ICOM Deutschland Mitteilungen 2010

ICOM Deutschland Mitteilungen 2010 ICOM Deutschland Mitteilungen 2010

icom.deutschland.de
von icom.deutschland.de Mehr von diesem Publisher
19.01.2014 Aufrufe

RÜCKBLICK worden, ganz zu schweigen von den unsachgemäßen Einbauten. Trotz aller Schattenseiten gibt es dennoch einige Beispiele, in denen der (erwartete) Tourismus zum Erhalt des kulturellen Erbes beiträgt. Man denke an die Anziehungskraft der UNESCO-Auszeichnung „Weltkulturerbe“ vor allem für asiatische Touristen, das damit verknüpfte Pres tige und nicht zuletzt die dazugehörenden fi nanziellen Ein nahmen. Man denke auch besonders an die weltberühm ten, aber gesprengten Buddhas in der afghanischen Provinz Bamiyan. Die Erforschung der Trümmerhaufen und der Wiederaufbau mit fachgerechter Unterstützung von ICOMOS sind von großer symbolischer und kultureller Bedeutung, wenn auch überwiegend damit begründet, dass die Buddhas eines Tages die Hauptattraktion der Region für den zukünftigen Tourismus werden sollen. Somit schließt sich der Kreis. Die bekanntesten Sehenswürdigkeiten erregen mehr Aufmerksamkeit und haben oft bessere Chancen, erhalten bzw. restauriert zu werden. Es gibt nicht den einen Touristen, sondern nur viele verschiedene Ebenso wie das kulturelle Erbe der Menschheit sollte Tourismus differenziert betrachtet werden. Massen- sei nicht mit Kulturtourismus gleichzustellen, erklären die Touristiker. Im Schnitt ändert sich die Aufenthaltsdauer: Kurzreisen von bis zu drei Übernachtungen sowie Städte- und Kulturtourismus liegen im Trend. Ein kulturelles Angebot ist somit wesentlich für die Positionierung eines Standortes und das dazugehörende Tourismusmarketing. Bildungsmotive stehen allerdings meistens nicht im Vordergrund der Reiseentscheidung, sondern Faktoren wie das Gesamtbild des Reiseziels und der Zugang zu Informationen für die Vor- und Nachbereitung der Reise sowie direkt vor Ort. Michael Petzet Weltkulturerbe und Tourismus Der vielfach mit Denkmälern, historischen Stätten und Kulturlandschaften operierende nationale und internationale Tourismus ist in manchen Ländern anscheinend der einzige Grund, weshalb Denkmäler geschützt werden – wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als Attraktion für den Fremdenverkehr. Ein „sanfter“ Tourismus kann sich natürlich auch positiv auf die Denkmäler auswirken. Massentourismus hingegen, dem in den vergangenen Jahrzehnten schon ganze Kulturlandschaften geopfert wurden, stellt nach wie vor eine erhebliche Gefahr dar. Im Übrigen bleibt es enttäuschend, dass sich die Tourismusindustrie, trotz gegenteiliger Zusicherungen bei den üblichen Konferenzen zum Thema Tourismus und Denkmalpflege, im Allgemeinen nicht nennenswert für den Erhalt der Denkmäler engagiert, und das, obwohl dieser Industriezweig jährlich Milliarden umsetzt: Die Tourismusindustrie beutet das Kulturerbe durch Übernutzung aus, was fatale Folgen haben kann – man denke etwa an die viel besuchten ägyptischen Denkmäler – und sie leistet leider keinen ernstzunehmenden finanziellen Beitrag zu Schutz und Erhalt unseres historischen Erbes. Die vorgestellten Fallstudien zum Thema „Weltkulturerbe und Tourismus“ zeigen mögliche Gefahren, aber auch Chancen. Foto: wikipedia – Cottbus Stefanie Lenhard Was ist Kulturtourismus – vom Verschmelzen zweier Begriffe?! Kulturtourismus ist trotz Wirtschaftskrise ein Zweig, der weiterhin Konjunktur hat. Was aber verbirgt sich hinter diesem Sachverhalt bzw. welche Schwierigkeiten der Begriffsbestimmung ergeben sich? Was ist Kultur und was Tourismus, und wie sieht die Zukunft des Kulturtourismus aus? Einige Antworten lassen sich rasch finden. Kultur und Tourismus besitzen als Gemeinsamkeiten z. B. Komplexität und Dynamik. Darüber hinaus lässt sich sowohl mit Kultur als auch mit Tourismus Politik machen und von beiden Sachverhalten geht Entwicklung aus. Schwieriger wird es mit den Unterschieden und Abgrenzungen. Kultur und Tourismus – in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Tourismus im Sinne von Reisekultur ist wohl ein Teilaspekt von Kultur. Wo aber verläuft die Trennlinie? Gehören diese Begriffe und Phänomene getrennt, verbunden oder bedingt das Eine das Andere? Foto: Grand Canal © UNESCO / Junaid Sorosh-Wali 20 | ICOM DeutschlandMitteilungen 2010

RÜCKBLICK Museen und Denkmäler sind Teile einer Erlebniskette, die vom Kunsttourismus über den Museums-, Kultur- und kulturellen Eventtourismus bis hin zum Städte-Touring geht. Die schiere Anwesenheit eines Museums reicht nicht aus, um aus Touristen Besucher zu machen. Die Konkurrenz zwischen den kulturellen Einrichtungen ist groß, auch zwischen den Museen. Die erste Empfehlung von Hansrue di Müller lautet: Markenbildung. Damit sind eine Analyse der eigenen Stärken und Schwächen, eine fundierte Kenntnis der alternativen Angebote und eine genaue Untersuchung der Zufriedenheit der Besucher erforderlich. Der Museumsbesuch ist in vielen Fällen eine Freizeitaktivität und somit stark vom Erlebniswert abhängig. Daher die zweite Empfehlung: auf Erlebnisse setzen. Diese allerdings kann kein Museum erstellen. Es kann Ereignisse gestalten, die dann in der persönlichen Erfahrung des Besuchers zum Erlebnis werden, was ein hohes Maß an Besucherorientierung voraussetzt. Dies wiederum bedeutet, seine Besucher beziehungsweise seine Zielgruppe zu kennen. An wen richten sich die Museen überwiegend, an Touristen und an die lokale Bevölkerung gleichermaßen? In den hohen Bergen Südtirols etwa empfangen achtzig Museen jährlich 1,5 Millionen Besucher, davon 95 Prozent Touristen. Jeder zweite Tourist besucht mindestens ein Museum. Grund genug, dem Tourismus ein eigenes Museum zu widmen, das Touriseum. Der Tourismus trägt zur Verdichtung der Museumslandschaft bei, die ihrerseits die Attraktivität der Tourismusregion steigert. Auf Reisen stellen sich andere Fragen als im Alltag. Ein Reisender hat die Verantwortung, etwas über das bereiste Land zu erfahren, das wiederum in der Pflicht steht, solche Informationen bereit zu stellen, wozu Museen hervorragend in der Lage sind. Da die Einheimischen ihre Freizeit auf die gleiche Art verbringen, wie es Touristen tun, beispielsweise mit einem Museumsbesuch, sollten die Angebote auch auf sie abgestimmt sein. Foto: Fondation Beyeler, Beyeler Museum AG, F. Dix Hansruedi Müller Die Bedeutung von Museen in der Erlebniskette touristischer Destinationen Die Bedeutung des Städtetourismus hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Der Kulturtourismus wird primär als wichtiger Teil des Städtetourismus verstanden und beinhaltet schwerpunktmäßig Reisen mit kulturellen Motiven. Oft stehen die bildenden Künste mit den Kunstmuseen im Vordergrund, doch sind sie nur eine der möglichen Formen kultureller Attraktionen. Bei der Weiterentwicklung des kulturellen Angebotes wird primär auf das wachsende Interesse der Einheimischen hingewiesen, doch werden Museen im Zusammen hang mit der touristischen Profilierung immer wichtiger, denn der Konkurrenzkampf zwischen den Destinationen wird zunehmend über Attraktionen geführt. In einer Studie des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus (FIF) der Universität Bern wurden die Wechselwirkungen zwischen Kunstmuseen und Tourismus untersucht. Sie basiert auf einer Befragung von Touristen in fünf Kunstmuseen der Schweiz. Kernstück der Arbeit ist die Beurteilung von Wichtigkeit und Zu friedenheit mit den Angebotselementen durch die Kunst touristen. Zudem werden die Kunsttouristen mit Hilfe einer Cluster analyse in vier Kundensegmente mit spezifischen Neigungen unterteilt. In der modernen Erlebnisgesellschaft wird die Verbindung von Reisen und Kultur immer populärer. Deshalb kommt bei der touristischen Angebotsentwicklung der thematischen Inszenierung von Museen und Denkmälern eine zentrale Bedeutung zu. Paul Rösch Wie viele Touristen brauchen Museen – wie viele Museen brauchen Touristen? Das Gastgeberland hat die Pflicht, die Gäste über die Kultur und die Entwicklung des Landes zu informieren. Museen sind die kulturellen Visitenkarten des Landes und deshalb verpflichtet, die Eigenarten und das Besondere herauszustreichen und diese den Touristen fachgerecht zu präsentieren. Gäste stellen viele Fragen an die Tourismusregion und sind im Urlaub für Kultur empfänglich, daher brauchen Touristen Museen. Museen dürfen sich diese Chancen nicht entgehen lassen. Aber auch der Gast hat seine Verpflichtung. Entscheidet er sich für einen Urlaub in einem Touristenland, so hat auch er die Pflicht, sich über die Kultur des Landes zu informieren. Foto: Touriseum ICOM DeutschlandMitteilungen 2010 | 21

RÜCKBLICK<br />

Museen und Denkmäler sind Teile einer Erlebniskette,<br />

die vom Kunsttourismus über den Museums-, Kultur- und<br />

kulturellen Eventtourismus bis hin zum Städte-Touring<br />

geht. Die schiere Anwesenheit eines Museums reicht nicht<br />

aus, um aus Touristen Besucher zu machen. Die Konkurrenz<br />

zwischen den kulturellen Einrichtungen ist groß, auch<br />

zwischen den Museen. Die erste Empfehlung von Hansrue di<br />

Müller lautet: Markenbildung. Damit sind eine Analyse<br />

der eigenen Stärken und Schwächen, eine fundierte Kenntnis<br />

der alternativen Angebote und eine genaue Untersuchung<br />

der Zufriedenheit der Besucher erforderlich. Der Museumsbesuch<br />

ist in vielen Fällen eine Freizeitaktivität und somit<br />

stark vom Erlebniswert abhängig. Daher die zweite Empfehlung:<br />

auf Erlebnisse setzen. Diese allerdings kann kein<br />

Museum erstellen. Es kann Ereignisse gestalten, die dann<br />

in der persönlichen Erfahrung des Besuchers zum Erlebnis<br />

werden, was ein hohes Maß an Besucherorientierung voraussetzt.<br />

Dies wiederum bedeutet, seine Besucher beziehungsweise<br />

seine Zielgruppe zu kennen. An wen richten sich die Museen<br />

überwiegend, an Touristen und an die lokale Bevölkerung<br />

gleichermaßen? In den hohen Bergen Südtirols etwa<br />

empfangen achtzig Museen jährlich 1,5 Millionen Besucher,<br />

davon 95 Prozent Touristen. Jeder zweite Tourist besucht<br />

mindestens ein Museum. Grund genug, dem Tourismus<br />

ein eigenes Museum zu widmen, das Touriseum. Der<br />

Tourismus trägt zur Verdichtung der Museumslandschaft<br />

bei, die ihrerseits die Attraktivität der Tourismusregion<br />

steigert. Auf Reisen stellen sich andere Fragen als im Alltag.<br />

Ein Reisender hat die Verantwortung, etwas über das<br />

bereiste Land zu erfahren, das wiederum in der Pflicht steht,<br />

solche Informationen bereit zu stellen, wozu Museen hervorragend<br />

in der Lage sind. Da die Einheimischen ihre Freizeit<br />

auf die gleiche Art verbringen, wie es Touristen tun,<br />

beispielsweise mit einem Museumsbesuch, sollten die Angebote<br />

auch auf sie abgestimmt sein.<br />

Foto: Fondation Beyeler, Beyeler Museum AG, F. Dix<br />

Hansruedi Müller<br />

Die Bedeutung von Museen in der Erlebniskette<br />

touristischer Destinationen<br />

Die Bedeutung des Städtetourismus hat in den letzten Jahren deutlich<br />

zugenommen. Der Kulturtourismus wird primär als wichtiger<br />

Teil des Städtetourismus verstanden und beinhaltet schwerpunktmäßig<br />

Reisen mit kulturellen Motiven. Oft stehen die bildenden<br />

Künste mit den Kunstmuseen im Vordergrund, doch sind sie nur eine<br />

der möglichen Formen kultureller Attraktionen. Bei der Weiterentwicklung<br />

des kulturellen Angebotes wird primär auf das wachsende<br />

Interesse der Einheimischen hingewiesen, doch werden Museen im<br />

Zusammen hang mit der touristischen Profilierung immer wichtiger,<br />

denn der Konkurrenzkampf zwischen den Destinationen wird zunehmend<br />

über Attraktionen geführt.<br />

In einer Studie des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus<br />

(FIF) der Universität Bern wurden die Wechselwirkungen zwischen<br />

Kunstmuseen und Tourismus untersucht. Sie basiert auf einer Befragung<br />

von Touristen in fünf Kunstmuseen der Schweiz. Kernstück<br />

der Arbeit ist die Beurteilung von Wichtigkeit und Zu friedenheit mit<br />

den Angebotselementen durch die Kunst touristen. Zudem werden<br />

die Kunsttouristen mit Hilfe einer Cluster analyse in vier Kundensegmente<br />

mit spezifischen Neigungen unterteilt.<br />

In der modernen Erlebnisgesellschaft wird die Verbindung von Reisen<br />

und Kultur immer populärer. Deshalb kommt bei der touristischen<br />

Angebotsentwicklung der thematischen Inszenierung von Museen<br />

und Denkmälern eine zentrale Bedeutung zu.<br />

Paul Rösch<br />

Wie viele Touristen brauchen Museen – wie viele<br />

Museen brauchen Touristen?<br />

Das Gastgeberland hat die Pflicht, die Gäste über die Kultur und die<br />

Entwicklung des Landes zu informieren. Museen sind die kulturellen<br />

Visitenkarten des Landes und deshalb verpflichtet, die Eigenarten<br />

und das Besondere herauszustreichen und diese den Touristen fachgerecht<br />

zu präsentieren.<br />

Gäste stellen viele Fragen an die Tourismusregion und sind im Urlaub<br />

für Kultur empfänglich, daher brauchen Touristen Museen. Museen<br />

dürfen sich diese Chancen nicht entgehen lassen. Aber auch der<br />

Gast hat seine Verpflichtung. Entscheidet er sich für einen Urlaub in<br />

einem Touristenland, so hat auch er die Pflicht, sich über die Kultur<br />

des Landes zu informieren.<br />

Foto: Touriseum<br />

<strong>ICOM</strong> <strong>Deutschland</strong> – <strong>Mitteilungen</strong> <strong>2010</strong> | 21

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!