Die weibliche Darstellung im Werk Cindy Shermans - Freiherr-vom ...
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<strong>Freiherr</strong>-<strong>vom</strong>-Stein-Schule Hessisch Lichtenau<br />
<strong>Die</strong> <strong>weibliche</strong> <strong>Darstellung</strong> <strong>im</strong> <strong>Werk</strong> <strong>Cindy</strong> <strong>Shermans</strong><br />
Im Fach Kunst, bei Frau Seiler<br />
Von<br />
Antonia Lenz<br />
Rommerode, den 04.03.2013
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Vorwort Seite 2<br />
2. Über <strong>Cindy</strong> Sherman Seite 3<br />
3. Verschiedene <strong>Werk</strong>e Seite 4<br />
3.1. Centerfolds Seite 4<br />
3.2. History Portraits Seite 4<br />
3.3. Sex Pictures Seite 5<br />
3.4. Clowns Seite 6<br />
4. Untitled Film Stills Seite 7<br />
4.1. Was sind Film Stills? Seite 7<br />
4.2. Wieso gerade Film Stills? Seite 7<br />
4.3. <strong>Die</strong>Untitled Film Stills Seite 8<br />
4.4. Selbstdarstellung und Weiblichkeit Seite 9<br />
4.4.1. Historischer Hintergrund in Bezug auf Frauen Seite 10<br />
5. Bildbeschreibung Seite 12<br />
5.1. Untitled Film Still #10 Seite 12<br />
5.2. Untitled Film Still #16 Seite 13<br />
6. Nachwort Seite 15<br />
7. Literaturverzeichnis Seite 16<br />
8. Bildquellen Seite 17<br />
9. Internetquellen Seite 19<br />
2
1. Vorwort<br />
Nachdem ich mich für ein Fach entschieden hatte, in dem ich meine Jahresarbeit<br />
schreiben wollte, wusste ich erst einmal nicht weiter. Welches Thema sollte es denn<br />
sein? Ich hatte keine Vorstellungen, außer der, dass ich mich mit Fotografiebeschäftigen<br />
wollte, nachdem <strong>im</strong> Unterricht hauptsächlich Gemälde behandelt wurden, was, wenn<br />
man mal ehrlich ist, nach einiger Zeit keinen Reiz mehr hat.<br />
Mir wurde eine Auswahl verschiedener Fotografen vorgeschlagen, deren <strong>Werk</strong>e ich mir<br />
alle kurz anschaute. <strong>Cindy</strong> Sherman beeindruckte mich sofort und als ich herausfand,<br />
dass sie selbst Modell für all ihre Bilder war und ist, wusste ich, sie sollte Thema<br />
meiner Arbeit werden.<br />
Schnell fand ich aber auch Bilder von ihr, auf denen nackte Puppen in den seltsamsten<br />
Stellungen zu sehen waren 1 sowie Bilder, die für mich aussehen, als hätte sie<br />
Erbrochenes fotografiert 2 . Ich musste mein Thema<br />
eingrenzen.<br />
Ich entschied mich für die Untitled Film Stills, mit denen<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman berühmt geworden ist. Da auf all diesen<br />
Bildern sie selbst-eine Frau- zu sehen ist, kam in<br />
Abbildung 2<br />
Absprache mit meiner Lehrerin schnell das Thema der <strong>Darstellung</strong>sweise der<br />
Weiblichkeit zustande. Wie stellt <strong>Cindy</strong> Sherman sich selbst dar, was denkt, was fühlt,<br />
was erzählt sie in dem Moment der Aufnahme über sich selbst und damit über die Welt<br />
der Frauen zu ihrer Zeit?<br />
Das Beantworten dieser Frage wurde jedoch von Seite zu Seite, die ich gelesen habe,<br />
schwerer: <strong>Cindy</strong> Sherman hat gar nicht die Absicht, Missstände aufzuzeigen oder gar<br />
dagegen zu protestieren. Aufgrund dessen wollte ich ihr nicht etwas unterstellen, was<br />
sie gar nicht will. Meine möglichen Deutungen sind genauso, wie Sherman ihre Fotos<br />
bezeichnet: vage.<br />
Warum Sherman häufig als Feministin bezeichnet wird, das „richtig Weibliche“,<br />
versuche ich daher erst am Ende mit zwei Bildbeschreibungen zu verdeutlichen.<br />
1 Gemeint sind die Sex Pictures, siehe Seite 5<br />
2 Gemeint sind die Disasters,siehe Abbildung 1 (hier nicht weiter beschrieben)<br />
3
2. Über <strong>Cindy</strong> Sherman 3<br />
<strong>Die</strong> 1954 <strong>im</strong> amerikanischen New Jersey geborene <strong>Cindy</strong> Sherman ist schon früh<br />
regelrecht fasziniert von Filmen und den darin beschriebenen Charakteren, die sich für<br />
sie wie unfertige Puzzles darstellen.<br />
Später besucht sie das State College in Buffalo, wo sie sich zunächst mit dem<br />
Fachbereich der Malerei beschäftigt. <strong>Die</strong>se wird für <strong>Cindy</strong> Sherman jedoch <strong>im</strong>mer<br />
weniger interessant; sie fängt an, für einen Exper<strong>im</strong>entalfilmer zu arbeiten, lernt<br />
verschiedene Filmemacher kennen und dreht einen eigenen kurzen Film.<br />
Ihre ersten Fotos macht sie, als sie sich für eine Party verkleidet, um diese Verkleidung<br />
festzuhalten. Bald fängt sie an, sich aufwendiger zu verkleiden, sich in verschiedenen<br />
Posen zu fotografieren und aus den so entstandenen Figuren kleine Szenarien zu<br />
basteln, kleine Geschichten abzubilden.<br />
Als sie 1977 nach New York zieht, begegnet sie einer anderen Art von Bild. Einer Art<br />
von Bild, die den Anstoß zu einer Geschichte gibt, gleichzeitig jedoch alles offen lässt.<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman gefällt das vage in den Bildern. Des Weiteren ermöglichen diese Bilder<br />
ihr, alleine zu arbeiten, da jegliche Bezugspersonen der „HauptdarstellerIn“ außerhalb<br />
des Bildausschnittes agieren. <strong>Cindy</strong> Sherman würde somit gleichzeitig Modell, als auch<br />
Fotograf sein, was ihr sehr gefällt.<br />
Eine Anstellung als Empfangsdame in einer Kunstgallerie ist für sie „der perfekte<br />
Einstieg in die Kunstszene“ 4 .Im gleichen Jahr beginnt sie mit ihrer Arbeit an den<br />
„Untitled Film Stills“, mit denen sie berühmt wird.1980 beendet <strong>Cindy</strong> Sherman ihre<br />
Arbeit an den Film Stills und beginnt neue <strong>Werk</strong>e, wie die „Centerfolds“, „History<br />
Portraits“, „Sex Pictures“ oder „Clowns“ 5 .Alle diese <strong>Werk</strong>e sind Inszenierungen und<br />
sollen als solche auch erkannt werden. Wenn das oft auch erst auf den zweiten Blick<br />
klar wird.<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman lebt und arbeitet noch <strong>im</strong>mer in New York, heute gilt sie als<br />
„herausragende Künstlerin der inszenierten Fotografie“ 6 .<br />
3 Vgl. <strong>Cindy</strong> Sherman, The Complete Untitled Film Stills, Schirmer-Mosel-Verl ag, 2003; S. 4ff<br />
4 A.a.O. S. 7, Z. 14f<br />
5 Alle hier genannten <strong>Werk</strong>e werd en <strong>im</strong> Folgenden kurz beschrieben<br />
6 http://www.cindysherman.de/biografie/ ; Zeile 15f (15.2.13, 17:00Uhr)<br />
4
3. Verschiedene <strong>Werk</strong>e<br />
3.1. Centerfolds 7 <strong>Die</strong> Centerfolds entstehen 1981 8 <strong>im</strong> gleichen Stil, in<br />
Abbildung 3<br />
dem Playboy-Ausklappfotos aufgebaut sind. In<br />
horizontalen Formaten zeigen sie auf den ersten<br />
Blick erotisch wirkende Frauen in entsprechend<br />
aufreizenden Haltungen. Bei näherem Hinsehen<br />
aber erkennt der Betrachter, dass er sich irrt, die Frau in einem „ sehr privaten [oder gar]<br />
schrecklichen Moment“ 9 beobachtet. Sherman will den „männlichen Blick“ zu einem<br />
scheinbar erotischen Gefühl leiten, dieses dann aber in Scham umkehren. Sie selbst sagt<br />
darüber: „Es geht darum, dass man sich schlecht dabei fühlt, das Foto als Anmacher<br />
empfunden zu haben. Ich bestrafe den Betrachter dafür, solche Vorurteile über die Pose<br />
oder den Look einer Frau zu haben.“ 10 <strong>Die</strong> Centerfolds sollen also ein Schuldgefühl<br />
vorwiegend <strong>im</strong> männlichen Betrachter hervorrufen, der die Frauen sofort als Sexobjekt<br />
wahrn<strong>im</strong>mt.<br />
In dieser Fotoreihe zeigt <strong>Cindy</strong> Sherman nur einen kleinen Ausschnitt der Geschichte.<br />
<strong>Die</strong> Bilder sind vage Andeutungen, haben unendlich viele Bedeutungsmöglichkeiten.<br />
<strong>Die</strong> Frauen sind ganz bei sich, eine weitere Bezugsperson außerhalb des<br />
Bildausschnittes gibt es hier oft nicht, was den Eindruck, sie in einem sehr int<strong>im</strong>en<br />
Moment zu beobachten, noch verstärkt.<br />
7 Vgl. Kunst heute Nr. 14, <strong>Cindy</strong> Sherman <strong>im</strong> Gespräch mit Wilfried Dickhoff, Kiepenheuer&Witsch, 1995;<br />
S. 26ff<br />
8 http://www.cindysherman.de/1980_rear-screen-projections_centerfolds_pink-robes_fashion-fotos/<br />
(16.2.13, 18:00 Uhr)<br />
9 Kunst heute Nr. 14, <strong>Cindy</strong> Sherman <strong>im</strong> Gespräch mit Wilfried Dickhoff, Kiepenheuer&Witsch, 1995;<br />
S. 26, Z. 32f<br />
10 A.a.O. S. 27, Z. 6ff<br />
5
3.2. History Portraits 11<br />
<strong>Die</strong> so genannten History Portraits entstehen in den Jahren 1988 bis 1990. 12<br />
Hier geht es weniger um Frauen als um die Verdeutlichung des<br />
„fakes“ in historischen Portraits. Portraits stellen die Personen<br />
meist schöner und mächtiger dar, als sie wirklich sind.<strong>Cindy</strong><br />
Sherman greift das auf und kehrt es um. Sie zeigt die Personen<br />
wie sie „wirklich“ sind, womit sie sozusagen eine Fälschung von<br />
der Fälschung herstellt und dieses Falsche auf den zweiten Blick<br />
auch sichtbar macht. <strong>Die</strong> Inszenierung ist klar erkennbar.<br />
Abbildung 4<br />
<strong>Die</strong> Bilder sollen zeigen, dass es in den originalen Portraits keine innere Wahrheit gibt,<br />
keine Bedeutung; dass, entgegen der vorherrschenden Meinung,auch die Portraitmalerei<br />
nicht zwangsläufig die Wahrheit zeigt.<br />
3.3. Sex Pictures 13 <strong>Die</strong> Sex Pictures entstehen 1992. 14 <strong>Cindy</strong> Sherman will<br />
Abbildung 5<br />
schon länger eine Fotoserie über Sexualität und Nacktheit<br />
machen, ohne ihren eigenen oder andere reale Körper zu<br />
fotografieren. Um dem Grotesken, das alle ihre Arbeiten<br />
durchzieht, gerecht zu werden, benutzt sie schließlich<br />
medizinische Studienartikel. <strong>Die</strong>se weisen keinerlei<br />
erotische Atmosphäre auf.<strong>Cindy</strong> Sherman zwingt den<br />
Körperteilen durch verschiedene Erotikartikel eine sexuelle<br />
Note auf, die jedoch noch <strong>im</strong>mer sehr seltsam und fehl am<br />
Platze wirkt.<br />
11 Vgl. a.a.O. S. 33ff<br />
12 http://www.cindysherman.de/1985_fairy-tales-und-disasters_history-portraits/(16.2.13, 18:00 Uhr)<br />
13 Vgl. Kunst heute Nr. 14, <strong>Cindy</strong> Sherman <strong>im</strong> Gespräch mit Wilfried Dickhoff, Kiepenheuer&Witsch,<br />
1995; S. 63ff<br />
14 A.a.O. S. 63, Z. 9<br />
6
Dadurch, dass hier krampfhaft versucht wird, Erotik zu erzeugen, geht diese verloren<br />
und zeigt nur noch eine „absolut leidenschaftslose Nacktheit“ 15 ; die „Abwesenheit von<br />
Sex und Erotik“ 16 wird überdeutlich.<br />
Der menschliche Körper wird durch Nachbildungen als das gezeigt, was er wirklich ist<br />
und nicht als Sexobjekt oder erotisches Mittel, zu dem unsere Gesellschaft ihn scheinbar<br />
<strong>im</strong>mer mehr macht.<br />
3.4. Clowns 17 <strong>Die</strong> Clownserie entsteht 2003 18 und zeigt, wie der Titel schon<br />
Abbildung 6<br />
sagt, Clowns. Man erkennt jedoch deutlich, dass diese Clowns<br />
ihr Lächeln wirklich nur auf geschminkt haben. Man hat das<br />
Gefühl, sie müssten etwas repräsentieren, das sie nicht (mehr)<br />
sind. Der Ausdruck des Pess<strong>im</strong>ismus und der Mutlosigkeit<br />
unter demMake-Up steht in komplettem Gegensatz zu dem<br />
fröhlichen, verspielten Gemüt eines Clowns. Das Innere bildet einen starken Kontrast<br />
zum äußeren Auftreten.<br />
Vielleicht stellt <strong>Cindy</strong> Sherman den Ernst des Erwachsenenlebens dar, in dem es nur<br />
noch wenig zu lachen gibt, vielleicht das unvermeidbare Schlüpfen in eine best<strong>im</strong>mte<br />
Rolle, sobald man das Zuhause verlässt. Vielleicht aber auch beides und mehr. Denn<br />
auch hier findet sich das Vage, das für jegliche Interpretationen Offene, und vor allem<br />
das Groteske, Widersprüchliche, auf das <strong>Cindy</strong> Sherman in allen Bildern anspielt.<br />
15 A.a.O. S. 64, Z. 30f<br />
16 A.a.O. S. 64, Z. 31f<br />
17 Vgl. The <strong>Cindy</strong> <strong>Shermans</strong>: inszenierte Identitäten: Fotogeschichten von 1840 bis 2005, Böhlau, 2006;<br />
S. 312ff<br />
18 A.a.O. S. 313, Z. 39<br />
7
4. Untitled Film Stills<br />
4.1. Was sind Film Stills? 19<br />
Abbildung 7<br />
<strong>Die</strong> so genannten Film Stills entstehen normalerweise be<strong>im</strong><br />
Dreh eines Films. Ein Standfotograf hat die Aufgabe,<br />
verschiedene Situationen zu fotografieren, in denen<br />
möglichst alle Hauptdarsteller zu sehen sind, und die<br />
wichtigsten Elemente des Films einzufangen. <strong>Die</strong> so<br />
entstandenen Bilder dienen später als Kinoplakate und sind wichtig für Zeitungs- und<br />
Zeitschriftenartikel. Film Stills sollen den Betrachter anlocken und für den<br />
angepriesenen Film interessieren.<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman wandelt die Film Stills ein wenig ab, indem sie nur eine einzelne Person<br />
abbildet und andere Bezugspersonen lediglich außerhalb des Bildausschnittes existieren<br />
lässt. Normalerweise zeigen die abgebildeten Personen eine Fülle an Gefühlen, die<br />
Situationen sind eindeutig. Sherman reduziert die dargestellten Gefühle und die<br />
Eindeutigkeit der Situationen, bis sie selbst zufrieden ist.<br />
4.2. Wieso gerade Film Stills?<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman entdeckt <strong>im</strong> Atelier eines Freundes 20 stapelweise Fotos für eine<br />
Zeitschrift, für die dieser arbeitet. Fotos <strong>im</strong> Storyboard-Format, die auf sie wie ein<br />
kleiner Comic wirken. <strong>Cindy</strong> Sherman gefällt daran, dass die Bilder nicht viel aussagen,<br />
sie sind sehr vage und lassen Raum für eigene Interpretationen.<br />
Vermutlich hat sich Sherman letztlich auch für die Film Stills entschieden, da sie schon<br />
als Kind Filme liebte 21 . Durch die leichte Abwandlung in Anlehnung an die Fotos des<br />
Freundes, die sie an der Art der Film Stills vorn<strong>im</strong>mt, kann sie zudem ihr größtes<br />
Problem beheben: <strong>Cindy</strong> Sherman arbeitet nur sehr ungern mit anderen zusammen,<br />
dabei würde sie zu viele Zugeständnisse machen und machen müssen 22 , sie sieht sich<br />
nicht in der Lage, „in [ihrem] Studio auch nur eine einzige Assistentin, geschweige<br />
19 Vgl. http://www.filmstills.at/aktuell1.htm (18.2.13, 18:00 Uhr)<br />
20 Gemeintist David Salle (<strong>Cindy</strong> Sherman, The Complete Untitled Film Stills, Schirmer-Mosel-Verlag,<br />
2003; S. 6, Z. 27)<br />
21 <strong>Cindy</strong> Sherman, The Complete Untitled Film Stills, Schirmer-Mosel-Verl ag, 2003; S. 4, Z. 1f<br />
22 A.a.O. S. 12, Z. 16f<br />
8
denn Schauspieler […] zu koordinieren“ 23 .Ihre Art der Films Stills kann ihr also<br />
gleichzeitig ein selbstständiges Arbeiten ohne jegliche Partner sowie das, <strong>im</strong><br />
übertragenden Sinne, Produzieren eines Filmes bieten, ohne das gewollte Vage zu<br />
verlieren.<br />
4.3. <strong>Die</strong>Untitled Film Stills<br />
<strong>Die</strong> Untitled Film Stills entstehen in den Jahren 1977<br />
bis 1980, mit ihnen wird <strong>Cindy</strong> Sherman berühmt.<br />
Modell für die Untitled Film Stills sowie für alle<br />
weiteren und vorhergehenden Fotoserien ist <strong>Cindy</strong><br />
Sherman selbst. Manche Motive der Untitled Film<br />
Stills sind realen Frauen nachempfunden 24 , andere sind<br />
Abbildung 8<br />
vollkommen fiktiv. Dann verkleidet sich Sherman als eine Schauspielerin, die ihre Rolle<br />
spielt. Gleichzeitig möchte sie so wenige Emotionen wie nur möglich darstellen, um<br />
einen weiteren Kontrast zu den eigentlichen Film Stills zu setzen, auf denen „<strong>im</strong>mer<br />
übertrieben“ 25 wird.<br />
Zunächst weiß <strong>Cindy</strong> Sherman nicht, worauf sie hinauswill und spielt ein bisschen<br />
herum. Sie denkt sich mögliche Geschichten für ihre Figuren aus, zeigt sie <strong>im</strong>mer in<br />
Situationen, in denen sie von irgendwoher kommen und irgendwo anders hingehen,<br />
ohne den oder die Orte zu definieren. Sie stellt starke, rebellische Frauen dar, ist sich<br />
dessen zunächst jedoch nicht bewusst 26 . Erst später merkt<br />
Sherman, „dass die Figuren etwas in Frage [stellen] – vielleicht<br />
die Tatsache, dass man sie in eine best<strong>im</strong>mte Rolle [zwingt]“ 27 .<br />
Allerdings sind diese Frauen nicht real, sie sind „nur“<br />
Filmrollen. Sherman schafft so ein Gewirr aus möglichen<br />
Geschichten, Persönlichkeiten und Rollen, das ihr behagt, viele<br />
Abbildung 9<br />
jedoch verwirrt und dazu veranlasst, eine feministisch-<br />
23 Kunst heute Nr. 14, <strong>Cindy</strong> Sherman <strong>im</strong> Gespräch mit Wilfried Dickhoff, Kiepenheuer&Witsch, 1995;<br />
S. 69, Z. 10f<br />
24 <strong>Cindy</strong> Sherman, The Complete Untitled Film Stills, Schirmer-Mosel-Verl ag, 2003; S. 8, Z. 13ff<br />
25 A.a.O. S. 8, Z. 36<br />
26 A.a.O. S. 9, Z. 30<br />
27 A.a.O. S. 10, Z. 1f<br />
9
politische Intention hinter den Bildern zu sehen. Sie hat nicht die Absicht, etwas<br />
auszusagen und beteuert <strong>im</strong>mer wieder, keine feministischen oder politischen<br />
Intentionen zu haben. <strong>Cindy</strong> Sherman möchte schlicht, dass ihre Bilder eine Doppeloder<br />
sogar Mehrdeutigkeit besitzen 28 . Der Betrachter kann sich so leichter mit der<br />
Person auf dem Foto identifizieren und vielleicht sogar etwas über sich selbst<br />
herausfinden. Das ist ihre Absicht: Jeder Betrachter soll sich seine eigene Geschichte zu<br />
dem Foto ausdenken können ohne von Vorgaben daran gehindert bzw. davon gelenkt zu<br />
werden.<br />
Eine Besonderheit der Untitled Film Stills entwickelt sich zu<br />
einemErkennungsmerkmal aller Bilder <strong>Shermans</strong>: <strong>Cindy</strong> Sherman will ihren Fotos<br />
keine Titel geben, da dies ihnen eine Bedeutung aufzwängen würde, was sie ja auf<br />
keinen Fall will. Zur besseren Identifizierung nummeriert die Galerie „Metro Pictures“<br />
die Bilder. <strong>Die</strong> Nummerierung erfolgt willkürlich und durch späteres Hinzufügen oder<br />
Entfernen von Bildern sind die Nummern auch nicht fortlaufend 29 .<br />
Sherman beendet ihre Serie, als sie das Gefühl hat, sich in ihren Fotos zu<br />
wiederholen. Jetzt, so meint Sherman, ist es Zeit für etwas Neues, „[sie hat] genug<br />
Figuren erfunden“ 30 .<br />
4.4. Selbstdarstellung und Weiblichkeit<br />
Immer wieder betont <strong>Cindy</strong> Sherman, sie stelle sich nicht selbst dar. Sie benutze<br />
lediglich ihren Körper als Modell 31 . Ihre Bilder seien keinesfalls Selbstportraits 32 . Eher<br />
sind es, wie Sherman selbst sagt, „personifizierte Bilder<br />
spezifischer Gefühle […], die sich selbst portraitieren“ 33 .<br />
Eher zufällig bildet sie stereotype Frauenbilder ab, zeigt<br />
damit wunde Punkte unserer Gesellschaft auf und<br />
beschwört Ängste, Hoffnungen und Wünsche in den<br />
Abbildung 20<br />
Betrachtern. <strong>Die</strong> Bilder thematisieren das heutzutage in<br />
28 Kunst heute Nr. 14, <strong>Cindy</strong> Sherman <strong>im</strong> Gespräch mit Wilfried Dickhoff, Kiepenheuer&Witsch, 1995;<br />
S. 19, Z. 6ff<br />
29 <strong>Cindy</strong> Sherman, The Complete Untitled Film Stills, Schirmer-Mosel-Verl ag, 2003; S. 7, Z. 31<br />
30 A.a.O. S. 16, Z. 50<br />
31 Kunst heute Nr. 14, <strong>Cindy</strong> Sherman <strong>im</strong> Gespräch mit Wilfried Dickhoff, Kiepenheuer&Witsch, 1995;<br />
S. 9, Z. 17ff<br />
32 A.a.O. S. 15, Z. 14<br />
33 A.a.O. S. 16, Z. 5f<br />
10
Frage stehende; u.a. den männlichen Blick, die soziale Persönlichkeit und alltägliche<br />
Vorurteile zwischen den Geschlechtern 34 .<br />
Der Betrachter kann eine gewisse Demaskierung der Frau heraus sehen, also die<br />
Anfänge der Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen und geltenden Normen.<br />
Besonders zur Zeit der Entstehung der Untitled Film Stillsentstanden deshalb viele<br />
„falsche“ Deutungen.<br />
Natürlich kann das Wort „falsch“ hier nicht in seinem eigentlichen Sinne genutzt<br />
werden, denn <strong>Cindy</strong> Sherman provoziert ja regelrecht unzählige verschiedene<br />
Deutungen ihrer <strong>Werk</strong>e. Sie will jedoch nicht, dass ihr unterstellt wird, sie habe eine –<br />
in den meisten Fällen feministische – Intention gehabt, was sehr häufig trotzdem<br />
geschieht. Mit der Bezeichnung „falsch“ sind also Deutungen, die eine feministischpolitische<br />
Intention unterstellen, gemeint.<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman versucht vielmehr der in den Filmen dieser Zeit sehr<br />
eind<strong>im</strong>ensional und „einfach gestrickt“ dargestellten Frau eine ihr angemessenere<br />
Ambivalenz zu schenken. Durch das gewollt Vage in den Bildern wird der Frau eine<br />
Fülle an möglichen Gefühlen mitgegeben, die das vorherrschende Bild dieser Zeit ihr<br />
untersagt 35 .<br />
4.4.1. Historischer Hintergrund in Bezug auf die Frauen 36<br />
Trotz dass das Gesetz die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau besagt, sieht die<br />
Realität in den 1960/70 Jahren ganz anders aus. Eine verheiratete Frau hat das zu tun,<br />
was der Mann ihr sagt, sie muss ihn, als wäre sie eine Minderjährige, um Erlaubnis<br />
fragen, etwas tun zu dürfen. <strong>Die</strong> Frau, sollte sie auch die gleiche Arbeit verrichten,<br />
verdient weniger als der Mann. Werden eine Frau oder ihr Kind/ihre Kinder <strong>vom</strong> Mann<br />
misshandelt, so gilt das als Privatsache und ist somit ganz legal. Uneheliche<br />
Schwangerschaften sind eine Schande, eine Scheidung bringt die Frau nicht selten in<br />
Existenznöte.<br />
34 Vgl. Kunst heute Nr. 14, <strong>Cindy</strong> Sherman <strong>im</strong> Gespräch mit Wilfried Dickhoff, Kiepenheuer&Witsch,<br />
1995; S. 10, Z. 7ff<br />
35 Vgl. a.a.O. S. 26, Z. 6ff<br />
36 Vgl. http://www.planet-wissen.de/all tag_gesundheit/frauen/frauenbewegung/index.jsp<br />
(23.2.13, 20:45 Uhr)<br />
11
Abbildung 11<br />
In den 1960ger Jahren beginnen die Frauen, sich überall auf<br />
der Welt zu wehren, und erklären: "Wir entscheiden nun<br />
selbst, wie wir leben, lieben und aussehen wollen!" 37 . Sie<br />
erkennen, dass sie sich nicht nur um die Bedürfnisse des<br />
Mannes kümmern sollten, dass sie „nicht von Natur aus<br />
unterwürfig, unselbstständig und hilflos“ 38 sind, sondern von<br />
klein auf dahin erzogen werden. Frauen beginnen, die<br />
Bestätigung der Männer abzulehnen und stattdessen auf sich<br />
selbst zu vertrauen. Sie fangen an zu rebellieren, verbrennen ihre BHs, Kneifen<br />
öffentlich Männern in den Po, veranstalten Demonstrationen. Und bald folgen auf<br />
Aufstände und Forderungen auch Taten. Es werden Frauenhäuser gebaut, um<br />
misshandelten Frauen eine sichere Unterkunft zu gewährleisten, Notrufnummern<br />
werden eingerichtet, sowie Zeitungen, Festivals, Ausstellungen und Konzerte<br />
organisiert. Manche dieser Projekte existieren auch heute noch.<br />
37 A.a.O. Abschnitt „Büstenhalter brennen“<br />
38 A.a.O. Abschnitt „Büstenhalter brennen“<br />
12
5. Bildbeschreibung<br />
Im Folgenden werden hier zwei ziemlich gegensätzliche Bilder der Untitled Film Still<br />
Reihe beschrieben. Der hier sehr wichtige Deutungsschwerpunkt liegt auf dem Versuch,<br />
zu verdeutlichen, weshalb <strong>Cindy</strong> Sherman häufig als Feministin bezeichnet wird.<br />
5.1. Untitled Film Still #10<br />
Abbildung 13<br />
Auf dem Untitled Film Still #10 aus dem Jahr<br />
1978 sieht man eine Frau auf dem Boden<br />
hocken. Hinter ihr erkennt man Teile eines<br />
Küchenschrankes und eines Herdes. Vor ihr auf<br />
dem Boden liegt eine zerrissene Einkaufstüte,<br />
aus der sie gerade eine Schachtel Eier aufhebt,<br />
weitere Dosen liegen in der offenen Tüte.<br />
Jemand scheint ihr gegenüber zu stehen, denn<br />
sie sieht schräg nach oben aus dem Bild heraus. Über ihrer Schulter hängt ein<br />
Männerjackett, das ihren linken Arm verdeckt.<br />
Aus dem Gesicht der Frau kann man kaum Gefühle herauslesen. Sie schaut sehr neutral,<br />
vielleicht defensiv und abwartend. Klar erkennt der Betrachter nur, dass sie nicht<br />
fröhlich oder glücklich ist.<br />
In der rechten unteren Ecke des Bildes lugt ein Kabel unter dem Jackett hervor, das bis<br />
außerhalb des Bildausschnittes reicht. Hier erkennt man das Selbstauslöserkabel, das<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman benutzt hat, sehr gut.<br />
Es liegt hier sehr nahe, eine von ihrem Mann unterworfene Frau zu sehen. Der<br />
Betrachter kann sich leicht vorstellen, dass es gerade einen Streit gab, die Einkaufstüte<br />
dabei herunterfiel. Doch zu dieser Geschichte passt das schützende Jackett über den<br />
Schultern der Frau nicht. Ist das wohl nicht das Jackett ihres Mannes, sondern eines<br />
anderen?<br />
Oder ist sie nicht verheiratet und hat ihren Freund/Geliebten vor sich, der sie von oben<br />
herab anschaut und vermutlich aus der gleichen Position behandelt?<br />
Der Bildausschnitt ist zu klein, um Klarheit zu schaffen; genau so also, wie die<br />
Künstlerin es haben möchte.<br />
13
Doch diese erste, naheliegendste Deutung lässt vermuten, dass Sherman die Missstände<br />
des (Ehe-)Lebens einer Frau dezent aufzeigen will, dass sie aber (noch) nicht den Mut<br />
hat, dies offen und zweifellos zu tun.<br />
Feministinnen sehen unter anderem dieses Bild als einen Anfang zur Veröffentlichung<br />
des unterwürfigen Lebens der Frau; als eine Protestaktion, die unterschwellig ihre<br />
Botschaft verbreitet, anstatt offensiv zu handeln.<br />
Doch <strong>Cindy</strong> Sherman hat keine solche Absicht. Sie zeigt lediglich eine inszenierte<br />
Geschichte, die nur durch dieses eine Bild vertreten wird. Dadurch, dass der Betrachter<br />
das Selbstauslöserkabel sehen kann, wird deutlich, dass Sherman nicht die Absicht hat,<br />
so naturgetreu und wahrheitsgemäß zu fotografieren, wie nur möglich; es wird viel<br />
mehr ihre Absicht des Inszenierens klar. Das Kabel ist der Beweis dafür, dass das Bild<br />
erfunden ist, dass die Frau darauf womöglich niemals in dieser Situation war, dass das<br />
Bild eben nur ein Bild ist, ohne wahre Hintergrundgeschichte.<br />
5.2. Untitled Film Still #16<br />
Abbildung 14<br />
Das ebenfalls 1978 entstandene Untitled Film Still #16<br />
zeigt eine auf einem Stuhl sitzende Frau, vor einer weiß<br />
gestrichenen Mauerwand.<br />
Der Hintergrund ist sehr kahl, bis auf ein kleines<br />
gerahmtes Foto von einem Mann an der rechten Seite<br />
der Wand. Auf einem dunklen Teppich steht ein<br />
sesselähnlicher Stuhl mit Armlehnen. Eine elegant in<br />
schwarz gekleidete Frau sitzt aufrecht und mit<br />
erhobenem Kopf darauf. In der linken, über die<br />
Armlehne herausgestreckten Hand hält sie einen<br />
gläsernen Aschenbecher; in der rechten Hand eine Zigarette. Zu ihrem knielangen Kleid<br />
oder Rock trägt sie helle, offene Absatzschuhe mit Schleifen über den Zehen.<br />
Fast direkt davor muss die Kamera gestanden haben. Man sieht die Frau aus einer sehr<br />
niedrigen Position, sieht sie von unten an, was ihr sehr viel Macht verleiht. Das leicht<br />
erhobene Kinn verstärkt diesen Eindruck noch.<br />
<strong>Die</strong>se Frau wirkt, als hätte sie sehr viel Einfluss auf die Menschen in ihrer Umgebung,<br />
sie scheint skrupellos und stark zu sein. Vielleicht ist sie ein wenig intrigant und<br />
hintergeht ihren Mann, der ihr von seinem Platz als Foto an der kahlen Wand aus<br />
14
zuschaut. Womöglich hat allein sie die Fäden in der Hand, anstatt sich ihrem und allen<br />
anderen Männern zu unterwerfen und an dem Bild der unterwürfigen, hilflosen Frau zu<br />
orientieren. Sie, so könnte man es interpretieren, verkörpert die emanzipierte Frau. Sie<br />
ist stark, selbstständig und vollkommen unabhängig von anderen. Sie macht nur das,<br />
was sie auch will und was sie glücklich macht. Sie ist ihr eigener Boss.<br />
<strong>Die</strong>ses Bild könnte die freudige Zukunft dargestellt haben, in der Frauen emanzipiert<br />
sind. Es stellt das Ende einer langen Reihe von Protesten und Kämpfen dar, ja sogar den<br />
„Sieg“ über die Männerwelt.<br />
Doch kann das sein? <strong>Die</strong> kahle weiße Wand <strong>im</strong> Hintergrund passt nicht wirklich zu der<br />
scheinbaren Geschichte dieser Frau. So eine mächtige Frau würde wohl kaum in so<br />
einem schäbigen Haus Verhandlungen führen, geschweige denn darin wohnen. <strong>Die</strong>se<br />
Frau auf dem Foto, sie spielt nur die große, starke Frau. Sie setzt ihre Körperhaltung<br />
und den Blickwinkel des Betrachters so ein, dass sie so wirkt, als wäre sie emanzipiert,<br />
als hätte sie das (ihr?) Ziel erreicht.<br />
Am Ende passt <strong>im</strong> Bild nicht viel zusammen. Feministische Gruppen sehen die<br />
Hoffnung auf das Erreichen ihrer Ziele bildlich dargestellt, doch sie verdrängen, dass<br />
dieses Bild eine reine Inszenierung ist, dass seine einzige Absicht ist, eine inszenierte,<br />
eine ausgedachte Geschichte zu erzählen.<br />
15
6. Nachwort<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman war für mich am Anfang eine sehr interessante Person, da sie sich<br />
selbst, ihre eigene Persönlichkeit unter all ihren Masken und Geschichten versteckt. Ich<br />
hatte gehofft, <strong>im</strong> Laufe der Jahresarbeit ein wenig ihrer eigenen Persönlichkeit zu<br />
erhaschen, doch ich wurde enttäuscht.<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman gilt zu Recht als eine sehr gute Fotografin in der inszenierten<br />
Fotografie. Es hat den Anschein, als inszenierte sie sich selbst sobald sie das Haus<br />
verlässt. Sie erfindet eine Fülle an meistens <strong>weibliche</strong>n Charakteren – einfach weil es<br />
ihr Spaß macht!<br />
Sherman wehrt sich gegen Vorwürfe der feministisch-politischen Intentionen in ihren<br />
Bildern, doch jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob sie mit der Zurückweisung<br />
dieser Vorwürfe nicht gegenteiliges bewirken will, also die <strong>im</strong>mer nähere und tiefere<br />
Behandlung solcher feministisch-politischen Bedeutungsmöglichkeiten.<br />
<strong>Die</strong> Spekulationen in meinem Bekanntenkreis reichen sogar so weit, dass Sherman eine<br />
mögliche Mitgliedschaft in einer gehe<strong>im</strong>en Feministinnengruppe zugesprochen wird,<br />
deren Erkennungszeichen das Entblößen der rechten Brust ist 39 ...<br />
Nach wie vor ist sie in jeglicher Hinsicht eine einzige Frage für mich. <strong>Die</strong> Hoffnung,<br />
etwas über die wahre Persönlichkeit einer so interessanten Frau, die so viele erfundene<br />
Persönlichkeiten besitzt, herauszufinden, bildete am Anfang der Jahresarbeit einen<br />
großen Reiz für mich. Doch Sherman spielt ihre Rollen sehr gut. Ihre eigene<br />
Persönlichkeit geht für die Öffentlichkeit <strong>im</strong> Gewirr anderer Rollen unter.<br />
Mir stellt sich hier die Frage, ob Sherman selbst noch weiß, wer sie selbst ist und<br />
welche Eigenschaften nur erfunden sind, einer ausgedachten Persönlichkeit<br />
entstammen.<br />
Insgesamt war das Thema meiner Arbeit sehr interessant, ich habe nur das<br />
Gefühl, dass ich jetzt, nach dem Bearbeiten, genauso wenig weiß, wie vorher, was für<br />
mich beweist, dass <strong>Cindy</strong> Sherman ein wahre Meisterin <strong>im</strong> Verkleiden und sich selbst<br />
Inszenieren ist.<br />
39 Wie z.B. auf demHistory Portrait #216<br />
16
7. Literaturverzeichnis<br />
Im <strong>Werk</strong> angegebene<br />
<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman, The Complete Untitled Film Stills, Schirmer-Mosel-Verlag,<br />
2003<br />
o ISBN 3-8296-0116-6<br />
<br />
Kunst heute Nr. 14, <strong>Cindy</strong> Sherman <strong>im</strong> Gespräch mit Wilfried Dickhoff,<br />
Kiepenheuer&Witsch, 1995<br />
o ISBN 3-462-02478-7<br />
<br />
The <strong>Cindy</strong> <strong>Shermans</strong>: inszenierte Identitäten: Fotogeschichten von 1840 bis<br />
2005, Böhlau, 2006<br />
o ISBN 978-3412307059<br />
Weitere <strong>Werk</strong>e<br />
<br />
Wahre Weibeskünste? Zur Problematik einer femininen Ästhetik in der<br />
zeitgenössischen Kunst: <strong>Cindy</strong> Sherman, Rosemarie Trockel und Rebecca Horn.<br />
/ Monika Laue, scaneg-Verlag München, 1996<br />
o ISBN 3-89235-109-0<br />
17
8. Bildquellen<br />
Abbildung 1: Untitled Film Still #58<br />
http://marciaminersroomwithaview.blogspot.de/2010/11/cindy-sherman.html<br />
Abbildung 2: Disaster<br />
#175http://www.moma.org/interactives/exhibitions/2012/cindysherman/galle<br />
ry/audio/2-175.php<br />
Abbildung 3: Centerfold #92<br />
http://www.handelsblatt.com/panorama/kunstmarkt/cindy-sherman<strong>weibliche</strong>n-archetypen-<strong>im</strong>-fokus/6309402.html<br />
Abbildung 4: History Portrait #216<br />
http://www.altertuemliches.at/termine/ausstellung/female-trouble<br />
Abbildung 5: Sex Picture #253<br />
http://www.christies.com/lotfinder/photographs/cindy-sherman-untitled-<br />
5558042-details.aspx<br />
Abbildung 6: Clown #131<br />
http://sarahsvisualexplorations.blogspot.de/2012/03/blog-post_03.html<br />
Abbildung 7: Film Still aus „Twilight“<br />
http://www.fanpop.com/clubs/twilight-series/<strong>im</strong>ages/6408503/title/hqfilmstills-photo<br />
Abbildung8: Untitled Film Still #3<br />
http://<strong>im</strong>ageobjecttext.com/2012/01/19/in-the-kitchen-with-cindy/<br />
Abbildung 9:Untitled Film Still #15<br />
http://www.masters-of-photography.com/S/sherman/sherman_15_full.html<br />
Abbildung 10: Untitled Film Still #12<br />
http://www.christies.com/lotfinder/photographs/cindy-sherman-untitled-<br />
4985529-details.aspx<br />
Abbildung 11: Demonstrierende Frauen in der Walpurgisnacht<br />
http://www.planetwissen.de/alltag_gesundheit/frauen/frauenbewegung/index.jsp<br />
18
Abbildung 12: Untitled Film Still #10<br />
http://www.masters-of-photography.com/<strong>im</strong>ages/full/sherman/<br />
sherman_untitled_10.jpg<br />
Abbildung 13: Untitled Film Still #16<br />
http://www.moma.org/interactives/exhibitions/1997/sherman/<br />
untitled16.html<br />
9. Internetquellen<br />
http://www.cindysherman.de/biografie/<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman, geboren 1954 in Glen Ridge einem Vorort von New York, wuchs als<br />
jüngstes von 5 Kindern in Huntington, Long Island auf. Ihr Vater war Ingenieur, die<br />
Mutter Lehrerin.<br />
Von Künstlern wie Salvadore Dali und Picasso inspiriert, studierte sie nach der High<br />
School in den Jahren 1972-1976 Kunst an der State University of New York at Buffalo.<br />
Zunächst studierte sie Malerei, dann wechselte sie jedoch recht schnell zur Fotografie.<br />
Während ihrer Studienzeit traf sie den Künstler Robert Longo, der entscheidenden<br />
Einfluss auf ihr Leben hatte.<br />
Zusammen mit Robert Longo und Charles Clough, einem befreundeten Künstler, schuf<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman einen Raum für unabhängige Künstler, Hallwalls genannt. Hier konnten<br />
junge Künstler ihre Fotoarbeiten ausstellen. Auch heute sind die Hallwalls noch<br />
existent.<br />
Nach Abschluss ihres Studiums <strong>im</strong> Jahre 1976 beschloss sie, sich in New York<br />
niederzulassen. Mit dem Vidiokünstler Michel Auder war sie zwe<strong>im</strong>al verheiratet. Beide<br />
Ehen wurden jedoch geschieden.<br />
Im Jahre 1977 begann sie sich selbst zu fotografieren und zu inszenieren. Noch heute<br />
lebt und arbeitet <strong>Cindy</strong> Sherman in New York und wird als eine herausragende<br />
Künstlerin der inszenierten Fotografie beschrieben.<br />
http://www.cindysherman.de/1980_rear-screen-projections_centerfolds_pinkrobes_fashion-fotos/<br />
19
Centerfolds – 1981<br />
Mit der Serie Centerfolds <strong>im</strong> Jahre 1981 entstanden provokativere Aufnahmen, wobei<br />
hier der Blick der Kamera für diesen Eindruck sorgte.<br />
Aus der Vogelperspektive entstanden Nahaufnahmen von Frauenrollen in<br />
verschiedenen Verkleidungen und Posen. <strong>Die</strong> Konzentration liegt hier besonders auf<br />
dem Modell und der damit verbundenen Verwandlung durch Make-up, Frisur und<br />
Kleidung.<br />
Der Eindruck von der Dominanz der Kamera, bestärkt durch die gewählte Perspektive<br />
und einem unterwürfig wirkenden Modell, erinnerten stark an Aufnahmen des Playboy-<br />
Centerfolds, was durchaus beabsichtigt war.<br />
<strong>Die</strong>se Aufnahmen greifen das Prinzip der Mittelseiten best<strong>im</strong>mter Unterhaltungs- und<br />
Modemagazine auf. Das Magazin Artforum, welches <strong>Cindy</strong> Sherman beauftragte ein<br />
Bild für eine Doppelseite herzustellen, lehnte letztendlich die Serie ab.<br />
http://www.cindysherman.de/1985_fairy-tales-und-disasters_history-portraits/<br />
History Portraits – 1988-1990<br />
<strong>Die</strong> Serie History Portraits entstand in den Jahren 1988-1990. <strong>Die</strong>se Arbeiten sind noch<br />
größer als die Fashion- Fotos und in der Regel hinter Plexiglas montiert. Schon<br />
hierdurch wird der kunsthistorische Bezug geschaffen.<br />
In dieser Serie inszenierte sich <strong>Cindy</strong> Sherman als historisches Gemälde nach Art der<br />
Alten<br />
Meister.<br />
Sie verwendete oft historische Gemälde als Vorlage, wie die von Jean Fouquet oder<br />
Caravaggio. Jedoch sind nicht in allen Fällen konkrete Vorlagen identifizierbar.<br />
Sie setzt sich hier selbst an die Stelle der oder des Dargestellten und verfremdet sowohl<br />
Wirkung als auch Aussage des ursprünglichen <strong>Werk</strong>es.<br />
Ihr zentrales Thema ist dabei die Kostümierung und das Rollenspiel bezogen auf die<br />
Kunstgeschichte.<br />
Der Bezug zur Rolle der Frau in der Geschichte der Kunst, also Frauen als Modelle des<br />
Malers wird deutlich.<br />
<strong>Cindy</strong> Sherman setzt auch in dieser Serie Accessoires wie Perücken und Prothesen ein,<br />
die das Abbild teilweise ins Komische verzerren.<br />
Sie demontiert auch hier die einstige Aussage des Portraits, welches Idealisierte. Der<br />
20
damalige Schritt in Richtung der Veredelung und Verschönerung des Körpers, findet<br />
bei <strong>Cindy</strong> Sherman, durch die Verwendung von Prothesen, seine Entsprechung zum<br />
Grotesken hin. <strong>Die</strong> <strong>Darstellung</strong>en sprechen die Idealisierung der Portraitmalerei an,<br />
zeigen aber auch die Kluft zwischen einem Ideal und dem wirklichen Körper mit seinen<br />
Mängeln.<br />
Sie könnte auf das ausgeprägte Schönheitsideal der heutigen Zeit verweisen und es<br />
dadurch in Frage stellen.<br />
http://www.filmstills.at/aktuell1.htm<br />
ÜBER STANDFOTOGRAFIE<br />
DER GANZE FILM AUF EINEM BILD<br />
Der Standfotograf ist das einzige Teammitglied, das nicht unmittelbar mit der Herstellung<br />
des Filmes zu tun hat. Meistens ist er auch nicht ständig am Set anwesend, es genügen ihm<br />
etwa zwei Drittel der Drehzeit, um alle entscheidenden Szenen zu fotografieren. Das<br />
wichtigste Ergebnis des Standfotografen sind die Stills – eben jene Standfotos, die später in<br />
Schaukästen der Kinos sowie bei der Filmberichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften<br />
zu sehen sind und den unentschlossenen Besucher überzeugen sollen.<br />
Da sich diese Fotoauswahl letztendlich auf zwei Dutzend Fotos beschränkt, steht der<br />
Standfotograf vor einer großen Aufgabe: Mit wenigen Fotos müssen die entscheidenden<br />
Elemente der Geschichte eingefangen werden, dabei müssen alle Hauptdarsteller zu sehen<br />
sein, die wichtigsten Szenenbilder und eventuelle spektakuläre Ereignisse wie Stunts,<br />
Spezialeffekte und Massenszenen.<br />
Um die Geschichte des Filmes auf Fotos richtig wiedergeben zu können, muss der<br />
Standfotograf den Look des Filmes <strong>im</strong>itieren, d.h. er verwendet in etwa die gleichen Filter,<br />
wie sie die Kameraabteilung benutzt und versucht außerdem, seine Bilder <strong>im</strong> gleichen Licht<br />
in Szene zu setzen. Dafür stehen ihm drei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder nutzt er<br />
die Probe für seine Fotos oder er wartet, bis die Szene gedreht ist, und stellt dann mit den<br />
Darstellern die wichtigsten Positionen nach. Oder er verfügt über eine „gebl<strong>im</strong>pte“ , also<br />
schallgedämpfte Kamera, die es ihm erlaubt, auch während des Drehs der Szene zu<br />
fotografieren. Das Problem bei den ersten beiden Möglichkeiten: In der Probe fehlt<br />
vielleicht noch das perfekte Licht, und nach dem Dreh der Szene soll schnell umgebaut<br />
21
werden - wer hat da Zeit für Standfotos? Doch auch die Fotografie während des laufenden<br />
Takes hat Nachteile, der Fotograf kann kaum den Standort wechseln und muss den idealen<br />
Standpunkt der Filmkamera überlassen. Es ist also nicht ganz leicht, ein gutes<br />
Arbeitsergebnis zu erzielen, und am Ende wird der Fotograf alle drei Möglichkeiten etliche<br />
Male in Anspruch genommen haben. <strong>Die</strong> Kunst seines Metiers besteht vor allem darin, die<br />
St<strong>im</strong>mung des Filmes auf die Fotos zu bannen und dies muss nicht unbedingt anhand der für<br />
den Film wichtigsten Szenenbestandteile geschehen. Manchmal sagt ein Gesichtsausdruck<br />
oder ein Stillleben viel mehr über eine Geschichte aus als eine Fotosammlung sämtlicher<br />
Ereignisse des Filmes. So ist der Standfotograf <strong>im</strong>mer auf der Jagd nach dem einen,<br />
repräsentativen Foto, das den ganzen Film in einem Bild wiedergibt.<br />
Bei eigentlich jedem Filmprojekt finden so genannte Foto-Vorproduktionen statt. Hierbei<br />
wirkt der Fotograf dann unmittelbar am Film mit, handelt es sich doch um Fotorequisiten,<br />
die für den Film extra produziert werden müssen. Wenn die Hauptdarstellerin <strong>im</strong> Film als<br />
große Konzertpianistin präsentiert wird, werden Plakate benötigt, auf denen sie am Klavier<br />
zu sehen ist, und in ihrem Wohnz<strong>im</strong>mer sollen Fotografien von ihr herumstehen. Ihre<br />
Filmfigur hat Kinder und viele Geschwister, in Wirklichkeit ist die Schauspielerin<br />
Einzelkind und kinderlos – also müssen all diese Fotos „besetzt“ und erst einmal hergestellt<br />
werden. Ehe das nicht geschehen ist, können die Szenen <strong>im</strong> Wohnz<strong>im</strong>mer der Pianistin nicht<br />
gedreht<br />
werden.<br />
Eine weitere Aufgabe der Standfotografie umfasst die Arbeitsfotos, die die Dreharbeiten<br />
fotografisch dokumentieren. Einige dieser Fotos werden schon während der laufenden<br />
Dreharbeiten zur Veröffentlichung in der Presse genutzt, die meisten davon kommen in<br />
Vorbereitung des Kinostarts zum Einsatz, als Pressematerial , aber auch für die<br />
Verleihpublikationen, z.B. auf den Internetseiten des Verleihes bzw. des Filmes; dies gilt<br />
natürlich auch für die Standfotos.<br />
http://www.planet-wissen.de/alltag_gesundheit/frauen/frauenbewegung/<br />
index.jsp<br />
Frauenbewegung - der Kampf für Gleichberechtigung<br />
"Wir sind die Frauen-Befreiungs-Front!" riefen in den 1970er Jahren die<br />
rebellierenden Frauen von New York bis Berlin: Sie hatten es satt, von Männern<br />
22
evormundet zu werden. Sie wollten ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Sie kämpften<br />
für eine Welt, in der Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt sind. Und in der es<br />
Spaß macht, eine Frau zu sein.<br />
Der Herr <strong>im</strong> Haus<br />
1949 setzte die sozialdemokratische Abgeordnete Elisabeth Selbert durch, dass die<br />
Gleichberechtigung in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen<br />
wurde. Artikel 3 lautet somit: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". In der<br />
Realität jedoch waren die Frauen in den 1950er und 60er Jahren alles andere als<br />
gleichberechtigt. Ein uneheliches Kind war für die Frau gesellschaftlich eine<br />
Katastrophe, seine Mutter erhielt nicht einmal das Sorgerecht. Das Ehe- und<br />
Familienrecht best<strong>im</strong>mte den Mann zum Alleinherrscher über Frau und Kinder. Eine<br />
Ehefrau musste ihrem Mann jederzeit sexuell zur Verfügung stehen. Wenn er sie und die<br />
Kinder misshandelte, galt das als Privatsache. Verheiratete Frauen durften nur dann<br />
arbeiten gehen, wenn der Mann es ihnen erlaubte. Noch in den 1970er Jahren gab es<br />
die sogenannten "Leichtlohngruppen". Und auch wenn eine Frau dieselbe Arbeit<br />
verrichtete, wie ein Mann, bekam sie dafür viel weniger Geld.<br />
Büstenhalter brennen<br />
<strong>Die</strong> sogenannte erste Welle der Frauenbewegung entstand ab Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts in den USA und kämpfte damals unter anderen für das Frauenwahlrecht.<br />
In den 1960er Jahren begann nun die zweite Welle - und zwar an vielen Orten<br />
gleichzeitig. In den USA schrieb Betty Friedan 1963 ihren Bestseller "Der<br />
Weiblichkeitswahn", in dem sie mit der typischen Frauenrolle abrechnete. In<br />
Frankreich verfasste S<strong>im</strong>one de Beauvoir schon 1949 "Das andere Geschlecht", das<br />
unzählige Frauen in aller Welt zu ihrer "Bibel" machten. <strong>Die</strong> Philosophin und<br />
Schriftstellerin erklärte in diesem Buch: "Man wird nicht als Frau geboren, man wird<br />
dazu gemacht". Und meinte damit: Frauen sind nicht von Natur aus unterwürfig,<br />
unselbständig und hilflos. Sie werden nur von klein auf dazu erzogen. Aber sie können<br />
auch anders. Das machte den jungen Frauen in den späten 1960er Jahren Mut. Und<br />
bald erklärten sie öffentlich: "Wir entscheiden nun selbst, wie wir leben, lieben und<br />
aussehen wollen!" In den USA verbrannten Aktivistinnen der Frauenbewegung<br />
öffentlich ihre BHs. In Amsterdam kniffen die "Dollen Minnas" Männer in den Po. Und<br />
in Rom sangen Frauen auf einer Demonstration: "Tremate, tremate, le streghe son<br />
tornate!" ("Zittert, zittert, die Hexen sind zurückgekehrt!").<br />
23
Tomaten fliegen<br />
<strong>Die</strong> Studentinnen, die <strong>im</strong> SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund aktiv<br />
waren, stellten fest: <strong>Die</strong> marxistische Theorie, die sie so begeistert verschlangen,<br />
stammte fast ausschließlich von Männern - und Frauen kamen darin nicht vor. Sie<br />
ärgerten sich darüber, dass ihre Genossen zwar alle Völker dieser Erde befreien<br />
wollten, nur nicht ihre eigenen Gefährtinnen. Denn auch die 68er Revolutionäre<br />
wünschten sich Frauen, die ihnen die Wäsche wuschen, die Flugblätter tippten und<br />
dabei möglichst attraktiv aussahen. Im September 1968 tagte in Frankfurt der<br />
Bundeskongress des SDS. Und wieder einmal wollten die Genossen nicht hören, was die<br />
Frauen zu sagen hatten. Da holte die Berliner Delegierte Sigrid Rüger drei Tomaten<br />
aus ihrer Tasche und warf sie in Richtung Podium. Zwei davon trafen - und klatschten<br />
einem der "Obergenossen" ins Gesicht.<br />
"Mein Bauch gehört mir"<br />
Anfang der 1970er Jahre entstanden von Kiel bis Konstanz Frauengruppen und<br />
Frauenzentren. Sie alle nahmen gemeinsam den Kampf gegen den Paragrafen 218, den<br />
Abtreibungsparagrafen, auf. Der Schwangerschaftsabbruch war verboten, er musste<br />
he<strong>im</strong>lich durchgeführt werden, war teuer, erniedrigend und manchmal<br />
lebensgefährlich. Männer entschieden darüber, ob eine Frau ein Kind bekommen sollte<br />
oder nicht. <strong>Die</strong> Frauenbewegung aber sagte: Weder Richter, noch Ärzte, geschweige<br />
denn Theologen haben das Recht, über den Körper und das Leben einer Frau zu<br />
best<strong>im</strong>men. Und sie forderten: Der Paragraf 218 muss ersatzlos gestrichen werden.<br />
1974 trat eine Neuregelung des Paragrafen 218 nach dem Indikationsmodell in Kraft,<br />
das einen Schwangerschaftsabbruch unter best<strong>im</strong>mten medizinischen, sozialen oder<br />
ethischen Gründen erlaubte. Seit 1995 ist die Fristenlösung gültig, die einen Abbruch in<br />
den ersten drei Schwangerschaftsmonaten zulässt, wenn vorher eine Beratung<br />
stattgefunden hat.<br />
Selbst ist die Frau<br />
Von der Auseinandersetzung mit Abtreibung und Schwangerschaft war es nicht weit zur<br />
Beschäftigung mit den Themen Ehe, Mutterschaft, Sexualität. <strong>Die</strong> Frauen stellten fest,<br />
dass sie über ihren eigenen Körper kaum Bescheid wussten. Sie fragten sich: "Wie<br />
gehen wir mit uns selber um, und was tun wir uns an? Was ist Schönheit? Was sind<br />
unsere eigenen Bedürfnisse, und wann erfüllen wir nur die der Männer?" Und die neue<br />
24
Frauenbewegung beschränkte sich nicht aufs Reden und Fordern. Sie schritt auch<br />
selbst zur Tat. Als die Feministinnen herausfanden, wie viele Frauen von ihren<br />
Männern misshandelt werden, schufen sie "Häuser für geschlagene Frauen", kurz<br />
"Frauenhäuser" genannt. Sie richteten "Notrufe" ein, in denen Vergewaltigungsopfer<br />
Beistand fanden. Und sie sorgten dafür, dass der sexuelle Missbrauch von Mädchen<br />
(und Jungen) nicht mehr stillschweigend hingenommen wurde. Sie gründeten Verlage,<br />
Buchhandlungen, Zeitungen, Archive und Gesundheitszentren. Sie veranstalteten<br />
Ausstellungen, Konzerte, Filmfestivals. Viele dieser Projekte und Initiativen gibt es<br />
auch heute noch.<br />
<strong>Die</strong> Erfolge<br />
<strong>Die</strong> neue Frauenbewegung hat viel erreicht. Frauen haben mehr Selbstbewusstsein und<br />
bessere berufliche Chancen als vor 30 Jahren. Sie sind rechtlich endlich in allen<br />
Bereichen den Männern gleichgestellt. Ein uneheliches Kind ist keine Schande mehr.<br />
Scheidungen stürzen Frauen nicht mehr in Existenznot. Ehemänner, die ihre Frauen<br />
und Kinder schlagen, müssen (wenn die Frau das will) die Wohnung verlassen.<br />
Vergewaltigung in der Ehe ist nicht mehr rechtens. In Kinderbüchern (und <strong>im</strong> wahren<br />
Leben) sind Mädchen häufig mutig klug und ganz schön frech. Es gibt Pfarrerinnen und<br />
Museumsdirektorinnen, Pilotinnen und Chefärztinnen, Schreinerinnen und<br />
Webdesignerinnen.<br />
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