ICOM Deutschland Mitteilungen 2010

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Aktuelles Deutschland als Paradies für zwielichtige Antikenhändler? Machen sich die deutschen Behörden zu Handlangern von Kriminellen? Zum Umgang mit archäologischem Kulturgut „lückenhafter“ Provenienz an einem Beispiel Gastbeitrag von Michael Müller-Karpe Ein „Deutsch-irakischer Archäologenkrimi“ um ein antikes Goldgefäß hat jüngst die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf ein Problem gelenkt, das so gar nicht zum Selbstverständnis einer Kulturnation passen will: die in Deutschland weitgehend unbehelligt florierende Antikenhehlerei. Das Goldgefäß wurde im September 2005, auf Veranlassung des Verfassers, vom Zoll bei einem Auktionshaus in München sichergestellt und dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) zur wissenschaftlichen Untersuchung und Begutachtung überstellt. Es war ohne Fundortangabe und ohne Legalitätsdokumente des Landes der Fundstelle versteigert worden. Nach den Feststellungen des vom Verfasser erstellten Gutachtens handelte es sich bei dem Gefäß nicht, wie vom Auktionshaus angegeben, um ein etwa zweitausend Jahre altes Erzeugnis der römischen Kaiserzeit, sondern um ein viereinhalbtausend Jahre altes Gefäß der sumerischen Hochkultur Mesopotamiens und damit um eines der weltweit ältesten Goldgefäße überhaupt. Es stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einem geplünderten Königsgrab im Südirak. Die Rechtslage ist eigentlich klar Archäologische Funde unterliegen im Irak einem Schatzregal. Sie befinden sich damit regelmäßig im öffentlichen Eigentum der Republik Irak, falls die Ausnahme nicht durch gültige Dokumente des Herkunftsstaates (z. B. Exportlizenzen) nachgewiesen wird. Zum Tatbestand der Hehlerei bzw. gewerbsmäßigen Hehlerei tritt bei der Veräußerung von archäologischem Kulturgut aus dem Irak regelmäßig ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz (§ 34 Abs. 4): Nach der Verordnung EG 1210/2003 (Art. 3 Abs. 1) sind die Einfuhr und Ausfuhr von und der Handel mit irakischen Kulturgütern in der Europäischen Union verboten, wenn sie illegal von irakischen Orten entfernt wurden oder ein begründeter Verdacht besteht, dass die Kulturgüter unter Verstoß gegen die einschlägigen irakischen Gesetze und Bestimmungen aus Irak verbracht wurden. Dieses Verbot gilt nicht, wenn nachgewiesen wird, dass die Kulturgüter vor dem 6. August 1990 aus Irak ausgeführt wurden oder den irakischen Einrichtungen zurückgegeben werden (Art. 3 Abs. 2). Die Chronologie eines Rechtsstreites Am 3. Juni 2009 erwirkte das Auktionshaus beim Münchner Finanzgericht einen Beschluss, der den Zoll verpflichtete, das Goldgefäß dem Gericht zwecks „Inaugenscheinnahme“ vorzulegen. Darauf hin forderte der Zoll vom RGZM die Herausgabe des Goldgefäßes. Nachdem die Münchner Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen in dieser Sache bereits eingestellt hatte – obwohl weder legitimierende Dokumente noch der von der EU- Verordnung geforderte Nachweis beigebracht wurden – kündigte der Zoll gegenüber dem Verfasser an, das Gefäß an das Auktionshaus herauszugeben, falls das Gericht feststellen sollte, dass der Zoll bei der Sicherstellung aus formalen Gründen nicht zuständig war. Diese Ankündigung fügte sich in eine unrühmliche Tradition handelsfreundlicher Entscheidungen, mit denen deutsche Strafverfolgungsbehörden – insbesondere auch in München – die Interessen derer, die aus der Zerstörung von Kulturdenkmälern Gewinn ziehen, höher bewerteten als die international längst anerkannten Belange des Kulturgüterschutzes. So stellte das Landgericht München I in seinem Beschluss vom 24. Juni 2008 (Az. 8 Qs 3/08) bezüglich türkischer Antiken fest, dass bei einer „Güterabwägung zwischen dem berechtigten Interesse der Republik Türkei an dem Erhalt ihres Kulturgutes und dem Recht der Gewahrsamsinhaber an der Verwertung ihrer Gegenstände letzteren Interessen den Vorzug zu geben ist“. Für den Verfasser ergab sich das Dilemma, dass er, als Behördenvertreter, einerseits dem Beschluss eines deutschen Gerichtes Folge zu leisten hat, andererseits aber durch die Herausgabe des Goldgefäßes möglicherweise die Voraussetzung dafür schaffen würde, dass mit diesem fortgesetzt Hehlerei betrieben wird. Im Kern ging es in dieser Sache somit auch um die Frage, ob ein Behördenvertreter durch eine andere Behörde gezwungen werden kann, an der Begehung einer Straftat mitzuwirken. Hinzu kam, dass der Botschafter der Republik Irak den Verfasser explizit gebeten hatte, das Gefäß bis zur abschließenden eigentumsrechtlichen Klärung durch das letztinstanzlich zuständige Gericht zu verwahren und nicht herauszugeben. Er befürchtete, dass durch eine Herausgabe des Gefäßes an das Auktionshaus, der tatsächlichen Eigentümerin – der Republik Irak – die Möglichkeit genommen werden könnte, auf rechtsstaatlichem Weg in den Besitz ihres Eigentums zu gelangen. Ein Ignorieren dieser – berechtigten – Bitte wäre auch insofern bedenklich gewesen, als dies negative Auswirkungen auf die engen wissenschaftlichen Beziehungen des RGZM zum irakischen Antikendienst hätte haben können: Auf der ICOM-Generalkonferenz 2004 in Seoul gab Donny George Youkhanna, damals Direktor des iraki schen Natio nalmuseums, bekannt, dass Forscher und Institutionen, die den Handel mit archäologischen Funden zweifelhafter Herkunft – in welcher Form auch immer – unter­ 10 | ICOM DeutschlandMitteilungen 2010

Aktuelles Foto: Müller-Karpe Der illegale Verkauf eines antiken Goldgefäßes, die Sicherung im Römisch-Germanischen Zentralmuseum und eine geplante „Rettungsaktion“ sorgten im Sommer 2009 für enorme Medienresonanz (hier F.A.Z. vom 29. Juni 2009). Michael Müller-Karpe nutzte dieses Interesse, um erneut auf die fortgesetzte Antikenhehlerei hinzuweisen. Indizien, die belegen, dass archäologische Funde unbekannter Herkunft regelmäßig aus strafbaren Handlun gen herrühren und daher nicht verkehrsfähig sind: 1. Archäologische Funde legaler Herkunft haben immer einen Fundort. Bei Funden illegaler Herkunft wird dieser allerdings, zur Vermeidung von Rückgabeforderungen und strafrechtlichen Konsequenzen, regelmäßig gefälscht, verschleiert oder ganz verschwiegen. 2. In allen Ländern mit Fundstellen antiker Hochkulturen ist die rechtliche Situation archäologischer Funde strikt geregelt. Von Beschränkungen sind sowohl der Eigentumserwerb als auch die Ausfuhr betroffen. Die meisten Länder haben zum Schutz der archäologischen Stätten archäologisches Kulturgut ihres Territoriums zu öffentlichem Eigentum erklärt und den Handel mit diesen Objekten verboten. Auch in Deutschland bestehen solche Schatzregale (mit Ausnahme von Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen). Aber auch da, wo Antiken noch nicht im Rahmen von Schatzregalen Staatseigentum sind, gilt zumindest die Hadrianische Teilung (§ 984 BGB), d. h. der Finder erwirbt lediglich hälftig Eigentum an dem Fund. Eine Hälfte gebührt dem Eigentümer der Fundstelle. Fremd, im Sinne des Gesetzes, ist eine Sache auch bei bestehendem Miteigentum. Die Ausfuhr von Antiken steht regelmäßig unter staatlichem Genehmigungsvorbehalt. 3. Insoweit Eigentumserwerb und Ausfuhr überhaupt möglich sind, entstehen dabei immer amtliche Dokumente. Antiken legaler Herkunft sind daher regelmäßig mit gültigen Papieren des Landes der Fundstelle versehen. 4. Ein gutgläubiger Erwerb ohne die genannten Legalitätsnachweise wird durch § 932 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Danach ist ein „Erwerber […] nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.“ Einem Käufer kann die Tatsache, dass archäologische Funde regelmäßig von eigentumsrechtlichen Restriktionen betroffen sind und die Ausfuhr regelmäßig unter staatlichem Genehmigungsvorbehalt steht, nur vorsätzlich oder grob fahrlässig unbekannt bleiben. Diesbezügliche Bestimmungen bestehen seit vielen Generationen: die Hadri anische Teilung seit zweitausend Jahren, Exportverbote in Griechenland z. B. seit 1834, im Osmanischen Reich und seinen Nachfolgestaaten seit 1869 und im Iran seit 1930. Er muss wissen, dass sich die illegale Herkunft einem objektiven Betrachter als die überwiegend wahr schein liche geradezu aufdrängt. Das gilt insbesondere auch für Händler, die ihren Lebensunterhalt mit der Vermarktung von Sachen bestreiten, die regelmäßig von solchen Restriktionen betroffen sind. 5. Auch andere, Gutgläubigkeit voraussetzende, Möglichkeiten des Eigentumserwerbs, im Wege öffentlicher Versteigerung (§ 935 BGB) oder des Ersitzens (§§ 937 ff. BGB), scheiden damit aus. 6. Die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB, wonach bis zum Beweis des Gegenteils der Besitzer einer Sache als deren Eigentümer gilt, wird durch das Fehlen der Nachweise, die bei Antiken legaler Herkunft regelmäßig vorhanden sind, widerlegt. Zu diesen Nachweisen zählen amtliche Fundmeldungen, gültige Exportdokumente des Landes der Fundstelle und Belege, dass die Antike bereits verbracht worden war, bevor das Herkunftsland einschlägige Gesetze und Bestimmungen in Kraft setzte. ICOM DeutschlandMitteilungen 2010 | 11

Aktuelles<br />

<strong>Deutschland</strong> als Paradies<br />

für zwielichtige Antikenhändler?<br />

Machen sich die deutschen Behörden zu Handlangern von Kriminellen? Zum Umgang<br />

mit archäologischem Kulturgut „lückenhafter“ Provenienz an einem Beispiel<br />

Gastbeitrag von Michael Müller-Karpe<br />

Ein „Deutsch-irakischer Archäologenkrimi“ um ein antikes<br />

Goldgefäß hat jüngst die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit<br />

auf ein Problem gelenkt, das so gar nicht zum<br />

Selbstverständnis einer Kulturnation passen will: die in<br />

<strong>Deutschland</strong> weitgehend unbehelligt florierende Antikenhehlerei.<br />

Das Goldgefäß wurde im September 2005, auf Veranlassung<br />

des Verfassers, vom Zoll bei einem Auktionshaus in<br />

München sichergestellt und dem Römisch-Germanischen<br />

Zentralmuseum (RGZM) zur wissenschaftlichen Untersuchung<br />

und Begutachtung überstellt. Es war ohne Fundortangabe<br />

und ohne Legalitätsdokumente des Landes der Fundstelle<br />

versteigert worden.<br />

Nach den Feststellungen des vom Verfasser erstellten<br />

Gutachtens handelte es sich bei dem Gefäß nicht, wie vom<br />

Auktionshaus angegeben, um ein etwa zweitausend Jahre<br />

altes Erzeugnis der römischen Kaiserzeit, sondern um ein<br />

viereinhalbtausend Jahre altes Gefäß der sumerischen Hochkultur<br />

Mesopotamiens und damit um eines der weltweit<br />

ältesten Goldgefäße überhaupt. Es stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

aus einem geplünderten Königsgrab im Südirak.<br />

Die Rechtslage ist eigentlich klar<br />

Archäologische Funde unterliegen im Irak einem Schatzregal.<br />

Sie befinden sich damit regelmäßig im öffentlichen<br />

Eigentum der Republik Irak, falls die Ausnahme nicht<br />

durch gültige Dokumente des Herkunftsstaates (z. B. Exportlizenzen)<br />

nachgewiesen wird.<br />

Zum Tatbestand der Hehlerei bzw. gewerbsmäßigen<br />

Hehlerei tritt bei der Veräußerung von archäologischem<br />

Kulturgut aus dem Irak regelmäßig ein Verstoß gegen das<br />

Außenwirtschaftsgesetz (§ 34 Abs. 4): Nach der Verordnung<br />

EG 1210/2003 (Art. 3 Abs. 1) sind die Einfuhr und<br />

Ausfuhr von und der Handel mit irakischen Kulturgütern<br />

in der Europäischen Union verboten, wenn sie illegal von<br />

irakischen Orten entfernt wurden oder ein begründeter<br />

Verdacht besteht, dass die Kulturgüter unter Verstoß gegen<br />

die einschlägigen irakischen Gesetze und Bestimmungen<br />

aus Irak verbracht wurden. Dieses Verbot gilt nicht, wenn<br />

nachgewiesen wird, dass die Kulturgüter vor dem 6. August<br />

1990 aus Irak ausgeführt wurden oder den irakischen<br />

Einrichtungen zurückgegeben werden (Art. 3 Abs. 2).<br />

Die Chronologie eines Rechtsstreites<br />

Am 3. Juni 2009 erwirkte das Auktionshaus beim Münchner<br />

Finanzgericht einen Beschluss, der den Zoll verpflichtete,<br />

das Goldgefäß dem Gericht zwecks „Inaugenscheinnahme“<br />

vorzulegen. Darauf hin forderte der Zoll vom<br />

RGZM die Herausgabe des Goldgefäßes.<br />

Nachdem die Münchner Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen<br />

in dieser Sache bereits eingestellt hatte – obwohl<br />

weder legitimierende Dokumente noch der von der EU-<br />

Verordnung geforderte Nachweis beigebracht wurden –<br />

kündigte der Zoll gegenüber dem Verfasser an, das Gefäß<br />

an das Auktionshaus herauszugeben, falls das Gericht<br />

feststellen sollte, dass der Zoll bei der Sicherstellung aus<br />

formalen Gründen nicht zuständig war.<br />

Diese Ankündigung fügte sich in eine unrühmliche Tradition<br />

handelsfreundlicher Entscheidungen, mit denen<br />

deutsche Strafverfolgungsbehörden – insbesondere auch<br />

in München – die Interessen derer, die aus der Zerstörung<br />

von Kulturdenkmälern Gewinn ziehen, höher bewerteten<br />

als die international längst anerkannten Belange des Kulturgüterschutzes.<br />

So stellte das Landgericht München I in<br />

seinem Beschluss vom 24. Juni 2008 (Az. 8 Qs 3/08) bezüglich<br />

türkischer Antiken fest, dass bei einer „Güterabwägung<br />

zwischen dem berechtigten Interesse der Republik<br />

Türkei an dem Erhalt ihres Kulturgutes und dem Recht<br />

der Gewahrsamsinhaber an der Verwertung ihrer Gegenstände<br />

letzteren Interessen den Vorzug zu geben ist“.<br />

Für den Verfasser ergab sich das Dilemma, dass er, als<br />

Behördenvertreter, einerseits dem Beschluss eines deutschen<br />

Gerichtes Folge zu leisten hat, andererseits aber durch die<br />

Herausgabe des Goldgefäßes möglicherweise die Voraussetzung<br />

dafür schaffen würde, dass mit diesem fortgesetzt<br />

Hehlerei betrieben wird. Im Kern ging es in dieser Sache<br />

somit auch um die Frage, ob ein Behördenvertreter durch<br />

eine andere Behörde gezwungen werden kann, an der Begehung<br />

einer Straftat mitzuwirken.<br />

Hinzu kam, dass der Botschafter der Republik Irak den<br />

Verfasser explizit gebeten hatte, das Gefäß bis zur abschließenden<br />

eigentumsrechtlichen Klärung durch das letztinstanzlich<br />

zuständige Gericht zu verwahren und nicht herauszugeben.<br />

Er befürchtete, dass durch eine Herausgabe<br />

des Gefäßes an das Auktionshaus, der tatsächlichen Eigentümerin<br />

– der Republik Irak – die Möglichkeit genommen<br />

werden könnte, auf rechtsstaatlichem Weg in den<br />

Besitz ihres Eigentums zu gelangen.<br />

Ein Ignorieren dieser – berechtigten – Bitte wäre auch<br />

insofern bedenklich gewesen, als dies negative Auswirkungen<br />

auf die engen wissenschaftlichen Beziehungen des<br />

RGZM zum irakischen Antikendienst hätte haben können:<br />

Auf der <strong>ICOM</strong>-Generalkonferenz 2004 in Seoul gab<br />

Donny George Youkhanna, damals Direktor des iraki schen<br />

Natio nalmuseums, bekannt, dass Forscher und Institutionen,<br />

die den Handel mit archäologischen Funden zweifelhafter<br />

Herkunft – in welcher Form auch immer – unter­<br />

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