4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen solchen Fällen seien Kompromisse erforderlich, sogenannte „Zielbalancierungen“. Sowohl das Erkennen von Kontradiktionen wie auch die erforderliche Zielbalancierung setze eine gute Kenntnis des Realitätsbereichs voraus. Eine Vermehrung des Strukturwissens fördere zugleich die Fähigkeit zur Zielbalancierung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Zielbalancierung nicht - wie es DÖRNER et al. nahelegen - als eindeutig lösbar interpretiert wird. Dies wird deutlich, wenn eine wohl grundlegende Kontradiktion menschlichen Handelns hervorgehoben wird, nämlich der von uns bereits angesprochene Widerspruch zwischen Anpassung an objektive Gegebenheiten und sozial-normative Verhaltenserwartungen einerseits und der Entfaltung der eigenen Individualität andererseits. Das Bemühen um Identitätsbalance (vgl. KRAPPMANN 1978) ist ein Phänotyp der Zielbalancierung. Hieran jedoch zeigt sich deutlich, daß das Bemühen als Balance als ein nie abzuschließender Prozeß betrachtet werden muß; Lernerfolge in diesem Bereich zeigen sich mithin nicht im punktuellen Erreichen der Balance, sondern vielmehr in der Rationalität und Reflexivität dieses Balancierungsprozesses (vgl. HÄRLE 1980). (b4) Schwerpunktbildung und Hintergrundkontrolle DÖRNER et al. (1983, S. 44ff.) weisen darauf hin, daß es unter den Bedingungen objektiv komplexer Realitätsausschnitte, begrenzter Informationsverarbeitungskapazität des Subjekts und nur begrenzt verfügbarer Zeit erforderlich sei, die subjektive Komplexität einer Handlungssituation zu verringern. Eine wesentliche Strategie hierfür sei die Schwerpunktbildung. „Schwerpunktbildung bedeutet die Festlegung der Denk- und Handlungsrichtung auf eine Auswahl aus den Zielen und dementsprechend die Einschränkung der Informationsaufnahme auf diejenigen Teile des Realitätsausschnitts, die relevant sind im Hinblick auf die ausgewählten Schwerpunktziele.“ (Ebenda, S. 45). Diese Schwerpunktbildung im Bereich der Ziele und der korrespondierenden Realitätsbereiche solle sich an der „Zentralität“ und der „Dringlichkeit“ dieser Ziele orientieren (ebenda). Wichtig sei hier, daß der Handelnde dabei die Entwicklung in den anderen Realitätsbereichen nicht völlig ausblende, sondern diese - wenn auch mit reduzierter Zuwendung - permanent beobachte und ggf. in der Lage ist, den Schwerpunkt zu wechseln. DÖRNER et al. (ebenda, S. 48) bezeichnen dies als „Hintergrundkontrolle“. Wir sind auch dieser Überlegung bereits an anderer Stelle in ähnlicher Form begegnet. Sie korrespondiert der Forderung, operative Modelle den Anforderungen der Handlungssituation entsprechend zu akzentuieren. Die vielleicht entwickeltste Form dieser Schwerpunktbildung mit gleichzeitiger Hintergrundkontrolle ist zumindest tendenziell im Modell der hierarchisch-sequentiellen Handlungsregulation angelegt. Die Schwerpunktbildung bezieht sich hier auf den jeweils aktuellen Teilzielbereich; die Hintergrundkontrolle ist in der hierarchischen 251

Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Rückbindung an den - in Form von komplexen Superzeichen präsenten - Hierarchiebereich angelegt. Auch für diesen Bereich sehen die Autoren eine Möglichkeit zur Kompetenzsteigerung darin, das Strukturwissen zu erhöhen. Dem ist sicher zuzustimmen; ergänzend ist jedoch anzumerken, daß diese Strategie zur Bewältigung von Komplexität selbst entwickelt und geübt werden muß. Akzentuierend können die Lernergebnisse im Bereich der Orientierungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozesse in Form dreier, die einzelnen Phasen übergreifenden Prozeßqualitäten zusammengefaßt werden: − Rationalität bzw. Adäquanz, womit die Angemessenheit dieser Teilprozesse gegenüber den objektiven Gegebenheiten und den darauf gerichteten, spezifischen Intentionen des Subjekts angesprochen ist, insbesondere auch die Fähigkeit zur Wahl eines ziel- und situationsangemessenen Auflösungsgrades. − Reflexivität, womit auf die Fähigkeit des Selbsterlebens und Selbstbeurteilens, auf das Maß kritischer Distanz zu sich selbst abgehoben wird. Die Reflexivität des handelnden Subjekts ist Voraussetzung für die Entfaltung und Weiterentwicklung seiner Identität. − Personale Integriertheit betont die Verbindung und die Gleichzeitigkeit von Rationalität und Reflexivität und hebt damit hervor, daß Emotionen, Gefühle und Werthaltungen integraler Bestandteil der Situationsdefinition sind und sein müssen. (Zu 2) Lernergebnisse im Bereich der antizipativen und problemlösenden Generierung von Handlungsplänen Orientierungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozesse beziehen sich stets auf wahrgenommene oder gedanklich antizipierte Situationen. Die Fähigkeit zur gedanklichen Antizipation zukünftiger Zustände und/oder Prozesse ist Voraussetzung für menschliches Handeln, und in der Entwicklung dieser Fähigkeit erweist sich individueller Lernfortschritt. Im Hinblick auf diese Antizipationen kann zum einen die Qualität der inneren Abbilder thematisiert werden. Entsprechend diskutierten wir Lernergebnisse im Bereich der Qualität der operativen Modelle. Andererseits lassen sich die gedanklichen Antizipationen hinsichtlich der Prozesse diskutieren, durch die sie erst erzeugt werden. Dies soll im folgenden unter der Fragestellung geschehen, wie Lernergebnisse den Prozeß der Erzeugung innerer Abbilder von Zielzuständen und von Zwischenzielen bzw. Handlungswegen verbessern. Daß hier natürlich eine enge Verbindung auch zur Qualität der erzeugten Abbilder besteht, daß also unsere Strukturierung des Phänomenbereichs rein analytischer Natur ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Unser Handlungsmodell geht davon aus, daß ein subjektiv unbefriedigender Anfangszustand vorliegt, der durch eine geordnete Folge von Transformationen und ggf. eine Reihe von Zwischenzielen in einen angestrebten Zielzustand überführt wird. Für den Handelnden können 252

Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

solchen Fällen seien Kompromisse erforderlich, sogenannte „Zielbalancierungen“.<br />

Sowohl das Erkennen <strong>von</strong> Kontradiktionen wie auch die erforderliche<br />

Zielbalancierung setze eine gute Kenntnis des Realitätsbereichs voraus. Eine<br />

Vermehrung des Strukturwissens fördere zugleich die Fähigkeit <strong>zur</strong><br />

Zielbalancierung.<br />

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Zielbalancierung nicht - wie es<br />

DÖRNER et al. nahelegen - als eindeutig lösbar interpretiert wird. Dies wird deutlich,<br />

wenn eine wohl gr<strong>und</strong>legende Kontradiktion menschlichen Handelns hervorgehoben<br />

wird, nämlich der <strong>von</strong> uns bereits angesprochene Widerspruch zwischen Anpassung<br />

an objektive Gegebenheiten <strong>und</strong> sozial-normative Verhaltenserwartungen<br />

einerseits <strong>und</strong> der Entfaltung der eigenen Individualität andererseits. Das Bemühen<br />

um Identitätsbalance (vgl. KRAPPMANN 1978) ist ein Phänotyp der<br />

Zielbalancierung. Hieran jedoch zeigt sich deutlich, daß das Bemühen als Balance<br />

als ein nie abzuschließender Prozeß betrachtet werden muß; Lernerfolge in diesem<br />

Bereich zeigen sich mithin nicht im punktuellen Erreichen der Balance, sondern<br />

vielmehr in der Rationalität <strong>und</strong> Reflexivität dieses Balancierungsprozesses (vgl.<br />

HÄRLE 1980).<br />

(b4) Schwerpunktbildung <strong>und</strong> Hintergr<strong>und</strong>kontrolle<br />

DÖRNER et al. (1983, S. 44ff.) weisen darauf hin, daß es unter den Bedingungen<br />

objektiv komplexer Realitätsausschnitte, begrenzter<br />

Informationsverarbeitungskapazität des Subjekts <strong>und</strong> nur begrenzt verfügbarer Zeit<br />

erforderlich sei, die subjektive Komplexität einer Handlungssituation zu verringern.<br />

Eine wesentliche Strategie hierfür sei die Schwerpunktbildung.<br />

„Schwerpunktbildung bedeutet die Festlegung der Denk- <strong>und</strong> Handlungsrichtung<br />

auf eine Auswahl aus den Zielen <strong>und</strong> dementsprechend die Einschränkung<br />

der Informationsaufnahme auf diejenigen Teile des Realitätsausschnitts,<br />

die relevant sind im Hinblick auf die ausgewählten Schwerpunktziele.“<br />

(Ebenda, S. 45).<br />

Diese Schwerpunktbildung im Bereich der Ziele <strong>und</strong> der korrespondierenden Realitätsbereiche<br />

solle sich an der „Zentralität“ <strong>und</strong> der „Dringlichkeit“ dieser Ziele<br />

orientieren (ebenda). Wichtig sei hier, daß der Handelnde dabei die Entwicklung in<br />

den anderen Realitätsbereichen nicht völlig ausblende, sondern diese - wenn auch<br />

mit reduzierter Zuwendung - permanent beobachte <strong>und</strong> ggf. in der Lage ist, den<br />

Schwerpunkt zu wechseln. DÖRNER et al. (ebenda, S. 48) bezeichnen dies als<br />

„Hintergr<strong>und</strong>kontrolle“.<br />

Wir sind auch dieser Überlegung bereits an anderer Stelle in ähnlicher Form begegnet.<br />

Sie korrespondiert der Forderung, operative Modelle den Anforderungen der<br />

Handlungssituation entsprechend zu akzentuieren. Die vielleicht entwickeltste<br />

Form dieser Schwerpunktbildung mit gleichzeitiger Hintergr<strong>und</strong>kontrolle ist<br />

zumindest tendenziell im Modell der hierarchisch-sequentiellen<br />

Handlungsregulation angelegt. Die Schwerpunktbildung bezieht sich hier auf den<br />

jeweils aktuellen Teilzielbereich; die Hintergr<strong>und</strong>kontrolle ist in der hierarchischen<br />

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