4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...
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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen − Alltagsbegriffe und wissenschaftliche Begriffe unterscheiden sich hinsichtlich ihrer strukturellen Verknüpfung. In der Sprache AEBLIs ist Alltagswissen in hierarchisch strukturierte Handlungs-, Wahrnehmungs- und Problemlöseschemata eingebunden; es ist reichhaltig, emotional bedeutungsvoll, assoziationsstark, holistisch, aber es ist auch relativ unbeweglich. Wissenschaftliches Wissen oder - wie AEBLI sagt - theoretisches Wissen ist ahierarchisch als Beziehungsnetz organisiert, es ist „zum objektiven System, zum Weltbild eingeebnet“ (AEBLI 1981, S. 274). Es ist damit beweglich, Beziehungen können schnell aus unterschiedlichen Perspektiven hergestellt oder gelöst werden, Zusammenhänge können einfacher erkannt werden. − Als Ergebnis der divergierenden Interessen ist die Erklärungstiefe bzw. der Aufklärungsgrad wissenschaftlicher Begriffe größer als der von Alltagsbegriffen. Letztere begnügen sich mit einem solchen Niveau der begrifflichen Repräsentation, das sich im praktischen Lebenszusammenhang unter Zweckmäßigkeitsaspekten als hinreichend erwiesen hat. Die Fragen nach weitergehenden Generalisierungen, nach Erklärungen von Effekten oder Phänomenen stellen sich typischerweise im Kontext theoretischer bzw. wissenschaftlicher Reflexion. Mit diesen Präzisierungen ist zugleich das wohl zentrale inhaltliche Kriterium zur Charakterisierung interner Modelle angesprochen, der Aspekt ihrer inhaltsstrukturellen Beschaffenheit. Erst in der Strukturbildung kommt die Erkenntnis- und Gestaltungsfunktion interner Modelle nachhaltig zum Tragen, die Funktion nämlich, Invarianzen, Regelhaftigkeiten und Sinnstrukturen in der Umwelt zu identifizieren und diese für die Sicherung der Existenz und die Realisierung eigener Gestaltungsvorstellungen zu nutzen. Die Strukturbildung läßt sich analytisch auf drei Teilleistungen zurückführen (vgl. MANDL/HUBER 1978): − Die Differenzierung von Phänomenen, also die Unterscheidung zumindest gedanklich isolierbarer Entitäten im Wahrnehmungsstrom. Hierbei kann es sich um isolierte Einzelphänomene oder auch um äußerst komplizierte Gebilde oder Prozesse handeln. Wesentlich ist, daß sie als „Einheit“ erfaßt werden und als solche auch Träger von Merkmalen und Eigenschaften sein können. − Die Diskrimination von Phänomenen, also die Unterscheidung verschiedener Varianten dieser „Einheiten“ auf der Grundlage verschieden ausgeprägter Merkmale. Der Diskriminierung korrespondiert in der Regel eine weitere Anreicherung mit relevanten Merkmalen. − Die Integration von Phänomenen, d. h. die Herausbildung von Beziehungen zwischen unterschiedlichen „Einheiten“ und damit auch die perzeptive oder gedankliche Erzeugung neuer „Einheiten“. Nach Art der vorliegenden Beziehung lassen sich die abstraktive Integration zu Klassen von Phänomenen („ist-ein-Relation“) und die komplexbildende Integration unterscheiden. Letztere führt zu Komplexionen, worunter aus Teilen zusammengesetzte Ganzheiten verstanden werden, zwischen deren Elementen bestimmte raum-zeitliche Relationen herrschen (vgl. DÖRNER 1987, S. 33). Komplexionen sind - wie auch Modelle - pragmatische Entitäten; sie dienen im wesentlichen dazu, Instrumente zur menschlichen Lebensbewältigung durch Wahrnehmen, 239
Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Denken und Handeln bereitzustellen, und sie sind als solche Ergebnis zweckbezogener menschlicher Konstruktionsleistungen. Entsprechend findet jede konstruktive menschliche Leistung - im Sinne AEBLIs jede Stiftung von Beziehung und Ordnung - ihren Ausdruck in einer Komplexion: − Wenn innere Modelle subjektive Abbilder der aktuellen Handlungssituation sind, so heißt dies zugleich, daß sie die intern repräsentierten Elemente der Situation zu bedeutungshaltigen Komplexionen integrieren. − Wenn Zielzustände intern abgebildet werden, so heißt dies, daß eine noch nicht realisierte (vielleicht gar eine noch nie realisierte) Komplexion antizipiert wird. − Problemlösung und Handlungsplanung suchen nach Strategien der schrittweisen Verwirklichung angestrebter Komplexionen; die zeitliche Abfolge einzelner Handlungen und Operationen stellt dabei selbst auch eine Komplexion dar, deren internes Abbild der fortlaufenden Handlungsregulation dient. Es kann also konstatiert werden, daß die Fähigkeit zur Situationsdefinition, zur Ausbildung von Zielen und schließlich zur Entwicklung und Verwirklichung von Handlungsplänen sich im Aufbau komplexer innerer Abbilder realisieren. Den Aspekt der abstraktiven Integration hatten wir bereits kurz im Zusammenhang des Modalitätenproblems angesprochen. Wichtig ist in diesem Kontext, daß die Einbindung von Phänomenen in Komplexions- und Abstraktionszusammenhänge als komplementäre Prozesse verstanden werden müssen. DÖRNER (1987, S. 33) betont dies im Zusammenhang seines Wissensmodells: „Die Bilder von Komplexionen unterscheiden sich nicht nur nach ihrer Stufe in der Komplexitätshierarchie, sondern zusätzlich noch nach ihrer Stufe in der Abstraktionshierarchie. Es gibt Bilder von mehr oder minder komplexen Sachverhalten, und es gibt mehr oder minder abstrakte Bilder von Sachverhalten. Das abstrakte Bild eines Sachverhalts unterscheidet sich von einem konkreten darin, daß es ‘Leerstellen’ oder ‘Unschärfestellen’ aufweist“ Durch Abstraktion wird es möglich, eine singuläre Aussage oder Erfahrung als charakteristisch für eine - durch die invariante Grundstruktur gekennzeichnete - Klasse von Voraussetzungen oder Situationen zu erkennen. Über den Prozeß der Abstraktion eröffnet sich die Chance, durch singuläre Erfahrung gewonnene Aussagen über Zusammenhänge in Komplexionen zu generalisieren und schließlich auf Situationen zu transferieren, die zwar subjektiv neu, jedoch in ihrer abstrakten Grundstruktur durchaus bekannt sind. Welche Schlußfolgerungen lassen sich aus dieser Bestimmung inhaltlicher Charakteristika interner Modelle im Hinblick auf normativ relevante Qualitätskriterien derartiger Modelle ziehen? Hinweise zur - wenn auch noch vorläufigen, weitgehend hypothetischen und empirisch wenig abgesicherten - Beantwortung dieser Frage finden sich in der Handlungstheorie (HACKER 1978; 1983; OSTERLOH 1983), in Arbeiten zur Theorie „mentaler Modelle“ (JOHNSON-LAIRD 1983; DE KLEER/BROWN 1983; TERGAN 1986; 240
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Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />
Denken <strong>und</strong> Handeln bereitzustellen, <strong>und</strong> sie sind als solche Ergebnis zweckbezogener<br />
menschlicher Konstruktionsleistungen.<br />
Entsprechend findet jede konstruktive menschliche Leistung - im Sinne AEBLIs jede Stiftung<br />
<strong>von</strong> Beziehung <strong>und</strong> Ordnung - ihren Ausdruck in einer Komplexion:<br />
− Wenn innere Modelle subjektive Abbilder der aktuellen Handlungssituation sind, so heißt<br />
dies zugleich, daß sie die intern repräsentierten Elemente der Situation zu bedeutungshaltigen<br />
Komplexionen integrieren.<br />
− Wenn Zielzustände intern abgebildet werden, so heißt dies, daß eine noch nicht realisierte<br />
(vielleicht gar eine noch nie realisierte) Komplexion antizipiert wird.<br />
− Problemlösung <strong>und</strong> Handlungsplanung suchen nach Strategien der schrittweisen Verwirklichung<br />
angestrebter Komplexionen; die zeitliche Abfolge einzelner Handlungen <strong>und</strong><br />
Operationen stellt dabei selbst auch eine Komplexion dar, deren internes Abbild der<br />
fortlaufenden Handlungsregulation dient.<br />
Es kann also konstatiert werden, daß die Fähigkeit <strong>zur</strong> Situationsdefinition, <strong>zur</strong> Ausbildung<br />
<strong>von</strong> Zielen <strong>und</strong> schließlich <strong>zur</strong> Entwicklung <strong>und</strong> Verwirklichung <strong>von</strong> Handlungsplänen sich<br />
im Aufbau komplexer innerer Abbilder realisieren.<br />
Den Aspekt der abstraktiven Integration hatten wir bereits kurz im Zusammenhang des Modalitätenproblems<br />
angesprochen. Wichtig ist in diesem Kontext, daß die Einbindung <strong>von</strong> Phänomenen<br />
in Komplexions- <strong>und</strong> Abstraktionszusammenhänge als komplementäre Prozesse verstanden<br />
werden müssen. DÖRNER (1987, S. 33) betont dies im Zusammenhang seines<br />
Wissensmodells:<br />
„Die Bilder <strong>von</strong> Komplexionen unterscheiden sich nicht nur nach ihrer Stufe in der<br />
Komplexitätshierarchie, sondern zusätzlich noch nach ihrer Stufe in der<br />
Abstraktionshierarchie. Es gibt Bilder <strong>von</strong> mehr oder minder komplexen<br />
Sachverhalten, <strong>und</strong> es gibt mehr oder minder abstrakte Bilder <strong>von</strong> Sachverhalten.<br />
Das abstrakte Bild eines Sachverhalts unterscheidet sich <strong>von</strong> einem konkreten darin,<br />
daß es ‘Leerstellen’ oder ‘Unschärfestellen’ aufweist“<br />
Durch Abstraktion wird es möglich, eine singuläre Aussage oder Erfahrung als<br />
charakteristisch für eine - durch die invariante Gr<strong>und</strong>struktur gekennzeichnete - Klasse <strong>von</strong><br />
Voraussetzungen oder Situationen zu erkennen. Über den Prozeß der Abstraktion eröffnet sich<br />
die Chance, durch singuläre Erfahrung gewonnene Aussagen über Zusammenhänge in<br />
Komplexionen zu generalisieren <strong>und</strong> schließlich auf Situationen zu transferieren, die zwar<br />
subjektiv neu, jedoch in ihrer abstrakten Gr<strong>und</strong>struktur durchaus bekannt sind.<br />
Welche Schlußfolgerungen lassen sich aus dieser Bestimmung inhaltlicher Charakteristika<br />
interner Modelle im Hinblick auf normativ relevante Qualitätskriterien derartiger Modelle<br />
ziehen? Hinweise <strong>zur</strong> - wenn auch noch vorläufigen, weitgehend hypothetischen <strong>und</strong><br />
empirisch wenig abgesicherten - Beantwortung dieser Frage finden sich in der<br />
Handlungstheorie (HACKER 1978; 1983; OSTERLOH 1983), in Arbeiten <strong>zur</strong> Theorie „mentaler<br />
Modelle“ (JOHNSON-LAIRD 1983; DE KLEER/BROWN 1983; TERGAN 1986;<br />
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