ICOM Deutschland Mitteilungen 2010

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Rückblick Ethik versus Wirtschaftlichkeit Andernorts gestaltet sich die Beziehung zum Tourismus nicht ganz so harmonisch wie im Touriseum. Insbesondere Gedenkstätten für Opfer der Zeit des Nationalsozialismus haben einen zwiespältigen Bezug zu Touristen. Ihre Aufgabe ist nicht, kurzweiligen Zeitvertreib anzubieten, sondern in aller Würde Mahnung und Aufklärung zu leisten. Die behandelten Themen beziehen sich auf Leid und Grauen. Dies sind schwierige Voraussetzungen, um sich als touristische Destination zu definieren, zumal der „Grusel“- oder rechts-politisch bedingte Tourismus mehr als unerwünscht ist. Noch verstehen sich die Gedenkstätten nicht als Museen. Der Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen diese Einrichtungen ist immer noch erheblich, so dass es nur mit großer Mühe gelingt, Werbematerial auszulegen oder Wegbeschilderungen einzurichten. Andererseits liegt ihre Bestimmung darin, Besucher zu empfangen, auch Touristen. Besucherorientierung bedeutet hier vor allem zielgruppengerechte Vermittlung. Was in Museen selbstverständlich sein sollte, nämlich eine gewisse Infrastruktur, gestaltet sich in Gedenkstätten äußerst problematisch: Kann man dort eine Cafeteria einrichten? Einen Laden? Wo können sich die Besucher ausruhen? Besucherorientierung darf sich nicht ausschließlich auf die großen Besuchergruppen beziehen, denn auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität beispielsweise sind reiselustig und besuchen gerne die entsprechend eingerichteten Mu seen. Das Potential dieser touristischen Zielgruppe wird oft unterschätzt. Nicht so in der Veste Coburg etwa, in der viel Wert auf die Barrierefreiheit gelegt wird. Nach dem Prinzip „Tue Gutes und berichte darüber“ sind Zugänglichkeit für Rollstuhlfahrer und mobilitätseingeschränkte Personen, Informationen in Gebärdensprache sowie weitere spezifische Angebote für Menschen mit Behinderungen natürlich einzurichten, aber auch zu kommunizieren. Sie Foto: Fotolia, astoria Foto: Veste Coburg Wulff Eberhard Brebeck Gedenkstätten und Tourismus – eine Erkundung Touristen besuchen als Teil allgemeiner Reiseangebote auch Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus und werden dort im Rahmen von Besucherprogrammen betreut. Aber nur ein kleiner Teil der Gedenkstätten spricht Touristen aktiv an und arbeitet im Kontext eines Marketingkonzeptes mit Reiseunternehmen zusammen. Dass Gedenkstättentouristen nur zögerlich umworben werden, erklärt sich aus dem Selbstverständnis der Gedenkstätten und ihrer Position im erinnerungskulturellen Kontext: In der Bundesrepublik sind sie meist auf bürgerschaftliche Initiative gegen Widerstände der lokalen Bevölkerung entstanden und fühlen sich diesem starken pädagogischen Impuls bis heute verpflichtet. In der DDR waren sie Teil des staatlich verordneten Antifaschismus und mussten sich nach der Wende sowohl mit der NS-Zeit neu auseinandersetzen als auch oft ihre verschwiegene Geschichte als Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes aufarbeiten. Beide Konzepte des „gesellschaftlichen Auftrags“ lassen sich nur schwer mit den werbenden Aktivitäten einer touristischen Destination vereinbaren. Zaghaft bemühen sich einige Gedenkstätten um die Integration in ein regionales Fremdenverkehrsbild, sie erweitern etwa ihr Spektrum an Veranstaltungen (Konzerte, Zeltlager, „Lange Nacht“) oder an Infrastruktur (Museumsshop, Café) – aber sie senken nicht ihren Standard an Informations- und Nachdenkangeboten. Klaus Weschenfelder Museen als Leistungsträger für barrierefreien Tourismus – Zum Beispiel: Der Museum-Sign-Language-Guide In Deutschland leben rund neun Millionen Menschen mit einer anerkannten Behinderung, die Mehrheit von ihnen ist hilfebedürftig. Zugleich nehmen Behinderte in hohem Maße am Erwerbsleben teil. Sie übernehmen Pflichten und haben das Recht der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Behinderte sind an Reisen mit Museumsbesuchen oder Besichtigungen ebenso interessiert wie Nichtbehinderte, benötigen jedoch einen barrierefreien Zugang. Tourismus planer, Behindertenbeauftragte und Kultureinrichtungen sollten be sonderes Augenmerk auf diese Bevölkerungsgruppe legen und durch gemeinsame Anstrengungen barrierefreien Tourismus erleichtern. Den etwa 80.000 Hörgeschädigten sind häufig die üblichen Wege der Kommunikation verschlossen. Da Museen meist keine Gebärdensprachendolmetscher bereitstellen können, bleibt den Gehörlosen das Vermittlungsinstrument der persönlichen Führung verwehrt. Video- Guides mit Gebärdensprachenführungen ist daher ein Ange bot, das Gehörlose zu einem Besuch motivieren kann. Gefördert aus EU-Mitteln haben sich im Jahr 2008 drei Museen in Österreich, Slowenien und Deutschland mit Schulungszentren für Gehörlose zusammengeschlossen und Museum-Sign-Language-Guides (MSLG) zur Präsen tation auf Video-Guide-Geräten entwickelt. In mehreren Evaluierungs schritten wurde die Qualität des MSLG verbessert. Der MSLG dient als qualifiziertes Instrument innerhalb der Servicekette eines barrierefreien Tourismus. 22 | ICOM DeutschlandMitteilungen 2010

Rückblick sind Argumente für eine kleine, dennoch sehr motivierte Zielgruppe, die viel Wert auf die Qualität ihres Besuches legt. Barrierefreiheit als (touristisches) Alleinstellungsmerkmal? Vorerst, aber mit dem langfristigen Ziel, dass diese überall eine Selbstverständlichkeit wird. Bewegung in alle Richtungen Museen sind Bestandteile des kulturellen Angebotes und tragen somit zur Attraktivität einer Region bei. Allerdings ist es mit einer passiven Haltung nicht getan. Sie müssen aktiv werden, interessante Produkte bieten, selber Angebote aufbauen und vermarkten. Am Beispiel Graubünden wird deutlich, wie ein kreatives Museums- und Kulturmarketing die Aufmerksamkeit der Touristen auf die Region und ihre Einrichtungen ziehen kann. Gut informierte Hotel-Rezeptionisten etwa sind die besten Multiplikatoren, die den Gästen fundierte Empfehlungen geben können, so die Grundidee eines erfolgreichen Führungs- und Informationsprogramms. Selbst mit kleinem Budget können Museen viel erreichen. Kreativität ist Trumpf, es muss nicht immer elitär-kulturell zugehen. Im Gegenteil: Wirtschaftliches Denken ist nicht unvereinbar mit der unantastbaren Würde der Kultur, so Martina Dillmann. Kleine Nettigkeiten prägen die Erinnerungen an den Besuch und fördern die Mundpropaganda. Packages und Pauschalangebote können auch mit wenig finanziellen Mitteln eingerichtet werden, sie finden ihre Klientel. Andere Akteure wie etwa Hotellerie, Stadtführungen, Fremdenverkehrsämter oder Transportgesellschaften können als Partner gewonnen werden. Hochglanz broschüren enden meistens im Abfall, freundlicher Besucherservice dagegen macht Eindruck. Das wichtigste ist und bleibt die Kommunikation und die Präsenz des Museums oder des Denkmals bei allen Multiplikatoren, die Touristen empfangen und gegebenenfalls informieren. Stéphanie Wintzerith Zusammen ist man stärker – Von Museumspässen und Erlebniskarten im deutschsprachigen Raum Museumspässe und Tourismus(erlebnis)karten florieren. Es gibt kaum eine Region, eine Stadt, gar eine kulturelle Einrichtung, in der keine dieser Karten Gültigkeit hat. Die Vermutung liegt nahe, dass sie den Museen, Denkmälern, Monumenten und weiteren Touristenattrak tionen Vorteile bringen – Es geht um mehr Besucher und einen höheren Bekanntheitsgrad. Pässe und Karten sind (meistens) eine wirkungsvolle Werbeplattform. Zusammen ist man stärker. Um Käufer zu überzeugen, müssen diese Pässe auch dem Besucher Vorteile bieten: Von Ermäßigungen über Transportgelegenheiten bis hin zum Gratiseintritt, die Modalitäten sind sehr vielfältig. Entfallen dem Museum aber dadurch Eintrittsgelder oder entstehen anderweitige Mehreinnahmen, die diese ausgleichen oder gar übersteigen? Auch die finanzielle Bilanz für die teilnehmenden Häuser ist sehr unterschiedlich. Viel mehr als reine Marketingprodukte haben Museumspässe oft auch einen ideellen Wert: Sie sind Netzwerke – zusammen ist man eben stärker. Einige entstanden aus dem Willen, ein Instrument zur Förderung des grenzüberschreitenden Kulturaustausches zu schaffen oder sind mit Qualitätsstandards verknüpft. Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum eignen sich hervorragend, um ein Familien porträt dieser Museumspässe zu zeichnen. Bleibt dann die entscheidende Frage: Was bringen sie den Museen, Denkmälern und teil nehmenden Institutionen? Was bringen sie den Nutzern? Foto: www.bad-bad.de Martina Dillmann Tourismusmarketing in der Praxis: Erfolg mit kleinem Budget Die Weltwirtschaftskrise hat inzwischen auch die ehemals boomende Branche des Tourismus erreicht. Der nationale Inland- und Incoming-Tourismus legt eine „Wachstumspause“ ein, die mit einem leichten Rückgang der Reiseaktivitäten verbunden ist. Doch das Reisen zu Kulturdenkmälern und zu kulturellen Veranstaltungen wird auch in den nächsten Jahren wesentlicher Bestandteil der Freizeitaktivitäten sein. Für Kulturbetriebe mit überregionaler Ausstrahlung bedeutet dies die Möglichkeit zusätzlicher finanzieller Einnahmen über den Verkauf von Eintrittstickets, Publikationen und Merchandising. Will man erfolgreiches touristisches Marketing betreiben, so ist eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kultur- und Tourismuswirtschaft Grundvoraussetzung. Ortsansässige Tourismusverbände stellen in diesem Zusammenhang die wichtigsten Partner dar. Wie aber können auf dieser Basis mit nur geringem finanziellen Aufwand touristische Besucher geworben werden? Was sind konkrete Maßnahmen hierfür? Beispiele aus der Praxis zeichnen Handlungsschwerpunkte auf und skizzieren Wege zu einer erfolgreichen Vermarktung. Foto: Hildesheimer Marketinggesellschaft mbH ICOM DeutschlandMitteilungen 2010 | 23

Rückblick<br />

sind Argumente für eine kleine, dennoch sehr motivierte<br />

Zielgruppe, die viel Wert auf die Qualität ihres Besuches<br />

legt. Barrierefreiheit als (touristisches) Alleinstellungsmerkmal?<br />

Vorerst, aber mit dem langfristigen Ziel, dass diese<br />

überall eine Selbstverständlichkeit wird.<br />

Bewegung in alle Richtungen<br />

Museen sind Bestandteile des kulturellen Angebotes und<br />

tragen somit zur Attraktivität einer Region bei. Allerdings<br />

ist es mit einer passiven Haltung nicht getan. Sie müssen<br />

aktiv werden, interessante Produkte bieten, selber Angebote<br />

aufbauen und vermarkten. Am Beispiel Graubünden<br />

wird deutlich, wie ein kreatives Museums- und Kulturmarketing<br />

die Aufmerksamkeit der Touristen auf die Region<br />

und ihre Einrichtungen ziehen kann. Gut informierte<br />

Hotel-Rezeptionisten etwa sind die besten Multiplikatoren,<br />

die den Gästen fundierte Empfehlungen geben können, so<br />

die Grundidee eines erfolgreichen Führungs- und Informationsprogramms.<br />

Selbst mit kleinem Budget können Museen viel erreichen.<br />

Kreativität ist Trumpf, es muss nicht immer elitär-kulturell<br />

zugehen. Im Gegenteil: Wirtschaftliches Denken ist<br />

nicht unvereinbar mit der unantastbaren Würde der Kultur,<br />

so Martina Dillmann. Kleine Nettigkeiten prägen die<br />

Erinnerungen an den Besuch und fördern die Mundpropaganda.<br />

Packages und Pauschalangebote können auch mit<br />

wenig finanziellen Mitteln eingerichtet werden, sie finden<br />

ihre Klientel. Andere Akteure wie etwa Hotellerie, Stadtführungen,<br />

Fremdenverkehrsämter oder Transportgesellschaften<br />

können als Partner gewonnen werden. Hochglanz<br />

broschüren enden meistens im Abfall, freundlicher<br />

Besucherservice dagegen macht Eindruck. Das wichtigste<br />

ist und bleibt die Kommunikation und die Präsenz des Museums<br />

oder des Denkmals bei allen Multiplikatoren, die<br />

Touristen empfangen und gegebenenfalls informieren.<br />

Stéphanie Wintzerith<br />

Zusammen ist man stärker – Von Museumspässen und<br />

Erlebniskarten im deutschsprachigen Raum<br />

Museumspässe und Tourismus(erlebnis)karten florieren. Es gibt kaum<br />

eine Region, eine Stadt, gar eine kulturelle Einrichtung, in der keine<br />

dieser Karten Gültigkeit hat. Die Vermutung liegt nahe, dass sie den<br />

Museen, Denkmälern, Monumenten und weiteren Touristenattrak tionen<br />

Vorteile bringen – Es geht um mehr Besucher und einen höheren<br />

Bekanntheitsgrad. Pässe und Karten sind (meistens) eine wirkungsvolle<br />

Werbeplattform. Zusammen ist man stärker.<br />

Um Käufer zu überzeugen, müssen diese Pässe auch dem Besucher<br />

Vorteile bieten: Von Ermäßigungen über Transportgelegenheiten bis<br />

hin zum Gratiseintritt, die Modalitäten sind sehr vielfältig. Entfallen<br />

dem Museum aber dadurch Eintrittsgelder oder entstehen anderweitige<br />

Mehreinnahmen, die diese ausgleichen oder gar übersteigen?<br />

Auch die finanzielle Bilanz für die teilnehmenden Häuser ist sehr unterschiedlich.<br />

Viel mehr als reine Marketingprodukte haben Museumspässe oft auch<br />

einen ideellen Wert: Sie sind Netzwerke – zusammen ist man eben<br />

stärker. Einige entstanden aus dem Willen, ein Instrument zur Förderung<br />

des grenzüberschreitenden Kulturaustausches zu schaffen oder<br />

sind mit Qualitätsstandards verknüpft. Beispiele aus dem deutschsprachigen<br />

Raum eignen sich hervorragend, um ein Familien porträt<br />

dieser Museumspässe zu zeichnen. Bleibt dann die entscheidende<br />

Frage: Was bringen sie den Museen, Denkmälern und teil nehmenden<br />

Institutionen? Was bringen sie den Nutzern?<br />

Foto: www.bad-bad.de<br />

Martina Dillmann<br />

Tourismusmarketing in der Praxis: Erfolg mit kleinem Budget<br />

Die Weltwirtschaftskrise hat inzwischen auch die ehemals boomende<br />

Branche des Tourismus erreicht. Der nationale Inland- und Incoming-Tourismus<br />

legt eine „Wachstumspause“ ein, die mit einem leichten<br />

Rückgang der Reiseaktivitäten verbunden ist. Doch das Reisen zu<br />

Kulturdenkmälern und zu kulturellen Veranstaltungen wird auch in<br />

den nächsten Jahren wesentlicher Bestandteil der Freizeitaktivitäten<br />

sein. Für Kulturbetriebe mit überregionaler Ausstrahlung bedeutet<br />

dies die Möglichkeit zusätzlicher finanzieller Einnahmen über den<br />

Verkauf von Eintrittstickets, Publikationen und Merchandising.<br />

Will man erfolgreiches touristisches Marketing betreiben, so ist eine<br />

enge partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kultur- und Tourismuswirtschaft<br />

Grundvoraussetzung. Ortsansässige Tourismusverbände<br />

stellen in diesem Zusammenhang die wichtigsten Partner dar.<br />

Wie aber können auf dieser Basis mit nur geringem finanziellen Aufwand<br />

touristische Besucher geworben werden? Was sind konkrete<br />

Maßnahmen hierfür? Beispiele aus der Praxis zeichnen Handlungsschwerpunkte<br />

auf und skizzieren Wege zu einer erfolgreichen Vermarktung.<br />

Foto: Hildesheimer Marketinggesellschaft mbH<br />

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