4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen des Original basiert auf Wahrnehmungen und Erkenntnissen des Modellkonstrukteurs; die Konstitution des Originals stellt somit bereits einen aktiven Prozeß der perspektivischen und interessengeleiteten Selektion „aus einer wie auch immer definierten Realität“ (LEHMANN 1975, S. 134) dar. Die Elemente und Relationen im Originalsystem sind Produkte der Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erkenntnistätigkeit und als solche Ausdruck einer bestimmten Wirklichkeitsauffassung. Grundlage der Modellbildung sind also letztlich kognitive Repräsentationen von in bestimmter Weise abgegrenzten Realitätswahrnehmungen oder -vorstellungen, also interner Modelle der „Realität“. Auch wenn es damit prinzipiell so viele Originale geben kann, wie es Perspektiven und theoretische Erklärungen der Realität gibt, so kann daraus nicht auf einen unkontrollierten Relativismus geschlossen werden. Insofern, als Originale ein Produkt menschlicher Erfahrung und Erkenntnistätigkeit sind, sind sie auch intersubjektiver Überprüfung im Sinne konventionalistischer Wahrheitskriterien oder praktischer Bewährung zugänglich. Als wesentlich für unseren Zusammenhang ist festzuhalten, daß Originale als Grundlage der Modellbildung nicht vorgefunden, sondern konstruiert werden und daß diese Konstruktion eine bewußte oder unbewußte Option für eine bestimmte Wirklichkeitsauffassung darstellt. In diese fließen neben bestimmten Wahrnehmungs- und Ordnungsmustern stets auch eine spezifische Perspektive und ein pragmatisches Interesse ein. Daher ist nicht allein die Entscheidung für eine bestimmte Form der Modellierung, also der Transformation Original - Modell, sondern schon die Entscheidung für ein bestimmtes Original rechtfertigungsbedürftig (vgl. hierzu auch ACHTENHAGEN/TRAMM/PREIß/JOHN/SEEMANN-WEYMAR/SCHUNCK 1992, S. 66ff.). Mit diesen Überlegungen ist zugleich auf den curricularen Argumentationszusammenhang verwiesen: Wird ein bestimmtes Modell als Lerngegenstand in den Unterricht eingeführt, so impliziert dies die Entscheidung dafür, ein zugeordnetes Original als Erkenntnisgegenstand zu wählen. Eine solche Entscheidung muß transparent gemacht und so explizit in den curricularen Begründungszusammenhang eingeführt werden. Bezogen auf das Modell Übungsfirma ist somit die Frage aufzuwerfen, welches Original diesem zugrundeliegt. In der Übungsfirmenliteratur wird in diesem Zusammenhang stets recht undifferenziert von „Realitätsbezug“ gesprochen (vgl. z. B. ZIMMERMANN 1979). Die Problematik dieser Orientierung dürfte deutlich geworden sein. Etwas präziser wird beispielsweise ZIMMERMANN, wenn er davon spricht, die von ihm geleitete Übungsfirma sei regional typischen Wirtschaftsbetrieben nachgebildet (ZIMMERMANN/HEMMERLING 1979). Grundsätzlich kann festgehalten werden, daß eine derartige Praxis der „Realitätsorientierung“ darauf hinausläuft, daß das Original der Übungsfirma die subjektive kognitive Repräsentation des Erfahrungsobjektes Betrieb in den Köpfen der Modellkonstrukteure ist. Wir bezeichnen ein solches Vorgehen, das wir mit Abbildung 46 skizzieren, als „vorwissenschaftlich-naives Modellierungskonzept“. 339

Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen A: vorwissenschaftlich-naives Modellierungskonzept Realitätsbereich intrasubjektive Rekonstruktion Reifikation Erfahrungsobjekt Original Unternehmung Modell internes Modell des Konstrukteurs Orig. Modell didaktisches Modell Übungsfirma Realitätsbereich Abbildung 46 Vorwissenschaftlich-naives Modellierungskonzept Problematisch ist ein solches Vorgehen, weil damit ein relativ unkontrollierter Subjektivismus bei der Konstitution des Originals und damit auch bei der Transformation in das Modell begünstigt wird. Um dies zu vermeiden, scheint es uns notwendig, a) die Realitätsauffassung, die im Original zum Ausdruck kommt, explizit aufzudecken und b) sich bei der Konstruktion des Originals am Stand der wissenschaftlichen Gegenstandserkenntnis zu orientieren, wie er sich in intersubjektiven Prozessen der Erfahrungsstrukturierung und der Erfahrungsprüfung herausgebildet hat. Für uns ergibt sich daraus die praktische Konsequenz, die Vorstellung von Struktur- und Prozeßmerkmalen des Originalsystems Betrieb unter Rückgriff auf betriebswirtschaftliche Theorien zu konkretisieren. Wir beziehen uns also nicht unmittelbar auf den singulären Erfahrungsgegenstand Betrieb, sondern vielmehr auf das „System Betrieb“ als generalisierten Erkenntnisgegenstand, wie er im entsprechenden Wissenschaftsbereich konstituiert wird. In konstruktiver Perspektive ließe sich ein solches Modellierungskonzept als „wissenschaftsorientiert-monogen“ bezeichnen und in folgender Weise abbilden (Abbildung 47): B: wissenschaftsorientiert-monogenes Modellierungskonzept Realitätsbereich intersubjektive Rekonstruktion Reifikation Realitätsbereich BWL A BWL B BWL C Erkenntnisobjekt O O M M M BWL-Modell A BWL-Modell B BWL-Modell C O M didaktisches Modell Übungsfirma Abbildung 47: wissenschaftsorientiert-monogenes Modellierungskonzept Ein möglicher Einwand gegen diese Entscheidung könnte sein, daß damit der pädagogischen Intention nicht hinreichend Rechnung getragen werde, weil insbesondere die spezifische 340

Kapitel 4: <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

A: vorwissenschaftlich-naives Modellierungskonzept<br />

Realitätsbereich<br />

intrasubjektive<br />

<strong>Rekonstruktion</strong><br />

Reifikation<br />

Erfahrungsobjekt<br />

Original<br />

Unternehmung<br />

Modell<br />

internes Modell<br />

des Konstrukteurs<br />

Orig.<br />

Modell<br />

didaktisches Modell<br />

Übungsfirma<br />

Realitätsbereich<br />

Abbildung 46 Vorwissenschaftlich-naives Modellierungskonzept<br />

Problematisch ist ein solches Vorgehen, weil damit ein relativ unkontrollierter Subjektivismus<br />

bei der Konstitution des Originals <strong>und</strong> damit auch bei der Transformation in das Modell begünstigt<br />

wird. Um dies zu vermeiden, scheint es uns notwendig,<br />

a) die Realitätsauffassung, die im Original zum Ausdruck kommt, explizit aufzudecken <strong>und</strong><br />

b) sich bei der Konstruktion des Originals am Stand der wissenschaftlichen Gegenstandserkenntnis<br />

zu orientieren, wie er sich in intersubjektiven Prozessen der Erfahrungsstrukturierung<br />

<strong>und</strong> der Erfahrungsprüfung herausgebildet hat.<br />

Für uns ergibt sich daraus die praktische Konsequenz, die Vorstellung <strong>von</strong> Struktur- <strong>und</strong> Prozeßmerkmalen<br />

des Originalsystems Betrieb unter Rückgriff auf betriebswirtschaftliche Theorien<br />

zu konkretisieren. Wir beziehen uns also nicht unmittelbar auf den singulären Erfahrungsgegenstand<br />

Betrieb, sondern vielmehr auf das „System Betrieb“ als generalisierten Erkenntnisgegenstand,<br />

wie er im entsprechenden Wissenschaftsbereich konstituiert wird. In<br />

konstruktiver Perspektive ließe sich ein solches Modellierungskonzept als „wissenschaftsorientiert-monogen“<br />

bezeichnen <strong>und</strong> in folgender Weise abbilden (Abbildung 47):<br />

B: wissenschaftsorientiert-monogenes Modellierungskonzept<br />

Realitätsbereich<br />

intersubjektive<br />

<strong>Rekonstruktion</strong><br />

Reifikation<br />

Realitätsbereich<br />

BWL A<br />

BWL B<br />

BWL C<br />

Erkenntnisobjekt<br />

O<br />

O<br />

M<br />

M<br />

M<br />

BWL-Modell<br />

A<br />

BWL-Modell<br />

B<br />

BWL-Modell<br />

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O<br />

M<br />

didaktisches Modell<br />

Übungsfirma<br />

Abbildung 47: wissenschaftsorientiert-monogenes Modellierungskonzept<br />

Ein möglicher Einwand gegen diese Entscheidung könnte sein, daß damit der pädagogischen<br />

Intention nicht hinreichend Rechnung getragen werde, weil insbesondere die spezifische<br />

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