ICOM Deutschland Mitteilungen 2010

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19.01.2014 Aufrufe

Aktuelles Foto: akg-images Foto: SMB-PK, Ethnologisches Museum, Martin Franken Kulturen und Sprachen sowie für die Gefährdung von Dokumenten durch Kriege, Naturkatastrophen und unsachgemäße Unterbringung. Öffentlich sichtbar wird das vielfältige Programm vor allem durch das Weltregister herausragender Dokumente. Es umfasst derzeit 193 Dokumente, darunter die Magna Carta, ein Meilenstein nicht nur der englischen Verfassungsgeschichte; das älteste noch erhaltene Manuskript des Korans „Mushaf von Othman“ aus Usbekistan; der Nachlass von Fryderyk Chopin; die Tagebücher der Anne Frank in Ams terdam; die Dokumente des Prozesses Südafrika gegen Nelson Mandela. Ziel von „Memory of the World“ ist es, dokumentarische Zeugnisse von außergewöhnlichem Wert in Archiven, Bibliotheken und Museen zu sichern und auf neuen informationstechnischen Wegen, vor allem durch Digitalisierung, zugänglich zu machen. Neben dem Weltregister gibt es weltregionale (z. B. für den asiatisch-pazifischen Raum) und nationale Register. Hinzu kommen Konservierungs- und Digitalisierungsprojekte. Während der 35. Generalkonferenz der UNESCO im Oktober 2009 haben wir mit einer speziellen Ausstellung für „Memory of the World“ geworben. Durch zahlreiche Ausstellungstafeln, die außen am Pariser UNESCO-Gebäude angebracht waren, wurde die Aufmerksamkeit der Delegierten aus aller Welt täglich erneut auf die Schätze des „Weltgedächtnisses“ gelenkt. In Deutschland wird das Programm innerhalb der Deutschen UNESCO-Kommission durch ein MoW-Komitee unter der Leitung von Joachim-Felix Leonhard betreut. Zur Zeit haben 66 Staaten ein solches Komitee. Das 1999 gegründete deutsche MoW-Komitee ist mit zehn in das Weltregister aufgenommenen Dokumenten sehr erfolgreich und arbeitet verstärkt an nationalen und internationalen Projekten der Vernetzung. Zu den deutschen Dokumenten zählen z. B. die Edison-Zylinder mit historischen Tonaufnahmen, Goethes literarischer Nachlass, „Metropolis“ von Fritz Lang, die Partitur von Beethovens 9. Sinfonie, das Han dexemplar der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, der Briefwechsel des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz und seit kurzem das Nibelungenlied. Expertise bündeln und Wirkung verstärken Angesichts der großen Schnittmenge zwischen Aufgaben und Interessen der Museen sowie des Weltdokumentenerbe-Programms liegt ein verstärktes Zusammenwirken nahe. ICOM und UNESCO können zusammen aufmerksam machen auf: die Grundlagen unseres gemeinsamen Gedächtnisses, die Gefährdung seiner materiellen Träger, die Fragen der Konservierung bzw. Sicherung und des Zugangs durch traditionelle und moderne Techniken, die Probleme in der Feststellung und Vermittlung der Bedeutung und der Gehalte der Dokumente sowie auf die gesellschaftliche Rolle der Museen in der Bewahrung und Aktivierung des kulturellen Gedächtnisses von Gemeinschaften und Individuen. Zur Partnerschaft in diesen Belangen sind hierzulande nicht nur ICOM Deutschland, der Deutsche Museumsbund und die Deutsche UNESCO-Kommission aufgerufen, sondern auch die internationalen Komitees von ICOM. Wir sollten zudem Kooperationen mit Museumsassoziationen wie der Association des Musées de la Grande Région (AMGR, Museen im Saarland, in Rheinland-Pfalz, Lothringen, Luxemburg, Wallonien und der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens) und mit Archiven und Bibliotheken initiieren. Schulen sind bereits vielfach Partner der Museen. Besondere Aktionen am Internationalen Museumstag 2011 können das bekräftigen. Ferner könnten die Besucher aus 16 | ICOM DeutschlandMitteilungen 2010

Aktuelles Foto: AFF Basel, CH / AFS Amsterdam, NL Zum „Weltdokumentenerbe“ gehören u. a. illuminierte Handschriften aus dem Kloster Reichenau (links), Edison-Walzen mit traditionellen Musikaufnahmen (Mitte) und die Tagebücher der Anne Frank (rechts, Foto freigegeben zur Förderung des UNESCO-Memory-of-the-World-Programmes). einer Vorauswahl dasjenige Dokument auswählen, das sie für das wichtigste oder interessanteste halten – mit kurzer Begründung. Die Partnerschaft der Museen mit Universitäten und Fachhochschulen ist teilweise schon gut entwickelt, scheint aber mancherorts noch ausbaufähig. In Forschung und Lehre teilen diese Einrichtungen mit den Museen ein Interesse an bestimmten Themen und konkret an der Nutzung der Dokumente in Museen, mag es sich um das menschheitliche, nationale oder regionale Gedächtnis handeln – oder um fachspezifische Dokumente. Gemeinsame Diskussionen und andere Veranstaltungen von Museums- und Universitätsangehörigen legen einerseits das gemeinsame Interesse, andererseits aber auch die unterschiedlichen Betrachtungsweisen offen. Dabei müssen nicht immer große Projekte initiiert werden. Bei einem Thema wie memory wäre der Internationale Museumstag 2011 eine hervorragende Gelegenheit, z. B. neue Web-Projekte vorzustellen. Künstler können eingeladen werden, um das Gedächtnis, das die Museen darstellen, kreativ zu beleben. Auf die Bedeutung kultureller Viel falt, die die deutschen Museen schon aufgrund ihrer Vielzahl und Differenziertheit verkörpern, kann auch beim Thema memory hingewiesen werden. Für die kulturelle Vielfalt, nicht nur die der Erinnerungskultur, spielen in Deutschland die Museen eine besonders wichtige Rolle. ICOM: Nur globales Netzwerk oder auch kosmopolitischer Gemeinschaftssinn? Gelegentlich unterschätzen gerade kleine Museen und einzelne Museumsmitarbeiter ihr Potential, dem Internationalen Museumstag zum Erfolg zu verhelfen. Doch schon das Positionieren von Postern und Faltblättern, erst recht die Beantwortung von Besucherfragen zum Museumstag, zu ICOM und zu „Memory of the World“ helfen weiter. Es ist professionell und klug, den ICOM und den Internationalen Museumstag als globales Netzwerk zur Inter essen vertretung und Öffentlichkeitsarbeit der Museen zu nutzen und die Freundes- und Förderkreise verstärkt einzubeziehen. Aber die Professionalität wird sich umso positiver auswirken, je mehr sie auch von einem internationalen Gemeinschaftsgefühl beseelt ist. Dies könnte etwa durch Veranstaltungen mit Museen in Entwicklungsländern oder mit den Nachbarn oder wenigstens durch Hinweise auf sie gelingen. In jedem Fall wäre zu zeigen, dass alle das Anliegen, das menschheitliche Erbe zu bewahren, teilen: die Museen und ihre Partner wie Archive, Bibliotheken, Schulen, Universitäten und ihre Mitarbeiter. Insofern birgt der Internationale Museumstag 2011 mit seiner starken Ausrichtung auf die Kooperation der Erbe-Einrichtungen und in seiner Verbindung mit einem UNESCO-Welterbe-Programm ein noch nie dagewesenes Potential für Zusammenarbeit und darüber hinaus auch eine Symbolik: In einer Zeit, in der das individuelle Glücksund Erfolgsstreben nicht nur zur hohen Produktivität von Gesellschaften und zur Realisierung von Freiheitsrechten führt, sondern auch zur Beschädigung von Gesellschaften und ihren Gestaltungsmöglichkeiten, kann eine weltweite Aktion wie der Internationale Museumstag in Erinnerung rufen, dass Gemeinschaftssinn ein Teil des menschheitlichen Erbes ist: Kosmopolitischer Gemeinschaftssinn ist eine Triebfeder unserer Arbeit am kulturellen Gedächtnis. Der wahre Mitgliedsausweis, die wahre Mitgliedskarte von ICOM, ist daher die Weltkarte, in der alle Museen miteinander vernetzt eingezeich net sind. Professor Dr. Lothar Jordan ist Mitglied im Vorstand von ICOM Deutschland und Präsident von ICLM. Er vertritt im UNESCO-Programm „Memory of the World“ als Mitglied des Marketingausschusses des International Advisory Committee die Sparte der Museen; iclm.jordan@gmx.de Weitere Informationen: UNESCO-Programm „Memory of the World“: www.unesco.org/webworld/mow Deutsche UNESCO-Komission, Komitee „Gedächtsnis der Menschheit“: www.weltdokumentenerbe.de Literatur zu Gedächtniskultur und Erinnerungsorten: Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, C. H. Beck, München 2006. Nora, Pierre: Erinnerungsorte Frankreichs, C. H. Beck, München 2005. ICOM DeutschlandMitteilungen 2010 | 17

Aktuelles<br />

Foto: AFF Basel, CH / AFS Amsterdam, NL<br />

Zum „Weltdokumentenerbe“ gehören u. a. illuminierte Handschriften aus dem Kloster Reichenau<br />

(links), Edison-Walzen mit traditionellen Musikaufnahmen (Mitte) und die Tagebücher der Anne<br />

Frank (rechts, Foto freigegeben zur Förderung des UNESCO-Memory-of-the-World-Programmes).<br />

einer Vorauswahl dasjenige Dokument auswählen, das sie<br />

für das wichtigste oder interessanteste halten – mit kurzer<br />

Begründung.<br />

Die Partnerschaft der Museen mit Universitäten und<br />

Fachhochschulen ist teilweise schon gut entwickelt, scheint<br />

aber mancherorts noch ausbaufähig. In Forschung und<br />

Lehre teilen diese Einrichtungen mit den Museen ein Interesse<br />

an bestimmten Themen und konkret an der Nutzung<br />

der Dokumente in Museen, mag es sich um das menschheitliche,<br />

nationale oder regionale Gedächtnis handeln –<br />

oder um fachspezifische Dokumente. Gemeinsame Diskussionen<br />

und andere Veranstaltungen von Museums- und<br />

Universitätsangehörigen legen einerseits das gemeinsame<br />

Interesse, andererseits aber auch die unterschiedlichen Betrachtungsweisen<br />

offen.<br />

Dabei müssen nicht immer große Projekte initiiert werden.<br />

Bei einem Thema wie memory wäre der Internationale<br />

Museumstag 2011 eine hervorragende Gelegenheit, z. B.<br />

neue Web-Projekte vorzustellen. Künstler können eingeladen<br />

werden, um das Gedächtnis, das die Museen darstellen,<br />

kreativ zu beleben. Auf die Bedeutung kultureller Viel falt,<br />

die die deutschen Museen schon aufgrund ihrer Vielzahl<br />

und Differenziertheit verkörpern, kann auch beim Thema<br />

memory hingewiesen werden. Für die kulturelle Vielfalt,<br />

nicht nur die der Erinnerungskultur, spielen in <strong>Deutschland</strong><br />

die Museen eine besonders wichtige Rolle.<br />

<strong>ICOM</strong>: Nur globales Netzwerk oder auch kosmopolitischer<br />

Gemeinschaftssinn?<br />

Gelegentlich unterschätzen gerade kleine Museen und einzelne<br />

Museumsmitarbeiter ihr Potential, dem Internationalen<br />

Museumstag zum Erfolg zu verhelfen. Doch schon<br />

das Positionieren von Postern und Faltblättern, erst recht<br />

die Beantwortung von Besucherfragen zum Museumstag,<br />

zu <strong>ICOM</strong> und zu „Memory of the World“ helfen weiter.<br />

Es ist professionell und klug, den <strong>ICOM</strong> und den Internationalen<br />

Museumstag als globales Netzwerk zur Inter essen<br />

vertretung und Öffentlichkeitsarbeit der Museen zu<br />

nutzen und die Freundes- und Förderkreise verstärkt einzubeziehen.<br />

Aber die Professionalität wird sich umso positiver<br />

auswirken, je mehr sie auch von einem internationalen<br />

Gemeinschaftsgefühl beseelt ist.<br />

Dies könnte etwa durch Veranstaltungen mit Museen in<br />

Entwicklungsländern oder mit den Nachbarn oder wenigstens<br />

durch Hinweise auf sie gelingen. In jedem Fall wäre<br />

zu zeigen, dass alle das Anliegen, das menschheitliche Erbe<br />

zu bewahren, teilen: die Museen und ihre Partner wie Archive,<br />

Bibliotheken, Schulen, Universitäten und ihre Mitarbeiter.<br />

Insofern birgt der Internationale Museumstag 2011<br />

mit seiner starken Ausrichtung auf die Kooperation der<br />

Erbe-Einrichtungen und in seiner Verbindung mit einem<br />

UNESCO-Welterbe-Programm ein noch nie dagewesenes<br />

Potential für Zusammenarbeit und darüber hinaus auch<br />

eine Symbolik: In einer Zeit, in der das individuelle Glücksund<br />

Erfolgsstreben nicht nur zur hohen Produktivität von<br />

Gesellschaften und zur Realisierung von Freiheitsrechten<br />

führt, sondern auch zur Beschädigung von Gesellschaften<br />

und ihren Gestaltungsmöglichkeiten, kann eine weltweite<br />

Aktion wie der Internationale Museumstag in Erinnerung<br />

rufen, dass Gemeinschaftssinn ein Teil des menschheitlichen<br />

Erbes ist: Kosmopolitischer Gemeinschaftssinn ist<br />

eine Triebfeder unserer Arbeit am kulturellen Gedächtnis.<br />

Der wahre Mitgliedsausweis, die wahre Mitgliedskarte<br />

von <strong>ICOM</strong>, ist daher die Weltkarte, in der alle Museen<br />

miteinander vernetzt eingezeich net sind.<br />

Professor Dr. Lothar Jordan ist Mitglied im Vorstand von <strong>ICOM</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

und Präsident von ICLM. Er vertritt im UNESCO-Programm<br />

„Memory of the World“ als Mitglied des Marketingausschusses des<br />

International Advisory Committee die Sparte der Museen;<br />

iclm.jordan@gmx.de<br />

Weitere Informationen:<br />

UNESCO-Programm „Memory of the World“:<br />

www.unesco.org/webworld/mow<br />

Deutsche UNESCO-Komission, Komitee „Gedächtsnis der Menschheit“:<br />

www.weltdokumentenerbe.de<br />

Literatur zu Gedächtniskultur und Erinnerungsorten:<br />

Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur<br />

und Geschichtspolitik, C. H. Beck, München 2006.<br />

Nora, Pierre: Erinnerungsorte Frankreichs, C. H. Beck, München 2005.<br />

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