ICOM Deutschland Mitteilungen 2010

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Aktuelles Foto: Carabinieri T. P. V. Italia Zabalam. Die Ruine dieser sumerischen Stadt im Süden des Irak hatte fünftausend Jahre weitgehend unversehrt im Boden überdauert. Sie wurde durch Raubgrabungen, zur Versorgung des nimmersatten internationalen Antikenmarktes mit Hehlerware, vollständig vernichtet. stützen, künftig von der Forschung in den Museen des Irak ausgeschlossen sein werden. Vor diesem Hintergrund setzte sich der Verfasser für eine einvernehmliche Lösung ein. Unter Hinweis auf die irakische Bitte regte er an, die Inaugenscheinnahme in den Räumen des RGZM vorzunehmen. Dieser Vorschlag führte zu Irritationen, die in der Ankündigung des Zolls gipfelten, notfalls den Tresor des RGZM gewaltsam – mit dem Schweißbrenner – öffnen zu wollen. Wegen des gro ßen Medieninteresses (sieben Fernsehanstalten hatten angekün digt, die Schweißaktion filmen zu wollen) wurden drei Ab holtermine vom Zoll kurzfristig abgesagt. Beim vierten Termin wurde das Gefäß dem Zoll dann – „freiwillig“ – übergeben. Das Zwischenergebnis Nachdem ein vom Gericht bestellter Zweitgutachter in Berlin die Feststellungen des Verfassers bestätigte und eine vom Auktionshaus beauftragte Gegengutachterin nicht in der Lage war, die Datierung des Gefäßes in die römische Kaiserzeit fristgerecht nachzuweisen, bestätigte das Finanzgericht München am 25. September 2009 die irakische Herkunft des Goldgefäßes und schloss sich damit voll inhaltlich den Feststellungen des Verfassers an. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Das Auktionshaus legte dagegen Beschwerde ein. Inzwischen kündigte der Käufer des Goldgefäßes, ein Rechtsanwalt und Topmanager eines weltweit – auch im Irak – operierenden Konzerns, an, die wertvolle Antike dem Irak zurückgeben zu wollen. Er sei Sammler, aber kein Hehler. Diese Erkenntnis kam ihm bei einem Telefonanruf des irakischen Kulturattachés im Januar 2010. Der Jurist hatte das Goldgefäß gut vier Jahre zuvor für 1.200 Euro ersteigert – trotz des Vorbehalts, unter dem die Versteigerung wegen der irakischen Eigentumsansprüche erfolgte. Er hatte vom Zoll schriftlich die Aushändigung des Gefäßes gefordert, da man ihm die illegale Herkunft des Gefäßes gefälligst nachzuweisen habe. Damit brachte er die irakische Botschaft, die als Verfahrensbeteiligte von der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht erhielt, auf seine Spur. Aber das grundsätzliche Problem ist nicht gelöst Auch wenn sich nunmehr bezüglich des Verbleibs des Goldgefäßes die einzig akzeptable Lösung abzeichnet – die Rückgabe an den rechtmäßigen Eigentümer, das irakische Nationalmuseum in Bagdad – ist damit der Fall als solcher nicht gelöst: Der Fundort ist weiterhin unbekannt, die illegalen Netzwerke sind nach wie vor intakt und weitere bedeutende Antiken, darunter Gold- und Silberfunde, die aus demselben mutmaßlichen Königsgrab stammen können, wurden bisher nicht sichergestellt: Trotz mehrfacher Bitten des Verfassers sahen sich die deutschen Strafverfolgungsbehörden dazu nicht in der Lage. Wenigstens die aus dem Grab gewühlten Beigaben sollten gesichert werden. Die Informationen, die mit der undoku mentierten Zerstörung des Fundkontextes vernichtet wurden, sind ohnehin unwiederbringlich verloren. Ungestörte Königsgräber wurden im Irak letztmalig vor mehr als achtzig Jahren von Archäologen entdeckt und ausgegraben (im Königsfriedhof in Ur). Man stelle sich vor, welche Erkenntnisse die Untersuchung eines intakten Königsgrabes des 3. Jahrtausends v. Chr. mit den heute der Archäologie zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hätte erbringen können! 12 | ICOM DeutschlandMitteilungen 2010

Aktuelles Kulturelles Erbe wird – mit Hilfe deutscher Gerichte – weiterhin illegal gehandelt Der hier skizzierte Fall ist symptomatisch für den Umgang mit archäologischem Kulturgut zweifelhafter Herkunft. Ohne den Druck einer empörten Öffentlichkeit – und den beherzten Einsatz der irakischen Botschaft in Berlin – wäre das Goldgefäß vermutlich längst an die mutmaßlichen Hehler zurückgegeben. Wenn es in der Vergangenheit überhaupt zu Ermittlungen und Sicherstellungen bei solchen Delikten kam, war dies meist das Ergebnis. Antikenhändler verfügen über gut bezahlte und durchsetzungsstarke Anwälte. Die Vermarktung von archäologischen Funden ungeklärter Herkunft bildet den finanziellen Anreiz für Raubgrabungen und die dadurch verursachte undokumentierte Zerstörung der im Fundkontext gespeicherten Informationen. Wer solche Dinge kauft, erwirbt damit nicht nur die Patenschaft für das konkrete Raubgrabungsloch, aus dem diese Funde gewühlt wurden. Er ist auch verantwortlich für die Zerstörungen, die künftig mit dem von ihm gezahlten Geld finanziert werden. Diesem Sachverhalt tragen Fachverbände, etwa ICOM und die deutschen Kunsthandelsverbände, im Rahmen von Selbstverpflichtungen Rechnung: Sie verbieten ihren Mitgliedern, sich an Import, Export, an dem Kauf oder der Übertragung von Gegenständen zu beteiligen, die gestohlen, illegal exportiert oder illegal ausgegraben wurden. Soweit Theorie und moralischer Anspruch. Die Praxis ist leider eine andere: UNESCO und FBI schätzen das Handelsvolumen mit Kulturgut illegaler Herkunft auf jährlich sechs bis acht Milliarden US-Dollar. Damit zählt der Antikenhandel, ne ben Rauschgift-, Waffen- und Menschenhandel, zu den umsatzstärksten illegalen Erwerbsquellen. Angesichts dieser Gewinne wäre auch ein Heer von Antikenwächtern machtlos. In der Marktwirtschaft bestimmt bekanntlich die Nachfrage das Angebot. Daher muss der Schutz der archäologischen Stätten bei einer wirksamen Bekämpfung der Antikenhehlerei ansetzen. Strafverfolgungsbehörden und Museen können Antikenhehlerei nur gemeinsam eindämmen Vor diesem Hintergrund ist ein Umdenken, insbesondere auch auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden, dringend geboten. Die hier zu verzeichnenden Defizite resultieren zum einen aus einer Verkennung der erheblichen Gemeinschädlichkeit der durch den Handel mit archäologischen Funden ungeklärter Herkunft verursachten Raubgrabun gen, zum anderen aber – und vor allem – aus einer Verkennung des Regeltatbestandes. Die vermutete legale Herkunft und eine daraus abgeleitete angebliche Verkehrsfähigkeit von provenienzlosen archäologischen Funden sind eine Fiktion, die mit der Realität wenig gemein haben: Antiken, die ohne nachvollziehbare Herkunftsangabe und ohne gültige Dokumente des Landes der Fundstelle gehandelt werden, sind regelmäßig illegaler Herkunft (siehe Seite 11). Wer die Ausnahme von der Regel für sich in Anspruch nimmt, hat das tatbestandliche Vorliegen eines Ausnahmesachverhaltes nachzuweisen. Das kann geschehen durch die genannten Dokumente des Landes der Fundstelle oder durch den Nachweis, dass die Funde bereits vor Inkrafttreten der einschlägigen Gesetze und Bestimmungen verbracht worden waren. Daraus folgt, dass bezüglich im Handel angebotener Antiken „lückenhafter“ Provenienz ein Eigentumserwerb durch den Veräußerer regelmäßig nicht stattgefunden hat. Diese Erkenntnis beginnt sich zunehmend durchzusetzen, wie Gerichtsentscheide aus jüngster Zeit, z. B. in Gießen, zeigen. Hinzu tritt die Möglichkeit der Sicherstellung und Einziehung auf dem Verwaltungsweg nach dem Gefahrenabwehrrecht (Präventive Gewinnabschöpfung). In dieser Hinsicht wegweisend ist das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Hannover (Az. 4161 Js 41528/03) und der Ordnungsbehörde von Hannover: 618 Münzen und vier weitere römische Antiken ohne legitimierende Nachweise wurden, mangels Verkehrsfähigkeit, im Rahmen eines Geldwäscheverfahrens sichergestellt und eingezogen. Die Funde wurden dem Kestner-Museum übergeben, da sie keiner konkreten Straftat, wie z. B. einer Raubgrabung, zugeordnet werden konnten und der tatsächliche Eigentümer sich auch auf anderem Weg nicht ermitteln ließ. Dieser Präzedenzfall kann – und wird – erhebliche Auswirkungen auf den Handel mit provenienzlosen Antiken haben. Betroffen sind hunderttausende archäologische Funde, die derzeit noch – illegal – vermarktet werden. Ziel ist die Vermeidung der schädlichen Auswirkungen der Antikenhehlerei – einer der übelsten Geißeln der Menschheit. Hierfür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Archäologen und Strafverfolgungsbehörden dringend notwendig. Für die öffentlichen Museen erwächst daraus die Verpflichtung, die Funde in ihre Obhut zu nehmen, deren tatsächli che Eigentümer nicht mehr ermittelt werden können. Gleichzeitig eröffnet sich damit aber auch die Chance, Raubgrabungsfunde für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit zu sichern, ohne dass die Museen – durch Hehlerei – selbst Kulturzerstörung fördern. Dr. Michael Müller-Karpe ist Archäologe am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Seine Forschungen gelten vornehmlich Metallfunden aus Mesopotamien. In diesem Bereich führt er auch kriminalarchäologische Untersuchungen in enger Kooperation mit Polizei, Zoll und Staatsanwaltschaften durch. Er engagiert sich gegen den weltweiten illegalen Antikenhandel und berät den Kulturausschuss des Deutschen Bundestages in Fragen des Kulturgüterschutzes; muellerkarpe@rgzm.de Weitere Informationen: Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz: www.rgzm.de Reinhard Dietrich: Antiken, Recht und Markt, in: Kunstrechtspiegel 4/2008, Magazin des Instituts für Kunst und Recht IFKUR e. V., S. 174–181: http://ifkur.de/images/dokumente/kunstrechtsspiegel0408.pdf Aktivitäten der Deutschen UNESCO-Kommission gegen illegalen Handel mit Kulturgut: www.unesco.de/kulturgutschutz.html Informationen von Interpol zum illegalen Handel mit Kunstgegenständen: www.interpol.int/Public/WorkOfArt/Default.asp ICOM DeutschlandMitteilungen 2010 | 13

Aktuelles<br />

Foto: Carabinieri T. P. V. Italia<br />

Zabalam. Die Ruine dieser sumerischen Stadt im Süden des Irak hatte fünftausend Jahre weitgehend unversehrt im Boden überdauert. Sie<br />

wurde durch Raubgrabungen, zur Versorgung des nimmersatten internationalen Antikenmarktes mit Hehlerware, vollständig vernichtet.<br />

stützen, künftig von der Forschung in den Museen des Irak<br />

ausgeschlossen sein werden.<br />

Vor diesem Hintergrund setzte sich der Verfasser für<br />

eine einvernehmliche Lösung ein. Unter Hinweis auf die<br />

irakische Bitte regte er an, die Inaugenscheinnahme in den<br />

Räumen des RGZM vorzunehmen. Dieser Vorschlag führte<br />

zu Irritationen, die in der Ankündigung des Zolls gipfelten,<br />

notfalls den Tresor des RGZM gewaltsam – mit dem<br />

Schweißbrenner – öffnen zu wollen. Wegen des gro ßen Medieninteresses<br />

(sieben Fernsehanstalten hatten angekün digt,<br />

die Schweißaktion filmen zu wollen) wurden drei Ab holtermine<br />

vom Zoll kurzfristig abgesagt. Beim vierten Termin<br />

wurde das Gefäß dem Zoll dann – „freiwillig“ – übergeben.<br />

Das Zwischenergebnis<br />

Nachdem ein vom Gericht bestellter Zweitgutachter in<br />

Berlin die Feststellungen des Verfassers bestätigte und eine<br />

vom Auktionshaus beauftragte Gegengutachterin nicht in<br />

der Lage war, die Datierung des Gefäßes in die römische<br />

Kaiserzeit fristgerecht nachzuweisen, bestätigte das Finanzgericht<br />

München am 25. September 2009 die irakische<br />

Herkunft des Goldgefäßes und schloss sich damit<br />

voll inhaltlich den Feststellungen des Verfassers an. Eine<br />

Revision wurde nicht zugelassen. Das Auktionshaus legte<br />

dagegen Beschwerde ein.<br />

Inzwischen kündigte der Käufer des Goldgefäßes, ein<br />

Rechtsanwalt und Topmanager eines weltweit – auch im<br />

Irak – operierenden Konzerns, an, die wertvolle Antike dem<br />

Irak zurückgeben zu wollen. Er sei Sammler, aber kein<br />

Hehler. Diese Erkenntnis kam ihm bei einem Telefonanruf<br />

des irakischen Kulturattachés im Januar <strong>2010</strong>. Der Jurist<br />

hatte das Goldgefäß gut vier Jahre zuvor für 1.200 Euro<br />

ersteigert – trotz des Vorbehalts, unter dem die Versteigerung<br />

wegen der irakischen Eigentumsansprüche erfolgte.<br />

Er hatte vom Zoll schriftlich die Aushändigung des Gefäßes<br />

gefordert, da man ihm die illegale Herkunft des Gefäßes<br />

gefälligst nachzuweisen habe. Damit brachte er die<br />

irakische Botschaft, die als Verfahrensbeteiligte von der<br />

Staatsanwaltschaft Akteneinsicht erhielt, auf seine Spur.<br />

Aber das grundsätzliche Problem ist nicht gelöst<br />

Auch wenn sich nunmehr bezüglich des Verbleibs des Goldgefäßes<br />

die einzig akzeptable Lösung abzeichnet – die<br />

Rückgabe an den rechtmäßigen Eigentümer, das irakische<br />

Nationalmuseum in Bagdad – ist damit der Fall als solcher<br />

nicht gelöst: Der Fundort ist weiterhin unbekannt, die illegalen<br />

Netzwerke sind nach wie vor intakt und weitere<br />

bedeutende Antiken, darunter Gold- und Silberfunde, die<br />

aus demselben mutmaßlichen Königsgrab stammen können,<br />

wurden bisher nicht sichergestellt: Trotz mehrfacher<br />

Bitten des Verfassers sahen sich die deutschen Strafverfolgungsbehörden<br />

dazu nicht in der Lage.<br />

Wenigstens die aus dem Grab gewühlten Beigaben sollten<br />

gesichert werden. Die Informationen, die mit der undoku<br />

mentierten Zerstörung des Fundkontextes vernichtet<br />

wurden, sind ohnehin unwiederbringlich verloren. Ungestörte<br />

Königsgräber wurden im Irak letztmalig vor mehr<br />

als achtzig Jahren von Archäologen entdeckt und ausgegraben<br />

(im Königsfriedhof in Ur). Man stelle sich vor, welche<br />

Erkenntnisse die Untersuchung eines intakten Königsgrabes<br />

des 3. Jahrtausends v. Chr. mit den heute der Archäologie<br />

zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hätte erbringen<br />

können!<br />

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