4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...
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Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Der Zugriff über die subjektive Redefinition von Arbeitssituationen und die Verbalisierung kognitiver Regulationsleistungen des Arbeitshandelns hat jedoch - ungeachtet aller methodischen Erhebungsprobleme - den Nachteil, daß die Befunde jeweils nur für das befragte Subjekt selbst Gültigkeit haben. Dies kann im Rahmen von Untersuchungen individueller Unterschiede zwischen Arbeitenden ausgesprochen sinnvoll und angemessen sein. Der Erkenntniswert und vor allem der pragmatische Nutzen derartiger Untersuchungen im Zuge von Arbeitsgestaltungsmaßnahmen oder auch im uns interessierenden Kontext der beruflichen Bildung wäre jedoch äußerst begrenzt. Denn aus dieser Perspektive geht es ja gerade um Auswirkungen überindividuell gültiger Merkmale von Arbeitsaufgaben, weil nur sie der Gestaltung zugänglich sind. Aus diesem Problemverständnis heraus begründet sich der Ansatz der "objektiven Arbeitsanalyse", dem auch das Projekt VERA folgt: − Sie untersucht die Lernrelevanz von objektiven Arbeitsaufgaben, d. h. sie fokussiert auf die Beurteilung überindividuell gültiger, gestaltbarer Merkmale im Bereich der Ziel- und Bedingungsvorgaben des Arbeitshandelns. − Als Erhebungsebene ist dabei die "objektive Arbeitsaufgabe" anzusehen, als Beurteilungs- bzw. Interpretationsebene hingegen die Ebene der Handlungsregulation durch einen idealtypisch qualifizierten und motivierten Arbeitenden. Die Verbindung zwischen diesen beiden Ebenen wird mit Hilfe der Handlungsregulationstheorie hypothetisch sichergestellt. − Die zentrale Analyseeinheit ist nicht eine bestimmte Reiz-Reaktions-Konfiguration auf molekularer Ebene, sondern die einzelne Arbeitsaufgabe, die durch das bewußte Ziel, "durch die mit einem Motiv verbundene Vorwegnahme des Ergebnisses" der Tätigkeit (HACKER 1978, S. 63), abgegrenzt wird. Nach VOLPERT et al. (1983, S. 45) stellt eine Arbeitsaufgabe einen bestimmten, in lediglich geringfügiger Variation wiederkehrenden Typus eines Arbeitsauftrages dar. Der Arbeitsauftrag wird als Bezeichnung für eine Abfolge von Arbeitseinheiten definiert, "die mit einem Auftrag beginnt und durch Ab- oder Weitergabe der bearbeiteten Materialien endet". 1 Arbeitsaufgaben sind als Form zielgerichteter Tätigkeit in Form von Komplexionshierarchien organisiert. Alle "Regulationsprozesse und Aktionsprogramme, die einem Ziel zugeordnet werden können und von diesem Ziel oder entsprechenden Zielen abgeleitet sind", gehören zu einer Arbeitsaufgabe (VOLPERT et al. 1983, S. 45). − Die objektive Arbeitsanalyse abstrahiert dabei "von den individuellen Eigenarten des jeweiligen Arbeitenden, nicht jedoch vom handelnden Menschen schlechthin" (GABLENZ- KOLAKOWIC et al. 1981, S. 218). − Sie fragt bei ihrer Untersuchung danach, welche Anforderungen eine Arbeitsaufgabe an einen eingearbeiteten, durchschnittlich qualifizierten und motivierten Arbeitenden stellt. „Lernrelevant“ sind dann solche „Aspekte der Arbeitsaufgabe, die beim Individuum den Einsatz und die Weiterentwicklung komplexerer Planungs- und Handlungsstrukturen be- 1 Hiermit unterscheiden sich VOLPERT et al. terminologisch von HACKER (1978), der mit dem Begriff der Arbeitsaufgabe die subjektive Widerspiegelung eines objektiven Arbeitsauftrages bezeichnet. 311
Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen wirken, die also 'Problemlösen' gleichzeitig fordern und ermöglichen“ (VOLPERT et al. 1981, S. 198). − Bei der Datenerhebung einer in diesem Sinne objektiven Arbeitsanalyse spielen sowohl objektive (Dokumentenanalyse, Beobachtung) als auch subjektive Erhebungsverfahren (Befragung) eine Rolle (vgl. GABLENZ-KOLAKOWIC 1981, S. 219). Letztere dürften insbesondere zur Validierung von Anforderungshypothesen bedeutsam sein. Objektive Arbeitsaufgaben werden also unter dem Aspekt der Lernrelevanz als "Denkaufträge" für einen durchschnittlich qualifizierten und motivierten Arbeitenden rekonstruiert, die eine bestimmte Sachstruktur aufweisen, welche durch kognitive Prozesse nachzubilden und damit aufzudecken sind. "Solche kognitiven Prozesse finden nur dann statt, wenn die Arbeitsaufgabe ein zu lösendes Problem beinhaltet, also mehr ist, als die ständige Wiederkehr des schon Gewußten und Gekonnten. Eine Arbeitsaufgabe ist also dann lernrelevant, wenn sie problemhaltig ist" (OESTERREICH 1981, S. 277) Von entscheidender Bedeutung für die Problemhaltigkeit von Arbeitsaufgaben ist neben der Neuartigkeit von Arbeitsanforderungen insbesondere das Niveau der Partialisierung des Arbeitshandelns. Bevor auf diesen Aspekt im nachfolgenden Teilkapitel näher eingegangen wird, soll der Grundansatz der bedingungsbezogenen Arbeitsanalyse noch einmal mit Abbildung 41 graphisch veranschaulicht werden: Beobachtungsinterview Analyseeinheit Interpretations- und Bewertungsebene normatives Referenzsystem Arbeitsaufgabe Einstufung idealtypisches Handlungssubjekt Anforderungsstruktur/Regulationserfordernisse der Arbeitsaufgabe Restriktivitätskriterien idealtypischvollständige Arbeitshandlung Arbeitsaufgabe Arbeitsaufgabe Arbeitsaufgabe Interpretation und Bewertung Identifikation Arbeitsbedingungen Abbildung 41: Das methodische Grundkonzept der bedingungsbezogenen Arbeitsanalyse 312
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Kapitel 4: <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />
wirken, die also 'Problemlösen' gleichzeitig fordern <strong>und</strong> ermöglichen“ (VOLPERT et al.<br />
1981, S. 198).<br />
− Bei der Datenerhebung einer in diesem Sinne objektiven Arbeitsanalyse spielen sowohl objektive<br />
(Dokumentenanalyse, Beobachtung) als auch subjektive Erhebungsverfahren (Befragung)<br />
eine Rolle (vgl. GABLENZ-KOLAKOWIC 1981, S. 219). Letztere dürften insbesondere<br />
<strong>zur</strong> Validierung <strong>von</strong> Anforderungshypothesen bedeutsam sein.<br />
Objektive Arbeitsaufgaben werden also unter dem Aspekt der Lernrelevanz als "Denkaufträge"<br />
für einen durchschnittlich qualifizierten <strong>und</strong> motivierten Arbeitenden rekonstruiert, die eine<br />
bestimmte Sachstruktur aufweisen, welche durch kognitive Prozesse nachzubilden <strong>und</strong><br />
damit aufzudecken sind. "Solche kognitiven Prozesse finden nur dann statt, wenn die Arbeitsaufgabe<br />
ein zu lösendes Problem beinhaltet, also mehr ist, als die ständige Wiederkehr<br />
des schon Gewußten <strong>und</strong> Gekonnten. Eine Arbeitsaufgabe ist also dann lernrelevant, wenn sie<br />
problemhaltig ist" (OESTERREICH 1981, S. 277) Von entscheidender Bedeutung für die Problemhaltigkeit<br />
<strong>von</strong> Arbeitsaufgaben ist neben der Neuartigkeit <strong>von</strong> Arbeitsanforderungen insbesondere<br />
das Niveau der Partialisierung des Arbeitshandelns. Bevor auf diesen Aspekt im<br />
nachfolgenden Teilkapitel näher eingegangen wird, soll der Gr<strong>und</strong>ansatz der bedingungsbezogenen<br />
Arbeitsanalyse noch einmal mit Abbildung 41 graphisch veranschaulicht werden:<br />
Beobachtungsinterview<br />
Analyseeinheit<br />
Interpretations- <strong>und</strong><br />
Bewertungsebene<br />
normatives<br />
Referenzsystem<br />
Arbeitsaufgabe<br />
Einstufung<br />
idealtypisches<br />
Handlungssubjekt<br />
Anforderungsstruktur/Regulationserfordernisse<br />
der Arbeitsaufgabe<br />
Restriktivitätskriterien<br />
idealtypischvollständige<br />
Arbeitshandlung<br />
Arbeitsaufgabe<br />
Arbeitsaufgabe<br />
Arbeitsaufgabe<br />
Interpretation <strong>und</strong><br />
Bewertung<br />
Identifikation<br />
Arbeitsbedingungen<br />
Abbildung 41: Das methodische Gr<strong>und</strong>konzept der bedingungsbezogenen Arbeitsanalyse<br />
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