4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...
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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Die doppelte Einbindung von Gedächtnisinhalten in eine Komplexionshierarchie und eine Abstraktionshierarchie - die sich auch auf Handlungsschemata übertragen läßt - veranschaulicht folgendes Beispiel DÖRNERs (1987, S. 32): reiner Stoff ie Elementarteilchen h Atom h Molekül h Verbindung Element ie ie ie ie ie Elektron Neutron h Proton h h H-Atom N-Atom O-Atom h h NH -Molekül 3 h H 2 O-Molekül h h Sauerstoff Wasser Ammoniak Abbildung 34: Beispiel für die doppelt hierarchische Ordnung des Abbildes eines Realitätsbereichs („ie“ steht für die „ist-ein-Relation“, „h“ für die „hat-als-Teil-Relation). Quelle: DÖRNER 1987, S. 32. − In der horizontalen Dimension der Abbildung läßt sich von links nach rechts die Komplexbildung nachvollziehen. Charakteristisch ist hier die durch „h“ gekennzeichnete „hatals-Teil-Relation“. − In der vertikalen Dimension erfolgt die Klassenbildung hin zu abstrakteren Konzepten. Kennzeichnend für diesen Prozeß ist eine Verringerung der Anzahl konstitutiver Merkmale, und zugleich eine Erweiterung der Anzahl der Exemplare, die unter den abstrakteren Begriff zu subsumieren ist. − Die Abbildung macht zugleich deutlich, daß die Abstraktion nicht ziellos erfolgt, sondern daß Merkmale nur insoweit vernachlässigt werden, als es einem bestimmten Handlungsoder Erkenntnisinteresse dient. Anders gewendet: Das Bilden von Abstraktionen macht nur dann Sinn, wenn die Abstraktion wiederum mit ihren spezifischen Merkmalen in Komplexionszusammenhänge eingebunden ist. Genau dies erfolgt im Schaubild sowohl auf der konkreten als auch auf der abstrakten Ebene. Durch Abstraktion wird es möglich, eine singuläre Aussage oder Erfahrung als charakteristisch für eine - durch die invariante Grundstruktur gekennzeichnete - Klasse von Voraussetzungen oder Situationen zu erkennen. Dies wiederum ermöglicht es, Aussagen über Zusammenhänge in Komplexionen zu generalisieren und schließlich auf Situationen zu transferieren, die zwar subjektiv neu, jedoch - in ihrer abstrakten Grundstruktur - eben doch bekannt sind. 283
Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen In diesem Sinne kann die Abstraktion - ganz im Sinne der Modelltheorie STACHOWIAKs - als reduzierendes, akzentuierendes Modell der durch sie repräsentierten Klasse von Phänomenen angesehen werden. Als Prototyp der Abstraktion ist dabei der Begriff anzusehen. Auf der begrifflichen Ebene läßt sich der Übergang vom Konkreten zum Abstrakten am besten veranschaulichen; am begrifflichen Denken und am begrifflich oder symbolisch kodierten Wissen läßt sich die Funktion der Abstraktion am deutlichsten erkennen: Sie erlaubt es, Erfahrungen, die der Mensch im Zuge seines Handelns, Wahrnehmens und Denkens macht, aus ihrer Singularität zu lösen, Regelhaftigkeiten in der Zeit, Invarianzen in der Vielfalt der Phänomene zu erkennen. Und schließlich ermöglicht es die begriffliche Abstraktion, über menschliche Erfahrungen und den Versuch, diese Erfahrungen zu generalisieren und zu übertragen, zu kommunizieren. Die doppelte Leistung des Begriffes, Beziehungen in Komplexionshierarchien und in Abstraktionshierarchien herzustellen und dadurch Erkenntnis und Orientierung zu ermöglichen, verdeutlicht AEBLI (1981, S. 89), wenn er „die Gütezeichen des Begriffs“ definiert: „Die minimale Anforderung an einen Begriff besteht darin, daß er dem Menschen erlaubt, eine bestimmte Erscheinung wiederzuerkennen, sie zu identifizieren. Dies vermittelt ihm ein Gefühl der Vertrautheit und macht ihm Spaß. Ein wichtigeres Gütezeichen ist die Tatsache, daß der Begriff eine Erscheinung bezeichnet, die zu weiteren Erscheinungen in einem gesetzmäßigen Zusammenhang steht, wobei dieser naturwissenschaftlicher oder geisteswissenschaftlicher Natur sein und Korrelationen ebenso wie Beziehungen der genetischen Verwandtschaft betreffen kann. Die höchste Anforderung an einen Begriff ... besagt, daß der Begriff einen Tatbestand oder eine Größe bezeichnet, die über Transformationen der äußeren Erscheinung invariant bleibt. Dies ist für das menschliche Handeln von Vorteil, denn es erlaubt eine gleiche Behandlung auch bei verschiedener Erscheinungsform. Es ist auch für die Erkenntnis wichtig, denn Erkenntnis invarianter Größen vereinfacht das Bild der Welt und eröffnet die Erkenntnis stabiler Züge im Vielerlei der Erscheinungen“. Wir können nunmehr ein Zwischenergebnis unserer Erörterungen schematisch zusammenfassen. 284
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Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />
Die doppelte Einbindung <strong>von</strong> Gedächtnisinhalten in eine Komplexionshierarchie <strong>und</strong> eine Abstraktionshierarchie<br />
- die sich auch auf Handlungsschemata übertragen läßt - veranschaulicht<br />
folgendes Beispiel DÖRNERs (1987, S. 32):<br />
reiner Stoff<br />
ie<br />
Elementarteilchen<br />
h<br />
Atom<br />
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Molekül<br />
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Verbindung<br />
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Neutron<br />
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Proton h<br />
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N-Atom<br />
O-Atom<br />
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NH -Molekül<br />
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O-Molekül<br />
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Abbildung 34:<br />
Beispiel für die doppelt hierarchische Ordnung des Abbildes eines Realitätsbereichs („ie“<br />
steht für die „ist-ein-Relation“, „h“ für die „hat-als-Teil-Relation). Quelle: DÖRNER 1987,<br />
S. 32.<br />
− In der horizontalen Dimension der Abbildung läßt sich <strong>von</strong> links nach rechts die Komplexbildung<br />
nachvollziehen. Charakteristisch ist hier die durch „h“ gekennzeichnete „hatals-Teil-Relation“.<br />
− In der vertikalen Dimension erfolgt die Klassenbildung hin zu abstrakteren <strong>Konzept</strong>en.<br />
Kennzeichnend für diesen Prozeß ist eine Verringerung der Anzahl konstitutiver<br />
Merkmale, <strong>und</strong> zugleich eine Erweiterung der Anzahl der Exemplare, die unter den<br />
abstrakteren Begriff zu subsumieren ist.<br />
− Die Abbildung macht zugleich deutlich, daß die Abstraktion nicht ziellos erfolgt, sondern<br />
daß Merkmale nur insoweit vernachlässigt werden, als es einem bestimmten Handlungsoder<br />
Erkenntnisinteresse dient. Anders gewendet: Das Bilden <strong>von</strong> Abstraktionen macht nur<br />
dann Sinn, wenn die Abstraktion wiederum mit ihren spezifischen Merkmalen in Komplexionszusammenhänge<br />
eingeb<strong>und</strong>en ist. Genau dies erfolgt im Schaubild sowohl auf der<br />
konkreten als auch auf der abstrakten Ebene. Durch Abstraktion wird es möglich, eine<br />
singuläre Aussage oder Erfahrung als charakteristisch für eine - durch die invariante<br />
Gr<strong>und</strong>struktur gekennzeichnete - Klasse <strong>von</strong> Voraussetzungen oder Situationen zu<br />
erkennen. Dies wiederum ermöglicht es, Aussagen über Zusammenhänge in Komplexionen<br />
zu generalisieren <strong>und</strong> schließlich auf Situationen zu transferieren, die zwar subjektiv neu,<br />
jedoch - in ihrer abstrakten Gr<strong>und</strong>struktur - eben doch bekannt sind.<br />
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