:30Uhr //// Opernhaus<br />
Don Quichotte<br />
//// Heroische Komödie in fünf Akten<br />
Jules Massenet, Dichtung von Henri Cain<br />
nach dem Schauspiel Le chevalier de la<br />
longue figure von Jacques Le Lorrain nach<br />
Miguel de Cervantes Saavedra in französischer<br />
Sprache mit deutschen Übertiteln.<br />
1910 feierte Massenet den triumphalen<br />
Erfolg der Uraufführung seiner letzten<br />
Oper, die besonders die tragische Note<br />
von Cervantes Roman betont. Zwischen<br />
überschäumender Lebenslust und tiefer<br />
Furcht vor Vergänglichkeit zeichnet der<br />
Komponist feinfühlig-psychologisch seine<br />
Protagonisten und führt in überwältigender<br />
Klangpracht und feinster Instrumentationskunst<br />
Grand Opéra und Opéra<br />
comique zusammen.<br />
24. 5. 2013, 19:30Uhr //// Premiere<br />
Theater und Konzerthaus Solingen<br />
Evita<br />
//// Musical von Andrew Lloyd Webber<br />
Libretto von Tim Rice<br />
Schon zu Lebzeiten eine schillernde Legende,<br />
erlangte Eva Perón nach ihrem tragisch<br />
frühen Tod Kultstatus: aus ärmlichsten<br />
Verhältnissen arbeitete sie sich durch ihre<br />
Hochzeit mit General Perón in märchenhafter,<br />
aber ebenso rücksichtsloser Art und<br />
Weise zur First Lady Argentiniens empor.<br />
Als Kämpferin für die Rechte des einfachen<br />
Volkes wurde sie verehrt wie eine Heilige.<br />
27. 4. 2013, 17:30Uhr<br />
//// Premiere – JVA Wuppertal Ronsdorf<br />
Macbeth – Schlaflos in Ronsdorf<br />
//// Schauspiel nach William Shakespeare<br />
Projekt mit der JVA Ronsdorf<br />
Macbeth hält seinem König die Treue,<br />
eigentlich. Aber er ist ein ehrgeiziger<br />
Mann, will etwas machen aus seinem<br />
Leben, das fordert auch seine Lady. Er soll<br />
seinen Mann stehen. Angestachelt von<br />
der Lady hilft Macbeth nach, beseitig den<br />
König, und besteigt den Thron. Aber der<br />
Tote gibt keine Ruhe. Überall wird geflüstert<br />
und sogar der beste Freund wird zum<br />
Problem. Er stellt Fragen, ist misstrauisch,<br />
droht mit Verrat. Er mus weg, und auch<br />
alle Anderen die einem irgendwann einmal<br />
gefährlich werden könnten.<br />
Mit jugendlichen Insassen der JVA<br />
Wuppertal Ronsdorf wird Shakespeares<br />
Tragödie als Kooperationsprojekt zwischen<br />
der JVA Ronsdorf, der evangelischen Gefängnisseelsoge<br />
des Kirchenkreises Wuppertalin<br />
und den Wuppertaler Bühnen in den<br />
Räumen der JVA auf die Bühne gebracht.<br />
29. 5. 2013 20:00Uhr<br />
//// Kleines Schauspielhaus<br />
Viel Lärm um Nichts<br />
//// Integratives Theaterprojekt nach<br />
William Shakespeare<br />
»Ich erlebe es noch, dich einmal ganz<br />
blass vor Liebe zu sehen«, so Don Pedro zu<br />
Beatrice. Vor Hunger vielleicht, entgegnet<br />
diese und ganz bestimmt auch vor Zorn,<br />
aber niemals vor Liebe. Von der hält die<br />
spöttische Beatrice nämlich gar nichts und<br />
Männer sind ihrer Meinung nach völlig<br />
entbehrlich. In Zusammenarbeit mit:<br />
Tanztheater Wuppertal Pina Bausch<br />
Neueinstudierung<br />
25., 26., 27., 29., 30. April und 1. Mai<br />
2013 ////<br />
Vollmond<br />
7., 8., 10., 11., 12. Mai 2013 ////<br />
Sinfonieorchester Wuppertal<br />
Konzerte April/Mai 2013<br />
Fr 5. 4. 2013 | 20:00 Uhr, Stadthalle,<br />
Großer Saal<br />
Procol Harum<br />
trifft das Sinfonieorchester Wuppertal<br />
& die Kantorei Barmen-Gemarke<br />
Jo Ann Endicot, Bénédicte Billiet,<br />
Alexandros Sarakasidis & Safet Mistele,<br />
Special Guest, David Firman, Dirigent,<br />
Procol Harum, Musik<br />
Manche Songs begleiten Dich ein<br />
Leben lang... und einer dieser Songs ist<br />
mit großer Wahrscheinlichkeit »A whiter<br />
shade of pale« der Engländer Procol Harum.<br />
Die meisten hatten es geahnt und<br />
seit 2008 ist es sozusagen amtlich, einer<br />
Rangliste der BBC zufolge ist »A whiter<br />
shade of pale« der meistgespielte Radiotitel<br />
weltweit.<br />
Deutschlandweit einmalig ist es nun<br />
gelungen, Procol Harum zusammen mit<br />
dem Sinfonieorchester Wuppertal und der<br />
Kantorei Barmen-Gemarke an zwei Tagen<br />
auf die Bühne zu bringen. Tänzerisch begleitet<br />
wird das ca. 140-köpfige Ensemble<br />
dabei von Jo Ann Endicott, Bénédicte<br />
Billiet, Alexandros Sarakasidis und Safet<br />
Mistele mit einem Ausschnitt aus „Kontakthof<br />
für Jugendliche".<br />
8. 4. 2013 | 20:00 Uhr | Stadthalle,<br />
Mendelssohn Saal<br />
5. Kammerkonzert<br />
14. 4. 2013 | 18:00 Uhr<br />
Stadthalle, Großer Saal<br />
Orgel-Akzente (4)<br />
28. 4. 2013 | 11:00 Uhr<br />
Stadthalle, Großer Saal<br />
8. Sinfoniekonzert<br />
29. 4. 2013 | 20:00 Uhr<br />
7. 5. 2013 | 10:00 Uhr<br />
Stadthalle, Großer Saal<br />
3. Schulkonzert<br />
Mit Mozart zum Jupiter<br />
7. 5. 2013 | 12:00 Uhr<br />
13. 5. 2013 | 20:00 Uhr<br />
14. 5. 2013 | 12:00 Uhr<br />
20. 5. 2013 | 18:00 Uhr<br />
Stadthalle, Mendelssohn Saal<br />
6. Kammerkonzert<br />
14. 5. 2013 | 10:00 Uhr<br />
Stadthalle, Mendelssohn Saal<br />
4. Chorkonzert<br />
im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal<br />
Freitag, 12. April, 19 Uhr, Pavillon<br />
Anja Lechner & François Couturier<br />
Impressions intimes<br />
Anja Lechner, Cello | François Couturier,<br />
Klavier<br />
Die musikalische Affinität zwischen Anja<br />
Lechner und François Couturier ist durch<br />
ihr Zusammenspiel im Tarkovsky Quartet<br />
längst deutlich geworden. Im Duo spannen<br />
die deutsche Cellistin und der französische<br />
84
Pianist einen weiteren musikalischen Bogen,<br />
indem sie Stücke von G.I. Gurdiieff,<br />
Frederic Mompou und Anouar Brahem<br />
interpretieren, aber auch Kompositionen<br />
von Couturier spielen.<br />
Anja Lechner, François Couturier Foto:<br />
Nadia Romanini<br />
Freitag, 31. Mai, 19 Uhr, Pavillon<br />
Aki Takase & Louis Sclavis<br />
Yokohama<br />
Aki Takase, Klavier | Louis Sclavis, Klarinette,<br />
Bassklarinette, Sopransaxofon<br />
Louis Sclavis ist einer der innovativsten<br />
Musiker des europäischen Jazz. Im Duo<br />
mit der herausragenden Improvisationskünstlerin<br />
Aki Takase entwickelt sich ein<br />
aufregender Dialog. Die beiden finden sich<br />
in einem Balanceakt freier Improvisation,<br />
der ihre Kompositionen und musikalischen<br />
Welten verbindet.<br />
Louis Sclavis, Aki Takase<br />
Vorverkauf über westticket.de, an allen<br />
Vorverkaufsstellen und im Skulpturenpark.<br />
Am Dinner in der Villa Waldfrieden kann<br />
man nur nach Voranmeldung teilnehmen.<br />
Info und Reservierung über T 2501630<br />
bzw. event@skulpturenpark-waldfrieden.de.<br />
Friedrich-Spee-Akademie<br />
Remscheid<br />
• Die Akademie möchte in Kooperation mit<br />
anderen Institutionen durch Kultur- und<br />
Bildungsangebote den Menschen in der<br />
zweiten Lebenshälfte Anregungen geben,<br />
ihr Leben aktiv und lebendig zu gestalten<br />
• Sie möchte dazu beitragen, dass sich die<br />
wachsende Gruppe der älteren Bürger (innen)<br />
am gesellschaftlichen Dialog beteiligt<br />
• Das Angebot soll Anregungen geben für<br />
diejenigen Mitbürger, die durch Engagement<br />
und Aktivität als Teilnehmer,<br />
Mitarbeiter und Referenten ihr Leben<br />
nach ihrer Arbeitszeit als glücklichen<br />
„Unruhestand“ gestalten wollen<br />
• Miteinander den gesellschaftlichen<br />
Dialog suchen.<br />
Weitere Informationen und Programm:<br />
http://www.fsa-online.eu/<br />
Ausstellungen in Wuppertal<br />
Renate Horn – Farbimpressionen<br />
Acrylbilder der Wuppertaler Künstlerin<br />
Renate Horn, Färberei, Stennert 8. Noch<br />
bis zum 27. April<br />
Die eine Kunst begleitet sie seit ihrer<br />
Ausbildung, die andere entdeckte sie eher<br />
zufällig für sich: Die Wuppertalerin Renate<br />
Horn (53) hat sich sowohl der Musik als<br />
auch der Malerei verschrieben. War die Musik<br />
mehr als 20 Jahre lang auch beruflich der<br />
Lebensinhalt der gelernten Lehrerin für Musik<br />
und katholische Religion, so hat sie sich<br />
der bildenden Kunst erst nach einem harten<br />
Einschnitt in ihren Lebenslauf verschrieben.<br />
Heute unterrichtet die Mutter von<br />
Renate Horn<br />
zwei Kindern nicht mehr, sondern lebt und<br />
arbeitet als freischaffende Künstlerin. Musik<br />
und Malerei sind für Renate Horn Wege,<br />
ihren positiven Emotionen Ausdruck zu<br />
verleihen: „In beiden Bereichen gehe ich<br />
zum Inneren und zeige meine Seele“, sagt<br />
die Künstlerin. Malerisch nutzt Horn dabei<br />
verschiedene Stile und Techniken, vor allem<br />
Acrylmalerei und Mischtechnik.<br />
Gisela Kettner – Einfach nur Farbe<br />
„Einfach nur Farbe“ – das Motto der<br />
derzeitigen Ausstellung von Gisela Kettner<br />
spiegelt sich schon auf den ersten Blick in<br />
den Räumen des K1-Artcafés. Dort können<br />
bunte Malereien begutachtet werden, von<br />
denen manche sogar von der Decke hängen.<br />
Sofort fällt die bunte Mischung der<br />
(oft geometrischen) Formen und Farben<br />
auf, die diese Ausstellung kennzeichnet –<br />
die hellen, kräftigen Töne geben Hoffnung<br />
auf einen baldigen Frühling.<br />
„Einfach nur Farbe“ ist bis zum 23.<br />
April im K1-Artcafé, Oststraße 12, zu<br />
sehen – dienstags bis samstags von 17<br />
bis 22 Uhr. Montag und Sonntag sind<br />
Ruhetage.<br />
Die sieben Schönheiten<br />
der Wichlinghauser Straße<br />
Die Ausstellung im Heine-Kunst-Kiosk,<br />
Wichlinghauser Str. 29a, Wuppertal-<br />
Oberbarmen ist noch bis zum 27. April<br />
zu besichtigen – und/oder nach tel. Verabredung:<br />
0202/475098 und 02191/73162<br />
In Zusammenarbeit mit dem Bürgerforum<br />
Oberbarmen e.V. und der Stadt<br />
Wuppertal, vertreten durch Jutta Schultes,<br />
Projektkoordination Soziale Stadt, wurde<br />
dieses Fotoprojekt mit acht Jugendlichen<br />
durchgeführt.<br />
Sichtbar werden in der Vielfalt der<br />
eingereichten 56 Fotos: Verwahrlosung,<br />
Ordnung, Verletzung, Verfall, Schönheit<br />
Weitere Ausstellungen der Fotografien<br />
in Wuppertal sind in Vorbereitung. Kontakt:<br />
Barbaraheld@netic.de und Boris.meissner@<br />
freenet.de<br />
Franziska, 13<br />
Heine-Kunst-Kiosk: www.b-held-kunst.de<br />
und www.bbk-bergischland.de<br />
85
Kulturnotizen<br />
Museum Ludwig Köln<br />
Saul Steinberg: The Americans<br />
noch bis zum 23. Juni 2013<br />
Das Museum Ludwig zeigt erstmals<br />
seit ihrer Entstehung zur Weltausstellung<br />
in Brüssel im Jahre 1958 die vollständige<br />
Wandarbeit The Americans von Saul Steinberg<br />
– eine 70 Meter lange Collage.<br />
Ergänzt wird die Präsentation durch<br />
thematisch verwandte Zeichnungen und<br />
Collagen aus den fünfziger Jahren sowie<br />
zahlreiche Zeitschriftenillustrationen des<br />
Künstlers, der die Grenzen zwischen freier<br />
und angewandter Kunst immer wieder in<br />
Frage stellte.<br />
Der in Rumänien geborene Zeichner<br />
und Karikaturist Steinberg (1914-1999)<br />
emigrierte nach einem Architekturstudium<br />
in Mailand in den frühen vierziger Jahren<br />
nach New York, wo er vor allem mit seinen<br />
Covergestaltungen für die Zeitschrift New<br />
Yorker schon früh bekannt wurde.<br />
www.museum-ludwig.de<br />
The Americans. Main Street - Small Town<br />
(Detail), 1958, Collage aus Packpapier, Tapete,<br />
ausgeschnittenen und -gerissenen illustrierten<br />
Zeitungsseiten, Klebeband, Wachskreide,<br />
Pastell, Öl auf bedrucktem Fotopapier,<br />
geklebt auf Karton und auf doppelt-dicker<br />
Triplex-Platte befestigt, 24 Tafeln je 300 x 90<br />
cm, 1 Tafel 300 x 44 cm Musées royaux des<br />
Beaux-Arts de Belgique, Bruxelles, The Saul<br />
Steinberg Foundation / VG Bild-Kunst 2013<br />
Variante der Titelfotografie der Vogue US,<br />
15. März 1945 „Do your part for the red cross,<br />
Digitaler C-Print, The Estate of Erwin Blumenfeld<br />
(Henry und Yorick Blumenfeld)<br />
Museum Folkwang Essen<br />
Blumenfeld Studio<br />
Farbe, New York, 1941 – 1960<br />
bis zum 5. Mai 2013<br />
Der in Berlin geborene Fotograf Erwin<br />
Blumenfeld (1897–1969) zählt in den<br />
1940er und 1950er Jahren zu einem der<br />
international gefragtesten Porträt- und Modefotografen.<br />
Aufgrund seiner ideenreichen<br />
und eigenwilligen Bildschöpfungen wird er<br />
von den führenden amerikanischen Magazinen,<br />
wie Vogue, Harper’s Bazaar, Life und<br />
Look engagiert. Die Werkschau veranschaulicht<br />
die bislang kaum bekannte Geschichte<br />
seines Fotoateliers am 222 Central Park<br />
South in New York. Rund einhundert Farbaufnahmen,<br />
Vintage-Abzüge in Schwarzweiß<br />
sowie Orginalausgaben von Erwin<br />
Blumenfelds Arbeiten in Modezeitschriften<br />
geben Einblicke in diese für sein Werk bedeutende<br />
künstlerische Phase. Zugleich stellt<br />
die Ausstellung die methodische Frage nach<br />
einer digitalen Rekonstruierbarkeit wichtiger<br />
Formen analoger Fotografie wie es Blumenfelds<br />
großformatige Ekta-Aufnahmen<br />
darstellen.<br />
Konrad Klapheck, Foto: Wolfgang Günzel<br />
Museum Kunstpalast Düsseldorf<br />
Konrad Klapheck<br />
26. April – 4. August 2013<br />
Das Museum Kunstpalast beleuchtet<br />
mit einer Retrospektive das Werk eines<br />
international bekannten Protagonisten der<br />
Düsseldorfer Kunstszene: Konrad Klapheck<br />
(*1935). Die gegenständliche Malerei<br />
des seit den 1960er Jahren international<br />
etablierten Künstlers lässt sich mit keiner<br />
anderen vergleichen. Sein Werk bleibt eine<br />
Ausnahmeerscheinung, seine Arbeiten -<br />
mal dem Surrealismus, mal der Pop Art<br />
zugeordnet - wurden bereits zu Lebzeiten<br />
Klassiker. Bekannt geworden sind vor allem<br />
seine Maschinenbilder, die er monumental<br />
und überpräzise nachbildet, so dass<br />
sie bedrohlich auf den Betrachter wirken<br />
können. Seit 1997 erscheint die menschliche<br />
Figur im Werk von Klapheck, meist<br />
in erotischen Interieurs und in Porträts<br />
berühmter Jazzmusiker.<br />
Museum Kunstpalast, Kulturzentrum<br />
Ehrenhof, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf<br />
www.smkp.de<br />
The Americans. Downtown - Big City, 1958<br />
Collage, 6 Tafeln je 300 x 90 cm, © The Saul<br />
Steinberg Foundation / VG Bild-Kunst 2013<br />
Erwin Blumenfeld – Rage for Colors<br />
publiziert in Look, 15. Oktober 1958,<br />
© The Estate of Erwin Blumenfeld<br />
Die gekränkte Braut, 1957, Öl / Leinwand,<br />
50 x 61 cm, im Besitz des Künstlers © Konrad<br />
Klapheck, VG Bild-Kunst, Bonn 2013<br />
86
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