4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen MANDL/FRIEDRICH/HRON 1988) sowie in Konzepten zur Repräsentation von „Problemräumen“ (DÖRNER 1987; GREENO 1980; PUTZ-OSTERLOH 1988). Wir wollen unsere Schlußfolgerungen in vier Punkten zusammenfassen, denen wir zwei funktionsbezogene „Eckpunkte“ voranstellen. 1. Eckpunkt: Innere Modelle repräsentieren Ausschnitte der äußeren und der inneren Realität des jeweiligen Modellbildners. Sie aktualisieren und integrieren sein vorhandenes Wissen über diesen Realitätsausschnitt und erlauben es ihm, sein Wissen in Interaktion mit der Umwelt erkennend und handelnd zu erproben, zu modifizieren und zu erweitern. Eine zentrale Dimension zur Beurteilung interner Modelle muß daher ihre Übereinstimmung mit den realen Elementen, Beziehungen und deren qualitativen Eigenschaften sein (vgl. das Kriterium der „Korrespondenz“ bei GREENO 1980). Je umfassender, differenzierter und komplexer hierbei die realen Verhältnisse (oder besser der Stand des gesellschaftlichen Wissens über diese Verhältnisse) abgebildet werden, desto besser dürfte es prinzipiell möglich sein, „Inferenzen zu ziehen, Vorhersagen zu machen, Phänomene zu verstehen, Entscheidungen über Handlungen zu treffen und ihre Ausführung zu überwachen, sowie ... Ereignisse stellvertretend zu erfahren“ (MANDL/FRIEDRICH/HRON 1988, S. 146). 2. Eckpunkt: Innere Modelle sind pragmatische Systeme, d. h. daß ihre Qualität sich letztlich darin zu erweisen hat, in welchem Maße sie für den Modellbenutzer nützlich sind 1 . Die Nützlichkeit dieser Modelle korreliert nicht unbedingt positiv mit ihrer Differenziertheit und Komplexität. So weisen etwa MANDL/FRIEDRICH/HRON (1988, S. 146f.) unter Bezugnahme auf KEMPTON (1986) darauf hin, daß objektiv falsche Alltagstheorien unter den Bedingungen des Alltags ihren Benutzern oft genausoviel nützliche Vorhersagen erlauben, wie die eigentlich „zutreffende“ Theorie. In jedem Fall ist wohl zu konstatieren, daß die Nützlichkeit von Modellen unter den Bedingungen alltäglichen Handelns ein bestimmtes Maß an Komplexitätsreduktion, an Akzentuierung und Vereinfachung ebenso voraussetzt wie ein bestimmtes Maß an Repräsentanz des Modells in bezug auf das Original. Diese beiden Eckpunkte bilden gleichsam das grundsätzliche Spannungsfeld, innerhalb dessen vier inhaltliche Qualitätsaspekte interner Modelle zu situieren sind, deren Ausprägungen als Ergebnis von Lernprozessen verändert werden: 1. Qualitätsaspekt: Strukturkomplexität Als Ergebnis von Lernprozessen erweitert sich potentiell die Menge der im inneren Modell berücksichtigten Elemente, der bekannten Merkmale und Zustände von Elementen und die Menge der Beziehungen zwischen diesen Elementen. Die Erweiterung der erfaßbaren Komplexität verläuft dabei in zwei Richtungen. Erstens wird das innere Modell im Laufe seiner „praktischen Erprobung“ unter dem Aspekt der Nützlichkeit elaboriert, stabilisiert und akzentuiert. Eventuell vorhandene 1 Vgl. hierzu auch das Konstrukt der „Viabilität“ im Kontext der radikal-konstruktivistischen Erkenntnistheorie (z. B. VARELA 1990, S. 107ff.; VON FOERSTER 1992, S. 29f.) 241

Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Widersprüche, Unklarheiten und informative Engpässe werden bereinigt, irrelevante Informationen werden weniger beachtet, die Aufmerksamkeit kann auf die sensiblen Parameter konzentriert werden. GREENO (1980) bezeichnet dies als Erhöhung der „Kohärenz“ der Problemrepräsentation (vgl. PUTZ/OSTERLOH 1988, S. 254). DE KLEER/BROWN (1983) sprechen davon, daß die „Lauffähigkeit“ des Modells und seine „Robustheit“, d. h. seine Anwendbarkeit bei ähnlichen Phänomenen in unterschiedlichen Kontexten, gesteigert werden (vgl. TERGAN 1986, S. 182). Diese bessere Strukturierung und Durchgliederung des inneren Modells beinhaltet die Bildung von Subsystemen und Superzeichen, also die Zusammenfassung strukturell und funktional verbundener Elemente zu Komplexionen. OSTERLOH (1983, S. 154ff.) bezeichnet diesen Vorgang als „komplexbildende Superierung“, und führt aus, daß deren Entlastungswirkung darauf beruhe, „daß zusammenhängende Einzelinformationen zu einer verdichteten Einheit zusammengezogen werden“ (ebenda, S. 160), deren Nutzen darin liege, daß sie zur „Kapazitätserweiterung des Gedächtnisses [führen, T.T.], indem sie den Speicheraufwand minimieren“ (ebenda, S. 159). „Die Herausbildung von Komplexionen läßt sich als das hervorstechende Merkmal von Spezialistenwissen kennzeichnen. Verdichtete Bedeutungen können häufig nur noch vom Kenner oder vom Fachmann spezifiziert, das heißt aus dem Kontext heraus verstanden werden, in dem sie geschaffen wurden. Ein einfaches Beispiel sind mathematische Funktionen, beispielsweise die Logarithmusfunktion. Diese leitet sich aus der Exponentialfunktion ab, welche ihrerseits die Kenntnis der Multiplikationsfunktion voraussetzt. Die letztere stellt wiederum eine verdichtete Addition dar. Der ‘Fachmann’ geht mit logarithmischen Funktionen um, ohne sich jedesmal den Ableitungszusammenhang ins Gedächtnis zu rufen, während der ‘Laie’ in der Regel die Exponentialfunktion zu Hilfe nehmen muß. Darin besteht der Entlastungseffekt ... Die minimale Zuwendung von Aufmerksamkeit zu einzelnen Bewegungsabläufen oder intellektuellen Operationen bewirkt, daß Kapazität frei wird für übergeordnete Gesichtspunkte oder außergewöhnliche Situationen“. (OSTERLOH 1983, S. 160f.). Diese Aussage OSTERLOHs führt zur zweiten Dimension, in der eine Komplexitätsausweitung möglich wird: Der Kapazitätsentlastung durch die Bildung von Komplexionen korrespondiert die Chance, die freiwerdende Kapazität dafür zu nutzen, zusätzliche Aspekte in die kognitive Repräsentation einzubeziehen, d. h. - Ist-Werte, Soll-Werte und alternative Transformationen simultan abzubilden und/oder - das innere Modell durch zusätzlich zu berücksichtigende Aspekte auszudifferenzieren und/oder - die Anzahl der zu prüfenden alternativen Transformationen zu erhöhen und/oder - die Antizipationsweite auszudehnen, d. h. den Handlungsplan über mehrere Entscheidungspunkte hinweg gedanklich zu entwerfen und zu simulieren (vgl. OSTERLOH 1983, S. 156f; vgl. SCHNOTZ 1979, S. 84ff.). 2. Qualitätsaspekt: Abstraktive Anbindung 242

Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

Widersprüche, Unklarheiten <strong>und</strong> informative Engpässe werden bereinigt, irrelevante<br />

Informationen werden weniger beachtet, die Aufmerksamkeit kann auf die sensiblen<br />

Parameter konzentriert werden. GREENO (1980) bezeichnet dies als Erhöhung der<br />

„Kohärenz“ der Problemrepräsentation (vgl. PUTZ/OSTERLOH 1988, S. 254). DE<br />

KLEER/BROWN (1983) sprechen da<strong>von</strong>, daß die „Lauffähigkeit“ des Modells <strong>und</strong> seine<br />

„Robustheit“, d. h. seine Anwendbarkeit bei ähnlichen Phänomenen in unterschiedlichen<br />

Kontexten, gesteigert werden (vgl. TERGAN 1986, S. 182).<br />

Diese bessere Strukturierung <strong>und</strong> Durchgliederung des inneren Modells beinhaltet die<br />

Bildung <strong>von</strong> Subsystemen <strong>und</strong> Superzeichen, also die Zusammenfassung strukturell <strong>und</strong><br />

funktional verb<strong>und</strong>ener Elemente zu Komplexionen. OSTERLOH (1983, S. 154ff.)<br />

bezeichnet diesen Vorgang als „komplexbildende Superierung“, <strong>und</strong> führt aus, daß<br />

deren Entlastungswirkung darauf beruhe, „daß zusammenhängende Einzelinformationen<br />

zu einer verdichteten Einheit zusammengezogen werden“ (ebenda, S. 160), deren Nutzen<br />

darin liege, daß sie <strong>zur</strong> „Kapazitätserweiterung des Gedächtnisses [führen, T.T.], indem<br />

sie den Speicheraufwand minimieren“ (ebenda, S. 159).<br />

„Die Herausbildung <strong>von</strong> Komplexionen läßt sich als das hervorstechende Merkmal<br />

<strong>von</strong> Spezialistenwissen kennzeichnen. Verdichtete Bedeutungen können häufig nur<br />

noch vom Kenner oder vom Fachmann spezifiziert, das heißt aus dem Kontext heraus<br />

verstanden werden, in dem sie geschaffen wurden. Ein einfaches Beispiel sind<br />

mathematische Funktionen, beispielsweise die Logarithmusfunktion. Diese leitet<br />

sich aus der Exponentialfunktion ab, welche ihrerseits die Kenntnis der<br />

Multiplikationsfunktion voraussetzt. Die letztere stellt wiederum eine verdichtete<br />

Addition dar. Der ‘Fachmann’ geht mit logarithmischen Funktionen um, ohne sich<br />

jedesmal den Ableitungszusammenhang ins Gedächtnis zu rufen, während der<br />

‘Laie’ in der Regel die Exponentialfunktion zu Hilfe nehmen muß. Darin besteht<br />

der Entlastungseffekt ... Die minimale Zuwendung <strong>von</strong> Aufmerksamkeit zu<br />

einzelnen Bewegungsabläufen oder intellektuellen Operationen bewirkt, daß<br />

Kapazität frei wird für übergeordnete Gesichtspunkte oder außergewöhnliche<br />

Situationen“. (OSTERLOH 1983, S. 160f.).<br />

Diese Aussage OSTERLOHs führt <strong>zur</strong> zweiten Dimension, in der eine Komplexitätsausweitung<br />

möglich wird: Der Kapazitätsentlastung durch die Bildung <strong>von</strong> Komplexionen<br />

korrespondiert die Chance, die freiwerdende Kapazität dafür zu nutzen, zusätzliche<br />

Aspekte in die kognitive Repräsentation einzubeziehen, d. h.<br />

- Ist-Werte, Soll-Werte <strong>und</strong> alternative Transformationen simultan abzubilden <strong>und</strong>/oder<br />

- das innere Modell durch zusätzlich zu berücksichtigende Aspekte auszudifferenzieren<br />

<strong>und</strong>/oder<br />

- die Anzahl der zu prüfenden alternativen Transformationen zu erhöhen <strong>und</strong>/oder<br />

- die Antizipationsweite auszudehnen, d. h. den Handlungsplan über mehrere Entscheidungspunkte<br />

hinweg gedanklich zu entwerfen <strong>und</strong> zu simulieren (vgl. OSTERLOH<br />

1983, S. 156f; vgl. SCHNOTZ 1979, S. 84ff.).<br />

2. Qualitätsaspekt: Abstraktive Anbindung<br />

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