4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen 4.4.2.2 Zur Partialisierung des Arbeitshandelns Mit dem Konstrukt der "Partialisierung" thematisiert VOLPERT (1975; 1983a) den Gesichtspunkt, daß das hierarchisch-sequentiell organisierte individuelle Handeln gesellschaftlich und sozial eingebunden ist und daß es aufgrund dieser Einbindung und unter dem Einfluß der jeweiligen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse besondere Deformationen erfahren hat. Das Phänomen der Partialisierung sieht VOLPERT allgemein als Ausdruck des Auseinanderfallens von Gebrauchswert- und Tauschwertorientierung in der Warenproduktion, was wiederum als Resultat gesellschaftlicher Arbeitsteilung unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen interpretiert wird. Ausgangspunkt dieser Entwicklung sei ein Prozeß der "horizontalen Parzellierung" in der gesellschaftlich-historischen Entwicklung, in dessen Verlauf sich Menschen auf unterschiedliche praktische Tätigkeitsbereiche spezialisieren. Eine solche horizontale Parzellierung erfordere gleichzeitig eine "vertikale Parzellierung": "Da nun nicht mehr jedes einzelne Individuum in der Lage ist, das gesamte kollektive Handlungsfeld zu überblicken, muß die Koordination der kollektiven Handlungsbereiche von speziell für diese Koordination kompetenten Mitgliedern des Kollektivs übernommen werden. Übernehmen diese besonderen Mitglieder des Kollektivs nicht mehr die Regulation einzelner kollektiver Handlungsbereiche, kommt es auch zur Scheidung von Hand- und Kopfarbeit" (OESTERREICH 1981, S. 196). Dies führe in der "warenproduzierenden Gesellschaft" zu einem Auseinanderfallen von Erwerbsmotiv und gegenständlichem Ziel der Arbeit, das VOLPERT als "prinzipielle Partialisierung" bezeichnet, als "Abtrennung des individuellen Arbeitshandelns vom gesellschaftlichen Arbeitshandeln" (VOLPERT 1975, S. 159). Diese bewirke eine "zunehmende Vereinseitigung" individuellen Handelns, "d. h. die Handlungskompetenzen spiegeln die gesellschaftlichen Potenzen in immer geringerem Umfang wider", die Teilnahme des Warenproduzenten an der gesellschaftlichen Handlungsregulation werde zunehmend beschränkt, es komme „zum Auseinanderfallen von 'Arbeitsbereich' und 'Restbereich', zu der Abtrennung seines ‘lebenswerten Lebens' vom Arbeitsbereich" (OESTERREICH 1981, S. 193ff.; VOLPERT 1975, S. 159ff.). Vergleichbare Partialisierungseffekte ergeben sich nach VOLPERT unter dem Einfluß arbeitsteiliger Produktionsprozesse ebenfalls auf der Ebene der konkreten betrieblichen Arbeitstätigkeit. Zum einen werden ursprünglich komplexe, produktbezogen-ganzheitliche Arbeitshandlungen "horizontal parzelliert", d. h. in Teilaufgaben bzw. -handlungen zerlegt, zum anderen werden - als Form der "vertikalen Parzellierung" - die Arbeitenden von übergreifenden Planungs- und Kontrolltätigkeiten abgeschnitten. Diese Beschränkung des Arbeitshandelns auf die Regulation "zerstückelter", weithin anspruchsloser und fremdbestimmter Tätigkeitselemente bezeichnet VOLPERT als "spezifische Partialisierung" und konkretisiert diese unter zwei Aspekten: "(a) partialisierte Handlungen sind isoliert, d. h. der Gesamtzusammenhang der Arbeit bzw. seine das Individuum übergreifenden Bestandteile werden nicht mit erfaßt und mit bestimmt; 313

Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen (b) partialisierte Handlungen sind restringiert, d. h. der individuelle Handlungszusammenhang ist im Sinne einer Unterentwicklung umfassender und komplexer Planungsvorgänge gestört, an die Stelle der Beherrschung der Gegebenheiten und des Überblicks tritt die Perspektivlosigkeit und das Beherrschtwerden, z. B. von einer technischen Anlage" (VOLPERT 1983a, S. 59). Für die individuelle Handlungsregulation führe die spezifische Partialisierung dazu, daß (nach dem gebrauchswertorientierten) auch der produktorientierte Sinnbezug der Arbeit ebenso verloren gehe, wie die Notwendigkeit, komplexere kognitive Abbilder des Arbeitsprozesses und des Arbeitsproduktes entwerfen und in diesen gedanklich-antizipativ operieren zu müssen. Je mehr das Arbeitshandeln partialisiert sei, je stärker also "die Arbeitsvollzüge in der Erfüllung der Arbeitsaufgabe dem Arbeitenden vorgegeben sind, sei es durch spezielle Anweisungen oder durch die materiellen Gegebenheiten der Arbeitsmittel und -gegenstände" (PROJEKTGRUPPE VILA 1983, S. 148), desto geringer sei die Problemhaltigkeit und damit die Lernrelevanz einer Arbeitsaufgabe. Aus arbeitsanalytischer Sicht ergab sich hiermit die Herausforderung, ein Instrumentarium zu entwickeln, das es erlaubte, für bestimmte Arbeitsaufgaben das Ausmaß der Partialisierung zu bestimmen, also festzustellen, in welchem Maße der Arbeitende bei der Ausführung dieser Arbeitsaufgabe von anspruchsvolleren kognitiven Leistungen - in der Sprache der Handlungsregulationstheorie: von höheren Ebenen seiner individuellen Handlungsregulation - ausgeschlossen bleibt. Die Berliner Projektgruppe hat in Verfolgung dieser Absicht ein Stufenmodell zur Beurteilung der Problemhaltigkeit von Arbeitsaufgaben entwickelt, das auf das 5-Ebenen-Modell der Handlungsregulation von OESTERREICH (1981) aufbaut. Dieses Modell soll in seinen Grundzügen kurz vorgestellt werden. 4.4.2.3 Regulationserfordernisse und Problemhaltigkeit Den Ausgangspunkt des Handlungsregulationsmodells von OESTERREICH bildet die systemtheoretische Grundannahme, daß menschliches Handeln - sei es individuell oder kollektiv organisiert - durch eine hierarchisch-sequentielle Struktur gekennzeichnet ist. „Der Mensch fügt unterschiedliche Handlungen in sinnvoller Weise aneinander, d. h. er wählt aus vielen möglichen Handlungen die ihm als geeignet erscheinenden aus und führt sie in sinnvoller Reihenfolge, stets auch Variationen der Umwelt beachtend, aus. Er tut dies, um mit den Handlungen bestimmte Ziele zu erreichen oder wenigstens in bestimmte Richtungen voranzukommen. Die Aufgabe besteht als darin, ein bestimmtes Ziel durch die Auswahl von Handlungen und die Generierung ihrer Abfolge zu erreichen. In der Regulation solcher Prozesse reiht der Mensch nicht einfach verschiedene Aktivitäten aneinander, sondern die Aktivitäten werden in 'Ober- ' und 'Untereinheiten' unterteilt“ (PROJEKTGRUPPE VILA 1983, S. 149). In ihrem Versuch, Regulationsniveaus der Arbeitstätigkeit zu definieren, orientierte sich die Berliner Gruppe am HACKERschen Modell der Handlungsregulation, worin dieser, hierarchisch geordnet, drei Ebenen der "Ausführungsregulation" des Arbeitshandelns unterscheidet: 314

Kapitel 4: <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

(b) partialisierte Handlungen sind restringiert, d. h. der individuelle Handlungszusammenhang<br />

ist im Sinne einer Unterentwicklung umfassender <strong>und</strong> komplexer<br />

Planungsvorgänge gestört, an die Stelle der Beherrschung der Gegebenheiten<br />

<strong>und</strong> des Überblicks tritt die Perspektivlosigkeit <strong>und</strong> das Beherrschtwerden, z. B.<br />

<strong>von</strong> einer technischen Anlage" (VOLPERT 1983a, S. 59).<br />

Für die individuelle Handlungsregulation führe die spezifische Partialisierung dazu, daß (nach<br />

dem gebrauchswertorientierten) auch der produktorientierte Sinnbezug der Arbeit ebenso verloren<br />

gehe, wie die Notwendigkeit, komplexere kognitive Abbilder des Arbeitsprozesses <strong>und</strong><br />

des Arbeitsproduktes entwerfen <strong>und</strong> in diesen gedanklich-antizipativ operieren zu müssen. Je<br />

mehr das Arbeitshandeln partialisiert sei, je stärker also "die Arbeitsvollzüge in der Erfüllung<br />

der Arbeitsaufgabe dem Arbeitenden vorgegeben sind, sei es durch spezielle Anweisungen<br />

oder durch die materiellen Gegebenheiten der Arbeitsmittel <strong>und</strong> -gegenstände"<br />

(PROJEKTGRUPPE VILA 1983, S. 148), desto geringer sei die Problemhaltigkeit <strong>und</strong> damit die<br />

Lernrelevanz einer Arbeitsaufgabe.<br />

Aus arbeitsanalytischer Sicht ergab sich hiermit die Herausforderung, ein Instrumentarium zu<br />

entwickeln, das es erlaubte, für bestimmte Arbeitsaufgaben das Ausmaß der Partialisierung zu<br />

bestimmen, also festzustellen, in welchem Maße der Arbeitende bei der Ausführung dieser<br />

Arbeitsaufgabe <strong>von</strong> anspruchsvolleren kognitiven Leistungen - in der Sprache der Handlungsregulationstheorie:<br />

<strong>von</strong> höheren Ebenen seiner individuellen Handlungsregulation - ausgeschlossen<br />

bleibt.<br />

Die Berliner Projektgruppe hat in Verfolgung dieser Absicht ein Stufenmodell <strong>zur</strong> <strong>Beurteilung</strong><br />

der Problemhaltigkeit <strong>von</strong> Arbeitsaufgaben entwickelt, das auf das 5-Ebenen-Modell der<br />

Handlungsregulation <strong>von</strong> OESTERREICH (1981) aufbaut. Dieses Modell soll in seinen Gr<strong>und</strong>zügen<br />

kurz vorgestellt werden.<br />

<strong>4.</strong><strong>4.</strong>2.3 Regulationserfordernisse <strong>und</strong> Problemhaltigkeit<br />

Den Ausgangspunkt des Handlungsregulationsmodells <strong>von</strong> OESTERREICH bildet die systemtheoretische<br />

Gr<strong>und</strong>annahme, daß menschliches Handeln - sei es individuell oder kollektiv organisiert<br />

- durch eine hierarchisch-sequentielle Struktur gekennzeichnet ist.<br />

„Der Mensch fügt unterschiedliche Handlungen in sinnvoller Weise aneinander, d. h.<br />

er wählt aus vielen möglichen Handlungen die ihm als geeignet erscheinenden aus<br />

<strong>und</strong> führt sie in sinnvoller Reihenfolge, stets auch Variationen der Umwelt beachtend,<br />

aus. Er tut dies, um mit den Handlungen bestimmte Ziele zu erreichen oder wenigstens<br />

in bestimmte Richtungen voranzukommen. Die Aufgabe besteht als darin,<br />

ein bestimmtes Ziel durch die Auswahl <strong>von</strong> Handlungen <strong>und</strong> die Generierung ihrer<br />

Abfolge zu erreichen.<br />

In der Regulation solcher Prozesse reiht der Mensch nicht einfach verschiedene Aktivitäten<br />

aneinander, sondern die Aktivitäten werden in 'Ober- ' <strong>und</strong> 'Untereinheiten'<br />

unterteilt“ (PROJEKTGRUPPE VILA 1983, S. 149).<br />

In ihrem Versuch, Regulationsniveaus der Arbeitstätigkeit zu definieren, orientierte sich die<br />

Berliner Gruppe am HACKERschen Modell der Handlungsregulation, worin dieser, hierarchisch<br />

geordnet, drei Ebenen der "Ausführungsregulation" des Arbeitshandelns unterscheidet:<br />

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