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4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

<strong>4.</strong>2.2.3 Lernhandeln als gesellschaftlich, institutionell <strong>und</strong> sozial eingeb<strong>und</strong>enes<br />

Handeln<br />

Wir haben als wesentliches Merkmal des Lernhandelns die Interaktion des Individuums mit<br />

seiner materiellen <strong>und</strong> sozialen Umwelt angeführt. Es soll nunmehr <strong>zur</strong> weiteren<br />

Charakterisierung des Lernhandelns verdeutlicht werden, daß diese Interaktion immer auch<br />

eine soziale <strong>und</strong> eine historische Dimension hat, daß Lernhandeln als gesellschaftlich,<br />

institutionell <strong>und</strong> sozial überformtes Handeln zu verstehen ist.<br />

In einer struktur<strong>analytischen</strong> Situationsanalyse formulieren GRAUMANN/MÉTRAUX (1977, S.<br />

45f.) die Aspekte der „Sozialität“ <strong>und</strong> „Historizität“ der Handlungssituation aus phänomenologischer<br />

Sicht folgendermaßen:<br />

„Gleich ob ich mit anderen zusammen oder allein bin, immer sind die anderen, persönlich<br />

oder anonym, oft nur in Dingen, die <strong>von</strong> ihnen stammen, mit da ... Der<br />

prinzipiell kommunikative Bezug zu den anderen ist schon durch die Sprache, die ich<br />

mit ihnen teile, allgegenwärtig ... Aber auch die Dinge, zu denen ich mich verhalte,<br />

sind in ihrem Gegenstandssinn primär soziale. Ich bin <strong>von</strong> Anfang an in eine Welt<br />

<strong>von</strong> anderen gesetzt, die schon da waren <strong>und</strong> nach mir da sein werden ... Ich selbst,<br />

die anderen Menschen <strong>und</strong> die <strong>von</strong> Menschen gemachten <strong>und</strong> bezeichneten Dinge<br />

stehen in einem Horizont der Zeitlichkeit...“<br />

Am systematischsten ist die in diesem Zitat angesprochene Wechselwirkung <strong>von</strong> gegenständlicher,<br />

sozialer <strong>und</strong> historisch-gesellschaftlicher Seite im Prozeß des Handelns <strong>und</strong> der<br />

Persönlichkeitsentwicklung in der sowjetischen Psychologie untersucht worden. Auf der Basis<br />

eines materialistischen Gesellschafts- <strong>und</strong> Menschenbildes, also im deutlichen Unterschied<br />

<strong>zur</strong> phänomenologischen Wissenschaftskonzeption, wurde dort insbesondere <strong>von</strong> Vertretern<br />

der „Kulturhistorischen Schule“ (WYGOTSKI 1964; GALPERIN 1967; LEONTJEW 1975) die<br />

Frage nach dem Zusammenhang <strong>von</strong> „Phylogenese“ <strong>und</strong> „Ontogenese“ verfolgt, das Problem<br />

also, in welcher Wechselbeziehung die gattungsgeschichtliche <strong>und</strong> die individuelle<br />

Entwicklung stehen.<br />

Die Kernthese des für diesen Ansatz zentralen „Aneignungskonzepts“ besagt, daß sich die Entwicklung<br />

der geistigen Fähigkeiten <strong>und</strong> des Wissenssystems eines jeden Menschen als individuelle<br />

Reproduktion der in den Produkten vergangener Tätigkeit vergegenständlichten akkumulierten<br />

Erfahrungen (Fähigkeiten, Wissen) der Menschheit insgesamt vollzieht (LEONTJEW<br />

1975, S. 230ff.; vgl. SIMON 1980, S. 71). Menschliche Kompetenz erhält damit zugleich eine<br />

historische <strong>und</strong> eine gesellschaftliche Dimension, weil „die in den Gegenständen <strong>und</strong><br />

tradierten Umgangserfahrungen (Technologien) enthaltenen Erkenntnisse solche der gesamten<br />

menschlichen Gesellschaft in einem historisch konkreten Zeitpunkt sind“ (VORWERG 1985, S.<br />

77). Als prototypische Träger derartiger historisch-gesellschaftlicher Erfahrungen gelten<br />

Werkzeuge, Sprache <strong>und</strong> kulturelle Objektivationen (vgl. MATTHÄUS 1988, S. 12ff).<br />

„Im Laufe seiner Ontogenese tritt der Mensch in besondere Beziehungen zu der Welt<br />

der Dinge <strong>und</strong> Erscheinungen, die <strong>von</strong> den früheren Generationen geschaffen worden<br />

sind. Die Spezifik dieser Beziehungen wird auf der einen Seite vom Wesen dieser<br />

Gegenstände <strong>und</strong> Erscheinungen bestimmt. Auf der anderen Seite hängt sie <strong>von</strong> den<br />

Bedingungen ab, unter denen sich diese Beziehungen bilden“ (LEONTJEW 1975, S.<br />

231).<br />

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