ICOM Deutschland Mitteilungen 2010
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Aktuelles<br />
Kulturelles Erbe wird – mit Hilfe deutscher Gerichte –<br />
weiterhin illegal gehandelt<br />
Der hier skizzierte Fall ist symptomatisch für den Umgang<br />
mit archäologischem Kulturgut zweifelhafter Herkunft.<br />
Ohne den Druck einer empörten Öffentlichkeit – und den<br />
beherzten Einsatz der irakischen Botschaft in Berlin – wäre<br />
das Goldgefäß vermutlich längst an die mutmaßlichen Hehler<br />
zurückgegeben. Wenn es in der Vergangenheit überhaupt<br />
zu Ermittlungen und Sicherstellungen bei solchen<br />
Delikten kam, war dies meist das Ergebnis. Antikenhändler<br />
verfügen über gut bezahlte und durchsetzungsstarke<br />
Anwälte.<br />
Die Vermarktung von archäologischen Funden ungeklärter<br />
Herkunft bildet den finanziellen Anreiz für Raubgrabungen<br />
und die dadurch verursachte undokumentierte<br />
Zerstörung der im Fundkontext gespeicherten Informationen.<br />
Wer solche Dinge kauft, erwirbt damit nicht nur die<br />
Patenschaft für das konkrete Raubgrabungsloch, aus dem<br />
diese Funde gewühlt wurden. Er ist auch verantwortlich<br />
für die Zerstörungen, die künftig mit dem von ihm gezahlten<br />
Geld finanziert werden.<br />
Diesem Sachverhalt tragen Fachverbände, etwa <strong>ICOM</strong><br />
und die deutschen Kunsthandelsverbände, im Rahmen von<br />
Selbstverpflichtungen Rechnung: Sie verbieten ihren Mitgliedern,<br />
sich an Import, Export, an dem Kauf oder der<br />
Übertragung von Gegenständen zu beteiligen, die gestohlen,<br />
illegal exportiert oder illegal ausgegraben wurden.<br />
Soweit Theorie und moralischer Anspruch. Die Praxis ist<br />
leider eine andere: UNESCO und FBI schätzen das Handelsvolumen<br />
mit Kulturgut illegaler Herkunft auf jährlich<br />
sechs bis acht Milliarden US-Dollar. Damit zählt der<br />
Antikenhandel, ne ben Rauschgift-, Waffen- und Menschenhandel,<br />
zu den umsatzstärksten illegalen Erwerbsquellen.<br />
Angesichts dieser Gewinne wäre auch ein Heer<br />
von Antikenwächtern machtlos. In der Marktwirtschaft<br />
bestimmt bekanntlich die Nachfrage das Angebot. Daher<br />
muss der Schutz der archäologischen Stätten bei einer<br />
wirksamen Bekämpfung der Antikenhehlerei ansetzen.<br />
Strafverfolgungsbehörden und Museen können Antikenhehlerei<br />
nur gemeinsam eindämmen<br />
Vor diesem Hintergrund ist ein Umdenken, insbesondere<br />
auch auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden, dringend geboten.<br />
Die hier zu verzeichnenden Defizite resultieren zum<br />
einen aus einer Verkennung der erheblichen Gemeinschädlichkeit<br />
der durch den Handel mit archäologischen Funden<br />
ungeklärter Herkunft verursachten Raubgrabun gen, zum<br />
anderen aber – und vor allem – aus einer Verkennung des<br />
Regeltatbestandes.<br />
Die vermutete legale Herkunft und eine daraus abgeleitete<br />
angebliche Verkehrsfähigkeit von provenienzlosen archäologischen<br />
Funden sind eine Fiktion, die mit der Realität<br />
wenig gemein haben: Antiken, die ohne nachvollziehbare<br />
Herkunftsangabe und ohne gültige Dokumente des Landes<br />
der Fundstelle gehandelt werden, sind regelmäßig illegaler<br />
Herkunft (siehe Seite 11).<br />
Wer die Ausnahme von der Regel für sich in Anspruch<br />
nimmt, hat das tatbestandliche Vorliegen eines Ausnahmesachverhaltes<br />
nachzuweisen. Das kann geschehen durch<br />
die genannten Dokumente des Landes der Fundstelle oder<br />
durch den Nachweis, dass die Funde bereits vor Inkrafttreten<br />
der einschlägigen Gesetze und Bestimmungen verbracht<br />
worden waren. Daraus folgt, dass bezüglich im<br />
Handel angebotener Antiken „lückenhafter“ Provenienz<br />
ein Eigentumserwerb durch den Veräußerer regelmäßig<br />
nicht stattgefunden hat.<br />
Diese Erkenntnis beginnt sich zunehmend durchzusetzen,<br />
wie Gerichtsentscheide aus jüngster Zeit, z. B. in Gießen,<br />
zeigen. Hinzu tritt die Möglichkeit der Sicherstellung<br />
und Einziehung auf dem Verwaltungsweg nach dem Gefahrenabwehrrecht<br />
(Präventive Gewinnabschöpfung). In<br />
dieser Hinsicht wegweisend ist das Vorgehen der Staatsanwaltschaft<br />
Hannover (Az. 4161 Js 41528/03) und der Ordnungsbehörde<br />
von Hannover: 618 Münzen und vier weitere<br />
römische Antiken ohne legitimierende Nachweise wurden,<br />
mangels Verkehrsfähigkeit, im Rahmen eines Geldwäscheverfahrens<br />
sichergestellt und eingezogen. Die Funde wurden<br />
dem Kestner-Museum übergeben, da sie keiner konkreten<br />
Straftat, wie z. B. einer Raubgrabung, zugeordnet werden<br />
konnten und der tatsächliche Eigentümer sich auch auf<br />
anderem Weg nicht ermitteln ließ.<br />
Dieser Präzedenzfall kann – und wird – erhebliche Auswirkungen<br />
auf den Handel mit provenienzlosen Antiken<br />
haben. Betroffen sind hunderttausende archäologische<br />
Funde, die derzeit noch – illegal – vermarktet werden. Ziel<br />
ist die Vermeidung der schädlichen Auswirkungen der Antikenhehlerei<br />
– einer der übelsten Geißeln der Menschheit.<br />
Hierfür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Archäologen<br />
und Strafverfolgungsbehörden dringend notwendig.<br />
Für die öffentlichen Museen erwächst daraus die Verpflichtung,<br />
die Funde in ihre Obhut zu nehmen, deren tatsächli che<br />
Eigentümer nicht mehr ermittelt werden können. Gleichzeitig<br />
eröffnet sich damit aber auch die Chance, Raubgrabungsfunde<br />
für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit zu<br />
sichern, ohne dass die Museen – durch Hehlerei – selbst<br />
Kulturzerstörung fördern.<br />
Dr. Michael Müller-Karpe ist Archäologe am Römisch-Germanischen<br />
Zentralmuseum in Mainz. Seine Forschungen gelten vornehmlich<br />
Metallfunden aus Mesopotamien. In diesem Bereich führt er auch<br />
kriminalarchäologische Untersuchungen in enger Kooperation mit<br />
Polizei, Zoll und Staatsanwaltschaften durch. Er engagiert sich gegen<br />
den weltweiten illegalen Antikenhandel und berät den Kulturausschuss<br />
des Deutschen Bundestages in Fragen des Kulturgüterschutzes;<br />
muellerkarpe@rgzm.de<br />
Weitere Informationen:<br />
Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz: www.rgzm.de<br />
Reinhard Dietrich: Antiken, Recht und Markt, in: Kunstrechtspiegel<br />
4/2008, Magazin des Instituts für Kunst und Recht IFKUR e. V.,<br />
S. 174–181:<br />
http://ifkur.de/images/dokumente/kunstrechtsspiegel0408.pdf<br />
Aktivitäten der Deutschen UNESCO-Kommission gegen illegalen<br />
Handel mit Kulturgut:<br />
www.unesco.de/kulturgutschutz.html<br />
Informationen von Interpol zum illegalen Handel mit Kunstgegenständen:<br />
www.interpol.int/Public/WorkOfArt/Default.asp<br />
<strong>ICOM</strong> <strong>Deutschland</strong> – <strong>Mitteilungen</strong> <strong>2010</strong> | 13