Artikel im lesefreundlichen Magazinformat als PDF ... - Greenpeace
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© <strong>Greenpeace</strong> / Thomas Stutz<br />
Heisse Phase <strong>im</strong><br />
gentech-Moratorium<br />
Gentech<br />
Das Moratorium für den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter<br />
Pflanzen endet 2017. Vieles spricht für ein generelles Verbot, aber Wirtschaft<br />
und Wissenschaft stemmen sich vehement dagegen.<br />
Essay von Luigi D’Andrea, Geschäftsführer, und Fabien Fivaz,<br />
Präsident von StopOGM<br />
Die Auseinandersetzung um die Weiterführung oder Aufhebung des<br />
Schweizer Moratoriums für den kommerziellen Anbau von gentechnisch<br />
veränderten Pflanzen (GVP) wird wieder aktuell. 2005 hatten die<br />
Schweizer St<strong>im</strong>mberechtigten in allen Kantonen mit grosser Mehrheit<br />
ein fünfjähriges Moratorium für den kommerziellen Anbau von<br />
Gentechpflanzen angenommen, gegen den Willen von Parlament und<br />
Bundesrat. Das Moratorium wurde 2010 erstm<strong>als</strong> bis Ende 2013<br />
verlängert und nun erneut bis Ende 2017. Die erste Verlängerung sollte<br />
den Abschluss und die Analyse der Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms<br />
NFP 59 über Nutzen und Risiken der Freisetzung<br />
von GVP ermöglichen. Mit der zweiten Verlängerung verlangt das<br />
Parlament bis Ende 2016 eine Kosten-Nutzen-Analyse über gentechnisch<br />
veränderte Organismen (GVO) und gibt sich die Zeit, allenfalls ein<br />
Gesetz über die Koexistenz zu erlassen, um den gleichzeitigen Anbau<br />
konventioneller und gentechnisch veränderter Pflanzen zu regeln.<br />
Die politische St<strong>im</strong>mung ist für Gentechpflanzen denkbar<br />
un günstig. Die Bevölkerung und die Bäuerinnen und Bauern sind mehrheitlich<br />
dagegen. Auch setzen alle landwirtschaftlichen Strategien des<br />
Magazin <strong>Greenpeace</strong><br />
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Bundes auf Qualität, womit GVO faktisch ausgeschlossen sind (bei<br />
vielen Schweizer Labels ist das bereits der Fall). Nun hat der Bundesrat<br />
Anfang Jahr ein Paket von gesetzgeberischen Änderungen in die Vernehmlassung<br />
geschickt, das den Anbau von GVO nach Ablauf des Moratoriums<br />
<strong>im</strong> Jahr 2018 ermöglichen soll. Es geht um eine Revision des<br />
Gentechnikgesetzes, die einen gesetzlichen Rahmen für gentech nikfreie<br />
Zonen schafft. Weiter soll eine Koexistenz-Verordnung erlassen werden<br />
betreffend die Bedingungen des Anbaus (Isolationsabstand zwischen<br />
konventionellen und gentechnisch veränderten Kulturen usw.).<br />
Mit Ausnahme der Wirtschaft weisen sämtliche Stellungnahmen<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Vernehmlassung die Aufhebung des Gentech-Verbots<br />
zurück. Die meisten Kantone, sowie die Landwirtschafts-, Umweltschutz-<br />
und Konsumentenverbände wollen gar nicht erst auf die Vorlage<br />
eintreten. Aus ihrer Sicht sollte der Bundesrat auf sein Vorhaben<br />
verzichten: Die kleinräumige und heterogene Struktur der Schweizer<br />
Landwirtschaft, die Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion<br />
auf Qualität statt auf Quantität, die Kostensteigerung durch eine allfällige<br />
Einführung von GVO und die ablehnende Haltung der Konsumentinnen<br />
und Konsumenten sprechen gegen die Zulassung von Gentechpflanzen.<br />
Rein technisch werden die vorgeschlagenen Isolationsabstände<br />
<strong>als</strong> ungenügend beurteilt. Zudem verlangen die meisten Kantone<br />
die Möglichkeit, GVO auf ihrem Kantonsgebiet ganz zu verbieten, was<br />
<strong>im</strong> derzeitigen Entwurf nicht vorgesehen ist. Aus der Sicht von StopOGM<br />
geht es nicht an, dass grundsätzlich eine Koexistenz von GVO und<br />
kon ventionellen Pflanzen eingeführt wird, wobei die Möglichkeit besteht,<br />
einfach gentechnikfreie Zonen auszuscheiden. Vielmehr muss die ganze<br />
Schweiz gentechnikfreies Gebiet bleiben. StopOGM schliesst sich der<br />
Meinung der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie<br />
<strong>im</strong> Ausserhumanbereich (EKAH) an: Die Wahlfreiheit ist demnach kein<br />
Anspruchsrecht, sondern ein Abwehrrecht. Abwehrrecht bedeutet, dass<br />
der Staat nicht verpflichtet ist, für die Möglichkeit des Anbaus von<br />
GVP zu sorgen. Im Gegenteil: Landwirtschaftsbetriebe, die GVP anbauen<br />
wollen, sollen die Schaffung von Gentech-Zonen begründen müssen.<br />
Somit steht ein definitives Verbot von GVO in der Schweiz<br />
erneut auf der Tagesordnung. Falls der Bundesrat auf seiner Absicht<br />
beharrt und eine Mehrheit <strong>im</strong> Parlament findet, stellt sich die Frage nach<br />
der Lancierung einer entsprechenden Initiative <strong>als</strong> Gegenmassnahme.<br />
Wissenschaftliche Offensive für Gentech<br />
«GVO stellen weder für die Gesundheit noch für die Umwelt ein<br />
Risiko dar», verkündete der Schlussbericht des NFP 59 lauth<strong>als</strong>. Aber<br />
wie stichhaltig ist diese Aussage? Be<strong>im</strong> NFP 59 wurden die Versuche <strong>im</strong><br />
Bereich der Biosicherheit mehrheitlich mit Weizensorten und frühen,<br />
nicht kommerzialisierten Genmaissorten durchgeführt, und zwar unter<br />
exper<strong>im</strong>entellen Bedingungen, die nichts mit der Realität zu tun haben.<br />
Magazin <strong>Greenpeace</strong><br />
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Gentech<br />
Die Erkenntnisse aus kleinräumigen, kurzfristigen Versuchen sind nicht<br />
auf den grossflächigen, langfristigen Anbau auf kommerzieller Basis<br />
übertragbar. Es ist wissenschaftlich nicht haltbar, aus diesen Versuchen<br />
zu schliessen, GVO stellten generell für die Umwelt kein Risiko dar. Der<br />
Schlussbericht des NFP 59 ist <strong>im</strong> Übrigen das Produkt eines fachfremden<br />
Kommunikationsteams des Schweizerischen Nationalfonds.<br />
Unter den beteiligten Forschenden ist der Text inhaltlich umstritten.<br />
Gesundheitliche Aspekte, worüber sich der Schlussbericht auch<br />
äussert, wurden <strong>im</strong> NFP 59 gar nicht untersucht. Hier wurde lediglich<br />
die vorhandene Literatur analysiert. Das Fazit diesbezüglich fällt<br />
indessen nicht so eindeutig aus wie der Schlussbericht. Beispielsweise<br />
ist zu lesen: «Die Toxizitätsanalysen beruhen auf Tests zur Identifikation<br />
akuter toxischer Effekte. Mittel- und langfristige Auswirkungen<br />
sind schwierig nachzuweisen, es fehlen geeignete und aussagekräftige<br />
Testverfahren.»<br />
Ende Februar 2013 erhielt das Parlament von den Akademien<br />
der Wissenschaften Schweiz (AWS) einen offenen Brief mit Titel «Kein<br />
schleichendes Gentechnikverbot in der Schweizer Landwirtschaft».<br />
Das Schreiben wirft den Parlamentsmitgliedern vor, die Ergebnisse des<br />
NFP 59 nicht zu berücksichtigen. Das Forschungsprogramm habe<br />
gezeigt, dass GVO keine höheren Risiken für Umwelt und Gesundheit<br />
darstellten <strong>als</strong> herkömmliche Pflanzen. Die AWS halten die Koexistenz<br />
für möglich und sind der Ansicht, die Schweizer Landwirtschaft dürfe<br />
sich künftigen Entwicklungen der Gentechnik nicht verschliessen.<br />
Obwohl das Gentech-Moratorium auf einer Volksabst<strong>im</strong>mung beruht,<br />
behaupten die Akademien der Wissenschaften, die Ablehnung von<br />
GVO durch die Bevölkerung und die Bauern sei eine reine Annahme.<br />
Was sie aber nicht daran hindert, <strong>im</strong> gleichen Schreiben einen demokratischen<br />
Entscheid über die Zukunft der Gentechnik in der Schweizer<br />
Landwirtschaft zu fordern. Der Brief betont weiter, ein Schweizer<br />
GVO-Verbot würde die Forschung insgesamt behindern.<br />
Kurz darauf stellten die AWS an einer Pressekonferenz <strong>im</strong> Parlament<br />
ihren neuen Bericht vor: «Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen<br />
und ihre Bedeutung für eine nachhaltige Landwirtschaft in der<br />
Schweiz». Die Strategie besteht ganz offensichtlich darin, die Gentechnik<br />
mit dem grünen Wörtchen «nachhaltig» zu verbinden. Letztlich<br />
soll GVO absurderweise der biologischen Landwirtschaft schmackhaft<br />
gemacht werden.<br />
Im Brief der Akademien der Wissenschaften offenbart sich<br />
zudem eine gehörige Portion Ignoranz gegenüber politischen Entscheidungsprozessen.<br />
Würde sich Politik darauf beschränken, wissenschaftliche<br />
Schlussfolgerungen durchzuwinken, so könnte man die<br />
politischen Instanzen gut und gerne durch einen wissenschaftlichen<br />
Beirat ersetzen. Dass Expertenmeinungen politische Entscheide<br />
überflüssig machen sollen, wäre jedoch eine gefährliche Entwicklung.<br />
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Zudem räumen Expertinnen und Experten selbst ein, dass viele<br />
Ungewissheiten bestehen bleiben. Wissenschaftliche Befunde können<br />
daher nicht <strong>als</strong> die reine Wahrheit angesehen werden. Deutliche Worte<br />
an die Adresse der AWS seitens von Parlamentsmitgliedern blieben<br />
denn auch nicht aus. Sie forderten vertiefte Forschungen zum Thema und<br />
hielten fest: «Ob in der Schweiz gentechnisch veränderte Pflanzen<br />
angebaut werden sollen, ist kein rein technischer Entscheid und es geht<br />
auch nicht ausschliesslich um Biosicherheit. Es handelt sich um die<br />
Frage, in welcher Gesellschaft wir leben möchten, welche Landwirtschaft<br />
und welche Lebensmittel wir wollen.»<br />
Biologische Landwirtschaft schliesst GVO und jegliche ins Genom<br />
eingreifenden Technologien grundsätzlich aus. Diese international<br />
geltenden Richtlinien werden die Akademien der Wissenschaften nicht<br />
aushebeln können, auch wenn sie ihr Konzept einer «nach haltigen<br />
Gentechnologie» weiter propagieren.<br />
Es wird Freisetzungsversuche geben<br />
Das Moratorium erlaubt Freisetzungsversuche zu Forschungszwecken.<br />
Ende Januar hat die Universität Zürich ein Gesuch für solche<br />
Versuche <strong>im</strong> Zeitraum 2014–2015 eingereicht. Es geht um Tests mit<br />
mehltauresistenten Genweizenlinien, die denjenigen sehr ähnlich sind,<br />
welche bereits 2008–2009 <strong>im</strong> Rahmen des NFP 59 untersucht wurden.<br />
Eine Million Franken Steuergelder wird der Bau des dafür nötigen<br />
geschützten Versuchsstandorts in Reckenholz ZH kosten.<br />
Die Freisetzungsversuche sollen zeigen, ob die Expression von<br />
Resistenzgenen unabhängig von der Umgebung erfolgt und ob das<br />
Einbringen von Resistenzgenen an unterschiedlichen Stellen <strong>im</strong> Genom<br />
die Funktion anderer Gene beeinflusst. Das sind jedoch Fragen, die<br />
bereits in den ersten Versuchen beantwortet wurden.<br />
Die Notwendigkeit von Freisetzungsversuchen und agronomischen<br />
Ertragsexper<strong>im</strong>enten ist für StopOGM nachvollziehbar für Linien,<br />
die in der Umwelt, d.h. in der Landwirtschaft, eingesetzt werden<br />
sollen. Im vorliegenden Fall betonen die Forschenden jedoch, dass die<br />
Versuche der Grundlagenforschung dienten und keine Vermarktung<br />
beabsichtigt sei. Das tun sie mit gutem Grund, denn der Mehltau ist für<br />
die Schweizer Landwirtschaft gar kein Problem. Tests <strong>im</strong> Gewächshaus<br />
sind viel besser geeignet, um die genetische Stabilität einer<br />
gentechnisch veränderten Linie zu analysieren. Unter diesen Bedingungen<br />
ist die Umgebung genau kontrolliert und es können direkte<br />
Kausalzusammenhänge zwischen der Variation eines Faktors und den<br />
Auswirkungen auf die Pflanze erkannt werden.<br />
Die öffentliche Forschung sollte ihre Mittel unseres Erachtens<br />
besser für die klassische Agronomie verwenden und Lösungen suchen,<br />
die der Schweizer Landwirtschaft wirklich nützlich sind.<br />
Mehr Informationen und Newsletter abonnieren: www.stopogm.ch<br />
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