ICOM Deutschland Mitteilungen 2010

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INTERNATIONALE KOMITEES ICMAH – International Committee for Museums and Collections of Archaeology and History Museums and Faith Jahrestagung vom 14. bis 16. Mai 2009 in Luxemburg Rosmarie Beier-de Haan Was waren Ausgangspunkt und Hintergrund der Tagung? Crispin Paine, Institute of Archaeology, University College London, und Begründer der Zeitschrift Material Religion: The Journal of Objects, Arts and Belief, hob in seinem Impulsreferat hervor, dass wir in einer Zeit leben, die durch ein ambivalentes Verhältnis zu Religion und Glaube gekennzeichnet ist: einerseits fortschreitende Säkularisierungsprozesse und Bedeutungsverlust der Kirchen, andererseits eine wachsende Tendenz zu religiösem Fundamentalismus in Ethik und Handeln. Gleichwohl scheinen Religion und Glaube in historischen Museen und Ausstellungen bis jetzt eher marginal zu sein. Paine konstatierte, dass die Museumswelt – nicht zuletzt aus einer säkularen Perspektive heraus – über Jahrzehnte Berührungsängste mit dem Thema hat. Dass sich das mittlerweile ändert, davon gaben auf der Konferenz die insgesamt vierzehn Referate und Statements beredt Zeugnis. Vier Schwerpunkte strukturierten den Tagesablauf und die Diskussionen: 1. Museen in einer Zeit der Spannung zwischen Glauben und Gesellschaft: Inwieweit nehmen Museen in den aktuellen Aushandlungsprozessen der Religionen Stellung? Sind sie neutrale Beobachter, Chronisten? Oder intervenieren sie, zurückhaltend oder sogar Stellung beziehend? Können und sollten Museen dabei die Tiefe des Glaubens ausloten? 2. Können historische Glaubenserfahrungen dar- und ausgestellt werden? Inwieweit lässt sich über die historische Betrachtung überhaupt die Glaubenserfahrung des Einzelnen in seiner Zei wiedergeben? (Inwieweit) lässt sie sich einem nicht (mehr) religiösen Publikum überhaupt nahe bringen? 3. Glaube in der zeitgenössischen Kunst: Wie geht zeitgenössische Kunst mit dem Glauben um, zwischen Blasphemie und Provokation auf der einen Seite und individuellen Glaubensbekundungen auf der anderen? Was können Kuratoren kulturhistorischer Museen von der Annäherung der Kunstmuseen an das Thema lernen? 4. Profane Objekte, sakrale Objekte: Als Museumsdinge sind vormalige Sakralgegenstände zwar profan geworden, doch bleibt nicht ein „Rest“? Altarwerke zum Beispiel können in einem Museum religiöse Andacht assoziieren. Gleichermaßen können Religiosa vom Museum temporär für religiöse Zwecke zur Verfügung gestellt werden – wie es etwa in australischen Museen der Fall ist. (Wie) vermitteln Museen zwischen dem Religiösen und dem Profanen? Wie viel Glaube „erlauben“ die Kuratoren im Museum? Zwei zentrale Erkenntnisse aus der Vielfalt der durchweg qualifizierten und reflektierten Vorträge seien an dieser Stelle hervorgehoben: Ob es sich um das Museum der Kulturen in Basel mit seiner Ausstellung „Festival des Lichts. Religiöse Vielfalt in einer Stadt“ (2004/05), das Bijbelsmuseum Amsterdam mit seinem kreativen pädagogischen Programm, das finnische Museum der Orthodoxen Kirche oder das New York City Tenement Museum mit seinen Besucherführungen durch die multikulturelle Einwanderungsgesellschaft handelte, durchgängig ist die Intention erkennbar, Glaube und Religion in einen gesellschaftli chen Kontext einzubetten, der auf Multiperspektivität sowie Perspektivwechsel und -verschränkung setzt. Zugleich gewinnen neben der historischen Präsentation im engeren Sinne zunehmend hybride, dialogische Formen der Darbietung an Gewicht. So arbeitet etwa das Musée de l’Europe, Brüssel, in seiner Ausstellung „God(s): A User’s Guide“ (2006) mit einer Theatergruppe, um Themen wie religiöse Konflikte und Gewalt sensibel aufzufangen. In Colonial Williamsburg, Virginia/USA, laden character interpreters dazu ein, im Gespräch den religiösen Einstellungen der Menschen der Kolonialzeit nachzuspüren. Mit solchen und ähnlichen Methoden ermöglichen Museen die unmittelbare Einbeziehung des Besuchers. Die Tendenz ist unverkennbar, dass Museen weltweit ihre Rolle zunehmend darin sehen, in ihren Ausstellungen einen „geschützten Raum“ zu schaffen, in dem Menschen unterschiedlicher Religionen dem Glauben und den religiösen Praktiken anderer offen und respektvoll begegnen. So können Museen – entsprechend ihren ethischen Grundsätzen – inklusiv und nachhaltig wirken. Professor Dr. Rosmarie Beier-de Haan, Sammlungsleiterin und Ausstellungskuratorin am Deutschen Historischen Museum, Berlin; Honorarprofessorin für Geschichte an der Freien Universität Berlin; Vorstandsmitglied ICOM Deutschland und ICMAH; beier@dhm.de Weitere Informationen: Ein illustrierter Tagungsband wird im Frühjahr 2010 erscheinen und im Buchhandel erhältlich sein oder über: www.icmah.icom.museum Blick in die Ausstellung „Glaubenssache“. Diese „Ausstellung für Gläubige und Nicht-Gläubige“ im Stadtmuseum Luxemburg wurde zeitgleich zur Konferenz präsentiert. 44 | ICOM DeutschlandMitteilungen 2010

INTERNATIONALE KOMITEES ICME – International Committee for Museums and Collections of Ethnography Museums for Reconciliation and Peace. Roles of Ethnographic Museums in the World Jahrestagung vom 19. bis 24. Oktober 2009 in Seoul, Südkorea Lydia Icke-Schwalbe, Lothar Stein, Rainer Hofmann König Sejong (1397–1450), dem in Seoul mehrere Statuen gewidmet sind: Er führte u. a. die koreanische Schrift ein, ordnete regelmäßige Niederschlagsaufzeichnungen an und förderte die Wissenschaften in allen Belangen. Zum zweiten Mal nach 2004 hatte das Nationale Ethnographische Museum von Korea die Ethnologen und Kulturwissenschaftler in der ICOM-Arbeitsgruppe eingeladen, „to raise awareness of ICOM and ICME in Asia“ und um die Kollegen aus aller Welt in den Reichtum des koreanischen immateriellen Kulturerbes einzuführen. Zum Hauptthema der Tagung waren daher Referate gefragt, die sich mit der Rolle und dem Selbstverständnis ethnographischer Museen und ihrer Stellung innerhalb ihrer jeweiligen Gesellschaft auseinandersetzten. Darüber hinaus sollten der Austausch über Präsentation und Interpretation von Kulturen aus anderen Teilen der Welt stimuliert und Austauschpläne angeregt werden. Teilnehmer aus rund vierzig Ländern, darunter fünf aus Deutschland, nahmen an der Tagung teil. Im Fokus von Aussöhnung und Frieden wurden am ersten Tag Beiträge u. a. zum Maya-Achi-Genozit in Guatemala, zur Spiritualität des Schamanismus in Korea, zur Rolle der slowenischen Ethnographie sowie zu Xenophobie in der Museumsarbeit (Lothar Stein) gehalten und diskutiert. In den Nachmittagsveranstaltungen stand die Viel falt musealer Kollektionen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Mehrere koreanische Sammlungen stellten sich hier vor. Seit 2000 sind zahlreiche private und gesellschaftliche Spezialsammlungen entstanden, die das Leben in Tradition und gegenwärtigem Gestalten in folkloristischen Details belegen, pflegen und bewahren, z. B. das Kokdu Museum, das die figürliche Gestaltung von Bestattungsbahren sammelt, die im buddhistischen Ritual gebraucht wurden bzw. werden – ein bedeutendes kulturelles Erbe. Am zweiten und dritten Tag fanden alle Veranstaltungen auf dem Gelände des Nationalen Ethnographischen Museums von Korea statt, das eindrucksvoll in einem früheren Tempelbereich von Seoul eingerichtet und modern ausgebaut worden ist. Die Beiträge befassten sich mit Methoden und technologischen Formen der Aufbereitung von Sammlungen für den traditionellen Museumsbereich Bildung und Erziehung, vor allem in multikulturellen Gemeinschaften wie Kroatien, Bulgarien oder Israel, für visuelle Enzyklopädien und für die Nutzung in Wikimedia. Darüber hinaus standen die historisch gewordene gesellschaftliche Rolle der Museen in Europa und die moderne Kulturhausfunktion in jungen Nationalstaaten Asiens und Afrikas zur Debatte (Lydia Icke-Schwalbe, Anette Rein). Dem Hauptmotto der Tagung folgten auch die Beiträge über ein Dokumentationsprojekt des Fränkische-Schweiz-Museums zum Schicksal deutscher Soldaten in der Waffen-SS (Rainer Hofmann) und über Konzepte von Erinnerung und Gedenken (Bärbel Kerkhoff-Hader). Die verschiedenen musealen Umsetzungen in Südkorea konnten die Teilnehmer auf der Post-Konferenz-Tour eindrucksvoll erleben: vom Museum for Digitized Contents in Andong, das ohne jedes Objekt auskommt, über das getanzte Maskenmuseum in Hahoe mit den traditionellen Schnitzern der Ritualmasken und -figu ren bis zu koreanisch-buddhistischen Tempelanlagen und modernen regionalen Kunstmuseen. Das Museum in Andong besteht vollständig aus visionären Räumen, in denen virtuelle Welten der lokalen Vergangenheit projiziert werden in der Absicht, dem Besucher das wahre Bild von Andong, „the capital of Korean spiritual culture“, zu präsentieren. Wir besuchten auf dieser Reise historische Tempelanlagen, archäologische Ausgrabungsstätten, ein traditionel les koreanisches Dorf, erlebten einen traditionellen koreanischen Maskentanz, an dem sich die Teilnehmer auch aktiv beteiligen konnten. Die Jahreskonferenz 2009 wurde mit unvergleichlich großem Aufwand vorbereitet und sehr erfolgreich durchgeführt; ein Heer von Volontären sorgte für einen reibungslosen Ablauf sowie für ein stetiges Wohlgefühl der internationalen Teilnehmer, die mit insgesamt vier Tagungsbänden durch das übervolle Programm zu navigieren waren. Annette Fromm, ICME-Präsidentin, und Yang Jongsung, Leitender Kurator des Nationalen Ethnographischen Museums und Cheforganisator der gesamten Konferenz, gebührt höchste Anerkennung und Dank für die vollendete Führungsleistung. Dr. Lydia Icke-Schwalbe, Kustodin i. R., Museum für Völkerkunde Dresden; dr.ickeschwalbe@t-online.de; Dr. Lothar Stein, Direktor i.R., Museum für Völkerkunde Leipzig; LotharStein@gmx.de; Rainer Hofmann, Leiter des Fränkische-Schweiz-Museums Tüchersfeld/Pottenstein; hofmann@fsmt.de Weitere Informationen: Die Referate der ICME-Jahrestagungen sind erreichbar unter: http://icme.icom.museum/ ICOM DeutschlandMitteilungen 2010 | 45

INTERNATIONALE KOMITEES<br />

ICME – International Committee for Museums and<br />

Collections of Ethnography<br />

Museums for Reconciliation and Peace.<br />

Roles of Ethnographic Museums in the<br />

World<br />

Jahrestagung vom 19. bis 24. Oktober 2009<br />

in Seoul, Südkorea<br />

Lydia Icke-Schwalbe, Lothar Stein, Rainer Hofmann<br />

König Sejong (1397–1450), dem in Seoul mehrere Statuen gewidmet<br />

sind: Er führte u. a. die koreanische Schrift ein, ordnete regelmäßige<br />

Niederschlagsaufzeichnungen an und förderte die Wissenschaften in<br />

allen Belangen.<br />

Zum zweiten Mal nach 2004 hatte das Nationale Ethnographische<br />

Museum von Korea die Ethnologen und Kulturwissenschaftler<br />

in der <strong>ICOM</strong>-Arbeitsgruppe eingeladen,<br />

„to raise awareness of <strong>ICOM</strong> and ICME in Asia“ und um<br />

die Kollegen aus aller Welt in den Reichtum des koreanischen<br />

immateriellen Kulturerbes einzuführen. Zum Hauptthema<br />

der Tagung waren daher Referate gefragt, die sich<br />

mit der Rolle und dem Selbstverständnis ethnographischer<br />

Museen und ihrer Stellung innerhalb ihrer jeweiligen Gesellschaft<br />

auseinandersetzten. Darüber hinaus sollten der<br />

Austausch über Präsentation und Interpretation von Kulturen<br />

aus anderen Teilen der Welt stimuliert und Austauschpläne<br />

angeregt werden. Teilnehmer aus rund vierzig<br />

Ländern, darunter fünf aus <strong>Deutschland</strong>, nahmen an der<br />

Tagung teil.<br />

Im Fokus von Aussöhnung und Frieden wurden am ersten<br />

Tag Beiträge u. a. zum Maya-Achi-Genozit in Guatemala,<br />

zur Spiritualität des Schamanismus in Korea, zur<br />

Rolle der slowenischen Ethnographie sowie zu Xenophobie<br />

in der Museumsarbeit (Lothar Stein) gehalten und diskutiert.<br />

In den Nachmittagsveranstaltungen stand die Viel falt<br />

musealer Kollektionen im Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />

Mehrere koreanische Sammlungen stellten sich hier vor.<br />

Seit 2000 sind zahlreiche private und gesellschaftliche Spezialsammlungen<br />

entstanden, die das Leben in Tradition<br />

und gegenwärtigem Gestalten in folkloristischen Details<br />

belegen, pflegen und bewahren, z. B. das Kokdu Museum,<br />

das die figürliche Gestaltung von Bestattungsbahren sammelt,<br />

die im buddhistischen Ritual gebraucht wurden bzw.<br />

werden – ein bedeutendes kulturelles Erbe.<br />

Am zweiten und dritten Tag fanden alle Veranstaltungen<br />

auf dem Gelände des Nationalen Ethnographischen Museums<br />

von Korea statt, das eindrucksvoll in einem früheren<br />

Tempelbereich von Seoul eingerichtet und modern ausgebaut<br />

worden ist. Die Beiträge befassten sich mit Methoden<br />

und technologischen Formen der Aufbereitung von Sammlungen<br />

für den traditionellen Museumsbereich Bildung und<br />

Erziehung, vor allem in multikulturellen Gemeinschaften<br />

wie Kroatien, Bulgarien oder Israel, für visuelle Enzyklopädien<br />

und für die Nutzung in Wikimedia. Darüber hinaus<br />

standen die historisch gewordene gesellschaftliche Rolle der<br />

Museen in Europa und die moderne Kulturhausfunktion<br />

in jungen Nationalstaaten Asiens und Afrikas zur Debatte<br />

(Lydia Icke-Schwalbe, Anette Rein). Dem Hauptmotto der<br />

Tagung folgten auch die Beiträge über ein Dokumentationsprojekt<br />

des Fränkische-Schweiz-Museums zum Schicksal<br />

deutscher Soldaten in der Waffen-SS (Rainer Hofmann)<br />

und über Konzepte von Erinnerung und Gedenken (Bärbel<br />

Kerkhoff-Hader).<br />

Die verschiedenen musealen Umsetzungen in Südkorea<br />

konnten die Teilnehmer auf der Post-Konferenz-Tour eindrucksvoll<br />

erleben: vom Museum for Digitized Contents<br />

in Andong, das ohne jedes Objekt auskommt, über das<br />

getanzte Maskenmuseum in Hahoe mit den traditionellen<br />

Schnitzern der Ritualmasken und -figu ren bis zu koreanisch-buddhistischen<br />

Tempelanlagen und modernen regionalen<br />

Kunstmuseen. Das Museum in Andong besteht vollständig<br />

aus visionären Räumen, in denen virtuelle Welten<br />

der lokalen Vergangenheit projiziert werden in der Absicht,<br />

dem Besucher das wahre Bild von Andong, „the capital of<br />

Korean spiritual culture“, zu präsentieren. Wir besuchten<br />

auf dieser Reise historische Tempelanlagen, archäologische<br />

Ausgrabungsstätten, ein traditionel les koreanisches Dorf,<br />

erlebten einen traditionellen koreanischen Maskentanz,<br />

an dem sich die Teilnehmer auch aktiv beteiligen konnten.<br />

Die Jahreskonferenz 2009 wurde mit unvergleichlich<br />

großem Aufwand vorbereitet und sehr erfolgreich durchgeführt;<br />

ein Heer von Volontären sorgte für einen reibungslosen<br />

Ablauf sowie für ein stetiges Wohlgefühl der<br />

internationalen Teilnehmer, die mit insgesamt vier Tagungsbänden<br />

durch das übervolle Programm zu navigieren waren.<br />

Annette Fromm, ICME-Präsidentin, und Yang Jongsung,<br />

Leitender Kurator des Nationalen Ethnographischen Museums<br />

und Cheforganisator der gesamten Konferenz, gebührt<br />

höchste Anerkennung und Dank für die vollendete<br />

Führungsleistung.<br />

Dr. Lydia Icke-Schwalbe, Kustodin i. R., Museum für Völkerkunde<br />

Dresden; dr.ickeschwalbe@t-online.de; Dr. Lothar Stein, Direktor<br />

i.R., Museum für Völkerkunde Leipzig; LotharStein@gmx.de; Rainer<br />

Hofmann, Leiter des Fränkische-Schweiz-Museums Tüchersfeld/Pottenstein;<br />

hofmann@fsmt.de<br />

Weitere Informationen:<br />

Die Referate der ICME-Jahrestagungen sind erreichbar unter:<br />

http://icme.icom.museum/<br />

<strong>ICOM</strong> <strong>Deutschland</strong> – <strong>Mitteilungen</strong> <strong>2010</strong> | 45

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