4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Insgesamt gesehen scheint uns somit das Konzept OESTERREICHs ein geeignetes Ausgangsmodell zur Integration der verschiedenen Ansätze, mit denen versucht worden ist, den Aspekt der gestaltungs- und entscheidungsbezogenen Denkanforderungen im Zuge aufgabenbezogenen Arbeitshandelns zu thematisieren. Eine einfache Anwendung dieses Modells bzw. seiner Kriterien im Rahmen unserer Analyse der arbeitsanalogen Lernumwelt Übungsfirma war dennoch nicht möglich. Auf erforderliche Modifikationen und Ergänzungen der arbeitsanalytischen Beurteilungsaspekte soll im nächsten Abschnitt eingegangen werden. 4.4.3 Modifikationen und Ergänzungen der arbeitsanalytischen Beurteilungsaspekte Bei unserem Versuch, den methodischen Ansatz und die Kriterien der handlungspsychologischen Arbeitsanalyse für die Untersuchung des Lernpotentials der arbeitsanalogen Lernumwelt Übungsfirma zu nutzen, gaben seinerzeit - neben dem noch unbefriedigenden Ausarbeitungs- und Erprobungsstand dieser Verfahren - vor allem die folgenden Aspekte Anlaß zu pragmatischen Einschränkungen, Modifikationen und Ergänzungen: Bezogen auf den Zweck und die spezifische Zielsetzung des Verfahrens orientiert sich VERA - wie auch andere arbeitsanalytische Verfahren - daran, durch die Identifizierung beeinträchtigender oder belastender Faktoren zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen im Sinne einer „Humanisierung der Arbeit“ bzw. einer Förderung arbeitsimmanenter Entwicklungs- und Lernpotentiale beizutragen. Unter dieser Zielsetzung ist das Verfahren primär darauf gerichtet, die Höhe der Regulationserfordernisse und der damit verbundenen Regulationschancen zu bestimmen, die sich aus den Handlungsanforderungen spezifischer Arbeitsaufgaben ergeben (vgl. OESTERREICH/VOLPERT 1987, S. 44). Damit verbindet sich der Versuch, restriktive Aufgaben und Arbeitsbedingungen zu identifizieren, die partialisiertes Handeln erzwingen und deshalb als persönlichkeitsschädigend und damit zugleich als motivations- und leistungsmindernd angesehen werden (vgl. VOLPERT 1987, S. 19). Dieser Ansatz einer Restriktivitätsanalyse ist im Kontext unserer evaluativ-konstruktiven Curriculumstrategie ausgesprochen gut adaptierbar. Er greift jedoch für unsere Zwecke zugleich insofern zu kurz, als er letztlich - wenn auch weitgehend unausgesprochen - unter dem Primat der technologischen und wirtschaftlichen Ziele steht, auf die die Arbeit ausgerichtet ist. Persönlichkeitsförderlichkeit bleibt im Zuge des Arbeitshandelns in aller Regel eine Nebenbedingung, die der materiellen Zielerreichung und den wirtschaftlichen Optimierungskriterien untergeordnet ist. Deutlich wird dies etwa im hierarchischen System zur psychologischen Bewertung von Arbeitsgestaltungsmaßnahmen von HACKER/RICHTER (1980, S. 29ff.; vgl. auch HACKER 1978, S. 378), in welchem dem Kriterium der „Persönlichkeitsförderlichkeit“ in aufsteigender Folge jene der „Ausführbarkeit“, der „Schädigungslosigkeit“ und der „Beeinträchtigungsfreiheit“ vorgeordnet sind. Dabei wird der hierarchische Charakter so interpretiert, „daß jeweils vor dem Fortschreiten zur nächsthöheren Bewertungsebene die Mindestforderungen der vorgeordneten, erforderlichenfalls durch Umgestaltung, als Voraussetzung erfüllt sein müssen“ (HACKER/RICHTER 1980, S. 29). Im Kontext unseres Projekts ist die Persönlichkeitsförderlichkeit keine (mehr oder weniger) relevante Nebenbedingung, sondern das zentrale Handlungsmotiv. Entsprechend ist die 325

Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen zweckrationale Gestaltung von Arbeitsabläufen unter technischem oder ökonomischem Aspekt in unserem Zusammenhang Mittel zum Zweck, wobei mit dem Aspekt des Lernens am Modell bereits darauf hingewiesen wurde, daß die technologisch und wirtschaftlichzweckrationale Grundstruktur des Arbeitssystems als zentrales Charakteristikum des Lerngegenstandes im Ergebnis der Modellierung erkennbar bleiben muß. Grundsätzlich jedoch ist der Spielraum für Gestaltungsmaßnahmen zur Erhöhung der Regulationserfordernisse im Zusammenhang der Übungsfirmenarbeit weit weniger eng gesteckt als in realwirtschaftlichen Systemen. Mit dieser stärkeren Gewichtung des Kriteriums der Persönlichkeitsförderlichkeit verbindet sich unmittelbar ein zweiter Aspekt, der letztlich auf die inhaltliche Bestimmung dessen zielt, was mit Persönlichkeitsförderlichkeit angesprochen ist: Beim VERA stand das arbeitsimmanente Lernpotential für eine bereits eingearbeitete, d. h. aufgabengerecht qualifizierte Person im Vordergrund, während es in unserem Kontext gerade auch um diesen inaugurierenden Prozeß der erkennenden Orientierung und des Aufbaus e- lementarer Kompetenzen im situativen Rahmen einer subjektiv neuen Lernumwelt geht. Zugleich zielte das arbeitsanalytische Verfahren darauf, das Potential eines gegebenen soziotechnischen Arbeitssystems im Sinne einer Erhöhung der Regulationserfordernisse optimal auszuschöpfen, während es in unserem Kontext darum geht, einen situativen Rahmen zu modellieren, innerhalb dessen qualifizierungsrelevante Regulationsleistungen gefordert und erbracht werden können. Aus diesen Überlegungen ergibt sich methodologisch, daß die zentrale Denkfigur der bedingungsbezogenen Arbeitsanalyse, nämlich der Idealtypus des für eine Tätigkeit bereits vollständig qualifizierten Arbeitenden, in dieser Form nicht übernommen werden kann. Dies sollte nach unserer Überzeugung jedoch nicht in der Weise geschehen, daß die mit dieser Fiktion verbundene Chance zur Komplexitätsreduktion grundsätzlich abgelehnt und statt dessen eine konsequent „subjektive Arbeitsanalyse“ (vgl. z. B. UDRIS 1981) auf der Grundlage der je individuellen Redefinitionen von Arbeitssituationen gefordert wird. Statt dessen halten wir es - ganz im Sinne der bedingungsbezogenen Arbeitsanalyse - durchaus für sinnvoll, Arbeitsbedingungen und Aufgabencharakteristika weiterhin als Handlungsund Regulationsanforderungen einer fiktiven Person zu rekonstruieren. Wesentlich wäre hier jedoch eine zweiphasige Betrachtung, indem zunächst die Anforderungen und das Potential der Einarbeitungszeit berücksichtigt und erst danach dem Idealtypus der hinreichend eingearbeiteten Person gefolgt wird. Damit korrespondiert eine Ausweitung des Ziel- und Kriterienbereiches der Arbeitsanalyse. Was für den eingearbeiteten Facharbeiter oder Sachbearbeiter in der Tat kein Entwicklungspotential mehr bietet, stellt im Bereich der Berufsausbildung die unverzichtbare Basis der Berufstätigkeit dar: grundlegende Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die für die Bewältigung des Routineanteils beruflicher Tätigkeit unverzichtbar sind und zugleich die Bausteine für den Entwurf und die Ausführung komplexerer Aufgaben darstellen. Derartige Qualifikationselemente sind berufsbildungsrelevant, und es wäre darüber hinaus zu reflektieren, in welchem Umfang und bis zu welchem Beherrschungs- bzw. Automatisierungsgrad sie erworben werden sollen. 326

Kapitel 4: <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

zweckrationale Gestaltung <strong>von</strong> Arbeitsabläufen unter technischem oder ökonomischem Aspekt<br />

in unserem Zusammenhang Mittel zum Zweck, wobei mit dem Aspekt des Lernens am<br />

Modell bereits darauf hingewiesen wurde, daß die technologisch <strong>und</strong> wirtschaftlichzweckrationale<br />

Gr<strong>und</strong>struktur des Arbeitssystems als zentrales Charakteristikum des Lerngegenstandes<br />

im Ergebnis der Modellierung erkennbar bleiben muß. Gr<strong>und</strong>sätzlich jedoch ist<br />

der Spielraum für Gestaltungsmaßnahmen <strong>zur</strong> Erhöhung der Regulationserfordernisse im Zusammenhang<br />

der Übungsfirmenarbeit weit weniger eng gesteckt als in realwirtschaftlichen<br />

Systemen. Mit dieser stärkeren Gewichtung des Kriteriums der Persönlichkeitsförderlichkeit<br />

verbindet sich unmittelbar ein zweiter Aspekt, der letztlich auf die inhaltliche Bestimmung<br />

dessen zielt, was mit Persönlichkeitsförderlichkeit angesprochen ist:<br />

Beim VERA stand das arbeitsimmanente Lernpotential für eine bereits eingearbeitete, d. h.<br />

aufgabengerecht qualifizierte Person im Vordergr<strong>und</strong>, während es in unserem Kontext gerade<br />

auch um diesen inaugurierenden Prozeß der erkennenden Orientierung <strong>und</strong> des Aufbaus e-<br />

lementarer Kompetenzen im situativen Rahmen einer subjektiv neuen Lernumwelt geht.<br />

Zugleich zielte das arbeitsanalytische Verfahren darauf, das Potential eines gegebenen soziotechnischen<br />

Arbeitssystems im Sinne einer Erhöhung der Regulationserfordernisse optimal<br />

auszuschöpfen, während es in unserem Kontext darum geht, einen situativen Rahmen zu modellieren,<br />

innerhalb dessen qualifizierungsrelevante Regulationsleistungen gefordert <strong>und</strong> erbracht<br />

werden können.<br />

Aus diesen Überlegungen ergibt sich methodologisch, daß die zentrale Denkfigur der bedingungsbezogenen<br />

Arbeitsanalyse, nämlich der Idealtypus des für eine Tätigkeit bereits vollständig<br />

qualifizierten Arbeitenden, in dieser Form nicht übernommen werden kann.<br />

Dies sollte nach unserer Überzeugung jedoch nicht in der Weise geschehen, daß die mit dieser<br />

Fiktion verb<strong>und</strong>ene Chance <strong>zur</strong> Komplexitätsreduktion gr<strong>und</strong>sätzlich abgelehnt <strong>und</strong> statt dessen<br />

eine konsequent „subjektive Arbeitsanalyse“ (vgl. z. B. UDRIS 1981) auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

der je individuellen Redefinitionen <strong>von</strong> Arbeitssituationen gefordert wird.<br />

Statt dessen halten wir es - ganz im Sinne der bedingungsbezogenen Arbeitsanalyse - durchaus<br />

für sinnvoll, Arbeitsbedingungen <strong>und</strong> Aufgabencharakteristika weiterhin als Handlungs<strong>und</strong><br />

Regulationsanforderungen einer fiktiven Person zu rekonstruieren. Wesentlich wäre hier<br />

jedoch eine zweiphasige Betrachtung, indem zunächst die Anforderungen <strong>und</strong> das Potential<br />

der Einarbeitungszeit berücksichtigt <strong>und</strong> erst danach dem Idealtypus der hinreichend eingearbeiteten<br />

Person gefolgt wird.<br />

Damit korrespondiert eine Ausweitung des Ziel- <strong>und</strong> Kriterienbereiches der Arbeitsanalyse.<br />

Was für den eingearbeiteten Facharbeiter oder Sachbearbeiter in der Tat kein Entwicklungspotential<br />

mehr bietet, stellt im Bereich der Berufsausbildung die unverzichtbare Basis der Berufstätigkeit<br />

dar: gr<strong>und</strong>legende Kenntnisse, Fertigkeiten <strong>und</strong> Fähigkeiten, die für die Bewältigung<br />

des Routineanteils beruflicher Tätigkeit unverzichtbar sind <strong>und</strong> zugleich die Bausteine<br />

für den Entwurf <strong>und</strong> die Ausführung komplexerer Aufgaben darstellen. Derartige Qualifikationselemente<br />

sind berufsbildungsrelevant, <strong>und</strong> es wäre darüber hinaus zu reflektieren, in<br />

welchem Umfang <strong>und</strong> bis zu welchem Beherrschungs- bzw. Automatisierungsgrad sie erworben<br />

werden sollen.<br />

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