4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen notwendig halten, als möglich; was meinen wir, verwirklichen zu können’“. Und er verdeutlicht die Absicht, auf Bestehendem in konstruktiver Weise aufzubauen, indem er ausführt, daß die „produktive Fragestellung ... die vorgefundene Unterrichtswirklichkeit samt ihren Zielen [respektiert; T.T.]. Aber sie ruht sich nicht darin aus. Sie will die in der bisherigen Wirklichkeit verborgenen Möglichkeiten aufspüren, aber nicht zum Zweck bloßer Entfaltung des Bisherigen“. Es gehe ihr vielmehr darum, die vorgegebene Unterrichtswirklichkeit auf dem Wege konstruktiver Kritik „auf ihre besseren, das heißt humaneren Möglichkeiten hin“ herauszufordern und damit „unterrichtliche Wirklichkeit neu gestalten“ zu helfen. Wir sehen in den gegenstandskonstituierenden Leitmodellen des (Lehr-)Lern-Prozesses allgemein bzw. der Übungsfirmenarbeit im besonderen Konkretisierungen dieser „pädagogischen Idee“. Die idealtypische Modellierung der Übungsfirmenarbeit ist entsprechend zentraler Bezugspunkt sowohl unserer theoretisch-systematischen und unserer analytischen Arbeit wie auch unserer konstruktiv-gestaltenden Zugriffe. Bevor wir im folgenden Kapitel die Grundzüge unseres Leitmodells der Übungsfirmenarbeit entwickeln, wollen wir als Fazit der bisherigen Überlegungen dieses Kapitels vier Kriterien festhalten, die bei der idealtypischen Modellierung von (Lehr-)Lern-Situationen im Rahmen einer evaluativ-konstruktiven und handlungsorientierten Curriculumstrategie beachtet werden müssen und die entsprechend auch zur Beurteilung des von uns auf der Basis einer Theorie des Lernhandelns zu entwickelnden, gegenstandskonstituierenden Leitmodells der Übungsfirmenarbeit herangezogen werden sollen: 1. Das Modell soll hinsichtlich seiner Annahmen, seiner Akzentsetzung und Reduktion explizit und begründet sein. 2. Die Begründung soll sich auf die pragmatische Intention beziehen, auf der die Modellbildung beruht. 3. Explikation und Begründung sollen sich auf die theoretischen und normativen Orientierungen beziehen, die der Modellierung zugrunde liegen. Dabei ist die innere Stimmigkeit im System der herangezogenen Theorien und Normen zu gewährleisten (HEYMANN [1984, S. 235] bezeichnet diese als Teilmodelle, die, unabhängig vom spezifischen Verwendungszweck, von dafür zuständigen Spezialisten entwickelt, nunmehr unter dem pragmatischen Interesse zum Gesamtmodell integriert werden). 4. Das Modell soll „erfahrungsoffen“ sein, d. h. insbesondere, daß empirische Daten, aber auch spontane Wahrnehmungen, die im Laufe der Modellverwendung anfallen, grundsätzlich zu einer Modifizierung des ursprünglich konstruierten Modells und der daraus resultierenden Erhebungs- und Analyseinstrumente führen können (vgl. z. B. VAN BUER 1984). 201

Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen 4.2 Lernhandeln als zentrales Konstrukt zur analytischen Rekonstruktion von Lernprozessen in der Übungsfirma 4.2.1 Lernen und Lernhandeln Unter der Zielsetzung, die Lernumwelt Übungsfirma aus der Perspektive des handelnden und lernenden Schülers zu rekonstruieren, soll im folgenden das Konzept des Lernhandelns systematisch eingeführt und unter verschiedenen modellierungsrelevanten Aspekten weiter ausgearbeitet werden. Mit der Verwendung dieses Terminus wird zweierlei bezweckt: - zum einen die Heraushebung der unmittelbar den Auf- und Ausbau individueller Handlungs- und Erkenntnissysteme bezweckenden menschlichen Aktivitäten aus dem umfassenden Lernbegriff, - zum zweiten die Einordnung dieser das Lernen bezweckenden Aktivität in den formalen Rahmen der Theorie des Handelns, wodurch zugleich die Möglichkeit eröffnet wird, Kategorien und Verfahren der Handlungs(struktur)analyse für die Modellierung und Analyse des Lernhandelns heranzuziehen. Die Zweckmäßigkeit der ersten Absicht, deren Relevanz sich aus der semantischen Unbestimmtheit des Lernbegriffs ergibt, läßt sich über die Redewendung illustrieren, ‘jemand habe den ganzen Tag gelernt und am Abend feststellen müssen, daß er tatsächlich nichts gelernt habe’; die gleiche Mehrdeutigkeit des Begriffs kommt in der geläufigen Formulierung „das Lernen lernen“ zum Ausdruck (vgl. z. B. DEUTSCHER BILDUNGSRAT 1970, S.33f.; AEBLI 1987, S. 177ff.). Der Lernbegriff bezeichnet hier sowohl die (nach außen wie nach innen gerichtete) spezifisch auf Wissens- und Kompetenzerwerb gerichtete Aktivität des Subjekts als auch deren Resultat. Das erste Beispiel zeigt, daß die Tätigkeit auch dann „Lernen“ genannt wird, wenn der angestrebte Erfolg nicht eintritt; andererseits ist klar, daß „Lernen“ auch - genauer wohl: überwiegend - stattfindet, ohne daß dies mit einer primär darauf gerichteten Aktivität direkt angestrebt wird. Es scheint uns deshalb sinnvoll, den allgemeinen Begriff des Lernens einem umfassenden Verständnis vorzubehalten, wie es beispielsweise in folgender Definition ULICHs (1981, S 37) zum Ausdruck kommt: „Lernen ist die beobachtende, nachvollziehende und zugleich konstruktive Organisation von Wahrnehmungen und Eindrücken zu Erfahrung und Wissen. Dadurch werden immer bessere Identifikation und Herstellung von Regelhaftigkeiten in Person- Umwelt-Beziehungen sowie der Aufbau generativer Handlungsregulationssysteme möglich“. In dieser Definition lassen sich drei konstitutive Aspekte in unterschiedlicher Deutlichkeit erkennen: - Die Kompetenzkomponente, das heißt Lernen erzeugt definierbare Dispositionen bzw. Potentiale, es befähigt zu Formen bzw. Qualitäten des Handelns, Wahrnehmens oder Verstehens, die vor dem Lernprozeß nicht im Repertoire des Lernenden enthalten waren; 202

Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

<strong>4.</strong>2 Lernhandeln als zentrales Konstrukt <strong>zur</strong> <strong>analytischen</strong> <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>von</strong><br />

Lernprozessen in der Übungsfirma<br />

<strong>4.</strong>2.1 Lernen <strong>und</strong> Lernhandeln<br />

Unter der Zielsetzung, die Lernumwelt Übungsfirma aus der Perspektive des handelnden <strong>und</strong><br />

lernenden Schülers zu rekonstruieren, soll im folgenden das <strong>Konzept</strong> des Lernhandelns<br />

systematisch eingeführt <strong>und</strong> unter verschiedenen modellierungsrelevanten Aspekten weiter<br />

ausgearbeitet werden.<br />

Mit der Verwendung dieses Terminus wird zweierlei bezweckt:<br />

- zum einen die Heraushebung der unmittelbar den Auf- <strong>und</strong> Ausbau individueller<br />

Handlungs- <strong>und</strong> Erkenntnissysteme bezweckenden menschlichen Aktivitäten aus dem<br />

umfassenden Lernbegriff,<br />

- zum zweiten die Einordnung dieser das Lernen bezweckenden Aktivität in den formalen<br />

Rahmen der Theorie des Handelns, wodurch zugleich die Möglichkeit eröffnet wird, Kategorien<br />

<strong>und</strong> Verfahren der Handlungs(struktur)analyse für die Modellierung <strong>und</strong> Analyse<br />

des Lernhandelns heranzuziehen.<br />

Die Zweckmäßigkeit der ersten Absicht, deren Relevanz sich aus der semantischen<br />

Unbestimmtheit des Lernbegriffs ergibt, läßt sich über die Redewendung illustrieren, ‘jemand<br />

habe den ganzen Tag gelernt <strong>und</strong> am Abend feststellen müssen, daß er tatsächlich nichts<br />

gelernt habe’; die gleiche Mehrdeutigkeit des Begriffs kommt in der geläufigen Formulierung<br />

„das Lernen lernen“ zum Ausdruck (vgl. z. B. DEUTSCHER BILDUNGSRAT 1970, S.33f.; AEBLI<br />

1987, S. 177ff.). Der Lernbegriff bezeichnet hier sowohl die (nach außen wie nach innen<br />

gerichtete) spezifisch auf Wissens- <strong>und</strong> Kompetenzerwerb gerichtete Aktivität des Subjekts<br />

als auch deren Resultat. Das erste Beispiel zeigt, daß die Tätigkeit auch dann „Lernen“<br />

genannt wird, wenn der angestrebte Erfolg nicht eintritt; andererseits ist klar, daß „Lernen“<br />

auch - genauer wohl: überwiegend - stattfindet, ohne daß dies mit einer primär darauf<br />

gerichteten Aktivität direkt angestrebt wird.<br />

Es scheint uns deshalb sinnvoll, den allgemeinen Begriff des Lernens einem umfassenden<br />

Verständnis vorzubehalten, wie es beispielsweise in folgender Definition ULICHs (1981, S 37)<br />

zum Ausdruck kommt:<br />

„Lernen ist die beobachtende, nachvollziehende <strong>und</strong> zugleich konstruktive Organisation<br />

<strong>von</strong> Wahrnehmungen <strong>und</strong> Eindrücken zu Erfahrung <strong>und</strong> Wissen. Dadurch werden<br />

immer bessere Identifikation <strong>und</strong> Herstellung <strong>von</strong> Regelhaftigkeiten in Person-<br />

Umwelt-Beziehungen sowie der Aufbau generativer Handlungsregulationssysteme<br />

möglich“.<br />

In dieser Definition lassen sich drei konstitutive Aspekte in unterschiedlicher Deutlichkeit<br />

erkennen:<br />

- Die Kompetenzkomponente, das heißt Lernen erzeugt definierbare Dispositionen bzw.<br />

Potentiale, es befähigt zu Formen bzw. Qualitäten des Handelns, Wahrnehmens oder Verstehens,<br />

die vor dem Lernprozeß nicht im Repertoire des Lernenden enthalten waren;<br />

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