4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Es liegt nun auf der Hand, daß die Güte eines Handlungsweges, also eines Pfades durch das Handlungsfeld, nicht allein durch die Angemessenheit der ersten Problemlösung entschieden wird, sondern daß sie letztlich nur zu beurteilen ist, wenn alle auf einem Handlungsweg liegenden Barrieren in die Betrachtung einbezogen werden. Daß es sich hierbei nicht allein um ein Optimierungsproblem handelt, zeigt ein Blick auf die zehnte heuristische Regel zum Problemlösen bei AEBLI, bei der es um das Auftreten von „Holzwegen“ geht. Als Konsequenz aus dieser Überlegung ergibt sich die Forderung, vor der Realisierung einer bestimmten Problemlösung, die sich daraus ergebenden Folgeprobleme soweit zu analysieren, daß der gesamte resultierende Handlungsweg zur Beurteilung berücksichtigt werden kann. Da dies i. d. R. zu dem Zweck erfolgt, zwischen verschiedenen Varianten der Problemlösung zu entscheiden, wird es erforderlich, eine recht große Zahl alternativer Handlungswege in das gedankliche Kalkül einzubeziehen. Eine ausführliche Darstellung dieser Problematik und adäquater Bewältigungsstrategien findet sich bei OESTERREICH (1981; 1983). Wir wollen uns hier mit der Feststellung begnügen, daß dieser komplexen situativen Anforderung auf Seiten des Subjekts eine begrenzte Kapazität zur bewußten Informationsverarbeitung gegenübersteht (vgl. SCHNOTZ 1979, S. 86). Im Kontext der Handlungsplanung kann also nur eine begrenzte Anzahl möglicher Handlungen und ihrer Konsequenzen simultan verarbeitet werden, ohne daß das Subjekt den Überblick verliert. Jenen Bereich des Handlungsfeldes, den das Subjekt noch intern abbilden und in dem es mentale Simulationen realisieren kann, bezeichnen wir mit SKELL (1972) als „Antizipationsweite“. Eine Ausdehnung der Antizipationsweite wird insbesondere dann möglich, wenn Teilprobleme im Zuge wiederholter Bearbeitung ihren Problemcharakter verlieren oder sich zu Problemen mit weniger komplexer Barriere wandeln. Die Aufmerksamkeit kann von Einzelschritten im Handlungsverlauf auf die gedankliche Erfassung der Gesamtstruktur der Handlung verlagert werden. Durch diese Entlastung im Ausführungsbereich wird es u. U. möglich, bessere Problemlösungen auf der Ebene des komplexeren Problems zu generieren. Die Entlastungswirkung, die somit von der Routinebildung, der Zusammenfassung von ursprünglich problematischen Handlungsteilen zu „Superzeichen“, ausgeht, führt in dieser Konzeption also nicht zu einer intellektuellen Verarmung der Tätigkeit, sondern dazu, daß Kapazität für eine verbesserte Planung, ein stärkere antizipative Durchdringung des Handlungsfeldes genutzt werden kann (vgl. OSTERLOH 1983; HACKER 1978; VOLPERT 1983a; SCHNOTZ 1979). Die Antizipationsweite des Handelns kann als Indiz für das Niveau der Organisiertheit dieses Handelns verstanden werden. HACKER (1978, S. 223ff.) stellt unter diesem Gesichtspunkt der „planenden Strategie“ eine „momentane Strategie“ gegenüber. Die planende Strategie ist dabei u. a. gekennzeichnet durch: − eine „fernzielorientierte Zielhierarchie“; − ein Schema des gesamten Tätigkeitsablaufs, in dem Zwischenzustände und einzelne Handlungskomplexe als Superzeichen enthalten sind; 259

Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen − eine besondere Beachtung von Vorsignalen, die - etwa an kritischen Stellen des Handlungsverlaufs - Störungen anzeigen und damit ein rechtzeitiges Gegensteuern ermöglichen (vgl. VOLPERT 1983a; S. 50). Die momentane Strategie läßt sich demgegenüber durch folgende Merkmale kennzeichnen: − Die Antizipationsweite des Handelns umfaßt nicht den gesamten Raum zwischen Anfangs- und Zielzustand, so „daß der Plan nicht über der Ausführung steht, sondern gewissermaßen im Lauf der Ausführung erst selbst entsteht“ (VOLPERT 1983, S. 53). − Der Handelnde ist vorwiegend mit der „Analyse des jeweils aktuellen Zustands“ beschäftigt; er ist kognitiv auf Teiltätigkeiten zur Erreichung von Nahzielen ausgerichtet; er läuft Gefahr, sich in Sackgassen zu verrennen, Warnzeichen zu übersehen und Hilfen zu ignorieren. − Intellektuelle Kapazität wird für Leistungen beansprucht, die ihrer Art nach schematisierbar und automatisierbar sind; „Vorgänge des Konstruktiv-Kreativen, des Leitlinien-Setzens, der Erstellung längerer Zeitperspektiven sind blockiert; es ist sozusagen keine Kapazität mehr frei für Analyse, Planung und intellektuelle Antizipation“ (ebenda). − Der Handelnde verfügt nicht über geeignete Fertigkeiten und verdichtete Abbildungen; er macht sich durch sein ungeordnetes Verhalten die für ihn ohnehin schwierige Situation noch unübersichtlicher. Angesichts der offensichtlichen Überlegenheit der planenden Strategie stellt sich natürlich die Frage, weshalb diese sich nicht grundsätzlich im menschlichen Handeln durchgesetzt habe. Die Antwort liegt zum einen darin, daß eben die planende Strategie spezifische Kompetenz erfordert. Zum anderen muß gesehen werden, daß die momentane Strategie praktisch häufig deshalb verwendet wird, weil auch sie eine Reduktion von Komplexität bewirkt. Während der Effekt der planenden Strategie Entlastung durch intellektuelle Superierung ist, reduziert die momentane Strategie auf einfachere Weise: Sie setzt sich sofort in praktisches Handeln um, das aufgrund seiner geringeren Reichweite einen geringeren Planungsaufwand erfordert; zugleich führt dieses sofortige Handeln auch zu sofortigen Ergebnissen, die zum Ausgangspunkt weiterer Planung genommen werden können und diese damit erleichtern. „Durch das äußere Handeln wird also zunehmend die Möglichkeit geschaffen, auch noch den restlichen Lösungsweg zu planen“ (SCHNOTZ 1979, S. 86). Die momentane Strategie reduziert also subjektiv Komplexität dadurch, daß sie eine Folge von Handlungsergebnissen nicht erst gedanklich antizipiert, sondern sich sofort damit beschäftigt, das nächstliegende Handlungsresultat äußerlich zu erzeugen. Dadurch wird die Antizipationsweite der Handlungsplanung reduziert. Zugleich verringert die momentane Strategie den emotionalen Handlungsdruck, wenngleich das Resultat oftmals „purer Aktionismus“ ist. (Zu 3) Lernergebnisse im Bereich der Regulation der Handlungsausführung 260

Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

Es liegt nun auf der Hand, daß die Güte eines Handlungsweges, also eines Pfades durch<br />

das Handlungsfeld, nicht allein durch die Angemessenheit der ersten Problemlösung<br />

entschieden wird, sondern daß sie letztlich nur zu beurteilen ist, wenn alle auf einem<br />

Handlungsweg liegenden Barrieren in die Betrachtung einbezogen werden. Daß es sich<br />

hierbei nicht allein um ein Optimierungsproblem handelt, zeigt ein Blick auf die zehnte<br />

heuristische Regel zum Problemlösen bei AEBLI, bei der es um das Auftreten <strong>von</strong><br />

„Holzwegen“ geht.<br />

Als Konsequenz aus dieser Überlegung ergibt sich die Forderung, vor der Realisierung<br />

einer bestimmten Problemlösung, die sich daraus ergebenden Folgeprobleme soweit zu<br />

analysieren, daß der gesamte resultierende Handlungsweg <strong>zur</strong> <strong>Beurteilung</strong><br />

berücksichtigt werden kann. Da dies i. d. R. zu dem Zweck erfolgt, zwischen<br />

verschiedenen Varianten der Problemlösung zu entscheiden, wird es erforderlich, eine<br />

recht große Zahl alternativer Handlungswege in das gedankliche Kalkül einzubeziehen.<br />

Eine ausführliche Darstellung dieser Problematik <strong>und</strong> adäquater Bewältigungsstrategien<br />

findet sich bei OESTERREICH (1981; 1983).<br />

Wir wollen uns hier mit der Feststellung begnügen, daß dieser komplexen situativen<br />

Anforderung auf Seiten des Subjekts eine begrenzte Kapazität <strong>zur</strong> bewußten Informationsverarbeitung<br />

gegenübersteht (vgl. SCHNOTZ 1979, S. 86). Im Kontext der Handlungsplanung<br />

kann also nur eine begrenzte Anzahl möglicher Handlungen <strong>und</strong> ihrer<br />

Konsequenzen simultan verarbeitet werden, ohne daß das Subjekt den Überblick<br />

verliert. Jenen Bereich des Handlungsfeldes, den das Subjekt noch intern abbilden <strong>und</strong><br />

in dem es mentale Simulationen realisieren kann, bezeichnen wir mit SKELL (1972) als<br />

„Antizipationsweite“.<br />

Eine Ausdehnung der Antizipationsweite wird insbesondere dann möglich, wenn<br />

Teilprobleme im Zuge wiederholter Bearbeitung ihren Problemcharakter verlieren oder<br />

sich zu Problemen mit weniger komplexer Barriere wandeln. Die Aufmerksamkeit kann<br />

<strong>von</strong> Einzelschritten im Handlungsverlauf auf die gedankliche Erfassung der Gesamtstruktur<br />

der Handlung verlagert werden. Durch diese Entlastung im Ausführungsbereich<br />

wird es u. U. möglich, bessere Problemlösungen auf der Ebene des komplexeren<br />

Problems zu generieren. Die Entlastungswirkung, die somit <strong>von</strong> der Routinebildung, der<br />

Zusammenfassung <strong>von</strong> ursprünglich problematischen Handlungsteilen zu<br />

„Superzeichen“, ausgeht, führt in dieser <strong>Konzept</strong>ion also nicht zu einer intellektuellen<br />

Verarmung der Tätigkeit, sondern dazu, daß Kapazität für eine verbesserte Planung, ein<br />

stärkere antizipative Durchdringung des Handlungsfeldes genutzt werden kann (vgl.<br />

OSTERLOH 1983; HACKER 1978; VOLPERT 1983a; SCHNOTZ 1979).<br />

Die Antizipationsweite des Handelns kann als Indiz für das Niveau der Organisiertheit<br />

dieses Handelns verstanden werden. HACKER (1978, S. 223ff.) stellt unter diesem<br />

Gesichtspunkt der „planenden Strategie“ eine „momentane Strategie“ gegenüber.<br />

Die planende Strategie ist dabei u. a. gekennzeichnet durch:<br />

− eine „fernzielorientierte Zielhierarchie“;<br />

− ein Schema des gesamten Tätigkeitsablaufs, in dem Zwischenzustände <strong>und</strong> einzelne<br />

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