4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen - die Inhalts- und Strukturkomponente; Lernen bewirkt „Erfahrungen und Wissen“, die die strukturelle Grundlage der neu erworbenen Kompetenz darstellen. Es führt zu neuen, umgestalteten, differenzierteren oder stabileren Gedächtnis- bzw. Wissensstrukturen; - die Interaktionskomponente; Lernen setzt die Wechselwirkung bzw. „Transaktion“ (LAN- TERMANN 1980, S. 123) des Subjekts mit seiner gegenständlichen und sozialen Umwelt voraus (Interaktion), diese Transaktion wiederum - wie auch das Beobachten, Nachvollziehen und Konstruieren, das ihre Auswertung ermöglicht - erfordert die zielgerichtete Aktivität des Subjekts. (Interaktion) (vgl. LEMPERT 1979, S. 88). Im Sinne eines interaktionistischen Grundverständnisses stellt individuelles Handeln das zentrale Bindeglied im Transaktionsverhältnis zwischen dem Subjekt und seiner Umwelt dar. Durch sein Handeln verändert und gestaltet der Mensch seine Umwelt bzw. seine Beziehung zur Umwelt in zielgerichteter, erwartungsorientierter und bewußt gesteuerter Weise. Zugleich gewinnt er dadurch, daß er seine Zielantizipationen, seine operativen Handlungsmöglichkeiten und sein Wissen im Handlungsvollzug erprobt, Informationen über seine Umwelt und über sich selbst. Er erfährt etwas über die Angemessenheit seiner Erwartungen, seines Wissens, seiner Handlungs- und Problemlöseschemata; kurz: Er erhält subjektiv bedeutsame Informationen, die eine Weiterentwicklung seiner kognitiven Struktur und seiner operativen Kompetenz ermöglichen. Auch wenn somit jedes Handeln potentiell lernrelevant ist, läßt sich aus den Formen menschlichen Handelns das Lernhandeln insofern besonders herausheben und von anderen Handlungsformen abgrenzen, als es seinem sozial wie individuell zugeordneten Sinn nach primär auf die Ausbildung der subjektiven Orientierungs- und Handlungsfähigkeit bzw. den Auf- und Ausbau kognitiver Strukturen gerichtet ist (vgl. FÜGLISTER 1983, S. 193; zum Aspekt der sozialen Sinnkonstitution vgl. VON CRANACH u. a. 1980, S. 92ff). Dieses Charakteristikum wird bei LOMPSCHER im Sinne der materialistischen Tätigkeitspsychologie deutlich hervorgehoben: „In allgemeinster Form besteht das Wesen der Lerntätigkeit darin, daß sie direkt auf die Aneignung gesellschaftlichen Wissens und Könnens und damit auf die Veränderung des Subjekts dieser Tätigkeit gerichtet ist. In anderen Tätigkeitsarten steht die Veränderung des Objekts - durch Arbeit oder Spiel beispielsweise - im Vordergrund. Dabei verändert sich das Subjekt ebenfalls. Aber diese psychischen Veränderungen sind gewissermaßen unbeabsichtigtes Nebenergebnis der Tätigkeit (...). Sinn und Funktion der Lerntätigkeit bestehen demgegenüber in der psychischen Veränderung der eigenen Persönlichkeit (LOMPSCHER et al 1985, S. 35) „Die Veränderungen von Objekten, die durch Lerntätigkeiten natürlich auch bewirkt werden (sei es durch das Lösen einer Aufgabe, das Schreiben eines Aufsatzes, das Herstellen eines materiellen Produkts usw.) sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck: Sie schaffen die objektiven Möglichkeiten für Veränderungen des Subjekts in und durch Tätigkeit, und sie ermöglichen die Einschätzung, wie weit dieser Prozeß jeweils gediehen ist“ (LOMPSCHER 1981, S. 441). Noch klarer schließlich akzentuiert RUBINSTEIN (1971, S. 741) im gleichen theoretischen Kontext das Verhältnis von Lernen und Lerntätigkeit: 203

Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen „Es gibt ... zwei Formen oder genauer zwei Methoden des Lernens und zwei Tätigkeitsformen, die zum Erwerb neuer Kenntnisse und Fertigkeiten führen. Die eine ist speziell auf das direkte Ziel der Aneignung dieser Kenntnisse und Fertigkeiten gerichtet. Die andere führt zur Beherrschung dieser Kenntnisse und Fertigkeiten, indem sie andere Ziele verwirklicht. Das Lernen ist im letzten Fall keine selbständige Tätigkeit, sondern ein Prozeß, der sich als Komponente einer anderen Tätigkeit vollzieht und deren Resultat ist.“ Zur Charakterisierung des Lernhandelns - wie auch anderer Tätigkeitsformen - scheint es uns sinnvoll, zwischen dem Ziel einer Tätigkeit als deren gedanklich vorweggenommenem Ergebnis einerseits und dem (subjektiven) Motiv bzw. Sinn 1 sowie der (im sozialen Kontext definierten) Funktion dieser Handlung andererseits zu unterscheiden, wodurch sie und ihr Ergebnis in übergreifende individuelle wie gesellschaftliche Zweck-Mittel-Beziehungen eingebunden und letztlich zu existentiellen menschlichen Bedürfnissen in Beziehung gesetzt werden (vgl. RUBINSTEIN 1971, S. 697; HACKER 1978, S. 109 ff.). Die Relevanz dieser Unterscheidung gerade für den berufsbildenden Bereich illustriert das folgende Beispiel: Zwei Personen verfolgen in ihrem Tun das gleiche Ziel, z. B. die Formulierung eines Geschäftsbriefes. Der kaufmännische Sachbearbeiter, der dies im Rahmen und unter der Motivlage seines Arbeitshandelns ausführt, orientiert sich an den Nebenbedingungen sachliche und formale Korrektheit, Schnelligkeit und Aufwandsminimierung. Diese Nebenbedingungen bestimmen die Art der Aufgabenbewältigung und damit die Qualität der individuellen Handlungsregulation wesentlich mit: Der Sachbearbeiter wird das Schreiben beispielsweise mit den ihm vertrauten Arbeitsmitteln, ggf. unter Verwendung von Textbausteinen eines Textverarbeitungssystems, erstellen. Der Berufsfachschüler erstellt das gleiche Produkt unter der Motivlage des Lernhandelns, d. h. zum Zwecke des Kompetenzerwerbs. Auftretende Fehler, Hemmungen durch nicht vertraute Arbeitsmittel oder generell durch die Grenzen seiner momentanen Kompetenz sind hier nicht als Störungen negativ zu bewerten, sondern stellen - recht verstanden - Chancen dar, die es zu nutzen gilt. Es läßt sich folgern, daß der Sinn bzw. die Funktion der Tätigkeit die Optimierungsbedingungen der Zielerreichung bestimmt und damit den Handlungsablauf wesentlich prägt. Hinzugefügt sei, daß selbstverständlich diese Motivlage bzw. Zweckbindung auch schon die Auswahl der Handlungsziele und die Festlegung der (materiellen und sozialen) Handlungsbedingungen wesentlich beeinflussen wird. Eine Verbindung zur Terminologie der Betriebswirtschaftslehre bietet sich insofern also an, als das Lernhandeln durchaus gleiche Sachziele (KLIX spricht vom „Endzustand“) aufweisen kann wie das Arbeitshandeln, sich jedoch im Formalzielbereich (KLIX nennt dies „Zielzustand“) von diesem deutlich unterscheidet (vgl. OSTERLOH 1983; S. 169ff; KLIX 1971, S. 707 u. 726). Es soll an dieser Stelle als Zwischenresümé festgehalten werden, daß wir das Lernhandeln von anderen Handlungsformen wie (Spiel oder Arbeitshandeln) durch seinen spezifischen Sinn- 1 Motiv wird hier in Anlehnung an Max WEBER (1921, S. 5) im soziologischen Sinne verstanden: "'Motiv' heißt ein Sinnzusammenhang, welcher dem Handelnden selbst oder dem Betrachtenden als sinnhafter 'Grund' eines Verhaltens erscheint" 204

Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

- die Inhalts- <strong>und</strong> Strukturkomponente; Lernen bewirkt „Erfahrungen <strong>und</strong> Wissen“, die die<br />

strukturelle Gr<strong>und</strong>lage der neu erworbenen Kompetenz darstellen. Es führt zu neuen,<br />

umgestalteten, differenzierteren oder stabileren Gedächtnis- bzw. Wissensstrukturen;<br />

- die Interaktionskomponente; Lernen setzt die Wechselwirkung bzw. „Transaktion“ (LAN-<br />

TERMANN 1980, S. 123) des Subjekts mit seiner gegenständlichen <strong>und</strong> sozialen Umwelt<br />

voraus (Interaktion), diese Transaktion wiederum - wie auch das Beobachten, Nachvollziehen<br />

<strong>und</strong> Konstruieren, das ihre Auswertung ermöglicht - erfordert die zielgerichtete<br />

Aktivität des Subjekts. (Interaktion) (vgl. LEMPERT 1979, S. 88).<br />

Im Sinne eines interaktionistischen Gr<strong>und</strong>verständnisses stellt individuelles Handeln das zentrale<br />

Bindeglied im Transaktionsverhältnis zwischen dem Subjekt <strong>und</strong> seiner Umwelt dar.<br />

Durch sein Handeln verändert <strong>und</strong> gestaltet der Mensch seine Umwelt bzw. seine Beziehung<br />

<strong>zur</strong> Umwelt in zielgerichteter, erwartungsorientierter <strong>und</strong> bewußt gesteuerter Weise. Zugleich<br />

gewinnt er dadurch, daß er seine Zielantizipationen, seine operativen Handlungsmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> sein Wissen im Handlungsvollzug erprobt, Informationen über seine Umwelt <strong>und</strong> über<br />

sich selbst. Er erfährt etwas über die Angemessenheit seiner Erwartungen, seines Wissens,<br />

seiner Handlungs- <strong>und</strong> Problemlöseschemata; kurz: Er erhält subjektiv bedeutsame Informationen,<br />

die eine Weiterentwicklung seiner kognitiven Struktur <strong>und</strong> seiner operativen Kompetenz<br />

ermöglichen.<br />

Auch wenn somit jedes Handeln potentiell lernrelevant ist, läßt sich aus den Formen menschlichen<br />

Handelns das Lernhandeln insofern besonders herausheben <strong>und</strong> <strong>von</strong> anderen<br />

Handlungsformen abgrenzen, als es seinem sozial wie individuell zugeordneten Sinn nach<br />

primär auf die Ausbildung der subjektiven Orientierungs- <strong>und</strong> Handlungsfähigkeit bzw. den<br />

Auf- <strong>und</strong> Ausbau kognitiver Strukturen gerichtet ist (vgl. FÜGLISTER 1983, S. 193; zum<br />

Aspekt der sozialen Sinnkonstitution vgl. VON CRANACH u. a. 1980, S. 92ff).<br />

Dieses Charakteristikum wird bei LOMPSCHER im Sinne der materialistischen Tätigkeitspsychologie<br />

deutlich hervorgehoben:<br />

„In allgemeinster Form besteht das Wesen der Lerntätigkeit darin, daß sie direkt auf<br />

die Aneignung gesellschaftlichen Wissens <strong>und</strong> Könnens <strong>und</strong> damit auf die Veränderung<br />

des Subjekts dieser Tätigkeit gerichtet ist. In anderen Tätigkeitsarten steht die<br />

Veränderung des Objekts - durch Arbeit oder Spiel beispielsweise - im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Dabei verändert sich das Subjekt ebenfalls. Aber diese psychischen Veränderungen<br />

sind gewissermaßen unbeabsichtigtes Nebenergebnis der Tätigkeit (...). Sinn <strong>und</strong><br />

Funktion der Lerntätigkeit bestehen demgegenüber in der psychischen Veränderung<br />

der eigenen Persönlichkeit (LOMPSCHER et al 1985, S. 35)<br />

„Die Veränderungen <strong>von</strong> Objekten, die durch Lerntätigkeiten natürlich auch bewirkt<br />

werden (sei es durch das Lösen einer Aufgabe, das Schreiben eines Aufsatzes, das<br />

Herstellen eines materiellen Produkts usw.) sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel<br />

zum Zweck: Sie schaffen die objektiven Möglichkeiten für Veränderungen des<br />

Subjekts in <strong>und</strong> durch Tätigkeit, <strong>und</strong> sie ermöglichen die Einschätzung, wie weit<br />

dieser Prozeß jeweils gediehen ist“ (LOMPSCHER 1981, S. 441).<br />

Noch klarer schließlich akzentuiert RUBINSTEIN (1971, S. 741) im gleichen theoretischen<br />

Kontext das Verhältnis <strong>von</strong> Lernen <strong>und</strong> Lerntätigkeit:<br />

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