4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen zutage treten. Also dann, wenn es für den Lernenden darum geht, über die Belegung vorgeschriebener Kurse, das Erreichen von Zensuren, das Bestehen von Prüfungen etc. gesellschaftlich anerkannte Zertifikate zu erwerben, über die seine weiteren Bildungs- und damit Lebenschancen wesentlich bestimmt werden (vgl. ZIERTMANN 1929; KELL 1982; FEND 1980). Daß dies das Handeln der Schüler auch im alltäglichen Unterricht stark beeinflußt, wird spätestens dann deutlich, wenn der Selektionsdruck im Übergang vom Bildungs- zum Beschäftigungssystem steigt. 4.2.2.4 Lernhandeln als zielorientiertes Handeln Erste Überlegungen zur Sinn- und Zielorientierung des Lernhandelns hatten wir bereits im Kontext der Definition des Begriffs „Lernhandeln“ (Kapitel 4.2.2.1) angestellt. Während wir dort vom Lernbegriff ausgehend argumentiert haben, wollen wir nun unter Rückgriff auf das allgemeine Handlungsmodell die Funktion der Zielgerichtetheit des Lernhandelns ausdifferenzieren. Die Abgrenzung handlungstheoretischer Ansätze von behavioralen und mentalistischen Persönlichkeitsmodellen läßt sich kaum prägnanter verdeutlichen, als über ihre grundlegende Annahme, daß das menschliches Handeln gegenständlich und bewußt zielgerichtet sei. Im Kern ist damit gesagt, daß der Mensch sich mit Erscheinungen seiner physischen und sozialen Umwelt auseinandersetzt und daß dieses „Sich-auseinandersetzen“ beinhaltet, daß der Mensch mögliche zukünftige Zustände gedanklich vorwegnimmt, bestimmte Zustände positiv bewertet und sich entschließt, diese anzustreben und daß er schließlich solche angestrebten Zustände durch sein Tun (oder auch sein Unterlassen) herbeizuführen versucht. HACKER (1983, S. 19) beschreibt in seinem Handlungsmodell den Aspekt der Zielgerichtetheit folgendermaßen: „Handlungen verändern die psychische oder soziale Umgebung, indem ihre künftigen Resultate antizipiert und als Ziele gespeichert sind. Damit gehen mentale Veränderungen der Realität den motorischen Veränderungen voraus: Handlungen sind in ausschlaggebendem Umfange durch das Vorwegnehmen künftiger Ergebnisse, nicht durch frühere Eindrücke oder angeborene Mechanismen reguliert. Die Ergebnisse bestimmen die zu ihnen führenden Verrichtungen, nicht nur umgekehrt ...“ Die Funktion von Zielen im Handlungskontext läßt sich unter drei Akzenten präzisieren: 1. Ziele haben eine inhaltliche Orientierungsfunktion, d. h. sie umfassen ein „inneres Modell des beabsichtigten Ergebnisses“, auf das hin die Handlungsplanung bezogen ist und sie stellen für die Handlungsausführung ein Sollmodell bereit, mit dem die tatsächlich erzielten Handlungsresultate „rückgekoppelt“ werden (vgl. HACKER 1983, S. 19). Als „bewertete Ziele“ umfassen sie zudem Vorstellungen darüber, unter welchen Nebenbedingungen diese Ergebniszustände erreicht werden sollen („Kostengrenzen“, Nebenwirkungen, Prozeßmerkmale) (vgl. OSTERLOH 1983). 2. Ziele haben eine energetische Funktion, d. h. die Zielantizipationen werden im motivationalen Prozeß einer kognitiven und emotionalen Bewertung unterzogen und der 219

Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Grad ihrer subjektiven Attraktivität bestimmt - in Wechselwirkung mit anderen Faktoren - die Handlungstendenz des Subjekts, also den Grad seiner Bereitschaft, eine bestimmte Handlung tatsächlich zu realisieren (vgl. ebenda; vgl. HECKHAUSEN 1989; vgl. SCHIEFELE 1979). 3. Ziele haben im Kontext sozialen und insbesondere kooperativen Handelns eine legitimatorische Funktion. Immer dann, wenn andere Menschen von den Ergebnissen eigenen Handelns betroffen sind, stellt sich die Frage nach der rechtlichen bzw. moralischen Zulässigkeit dieses Handelns; immer dann, wenn im Zuge gemeinsamen Handelns mehrere Menschen ihr Handeln aufeinander - und dies heißt auch, auf ein gemeinsames Ziel hin - ausrichten müssen, stellt sich die Frage, wie einem bestimmten Ziel soziale Akzeptanz verschafft werden kann. Ohne hier die verschiedenen Legitimationsmöglichkeiten diskutieren zu können, die in solchen Situationen greifen, kann doch gesagt werden, daß dabei dem argumentativen Bezug auf Ziele eine zentrale Rolle zukommt. Sei es, daß ein bestimmtes Handeln unter Bezug auf die angestrebten Ziele gerechtfertigt werden kann; sei es, daß über Zielalternativen diskursiv entschieden werden kann oder daß versucht werden kann, für bereits getroffene Zielentscheidungen inhaltliche Loyalität durch begründendes Reden zu erzeugen (vgl. FÜGLISTER 1978). Dies ist der Hintergrund, vor dem wir Lernziele als handlungsleitende Ziele des Lernhandelns und damit als Handlungsziele der Lernenden thematisieren wollen. Dabei wird vorrangig das Verhältnis von äußerem und innerem Ziel im Prozeß der Zielausrichtung des Lernhandelns zu diskutieren sein. LOMPSCHER (1984, S. 40) charakterisiert Lernziele und damit die Zielausrichtung des Lernhandelns folgendermaßen: „Lernziele sind die geistige Vorwegnahme (Antizipation) der durch die Lerntätigkeit angestrebten Ergebnisse und die Orientierung der Tätigkeit darauf, sie zu erreichen. Was sind die durch Lerntätigkeit zu erreichenden Ergebnisse? Es sind die psychischen Veränderungen des lernenden Subjekts, also die Beherrschung (Aneignung) neuer Handlungen, Verhaltensweisen, Bedeutungen, Werte, Normen, Begriffe, Gesetzmäßigkeiten usw. in Form von Kenntnissen, Fähigkeiten, Einstellungen und anderen psychischen Eigenschaften. Von diesen psychischen Ergebnissen muß man die äußeren Produkte oder Resultate der Tätigkeit unterscheiden: Zeichnungen, schriftliche Arbeiten, Tabellen, Materialsammlungen, Werkstücke, mündliche Aussagen u. a. Diese Tätigkeitsprodukte spielen eine wichtige Rolle in der Lerntätigkeit, sind aber nicht ihr eigentliches Ziel.“ Die von LOMPSCHER begründete Überordnung der auf die Entwicklung der internen Handlungsvoraussetzungen gerichteten (inneren) Ergebnisse des Lernhandelns gegenüber seinen unmittelbaren (äußeren) Produkten haben wir bereits an anderer Stelle begründet und illustriert. Vergleichbar argumentiert auch AEBLI (1978, S. 284ff.) gegenüber dem oft kurzschlüssigen Verständnis eines auf operationalisierte Lernziele ausgerichteten Unterrichts, indem er zeigt, daß dort die Orientierung an äußeren (Verhaltens-)Produkten die Beachtung strukturell definierter Lernziele verhindert. Problematisch wird es nun, wenn aus dieser kategorialen Hierarchie die Konsequenz gezogen wird, daß der Lernhandelnde selbst diese primäre Orientierung an den psychischen (inneren) 220

Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

Grad ihrer subjektiven Attraktivität bestimmt - in Wechselwirkung mit anderen Faktoren<br />

- die Handlungstendenz des Subjekts, also den Grad seiner Bereitschaft, eine bestimmte<br />

Handlung tatsächlich zu realisieren (vgl. ebenda; vgl. HECKHAUSEN 1989; vgl. SCHIEFELE<br />

1979).<br />

3. Ziele haben im Kontext sozialen <strong>und</strong> insbesondere kooperativen Handelns eine legitimatorische<br />

Funktion. Immer dann, wenn andere Menschen <strong>von</strong> den Ergebnissen eigenen<br />

Handelns betroffen sind, stellt sich die Frage nach der rechtlichen bzw. moralischen<br />

Zulässigkeit dieses Handelns; immer dann, wenn im Zuge gemeinsamen Handelns<br />

mehrere Menschen ihr Handeln aufeinander - <strong>und</strong> dies heißt auch, auf ein gemeinsames<br />

Ziel hin - ausrichten müssen, stellt sich die Frage, wie einem bestimmten Ziel soziale<br />

Akzeptanz verschafft werden kann. Ohne hier die verschiedenen<br />

Legitimationsmöglichkeiten diskutieren zu können, die in solchen Situationen greifen,<br />

kann doch gesagt werden, daß dabei dem argumentativen Bezug auf Ziele eine zentrale<br />

Rolle zukommt. Sei es, daß ein bestimmtes Handeln unter Bezug auf die angestrebten<br />

Ziele gerechtfertigt werden kann; sei es, daß über Zielalternativen diskursiv entschieden<br />

werden kann oder daß versucht werden kann, für bereits getroffene Zielentscheidungen<br />

inhaltliche Loyalität durch begründendes Reden zu erzeugen (vgl. FÜGLISTER 1978).<br />

Dies ist der Hintergr<strong>und</strong>, vor dem wir Lernziele als handlungsleitende Ziele des Lernhandelns<br />

<strong>und</strong> damit als Handlungsziele der Lernenden thematisieren wollen. Dabei wird vorrangig das<br />

Verhältnis <strong>von</strong> äußerem <strong>und</strong> innerem Ziel im Prozeß der Zielausrichtung des Lernhandelns zu<br />

diskutieren sein.<br />

LOMPSCHER (1984, S. 40) charakterisiert Lernziele <strong>und</strong> damit die Zielausrichtung des Lernhandelns<br />

folgendermaßen:<br />

„Lernziele sind die geistige Vorwegnahme (Antizipation) der durch die Lerntätigkeit<br />

angestrebten Ergebnisse <strong>und</strong> die Orientierung der Tätigkeit darauf, sie zu erreichen.<br />

Was sind die durch Lerntätigkeit zu erreichenden Ergebnisse? Es sind die<br />

psychischen Veränderungen des lernenden Subjekts, also die Beherrschung<br />

(Aneignung) neuer Handlungen, Verhaltensweisen, Bedeutungen, Werte, Normen,<br />

Begriffe, Gesetzmäßigkeiten usw. in Form <strong>von</strong> Kenntnissen, Fähigkeiten,<br />

Einstellungen <strong>und</strong> anderen psychischen Eigenschaften. Von diesen psychischen<br />

Ergebnissen muß man die äußeren Produkte oder Resultate der Tätigkeit<br />

unterscheiden: Zeichnungen, schriftliche Arbeiten, Tabellen, Materialsammlungen,<br />

Werkstücke, mündliche Aussagen u. a. Diese Tätigkeitsprodukte spielen eine<br />

wichtige Rolle in der Lerntätigkeit, sind aber nicht ihr eigentliches Ziel.“<br />

Die <strong>von</strong> LOMPSCHER begründete Überordnung der auf die Entwicklung der internen Handlungsvoraussetzungen<br />

gerichteten (inneren) Ergebnisse des Lernhandelns gegenüber seinen<br />

unmittelbaren (äußeren) Produkten haben wir bereits an anderer Stelle begründet <strong>und</strong><br />

illustriert. Vergleichbar argumentiert auch AEBLI (1978, S. 284ff.) gegenüber dem oft<br />

kurzschlüssigen Verständnis eines auf operationalisierte Lernziele ausgerichteten Unterrichts,<br />

indem er zeigt, daß dort die Orientierung an äußeren (Verhaltens-)Produkten die Beachtung<br />

strukturell definierter Lernziele verhindert.<br />

Problematisch wird es nun, wenn aus dieser kategorialen Hierarchie die Konsequenz gezogen<br />

wird, daß der Lernhandelnde selbst diese primäre Orientierung an den psychischen (inneren)<br />

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