4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...
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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Mit HACKER können Fertigkeiten als dispositionale Grundlage solcher Tätigkeitskomponenten angesehen werden, die durch Übung automatisiert sind, und daher ohne ständige Steuerung und Kontrolle durch das Bewußtsein ablaufen können: „Der Organismus antwortet auf relativ invariante Anforderungen mit der Entwicklung von entsprechend gefestigten Handlungsstrukturen, die den Charakter von ‘automatisch’ (d. h. gleichsam von selbst und ohne fortwährende absichtliche Kontrolle) ablaufenden, jedoch für den bewußten Einsatz noch verfügbaren Unterprogrammen annehmen“ (HACKER 1978, S. 321). Die übergeordneten Regulationssysteme werden bei der Fertigkeitsentwicklung also nicht ausgeschaltet, sondern lediglich entlastet; sie geben weiterhin Initialimpulse und können bei Störungen eingreifen. Die Entlastung des Bewußtseins von der ständigen Führung und Kontrolle der Ausführung von Tätigkeiten führt einerseits zu einer Verringerung der Anforderungen der entsprechenden Tätigkeit, zu einem „objektiven Einfacherwerden“, eröffnet andererseits die Möglichkeit für ein Befassen mit noch bevorstehenden Aufgabenteilen und ermöglicht damit ein „antizipatives Regulieren“ bzw. eine Erweiterung der Antizipationsweite des Handelns (ebenda, S. 324f.). Dabei ist allerdings zu beachten, daß der Tatbestand der Entlastung durch die Ausbildung von Fertigkeiten für sich genommen noch keinen Aufschluß darüber gibt, ob die Freisetzung von Kapazitäten tatsächlich zu einer Ausdehnung intellektuell anspruchsvoller Tätigkeitselemente führt oder aber umgekehrt zu einer intellektuellen Minderbeanspruchung und daraus resultierend zu einer Verkümmerung intellektueller Fähigkeiten (vgl. OSTERLOH 1983, S. 164). Im vergleichbarer Weise kennzeichnen VOLPERT und OESTERREICH den Prozeß der Ausbildung von Fertigkeiten als „Superierung von Handlungsprogrammen [bzw. Handlungswegen, T.T.] zu einer Handlung“, also als Verdichtung einer Folge von Handlungen zu einer einzigen Handlung. Dadurch, daß diese Handlung auf der Ebene der Handlungsausführung und nicht mehr der Handlungsplanung reguliert werden kann, kann das kognitive System sowohl im Bereich der antizipativen Simulation im Handlungsfeld als auch bei der Handlungsauswertung wesentlich entlastet werden. OESTERREICH (1981, S. 70) nennt zwei Voraussetzungen für diesen Prozeß der Superierung von Handlungswegen zu Handlungen: Die erste Bedingung besagt, „daß der gleiche Handlungsweg unter wieder gleichen oder ähnlichen Bedingungen sehr häufig benötigt wird“, damit Standardisierung und ausreichende Übung ermöglicht werden. Die zweiten Bedingung lautet, „daß der Handelnde einen Handlungsweg findet, der so gut wie immer erfolgreich ist“ und ihm damit „als stereotypes Handlungsprogramm“ zur Verfügung steht, das bei Bedarf abgerufen werden kann. Wesentlich für den Begriff der Fertigkeiten im hier eingeführten Sinne ist die Annahme, daß sich Fertigkeiten durch Automatisierung im Zuge der Wiederholung aus anfänglich voll bewußten Regulationsvorgängen entwickeln, deren ursprüngliche dispositionale Grundlage entsprechende Fähigkeiten und Kenntnisse waren. Dieser Aspekt wird bei OSTERLOH (1983, S. 164) über den Begriff der „qualifizierten Entlastung“ besonders hervorgehoben, womit sie ein Handeln kennzeichnet, „das zwar routinisiert ablaufen kann, aber immer bewußtseinsfähig ist. Jeder einzelne Handlungsschritt ist selbst bei automatischer Handhabung ‘verstanden’“. Der qualifizierten Entlastung entspricht im Produktionsbereich die Nutzung „konvivialer 263
Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Werkzeuge“, womit nach VOLPERT (1979b, S. 64) solche Werkzeuge bezeichnet werden, die „- innerhalb des jeweiligen Arbeits- und Lebenszusammenhanges - in Aufbau und Struktur angeeignet, also denkend durchdrungen und handelnd bewältigt werden können.“ Zu (b) Erhöhung der Wirkwahrscheinlichkeit der Handlungsausführung als Ergebnis von Lernprozessen In enger Verbindung mit der Abnahme bewußtseinspflichtiger Regulationsleistungen bei der Ausbildung von Fertigkeiten steht als zweiter Effekt die Verbesserung der Handlungsausführung und ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit. OESTERREICH (1981, S. 37ff.) hat hierfür den Terminus der „Erfolgswahrscheinlichkeit“ einer Handlung eingeführt, worunter er die Wahrscheinlichkeit versteht, daß eine Handlung zu einer bestimmten Konsequenz führt. Entsprechend ergibt sich die Wirkwahrscheinlichkeit eines Handlungsweges, die OESTERREICH als „Wegwahrscheinlichkeit“ bezeichnet, aus der multiplikativen Verknüpfung der Wirkwahrscheinlichkeiten der einzelnen Handlungen, aus denen sich dieser Handlungsweg zusammensetzt. OESTERREICH nennt drei Einflußfaktoren, die die Wirkwahrscheinlichkeit einer Handlung beeinflussen: (1) Handlungsfertigkeit als Ergebnis der Ausbildung von Ausführungs- bzw. Bewegungspräzision. Präzision wird hierbei interpretiert als ein bestimmtes Maß an Starrheit der Bewegungsprogramme (nach VOLPERT: „Redundanz der Reafferenz“), wobei zugleich ein bestimmtes Ausmaß an Starrheit der Umweltgegebenheiten (nach VOLPERT: „Redundanz der Exafferenz“) vorausgesetzt wird (OESTERREICH 1981, S. 62ff.). (2) Handlungsfertigkeit im Sinne einer weitgehend automatisierten Berücksichtigung von Umweltvariationen. Mit diesem Aspekt wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Ausbildung von Fertigkeiten in der Regel nur dann sinnvoll ist, wenn diese in der Lage sind, ein gewisses Maß an häufiger auftretender Umweltvarianz zu berücksichtigen. In diesem Sinne müssen Fertigkeiten gleichzeitig stabil und flexibel sein; dem Vorhandensein eines entsprechend differenzierenden Signalinventars kommt hierbei große Bedeutung zu. (OESTERREICH 1981, S. 67f.). (3) Während die ersten beiden Faktoren auf die Ausbildung individueller Fertigkeiten abzielten, also individuelles Lernen betreffen, bezieht sich eine dritte Möglichkeit zur Erhöhung der Wirkwahrscheinlichkeit der Handlungsausführung auf die Nutzung von Werkzeugen oder allgemeiner gefaßt auf die Verbesserung der materiellen Grundlagen des Handelns. Hierbei ist zunächst wiederum an die qualifizierte Entlastung im oben angesprochenen Sinne zu erinnern, also an die Nutzung von Techniken, Werkzeugen und Automaten, deren Ablaufmechanismus durchschaut ist und deren Nutzung jederzeit wieder durch ein schrittweise-manuelles Vorgehen ersetzt werden könnte. Es entspricht jedoch allgemeiner Alltagserfahrung, daß bei vielen technischen Hilfsmitteln, mit denen man durchaus sachgerecht umzugehen weiß, dieses 264
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Werkzeuge“, womit nach VOLPERT (1979b, S. 64) solche Werkzeuge bezeichnet werden, die<br />
„- innerhalb des jeweiligen Arbeits- <strong>und</strong> Lebenszusammenhanges - in Aufbau <strong>und</strong> Struktur<br />
angeeignet, also denkend durchdrungen <strong>und</strong> handelnd bewältigt werden können.“<br />
Zu (b) Erhöhung der Wirkwahrscheinlichkeit der Handlungsausführung als Ergebnis<br />
<strong>von</strong> Lernprozessen<br />
In enger Verbindung mit der Abnahme bewußtseinspflichtiger Regulationsleistungen bei der<br />
Ausbildung <strong>von</strong> Fertigkeiten steht als zweiter Effekt die Verbesserung der Handlungsausführung<br />
<strong>und</strong> ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit. OESTERREICH (1981, S. 37ff.) hat hierfür den<br />
Terminus der „Erfolgswahrscheinlichkeit“ einer Handlung eingeführt, worunter er die<br />
Wahrscheinlichkeit versteht, daß eine Handlung zu einer bestimmten Konsequenz führt.<br />
Entsprechend ergibt sich die Wirkwahrscheinlichkeit eines Handlungsweges, die<br />
OESTERREICH als „Wegwahrscheinlichkeit“ bezeichnet, aus der multiplikativen Verknüpfung<br />
der Wirkwahrscheinlichkeiten der einzelnen Handlungen, aus denen sich dieser<br />
Handlungsweg zusammensetzt.<br />
OESTERREICH nennt drei Einflußfaktoren, die die Wirkwahrscheinlichkeit einer Handlung<br />
beeinflussen:<br />
(1) Handlungsfertigkeit als Ergebnis der Ausbildung <strong>von</strong> Ausführungs- bzw. Bewegungspräzision.<br />
Präzision wird hierbei interpretiert als ein bestimmtes Maß an Starrheit<br />
der Bewegungsprogramme (nach VOLPERT: „Red<strong>und</strong>anz der Reafferenz“),<br />
wobei zugleich ein bestimmtes Ausmaß an Starrheit der Umweltgegebenheiten (nach<br />
VOLPERT: „Red<strong>und</strong>anz der Exafferenz“) vorausgesetzt wird (OESTERREICH 1981, S.<br />
62ff.).<br />
(2) Handlungsfertigkeit im Sinne einer weitgehend automatisierten Berücksichtigung<br />
<strong>von</strong> Umweltvariationen. Mit diesem Aspekt wird der Tatsache Rechnung getragen,<br />
daß die Ausbildung <strong>von</strong> Fertigkeiten in der Regel nur dann sinnvoll ist, wenn diese<br />
in der Lage sind, ein gewisses Maß an häufiger auftretender Umweltvarianz zu<br />
berücksichtigen. In diesem Sinne müssen Fertigkeiten gleichzeitig stabil <strong>und</strong> flexibel<br />
sein; dem Vorhandensein eines entsprechend differenzierenden Signalinventars<br />
kommt hierbei große Bedeutung zu. (OESTERREICH 1981, S. 67f.).<br />
(3) Während die ersten beiden Faktoren auf die Ausbildung individueller Fertigkeiten<br />
abzielten, also individuelles Lernen betreffen, bezieht sich eine dritte Möglichkeit<br />
<strong>zur</strong> Erhöhung der Wirkwahrscheinlichkeit der Handlungsausführung auf die<br />
Nutzung <strong>von</strong> Werkzeugen oder allgemeiner gefaßt auf die Verbesserung der<br />
materiellen Gr<strong>und</strong>lagen des Handelns.<br />
Hierbei ist zunächst wiederum an die qualifizierte Entlastung im oben angesprochenen<br />
Sinne zu erinnern, also an die Nutzung <strong>von</strong> Techniken, Werkzeugen <strong>und</strong><br />
Automaten, deren Ablaufmechanismus durchschaut ist <strong>und</strong> deren Nutzung jederzeit<br />
wieder durch ein schrittweise-manuelles Vorgehen ersetzt werden könnte.<br />
Es entspricht jedoch allgemeiner Alltagserfahrung, daß bei vielen technischen Hilfsmitteln,<br />
mit denen man durchaus sachgerecht umzugehen weiß, dieses<br />
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